Prolog

Siobhan kletterte durch das Dornengestrüpp am Fuß des Hügels, während ihr der normannische Ritter dicht auf den Fersen war. »Du solltest hoffen, dass ich dich niemals erwische, Kleine«, rief er und hackte sich mit seinem Schwert den Weg durch Ranken und Gestrüpp frei. »Du wirst mich noch anflehen, dich zu töten.«

Siobhan wünschte, sie wäre bereits tot. Sie wünschte sich, dass ihr Kopf statt dem ihres Vaters beim ersten Angriffsstoß abgeschlagen worden wäre. Die Männer des normannischen Königs hatten sich dieses Mal nicht einmal die Mühe gemacht, eine königliche Proklamation vorzuschieben. Sie waren ohne jegliche Vorwarnung mitten in der Nacht in das Dorf ihres Vaters gestürmt und hatten die Holzhäuser in Brand gesetzt. Sie und ihre Mutter waren gerade noch rechtzeitig aus ihrem brennenden Gutshaus geflohen, um auf der engen Straße den Kopf ihres Vaters von den Schultern fallen und in den Rinnstein rollen zu sehen, wobei sich sein zorniges Gesicht noch immer bewegte. Auch wenn Siobhan diese Nacht irgendwie überleben und eine alte Frau von hundert Jahren werden sollte, würde sie diesen Anblick niemals vergessen – wie seine Augen geblinzelt hatten und sein Mund sich noch bewegt hatte, als wollte er sie alle verfluchen.

Aber sie durfte jetzt nicht innehalten und darüber nachdenken. Sie sank auf die Knie und kroch unter einen Busch, wobei die Dornen ihren Rücken blutig kratzten, während sie sich zur kahlen Vorderseite des Druidenhügels hindurchschlug. Sie hätte niemals gedacht, dass sie so weit laufen müsste. Sie hatte angenommen, der normannische Ritter würde die Verfolgung aufgeben, wenn sie das Dickicht der Wälder erreichte, wohin ihr sein Pferd nicht folgen konnte. Aber dieses Glück war ihr nicht beschieden gewesen.

»Ich werde dich erwischen, Kleine!«, rief er drohend hinter ihr her und war nun schon ein Stück näher gekommen. Sie kauerte im Gestrüpp und hoffte, er hätte ihre Spur verloren, aber seine Stimme kam immer noch näher. »Wohin willst du jetzt gehen?«

Sie richtete sich am Felsen auf, und ein langer Dorn ritzte ihre Wange. Der steile Hang war vollkommen überwachsen und bildete einen natürlichen Schutz für den uralten Turm auf dessen Spitze. Als der König seine erste Proklamation erließ, hatte ihre Mutter ihr behagliches Gutshaus gegen den engen Steinturm eintauschen wollen. »Den Druidenturm können wir ewig verteidigen«, sagte sie. Aber ihr Vater ließ sich nicht dazu bewegen. Der alte König hatte seinem Vater diese Ländereien im Vertrag mit den Sachsen überlassen und ihn somit zu einem adligen Lord gemacht, gleichrangig mit dem normannischen Bastard, durch den der neue König ihn ersetzen wollte. Er hatte eine formelle Protestschrift eingereicht, in der ihm eigenen wunderschönen Handschrift, und darauf insistiert, dass die Sache damit erledigt sei. Aber vielleicht konnte der junge König Heinrich nicht lesen.

»Komm hierher zurück«, rief der Ritter, der sie verfolgte. Er blieb beim dichtesten Dornengestrüpp stehen. »Komm zurück, und ich werde dir nichts tun.«

Siobhan blickte zurück und schnaubte – hielt er sie für dumm? Sie hatte gesehen, was seine Kumpanen ihrer Mutter angetan hatten, bevor ihr Hauptmann ihr die Gnade erwiesen hatte, ihr die Kehle durchzuschneiden. Sie wusste, was dieser Mann für sie geplant hatte. Sie war vielleicht erst elf Jahre alt, aber sie war nicht töricht. Sie wandte sich wieder dem Hang zu und suchte nach einer Aufstiegsmöglichkeit.

»Kleines Miststück«, hörte sie ihn ächzen, während er sich durch das Dornengestrüpp kämpfte, und ihr Herz schlug in panischer Angst schneller. Was würde Sean jetzt tun?, dachte sie und kickte ihre Schuhe fort. Wäre ihr älterer Bruder da gewesen, dann wäre, davon war sie überzeugt, keines dieser schrecklichen Dinge geschehen. Er hätte ihren Vater dazu gebracht, entweder davonzulaufen oder eine Verteidigung aufzubauen, die aus mehr als nur adligem Recht und Stolz bestand. Aber Sean war weit fort und versuchte sich selbst als Ritter zu bewähren.

»Komm hier herunter, du kleines Äffchen«, sagte der Normanne hinter ihr mit hämischem Lachen. Er war jetzt sehr nahe. »Wo willst du hin?« Er hatte natürlich recht. Die Felswand vor ihr war zu hoch und zu steil. Sie würde niemals die Kraft haben, ganz bis nach oben zu gelangen. Selbst wenn sie es schaffte, hoch genug zu klettern, um sich ihm zu entziehen, würde er nur warten müssen, dass sie wieder herabkäme oder -fiele. Aber sie konnte nicht einfach aufgeben und sich von ihm erwischen lassen.

Sie sah im Fels einen oder zwei Fuß über sich rechts von ihrer Hand etwas glänzen, vielleicht ein Stück Quarz, und bewegte sich darauf zu, nur um ein Ziel zu haben. Als sie hinabblickte, sah sie den Ritter aus dem Gestrüpp hervorbrechen und die Felswand unmittelbar unter ihr berühren, während er die Dornensträucher verfluchte. Sie wandte den Blick ab, wollte sich nicht ablenken lassen.

Ihre Hand schloss sich um den Quarz im Fels, und die vermeintlich feste Klippe um den Stein herum gab nach wie Sand. Der Stein war überhaupt kein Stein. Es war Metall, ein Griff. Sie stützte sich mit ihrer anderen Hand und den Füßen ab, zerrte an ihm und zog ihn aus dem Fels. Es war ein im Mondlicht dumpf schimmerndes Schwert, kaum halb so lang wie das ihres Vaters, aber perfekt für sie.

»Ich habe dich!« Der Ritter ergriff ihren Knöchel und riss sie so abrupt von der Wand herab, dass sie hinfiel, sich beide Knie und die Nase zerschrammte und sich das Handgelenk verstauchte. Aber das Schwert ließ sie nicht los.

»Bist du nicht eine kleine Hübsche?« Er hatte irgendwo im Gestrüpp seinen kübelförmigen Helm abgenommen, sein Gesicht glänzte vor Schweiß und wirkte im Mondlicht wie ein runder, weißer Käse. »Das war eine Jagd.« Er ragte über ihr auf, als sie sich aufrichtete. Eine Faust an die Wand neben ihrem Kopf gestützt, machte er sich bereits an seiner Hose zu schaffen. »Du solltest besser lernen, wie man sich benimmt.«

Sie stieß das Schwert fest aufwärts in seinen Bauch und umklammerte das Heft mit beiden Händen. Hätte er ein Kettenhemd getragen, hätte sie ihm nur einen Kratzer zufügen können – sie war nicht sehr kräftig. Aber es war eine heiße Nacht, und der Kampf war nicht sehr heftig gewesen. Der Ritter hatte seine schwere Rüstung in seinem Zelt zurückgelassen. Die Klinge drang unmittelbar in seine Eingeweide.

Er umklammerte mit einer Hand ihre Kehle, und Siobhan war sich einen Moment lang sicher, dass sie gemeinsam sterben würden. Sie drehte das Schwert, während Farbpunkte vor ihren Augen tanzten, und sein Blick trübte sich. Seine Finger lösten sich, sie wand sich frei und trat beiseite, als er zu Boden stürzte.

»Mord«, flüsterte sie und umklammerte ihre Waffe noch immer. Sie hielt sie hoch und sah das Blut des Normannen auf der matt silbernen Klinge scharlachrot schimmern. »Ich habe einen Mord begangen.« Ein kaltes Zittern schüttelte sie, trotz der warmen Sommernacht, aber sie lächelte. Sie steckte die Klinge in ihren Gürtel und bückte sich dann, um ihre Schuhe zu suchen.