10

Roanna schlief selten gut, aber sie war so erschöpft von dem anstrengenden Reisetag und der emotionalen Achterbahnfahrt, daß sie, als Webb sie schließlich in Ruhe ließ, sofort in einen traumlosen Schlaf verfiel. Ganz benommen erwachte sie und blickte verwirrt um sich; aber sie hatte sich über die Jahre daran gewöhnt, an unvorhergesehenen Orten aufzuwachen, daher geriet sie nicht in Panik.

Statt dessen lag sie still da und ließ die Realität langsam in ihr Bewußtsein ein. Allmählich wurde sie nun doch einiger überraschender Dinge gewahr: erstens war dies nicht Davenport, zweitens war sie nackt und drittens sehr, sehr wund an gewissen Stellen.

Da fügte sich mit einem Mal wieder alles zusammen, und sie schoß erschrocken hoch, um nach Webb Ausschau zu halten. Umsonst!

Er war aufgestanden, hatte sich angezogen und sie einfach in diesem schmierigen kleinen Motel alleingelassen. In der Nacht hatte seine Leidenschaft die dicken Eisschichten, die sie umgaben, ein wenig aufgetaut; doch während sie so dasaß in dem zerwühlten Bett, fühlte sie, wie sich diese Schicht allmählich wieder verhärtete.

Das war wohl ihr Schicksal, wie es schien. Von ihrer Seite bestanden keinerlei Vorbehalte, aber er konnte sie trotzdem nicht lieben. Nun, jetzt wußte sie es genau. Mit ihrem Körper hatte sie ihm auch ihr Herz geschenkt, während er sie einfach bloß benutzt hatte.

War sie wirklich so dumm gewesen, zu meinen, ihm würde tatsächlich etwas an ihr liegen? Warum auch? Sie hatte ihm nichts als Scherereien bereitet. Wahrscheinlich fand er sie nicht mal besonders anziehend. Webb hatte schon seit jeher jede Frau bekommen, die er haben wollte, selbst die Superstars. Sie konnte sich nicht mit dem Typ vergleichen, an den er normalerweise gewöhnt war, weder was ihr Gesicht noch was den Körper betraf; sie hatte bloß gerade den richtigen Moment erwischt, und er war geil genug gewesen, die Gelegenheit, sich ein wenig zu entspannen und zu amüsieren, zu ergreifen. Mehr erwarten durfte sie nicht.

Inzwischen vollkommen erstarrt, schälte sie sich aus den Laken. Sie achtete nicht auf das Brennen zwischen ihren Schenkeln. Da bemerkte sie den Zettel auf dem anderen Kissen, eine kurze Notiz, die auf einen Block mit dem Namen des Motels gekritzelt war. Sofort erkannte sie Webbs zackige, ausladende Schrift. »Bin bis zehn wieder zurück«, stand darauf. Es gab keine Unterschrift, aber das war ja auch nicht nötig. Roanna strich vorsichtig über den Zettel, riß ihn ab und faltete ihn sorgfältig zusammen. Dann steckte sie ihn in ihre Handtasche.

Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr: halb neun. Noch anderthalb Stunden. Anderthalb Stunden Gnadenfrist, bevor sie sich anhören mußte, daß letzte Nacht ein Fehler war, den er nicht zu wiederholen gedächte.

Auf alle Fälle beschloß sie, sich wieder hinter ihrer zugeknöpften Fassade zu verstecken, damit sie wenigstens nicht mitleiderregend aussah, wenn er ihr den Laufpaß gab. Sein Mitleid konnte sie nicht auch noch ertragen.

Ihre Sachen waren ebenso schlaff wie zerknittert, wie sie sich fühlte. Zunächst einmal wusch sie ihre Unterwäsche aus und legte sie über die laut brummende Klimaanlage zum Trocknen; dann drehte sie das Ding auf Heizen und den Ventilator auf die höchste Stufe. Ihre Bluse und Hose nahm sie mit in das winzige Badezimmer und hängte sie an den Haken hinter der Tür. Dann betrat sie die Dusche. Die Kabine war so klein, daß man sich darin kaum umdrehen konnte, der Fliesenboden wies jede Menge Risse und gelbe Wasserflecken auf. Die Naßzelle füllte sich rasch mit Dampf, und bis sie fertig war, hatten sowohl Bluse als auch Hose ein frischeres, weniger zerknittertes Aussehen angenommen.

Die Klimaanlage arbeitete eher laut als wirkungsvoll, dennoch wurde es im Zimmer einigermaßen stickig. Sie schaltete das Gerät ab und prüfte ihr Höschen; es war trocken bis auf den Bund. Trotzdem zog sie es an und danach auch hastig den Rest ihrer Sachen, falls Webb früher zurückkäme. Zwar hatte er bereits alles an Roanna gesehen, was einen Mann interessierte, und es auch berührt, aber das war letzte Nacht gewesen. Sein heimlicher Aufbruch heute morgen bewies ihr unzweifelhaft, wieviel sie ihm bedeutete: ein vorübergehendes physisches Abenteuer, nicht mehr.

Sie kämmte ihr glattes Haar und ließ es von der Luft trocknen. Das war das Gute an einem perfekten Schnitt: Die Frisur saß von alleine. Das bißchen Gepäck, das sie mitgenommen hatte, lag noch im Kofferraum ihres Mietwagens, der wohl auf dem Parkplatz vor der gestrigen Schmuddelbar stand; leider wußte sie nicht genau, wo sie sich befand beziehungsweise wie weit davon entfernt. Alles, was sie an Schminke in ihrer Handtasche hatte, waren ein Kompaktpuder und ein Lippenstift. Rasch richtete sie sich her, denn sie wollte nicht länger in den Spiegel schauen als unbedingt nötig.

Durch die geöffnete Tür ließ sie frische Morgenluft herein und schaltete dann den kleinen Fernseher, der an der Wand festgekettet war, an. Sie setzte sich in den einzigen Stuhl, ein unbequemes Ding mit einem zerrissenen Vinylsitz, der aussah, als stammte er aus einem Krankenhauswartesaal.

Die laufende Talk-Show flimmerte unbeachtet über sie hinweg. Es war die Geräuschkulisse, die sie brauchte. Auch zu Hause schaltete sie oft zum Einschlafen ihren eigenen Fernseher an, damit sie die Stimmen hörte und das Gefühl los wurde, vollkommen verlassen zu sein.

So saß sie noch, als ein Wagen direkt vor der Tür anhielt. Eine Staubwolke wehte herein, und der Motor wurde abgeschaltet. Ausstiegsgeräusche und Schritte wurden laut auf dem Asphalt – dann tauchte Webb in der Tür auf. Er stand vor der blendenden Sonne, seine breiten Schultern füllten den Rahmen beinahe vollständig aus.

Das Zimmer betrat er nicht. Alles, was er sagte, war: »Bist du fertig?« Wortlos stand sie auf, schaltete das Licht und den Fernseher ab und nahm ihre Handtasche.

Er begleitete sie zur Beifahrerseite. Der Südstaaten-Gentleman war also doch noch nicht ganz verschwunden, trotz einer Dekade selbstauferlegten Exils. Roanna kletterte hinein, wobei sie darauf achtete, nicht durch ihre Mimik zu verraten, daß ihre Beweglichkeit litt. Jetzt, bei Tag, konnte sie sehen, daß sein Pick-up armeegrau war, auch im Innern, und noch ziemlich neu. Es gab einen extra Schaltknüppel, was bedeutete, daß er Vierradantrieb haben mußte, wahrscheinlich unverzichtbar auf den Viehweiden.

Als Webb hinters Lenkrad schlüpfte, warf er ihr einen rätselhaften Blick zu. Einerseits könnte sie ihn womöglich mit einem Hochzeitstermin überfallen, andererseits mit einem Wutanfall, weil er sich heute morgen einfach davongemacht hatte. Aber Roanna saß nur stumm da.

»Hast du Hunger?«

Sie schüttelte den Kopf. Dann fiel ihr ein, daß er immer gerne eine verbale Antwort haben wollte. »Nein, danke.«

Er preßte die Lippen zusammen, ließ den Motor an und fuhr dann rückwärts aus der Parklücke. »Du wirst aber was essen. Du hast ein bißchen zugenommen, und es steht dir gut. Ich lasse dich nicht ohne was im Magen zurückfliegen!«

Sie hatte noch keinen Rückflug gebucht, da ja der Ausgang der Dinge ungewiß war. Schon machte sie den Mund auf, um ihm das mitzuteilen, da sah sie den rebellischen Ausdruck in seinen Augen und erkannte, daß er sich wohl um den Rückflug gekümmert haben mußte.

»Wann fliege ich?«

»Um eins. Ich habe einen Direktflug von Tucson nach Dallas für dich ergattert. Der Anschluß in Dallas ist etwas knapp, nur eine Dreiviertelstunde, aber du wirst zu einer vernünftigen Zeit in Huntsville ankommen. Um zehn, halb elf kannst du heute abend zu Hause sein. Möchtest du anrufen, damit dich jemand abholt?«

»Nein.« Sie war selbst zum Flughafen gefahren, weil niemand bereit gewesen war, um halb vier Uhr morgens den Chauffeur zu spielen. Nein, das stimmte nicht ganz. Sie hatte niemanden darum gebeten, bat nie jemanden um irgend etwas.

Bis sie gegessen haben würde, worauf er anscheinend bestand, müßte sie fast sofort aufbrechen, damit sie ihren Mietwagen wieder abgeben und dennoch pünktlich am Flugsteig sein könnte. Er ließ ihr keine Zeit zum Atmen, wahrscheinlich mit Absicht. Reden war ihm sicher lästig, genauso wie ein längeres Zusammensitzen.

»Es gibt einen kleinen Club, nicht weit von hier, dort servieren sie Frühstück bis elf. Man ißt Hausmannskost, aber gute.«

»Laß mich einfach bei der Bar raus, wo mein Wagen parkt«, sagte sie und blickte dabei aus dem Seitenfenster, überall hin, bloß nicht zu ihm. »Ich halte dann mal bei einem McDonald's.«

»Das bezweifle ich«, erwiderte er grimmig. »Ich will mit eigenen Augen jeden Bissen in deinem Mund verschwinden sehen.«

»Hin und wieder esse ich schon«, meinte sie milde. »Ich kann es jetzt.«

»Dann macht es dir ja nichts aus, wenn ich zuschaue.«

Sie kannte diesen Ton; so klang er, wenn er etwas beschlossen hatte, und da konnte man sich das Argumentieren ebensogut sparen. Als sie noch jünger war, hatte ihr dieser Ton immer ein eigenartiges Gefühl der Sicherheit beschert: Er symbolisierte seine solide, unbeugsame Verläßlichkeit und Stärke, etwas, das sie nach dem Tod ihrer Eltern dringend gebraucht hatte. Irgendwie stellte er das noch immer dar; er mochte sie ja vielleicht nicht besonders, begehrte sie wohl nicht grundsätzlich; aber zumindest wollte er nicht zulassen, daß sie verhungerte.

Das kleine Restaurant, zu dem er sie brachte, war nicht viel größer als die Küche in Davenport: ein paar Sitznischen, ein paar Tische und vier Barhocker vor dem Tresen. Es roch herrlich nach gebratenem Speck und Würstchen, dazu nach Kaffee und scharfen Chillies. Zwei sonnenverbrannte alte Männer saßen in einer der hinteren Nischen, und beide blickten interessiert auf, als Webb Roanna in eine Ecke führte.

Eine dünne Frau unbestimmten Alters, deren Haut ebenso braun und ledrig war wie die der beiden Alten, kam zu ihnen. Sie zog einen grünen Block aus der Hüfttasche ihrer Jeans und hielt den Stift bereit, um ihre Bestellung zu notieren.

Anscheinend gab es keine Speisekarte. Roanna blickte Webb fragend an. »Ich nehme Pancakes, Spiegeleier mit Schinken, die große Portion«, sagte er, »und für sie ein Rührei mit Toast und Speck. Kaffee für uns beide!«

»Spiegeleier gibt es nur noch gewendet. Ist 'ne neue Vorschrift, wissen Sie«, erläuterte die Kellnerin.

»Also gut, dann gewendet, aber wachsweich bitte.«

»Null Problemo.« Die Bedienung riß das Blatt vom Block, während sie zu einer Durchreiche hinter dem Tresen ging. Sie legte den Zettel dorthin. »Betts! Hab 'ne Bestellung.«

»Du ißt wohl oft hier«, erkundigte Roanna sich.

»Fast immer, wenn ich in der Stadt bin.«

Ihr lag eine zweideutige Bemerkung über wachsweiche Eier auf der Zunge, doch sie beherrschte sich. Wie leicht es doch ist, bei ihm wieder in die alten Gewohnheiten zu verfallen, dachte sie traurig. Aber sie hatte gelernt, ihre flinke Zunge im Zaum zu halten, denn die meisten Leute stießen sich daran, sogar an ihren harmloseren Bemerkungen. Webb hatte nie zu ihnen gehört, aber vielleicht bloß aus Freundlichkeit.

Die Kellnerin stellte zwei dampfende Tassen Kaffee vor sie hin. »Milch?« fragte sie, und Webb verneinte, womit er für sie beide ablehnte.

»Ich brauche mindestens eine, vielleicht auch zwei Wochen, um hier alles zu regeln, damit ich wegkann«, fing er plötzlich an. »Die Ranch will ich behalten, also werde ich immer mal wieder pendeln müssen. Davenport wird nicht mein einziges Interesse sein.«

Sie nippte an ihrem Kaffee, um ihre Erleichterung zu verbergen. Er kam also doch nach Hause! Er hatte es bereits in Aussicht gestellt, wenn sie mit ihm ins Bett ging – doch bis jetzt war sie sich nicht sicher gewesen, ob er es ernst gemeint hatte. Für sie persönlich stand der Entschluß fest, selbst wenn sie gewußt hätte, daß er log; wie auch immer, letzte Nacht war ein Traum für sie wahr geworden, und sie hatte die Gelegenheit Hals über Kopf ergriffen.

»Lucinda würde nicht von dir erwarten, daß du die Ranch verkaufst«, sagte sie.

»Bullshit! Sie glaubt, die Welt dreht sich nur um Davenport. Es gibt nichts, das sie nicht tun würde, um den Fortbestand zu sichern.« Er lehnte sich zurück und streckte seine langen Beine aus, wobei er sorgfältig darauf achtete, nicht mit den ihren in Kontakt zu kommen. »Erzähl mir, was so los ist bei euch. Mutter hat mir ein paar Dinge berichtet und auch Tante Sandra, aber keine von beiden kennt euren Alltag. Ich weiß bloß, daß es Gloria geschafft hat, ihre ganze Sippschaft in Davenport einzuquartieren.«

»Nicht alle. Baron und seine Familie leben nach wie vor in Charlotte.«

»Die Aussicht, unter demselben Dach mit Lanette und Corliss leben zu müssen, könnte mich dazu verleiten, mir eine eigene Bleibe in der Stadt zu kaufen.«

Roanna sagte nicht, daß sie ihm beipflichtete; aber sie wußte genau, was er meinte.

»Was ist mit dir?« fuhr er fort. »Ich weiß, daß du in Tuscaloosa auf der Universität warst. Warum hast du deine Meinung geändert? Wolltest du nicht auf ein örtliches College gehen?«

Sie hatte die Ferne gewählt, weil das für lange Zeit einfacher gewesen war, als zu Hause zu bleiben. Ihre Schlafstörungen vergingen dort, und die Erinnerungen quälten sie nicht mehr so. Aber es hatte über ein Jahr gedauert, bis sie zum Studium abreisen konnte, und es war ein furchtbares Jahr gewesen.

Davon erzählte sie ihm jedoch nichts. Statt dessen zuckte sie mit den Schultern und sagte: »Du weißt ja, wie das ist. Man kann zwar vorwärtskommen – aber wenn man all die richtigen Leute kennenlernen will, muß man schon die Universität besucht haben.« Welche Universität, das brauchte sie nicht extra zu erwähnen, denn Webb war auf dieselbe gegangen.

»Hast du die Studentenclubs und all die gesellschaftlichen Aktivitäten mitgemacht?«

»Das wurde erwartet.«

Ein zögerndes Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. »Irgendwie kann ich mir dich nicht so recht als Nachtschwärmer vorstellen. Wie bist du denn mit den vielen Society-Snobs zurechtgekommen?«

»Ganz gut.« Tatsächlich waren sie sehr nett zu ihr gewesen. Von ihnen hatte sie gelernt, wie man sich richtig anzog, schminkte und Small talk machte. Sie hatten sie wohl als Herausforderung betrachtet, als eine Art Vorher-Nachher-Projekt.

Die Bedienung brachte ein Tablett mit drei Tellern dampfend heißen Essens. Zwei davon stellte sie vor Webb hin, den anderen vor Roanna. »Rufen Sie mich, wenn Sie nachgeschenkt haben wollen«, sagte sie freundlich und ließ sie allein.

Webb stürzte sich auf sein Essen, strich seine Pancakes dick mit Butter ein und ertränkte sie anschließend in Sirup. Dann salzte und pfefferte er ausgiebig seine Eier. Die dicke Scheibe Schinken nahm fast die Hälfte des Tellers ein. Roanna starrte den Berg von Genüssen an und dann seinen stählernen Körper. Sie versuchte sich vorzustellen, wie hart man wohl arbeiten mußte, um eine solche Menge Kalorien zu brauchen, und ihre Achtung vor ihm wuchs noch.

»Iß«, knurrte er.

Gehorsam nahm sie ihre Gabel. Früher wäre ihr das unmöglich gewesen, aber dadurch, daß sie ihre Emotionen mittlerweile beherrschte, hatte auch ihr Magen sich ein wenig beruhigt. Der Trick war, sich Zeit zu lassen und ganz kleine Bissen zu nehmen. Normalerweise hatte sie, wenn jeder andere fertig war, die Hälfte ihrer Portion geschafft, und das genügte ihr.

Diesmal war es ebenso. Als Webb sich gesättigt zurücklehnte, legte Roanna ebenfalls die Gabel beiseite. Er musterte ihren Teller lange und eingehend, als ob er überlegte, wieviel in ihrem Magen gelandet war; aber zu ihrer Erleichterung beharrte er nicht darauf, daß sie weiteraß.

Nun, da sie gefrühstückt hatten, fuhr er sie zu der Bar. Ihr Mietwagen stand allein und verloren auf dem staubigen Parkplatz. Ein Schild mit der Aufschrift »GESCHLOSSEN« hing schief am Eingang. Bei Tageslicht sah die Kneipe sogar noch heruntergekommener aus als in der Nacht.

Staub wirbelte auf, als er bremste, und Roanna nutzte die Zeit, bis die Luft wieder klar war, um ihren Wagenschlüssel aus ihrer Handtasche zu fischen. »Danke für das Frühstück«, sagte sie, als sie die Tür aufmachte und ausstieg. »Ich werde Lucinda sagen, daß sie dich erwarten kann.«

Er verließ ebenfalls sein Gefährt und ging mit ihr zu ihrem Mietwagen. Vor der Fahrertür blieb er stehen, so daß sie sie nicht aufmachen konnte. »Wegen letzter Nacht«, begann er.

Ihr wurde schlecht. Himmel, sie konnte sich das nicht anhören. In der Hoffnung, daß er den Wink verstehen und beiseite gehen würde, steckte sie den Schlüssel ins Schloß. Er rührte sich nicht.

»Was ist damit?« gelang es ihr, in ausdruckslosem Ton herauszuquetschen.

»Das hätte nicht passieren dürfen.«

Sie ließ den Kopf hängen. Es war das Beste, was ihr je in ihrem Leben widerfahren war, und er wollte es ungeschehen machen!

»Verdammt noch mal, schau mich an, wenn ich mit dir rede!« Wie letzte Nacht packte er ihr Kinn und hob ihren Kopf, damit sie ihn anblicken mußte. Er hatte den Hut tief ins Gesicht gezogen, so daß seine Augen überschattet waren; doch trotzdem konnte sie seine grimmige Miene sehen und wie er seinen Mund zusammenkniff. Ganz sanft strich er mit dem Daumen über ihre Lippen. »Ich war zwar nicht betrunken, aber ich hatte trotzdem ein bißchen zuviel intus. Du warst noch Jungfrau. Ich hätte das nicht zu einer Bedingung für meine Rückkehr machen dürfen, und es tut mir aufrichtig leid.«

Roanna hielt sich ganz still. Ihr Rücken war kerzengerade. »Es war genauso meine Initiative wie deine.«

»Nicht ganz. Du wußtest nicht genau, worauf du dich einläßt. Ich andererseits war mir sicher, daß du nicht nein sagen würdest.«

Sie konnte seinem harten, grünfunkelnden Blick nicht entkommen. Es war ganz so wie letzte Nacht, als sie sich vor ihm ausgezogen hatte, nur daß sie sich jetzt emotional nackt fühlte. Ihre Unterlippe zitterte ein wenig, und sie riß sich sofort wieder zusammen. Abstreiten war sinnlos, denn ihr Verhalten hatte ihm bereits recht gegeben. Als er ihr die Gelegenheit gab, das Ganze abzublasen, hatte sie ihn praktisch gebettelt weiterzumachen.

»Aus dem, was ich für dich empfinde, habe ich nie ein Geheimnis gemacht«, sagte sie schließlich. »Du hättest nie mehr tun müssen, als mit dem Finger zu schnippen, und ich wäre angerannt gekommen; du hättest immer schon mit mir machen können, was du wolltest.« Mühsam rang sie sich ein Lächeln ab. Es war nicht viel, aber immer noch besser als Heulen. »Daran hat sich nichts geändert.«

Er forschte in ihren Zügen, versuchte die Distanz in ihrem Gesichtsausdruck zu durchdringen. Zorn und Frustration flammten in seinen Augen auf. »Jedenfalls sollst du wissen, daß meine Rückkehr nicht davon abhängt, ob du mit mir ins Bett gehst. Du mußt dich nicht zur Hure machen, bloß damit Lucinda bekommt, was sie will.«

Diesmal konnte sie ein leichtes Zusammenzucken nicht verhindern. Sie zog den Kopf weg und rang sich ein weiteres Lächeln ab. Es wirkte noch angespannter als das erste. »Alles klar«, sagte sie mit erzwungener Gelassenheit. »Ich werde dich nicht länger belästigen.«

»Aber das tust du, zum Teufel noch mal«, fuhr er auf. »Du belästigst mich schon fast dein ganzes Leben lang.« Er beugte sich vor und blickte sie böse an. »Du belästigst mich, wenn du dich im selben Raum aufhältst. Sogar dein Atmen belästigt mich.« Wütend riß er sie in seine Arme und preßte seinen Mund auf den ihren. Roanna war so überrascht, daß sie sich nicht wehrte. Sie hing einfach nur in seiner Umklammerung und öffnete ihren Mund unter seiner zornigen Attacke. Der Kuß war tief und leidenschaftlich, seine Zunge drang in sie ein und rieb sich an der ihren, und an ihrem Bauch fühlte sie seine eisenharte Erektion. Dann stieß er sie ebenso abrupt von sich, wie er sie gepackt hatte. »Und jetzt trotte schön brav zu Lucinda und melde: Mission erfüllt! Du kannst ihr erzählen, wie du es geschafft hast oder es bleibenlassen, das ist dein Bier!« Er öffnete die Wagentür und drängte sie hinein, stand daraufhin einen Moment lang da und blickte auf sie hinunter. »Aber du verstehst überhaupt nichts«, sagte er ungerührt.

Dann knallte er die Wagentür zu und marschierte zu seinem Pick-up zurück.