Das Leben mit AC/DC wurde von einem festen Terminplan diktiert, den wir einmal in der Woche ausgehändigt bekamen. Er enthielt in der Regel wenig Informationen, nur ein paar karge Fakten. Die Gigs der jeweiligen Woche waren aufgelistet, die Anfangszeiten, die Auftrittsorte und ein paar andere Einzelheiten – ob wir beispielsweise, wenn der Club weiter außerhalb lag, nach der Show nach Hause fuhren oder nicht. Das reichte meist für einen reibungslosen Ablauf – es ging nur dann in die Hosen, wenn Bon das Kleingedruckte überlas.
Wir waren in den Schulferien für einen Mittags-Gig im Hard Rock Café gebucht und sollten um 13 Uhr auf die Bühne. Eigentlich kein Problem, jedenfalls, wenn man richtig in den Terminplan geguckt hatte. Um ein Uhr waren wir alle versammelt und bereit zum Auftritt, nur Bon fehlte. Um halb zwei war noch immer keine Spur von ihm zu sehen. Und so absolvierten wir eine der wohl ungewöhnlichsten AC/DC-Shows – als Quartett mit Mal und Angus als Leadsänger. Die Jungs hängten sich mächtig rein, und das ganze Arrangement hatte durchaus etwas für sich, aber wir zogen unser Programm im Rekordtempo durch und spielten kaum länger als eine halbe Stunde, wenn es hoch kam. Glücklicherweise drängten sich zu dieser Zeit vor allem wild gewordene AC/DC-Fans im schulpflichtigen Alter im Hard Rock Café, und die Band kam auch ohne Bon gut an. Die Kids waren wahrscheinlich damit zufrieden, ordentlich schreien und brüllen zu können, und nebenbei versuchten sie, uns von der winzigen Bühne zu zerren. Wir hatten alle sehr viel Spaß dabei.
Wenn uns das bei anderer Gelegenheit passiert wäre, hätten wir vermutlich keine Gage bekommen, aber nun war es ja glücklicherweise der Club unseres Managers. Den unerschrockenen Mr. Scott spürten wir später auch wieder auf. Er war ein wenig ausgefranst, brachte sich aber gerade wieder in Form für den Gig im Hard Rock Café, von dem er angenommen hatte, dass er um ein Uhr nachts und nicht um ein Uhr mittags stattfinden sollte. Ein kleiner Unterschied von zwölf Stunden.
Der AC/DC-Terminplan beherrschte mein Leben; ich ging dorthin, wohin mich die Band beorderte. Um nicht zu einem Gig zu erscheinen, hätte man schon im Krankenhaus liegen müssen und auf ärztliche Anordnung das Bett nicht verlassen dürfen, und selbst dann hätte es vermutlich ein paar ungehaltene Kommentare gegeben – jedenfalls war das mein Eindruck. Browning hätte möglicherweise noch ein Attest verlangt und sich dann irgendeine Promo-Idee überlegt, um die Geschichte noch irgendwie auszuschlachten. Bei AC/DC zu spielen, das bedeutete für mich durchaus die Aufgabe persönlicher Freiheit – nun konnte ich nicht mehr, wann immer ich wollte, mein Team, den Carlton FC bei den Spielen gegen Collingwood unterstützen. Aber dafür gab es diese große Gruppe von Fans und Freunden, die uns überallhin folgte. Die Band bildete den Mittelpunkt einer Szene, in der sich viele neue und alte Kumpels tummelten; es war wie eine mobile Dauerparty. Wenn meine Freunde bei einem Gig auftauchten, wollten sie feiern. Also starteten wir durch und machten uns auf die Suche nach willigen Mädels und ein paar anregenden Substanzen, um noch ein paar Gänge höher zu schalten.
Es dauerte nicht lange, und AC/DC dominierten mein ganzes Dasein. Die Band wurde mein Leben. Wir waren zusammen, weil wir in einer Band spielten, aber AC/DC war mehr als das, es war wie ein Wesen, das meine ganze Aufmerksamkeit und meine ganze Zeit in Anspruch nahm. Für mich gab es keine andere Möglichkeit, als ihm in blindem Vertrauen zu folgen. AC/DC wurden zu meiner Karriere, meinem Lebensunterhalt, meinem Freundeskreis und, wie ich hoffte, meiner Zukunft. Dem gängigen Klischee nach hätte man wohl gesagt: „Die Band war meine Familie.“ Aber so war es nicht, es war etwas anders. Wenn man zu AC/DC gehörte, dann war das kein Spiel, sondern das Leben. Ich war nicht nur ein Teil der Band, sondern ein Teil eines Lebensstils. Das war der Grund, aus dem wir zusammen waren. Wir waren nur dann AC/DC, wenn wir uns alle im gleichen Raum befanden.
Ich wohnte noch immer im Hilton; wenn wir in Melbourne waren, blieb ich nicht bei der Band. Nach den Konzerten kehrte ich, wenn sonst nichts weiter anlag, in meine alte Bude zurück, aber in der Regel ließ ich mich am frühen Nachmittag des nächsten Tages im Freeway Gardens Hotel blicken, wohin die Band nun ihr Hauptquartier verlegt hatte, nachdem sie dem Haus in der Lansdowne Road entwachsen war. So war das eben; ich fühlte mich verpflichtet, dort aufzutauchen. Zwar hatte ich meine Wohnung im Hilton, und Phil hätte sicherlich gesagt, dass er offiziell noch bei seiner Mutter wohnte, so wie Mal und Angus bei ihrer Familie in Burwood in Neusüdwales. Aber im Grunde waren wir alle heimatlos; ich besaß nichts außer meinem Instrument, dem dazugehörigen Equipment und meinen Kleidern. Es war ein echtes Zigeunerleben.
Meine Ex-Freundin Glynis gehörte inzwischen ebenfalls zum Kreis, der sich rund um die Band gebildet hatte. Wir waren zwar kein Paar mehr, aber noch immer gut befreundet. Manchmal war es etwas nervig, wenn einer von uns gerade besonders viel Aufmerksamkeit vom anderen Geschlecht bekam, aber das Erwachsenwerden erlebten wir zum großen Teil gemeinsam. Dabei machten wir auch schwere Zeiten miteinander durch. Einmal setzten mich die anderen spätnachts nach einem Konzert vor Glynis’ Haus in Dandenong ab und baten mich, ihr im Namen der Band unser Beileid auszusprechen: Ihr Bruder Alun war zu Hause in England beim Schwimmen verunglückt. Das war für mich eine schwere Prüfung.
Auch wenn wir sicher nicht aussahen wie die Bay City Rollers oder Sherbet, deren australische Entsprechung, hatten wir doch ziemlich viel Erfolg beim Teenie-Publikum. Die Teenybopper-Ära war in vollem Gange, und zu einer Zeit, in der die Rollers, David Cassidy und Donnie Osmond die Radioprogramme und die Charts beherrschten, wurden wir Ende August 1975 vermutlich aufgrund unserer erfolgreichen Auftritte in Countdown während der Schulferien für einen Auftritt im größten Kaufhaus von Melbourne engagiert, dem Myers Emporium. Wir sollten um die Mittagszeit im „Miss Melbourne Store“ spielen, der im ersten Stock des Gebäudes an der Bourke Street lag. Mich beeindruckte besonders die Größenordnung des gesamten Deals: Für vier Mittags-Auftritte, von Montag bis Donnerstag, sollten wir 2.000 Dollar erhalten. Das war ein ordentlicher Batzen Geld, und zusätzlich hatten wir an den Abenden Zeit für weitere lukrative Shows. Und so machten wir uns am Montagmorgen auf zum ersten unserer vier Konzerte vor den kleinen Mädchen.
Früher, bevor ich zur Band stieß, war ich einfach zur Haltestelle der Straßenbahn 72 auf der Malvern Road gegangen und dann noch zehn Minuten ins Zentrum gefahren, wenn ich in die Innenstadt wollte. Nun, als AC/DC-Mitglied, kam das nicht mehr infrage. Michael Browning hatte uns ein paar Regeln eingehämmert, an die wir uns jederzeit zu halten hatten, und eine davon betraf öffentliche Verkehrsmittel. Es war nämlich so: Michael hatte vor einigen Jahren bei einer Straßenbahnfahrt Bobbie & Laurie, ein damals sehr erfolgreiches Pop-Duo, im gleichen Wagen sitzen sehen, und das hatte ihn sehr enttäuscht: Zu echten Popstars gehörten für ihn Limousinen, keine Straßenbahnen. Von daher war es all seinen Bands untersagt, Bus oder Bahn zu fahren. Eine weitere Regel betraf Armbanduhren auf der Bühne. „Wozu braucht ihr Uhren?“, hatte er gesagt und erläutert: Für uns als Rocker spielt Zeit bei einem Konzert keine Rolle. In einem solchen Moment gab es keine anderen Termine, wegen denen wir auf eine Uhr gucken mussten. Nun fahre ich inzwischen durchaus wieder Straßenbahn, aber die Uhrenregel hat sich mir fest eingebrannt, und heute noch lege ich jedes Mal brav meine Uhr ab, bevor ich auf die Bühne gehe. Und jedes Mal, wenn ich einen Musiker sehe, der das nicht getan hat, frage ich mich: „Der muss wohl noch woanders hin, oder was?“ Bei einem Konzert muss man alles geben und die Zuschauer unterhalten. Zwischendurch auf die Uhr zu gucken, um festzustellen, wie lange man noch spielen muss, ist dabei ein absolutes Unding.
Jedenfalls standen uns nun vier Auftritte in einer Kaufhausabteilung für Damenmode bevor. Wir hatten uns gut vorbereitet, zusätzliche Lautsprecher und Scheinwerfer besorgt und eine zweite Garnitur Verstärker und Schlagzeug angeschafft. Es wäre logistisch gesehen unmöglich gewesen, unser normales Equipment zu verwenden: Unsere Crew hätte sich dabei totgearbeitet, unseren Kram morgens im Kaufhaus aufzubauen, alles für den Auftritt am Abend wieder auseinanderzunehmen und dann auf eine Bühne in einem Club zu schaffen – wenn uns die Jungs nicht schon allein für einen solchen Vorschlag eins über den Schädel gezogen hätten. Und so standen wir an jenem Montag um die Mittagszeit mit unserer Zweitausrüstung auf der kleinen Bühne, die man für uns zusammengezimmert hatte, und guckten zu, wie sich eine immer größer werdende Menge versammelte. Allmählich wurde es ziemlich eng im Miss Melbourne Shop, und Michael rieb sich die Hände und sagte: „Wenn wir hier mehr als einen Song spielen können, dann wäre das ein verdammtes Wunder!“ Inzwischen drängten sich wohl ein paar tausend Kids auf der Etage.
Unsere Auftritte in Countdown hatten uns ein völlig neues Publikum beschert, und wir befanden uns unerwartet in der seltsamen Position, dass uns sowohl die Schlägertypen als auch die kreischenden Teenies mochten. Keine Ahnung, woran das lag – vielleicht waren es Angus’ jungfräuliche Schuljungenknie? Ich habe uns jedenfalls nie als Pop-Gruppebe trachtet – jetzt mal ernsthaft, das war eigentlich auch überhaupt keine Frage, und das kapierte man spätestens, nachdem man AC/DC einmal live gesehen hatte. Ob einem das dann gefiel, war etwas anderes, aber das machte AC/DC aus – man liebte oder man hasste uns. Malcolm war der Meinung, dass es besser sei, von der Bühne gebuht zu werden, als den Leuten egal zu sein. „So bleibt man wenigstens in Erinnerung“, sagte er, und damit hatte er Recht. Von den Pop-Gruppen unterschieden wir uns zudem durch unsere Auftritte. Sherbet wären aus vielen Läden, in denen wir spielten, nicht lebend rausgekommen.
Wir hatten nicht viel Zeit, über unser Publikum oder über Michaels Kommentar nachzudenken, denn nun war Showtime und wir gingen von Mals Seite aus auf die kleine Bühne, ohne Ankündigung, ohne Tamtam, einfach so. Aber Bon war kaum ans Mikrofon getreten, da versuchten schon die ersten Mädchen, ihn von der Bühne zu zerren. Angus und ich stellten uns hinter ihn und stöpselten unsere Instrumente ein. Der Lärm war unbeschreiblich, und er kam vom Publikum, nicht von uns. Man hätte glauben können, es seien die Beatles, die hier auftraten, und nicht eine Rotte ungekämmter, rotziger, pickliger Rocker. Ein solches Geschrei hatte ich nie zuvor gehört. Es war ein unaufhörliches, wildes Brüllen, das von überallher zu kommen schien.
Leider kann ich mich überhaupt nicht mehr daran erinnern, mit welchem Song wir loslegten. Jedenfalls hatten wir gerade mal die ersten Takte gespielt, als uns Wellen kreischender Mädchen entgegenbrandeten. Und wenn ich Wellen sage, dann meine ich Wellen. Ich stand ein paar Meter vom Bühnenrand entfernt, und darüber war ich verdammt froh, als ich sah, dass Bon von einer Stampede Teenager umgerissen wurde. Unaufhaltsam drängten die nächsten von hinten nach, und zwar ziemlich schnell. Es war wie General Custers Schlacht am Little Big Horn – ein unendlicher Strom von Indianern wogte heran, nur eben in Myers’ Miss-Melbourne-Abteilung. Phils Schlagzeug wurde zertrümmert, auf meiner Seite kippten die Verstärker um, und ich kletterte hastig über das Schlachtfeld hinweg und rannte durch die Umkleidekabinen ins Lager, wo ich mich sicher glaubte. Das Kreischen wurde lauter und kam näher. Ich hatte keine Ahnung, wo die anderen waren. Es herrschte völliges Chaos, wie in einer Szene des Beatles-Films A Hard Day’s Night.
Bon wurde von kreischenden Teenies durchs Haus gejagt, gefolgt von seinem loyalen Kumpel Pat Pickett. Es gelang ihnen schließlich, auf der anderen Seite des Gebäudes auf die Elizabeth Street zu flüchten und ausgerechnet mit der Straßenbahn nach Hause ins Freeway Gardens Hotel zu fahren (für diese Verletzung einer Browning-Regel konnten sie immerhin mildernde Umstände geltend machen). Ich hockte noch 20 Minuten im Lager, während die Soundkulisse aus dem Verkaufsbereich ungefähr so klang wie die Landung der Alliierten in der Normandie.
Wir hatten einen richtigen Teenager-Aufstand losgetreten, mit Kreischen und nassen Höschen, dem ganzen Programm. Und die Lage eskalierte richtig, als einige unserer Fans erkannten, dass die Gelegenheit günstig war, um sich ein paar kostenlose Proben aus der Miss-Melbourne-Kollektion zuzulegen. Die Abteilung wurde komplett leer geräumt.
Als sich die Lage allmählich wieder beruhigte, schlich ich nach draußen, noch immer in meiner Bühnenkleidung und mit dem Bass in der Hand. Auf der Bourke Street sprang ich in ein Taxi und ließ mich zum Hilton fahren. Dort musste ich mir erst mal einen Fünfer von Onkel Morry leihen, der im Erdgeschoss des Hiltons einen Lebensmittelladen betrieb, um das Taxi zu bezahlen. Morry war ein Dachau-Überlebender, und für jemanden, der die Schrecken eines Konzentrationslagers mit angesehen hatte, besaß er einen unglaublichen Sinn für Humor. Als ich bei ihm hineinstürmte, den Bass noch immer um den Hals und ziemlich ausgefranst, warf er mir einen bezeichnenden Blick zu, hob die Schultern und breitete die Arme aus, die Handflächen nach oben gerichtet. „Hast du keinen Koffer für dieses Ding da, du Angeber?“