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Wie man sich denken kann, hatte Paul Kossoffs Tod unseren Plänen einen ziemlichen Dämpfer verpasst. Dabei hätten wir so gern Promotion für High Voltage gemacht, das erste Album, das wir in Großbritannien veröffentlichten. Es war ein Zusammenschnitt aus den beiden ersten Platten, die in Australien erhältlich waren, High Voltage und TNT, und mit einem Cover versehen worden, das für mich bis heute zu den schlimmsten aller Zeiten zählt. Es war so eine Art Comic-Zeichnung von Bon und Angus – vermutlich jedenfalls – mit jeder Menge Grün und Rosa. Wem auch immer diese Farbkombination eingefallen war, er verstand sehr wenig von AC/DC, und es verblüfft mich noch immer, dass die Band diesem Entwurf jemals zustimmte. Es war ein Schock. Nicht, dass Phil oder ich je gefragt worden wären, wenn es um solche Entscheidungen ging.

Die Cover-Rückseite entsprach unserem speziellen Humor schon eher. Es war eine Collage aus erfundenen Briefen an die Band und ein paar Gruppenfotos. Eines dieser abgedruckten Schreiben stammte angeblich von den Besitzern eines Clubs, die sich bei mir entschuldigten, weil ich aus ihrem Laden rausgeflogen war (nicht schon wieder!), und die nun artig Danke sagten, weil ich dem Rausschmeißer, der mir dabei in die Quere gekommen war, einen Blumenstrauß ins Krankenhaus geschickt hatte. Unter normalen Umständen hätten mir Schenkelklopfer von diesem Kaliber und wild zusammengeschnittene, imagekonforme Bilder auch nicht gerade Begeisterungsschreie entlockt, aber verglichen mit der Vorderseite war es hervorragende Arbeit. Meine Güte, war die schrecklich. Glücklicherweise wurde für die spätere Veröffentlichung in den USA die Rückseite beibehalten, das Frontcover aber ausgetauscht und ersetzt durch einen wie immer wild grimassierenden Angus Young in seiner Schuluniform, vor schlichtem Hintergrund mit einem dicken Blitz darüber. Immerhin schon mal eine verdammte Verbesserung. Mein Favorit war das australische High Voltage-Cover, auf dem ein Hund sein Bein an einem Stromkasten hob. Das war mal ein richtig cooles Foto. Der Titel „High Voltage“ und das Cover-Konzept stammten übrigens von Chris Gilbey, dem A&R-Mann von Alberts in Sydney.

Wir standen allerdings augenblicklich vor allem vor der Frage, womit wir uns sinnvoll die Zeit vertreiben konnten, während sich die Überbleibsel von Back Street Crawler langsam wieder sortierten. Die einfachste Antwort lautete, ein paar Gigs in Pubs rund um London zu organisieren, damit sich allmählich herumsprach, was für eine großartige neue Truppe sich in der Stadt aufhielt. Die Auszeit gab uns zudem die Gelegenheit, uns andere Bands anzusehen und die Konkurrenz auszuchecken. Da die sowieso in den Pubs und Clubs der Stadt spielten, konnten wir bei unseren Erkundungstouren auch gleichzeitig einen umfassenden Test der verschiedenen hier erhältlichen Biersorten machen, zumindest Mal, Phil und ich. Natürlich alles im Namen der Wissenschaft.

Bei einem dieser Testläufe bestellten Mal, Phil und ich uns ein Minicab für die Fahrt in die Stadt. Minicabs gab es überall in London; sie wurden von Taxifahrern mit entsprechender Lizenz gefahren, sahen aber aus wie normale Privatwagen, im Gegensatz zu den traditionellen schwarzen Londoner Taxis, die erwartungsgemäß von Typen mit unglaublichem East-End-Akzent gesteuert wurden. Die Minicab-Fahrer wirkten meistens ziemlich zwielichtig, und der Typ, der an diesem Tag vor unserem Haus hielt, war da keine Ausnahme.

Während der Fahrt kamen wir ins Gespräch. Unser Chauffeur kam aus Jamaika, und von daher vermuteten Mal und Phil, er wüsste vielleicht, wo man Gras kaufen konnte; die beiden waren ziemlich scharf auf ein bisschen was zum Kiffen. Und tatsächlich sagte unser Fahrer, klar, er wüsste, wo es was gäbe, zufällig gleich um die Ecke von dort, wo wir sowieso hinwollten.

Dort angekommen, gaben wir unserem Fahrer 20 Pfund. Er schloss das Auto ab und verschwand in einem Reihenhaus, und wir saßen da und warteten wohl eine Viertelstunde oder 20 Minuten, während wir uns zunehmend Sorgen darüber machten, abgezockt worden zu sein. Doch dann kehrte der Typ zurück – völlig zugedröhnt. Er war so drauf, dass er kaum noch geradeaus gehen konnte. Phil und Mal bekamen von ihm ein kleines, sauber in Zeitungspapier eingewickeltes Päckchen, dann kletterte er wieder auf den Fahrersitz und schlich mit uns im Schneckentempo die Kensington High Street hinunter.

Mal und Phil waren ziemlich beeindruckt. Danach, wie unser Fahrer aus der Wäsche guckte, musste der Stoff ziemlich gut sein. (Wahrscheinlich ist er heute noch bekifft.) Allerdings sah das Dope ganz anders aus, als die beiden erwarteten. Zwar war ich da kein Spezialist, aber mich erinnerte das Zeug in dem Päckchen an ganz normale Küchenkräuter, und als die Jungs es probierten und überhaupt nichts spürten, fragte uns angesichts des seltsamen Geruchs prompt jemand, was es denn bei uns zum Essen gegeben hätte.

Der erste Londoner Club, den wir uns an diesem Abend ansahen, war das Speakeasy, ein Treffpunkt der Musikindustrie, in dem oft Showcases stattfanden. Es war klein, eng und dunkel, aber die Atmosphäre stimmte. Außerdem war die Chance groß, dass man dort angesagten Musikern über den Weg lief, von The Who, den Rolling Stones oder irgendeiner anderen großen Band, die versuchten, ein paar Frauen aufzureißen – etwas, das uns bisher noch nicht gelungen war.

Der Abend begann etwas seltsam, jedenfalls für AC/DC-Verhältnisse. Wir saßen mit ein paar Leuten von unserer Plattenfirma an einem Tisch und tranken französischen Champagner, den natürlich das Label bezahlte, und ich glaube nicht, dass die Worte französischer Champagner und AC/DC je zuvor einmal in einem Satz verwendet wurden. Unsere Eskorte bestand aus Steve Payne und Sue Patience, zwei Promotern, die sicher ganz „ent-züüüückt“ davon waren, ein paar arroganten kleinen Arschlöchern aus Down Under ihre Heimatstadt zu zeigen. Aber immerhin taten sie lächelnd ihre Pflicht, wenn sie auch manchmal ein bisschen schmallippig guckten, sobald sie glaubten, dass keiner hinsah. Generell kamen wir mit Sue, die mit Coral befreundet war, und mit Steve gut zurecht. Mit Steve traf ich mich später öfters mal auf ein paar Bier und ein schnelles Curry beim Inder um die Ecke.

Die Band, die an jenem Abend im Speakeasy auftrat, war eine typische PopRock-Truppe im Glam-Outfit, die aussah, als hätte sie das Make-up und die Plateauschuhe von Marc Bolan und Ziggy Stardust geerbt. Meiner Meinung nach wäre es besser gewesen, wenn sie sich weniger auf Puder und Lippenstift und mehr auf das Stimmen ihrer Instrumente konzentriert hätte. Ihren Namen weiß ich nicht mehr, aber eins kann ich euch sagen: Sie war grässlich und wieder einmal ein Beleg dafür, dass es in London nicht halb so viel Talente gab, wie man immer dachte. Allmählich machte uns der Schampus auch ein bisschen lustig, und Mal fragte Steve Payne ziemlich laut: „Was sind denn das für Schwuchteln?“ Seine Bemerkung erntete brüllend lautes Gelächter von uns anderen, allerdings nicht von unseren Plattenfirmenfreunden, die gerade darüber nachdachten, die besagten Schwuchteln unter Vertrag zu nehmen. Als sie uns das etwas verlegen wissen ließen, prusteten wir unkontrolliert unseren Moët über den Tisch. Ich meine, echt jetzt, wir konnten nicht anders. Die Band war scheiße.

Wenig später veranstaltete die Atlantic-Crew einen kleinen Empfang für uns in ihrem Büro in der Oxford Street. Es war nur ein kleines, informelles Treffen – mal auf ein paar Bier reinschauen und die anderen Mitarbeiter kennen lernen, die dann pflichtschuldigst so taten, als ob sie daran glaubten, dass wir Riesenerfolg haben würden. Wir hatten für diese ganzen Mechanismen im Musikindustrie-Zirkus nicht allzu viel übrig, aber zu solchen Partys fanden wir uns gerade noch bereit. Während unserer ersten Tage in London hatten wir schon jede Menge „Oooh, die sind ja so unglaublich natürlich“ über uns ergehen lassen, was übersetzt so viel hieß wie „hoffentlich finden die nie raus, wo ich wohne“, und von daher waren wir bestrebt, großen Abstand zu den meisten der so genannten Trendsetter zu halten.

Natürlich wäre es verrückt gewesen, wenn wir uns nicht darum bemüht hätten, eine gute Beziehung zu den Leuten bei Atlantic aufzubauen. Trotzdem fühlte ich mich schon nach kurzer Zeit ziemlich unwohl bei dieser Party und dachte darüber nach, mich möglichst bald abzusetzen. Steve Payne, der wirklich einer von den Guten war, wusste natürlich, dass solche Veranstaltungen furchtbar nervig waren, gab sich aber alle Mühe, es für uns so nett wie möglich zu machen.

„Da ist noch jemand, den ihr unbedingt kennen lernen müsst“, erklärte er uns. Dann schob man uns in einen Nebenraum und stellte uns in einer Reihe auf, wie zu einer feierlichen Begrüßung.

Wer kommt denn jetzt, fragte ich mich – die Königin und Prinz Philip? Eigentlich hoffte ich auf Keith Richards; Rolling Stone Records hatten ihr Büro immerhin im gleichen Gebäude. Stattdessen wurde ein älterer, sehr gesetzt wirkender Herr hereingeführt, dem wir nach einander vorgestellt wurden.

„Das ist Malcolm Young, einer der beiden Gitarristen“, erklärte man ihm, „und das ist Angus …“

Ich dachte nur: „Wer zur Hölle ist das, und was erwarten die jetzt von uns – einen Knicks oder was?“ Der geschätzte Gast war währenddessen bei Bon angekommen, der ihm wenig überraschend als Sänger vorgestellt wurde.

Bon konnte nun nicht länger widerstehen und stellte die Frage, die uns allen auf den Nägeln brannte: „Und was treibst du so, Kumpel?“

Die Jungs von Atlantic hielten hörbar die Luft an.

„Guter Mann,“ so redete der Typ tatsächlich, „ich bin Derek Taylor. Ich habe für die Beatles gearbeitet. Von denen haben Sie aber schon einmal gehört, nehme ich an?“ Derek sah sich um und hielt sich offenbar für mindestens so geistreich wie Oscar Wilde. Scheiße, vielleicht glaubte er sogar, er sei Oscar Wilde.

Als nächster war ich dran, und ich kommentierte seine Witzigkeit mit einem dicken Rülpser, bei dem Mr. Taylor/Wilde äußerst angeekelt das Gesicht verzog. Er ahnte ja gar nicht, dass er nur knapp daran vorbeigeschrammt war, links und rechts eine gelangt zu bekommen.

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Inzwischen hatten wir uns einen Londoner Agenten zugelegt, einen sehr gepflegten Herrn namens Richard Griffiths, der in unserer Gesellschaft auffiel wie ein bunter Hund. Allerdings gelang es uns im Lauf der Zeit, Richard auf unser Niveau herabzuziehen. Er hatte seine Agentur erst frisch gegründet und war noch sehr hungrig – von daher passte er perfekt zu AC/DC. Davon abgesehen arbeitete er aber auch mit Back Street Crawler und anderen Bands. Ich vertrug mich sehr gut mit Richard; er war ein willkommenes, neues Gesicht in meiner Welt. Damals hatte er viel Erfolg mit Eddie And The Hot Rods, die in London gerade sehr angesagt waren und schon allein deswegen für uns zur nächsten Zielscheibe wurden.

„Also hast du die besten Acts der ganzen Stadt, was, Richard?“

Natürlich mussten wir als nächstes ins Marquee und uns diesen Eddie und seine heißen Öfen angucken. Das Marquee war ein sehr bekannter Club auf der Wardour Street in Soho, der sich rühmen durfte, als Sprungbrett für die Karrieren der Rolling Stones, von The Who, Jimi Hendrix und Led Zeppelin fungiert zu haben. Wir fühlten uns dort gleich wie zu Hause: Es war eng, stickig, dreckig, muffig und verkeimt, genau wie unser Stammlokal in Melbourne, das Hard Rock Café. Damit war der Laden wie geschaffen für AC/DC, und wir sollten dort 1976 mehrere Male auftreten.

Schon im Voraus waren wir fest entschlossen, Eddie And The Hot Rods zu verabscheuen, und so kam es auch. „Wie hat so eine Truppe es geschafft, derartig gefragt zu sein?“, wunderten wir uns. Normalerweise war ich derjenige bei AC/DC, der anderen Bands gegenüber noch am nachsichtigsten war, aber selbst ich fand sie scheiße. Sie versuchten sich an einer Art hochgeköcheltem R&B, wie ihn später Dr. Feelgood meisterlich hinbekamen. „Haben Eddie und seine Kumpels alle dieselbe Setliste?“, fragte ich zwischendurch und erntete einiges Gelächter. Es hörte sich tatsächlich nicht so an, als ob sie alle gerade denselben Song spielten. Richard nahm unsere Kritik als freundschaftliche Spöttelei und merkte gar nicht, dass es uns richtig ernst damit war. Wir hatten jedenfalls an diesem Abend ein neues Hauptquartier gefunden und ein neues Ziel ins Visier genommen.

Unser erstes Auftrittsangebot war ein richtiger Kracher. Einer von Corals Freunden, Spartacus, war Bassist bei Osibisa, und wir sollten den Aufwärmer für diese Gruppe machen. Osibisa war eine afrikanische Band, die mit seltsamen Instrumenten eine Mischung aus Tribal Music und zeitgenössischen Klängen spielte. Der Gig war in Brighton, knapp hundert Kilometer von London entfernt an der Küste, und man bot uns die phantastische Summe von zehn Pfund, die nicht mal für das Benzingeld gereicht hätte. Wir lehnten dankend ab. Allerdings gab es viel Gelächter wegen dieser Geschichte, auch von Richard, der uns versicherte, dass er schon bald mit einem besseren Angebot würde aufwarten können. Das glaubten wir gern; das war auch nicht weiter schwierig.

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Glücklicherweise war London eine Stadt, in der es leicht war, ein bisschen Staub aufzuwirbeln. Es gab eine Reihe bekannter Clubs und Pubs, die Konzerte veranstalteten, über die regelmäßig in den Wochenzeitungen Melody Maker, New Musical Express und seit neuestem auch Sounds berichtet wurde. Ein perfektes Umfeld, um eine Fan-Basis aufzubauen.

Das Red Cow in Hammersmith zählte allerdings nicht zu den bekannten Wasserlöchern, in die sich Musikjournalisten verirrten. Ausgerechnet dort organisierte uns Richard am 23. April 1976 unser erstes Londoner Konzert. Der Eintritt war frei. Das Red Cow lag an der Hammersmith Road, die parallel zur Hammersmith-Überführung verlief, einer breiten, unglaublich hässlichen Hochstraße, die zwar für den Verkehrsfluss in die Stadt eine Verbesserung darstellte, aber wirklich die Gegend verschandelte. Es war ein winziger Pub mit einer noch kleineren Bühne (glücklicherweise waren wir ja selbst allesamt nicht die Größten), dessen Zuschauerraum vielleicht um die 150 Leute fasste, wenn sie wie Sardinen dicht gedrängt aneinander standen.

Wir gingen die Sache so an, wie wir jedes Pubkonzert in Melbourne angegangen waren, und das war ein uns sehr vertrautes Muster: Erst trat eine Vorgruppe auf, dann brachten wir zwei Sets unseres Programms. Wir alle brannten darauf, endlich wieder zu spielen: Die Pause war für uns wirklich lang gewesen, fast einen Monat, seit wir unser „Abschiedskonzert“ vor ausverkauftem Haus im Bondi Lifesaver gegeben hatten, und inzwischen waren wir so sehr auf Live-Entzug, dass wir auch in einem öffentlichen Klo gespielt hätten. In Australien hatten wir rund um die Uhr gearbeitet und höchstens mal inne gehalten, um TNT und Dirty Deeds Done Dirt Cheap einzuspielen, aber in letzter Zeit hatten wir uns unsere Instrumente nur bei ein paar Probeläufen in einem ekligen Übungsstudio auf der King’s Road in Chelsea umgehängt – einer feuchten, hässlichen Höhle, die nach Pilzen roch. Dort hatte ich mich sogar mal gefreut, dass meine Kumpels kifften, weil das den Geruch zumindest ein bisschen vertrieb.

Aber nun stand unser Gig im Red Cow bevor, und die Zuschauermenge, wenn man denn überhaupt von einer Menge sprechen konnte, verlor sich noch ein wenig vor der Bühne. Es waren vielleicht 30 Leute da, aber das war uns egal: Endlich spielten wir wieder, und wir gaben richtig Vollgas. Angus, der vor Gigs manchmal recht angespannt war, zeigte sich so glücklich, wie ich ihn selten gesehen hatte. Er vibrierte geradezu vor Energie und zeigte bei seinem breiten Lachen dauernd seine hässlichen Zähne. (Pat Pickett sagte über diese Beißer gewöhnlich: „Wenn da ein weißer drunter wäre, würden sie wie eine Reihe Snooker-Kugeln aussehen.“) Wir waren bereit und hatten wie immer unsere Emotionen im Griff, aber die Spannung, die sich darunter verbarg, war deutlich spürbar. Wenn ich einen Augenblick mit der Band nennen müsste, an dem ich wirklich das Gefühl hatte, wir alle seien Brüder, dann war es dieser. Es fühlte sich wirklich so an, als stünden wir am Anfang von etwas ganz Großem, auch wenn wir im Red Cow vor 30 Besoffenen auftraten, die im Übrigen nicht im Geringsten auf das vorbereitet waren, was nun über sie hereinbrach.

Als ersten Song spielten wir „Livewire“. Mein Bass-Intro schwebte hinaus in die Luft, gefolgt von Mals drohenden Gitarrenakkorden und dem Zing-Zing von Phils Hi-Hat-Becken, und plötzlich explodierte der Song, als Angus und Phils Schlagzeug mit voller Wucht loslegten. Es zog mir beinahe die Füße weg, so kraftvoll war das. Und es klang so total nach AC/DC. Vielleicht hört es sich albern an, aber wir hatten so lange nicht mehr live gespielt, dass wir uns richtig danach sehnten, unsere Duftmarke zu hinterlassen. Uns durchströmte ein herrliches Gefühl von Kraft und Energie – nicht diese chaotische, lärmende, unkontrollierte Energie, wie man sie bei den meisten anderen Bands findet, sondern die typische AC/DC-Energie: Laut, sauber, tief, bedrohlich und rhythmisch. Wir waren wieder da und feuerten aus allen Rohren – dabei hatte Bon noch nicht mal den Mund aufgemacht.

Ich sah Michael und Richard weiter hinten im Publikum stehen (was nicht besonders schwierig war, denn bis zur gegenüberliegenden Wand waren es von der Bühne aus höchstens fünf Meter), und Michaels breites Lächeln schien „ich hab’s doch gewusst“ zu sagen. Richard hingegen war die Kinnlade heruntergeklappt; er war total erschlagen. Wir zogen unser Programm durch und gingen richtig in die Vollen. Wahrscheinlich spürten wir alle eine gewisse Erleichterung darüber, nach der Zwangspause alle Spinnweben hinwegfegen zu können.

Unsere 30 neuen Freunde vor der Bühne flippten auch so richtig aus. Keine Ahnung, was sie von dem ganzen Lärm hielten, aber zumindest hatten wir ihre volle Aufmerksamkeit gewonnen. Zu unserer Überraschung stellten wir dann fest, dass einige Leute nach dem ersten Set gingen. Nicht nur einige, die meisten verschwanden. Das war irgendwie seltsam. Die wenigen, die blieben, holten sich noch mal etwas zu trinken oder standen Schlange vor dem öffentlichen Telefon. Wir zuckten die Achseln. „Blöde Inselaffen.“

Als der zweite Set jedoch näher rückte, füllte sich der Pub langsam wieder. Die Leute, die zuvor rausgegangen waren, kehrten zurück – mit ihren Kumpels im Schlepptau. Als wir wieder auf die Bühne kamen, war der Laden voll. Es war ein ungewöhnlicher Abend, auf seine Art ziemlich erfolgreich und zudem durchaus erinnerungswürdig. Und eins wusste ich – unserem neuen Agenten hatten wir einen Heidenschreck eingejagt. Nach dem Konzert nahm Richard mich beiseite.

„Das war der lauteste, fieseste Gig, den ich in meinem ganzen Leben gehört habe“, keuchte er aufgeregt und ein wenig erschreckt zugleich. „Es war, als ob ein Monster aufwacht.“

So, wie es aussah, waren wir auf einem guten Weg.

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Nun endlich hörten wir auch von Kossoffs ehemaliger Band, bei der nun der neue Gitarrist Geoff Whitehorn versuchte, in die großen Fußstapfen des Meisters zu treten. Back Street Crawler waren bereit, mit uns loszuziehen. Allerdings stand schon vorab fest, dass diese Tour ohne den großen Star keine besonders großen Wellen schlagen würde. Dennoch gab es in ihrem Verlauf einige Konzerte, die für uns durchaus von Bedeutung sein sollten. Der 11. und 12. Mai waren für das Marquee reserviert. Die kleine Halle fasste etwa 700 Zuschauer, aber das Interesse an Back Street Crawler, wenn man denn überhaupt davon sprechen konnte, war ziemlich gesunken, seit Kossoff den Löffel abgegeben hatte. Von daher war die Menge vor der Bühne an jenem Abend ziemlich übersichtlich, aber hey, es war trotzdem das legendäre Marquee.

Der Club an sich war schon nicht groß, aber die Garderobe war absolut winzig. Man betrat sie durch eine Tür am Ende der Bar und musste erst einmal durchs Klo, bevor man den eigentlichen Backstage-Raum erreichte. Selbst für uns fünf kleine Kerle war es eng. In diesem Raum entstanden die Schwarzweiß-Fotos für die Innenhülle der Dirty Deeds-LP, von daher bekam er im Nachhinein etwas Geschichtsträchtiges, so scheußlich dieses kleine Loch ansonsten auch war.

Wir spielten unseren üblichen, halbstündigen Vorprogramm-Set – soll heißen, wir kamen auf die Bühne, stöpselten unsere Instrumente ein, legten mit „Livewire“ los und steigerten uns dann bis zu „Baby Please Don’t Go“, bei dem Angus den Sprung ins Publikum machte – zur damaligen Zeit, da es noch keine drahtlosen Übertragungssysteme für die Gitarren gab, ein Albtraum für jeden Roadie, der mit uns arbeitete. Bei den zwei Auftritten im Marquee kamen wir ziemlich gut an. Zwar guckten ein paar Zuschauer ein bisschen kariert und wussten nicht recht, was sie von uns halten sollten, aber das waren wir gewohnt. Immerhin hatten wir einen geilen alten Sack am Mikrofon und einen Wilden in Schuluniform, der seine Gibson attackierte. Was wollten wir da erwarten? Ein britischer Journalist schrieb damals: „Das Publikum im Club, das normalerweise eher wie eine abgebrannte Flüchtlingstruppe aussieht, war heute richtiggehend gut gelaunt und entspannt – man hat sogar Leute lachen sehen. Wenn es je eine Gute-Laune-Band gab, dann diese.“ Die Shows im Marquee halfen uns, die Tür zumindest einen kleinen Spalt breit aufzustoßen – uns fehlte jetzt nur noch ein richtiger Tritt, um sie vollends aus den Angeln zu heben.

Zwischen uns und Back Street Crawler entstand kein nennenswerter Kontakt. Wir machten uns keine Mühe, das Eis zu brechen, und hatten auch den Eindruck, dass ein paar von den Jungs ziemlich den Star raushängen ließen. Keine Ahnung, was man sich auf ein paar halbleere Hallen einbilden konnte. Solche Ego-Nummern kamen bei uns natürlich nicht besonders gut an. Aber mit zweien aus der Band, die seltsamerweise beide Terry Wilson hießen, kam ich ganz gut aus; der eine war der Sänger, der andere der Bassist. Sie waren gute Jungs, die aber leider unter enormem Druck standen – die Zeit nach Kossoffs Tod war für sie sicher nicht leicht. Ich will Back Street Crawler gegenüber nicht respektlos erscheinen, denn die Band gab wirklich ihr Bestes, auch ohne ihr prominentes Mitglied weiterzumachen, aber ich glaube nicht, dass irgendwer von ihnen große Taten erwartete, die sie prompt auch nicht leisteten. Wir lernten aus dieser Episode erneut, dass die sogenannten „Headliner“ nicht immer so groß waren, wie man hätte vermuten können.

Am 28. Mai spielten wir in der Universität von Surrey. Zwar legten wir so los wie immer, aber die Zuschauer glotzten uns einfach nur an. Sie alle saßen auf dem Boden der Halle und rührten sich nicht, obwohl wir wirklich laut genug aufdrehten, dass wir die Toten hätten wecken können. Vermutlich waren sie alle total bekifft, ein paar hockten sogar im Schneidersitz da, und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich den einen oder anderen Kaftan im Publikum entdeckte – das war nie ein gutes Zeichen für AC/DC. Eigentlich wäre die ganze Geschichte ja lustig gewesen, hätten wir nicht gewusst, dass ausgerechnet an diesem Abend Ahmet Ertegun, der Boss von Atlantic und überhaupt der große Name im Rockgeschäft, vorbeischauen wollte, um sich unsere Band anzugucken.

Ahmet Ertegun war eine Legende. Er war Atlantic Records. Er hatte das Label kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, sich mit Stars wie Ray Charles und Aretha Franklin einen Namen gemacht und seine Firma langsam vom Jazz und R&B zum Rock geführt. Bei ihm standen nicht nur Led Zeppelin unter Vertrag, sondern auch Crosby, Stills, Nash & Young, Emerson, Lake & Palmer, die Rolling Stones, Aretha Franklin, Otis Reading, und, hüstel, seit neuestem eben auch AC/DC.

Das Letzte, was wir brauchten, war also ein Totengräber-Gig mit lethargischem Publikum vor den Augen Ahmet Erteguns. Aber genau das war zu befürchten, weil diese Ärsche einfach auf ihrem Hintern sitzen blieben und mit keinem Muskel zuckten. Sie waren wie Statuen. Versteinerte Statuen. Inzwischen lag sogar schon jemand auf dem Boden. „Das war’s“, dachte ich, „wir sind erledigt.“ Bon und Angus machten wie immer jede Menge Druck – ich kann mich an keinen Gig erinnern, wo die beiden nicht 100 oder 150 Prozent gegeben hätten – aber selbst, als wir mit „Baby Please Don’t Go“ loslegten, sah es im Zuschauerraum aus wie in einer öffentlichen Bibliothek, wenn nicht sogar wie im Leichenschauhaus.

Das hielt Angus nicht davon ab, wie gewohnt auszurasten, von der Bühne zu springen und ein Bad in der Menge zu nehmen. Es war vermutlich das einzige Mal, dass er nicht sofort zwischen begeisterten Fans unterging. Die Kaftanträger zuckten jedoch mit keiner Wimper: Es gab nicht die kleinste Reaktion. Doch dann ließ sich Angus zu Boden fallen, wirbelte herum, feuerte ein paar wilde Soli ab und gebärdete sich, als ob er eingesperrt gehörte. Zack! Plötzlich sprangen die Hippies um ihn herum auf, und das setzte eine Kettenreaktion in Gang – ruckzuck war der ganze Laden auf den Beinen, alle versuchten etwas zu sehen, drängten zur Bühne und zu Angus, der nun doch im Gewühl verschwand. Die Leute feuerten unseren kleinen Gitarristen an, klatschten und schrien. Es war, als seien sie mit einem Mal aus ihrer Versteinerung erwacht. Die Hippies flippten aus. Wir gingen unter Riesenapplaus von der Bühne.

Recht zufrieden marschierten wir anschließend zur Bar, wo eine kleine Begrüßung von ein paar Atlantic-Mitarbeitern angesagt war. Bon und ich schlürften unser Bier, als Ahmet zu uns trat und sich vorstellte. Als wir mit den Formalitäten durch waren, entschuldigte er sich dafür, dass er leider zu spät gekommen sei und nur den Schluss des Konzerts mitbekommen hatte.

„Mann, ihr habt die Leute ja richtig weggeblasen“, verkündete der elegante und gebildete Mr. Ertegun. „Die sind ja völlig durchgedreht.“

Bon und ich grinsten uns an. Da hatte Angus uns wieder mal den Arsch gerettet.