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Der Prozess

CHORUS: Wenn Krieg Geschäfte bringt, und Geschäfte das Gesetz bestimmen, herrscht Profitgier über die Besonnenheit, und das Recht muss leiden. Seht nun den Gerichtshof von Venedig, diesen prächtigen Bau am Canal Grande, und unter den Rechtsanwälten, Senatoren, Bürgern und jenen, die Gerechtigkeit suchen, stehen Kaufleute und Würdenträger, die das Gesetz nun umgesetzt sehen wollen, das Rückgrat der Republik, die Versicherung ihres fairen Handels mit dem immerfeuchten Stadtstaat. Und auch hier, inmitten kostümierter Narren und Maiden in Herrentracht, sucht Shylock seine Rachsucht zu befrieden, mit einem Schwert, aus Ironie geschmiedet.

»Wer redet da?«, fragte Drool. Wir standen verkleidet bei Jessica ganz hinten im Gerichtssaal.

»Nur ein aufgeblasener Märchenonkel, der ständig wie ein minderbemittelter Rammbock die vierte Wand durchbrechen muss«, sagte ich. »Achte nicht auf ihn.«

Ein Gerichtsdiener rief vorn im Saal zur Ordnung, wo der Hohe Rat von sechs Senatoren auf einem Podium saß, mit dem Dogen in der Mitte. Er war in ein prunkvolles Gewand aus Gold und Silber gekleidet und trug einen Hut, der wie ein weiß-güldener Hosenbeutel aussah, nur dass er auf seinem Kopf thronte.

»Ist Antonio Donnola, der Kaufmann, anwesend?«, fragte der Doge.

»Hier bin ich«, sagte Antonio und trat durch den großen Bogen hinter uns, flankiert von Bassanio auf der einen und Jago auf der anderen Seite. Jago? Wieso lief Jago frei herum wie die wandelnde Pest in Stiefeln? Und noch dazu bewaffnet.

»Es tut mir leid um Euch«, sagte der Doge. »Ihr habt zu tun mit einem steinernen Widersacher, er ist ein Unmensch, keines Mitleids fähig – kein Funke Erbarmen wohnt in ihm.«

Nun, das schien mir doch eine etwas voreingenommene Beschreibung Shylocks zu sein. Wäre ich einer der fremden Händler und wollte mir hier einen Eindruck von der venezianischen Jurisprudenz verschaffen, würde ich denken: Offenbar sollte man vor Gericht keinen gelben Hut tragen, sonst werfen einen die Knallchargen hier den Hunden vor. Jones, die Puppe, zuckte unter meinem Kostüm und bettelte darum, es lauthals herausschreien zu dürfen.

»Wie ich höre, Euer Hoheit, hält er entschlossen an seinem Kurs fest, und ich habe rechtlich keine Mittel gegen ihn.«

»Ruft den Juden Shylock«, befahl der Doge.

»Shylock!«, rief der Gerichtsdiener, und Shylock schlurfte zur Tür herein, in seinem normalen, dunklen Kaftan mit gelbem Hut, nur dass heute an seinem Gürtel ein langes Tranchiermesser in einer Lederscheide hing.

»Er möge vor mich treten«, sagte der Doge.

Shylock kam an einer der zahlreichen bronzenen Feuerschalen vorbei, die überall im Saal entzündet waren, um den Raum an diesem bitteren Tag zu wärmen. Vor dem Podium blieb er stehen.

»Shylock, die Welt denkt, und ich denk es auch, du treibst diesen Anschein deiner Bosheit nur bis zum Augenblick der Tat. Und dann, so glaubt man, wirst du dein Erbarmen zeigen, wunderlicher noch als deine vorgespielte Grausamkeit, und nicht nur auf das Pfund vom Fleische dieses Kaufmanns verzichten, sondern auch auf einen Teil des Kredits, aus Mitgefühl für seine jüngsten Verluste, die wohl noch den königlichsten Kaufmann ruiniert hätten und selbst die Herzen der stursten Türken und Tartaren erweichen würden. Wir alle erwarten milde Antwort, Jude.«

Shylock räusperte sich und richtete sich auf, was ich bei ihm erst zum zweiten Mal sah. »Euer Hoheit, ich habe meine Absicht erklärt, und beim heiligen Sabbat habe ich geschworen, meinen Schuldschein einzufordern. Wenn Ihr es weigert, tut’s auf die Gefahr der Freiheit und Gerechtsamkeit Eurer Stadt, denn das Gesetz ist Euer Fundament, die einzige Sicherheit von Wert, die Ihr den Kaufleuten aus aller Welt anbieten könnt, die mit Euch Handel treiben. Wenn Ihr mich fragt, was ich mit einem Pfund schnödem Fleisch will, so will ich Euch nicht antworten, sondern Euch im Gegenzuge fragen, warum es Leute gibt, die – wenn durch die Nase pfeift der Dudelsack – können ihren Harn nicht halten.«

»Der Vergleich hinkt aber gewaltig«, sagte ich zu Jessica. »Das sollte dem Dogen zu denken geben. Da kann er sich eine Weile an seinem pimmeligen Hut kratzen.«

»Das ist ein dummer Grund!«, rief Bassanio.

»Ich hab wohl nicht die Pflicht, dir zu gefallen mit meiner Antwort«, sagte Shylock.

»Bringt jedermann das um, was er nicht liebt?«, fragte Bassanio.

»Was? Lasst Ihr Euch denn von einer Schlange zweimal beißen?«, fragte Shylock.

Bei dieser letzten Antwort war es nicht Bassanio, der antwortete, und auch nicht Antonio, sondern Jago, den das Verfahren bisher zu langweilen schien und der nun plötzlich zu Shylock herumfuhr, mit angewiderter Miene, als hätte eine der Gorgonen sie zu Stein erstarren lassen.

Ich grinste. Gut gemacht, Jude. Sie wussten, zumindest Jago wusste, was Antonios Gefolgschaft zugestoßen war. Antonio wirkte wie im Nebel, wie ein Mann, dem es angesichts eines Blutbads oder der Rettung aus einem solchen die Sprache verschlagen hatte.

»Nun denn«, sagte Bassanio, »statt der dreitausend Dukaten sind hier sechs.«

Hinter uns schleppten zwei Diener eine Truhe voller Münzen herein, so breit wie eine Männerbrust, und stellten sie mit schwerem Schlag vor Shylock ab.

Nimm es, nimm es, nimm es, Shylock! Ich dachte, ich riefe es ihm nur in Gedanken zu, doch jemand machte »Schscht!«, also hatte ich vielleicht doch laut gedacht.

»Nicht einmal für sechsmal sechstausend«, sagte Shylock. »Ich will das, was vereinbart wurde.«

»Wie hoffst du auf Gnade, wenn du keine übst?«, fragte der Doge.

Oder auf Verstand?, dachte ich.

»Welch Urteil sollt ich fürchten, ich tu kein Unrecht«, sagte Shylock. »Manch gekauften Sklaven habt Ihr unter Euch, die Ihr wie Hund und Esel behandelt und wie die Tiere unterbringt. Soll ich zu Euch sagen: ›Lasst sie frei. Vermählt sie mit Euren Erben. Lasst sie in Euren Häusern wohnen, labt ihren Gaumen mit Euren Speisen und lasst ihr Bett so weich als Eures sein.‹ Und Ihr antwortet: ›Die Sklaven sind ja unser, mit denen wir machen, was wir wollen.‹ Und so sage ich Euch, das Pfund Fleisch, das ich verlange, ist mein. Es ist teuer mir erkauft, und ich will’s haben. Wenn Ihr es mir verweigert, ist kein Wert mehr in den Dekreten von Venedig, und der Stadt und ihrem Handel ist nicht mehr zu trauen. Ich will mein Recht. Antwortet: Soll ich’s haben?«

Ich flüsterte nach rechts, wo Jessica, als Junge verkleidet, neben mir stand, ihr Piratenrock verborgen unter einem langen, schmucklosen Umhang. »Dein Vater ist so starr und stur und unbeweglich, dass Steine sich der eignen Fähigkeit zu tanzen brüsten dürften.«

»Was meinst du, wieso ich wegwollte?«, flüsterte sie zurück. »Aber er ist dir mit deiner Rache gar nicht unähnlich, nur dass er die seine vor den Augen ganz Venedigs üben will.«

»Ich bin befugt«, sagte der Doge, »die Sitzung zu entlassen, so nicht Bellario, ein gelehrter Doktor des Rechts, zu dem ich um Entscheidung ausgeschickt, hier heut erscheint.«

Der Gerichtsdiener meldete sich zu Wort: »Mylord, draußen steht ein Bote, der kam aus Padua, mit einem Brief von Bellario.«

»Verlest den Brief«, befahl der Doge.

Der Gerichtsdiener entfaltete das Pergament und las: »›Euer Hoheit diene zur Nachricht, dass ich sehr krank bin und Eurem Ruf nicht folgen kann, aber in dem Augenblick, da Euer Bote ankam, war bei mir auf einen freundschaftlichen Besuch ein junger Doktor des Rechts aus Rom namens Balthasar. Ich machte ihn mit dem streitigen Handel zwischen Antonio und dem Juden bekannt, und er ist von meiner Meinung unterrichtet, berichtigt durch seine eigene Gelehrsamkeit, deren Umfang ich nicht genug empfehlen kann. Ich ersuche Euch, lasst seinen Mangel an Jahren kein Hindernis sein, denn ich kannte noch niemals einen so jungen Körper mit einem so alten Kopf.‹ Gezeichnet, Bellario.«

»Wo ist dieser Doktor?«, rief der Doge.

Ich hörte Schritte hinter uns, und als ich mich umdrehte, sah ich Portia, ganz in Schwarz gekleidet, in der Robe eines Rechtsgelehrten, mit einem angeklebten Bart im Gesicht, gefolgt von Nerissa, die ebensolche Kleider trug, dazu den Hut eines Sekretärs, mit einer Schreibschatulle in Händen, ganz ähnlich der, die ich in jenen Anfangstagen für Shylock getragen hatte.

Der Doge reichte Portia die Hand, und sie beugte sich beherzt darüber wie ein Junge. Als Nerissa mir von ihrem Plan berichtet hatte, dachte ich, er würde nie gelingen, doch hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich Portia für einen jungen Mann gehalten, wenn auch mit besonders feinen Zügen. Auch Nerissa verbarg ihre weiblichen Formen unter dem Umhang und trug hohe Stiefel, damit ihre zarten Fesseln nicht zu sehen waren.

»Ihr kennt den Fall und Bellarios Urteil?«, fragte der Doge.

»Jawohl, Euer Hoheit«, sagte Portia. »Ich bin über den Fall wohlinformiert. Welcher ist Antonio, und welcher ist der Jude?«

»Keine Ahnung, Süße«, flüsterte ich Jessica zu, »vielleicht der mit dem knallgelben Judenhut, der sein Messer am Stiefel wetzt?«

Jessica kicherte allzu mädchenhaft in ihrer Verkleidung, und ich sah mich gezwungen, ihr meinen Ellenbogen in die Seite zu rammen, woraufhin sie nur noch mehr kichern musste, wenn auch lautlos, und mich selbst mit ihrem Ellenbogen stieß.

Bevor ich reagieren konnte, drängte sich Nerissa zwischen mich und Drool. »Fesch siehst du aus«, sagte sie und gab sich keine Mühe, in irgendeiner Weise wie ein junger Mann zu klingen.

»Danke gleichfalls«, flüsterte ich. »Schicker Bart. Doch deine Brüste abzubinden scheint mir eine Sünde, als würdest du dein Lichtlein unter den Scheffel stellen, nicht wahr?«

»Schscht«, machte sie.

»Ist Euer Name Shylock?«, fragte Portia den Juden.

»Shylock ist mein Name. Murray Shylock.«

»Murray? Der verfluchte Shylock heißt mit Vornamen Murray?«, sagte ich zu Jessica, die mich von der anderen Seite schweigen hieß.

»Nicht gerade ein biblischer Name, oder?«, sagte Nerissa.

Jessica hieß uns beide schweigen.

»Von wunderlicher Art ist Euer Handel, wenngleich in der Form, dass das Gesetz Venedigs Euch nicht anfechten kann, wie Ihr verfahrt.« Sie wandte sich Antonio zu. »Ihr seid von ihm gefährdet, seid Ihr’s nicht?«

»Aye, so sagt er«, sagte Antonio.

»So muss der Jude barmherzig sein«, sagte Portia.

»Wodurch genötigt muss ich?«, fragte Shylock, der sein Messer mittlerweile mit großer Geste an der Lederscheide wetzte.

»Barmherzigkeit kann nicht erzwungen werden«, sagte Portia, während sie auf und ab schritt wie vor einer Schulklasse. »Sie träufelt wie des Himmels milder Regen zur Erde unter ihr. Ein Segen zweifacher Art. Sie segnet den, der gibt, und den, der nimmt. In ihr wohnt Gottes Wesen, und ird’sche Macht kommt göttlicher am nächsten, wenn Barmherzigkeit ihr Recht veredelt. Drum, Jude, erwäge dies: Wir beten all um Barmherzigkeit, und gerade dies Gebet lehrt alle uns, zu üben durch Wort und Tat Barmherzigkeit. So musst du deine Forderung mildern, sonst muss dies Gericht dem strengen Recht Venedigs folgend ein Urteil gegen jenen Kaufmann fällen.«

»Ich verlange keine Gnade. Was ich tu, komme auf mein Haupt«, sagte Shylock. »Ich fordere das Gesetz, die Buße und Verpfändung meines Scheins.« Zweimal wetzte er das Messer an der Lederscheide.

Portia nickte. »Ist er das Geld zu zahlen nicht imstand?«

»O doch«, rief Bassanio, »hier biete ich’s ihm vor dem Gericht, ja, doppelt selbst – wenn das noch nicht genügt, verpflicht ich mich, es zehnfach zu bezahlen, und setze Herz und Hand zum Pfand, damit dieser arge Teufel seinen Willen nicht bekommt.«

»Das müsste Shylock gefallen«, sagte ich zu Jessica, »so gern wie ihr Leutchen an anderen rumschnippelt.« Dann sagte ich zu Nerissa: »Wie ist Bassanio so plötzlich an sechstausend Dukaten gekommen?«

»Neuntausend«, erwiderte Nerissa. »Als die Nachricht von Desdemonas Tod eintraf, gaben die Advokaten das Gold frei, das Portia für die Lotterie um ihre Hand bezahlt worden war. Gestern Nacht hat sie Bassanio heimlich geheiratet.«

»Nun, so viel zu den drei Kästchen.«

»Hast du in das eine reingeschissen?«

»Moi?«, sagte ich in perfektem Froschfresserisch.

»Du hast in dem einen Kästchen einen Haufen hinterlassen, stimmt’s?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Nicht ungarniert. Ich habe mit meinem Messer etwas Blattgold vom Tischbein geschabt und darüber gestreuselt.«

»Du bist ein wahrlich böser Wicht, Pocket.«

»Ich? Du wolltest, dass ich ihr die Kehle durchschneide.«

»Mir war so melancholisch.«

»Rotes Zelt?«

»Bitte?«

»Jüdisches Ding.«

»Ich reiß dir gleich dein krummes, kleines Ohr ab, Pocket«, sagte Jessica.

»Schscht«, machte ich zu beiden. Verbitterte Hexen. Allerdings trug Jessica ein Messer bei sich.

»Es darf nicht sein«, sagte Portia zu Bassanio. »Kein Ansehen in Venedig vermag ein gültiges Gesetz zu ändern. Es würde als ein Vorgang angeführt, und mancher Fehltritt nach demselben Beispiel griff um sich in dem Staat.«

»O weiser Richter«, sagte Shylock, »o ehrenhafter junger Mann.«

»Ich bitte, gebt zum Ansehen mir den Schein.« Der Gerichtsdiener reichte ihn an sie weiter. Sie entfaltete ihn und las. »Shylock, man bietet dreifach dir dein Geld. Sei barmherzig: Nimm es an, lass mich den Schein zerreißen!«

»Ein Eid! Ich habe vor dem Himmel einen Eid geschworen. Soll ich auf meine Seele Meineid laden? Nein, nicht für Venedig.«

»Dann ist dieser Anspruch fällig«, sagte Portia. »Und nach dem Recht kann der Jude hierauf verlangen ein Pfund Fleisch, zunächst am Herzen des Kaufmanns auszuschneiden. Shylock, nimm dreifach Geld, lass mich den Vertrag zerreißen!«

»Nimm es, du sturer Bock!«, wurde eine Stimme ganz in meiner Nähe laut, gefolgt von einem Aufruhr ähnlicher Stimmen aus der Menge.

Ich sah Jessica an, die sich mit beiden Händen den Mund zuhielt, die Augen vor Bestürzung groß. »Ist mir so rausgerutscht«, erklärte sie.

»Du sollst deine Mutter und deinen Vater ehren, steht das nicht so in eurem Buch?«, sagte ich.

»Aye, gleich nach der ersten Lektion der Bibel, die da lautet: ›Du sollst keinen Drachen poppen.‹«

»Gutes Argument, wohlformuliert«, sagte ich.

»Wer ist das?«, fragte Nerissa.

»Dem ist Shylocks Tochter«, sagte Drool.

»Sieht aus wie ein Junge.«

»Aye«, sagte der Dussel, »sie ist Piratenlehrling.«

»Und was bist du?«

»Narrenlehrling.«

»Mit ihrer Stimme wirst du sprechen, Drool«, flüsterte ich dem Riesen zu.

Vorn vor dem Gericht gab Shylock nicht nach: »Nein, Euer Hoheit, Ihr kennt die Rechte und scheint mir ein verdienter Richter zu sein. Kommt nun zum Spruch. Bei meiner Seele schwör ich, dass keines Menschen Zunge mich mehr umstimmen kann. Ich bestehe auf meinem Anspruch.«

»Idiot«, raunte ich meinem Gefolge zu.

Entschlossen trat Antonio vor. »Von ganzem Herzen bitt ich das Gericht, den Spruch zu tun. Kein menschlich Wort kann diesen Juden umstimmen.«

»Nun wohl, so steht es denn«, sagte Portia. »Bereitet Euren Busen für sein Messer.«

»O weiser Richter«, sagte Shylock, »o wackrer, junger Mann.«

»Fesselt ihn«, sagte Portia.

Da schien Antonio alle Entschlossenheit zu verlieren, die er in sich gefunden hatte, denn er war im Begriff, in Ohnmacht zu fallen. Jago und Bassanio fingen ihn auf. Gerichtsdiener brachten einen Stuhl herein, den man vor das Podium stellte. Ein Stöhnen und Stimmen von »Zeig Gnade!« bis »Verflucht sei der jüdische Teufel!« wurden aus der Menge laut.

»Hast du eine Waage, um das Fleisch zu wägen?«, fragte Portia.

»Hab ich«, sagte Shylock.

»Und hast du einen Arzt zur Stelle, ihn zu verbinden, dass er nicht verblutet?«

»Ich dachte, ich schneide los und guck mal, was passiert«, sagte Shylock. »Meine Tochter hätte einen Arzt heiraten können, den hätte ich dann mitgebracht. Doch nein – welch Dorn in meinem Herzen –, sie hat ihren eigenen Kopf. Also: nein.«

»Dann ist es jetzt meine Schuld, wenn Antonio verblutet?«, fragte Jessica. »Das ist doch ein Kübel kriechender Krakenwichse.«

»Ich bete dich an«, sagte ich.

»Ja, genau, am Arsch die Räuber«, sagte Jess, die Piratin.

»Dann fahr fort, Jude«, sagte Portia.

Gerichtsdiener nahmen Antonio und fesselten ihn an den Stuhl, während er unablässig davon palaverte, wie sehr er Bassanio liebe und dass der Junge kein schlechtes Gewissen haben solle, weil er nun sterben müsse, und er dürfe sich keine Schuld geben, denn das Unglück sei anderen Mächten und Antonios eigenem Handeln zuzuschreiben. Ehrlich gesagt, habe ich nicht richtig zugehört.

»Was hat Portia vor?«, fragte ich Nerissa.

»Ich glaube, sie hatte gehofft, sie könnte Shylock seine Rache ausreden.«

»Ich würde sagen, dieser Plan ist mit Pauken und Trompeten abgesoffen.«

»Ich glaube, sie hat wohl ihre Überredungskünste ein wenig überschätzt, die sie beim Handeln mit Schuhverkäufern gelernt hat. Aber offen gesagt, sie ist durchaus begabt. Wir stünden hier inzwischen alle in Strumpfsocken, wenn sich der Prozess mit diesem Thema befasst hätte.«

Shylock strich sein Messer noch zweimal über die Lederscheide, dann trat er vor Antonio, um ihm die Klinge an die Brust zu setzen.

»Warte!«, sagte Portia.

»Warte!«, sagte Bassanio.

»Warte!«, sagte Jago.

»Warte!«, sagte ich.

»Ihr zuerst«, sagte Portia zu Bassanio.

»Nach Euch«, sagte Jago zu Bassanio.

»Mach hinne«, sagte ich. Eigentlich wollte ich gerade vorschlagen, dass Shylock ein stumpfes Messer nehmen sollte, damit es noch schmerzhafter wurde. Bei all seiner edlen Höflichkeit war Antonio immerhin daran beteiligt gewesen, meine Cordelia und mich zu meucheln, ganz zu schweigen von dem Befehl, Shylock zu ermorden und zweifelsohne Jessica, wenn sich die Gelegenheit geboten hätte. Allem Anschein nach jedoch zögerten die anderen die Ausführung hinaus.

»Antonio«, sagte Bassanio, »ich hab ein Weib zur Ehe, die mir so lieb ist als mein Leben selbst und alle Welt, doch gäbe ich sie und alles hin, um dich zu befreien, mein Freund.«

Portia stemmte ihre Fäuste in die Hüften, was ihre weiblichen Formen unter den Männerkleidern verriet. »Ihr würdet Shylock also Eure Frau anbieten, im Tausch gegen Euren Freund, Bassanio?«

»Nicht für das mit dem Pfund Fleisch. Nur für eine Nacht, dachte ich.«

Selbst Shylock sah Bassanio an, als hätte er den Verstand verloren.

»Sie ist wunderschön und riecht nach Rosenknospen«, fügte Bassanio hinzu.

»Ich schneide ihn auf«, sagte Shylock.

»Warte!«, sagte Portia. »Zwar sichert dir dieser Vertrag ein Pfund Fleisch, doch darf es nicht bluten. Nimm also ein Pfund Fleisch, doch solltest du dabei auch nur einen Tropfen Christenblut vergießen, dann hast du dem Gesetz Venedigs nach dein Leben verspielt, und dein Hab und Gut fällt an den Staat.«

»Ist das Gesetz?«, fragte Shylock.

»Allerdings«, sagte Portia.

»Dann nehme ich die neuntausend Dukaten und lasse Antonio gehen.«

»Nein!«, sagte Portia. »Der Jude soll sein Recht bekommen. Er soll die Buße haben, weiter nichts.«

»Gut«, sagte Shylock, »dann nehme ich die Frau von diesem Burschen für eine Nacht.«

»Das ist nicht Teil des Vertrages. Selbst Bassanio wird auf seine Frau vermutlich eine Nacht verzichten müssen. Für mehrere Nächte.«

»Ist das Gesetz?«, fragte Bassanio.

»Allerdings«, antwortete Portia. »Also, Shylock, darum bereite dich, das Fleisch zu schneiden, doch vergieß kein Blut und nimm kein Gramm weniger als ein Pfund und auch kein Jota mehr, auf dass sich die Waagschale nicht einmal um die Breite eines Haares neigt. Exakt ein Pfund.«

»Exakt?«, fragte Shylock. Er sah den Dogen an. »Das denkt sich der junge Richter doch aus. Gebt mir mein Kapital und lasst mich gehn.«

»Ich habe es schon für dich bereit. Hier ist’s!«, sagte Bassanio.

»Er hat’s vor offenem Gericht geweigert«, sagte Portia. »Sein Recht nur soll er haben und das Pfand, das er auf eigene Gefahr mag nehmen.«

Shylock ließ sein Messer los, das klappernd auf den Marmorboden fiel. »Soll der Teufel ihm die Dukaten geben. Ich will nicht länger Rede stehn.«

»Wart, Jude«, sagte Portia und hob die Hand, um Shylock aufzuhalten. »Das Recht hat andern Anspruch noch an dich. Wenn es einem Fremdling nachgewiesen, dass er durch Umweg oder geradezu dem Leben eines Bürgers nachgestellt, soll die Partei, auf die sein Anschlag geht, die Hälfte seiner Güter an sich ziehen. Die andere Hälfte fällt dem Staat anheim. Und einzig an des Dogen Gnade hängt das Leben des Schuldigen.«

Shylock sank auf die Knie, atemlos, sprachlos ob dieser Erklärung. Jessica packte meinen Arm und grub ihre Fingernägel hinein.

»Was wäre«, rief ich, »wenn der, gegen den sich hier verschworen wurde, selbst ein Verräter am Staat wäre, wenn er die Königin eines Verbündeten Venedigs ermordet hätte, wenn er den Tod des obersten Flottengenerals und seiner Frau zu verantworten hätte und plante, sogar den Dogen zu ermorden und zu ersetzen? Was dann?«

Portia drehte sich, nein, alle drehten sich zum hinteren Teil des Saales um, wo ich stand. Natürlich konnten sie mich nicht sehen, weil ich so scheißklein bin, doch sie sahen Drool und stöhnten auf.

»Na, das wäre dann etwas anderes«, sagte Portia.

»Wer sprach da?«, fragte der Doge. »Er trete vor.«

»Augenblick mal!«, rief Jago.