Der Sekretär des Taxators
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Auf der U-Bahn-Fahrt zum Rathaus gelang es mir
nicht ganz, das beschmutzte Gefühl abzuschütteln, das Dees
Eindringen in meinen Kopf hinterlassen hatte. Wenn schon der
Einbruch der Schattenmänner wie ein Übergriff gewesen war, dann
fühlte sich das jetzt an wie eine geistige Vergewaltigung. Das
Schlimmste war, dass ich mich fragen musste, ob er noch immer in
mir war und meine Gedanken auf irgendeine Weise beeinflusste, die
ich mir vielleicht gar nicht vorstellen konnte. Als ich meine
Mitreisenden betrachtete, spürte ich Erschöpfung und Verzweiflung,
aber projizierte ich vielleicht auch meine eigene
Niedergeschlagenheit auf sie? Waren die trüben Auren, die ich um
mich herum sah, reine Halluzination? Waren die Stimmen, die ich
seit meinem Flug mit Ariel hörte, meine eigenen Dämonen, die zu mir
sprachen? Bildete ich mir das alles ein?
Vielleicht drehst du ganz einfach durch,
sagte eine Stimme in meinem Kopf, die halb nach John Dee und halb
nach Robert Osborne klang. Ich hatte jede überwältigende neue
Enthüllung, die ich erfahren hatte, als Beweis
dafür genommen, dass das, was mir geschah, wirklich passierte,
aber was, wenn das alles Halluzinationen waren? Wie konnte ich da
sicher sein?
Am Park Place stieg ich aus. Als ich die U-Bahn
verließ, kam ich an verschiedenen Mosaikaugen vorbei, die in die
Wände eingelassen worden waren. Sie fielen mir nicht zum ersten Mal
auf, aber heute sah ich sie unruhig an, als würden sie mich mit
ihren Blicken verfolgen. Das Gefühl, beobachtet zu werden, konnte
ich auch nicht abschütteln, als ich den Park Place in östliche
Richtung zur City Hall, dem großen New Yorker Rathaus, ging. Nicht
einmal der Anblick von Oberon, der in einem beigefarbenen
Sweatshirt und einer Baseballmütze vor dem Sicherheitscheckpoint am
Broadway auf mich wartete, konnte mir das Vertrauen in meine
geistige Gesundheit wiedergeben. Er konnte schlicht ein Teil des
ganzen Halluzinationsgebäudes sein. Dennoch grüßte ich ihn höflich
– man konnte ja nie wissen.
»Das mit deiner Freundin Becky tut mir leid«, sagte
er. »Ich hatte schon vermutet, dass Dee versuchen würde, über einen
Menschen, der dir nahesteht, an dich heranzukommen, aber ich hatte
eher an deinen Vater gedacht, den ich selbst die meiste Zeit im
Krankenhaus bewache, oder an Jay, den Lol für mich im Blick
behalten sollte.«
»Becky wäre gestorben, wenn Lol nicht gewesen
wäre«, sagte ich und berichtete ihm, wie ich Lol mit den
blutgetränkten Füßen in der Badewanne gefunden hatte. Wie knapp ich
bei meinem Flirt mit der Rasierklinge davongekommen war, verriet
ich ihm jedoch nicht, und meine langen Ärmel verdeckten den
verräterischen Verband. Ich sah, dass er mich genau musterte, und
daher gab ich ihm
schnell einen genauen Bericht aller Ereignisse, die sich gestern
mit Melusine zugetragen hatten. Ein Schatten des Schmerzes zog über
sein Gesicht, als ich ihm schilderte, wie Melusine auf dem Felsen
zerflossen war. Auch er wusste nicht, was man tun konnte, um sie
von ihrem jetzigen Zustand in der Flasche wieder in ihr altes
Selbst zu verwandeln. Die einzige Frage, die er mir stellte, war
die nach John Dees Versteck.
»Gab es irgendwelche Fenster?«
»Fenster? Wieso hätten da Fenster sein sollen? Wir
waren unter dem East River.«
Oberon schüttelte den Kopf. »Das war eine
Projektion seiner wahren Position an einen für ihn günstigen Ort,
zu dem er dich und Melusine gut locken und dann in den Fluss spülen
konnte. Er wusste, dass Melusine das Salzwasser nicht vertragen
würde.«
»Wenn dir das alles schon bekannt war, wieso hast
du sie nicht aufgehalten?«, fragte ich, und Zorn schwang nun in
meiner Stimme mit. Eine Gruppe Frauen, die ebenfalls beigefarbene
T-Shirts und Mützen trugen, sahen in unsere Richtung, als sie durch
die Metalldetektoren gingen, aber niemand schenkte uns besondere
Beachtung.
Oberon lachte über meine Empörung. »Ein
Elementarwesen aufhalten? Da hätte ich genauso gut versuchen
können, die Gezeiten oder die Erdumdrehung zu bremsen. Melusine
wusste, was sie tat. Wenn du bei dem kurzen Blick, den du in Dees
Versteck werfen konntest, irgendetwas Nützliches entdeckt hast,
dann würde sie wollen, dass du es verwendest. Wenn es dort Fenster
gab, dann hast du vielleicht irgendetwas gesehen, das darauf
hindeutete, wo er sich tatsächlich befand.«
Ich schüttelte den Kopf. »Es hingen lauter Gemälde
an den Wänden«, sagte ich. »Falls es Fenster gab, dann waren sie
verdeckt.«
»Hast du dir gemerkt, wie die Wände
aussahen?«
»Sie waren mit einer Art Goldvertäfelung
verkleidet. Die ganze Aktion war reine Zeitverschwendung – und ein
unnützes Opfer von Melusine.«
Oberon neigte den Kopf und betrachtete mich aus
seinen schrägen grünen Augen. »Das bezweifle ich. Irgendetwas wird
dir noch einfallen. Aber im Augenblick haben wir anderes zu tun.«
Er reichte mir ein Sweatshirt und eine Baseballmütze. »Hier, zieh
das an.«
Beide Kleidungsstücke trugen das Logo der
öffentlichen Bibliothek von Queens. »Ist das unsere Tarnung?«,
fragte ich.
»Eine Tarnung brauche ich nicht«, erwiderte er,
»aber ich dachte, es wäre schön, wenn wir unsere Unterstützung für
solche Einrichtungen bekunden würden. Viele Unirdische arbeiten in
den öffentlichen Büchereien – oder nutzen das Wissen, das dort
bewahrt wird. Es wäre schrecklich, wenn sie eines Tages geschlossen
würden.«
Dem Wachmann erklärten wir, dass wir uns der
Protestdemonstration auf den Rathausstufen anschließen wollten,
dann durften wir durch einen Metalldetektor auf das Gelände. Seit
einem Schulausflug in der dritten Klasse war ich nicht mehr in der
City Hall gewesen, und ich hatte beinahe vergessen, was es für ein
schönes Gebäude war. Die palladianische Sandsteinfassade leuchtete
im nachmittäglichen Sonnenlicht. Aber als wir näher kamen, sah ich
auf und entdeckte, dass die Statue der Justitia oben auf dem
Uhrenturm noch schimmerte, obwohl der Himmel sich im Osten
bereits verdunkelte. Die Statue auf dem Verwaltungsgebäude wurde
schon vom Nebel verschluckt.
Die Demonstranten auf der Treppe trugen Banner, auf
denen Slogans standen wie »Mit mehr Bildung gegen die
Wirtschaftskrise« und »Licht aus in den Bibliotheken – NEIN«. Als
wir an ihnen vorübergingen, stimmte Oberon einen Schlachtgesang an:
»Rettet unsere Bibliotheken! Rettet unsere Bibliotheken!« Die
übrigen Demonstranten fielen sofort ein, aber wir gingen weiter,
unter dem Torbogen hindurch, an der Bronzestatue von George
Washington und der Marmorrotunde vorbei, aber statt dann die
ausladende Freitreppe hinaufzusteigen, führte mich Oberon zu einem
Werksfahrstuhl, der in ein Kellergeschoss hinunterfuhr. Die Tür
öffnete sich auf einen schlecht beleuchteten Flur. Wir folgten dem
Korridor nach rechts, bis wir an seinem Ende an eine Tür mit einer
Milchglasscheibe kamen, auf der in goldenen Buchstaben stand:
SEKRETARIAT DES TAXATORS. Ein kleines Holzschild, das an einem
Haken über diesem Fenster hing, verkündete: »Bitte einzeln
eintreten«, und ein weiteres Holzschild auf einem reich verzierten,
gusseisernen Fuß trug die Aufschrift: »Bitte hier anstellen«. Etwa
ein Dutzend Leute hatte bereits eine ordentliche Schlange gebildet,
und jeder hielt ein gelbliches Papier in Händen. Oberon ging an der
Schlange vorbei und griff nach dem Türknauf.
»Hey, Kumpel«, raunzte ihn der grobschlächtige Mann
an, der ganz vorn stand, »hinten anstellen, klar?«
»Ja, ich verstehe, Mr. …« Oberon nahm dem Mann den
Zettel aus den breiten Pranken. Das Papier war beinahe
durchscheinend und hatte die Farbe abgeschnittener Fingernägel; es
gab ein Geräusch, als ob es mitten durchrisse,
aber der Bogen blieb heil. »Mr. Arnold A. Herkimer, wohnhaft
Corona Boulevard, Flushing, New York«, sagte Oberon, ohne auf das
Blatt zu sehen. Ein Blick verriet mir, dass Name und Adresse
stimmten. »Schauen wir doch mal nach, was Sie für ein Problem
haben.«
Sehr geehrter Mr. Herkimer,
Ihnen wird zur Last gelegt, gegen den City Code
#73197-PYT-C2 verstoßen zu haben. Bitte melden Sie sich im
Amtszimmer des Taxators der Stadtkasse, Raum B7, City Hall, wo über
Ihre Geldbuße entschieden wird. Hinweis: Alle Bußgelder müssen in
Münzen entrichtet werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ignatius T. Ashburn III.
Sekretariat des Taxators
Als er mit dem Lesen fertig war, hielt Oberon den
Brief ans Licht, woraufhin sich ein Wasserzeichen aus
spiralförmigen Linien zeigte, die sich zu drehen begannen. Ich sah
weg, als mir schwindlig wurde, und bemerkte, dass Mr. Herkimers
Augen schnell hin und her glitten.
»Na schön«, sagte Oberon und gab Arnold Herkimer
seinen Brief zurück, »das scheint alles in Ordnung zu sein. Ich
werde mich beim Sekretariat für Sie einsetzen.«
»Vielen Dank, Sir«, sagte Arnold Herkimer, dessen
Augen immer noch von einer Seite zur anderen huschten, als ob er
ein Tennismatch verfolgte. »Das wäre sehr nett. Ich kann mir
überhaupt nicht denken, was ich falsch gemacht haben soll …«
»Oh, können Sie das wirklich nicht, Arnie?«, fragte
Oberon und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Dann gehen Sie
noch einmal gründlich in sich, ob Ihnen nicht doch etwas einfällt,
während ich in der Zwischenzeit hineingehe.«
Arnold Herkimer lief tiefrosa an, während Oberon
sich zu mir hinunterbeugte und in mein Ohr flüsterte: »Er verspielt
die Sozialhilfe seiner 97-jährigen Mutter im Casino von Atlantic
City und erzählt ihr, er würde mit dem Geld die College-Ausbildung
seines Sohnes finanzieren.«
Oberon öffnete die Tür und überließ es Arnold
Herkimer, über seine Sünden nachzudenken. Wir betraten einen kurzen
Flur und kamen an die nächste Tür, die auf halber Höhe in zwei
Hälften geteilt war. Die obere Hälfte stand offen und gab den Blick
auf einen Schalter frei, an dem ein Mann um die dreißig mit
zurückweichendem, rotblondem Haar und zahllosen Sommersprossen saß,
der ein rot gestreiftes Oxford-Hemd trug. Ein Namensschild aus
Messing wies ihn als Ignatius T. Ashburn III. aus, Sekretär des
Taxators. Ein fotokopiertes Schild auf rosa Papier verkündete:
»Wenn Sie nörgeln, meckern oder einfach nur nerven, erheben wir
eine Sondergebühr von zehn Dollar dafür, uns mit Ihnen abzugeben.«
Oberon schloss die erste Tür hinter uns und zog mich auf eine Seite
des schmalen Flurs. Ein junges Mädchen in engen Jeans, einer
Bomberjacke aus Leder und Ugg-Boots stand vor dem Schalter und
wühlte in einer riesigen Handtasche.
»Vor einer Sekunde hatte ich ihn noch«, behauptete
sie. »Können Sie meinen Fall nicht einfach nach meinem Namen
aufrufen?«
»Nein, das kann ich nicht«, erklärte der
Angestellte und
legte den Kopf zurück, um die junge Frau höchst verächtlich
anzublicken. Diese Haltung gab einen Einblick in ein paar
ungewöhnlich große Nasenlöcher, die sich sogar noch weiteten, als
das Mädchen anfing, den Inhalt seiner Tasche auf seinem Schalter
auszupacken. Ein iPhone, Make-up-Utensilien und eine Handvoll
Kaugummipapier kamen zum Vorschein, bevor sich der elfenbeinfarbene
Brief wiederfand.
»Hier ist er«, sagte sie und schob das Blatt über
den Tisch. »Aber ich habe keinen Schimmer, worum es hier geht. Ich
meine, ich wohne noch zu Hause, wenn ich nicht im Studentenwohnheim
bin, und mein Auto läuft auf den Namen meiner Eltern. Deswegen
sollte alles, was damit zu tun hat, an meinen ersten Wohnsitz in
Scarsdale gehen.«
»Das hier hat mit Ihren Eltern nichts zu tun, Jenna
Abigail Lawrence«, erklärte der Angestellte und hielt das Papier
gegen das Licht. »Ah, ein Verstoß gegen Nummer 4801929-XNT-8R. Das
ist ein Verstoß gegen das Vertraulichkeitsgesetz.« Er senkte das
Papier und sah Jenna Lawrence über den Schalter hinweg an, während
sich ein dünner Rauchfaden aus seinen Nasenlöchern ringelte. Seine
Augen hatten die Farbe von Zimtkaugummi, und sie begannen sich
jetzt ebenso zu drehen wie zuvor die Wasserzeichen auf dem Papier.
Bei ihrem Anblick überkam mich ein Gefühl von Schuld. Ich erinnerte
mich daran, wie ich in der siebten Klasse bei einer
Französischarbeit geschummelt hatte, an ein Dankesschreiben, das
nie abgeschickt worden war, und ein Buch aus der Bücherei, das ich
nie zurückgegeben hatte. »Ihr Bußgeld wird niedriger ausfallen,
wenn Sie selbst das Vergehen schildern.«
Jenna Lawrence hängte sich den Riemen ihrer Tasche
wieder über und warf das perfekt glatte und gesträhnte Blondhaar
über ihre rechte Schulter. »Ich habe wirklich keine Ahnung, wovon
Sie reden, aber wenn das irgendwas damit zu tun hat, was meine
Mitbewohnerin rumerzählt – der kann man sowieso kein Wort glauben.
Jedenfalls habe ich ihre blöde Seminararbeit über Dante nie gelesen
…«
»Nein, das haben Sie nicht. Wenn Sie das getan
hätten, dann würden Sie vielleicht das eine oder andere über
Bestrafung begriffen haben, Miss Lawrence. Nein, hier geht
es darum, dass Sie die SMS auf dem Telefon Ihres Freundes gelesen
haben, während er Ihnen gerade einen Kaffee zum Mitnehmen
holte.«
Jenna Lawrence blieb der Mund offen stehen. »Wie …?
Aber …«, brachte sie heraus. Nachdem sie sich wieder ein wenig
gefasst hatte, fragte sie: »Hat Scott Ihnen das erzählt?«
»Scott hat keine Ahnung, dass Sie seine SMS lesen.
Er fragt sich allerdings, wieso Sie so sauer auf ihn sind.«
»Er hat mich eine verzogene Göre genannt!«, heulte
Jenna. »Und seiner sogenannten besten Freundin aus der Highschool
hat er geschrieben, dass ich nichts anderes als Klamotten im Kopf
hätte.« Jenna wühlte in ihrer Tasche, woraufhin Ignatius ein
Taschentuch aus der Spenderbox auf dem Tresen zog und es ihr
reichte. Geduldig wartete er, bis sie sich geschneuzt hatte.
»Ich verstehe nicht, woher Sie das alles wissen,
aber was wollen Sie denn jetzt deswegen unternehmen? Sie werden
doch Scott nichts erzählen, oder?«
»Nein, Jenna, das werden Sie selbst tun. Und Sie
werden
im Sommer ehrenamtlich für das Frauenhaus arbeiten, anstatt sich
in den Hamptons an den Strand zu legen.«
»Okay«, sagte Jenna schniefend. »Das wird sich in
meinem Lebenslauf vielleicht auch ganz gut machen.«
Ignatius seufzte und ließ dabei einen Rauchschwall
aus seinen aufgestellten Nasenlöchern entweichen. »Und Sie
werden mehr Zeit mit Ihrer Großmutter Ruth verbringen.« Er
stempelte den Brief mit einem großen Holzhammer ab. »Außerdem gibt
es natürlich noch ein Bußgeld …« Er reckte den Hals und warf einen
Blick in Jennas riesige Umhängetasche. Als er sich dabei ein wenig
über den Schalter beugte, erhaschte ich einen Blick auf einen
schuppigen Schwanz. »Ist das ein neues iPhone?«
»Jaaa …«, stöhnte Jenna, »aber Sie können doch
nicht …«
Der Schwanz zischte über seinem Kopf hinweg,
ringelte sich in Jennas Tasche und fischte das Telefon heraus. »Ah,
Peggles. Das wird ihn freuen.« Der Schwanz verschwand hinter dem
Schalter. Ignatius gab Jenna den Brief zurück, die sich den Stempel
darauf ansah. Er zeigte einen roten Drachen, der Feuer spuckte, und
das Feuer nahm die Form von Spiralen an, die sich ausbreiteten, rot
glühten und dann aufflammten, den Brief verbrannten und Jennas
Haarspitzen versengten. Als sie sich zum Gehen wandte, blickte sie
völlig ausdruckslos und unbeteiligt drein.
»Wird sie sich an irgendetwas davon erinnern?«,
fragte ich Oberon, aber es war Ignatius, der die Frage
beantwortete.
»Nur an das, was ihr aufgetragen wurde. Sie wird
glauben,
am Morgen einen Einkaufsbummel bei Bloomingdales gemacht und ihr
Handy im Taxi vergessen zu haben. Brauchst du etwas, Oberon? Wie du
siehst, habe ich heute jede Menge Kundschaft.«
Oberon öffnete die Tür zum Flur noch einmal und
wischte kurz über die goldenen Buchstaben auf dem Glas. Sie
verblassten, und nun erschien die Aufschrift »Putzkammer«. Die
kleine Menge draußen löste sich auf; die Leute kratzten sich am
Kopf und marschierten den Flur zurück zum Fahrstuhl. Ich hörte, wie
Arnold Herkimer jemanden nach dem Weg zum Tropicana Casino
fragte.
»Es tut mir leid, Ignatius, aber diese Sache duldet
keinen Aufschub«, erklärte Oberon. »Ist seine Exzellenz da?«
»Seine Exzellenz?«, wiederholte ich. »Du hast doch
gesagt, wir wollten in der City Hall nicht zum Bürgermeister von
New York …«
Ignatius und Oberon lächelten. »Oh, es geht um eine
viel wichtigere Persönlichkeit als um den Bürgermeister«,
antwortete Ignatius und öffnete nun auch die untere Hälfte der Tür.
Als ich eintrat, entdeckte ich, dass der Körper des Sekretärs von
der Taille abwärts mit kupferfarbenen Schuppen bedeckt war. Wenn er
sich umwandte, glitt ein mächtiger Schwanz über den Linoleumboden
des Büroraums, der ohnehin nur klein und noch dazu mit
verschiedenen Säcken, Kartons mit elfenbeinfarbenem Papier und
einem Jahresvorrat japanischer Instant-Nudeln vollgestellt war.
Ignatius schob mit dem Schwanz einen Papierkarton vor einer
niedrigen Tür mit bogenförmigem Sturz beiseite, die mehrere
Messingschlösser sicherten. Er
öffnete sie mit drei verschiedenen Schlüsseln, die an einem Ring
um seinen Hals hingen. Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf
eine schwach erleuchtete Treppe frei. Ignatius nahm einen der Säcke
und bedeutete uns mit einer Handbewegung, ihm zu folgen.
»Er scheint doch gar nicht so übel zu sein«, raunte
ich Oberon zu, als wir durch die Tür gingen. »Wieso haben alle so
viel Angst vor ihm?«
»Doch nicht vor ihm. Er ist nur der Sekretär. Um
den Taxator musst du dir Sorgen machen. Und den werden wir nun
aufsuchen.«