PROLOG

 

ZEIT: VIERZEHN JAHRE NACH DEM TAG DER ANKUNFT ORT: IRGENDWO UNTER DER OBERFLÄCHE VON SERA

Eine gewisse Zeit lang kannten die Menschen auf Sera die Illusion von Frieden … bis zum Tag der Ankunft. Das war der Zeitpunkt, an dem unser Volk unsere unterirdische Welt hinter sich ließ, hinaustrat in die Sphären der Erdschleicher und ganze Städte dem Erdboden gleichmachte. Wir kämpften und töteten die Menschen auf ihren prächtigen Straßen, in ihren Häusern und auf ihren Schlachtfeldern. Und sie schlugen zurück. Ihre Gegenwehr wurde mit der Zeit niedergeschmettert. Nachdem Milliarden den Tod gefunden hatten, entzogen sich die Menschen der Feindherrschaft, indem sie ihre eigene Zivilisation auslöschten. Sie starteten ihre verheerenden Angriffe auf dem eigenen Territorium – opferten ihre eigenen Zivilisten –, nur damit es nicht in unsere Hände fiel. So sehr fürchten und verabscheuen sie uns. Begreift, was eine Welt tun muss, um zu überleben – was die Menschen tun müssen und was wir tun müssen, um zu überleben. Denn überleben müssen wir.

Der lange Kampf der Menschen gegen den überwältigenden Feind nähert sich dem letzten, verzweifelten Aufbegehren …

 

(KÖNIGIN MYRRAH VON DEN LOCUST-HORDEN, IN EINER ANSPRACHE AN NEUE LOCUST-SOLDATEN, DIE IHREN ERSTEN KAMPFEINSATZ ERWARTEN)

 

STADTPATROUILLE IN EPHYRA; 14 JAHRE NACH DEM TAG DER ANKUNFT, EINE WOCHE NACH DER LICHTMASSE-ATTACKE GEGEN DIE LOCUST

Ich könnte schwören, hier riecht’s nach Grillparty.

Ich meine nicht verbrannte Körperteile – den Gestank kenne ich ziemlich gut. Ich meine richtiges Fleisch, dieser bittere Geschmack nach Kohle hinten am Gaumen, rauchiges Fett, Gewürze, Saft. Heute gehe ich an der Spitze; ich hebe die Faust, damit der Trupp anhält.

Gerüche sind wichtig, wenn man auf Patrouille ist. Sie sind Teil des Gesamtbildes, das man vor seinem inneren Auge aufbaut, und sind ebenso Anhaltspunkte wie das, was man sieht, hört, fühlt. Sie verraten einem jede Menge: tote Körper, wie lange sie schon tot sind, abgefeuerte Waffen, auslaufender Treibstoff, frische Luft aus einem abgelegenen Lüftungsschacht, wenn man einen Weg nach draußen sucht. Und natürlich verraten sie dem Feind jede Menge über dich selbst.

Also, wie viele Locust sind übrig?

Marcus sieht sich langsam um. Ohne ein Blinzeln, so als wäre er eine Maschine, die Gebäude scannt. »Was gibt’s denn, Dom?«

»Riechst du’s?«

Irgendwo versucht wahrscheinlich jemand, ein normales Leben in dieser Stadt zu führen, und tut so, als ob heute ein gewöhnlicher Sommertag wäre. So wie vor vielen Jahren. Vor vielen Kriegen. Obwohl Milliarden tot sind, macht die Menschheit weiter. Auch ich. Obwohl ich Frau und Kinder verloren habe. Die Menschen finden immer etwas, an das sie sich klammern können.

Marcus hält inne, atmet langsam ein und lässt sein Gewehr am Riemen baumeln.

»Hund«, sagte er schließlich. »Jep, Hund. Viel zu durch.«

Cole kichert. »Lasst mir ’ne Keule übrig. Zwei, wenn’s nur einer von diesen kleinen Kläffern ist.«

»Scheiße, diese Gestrandeten fressen echt alles«, meint Baird. Er hat keine Zeit für die Banden der Flüchtlinge, die außerhalb des Schutzes der Regierung leben. Hat die irgendwer? Ich für meinen Teil versuche im Kopf zu behalten, dass sie zu uns gehören. »Vielleicht fangen sie irgendwann an, sich gegenseitig zu fressen, und ersparen uns ein paar Patrouillen.«

Es ist ihre Entscheidung draußen zu bleiben. Die Gestrandeten könnten sich melden, ihren Dienst bei den Streitkräften der COG leisten und genau wie der Rest von uns zu essen bekommen, aber diese blöden Drecksäue wollen immer noch das Unabhängigkeitsspielchen spielen – als ob das noch was bringen würde.

»Ja, voll sozial eingestellt«, murmelt Marcus und bahnt sich weiter seinen Weg durch den Schutt.

Aber Baird hat nicht unrecht. Wir alle haben die Wahl. Es ist bescheuert, diese Stammesscheiße abzuziehen, während die Menschheit kurz davorsteht, ausgelöscht zu werden. Wenn wir noch einen Funken Verstand hätten, würden wir uns alle zusammenschließen.

Nein, es ist nicht nur bescheuert. Es ist selbstmörderisch.

Und dann geht’s los … diese leichte Vibration unter meinen Stiefeln.

Marcus meint, unser Geruchssinn wäre der grundlegendste aller Sinne, der, der dich am festesten an den Eiern packt und deine Aufmerksamkeit weckt. Sein Vater war Wissenschaftler, also nehme ich an, er kennt sich da aus. Aber hier ist es anders. In der Stadt ist es dieses Zittern aus dem tiefsten Erdinneren, das alles andere ausblendet. Es verrät einem, dass die Locust im Anmarsch sind. Du spürst es in deinen Eingeweiden. Die Maden brodeln nach oben.

Von denen sind noch jede Menge unterwegs, obwohl wir schon die Scheiße aus ihren Tunnels rausgebombt haben. Müssen die letzten Stehaufmännchen sein.

»Los geht’s«, sagt Cole. Er überprüft beiläufig sein Lancer-Sturmgewehr, so als würde er eine Ausrüstungskontrolle erwarten. Nicht dass wir uns groß um solchen Kram kümmern würden. »Verdammt, ich hab gehofft, diese gestrandeten Penner hätten vielleicht ’n paar Bierchen zu dem Hund …«

Vergiss das Bier. Fünfzig Meter vor uns fängt der Boden an, sich zu bewegen. Langsam bildet sich eine Kuppel und der Asphalt, den es schon dutzende Male zu Mosaik zerbröselt hat, bröckelt von ihr ab. Ich reagiere. Wir alle reagieren. Denken is nicht. Mein Körper hat das schon tausende Male mitgemacht und er erledigt diesen Job, ohne erst bei meinem Hirn nachzufragen, ob das mit dem Feuern in Ordnung geht.

Die Risse im Asphalt werden breiter, während der erste Haufen Locust-Drohnen aus ihnen hervorbricht. Große, graue, hässliche Bastarde. Wie kann etwas mit zwei Armen, zwei Beinen und einem Kopf nur so fremdartig aussehen? Wir konzentrieren unser Feuer alle auf den gleichen Punkt, bevor diese Viecher in Position gehen und zielen können. Der Lärm in dieser schmalen Straßenschlucht ist ohrenbetäubend. Eine der Maden bricht zusammen. Der Rest brodelt aus dem Boden hervor und kommt ballernd auf uns zu.

Eben noch ducke ich mich hinter ein ausgebranntes Auto, um aus der Deckung schießen zu können – im nächsten Augenblick habe ich eine Schraubzwinge um Hals und Schultern und eine der Drohnen zerrt mich über das verrostete Metall, dass es mir den Arm aufreißt. Ich versuche, dem Vieh die Kettensäge meines Lancers in den Wanst zu rammen, aber das Ding hält mich so fest von hinten im Würgegriff, dass ich das verdammte Gewehr nicht bewegt kriege. Mit meiner freien Hand versuche ich, mein Messer zu greifen. Ich höre hämmernde Gewehrsalven, Coles Brüllen, Baird außer Atem, als ob er irgendetwas die Scheiße aus dem Leib prügelt, und von Marcus’ Position nichts – außer Schnellfeuer. Irgendetwas Nasses spritzt mir ins Gesicht. Ich verliere das Bewusstsein, aber diesen Locust-Bastard nehm ich mit, verlasst euch drauf, ich ramme meine Klinge in jede Stelle an dieser Drohne, die ich erreichen kann.

Das ist für meine Kinder. Das ist für Maria. Das ist für alle meine Kumpels. Das ist für -

Plötzlich hört es sich an, als würde direkt neben meinem Ohr eine Granate hochgehen. Ich bekomme wieder Luft und bin von oben bis unten in irgendetwas Warmes und Klebriges getränkt. Die Drohne kippt um, genau so, sie kippt um. Aber sie hat mich immer noch so fest im Griff, dass sie mich fast auf sich draufzieht, während sie zu Fall geht. Dir hat’s den halben Kopf weggerissen. Ich erstarre, sehe mich in der pfeifenden Stille um und dann begreife ich, dass niemand von uns diesen Schuss abgefeuert hat.

Marcus steckt seine Hand in den klaffenden Schädel und fischt eine Kugel heraus. »Scharfschütze«, sagt er und wischt sich Blut aus dem Gesicht. Die Drohnen sind tot. Wir nicht. Ich denke, das sollte reichen. »Und keiner von unseren. So ’ne Munition wird schon seit Jahren nicht mehr verwendet.«

Ich hasse Überraschungen. Selbst solche, die mir die Haut retten. Wenn jemand so schießen kann, sollten wir ihn besser auf unserer Seite haben.