Im Mai 1977 war ich also wieder in Melbourne, kurz vor Beginn des Winters, der im Bundesstaat Victoria verdammt hart und kalt ausfallen konnte, wie ich noch gut aus der Zeit wusste, da mir als Vierjährigem beinahe die Beine abgefroren waren. So hatte ich das alles nicht geplant, im Gegenteil. Ich hatte mich darauf vorbereitet, mit AC/DC die USA zu erobern. Aber stattdessen war ich nun nicht nur wieder in Melbourne, ich hing wieder in meiner alten Bude im Hilton herum und hatte einen mörderischen Kater. Mit schmerzendem Kopf starrte ich auf die Ecke, in der früher mein Bassverstärker gelauert und mich mit seinem bloßen Anblick dazu inspiriert hatte, meine Karriere voranzutreiben. Scheiße, wo war mein Bassverstärker? Irgendwo in England. Na toll. Da hatte ich selbst es nicht geschafft, mich in England durchzusetzen, aber mein Bassverstärker war dort geblieben. Mein Kater verstärkte sich noch.
Nach meiner Rückkehr hatte ich erst einmal wieder viel Zeit mit meiner Familie verbracht, aber auch mit Graham Kennedy, meinem alten Spießgesellen, und das baute mich ein wenig auf. Eins hat mich bei Graham immer verwundert: Er ist mein bester Kumpel, wir sind wie Brüder und hatten nie Streit – aber er verstand sich stets großartig mit Angus. Wenn ich gelegentlich das Bedürfnis hatte, ein bisschen über meine alten Kollegen herzuziehen, dann fiel er mir jedes Mal ins Wort: „Was hast du eigentlich für ein Problem? Angus ist total in Ordnung.“ Daraus soll man schlau werden.
Aber ich stand nun vor der großen Frage: Was sollte ich als nächstes tun?
Inzwischen war ich zu dem Schluss gelangt, dass es keine gute Idee war, sofort nach London zurückzukehren. Es war vielleicht besser, eine Weile in Melbourne zu bleiben, mal wieder zum Football zu gehen und abzuwarten, was sich ergeben würde. Bons Worte hallten mir noch in den Ohren, dass Australien ein Rückschritt sei, aber für mich war die Zeit gekommen, einmal inne zu halten und meinen Kopf wieder klar zu bekommen.
Mir machte es ganz schön zu schaffen, wie sehr mein Leben aus der Bahn geraten war. Bei AC/DC hatte ich im Kokon der Band gesteckt; es hatte sich jemand um meine Ausgaben gekümmert, mir ein wöchentliches Gehalt gezahlt, und im Grunde war mein ganzes Leben für mich arrangiert worden. Nun fühlte ich mich völlig isoliert und ohne Plan. Außerdem kam auch kein Geld mehr rein. Das, was ich während meiner Zeit mit der Band gespart hatte, würde nicht ewig reichen.
Ich war noch nicht einmal eine Woche wieder da, als ich einen Notruf von Brian Todd bekam, einem Bekannten, der eine Band namens Finch managte. Finch hatten ein paar Mal als Vorgruppe für AC/DC gespielt, und ihr Gitarrist, Bob Spencer, hatte mir damals die lange Liste mit Fragen für Paul Kossoff mitgegeben. Bob spielte inzwischen bei einer anderen Band, und der Bassist war offenbar auch gerade ausgestiegen.
„Kannst du nach Tassie kommen – möglichst jetzt gleich? Du tätest uns einen riesigen Gefallen.“
Tasmanien? Ach du Scheiße, da war es jetzt ja noch kälter als in Melbourne. Aber ich überlegte, dass die Idee, kurz bei Finch einzuspringen, vielleicht gar nicht so schlecht war – der Frontmann der Band, Owen Orford, war ein phantastischer Sänger, und es würde ein bisschen Geld bringen. Also ab nach Tasmanien.
Es dauerte nicht lange, da war ich ein festes Mitglied der Band, und mein Freund Graham Kennedy stieg als Gitarrist ein. Darüber hinaus gehörten noch der Schlagzeuger Barry Cram und der Gitarrist Dave Hinds zur Besetzung. Wir bekamen einen Vertrag bei CBS Records und benannten uns für die Plattenveröffentlichungen in den USA von Finch in Contraband um.
Contraband waren die meiste Zeit auf Tournee, ähnlich wie AC/DC – meist auf eigene Rechnung, gelegentlich aber auch zusammen mit unseren Labelkollegen Dragon oder als Vorgruppe von Status Quo. Ich lernte eine junge Frau namens Kobe Steele kennen, die für eine Reihe von Bands, darunter auch Contraband, Promotion machte. Davon abgesehen hatte sie ihre eigene Fernsehshow, die Musiksendung Right On, die auf ein junges Publikum abzielte und unter der Woche direkt nach Schulschluss um halb fünf Uhr nachmittags lief. Da ihr Lebensmittelpunkt Sydney war, zog ich bald ebenfalls nach Norden, um in ihrer Nähe zu sein.
Es dauerte nicht lange, bis mich ein gewisses Déjà-vu-Gefühl beschlich – Contraband spielte in denselben Pubs in Melbourne, Sydney, Adelaide und Brisbane, die ich schon mit AC/DC abgeklappert hatte, und wir stießen auf dieselbe feindliche Umgebung. Ein erinnerungswürdiger Auftritt – leider aus den falschen Gründen – fand im Coogee Bay Hotel in Sydney statt, in der am Strand gelegenen Selina Bar, ganz in der Nähe vom Corban Motel an der Coogee Road, das zu Bons liebsten Wasserlöchern zählte. Der Club war berüchtigt für sein extrem raubeiniges Publikum, und von daher war es nicht ungewöhnlich, dass die Rausschmeißer mit den Zuschauern nicht gerade sanft umsprangen. Und wenn die Gäste schon nicht eben zimperlich waren – die Türsteher waren es noch weniger. Bobby Dunlop, ein ehemaliger australischer Box-Champion im Leichtgewicht, half gelegentlich dort aus, und wer in diesem Laden Streit anfing, war entweder ziemlich mutig oder aber ziemlich blöd.
Wir spielten dort an einem Samstagabend und waren schon halb durch unseren Set, als ein Typ aus dem Publikum zu uns auf die Bühne kletterte, weil er offenbar irgendein Problem mit unserem Schlagzeuger Barry Cram hatte. Er packte Barry an den Schultern, der gerade, weil wir mitten in einem Song waren, wild auf seine Drums einschlug. Und weil ich Barry schließlich kannte, vermutete ich, dass der Kerl vermutlich das nächste sein würde, was Barrys Präzisionsschläge zu spüren bekam. Genau so war es dann auch: Barry stand auf und machte den Kerl platt. Damit hätte die Geschichte erledigt sein können. War sie aber leider nicht. Denn wie sich ziemlich schnell herausstellte, war Barrys Gegner ein Rausschmeißer, den man zu uns geschickt hatte, weil wir die Lautstärke runterdrehen sollten. Bei der Vermittlung dieses Anliegens hatte er sich allerdings ziemlich ungeschickt angestellt. Nachdem er Barrys Faust zu spüren bekommen hatte, rückten nun aber alle anderen Türsteher nach.
Und damit ging es rund. Die Schlacht begann zwischen der Band und den Rausschmeißern, und sie tobte in voller Schönheit auf der Bühne des Selinas. Wir hielten uns tapfer, Pat Pickett und Terry „The Buke“ Buchanan von der Crew kämpften auf unserer Seite, und es sah ganz so aus, als würden die Guten gewinnen. (Das waren selbstredend wir.) Dann aber mischte sich unser ehemaliger Manager Brian Todd ein. Eigentlich hatte ich ihn immer eher für einen Vermittler und nicht für einen Kämpfer gehalten, aber er hatte sich kaum in die Schusslinie begeben, da bekam er einen hübschen Haken direkt auf die Nase. Das wiederum war nicht weiter schwierig, weil dieses Organ gewissermaßen das hervorstechendste Merkmal seines Gesichts war. Seine Frau Sue, die das alles hautnah mitbekam, flippte völlig aus; Brian sah insgesamt ebenso übel aus wie seine Nase.
Sue tat das für sie nächstliegende. Sie rannte zur Tür des Clubs, um Hilfe zu holen – und zwar in Gestalt von sechs weiteren grobschlächtigen Rausschmeißern. „Schnell“, schrie sie, „da hinten schlagen ein paar Typen die Band zusammen!“ Als ich die Schlägertypen auf uns zukommen sah, allen voran Bobby Dunlop, kam ich mir vor wie General Custer am Little Big Horn. Wir waren erledigt.
Graham und ich standen vorn an der Bühne, als die Verstärkung anrückte. Die Zuschauer, die bisher zugesehen und uns angefeuert hatten, waren inzwischen größtenteils auf unserer Seite, aber der Kampf war schon wieder ein wenig abgeflaut, und es wurde nur noch ein bisschen geschubst und gedroht. Inzwischen waren allerdings die Zuschauer in Stimmung, den Rausschmeißern eins reinzuhauen. Und das war es dann auch, was uns davor bewahrte, so richtig zusammengeschlagen zu werden – die Zuschauer, und zwar richtig viele, glücklicherweise.
Graham und ich standen immer noch mit Pat Pickett auf der Bühne. Die Lage beruhigte sich gerade, als ich Graham etwas rufen hörte und deshalb von unseren Gegnern weg und zur Seite sah. Und das war das letzte, woran ich mich eine ganze Weile erinnerte. Pat sagte später, ich hätte den heftigsten Tritt in die Eier bekommen, den er je gesehen hätte. Er berichtete mit Entzücken, dass ich richtig in die Luft federte und schon bewusstlos war, bevor ich auf den Boden krachte. Netterweise schilderte er auch meiner Mutter diese Geschichte in allen Einzelheiten. Pat vertrat stets die Ansicht, dass ein ordentlicher Tritt in die Eier jeden Kampf beendet, da dann alle anderen Kerle einfach nur froh und glücklich sind, dass es nicht sie selbst erwischt hat. Für mich beendete dieser Tritt diesen Kampf auf alle Fälle, das stand mal fest.
Der Gig im Selinas blieb mir in bleibender Erinnerung. Meine Eier schwollen auf Tennisballgröße an und wechselten nach und nach die Farbe: Sonntagmorgen waren sie zornesblau/tieflila, dann verblassten sie in den nächsten Tagen zu hübschen Pastelltönen und nahmen schließlich ein kränkliches Gelb an. Wochenlang litt ich heftig und ging wie jemand, der zu lange auf einem Pferd gehockt hat. Wie dreckig es mir ging, merkte ich auch daran, dass ich erst Mitte der folgenden Woche wieder an Frauen denken konnte.
Contraband gingen mit Peter Dawkins ins Studio, dem Hausproduzenten von CBS, der damals international mit Air Supply große Erfolge feierte und bei uns zu Hause durch seine Arbeit mit Dragon bekannt geworden war, einer Band, die in Europa und den USA als Hunter firmierte und neben zahlreichen Chart-Hits in Australien auch jede Menge Drogenprobleme hatte. Bei der Arbeit im Studio hätte ich an das denken sollen, was ich bei George und Harry gelernt hatte: Wir waren eine Gitarren-Rockband mit einem genialen Frontmann, laute, kräftige Gesellen, die aber auch eine anständige Ballade bringen konnten. Aber leider versuchten wir, zu radiotauglich zu klingen und nach dem großen Hit zu streben, und verloren darüber unsere Richtung. Wir hatten eine große Fan-Gemeinde, die wir vor allem durch zahllose Auftritte aufgebaut hatten, aber auf Platte klangen wir wie eine ganz andere Band.
Mit „Where Were You“, einem Titel von unserem Album Nothing To Hide, konnten wir tatsächlich einen ganz anständigen Hit verbuchen, der aber völlig anders war als alles, was wir gewöhnlich live boten. Es war ein bisschen so wie bei AC/DC, als ich damals einstieg und sie mit „Love Song“ auch einen Titel am Start hatten, der mit dem eigentlichen Sound der Band überhaupt nichts zu tun hatte. Nur hatten Contraband leider keine B-Seite wie „Baby Please Don’t Go“, die uns den Arsch hätte retten können. Ich weiß nicht mal mehr, was auf der B-Seite von „Where Were You“ drauf war, von daher war der Song wahrscheinlich kein besonders toller Kracher. Mit unserem Hit hatten wir es geschafft, unser Publikum zu teilen: Es gab die treuen Live-Fans, die uns als laute Pub-Rockband schätzten, aber das süßliche „Where Were You“ zum Kotzen fanden, und dann gab es die neuen „Fans“, die zu den Konzerten kamen, weil sie noch viel mehr freundliche, harmlose Songs wie unseren Hit erwarteten. Stattdessen stießen sie dabei auf wilde Horden von Besoffenen ohne Manieren. Es kam so weit, dass wir „Where Were You“ selbst nur noch ätzend fanden und aus dem Programm strichen, sehr zum Ärger unserer Plattenfirma und von Peter Dawkins.
Anfang 1978 war für Contraband ein längerer Aufenthalt in den USA geplant, um eine Platte aufzunehmen, live zu spielen und hoffentlich einen Haufen Geld zu verdienen. Kobe und ich setzten uns zusammen und redeten, und wir kamen zu dem Schluss: Wenn wir das Gefühl haben sollten, dass das, was es zwischen uns gab, bei meiner Rückkehr immer noch existierte, dann wollten wir heiraten. Alles schien perfekt. Doch dann wurde der US-Trip kurzfristig abgesagt. Kobe und ich hielten jedoch an unserem Plan fest und heirateten am 3. Juli 1979 auf der SS Vagabond im Hafen von Sydney. Graham Kennedy war natürlich mein Trauzeuge, und wie immer hatte er nur mein Bestes im Blick. Auf dem Weg zum Kai und, wie ich hoffte, zum großen Eheglück, sah er mich von der Seite an und sagte: „Hey, Alter, wir können immer noch ein Taxi zum Flughafen nehmen und uns verpissen.“
„Danke, Kumpel, aber ich bin glücklich“, antwortete ich.
Es wurde ein wilder Abend. John „Swanee“ Swan betreute die Bar, und Pat Pickett stand auf dem Oberdeck, zitierte Keats und warf die Möbel in den Hafen von Sydney.
Ende 1978 verbrachten Contraband fast zwei Monate auf Tournee mit Dragon/Hunter, die dabei dank der vielen Hits aus der Feder ihres Keyboarders Paul Hewson die Headliner waren. Die Tour führte die Ostküste entlang von Melbourne nach Far North Queensland, eine Strecke von 3.000 Kilometern. A long way to the top, sozusagen, aber wir hofften natürlich auch, dass er uns langfristig an die Spitze führen würde.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stand bei Dragon der charismatische Sänger Marc Hunter, ein großartiger Frontmann (und, ebenso wie sein Bruder Todd, der in der Band Bass spielte, ein wahrer Hüne). Marc entsprach der allgemeinen Klischeevorstellung von einem Rockstar perfekt: hochgewachsen, schlank, mit großer Bühnenpräsenz, aber mit scharfer Zunge und stets ein wenig von Gefahr umwittert. Dragon und Contraband hatten einiges gemeinsam – beide Bands wurden vor allem aufgrund ihrer Studioalben als Pop-Rock-Bands betrachtet. Das sahen wir selbst nicht so, aber Dragon hatten mit diesem Image ein wesentlich größeres Problem. Contraband nahmen diese Entwicklung hin und spielten mit, Dragon hingegen lehnten sich auf. An manchen Abenden waren sie eine unglaublich gute Band mit großartigen Songs, echten Hits, die sie mit viel mehr Energie, Flair und Drive brachten als das eher zahme Studiozeug. Aber wenn sie nicht gut drauf waren … heilige Scheiße, dann vermittelten sie den Eindruck, als ob ihnen alles am Arsch vorbeiging. Sie hatten zwei Seiten, eine phantastische, und eine beschissene.
Wir teilten uns einen Tourbus, und da kam man sich zwangsläufig ziemlich nahe. Uns fiel auf, dass ein paar von den Dragon-Jungs ziemlich viel mit Erkältungen zu tun hatten. Oder wie sonst hätte man die vielen leeren Fläschchen Hustensaft erklären können, die überall herumlagen? Sie waren ein ständiges Ärgernis für unseren freundlichen Buskapitän Max, der jeden Morgen schlecht gelaunt und mit besorgtem Gesicht alles wegräumte. Wenn wir in einer großen Stadt unterwegs waren, gab es keine Erkältungen, keinen Hustensaft, keine Stimmungsumschwünge – alles war gut bei Dragon. Aber sobald wir aufs Land kamen, räumte Max schon bald wieder die leeren Fläschchen weg, die überall durch den Bus kullerten.
Es war das erste Mal, dass ich mit den Auswirkungen von Heroin konfrontiert wurde. Für mich blieb es ein Mysterium. Für Dragon lief es gerade richtig gut, und sie waren allesamt intelligente Leute, aber vor allem Paul schien sich überhaupt nicht um die Zukunft zu kümmern, sondern nur darum, sich völlig zuzudröhnen. Manchmal kam ich wunderbar mit ihm aus, und wir spielten bis spät in die Nacht Schach. Er spielte großartig. Gelegentlich konnte ich ihn mal etwas in Bedrängnis bringen, aber ich bin mir sicher, dass er unsere Spiele meist auf die leichte Schulter nahm. Wir hatten ein paar tolle Gespräche und lachten viel, aber wenn er seine andere Seite zeigte, war er ein richtiges Ekel, ein arrogantes Arschloch. Ja ja, eine Krähe sollte der anderen kein Auge aushacken … aber Paul gab der Bezeichnung „arrogantes Arschloch“ eine völlig neue Dimension, an die ich nicht annähernd heranreichte.
An der Goldküste, in Surfers Paradise, hatten wir einen freien Tag. Unsere Unterkunft befand sich in einem Hochhaus, und meine Wohnung lag im achten Stock. Als ich den Fahrstuhl anhielt und zustieg, war Paul bereits drin. Er war völlig zugedröhnt, hatte aber noch eine volle Flasche Johnny Walker im Arm. Er machte viel Aufhebens davon, den Verschluss zu knacken und sie sich an den Hals zu setzen, und er trank ohne mit der Wimper die Hälfte der Pulle, noch bevor wir unten in der Lobby ankamen. Wir bestellten uns ein Taxi, warteten, und noch bevor das Taxi kam, hatte Paul den Rest der Flasche geleert. Eine ganze Flasche Johnny Walker in weniger als 20 Minuten. Da zeigte er auch wieder die Seite, die mich so an ihm befremdete – einerseits war er dieser Typ, mit dem das Schachspielen so viel Spaß machte, und andererseits ein Arschloch, das im Fahrstuhl nicht mal Hallo sagte, mal ganz davon zu schweigen, mir einen Schluck Johnny Walker anzubieten.
Zwischen Paul und mir kam es schließlich zum großen Knall, als Dragon in Melbourne eine Party anlässlich der Veröffentlichung ihrer neuen Single „April Sun In Cuba“ feierten. Wir hatten alle ganz schön getankt, und Paul gebärdete sich richtig als Rockstar, aber das ist ja im Grunde auch der Sinn und Zweck einer solchen Veranstaltung zu Ehren einer Band. Er hatte schon den ganzen Abend lang spitze Bemerkungen in meine Richtung abgeschossen, aber als wir später in der Wohnung eines Freundes weiterfeierten, reichte es mir allmählich. Paul behauptete, er hätte noch nie einen Bassisten getroffen, den er gemocht hätte, was ein bisschen blöd war, weil sein eigener Bassmann, der Hüne Todd, direkt neben mir stand. Anschließend belehrte Paul mich, die Doors seien seine Lieblingsband, gerade weil sie „keinen schleimigen Scheiß-Bassisten“ hatten. Damit war meine Geduld am Ende – ich verpasste ihm eine Kopfnuss, er flog über einen Sofatisch, ich sprang hinterher und prügelte ihn windelweich. Ich flippte richtig aus – ich war betrunken, vor allem aber von Paul enttäuscht und genervt. Wieso war er so ein verdammtes Arschloch?
Dann spürte ich, wie mich etwas nach hinten riss. Todd hatte mich an den Schultern gepackt und zerrte mich von Paul weg, und das war gut so. Erst dachte ich, Todd würde mir den Kopf abreißen, aber er war lediglich bemüht, die Lage zu entschärfen und zu beruhigen. Es war an sich schon schlimm genug, dass ich Paul eine reingehauen hatte, aber dass ich das ausgerechnet vor einem Haufen von CBS-Leuten getan hatte, unter anderem Peter Dawkins und Lorne Saiffre, dem Chef unseres US-Labels Portrait, war karrieretechnisch nicht gerade der beste Schachzug.
Contraband waren als Support der Little River Band für eine große Open-Air-Show auf dem Vorplatz des Opernhauses von Sydney gebucht, und das war ein richtig großes Ding – die Veranstalter rechneten mit mehr als 30.000 Zuschauern, und wir hofften, dass uns dieser Auftritt in Sydney nach einigen Beinahe-Hits endlich den ersehnten Durchbruch bringen würde. Der größte Rocksender von Sydney, 2SM, sponserte die Show – besagter Sender, der AC/DC damals auf die schwarze Liste gesetzt hatte, bevor wir klarstellten, dass wir Musiker waren und keine Stripper.
Da Bon zu dieser Zeit mal wieder in der Stadt war, lud ich ihn zu der Show ein. Wir sollten ihn am Corban Hotel abholen. Als ich anklopfte, war er zwar schon ausgehfertig, bat mich aber trotzdem noch herein.
„Ich habe was für dich, Alter“, sagte er. „Wir haben alle eine davon in New York bekommen. Für dich habe ich auch eine besorgt. Du hast sie verdient.“
Er gab mir eine goldene Uhr, die auf den ersten Blick aussah wie eine Cartier – die mit dem leicht rechteckigen Gehäuse, den römischen Ziffern und dem schwarzen Armband. Ich sah sie mir genauer an. Anstatt „Cartier“ lautete der Schriftzug: „Atlantic Records“. Offenbar hatte man AC/DC beim Label allmählich richtig gern.
Bon grinste mich auf seine typische Weise an, als er merkte, dass mir sein Geschenk gefiel und ich vor allem sehr gerührt war, dass er an mich gedacht hatte. Er war eben so ein Typ, unglaublich großzügig und aufmerksam. Jedenfalls, solange er nüchtern war. Sobald er richtig betrunken wurde, war es mit der Aufmerksamkeit vorbei.
„Komm, wir trinken einen, bevor wir gehen“, schlug Bon vor. Wie hätte ich da Nein sagen können?
Der Vorplatz des Opernhauses war voller Menschen, als wir ankamen. Es war ein wunderschöner Tag am Hafen von Sydney, und dank Bon war ich schon ziemlich gut in Stimmung. Contraband war die zweite Band auf dem Programm, und wir rockten richtig ab. Das Publikum war begeistert und tobte. Um uns herum herrschte ein Lärm, wie ihn nur eine große Menge unter freiem Himmel machen kann. Bon hatte einen guten Platz, direkt hinter der PA auf meiner Bühnenseite, wo er sich neben seinen besten Freund Pat Pickett kauerte, der mein Bühnenroadie war. Auf der anderen Seite stand Pats Vertretung, Frazer Young, der Neffe von Mal und Angus. Frazers Bruder Steve sprang gelegentlich für Mal ein, wenn der sich eine Tournee-Auszeit von AC/DC nahm.
Der Gig lief hervorragend, und danach wollte ich natürlich wissen, wie es Bon gefallen hatte.
„Der Sänger ist supergeil“, sagte er. „Aber die Band ist nicht laut genug, und die langsamen Songs killen die Stimmung, das geht in die falsche Richtung. Ihr seid doch eine Rockband, oder? Vergiss den langsamen Kram, Alter. Wie sieht’s aus, willste noch ’ne Runde, Mark?“
Scheiße, ich hatte ihn wirklich vermisst.
Während ich mit Contraband am großen Durchbruch arbeitete, starteten Rose Tattoo bereits richtig durch. Sie hatten einen Vertrag bei Alberts unterschrieben, nachdem sich Bon bei George und Harry für sie eingesetzt hatte. Angry Anderson, der Sänger, war ein alter Kumpel von Phil und stammte ebenfalls aus Melbourne. Die Tatts sind meine Lieblingsband aller Zeiten, und kein anderes Land der Welt hätte eine solche Gruppe hervorbringen können. Sie waren die ultimative Aussie-Band.
Ihr ursprünglicher Bassist, Ian Rilen, hatte sich schon ziemlich früh verabschiedet. Mick Cocks war für ihn eingesprungen, wollte aber möglichst schnell wieder auf seinen alten Platz als Rhythmusgitarrist der Tatts zurück. Er hasste es, Bass zu spielen, wie er mir berichtete, um mir gleich darauf die entscheidende Frage zu stellen: Ob ich nicht Lust hätte, bei ihnen einzusteigen? Aber die Vollmitgliedschaft bei den Tatts barg ein Problem. Ich hatte Angst vor der Nadel. Ich wollte mich nicht bebildern lassen.
„Tja, das ist bei uns nun mal Pflicht“, erklärte mir Manager Mick Christian.
„Sorry, ich kann’s nicht“, antwortete ich und behauptete: „Ich bin Jude. Tattoos kommen nicht in Frage.“
Ganz ehrlich, ich wäre sofort zu Rose Tattoo gegangen, wenn ich mich Contraband gegenüber nicht verpflichtet gefühlt hätte. Wenn sie mich zuerst gefragt hätten, dann hätte ich nicht schnell genug Ja sagen können. Aber zumindest war es für mich der Beginn einer lebenslangen Freundschaft mit Mick Cocks, der wie ich ein großer Carlton-Fan ist, und unsere Wege kreuzten sich immer wieder.
Contraband ging letztlich die Puste aus. Schließlich entschieden wir uns, eine Weile zu pausieren, und daraus wurde schließlich ein Dauerzustand. Ende 1980 gründete ich mit dem Gitarristen Robin Riley und dem Schlagzeuger John „JL“ Lalor The Beast. Die Band war vor allem für zweierlei berüchtigt: für die enorme Lautstärke und für die stinkenden Overalls, die Robin auf der Bühne trug. Sie waren so eklig, dass nicht einmal die Roadcrew die Dinger anfassen mochte. Wenn wir unterwegs waren, schnallten wir die Kleidungsstücke an den Kängurufänger vorn an unserem Truck.
The Beast war in erster Linie Robins Band, und das konnte auch nicht anders sein, weil Rockin’ Rob schlicht alle überragte, als Person ebenso wie durch sein monumentales Spiel. Er war ein Bär von einem Mann, ein typischer, biersaufender Australier mit unglaublicher Präsenz, der auf der Bühne geradezu Furcht einflößend, psychotisch, aber manchmal auch herrlich komisch sein konnte. Er hätte sicher einen hervorragenden Comic-Helden abgegeben, und halbwegs war er auch einer, schon allein durch die enorme Zahl von Tätowierungen. Rob mag sich vor allem auf der Bühne wie ein kompletter Idiot aufgeführt haben, aber darüber darf man nie vergessen, dass er großartige Rocksongs schreibt und sogar im Country-Stil richtig auf die Tränendrüse drücken kann. Tief in seinem Innern ist er ein richtiger Teddybär, ein Schatz. Sorry, Rob, aber das ist die Wahrheit, auch wenn du durchaus wie ein Axtmörder aus der Wäsche gucken kannst. Und dann spielt er auch noch mit ohrenbetäubender Lautstärke. Niemand dreht die Gitarre so laut auf wie Rob, was allerdings damit zu tun haben mag, dass er auf beiden Seiten ein Hörgerät trägt. Wobei ich nicht weiß, was zuerst kam – die Lautstärke oder die Hörgeräte.
Robs ungekämmte Erscheinung ist vielleicht etwas befremdlich, und manchmal ist ihm Körperhygiene nicht so wichtig, was vor allem unserem PA-Roadie und Manager, Tony Malouf, ziemlich sauer aufstieß. Tony war ein zierlicher, hyperaktiver Saubermann libanesischer Abstammung, und er und Rob waren ein wirklich seltsames Paar – ein irrer, wild dreinblickender kleiner Dynamo und ein schlampiger, verkommener Berg von einem Mann. Sie waren wirklich die besten Freunde, was aber vielleicht mit den riesigen Joints zu tun hatte, die Tony gewöhnlich baute. Eines seiner Meisterstücke war über 30 Zentimeter lang und haute wahnsinnig rein. Ich guckte den beiden dabei zu, wie sie dieses Riesending in einem Hotel in Tweed Heads wegrauchten. Rob lag irgendwann auf dem Boden und fragte mich: „Sachma, Alter, bin ich noch da?“ Ich beteiligte mich nie an ihrer Kifferei, allerdings will ich mir gar nicht vorstellen, wie Tony drauf gewesen wäre, wenn er sich nicht ständig zugeraucht hätte. Wahrscheinlich hätten wir unseren kleinen Springteufel dann von der Decke kratzen können.
Tony war zwanghaft sauber, und er merkte ziemlich schnell, dass Rob mehr als nur ein bisschen schmuddelig und unordentlich war. Wenn Tony wusste, dass wir seinen Volvo brauchten, um die Band von A nach B zu kutschieren, dann verbrachte er den ganzen Nachmittag damit, den Wagen mit Plastikfolie auszulegen, um ihn Riley-fest zu machen. Rob nahm das als persönliche Herausforderung und reagierte darauf beispielsweise, indem er auf der anderthalbstündigen Fahrt von Sydney nach Terrigal ununterbrochen furzte. Tony machte nicht eine einzige Bemerkung darüber, und das war eine reife Leistung, da JL und ich beinahe kotzen mussten. Später erfuhren wir, dass Tony keinen Geruchssinn hatte, der glückliche Arsch.
Das Schicksal führte uns wie viele andere Bands zu Alberts ins Studio. Dort verbrachten wir viel Zeit damit, ein paar Demos einzuspielen, unterstützt von reichlich Bier und Sam Horsborough, dem Neffen von George, Mal und Angus. Wir stellten eine sehr ansehnliche Sammlung von Titeln zusammen, die George sich anhörte und bewertete. Wir standen kurz davor, ein Album einzuspielen und bauten in den Clubs und Pubs von Sydney eine solide Fan-Gemeinde auf. Es sah gut aus für The Beast.
Rose Tattoo waren währenddessen nach England gegangen und machten dort tatsächlich eine ganz schöne Welle. Aber es knisterte bei ihnen im Gebälk. Mick Cocks stand kurz vor dem Rauswurf, und wen wollten die Tatts an seiner Stelle? Robin Riley. Scheiße! JL und ich wussten gleich, dass was im Busch war, als die eine Hälfte des Rose-Tattoo-Managements, Sam Righi, bei einem unserer Gigs im Caringbah Hotel erschien und Rob anschließend entführte. Die Ironie an der Sache war, dass Sam Righi und Mick Cocks sich sehr gut verstanden, aber hier ging es ums Geschäft, und die Chance war zu groß, als dass Rob sie sich entgehen lassen konnte. Tschüss, Rob, tschüss, The Beast.
Ich bin oft gefragt worden, wer der beste Gitarrist ist, mit dem ich je gearbeitet habe. Die meisten erwarten, dass ich Malcolm oder Angus Young nenne, weil die beiden eine Klasse für sich sind, aber ich sage immer wie aus der Pistole geschossen „Robin Riley“. Rockin’ Rob ist ein unglaublicher Gitarrist. Er spielt mit so viel Seele und Intensität, und er trifft immer den richtigen Ton. Vielleicht nur einen einzigen, aber selbst dann weiß man, dass er großartig sein wird. Rob könnte einem Baseballschläger einen tollen Sound entlocken, und er verdient viel mehr Anerkennung und Erfolg, als er bisher genießen durfte.
Februar 1981 saß ich im Sydney Showground in einer Loge, die extra für Freunde und Familienangehörige reserviert worden war, und erlebte das erste Australien-Konzert von AC/DC seit Juni 1977. Weder die Band noch das Publikum ließ sich von den üblichen Widrigkeiten beeinflussen, die ein großes Open-Air-Gelände wie der Showground üblicherweise mit sich bringt. Schließlich war es ein ganz besonderer Abend, AC/DC waren endlich wieder in Sydney, in jener Stadt, die sich selbst gern als ihre Heimat betrachtete.
Abgesehen von jenem kurzen Auftritt als Quartett im Station Hotel, damals im März 1975, war es das erste Mal, dass ich die Band spielen sah, ohne mit auf der Bühne zu stehen. Es war ein seltsames Gefühl von Distanz – die Jungs waren großartig, aber ich war nicht bei ihnen. Und Bon auch nicht.
Meine Gedanken gingen zurück an jenen schicksalhaften Nachmittag Anfang 1980. Damals wohnte ich mit meiner Frau Kobe in Randwick, einem Vorort im Osten von Sydney, der vor allem für seine Rennbahn berühmt ist. Ich hatte es mir auf der Couch gemütlich gemacht und las, als das Telefon klingelte. Es war mein guter Freund Brian Todd, der frühere Manager von Contraband.
„Hi Mark. Ich bin gerade ganz in der Nähe und komme gleich mal vorbei. Ich bringe eine Flasche Scotch mit.“
Das war komisch, denn Brian wohnte eigentlich auf der anderen Seite der Stadt.
„Was ist denn los?“, fragte ich beunruhigt.
Nach einer langen Pause fragte Brian: „Du hast nicht Fernsehen geguckt?“
Was war denn das für eine blöde Frage?
„Bon ist tot.“
Ach du Scheiße … nein … „Bist du sicher?“
„Er ist tot, Alter. Sie haben es im Fernsehen und Radio gebracht. Er war in London. Wir sehen uns gleich.“
Oh nein. Nicht jetzt. Ich musste mich setzen; mir war, als würde ich gleich ohnmächtig. Mit weichen Knien ließ ich mich auf das Sofa sinken, auf dem Bon betrunken eingepennt war, als er mich das letzte Mal besucht hatte.
„Ich will eine Soloplatte machen“, hatte er mir an jenem Abend erzählt. „So in Richtung Lynyrd Skynyrd, aber mit viel Dampf, mit Songs, die richtig rocken.“
Er war besoffen, und das war ich auch, aber es war trotzdem immer wieder großartig, mit Bon zu quatschen. Es war seltsam – seit ich die Band verlassen hatte, waren wir uns näher als zuvor. Ich hatte ein paar großartige Abende mit ihm und Silver verbracht, und vielleicht hatte er deswegen das Gefühl, dass er mit mir offener über seine Probleme reden konnte. Wenn er in Sydney war, wohnte er am liebsten nahe am Strand, und meist quartierte er sich deswegen im Corban Motel ein, das nur fünf Minuten zu Fuß von unserem Haus in Randwick entfernt war. Daher kam es öfter vor, dass er, nachdem ich die Band verlassen hatte, immer noch mal bei mir vorbeischaute. Wenn ich nicht zu Hause war, ließ er mir als Visitenkarte eine Flasche Whisky vor der Tür stehen, als Zeichen, dass er wiederkommen würde. In jüngster Zeit hatte er eher Jack Daniel’s als Scotch mitgebracht, aber das war völlig scheißegal – Hauptsache, Bon war in der Stadt.
„Jawohl, ein richtig lautes, dreckiges Soloalbum, mit richtig bodenständigen Songs“, hatte Bon mir zwischen ein paar Schluck Whisky anvertraut. „Muss ich aber in den Staaten einspielen. Hab’ schon ein paar Jungs im Auge, die daran mitarbeiten könnten.“
Bon war in Hochstimmung, er hatte ein neues Motorrad, und außerdem hatte er sich in der Stadt vermutlich mit ein paar Stimmungsverstärkern versorgt. Offenbar war die Erinnerung an den beinahe tödlichen Motorradunfall 1974 in Adelaide allmählich ein wenig verblasst, aber wahrscheinlich war Bon einfach nur Bon, wie immer. Scheiß auf morgen, wir leben heute, was morgen ist, wer weiß das schon. Gib mal noch ’nen Schluck, ziehen wir noch ’ne Linie. So war Bon.
„Alter“, sagte ich ihm, „das wird aber ein interessantes Band-Meeting, wenn du den Jungs von deinen Plänen erzählst.“
Bon sah mich mit seinem unverbesserlichen, breiten Grinsen an. „Ich erzähl dir später, wie’s gelaufen ist …“
„Mark! Mach die Tür auf!“
Scheiße. Brian. Ich stand auf, ließ ihn rein und sackte gleich wieder auf dem Sofa zusammen. Es war, als hätte ich gar keine Beine, ich fühlte mich schwer, als ob ich bewusstlos geschlagen worden war und jetzt erst wieder zu mir kam. Das kann doch nicht wahr sein, doch nicht jetzt; die Jungs starten doch gerade durch, doch nicht jetzt, verdammte Scheiße.
„Scotch, Alter?“, fragte Brian. „Es tut mir so Leid. Ich habe dich gleich angerufen, als ich es erfahren habe. Ich war sowieso in der Nähe – und ich dachte, du wüsstest es schon.“
Ich fühlte mich wie betäubt. Brian redete, aber ich begriff gar nicht, was er sagte. Irgendwas von einem Auto …
„War es ein Autounfall?“, fragte ich.
„Nein“, antwortete Brian. „Sie haben ihn in einem Auto gefunden.“
Ich musste an die vielen Male denken, wenn Bon auf dem Rücksitz eines Autos besoffen eingepennt war, wie ihm das Kinn auf die Brust sackte, wenn wir mit Tiefflieger-Phil am Steuer von einem Gig nach Hause bretterten. Bon schnaufte dann leicht beim Atmen … Verdammt, wenn er wirklich ernsthaft abgestürzt war, hätte er überhaupt wach genug werden können, um aus dem Auto zu klettern?
Brians Scotch verdunstete schnell. Ich war fix und fertig. Hier saß ich auf meinem Sofa, kippte Whisky wie damals mit Bon, und er war nicht mehr. Dieses letzte Treffen mit ihm ging mir nicht mehr aus dem Kopf.
„Ich kann’s ja gar nicht glauben“, hatte Bon gesagt. „Du sitzt jetzt schon seit über zehn Minuten auf diesem Sofa und bist immer noch wach. Scheiße, du hast dich echt verändert, Mark.“
„Nein, ich bin immer noch der Alte“, versicherte ich ihm. „Ich kann überall einschlafen. Aber nicht, wenn du mich wach hältst, du Arschloch.“ Er war auch noch immer der alte Bon, aber er sah müde aus, trank mehr als früher und war immer noch einsam. Er vermisste Silver und war sich nicht sicher, ob sie überhaupt noch eine Beziehung hatten. Meiner Meinung nach war da nicht mehr viel zu retten, aber er hoffte auf das Gegenteil.
Am Tag nach Bons Tod ging ich zu Fifa ins Büro im Boomerang House. Kaum, dass ich sie sah, brach alles über mich herein. Ich hatte gewusst, dass Bon tot war, aber was auch immer mir gefehlt hatte, damit ich es wirklich begriff, das drang jetzt zu mir durch, da ich Fifa sah. Wir mussten gar nichts sagen. Welche Worte hätten in dieser Situation auch irgendeine Bedeutung gehabt?
Als ich wieder ging, rief Narelle, Fifas Assistentin, mir noch nach: „Mark! Highway To Hell hat letzte Woche in den USA Goldstatus erreicht.“
„Danke, Narelle“, sagte ich und brachte irgendwie ein Lächeln zustande. „Was spielt das jetzt noch für eine Rolle“, dachte ich.
„IN THE BEGINNING …“ Die Menge flippte aus, und das laute Gebrüll riss mich aus meinen Gedanken. Die Zuschauer feierten Bons berühmte, predigtähnliche Einleitung zu „Let There Be Rock“. Es waren Bons Worte, natürlich, aber nun war es Brian Johnson, der sie im ausverkauften Sydney Showground herausschrie, und die Leute tobten. AC/DC waren wieder in Sydney und ließen es krachen.
Während des Konzerts kämpfte ich mit meinen Gefühlen. Es war eine unglaubliche Erfahrung. Ich hörte, wie die Band ein Intro anstimmte, das ich schon hundert Mal gespielt hatte, und wenn dann der Gesang einsetzte, dann war es nicht Bons Stimme. Das ging mir wirklich durch und durch. Ich hätte darauf vorbereitet sein sollen, aber das war ich nicht. Glücklicherweise saß ich in einem recht privaten Bereich und war umgeben von Menschen, die mich gut kannten und von daher nachsichtig mit mir waren.
Nach der Show fanden sich Familienangehörige, Freunde und geladene Gäste, darunter auch Kobe und ich, in dem riesigen Zelt ein, das im Backstage-Bereich errichtet worden war, um die „Heimkehr“ der Band zu feiern. Die Stimmung war phantastisch, die Band hatte alle restlos weggepustet. Vorm Konzert hatte es natürlich viele Bedenken gegeben, ob Brian wohlmeinend aufgenommen werden würde, aber der Gig hatte alle Zweifler überzeugt. Die vielen tausend Zuschauer im Sydney Showground waren bereit, ihn zu adoptieren. Er hatte es geschafft.
Es war für mich verdammt hart gewesen, AC/DC bei dieser Feuerprobe zuzusehen, aber für die Jungs selbst war dieser Augenblick natürlich noch viel schwerer gewesen. Sie hatten eine Menge ertragen müssen, um so weit zu kommen, und dafür verdienten sie Respekt.
Ich gesellte mich zu ihnen und wir redeten und lachten ein bisschen. Anschließend wurden einige Gold- und Platinplatten überreicht, und Ted Alberts hielt eine wirklich gelungene Rede, die diesen historischen Moment angemessen würdigte. Dann war plötzlich ein lauter Ruf zu vernehmen: „Wo ist denn jetzt die echte Band?“ Pat Pickett stand auf, sah den Sprecher an und sagte: „Mach lieber deinen Mund zu, bevor dir jemand reinscheißt.“ Ted guckte erst ein bisschen irritiert, sagte dann aber: „Ich wünschte, das wäre von mir gekommen!“ Es war ein köstlicher Augenblick. Bons Kumpel hatte allen deutlich gemacht, wo er stand.
Wir machten Fotos mit der Band und mit Ted und Fifa. Sie zeigten eine kurzlebige, höchst ungewöhnliche AC/DC-Besetzung mit zwei Bassisten, Cliff Williams und mir. Aber es war ein wunderbares Gefühl, dass die Jungs und das Alberts-Team mich so herzlich willkommen hießen. Es war ein herrlicher Abend und ein echter Triumph für AC/DC. Es war auch das letzte Mal, dass ich privat mit der Band zusammen kam.
Plötzlich trat Michael Browning wieder in mein Leben. Er hatte sich von AC/DC getrennt und betreute nun eine Band namens Heaven, die derzeit in den USA unterwegs war. Als er sich bei mir meldete, hatte er ein Anliegen.
„Könntest du mit JL nach L.A. kommen und die Band verstärken?“
„Na klar. Hört sich super an.“
„Allerdings brauchen wir dich als Rhythmusgitarristen, als Ersatz für Mick Cocks.“
Ach du Scheiße!
Mick sah das glücklicherweise völlig gelassen. Er hatte genug davon, dauernd mit Allen Fryer aneinander zu geraten, dem aus Glasgow stammenden Sänger. Eigentlich hatte man allgemein erwartet, dass Allen nach Bons Tod bei AC/DC einsteigen würde; der Melody Maker hatte sogar eine entsprechende Meldung gedruckt.
Mick hatte, als Rose Tattoo in England waren, viel Zeit mit Bon verbracht. Schließlich war Mick sozusagen Bons Tourneebegleiter geworden, teilte sich die Hotelzimmer mit ihm, saß neben ihm im Bus und war auch sonst ständig an seiner Seite. In London bewegte sich Mick in denselben Kreisen wie Silver, Bons jetzige Ex, und ihr Freund Joe Furey, der in der Nacht, als Bon starb, mit Silver im Krankenhaus gewesen war.
„Ich wusste gar nicht, dass Bon so ein feiner Pinkel war!“, berichtete mir Mick. „Er mochte es aber, wenn ich ihn so bezeichnete, wenn er einen guten Rotwein zum Abendessen bestellte.“
Dass die beiden sich gut verstanden hatten, lag eigentlich auf der Hand – sie waren vom Typ her sehr ähnlich und verstanden es beide, im Leben viel Spaß zu haben. Wahrscheinlich waren sie im Doppelpack wie eine drogenbefeuerte Version von Laurel und Hardy gewesen.
Eines Morgens kam einer der Roadies zu Mick, der auf seinem üblichen Platz im Bus saß, und zitierte ihn nach hinten zu einem Gespräch mit Mal. Und Mal löcherte Mick nach seiner Freundschaft mit Bon. Wie Mick später berichtete: „Ich dachte damals, gleich fragen sie mich, ob ich irgendwelche Absichten habe, was Bon angeht.“
So viel zu Mick, nun aber wieder zurück zu Heaven. JL und ich waren kaum in L.A. gelandet, da ging es auch schon auf Tour – als Vorgruppe für Mötley Crüe, die damals ihr Album Shout At The Devil im Gepäck hatten. Man hatte mich gewarnt, dass es bei diesen Jungs ziemlich wild zugehen konnte. „Okay“, dachte ich, „ich werde schon auf mich aufpassen.“ Tatsächlich war ich ungefähr auf alles vorbereitet, nur nicht auf ein paar Kerle mit hochhackigen Schuhen und Make-up. Was war das denn, verdammte Scheiße? Hinter dem Lippenstift und den hohen Absätzen waren sie allerdings wirklich nette Jungs, vor allem ihr Sänger Vince Neil und der Schlagzeuger Tommy Lee. Aber wilde Gesellen? Das sollte wohl ein Witz sein. Wahrscheinlich hatte da irgendein Typ in der PR-Abteilung ein bisschen dick aufgetragen.
Gleich zu Anfang der Tour wurden wir in Denver, Colorado, von schweren Schneefällen überrascht und saßen drei Tage lang in unserem Hotel fest. An einem Abend schlugen wir uns bis zu einer Bar auf der anderen Straßenseite durch. Der Laden hieß Johnny’s und war benannt nach seinem Besitzer, einem vierschrötigen Cowboy. Er war ein lauter, ruppiger und total nerviger Typ, der sich für den besten Poolbillard-Spieler von ganz Denver hielt und groß herumtönte, dass er mit jedem, der sich traute, um einen Einsatz von 50 Dollar spielen würde.
Da war er bei mir an den Richtigen geraten. Her mit dem Queue, Cowboy!
Es war kaum zu glauben, aber bei ihm ging wirklich kein Stoß daneben. Er lochte alle Kugeln sauber ein, und bei mir lief gar nichts. Ich verlor vier Spiele hintereinander. Damit war ich 200 Dollar los und pleite – und vor allem war ich stinksauer. Dass Johnny meine Niederlage lauthals herausposaunte, machte die Sache nicht angenehmer.
„Hey, ich hätte ja gedacht, ihr Aussies würdet was vom Poolbillard verstehen. Aber so kann man sich irren! Ha ha!“
Er machte mich richtig wütend.
„Hey“, prustete er, „wie wär’s – wir spielen noch eine Partie, aber diesmal um 100 Mäuse? Aber halt, du hast ja keine Kohle mehr. Pass auf, wenn ich gewinne, kriege ich deine Klamotten, und du musst splitterfasernackt durch den Schnee nach Hause. Abgemacht?“
„Her mit dem Queue, Johnny.“
Laurie Marlow, der Bassist von Heaven, erklärte mich für verrückt. Das war ich auch, aber verdammt, ich wollte dieses Arschloch unbedingt schlagen. Inzwischen standen reichlich Zuschauer um unseren Tisch, und es wurden die ersten Wetten abgeschlossen. Irgendjemand rief: „Tritt ihn in seinen fetten Arsch!“
Tatsächlich wendete sich das Glück, und das nächste Spiel gewann ich. Damit musste ich schon mal nicht mehr nackt durch den Schnee. Wir spielten weiter. Die Bar machte zu, wir spielten weiter. Johnny verlor nun ein Spiel nach dem anderen und fing an, sich richtig zu ärgern. Ein Drink folgte auf den nächsten, und plötzlich traf ich bei jedem Stoß. Jetzt lief es so richtig. Schließlich behauptete Johnny, ich würde mogeln, nachdem ich nach dem Anstoß zwei Kugeln versenkte und dann den ganzen Tisch abräumte. Er bekam keinen einzigen Stoß und musste mir noch einen Hunderter rüberreichen.
Im Laufe der Nacht ging er ein paar Mal an die Kasse, bis ich die kompletten Tageseinnahmen abgesahnt hatte, insgesamt waren es über 2.000 Dollar. Der dicke Drecksack schuldet mir immer noch 500 Mäuse.
Die nächste Tour absolvierten wir im Vorprogramm von Kiss, eben jener Truppe, über die wir vor Jahren in London so gelästert hatten. Es war ihre heiß diskutierte Unmasked-Tournee, bei der sie ohne Make-up auftraten. Keine gute Idee, Jungs. Es war ziemlich schnell klar, wieso sie sich zuvor so zugekleistert hatten – sie waren potthässlich. Gene Simmons war allerdings ein ziemlich interessanter, beeindruckender Typ, der nicht mit guten Ratschlägen hinter dem Berg hielt.
„Hey, ich bin ein großer Fan von euch, Jungs“, erklärte er uns eines Abends. „Ich würde gern eure nächste Platte produzieren.“
Heaven hatten damals mit „Rock School“ einen kleinen Hit, der recht häufig auf MTV gezeigt wurde, das gerade noch in seinen Kinderschuhen steckte. Es sah gut aus für uns. Einmal machten wir eine Fotosession für eine japanische Zeitschrift und hatten uns dafür vor der Hintertür des Eisstadions aufgebaut, in dem wir an jenem Abend spielten. Plötzlich ging die Tür auf und Gene posierte für die Kameras, mit dieser typischen Zungengymnastik – igitt! Dann unterhielt er sich in fließendem Japanisch mit dem Fotografen und machte ein paar Witze. Jedenfalls glaube ich das, weil die beiden sich anschließend vor Lachen bogen. Vielleicht lachten sie auch über Heaven. Daraus, dass Gene uns produzierte, wurde leider nichts.
Im Anschluss an die Unmasked-Tournee spielten wir ein paar Mal im Vorprogramm von Black Sabbath, deren Besetzung sich seit meiner letzten Begegnung entscheidend verändert hatte. Ozzy war nicht mehr dabei, dafür stand Ian Gillan von Deep Purple am Mikrofon. Bev Bevan saß am Schlagzeug, aber der Gitarrist Tony Iommi und der Bassist Geezer Butler, Malcolms alter Sparring-Partner, waren noch an Bord. Auffälligstes Merkmal dieser Tour war wohl, dass sie vor der Kulisse von Stonehenge auftraten. Jeder, der mal Spinal Tap gesehen hat, weiß, was ich damit sagen will. Scheiße, Stonehenge!
Umgeben von Trockeneis und bedeutungsschwangerer Musik traten Black Sabbath also zwischen den großen, noch nicht mal besonders gut nachgebauten Steinen hervor. Es war ein echter Brüller. Und ich konnte es mir nicht verkneifen: Als Geezer zu seinem Bass-Solo ansetzte, scharte ich ein Grüppchen Begeisterungswilliger um mich, so wie wir es schon bei AC/DC getan hatten. Wir rotteten uns seitlich an der Bühne zusammen und warteten auf seinen ersten Patzer. Geezer legte los und … na, da wird doch wohl noch … JAWOLL! Beifall brandete auf, und Geezers Kopf fuhr herum, überrascht, aber auch irritiert. Er hatte diesen Beifall schon einmal gehört. Aber wo? Und wann? Scheiß-Australier!
Heaven implodierten 1984 auf einer Australien-Tournee, und ich hockte daraufhin wieder in Sydney, wo ich ein Haus mit Graham Kennedy und meiner Freundin Bille bewohnte und über meine nächsten Schritte nachdachte. Meine Ehe hatte nicht gehalten. Das war meine Schuld, keine Frage, aber aus unserer Vereinigung war eine wunderschöne Tochter hervorgegangen, Kristin, die am 25. Februar 1982 in Perth zur Welt gekommen war. Anfangs habe ich nicht allzu viel von ihr gesehen, bis sie wieder mit Kobe nach Sydney zog. Meine Ex-Frau und ich konnten unsere Differenzen bereinigen, und danach sah ich Kristin jedes Wochenende – oder zumindest jedes zweite. Ich war ein stolzer und glücklicher Vater.
Meinen nächsten musikalischen Einsatz verdankte ich Dave Tice, dem ehemaligen Sänger der ersten australischen Heavy-Metal-Band, Buffalo, die er in den frühen Siebzigern zusammen mit seinem besten Freund Pete Wells gegründet hatte. Buffalo gingen endlos auf Tournee, wie alle guten Bands in jener Zeit, und nahmen vier bahnbrechende Metal-Alben für das prestigeträchtige Label Vertigo auf, bei dem auch Black Sabbath unter Vertrag standen. Pete gründete später Rose Tattoo, und Dave ging nach England und wurde Frontmann der Count Bishops.
Mitte der Achtziger war Dave wieder in Sydney und stellte eine Band zusammen, die später den Namen The Headhunters erhalten sollte. Der Schlagzeuger Greg Skehill und der Gitarrist Mick Cocks (jawohl, der schon wieder) waren schon an Bord, aber Dave suchte nach einem neuen Bassisten, und ich war als Ersatz für den aktuellen Kollegen im Gespräch – Joe Furey, den Freund von Silver Smith, der inzwischen wieder in Sydney lebte. Die Headhunters spielten vor allem in Bars, und unser Hauptquartier war das Royal Hotel, das sich nur ein paar hundert Meter vom berühmten Bondi Beach befand.
The Headhunters und das Royal Hotel passten großartig zusammen. Wir wurden zur Institution an den Sonntagnachmittagen und bekamen auf der Bühne gelegentlich Besuch von sehr interessanten Gästen, darunter Pat Cash, der Wimbledon- und Davis-Cup-Sieger, der an der Gitarre eher noch ein Anfänger war. Mick und ich spielten Tennis mit Pat, und Pat spielte Gitarre mit uns. Es war ein perfekter Ausgleich, was die jeweiligen Fähigkeiten betraf, und ich wurde schließlich sogar in die Pat Cash Group berufen.
Das Royal Hotel hatte noch andere Vorzüge. Mick und ich lernten dort die East Sydney Bulldogs kennen, das örtliche Team der Sydney Football League, und für eine Saison zogen Mick und ich uns die Footballschuhe an und durften mitspielen. Das Vorbereitungstraining überstanden wir, jedenfalls so einigermaßen. Am ersten Tag stand ein 10.000-Meter-Lauf an, und Mick und ich rannten hinter den Spielern her, schnaufend und keuchend, wie man es von zwei alten Rockern erwarten kann. Als wir wieder zu Atem gekommen waren, lernten wir ein paar tolle Typen kennen: Bomber, Marsh, Muscles, Bananas, Jimmy O. und PC. Die Headhunters wurden zur Hausband im East Sydney Bulldogs Club, der gleichzeitig auch das Hauptquartier der Sydney Swans darstellte, eines der zwölf Teams der damaligen Victorian Football League.
Mick hielt beinahe die ganze Saison über durch, bis er sich im vorletzten Spiel heftig am Knie verletzte. Ich schaffte es bis zum letzten Training, verdrehte mir dann auch das Knie und verpasste so das letzte Spiel. Das Knie musste ich operativ wiederherstellen lassen, während Mick auf die Operation verzichtete und lieber jammerte. Damit waren unsere Football-Karrieren beendet, aber die Headhunters marschierten tapfer weiter – abgesehen von Mick, der ein bisschen humpelte.
Bille und ich beschlossen zu heiraten, aber statt den ganzen Zinnober mit den Vorbereitungen für eine klassische Hochzeit durchzuziehen, verdrückten wir uns nach Las Vegas. Dort traf ich unseren guten Freund Wayne Marshall, einen Australier, der in den USA als Tennislehrer arbeitete, und zog mit ihm los, meinen Junggesellenabschied zu feiern. Bille nahmen wir mit. Wir alle betranken uns genüsslich und ließen uns von einem lustigen Jamaikaner namens Randall durch die Stadt fahren, der uns erzählte, dass eine gewisse multinationale Fastfood-Kette in Australien Kängurufleisch in ihren Burgern verarbeitete. Danke, Randall.
In Vegas herrschten an unserem Hochzeitstag, dem 3. August 1991, über 40 Grad. Ich hatte einen Kater und saß schwitzend wie ein Affe in unserer Suite im Flamingo Hilton. Irgendwann kam mir der Gedanke, den Kater mit einer Flasche Dom Perignon zu bekämpfen. Jawoll, das klappte. Und nachdem die erste so gut funktioniert hatte, hielt ich es für eine gute Idee, eine zweite nachzuschieben. Das Clark Country Court House bekam einen kleinen Schleier, was vielleicht auch an der Hitze lag, aber wir erhielten unsere Heiratspapiere und man wies uns den Weg zur Graceland Wedding Chapel. Und wer wartete da auf uns?
Wir wurden von einem 130 Kilo schweren Elvis in Empfang genommen, der sich zunächst an Wayne wandte:
„Unterschreiben Sie hier, Dwayne.“
„Ich heiße Wayne.“
Elvis schwitzte und wirkte angespannt. „Rücken Sie mal ein Stück zur Seite, Dwayne!“
Hä?
„Ich hab’ 200 auf die Yankees gesetzt. Mann, ich kann das Spiel nicht sehen!“
Tatsächlich lief auf dem Fernseher, der in der Ecke stand, ein Baseballspiel, während wir uns auf die Eheschließung vorbereiteten. Das gibt es wohl auch nur in Vegas.
Elvis bot Bille die Plastikblumen an, die im Preis inbegriffen waren, aber sie hatte sich vorsichtshalber selbst einen Strauß im Flamingo gekauft. In der Kapelle wartete Reverend Harrison auf uns, der Elvis darum bat, ein oder zwei Songs zu singen, bevor die Zeremonie begann. Ich war total nervös, als Elvis mich fragte:
„Nun, Sir, was würden Sie denn gern an Ihrem Hochzeitstag hören?“
Mir fiel nichts ein, gar nichts. Hier saß ich, am Tag meiner Hochzeit, innerlich schon ordentlich vorgeglüht, von außen reichlich gewärmt, und als der King mich fragte, was ich hören wollte, wusste ich keinen Song. Nicht einen.
„Hey, Dwayne“, sagte ich – offenbar war das mit dem D irgendwie ansteckend –, „sag mir mal schnell einen Titel von Elvis!“
„Ich mochte immer dieses ‚I’m caught in a trap, I can’t go on’.“
Und so wurde ausgerechnet „Suspicious Minds“ unser Hochzeitslied.
Anschließend gingen wir auf Hochzeitsreise und fuhren sechs Wochen durch die USA, sahen uns den Rest von Vegas an, Los Angeles, San Francisco und New York, und dann ging es weiter nach England, wo wir uns mit Pat Cash und seiner Frau Emily trafen. Bille zieht mich immer damit auf, dass wir nirgendwo hingehen können, ohne dass ich jemanden treffe, den ich kenne, und als wir mit Pat und Emily bei Browns in London im Laden standen, war es wieder einmal soweit – es kam jemand auf mich zu und umarmte mich. Es war Ian Jeffrey, der ehemalige Mischpulttechniker von AC/DC, den ich seit 14 Jahren nicht mehr gesehen hatte. Dementsprechend waren am Abend erst einmal ein paar Drinks fällig. Ian war inzwischen Tourmanager von Metallica, und er sorgte dafür, dass wir uns die Band beim Monsters-Of-Rock-Festival in Donington ansehen konnten, wo sie zusammen mit den Black Crowes, Mötley Crüe und, jawohl, AC/DC auftrat.
Es war eiskalt und windig beim Monsters-Of-Rock 1991. Wir verpassten die Black Crowes, sahen aber ein Stück von Mötley Crüe. Sie veranstalteten auf der Bühne die übliche Show, aber die Lederklamotten, die zerfetzten T-Shirts, Plateauschuhe und das Make-up wirkten hier ein wenig unpassend, zumal sie bei Tageslicht spielten. Sie waren die perfekte Rock’n’Roll-Parodie.
Es war mitten im August, Hochsommer in England, und ich fror mir an der Seite der Bühne den Arsch ab, während Metallica kernig abrockten. Das sollte Sommer sein? Ach du Scheiße. Mir wurde so kalt, dass ich mir am Merchandise-Stand ein Sweatshirt von Mötley Crüe kaufte – das waren die einzigen, die noch übrig waren.
Metallica standen geradezu in Flammen. Sie sind vom Stil her eigentlich etwas zu heavy für mich, aber die Intensität dieser Jungs haute mich um. Davon abgesehen spielten sie auch hervorragend, und auf mich machten sie den Eindruck, als seien sie auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft. Vor AC/DC auf die Bühne zu müssen, war natürlich eine undankbare Aufgabe, aber Metallica wehrten sich hervorragend. Sie gaben alles, und die Zuschauer wussten das zu würdigen.
Wie ich da noch neben Pat seitlich an der Bühne stand, stellte er mir einen der urigsten Typen im ganzen Musikgeschäft vor, Alan Rogan. Alan ist der Gitarrentechniker schlechthin und hat schon für George Harrison, Pete Townshend, Keith Richards, Eric Clapton und John Fogerty gearbeitet. Er ist eine Legende und eine echte Autorität, wenn es um alte Bässe und Gitarren geht, ein kleiner, untersetzter, grauhaariger Mann, der mit einem so breitem englischem Akzent sprach, dass es beinahe schon komisch wirkte.
„Aaah, Mark Evans, wenn ich mich nicht irre? Ich habe schon viel von dir gehört. Ich arbeite für Angus, den kleinen Wichser.“
Alan erwies sich als äußerst nützlicher Kontakt. Er bekam es fertig, einen Stapel Gold- und Platinplatten aus dem AC/DC-„Tresor“, wie er das nannte, herauszueisen und nach Australien zu transportieren. Ich spendete die Platten an Wohltätigkeitsorganisationen, die sie für einen guten Zweck versteigerten.
AC/DC waren die Headliner beim Monsters Of Rock. Ich freute mich darauf, sie zu sehen, aber ich rechnete nicht ernsthaft damit, dass es zu einem richtigen Wiedersehen kommen würde. Phil war inzwischen entlassen worden, und unsere letzte Begegnung im Sydney Showground lag zehn Jahre zurück. Seitdem hatten die Anwälte alle Angelegenheiten geregelt, die uns betrafen. (Es wäre immer noch schön, wenn wir uns einfach mal die Hand geben würden, nachdem nun die ganzen juristischen Probleme der Vergangenheit angehören, aber ich habe wenig Hoffnung, dass es noch einmal dazu kommt.)
AC/DC eröffneten die Show mit „Thunderstruck“, und die Zuschauer rasteten völlig aus. Der Gig war großartig, jedenfalls das, was ich davon sah – nach einer Weile war ich völlig durchgefroren und verkrümelte mich hinter die Bühne, um mich bei Metallica und ihrer Crew ein bisschen aufzutauen. AC/DC waren überwältigend und enorm laut. Freiluftkonzerte sind vom Sound her meist nicht besonders gut, aber das traf auf Donington nicht zu; es klang wahnsinnig kraftvoll. Aber ich vermisste Phil am Schlagzeug; es war, als hörte man die Stones ohne Charlie Watts. Drummer haben ihren eigenen Stil, ihr eigenes Feeling – Phil ganz besonders. Wenn ich an AC/DC denke, dann höre ich in meinem Kopf Bon und Phil. Aber an jenem Abend zählte natürlich, dass das Publikum in Donington raste und die Band ebenfalls völlig aus sich herausging.
Allmählich rückten die Konzerte für mich in den Hintergrund, und meine Begeisterung für alte E-Gitarren und Bässe wurde immer wichtiger. Nach meiner Zeit bei den Headhunters tat ich mich mit Steve Jackson zusammen, der ebenfalls auf alte Gitarren stand und in Sydney ein Geschäft namens Jacksons Rare Guitars betrieb. Davon abgesehen ist er ein Fan der australischen Automarke Holden, und er hat eine ganze Scheune voller verschiedener Modelle. Gitarren und Bässe, das kann ich ja verstehen – aber Autos? Ich habe niemals selbst ein Auto gefahren, jedenfalls nicht bewusst, obwohl Robin Riley behauptet, dass ich unsere Band einmal von einem Konzert zurück zu unserem Hotel in Queensland kutschiert habe, aber ich war zu betrunken, um mich daran zu erinnern.
Je mehr ich über alte Gitarren und das dazugehörige Geschäft erfuhr, desto mehr interessierte es mich. In Steves Laden wurden unglaubliche Instrumente gehandelt, die aufgrund ihres Alters und ihrer Geschichte beinahe über Nacht an Wert gewannen: Gitarren von Fender, Gibson, Gretsch und Rickenbacker aus den Fünfzigern und Sechzigern begannen mich zu faszinieren, ebenso wie die großartigen Akustikgitarren von C.F. Martin & Co. Es dauerte nicht lange, und ich arbeitete bei Steve mit.
Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, meinen Platz gefunden zu haben. Bille und ich kauften uns ein Haus in Balmain, einem Vorort von Sydney, der westlich vom Zentrum am Hafen liegt. Das Geschäft mit klassischen E-Gitarren lief gut, und Kristin entwickelte sich bestens, woran ihre Mutter den größten Anteil hatte. Kristin war jedes zweite Wochenende bei uns in Balmain, und wir hatten eine herrliche Zeit. Unser Haus lag an einer Anhöhe und war über 100 Jahre alt; es erstreckte sich über drei Stockwerke und hatte eine höhlenartige, aber sehr gemütliche Bar im Keller. Kristin liebte diese Bar. Wenn ich jetzt so drüber nachdenke, dann fand ich sie auch sehr großartig. Man stieg von draußen über eine Wendeltreppe hinunter, die über die Jahre einige Opfer forderte. Pat Cash war einmal so betrunken, dass er die Treppe sogar hinauffiel.
Ein Nebeneffekt der Arbeit mit klassischen E-Gitarren war, dass ich unglaublich gute Gitarristen traf und spielen hörte, und dass ich viele faszinierende, besessene Gitarren-Fans kennen lernte. Als Ian Jeffrey mit Metallica nach Sydney kam, brachte er Kirk Hammett und Jason Newstead mit ins Geschäft. Wir verhandelten über ein paar schöne, alte Gitarren, und Jason brachte mich schließlich soweit, dass ich ihm meinen Telecaster-Bass von 1968 mit der Paisley-Lackierung überließ. Den Bass hatten die Doors bei der Aufnahme von „LA Woman“ und vielen Tracks von Morrison Hotel benutzt, und ich weiß nicht, wieso ich mich damals dazu überreden ließ, ihn wegzugeben. (Jason, ich will das Ding zurück!)
Bille, Kristin und ich sahen uns Metallica live im Sydney Entertainment Centre an. Kristin bekam ihre eigene Garderobe hinter der Bühne und wurde (natürlich!) wie eine Prinzessin behandelt — wobei sie vermutlich der einzige Mensch ist, der jemals bei einem Metallica-Gig eingeschlafen ist. Dabei war sie sehr verliebt in Lars, den Schlagzeuger. Ich widerstand der Versuchung, Lars davon zu erzählen und sie heftig zu blamieren, aber es fiel mir schwer – schließlich hat man als Vater ja eigentlich das Recht, seiner Teenager-Tochter peinliche Momente zu bescheren, wann immer man das möchte. Lars hatte einiges mit Pat Cash gemeinsam: Er war in seiner Jugend ein sehr erfolgreicher Tennisspieler gewesen, bevor die Musik sein Leben bestimmte.
Über das Geschäft lernte ich auch Richie Sambora von Bon Jovi kennen. Er war nicht nur ein Wahnsinnsgitarrist, sondern ein echter Gentleman. Als er zum ersten Mal bei uns hereinschaute, stöpselte er eine wunderschöne Fender Stratocaster aus den frühen Sechzigern in einen hübschen, kleinen Fender Champ von 1950. Das ist ein winziger, piepsiger Verstärker, den man aber durchaus zum Brüllen bringen kann, und genau das probierte Richie aus. Er ließ die Gitarre aufheulen und spielte ein paar unglaubliche Sachen, und wir alle waren so hingerissen, dass niemandem auffiel, dass der kleine Verstärker nicht besonders glücklich mit dieser Behandlung war und Rauch aus der Rückseite des Geräts drang. Richie hatte unseren schönsten Vorführverstärker gekillt! The Champ hatte uns geholfen, viele schöne, alte Gitarren in ein neues Zuhause zu vermitteln, aber jetzt war er tot und gab seine letzten Rauchzeichen. Richie war entsetzt und entschuldigte sich wieder und wieder für das Missgeschick. Er bestand darauf, den Verstärker zu bezahlen. Das lehnten wir natürlich ab, aber verdammt, ich habe den Champ wirklich geliebt, und ich vermisse ihn noch immer.
Direkt neben uns hatte Piers Crocker, ein Genie bei der Reparatur von Gitarren, sein Geschäft, und er berichtete uns eines Morgens, George Harrison sei auf dem Weg zu uns. Ein Beatle! Worüber redet man mit einem von den Beatles? Und dann noch mit George Harrison, der ja in dem Ruf stand, ein wenig schwierig zu sein. Ich geriet zwar nicht in Panik – obwohl, doch, vielleicht ein bisschen, aber Steve, der ein echter Beatles-Fan war, sah aus, als ob er jeden Augenblick explodieren wollte.
Georges Auto hielt vor dem Haus. Er kam an unsere Tür, die gewöhnlich abgeschlossen war, und ich öffnete ihm.
„Hallo, George, schön, dass du vorbeigekommen bist, komm doch rein. Dein Fahrer vielleicht auch?“
George antwortete kurz angebunden: „Der hat nichts anderes getan, als mich nach den Beatles zu löchern, seit ich bei ihm eingestiegen bin. Von mir aus kann der da draußen verhungern.“
Damit war das Eis gebrochen.
George fühlte sich bei uns wie zu Hause. Er kochte sich sogar selbst eine Tasse Tee, bevor er sich umsah, und dann probierte er ein paar Gitarren aus. Es war ein sensationell komisches Gefühl, mit ihm zusammen zu sitzen; er war jemand, von dem ich damals das Gefühl hatte, ihn schon fast mein ganzes Leben lang gekannt zu haben, obwohl ich vorsichtshalber nicht durchblicken ließ, dass ich eigentlich mehr ein Stones-Fan war. Als ich ihn mir so ansah, hatte ich das Gefühl, dass man ihn für seinen Beatles-Steckbrief ein wenig gestreckt hatte; darin stand, wenn ich mich recht erinnerte, etwas von eins achtzig, und mir kam es so vor, als ob er einige Zentimeter kürzer war. Das war ja ein Ding. Offenbar hatte mein alter Kumpel Derek Taylor, der Pressevertreter der Beatles, da unnötig etwas ausgeschmückt!
Wir kamen bestens miteinander zurecht und hatten sehr viel Spaß, bis Steve auf ein Beatles-Poster zeigte, das an der Wand des Hinterzimmers hing.
„Erinnerst du dich noch an diese Typen, George?“
„Jetzt könnte es interessant werden“, dachte ich, „auf die eine oder andere Weise.“
„Oh ja, ich erinnere mich an dieses Foto“, antwortete George. „Das entstand bei den Proben zu einer Fernsehsendung in London. Ich kam zu spät, und deswegen haben die anderen ihre Anzüge an und ich stehe in meinen Alltagsklamotten da.“
Puh, das war noch mal gut gegangen.
Während wir dann weiter über alte Gitarren redeten, wurde er richtig locker. Er erzählte uns von zwei Sonic Blue Fender Stratocaster, die er und John Lennon sich in New York gekauft hatten; seiner hatte er später eigenhändig einen psychedelischen Anstrich mit fluoreszierenden Farben verpasst.
„Das war eine ziemlich blöde Idee“, räumte er allerdings ein.
Er sprach im Präsens von John Lennon, obwohl der damals bereits mehrere Jahre tot war. Es war ganz offensichtlich, dass George seinen ehemaligen Bandkollegen sehr verehrte, obwohl er auch sagte: „John kann manchmal ein bisschen anstrengend sein.“ Als es um Ringo ging, benutzte er dessen bürgerlichen Vornamen Ritchie. Paul McCartney hingegen nannte er lediglich „den Bassisten“ – darauf muss sich jeder selbst einen Reim machen.
Als er unsere Instrumente ausprobierte, ließ George ein paar Beatles-Elemente anklingen, darunter auch die Barrégriffe vom Intro zu „I Feel Fine“. Steve sah aus, als würde er gleich aus den Latschen kippen. Dann wechselte George zur großartigen Gitarreneinleitung von „Norwegian Wood“ und sang leise den Text: „I once had a girl, or should I say, she once had me.“ Und das war der Moment, an dem ich selbst fast umgefallen wäre. Seine Stimme war klar und hell, voller Seele und Wärme. Ich hatte nicht gewusst, dass er so ein guter Sänger war, aber neben Konkurrenten wie Lennon und McCartney war es sicher auch immer sehr schwer gewesen, sich durchzusetzen. Er beendete den Song und sagte dann: „Das ist einer von Johns Songs. Eine wunderschöne Nummer.“ Das kannst du laut sagen, George.
Als wir zum Geschäftlichen kamen, baten wir George um seine Adresse, damit wir ihm die erforderlichen Informationen würden zuschicken können, und er schrieb sie uns gern auf:
George Harrison
Friar Park
England
„Kommen die Sachen tatsächlich bei dieser Adresse an, George?“, fragte ich skeptisch, weil mir das doch ein bisschen knapp erschien.
„Ja, natürlich. Bei mir ist schon Post gelandet, die lediglich mit ‚George Harrison, England’ adressiert war.“
Und ich hatte immer geglaubt, das würde nur beim Weihnachtsmann funktionieren.