ACHT
Das After Dark befand sich am
Fußende einer marmornen Wendeltreppe. Um dort hinunterzusteigen,
musste man oben erst ein Eisentor öffnen. Es war ein
Gesellschaftsclub mit einem Foyer, einer Art Audienzraum und einem
großen Saal, wo sich die Vampir-Community von Seattle regelmäßig
zusammenfand – auch wenn ich sie in Gedanken nicht Community,
sondern Rudel nannte.
Ich hatte Quinton gesagt, dass ich den Club
besuchen würde, sodass er Bescheid wusste für den Fall, dass ich
nicht wieder auftauchte. Ich ging zwar davon aus, dass es mir noch
einmal gelingen würde, mir Edward vom Leib zu halten, aber bei
Vampiren wusste man nie. Sie hatten andere Beweggründe, Ängste oder
auch Tabus als wir Menschen, und es war nicht schwer, etwas
Falsches anzunehmen und auf einmal als Mahlzeit zu enden – oder als
Spielzeug, wie eine meiner früheren Klientinnen hatte herausfinden
müssen. Ich musste mir unbedingt vornehmen, meine immer wieder
aufsteigende Wut auf Will zu unterdrücken, denn sonst wäre ich
bestimmt ein leichtes Opfer.
Selbst aus einiger Entfernung konnte ich die
Gegenwart der Vampire spüren. Die Tür zum Club hatte sich noch
nicht geöffnet, doch im Grau zeigten sich schon Schwaden aus Feuer
und Eis, die einen dichten Nebel aus roten und schwarzen Farben
bildeten. Ich holte mehrmals tief Luft, um mir Mut zu machen, und
stieg dann die Treppe hinunter. Das Eisentor fiel hinter mir ins
Schloss und hielt einige junge Leute davon ab, mir zu folgen. Sie
hatten offenbar angenommen, dort unten wie überall um den Pioneer
Square einen der üblichen Tanzclubs, Bars oder Restaurants zu
finden. Die meisten Besucher kamen nur in dieses Viertel, um abends
auszugehen. Allerdings hätte ihnen der Empfang im After Dark
wohl kaum gefallen, wenn es ihnen überhaupt gelungen wäre, am
Türsteher vorbeizukommen. Er öffnete mir nun die schwere, schwarz
lackierte Tür.
Soweit ich sehen konnte, war er kein echter Vampir.
Die für Vampire übliche Aura aus Tod, Blut und Magie hatte bei ihm
nicht die richtige Dichte, und er schien auch nicht so zu stinken,
wie das die Blutsauger sonst taten. Er wirkte eher ein wenig
gesichtslos – eine Eigenschaft, die den meisten Vampiren überhaupt
nicht zusagte.
Er musterte mich und hielt mir dann die Tür auf.
»Ms. Blaine«, begrüßte er mich und streckte mir höflich die Hand
entgegen, um mir die Jacke abzunehmen. Ich achtete nicht darauf.
Ich hatte noch nie meine Garderobe abgegeben und hatte es auch
diesmal nicht vor. Untoten fiel nicht auf, wie kalt es war, sodass
es auch hier im Club nie besonders warm wurde. Da ich nicht wusste,
wie lange es dauern würde, bis ich die Informationen bekam, die ich
wollte, hielt ich es für das Beste, meinen Mantel vorerst
anzubehalten. Schließlich wollte ich mir keine Lungenentzündung
holen.
Einen Moment lang war ich mir nicht sicher, ob mich
der Türsteher nicht für mein unverschämtes Verhalten hochkant
rauswerfen würde. Doch er verzog keine Miene. Ich betrat also den
Club.
Allein die ersten Schritte aus dem Foyer in den
nächsten, schwach beleuchteten Raum verursachten mir eine leichte
Übelkeit. Hier sah es so aus, als ob man einen Nachtclub aus den
vierziger Jahren betreten hätte. Überall zeigten sich verschwommene
Bilder aus der Vergangenheit, die neben den realen Vampiren beinahe
heimelig wirkten.
Die Vampire waren alle von rot-schwarzen
Strahlenkränzen aus Energie umgeben. Sobald ich eintrat, richteten
sich zahlreiche Augenpaare auf mich. Sie beobachteten mich mit
unverhohlener Neugier. Jeder Blick schien mich zu durchbohren. Ich
war mir sicher, dass sie wussten, wer ich war, und dass sie meine
Verbindung zu Edward kannten. Zum Glück war ihnen wohl auch klar,
dass ich nicht zur Verfügung stand – es sei denn, die Situation
änderte sich. Vermutlich hofften einige sogar, dass eine solche
Veränderung eines Tages eintreten würde.
Das normale Gitter aus grauen Energielinien wirkte
hier verschwommener und verwackelter als an anderen Orten. Ich
wusste nicht, warum. Beim letzten Mal war mir das gar nicht
aufgefallen. Doch damals hatte ich an andere Dinge gedacht und war
zudem noch nicht in der Lage gewesen, die Besonderheiten des Grau
genauer zu beobachten. Diesmal fiel mir jedoch auch auf, dass es
hier unten wesentlich weniger Gespenster gab, obwohl die
Anwesenheit des Todes sehr stark war. Ich schob meine Überlegungen
und meine Angst für den Moment beiseite und konzentrierte mich
stattdessen auf das, was vor mir lag.
Edward und einige seiner Spießgesellen saßen in
einer Ecke um einen Tisch, und ich näherte mich ihnen entschlossen.
Je näher ich kam, desto langsamer wurde ich. Drei Leute hatten
sich um den Obervampir versammelt. Es waren zwei Männer in Anzügen,
die mich an Immobilienmakler erinnerten, und eine schmale Frau mit
langen strohblonden Haaren. Sie waren alle Vampire, wobei die Frau
nur eine schwache Aura hatte, in der die schwarze Düsterkeit
fehlte. Sie trug eine Art romantisches Kleid aus weißem fließendem
Stoff, das weniger Gothic als vielmehr das Kostüm aus einem
präraphaelitischen Gemälde zu sein schien. Auf einmal erkannte ich
sie. Überrascht blieb ich stehen.
Edward blickte auf. Er gab den beiden Männern einen
Wink, zu verschwinden. Wieder einmal verblüffte mich sein Anblick.
Er wirkte wie eine kleinere Version von Pierce Brosnan, der mit
vierzig eingefroren worden war. Den dazu passenden englischen
Akzent besaß er auch. »Einen Moment noch, wenn es Ihnen nichts
ausmacht«, sagte er und wandte seine Aufmerksamkeit Gwen zu.
Edward mochte zwar wie Dorian Gray noch immer so
aussehen wie beim letzten Mal, doch von Gwen ließ sich das nicht
sagen. Seit unserer letzten Begegnung hatte sie sich sehr
verändert. Damals wirkte sie so zerbrechlich und durchsichtig wie
ein Geist. Während sie früher fast farblos gewesen war, zeigte ihre
Energie im Grau jetzt wesentlich deutlichere Konturen. Fäden aus
Rot und Schwarz schwebten um ihren Kopf.
Es war zwar noch immer eine verhältnismäßig kleine
Aura, doch sie war jetzt klar sichtbar. Bei unserer ersten
Begegnung war Gwen krank gewesen, und ich hatte erst später
begriffen, dass sie sich auf eine seltsame Weise zu Tode hungern
wollte. Sie war ganz langsam aus beiden Welten verschwunden und
hatte sich in einer Spirale aus
Apathie, Wahnsinn und Selbstzerstörung befunden. Das hatte sich
inzwischen offensichtlich geändert.
Ich wusste nicht, ob mich der Anblick eines
Vampirs, der wieder zu Kräften gekommen war, freuen sollte. Aber
ich war auch nicht ganz unglücklich, sehen zu dürfen, wie es
jemandem gelungen war, dem schrecklichen Kreislauf der
Selbstzerstörung zu entkommen. Außerdem hatte »Lady Gwendolin von
Anorexia« stets dazu tendiert, sich selbst zu bemitleiden – eine
Angewohnheit, die ich nur schwer ertrug. Ich konnte zwar Langeweile
verstehen, aber die meisten Vampire tendierten eher zur Arroganz
als zum Ennui, und ein Vampir mit einem völligen Desinteresse am
Überleben passte so gar nicht zu ihnen – zumindest soweit ich das
beurteilen konnte.
Ich beobachtete, wie Edward Gwen etwas ins Ohr
flüsterte und ihr dann einen Handkuss gab, bevor er sie ebenfalls
fortschickte. Gwen lächelte, stand auf und kam aus der Nische
heraus. Sie blickte mich an und schenkte mir ebenfalls ein Lächeln,
wodurch ihre scharfen Zähne entblößt wurden. Der Anblick gefiel mir
ganz und gar nicht.
»Hallo«, hauchte sie zart. »Es freut mich, Sie
wiederzusehen.«
Ich nickte ihr zu. »Es scheint Ihnen besser zu
gehen«, bemerkte ich, wobei ich mir Mühe gab, so neutral wie
möglich zu klingen.
»Das tut es auch«, erwiderte sie voller
Enthusiasmus. »Ja, das tut es. Ich trinke nicht einmal mehr Tee,
wissen Sie?«
»Gehen Sie noch immer ins Kino und nehmen an
Rollenspielen teil?«
»Oh, nein. Dafür bin ich viel zu beschäftigt. Aber
mir fehlen die Filme. Ich hoffe, bald wieder einmal ins Kino
zu kommen, ehe der Winter vorüber ist. Aber die langen Nächte
ermöglichen uns so vieles.«
»Da bin ich mir sicher.«
Gwen warf einen Blick auf Edward und lächelte. Ihre
Zungenspitze fuhr blitzschnell über ihre Vorderzähne, und dann
schwebte sie davon.
Ich setzte mich auf einen Stuhl in der Nische,
wobei ich den ganz außen wählte, um jederzeit fliehen zu
können.
»Sie haben also weitere Schützlinge unter Ihre
Fittiche genommen«, stellte ich fest und sah Edward mit
hochgezogenen Augenbrauen an.
»Ich bin noch immer dabei, einige Lücken zu füllen.
Dazu haben Sie mich gezwungen.«
»Das war auch keine schlechte Idee.« Die Kälte und
Übelkeit, die ich stets in der Gesellschaft von Vampiren empfand,
wurde bei Edward noch durch eine erotisch angehauchte Hitze
ergänzt, die er mit jedem Blick auslöste, den er mir
schenkte.
Ich hielt sowohl physisch als auch emotional
Abstand zu ihm und versuchte durch einen gewissen Zynismus einen
Schild um mich zu errichten, um so seiner manipulierenden Art
besser zu widerstehen. Ich hatte wirklich nicht vor, das nächste
Spielzeug in Edwards Sammlung zu werden. Gwen schien sich gerade
erst davon zu erholen – je nachdem, wie man erholen in ihrem Fall
verstehen durfte. Den meisten seiner Marionetten erging es
jedenfalls nicht so gut.
Er seufzte gequält, was bei jemandem, der kaum
atmete, ziemlich theatralisch wirkte. »Sie sind wahrhaftig
schwierig zufriedenzustellen, Harper.« Er sprach meinen Namen
betont lasziv aus, sodass ich das Gefühl hatte, von einer
einlullenden Wärme umhüllt zu werden. Diese Empfindung
lenkte mich einen Moment ab, sodass ich erst zu spät bemerkte, wie
er näher rückte.
»Sie scheinen darunter nicht sonderlich zu leiden«,
sagte ich und warf ihm einen scharfen Blick zu. In der Nische gab
es keine Fluchtmöglichkeit. Um Edward zu entrinnen, hätte ich
aufstehen müssen, doch noch war unser Gespräch nicht beendet. Nach
meinen letzten Erfahrungen mit Will war ich nicht in der Laune,
irgendwelche Machtspielchen mitzumachen – schon gar nicht mit einem
Vampir. Solange ich noch nichts erfahren hatte, musste ich jedoch
ausharren. Ich hielt zwar bei Edward bereits eine gewisse Kühle
meinerseits für gefährlich, aber das war immer noch besser als
aufgesetzte Freundlichkeit. Also biss ich die Zähne zusammen und
blieb sitzen.
Edward nahm meine Hand und hob sie hoch, um sie zu
betrachten. Er schien zu hoffen, so auf ein Geheimnis zu stoßen
oder vielleicht auch die Knochenstruktur unter meiner Haut besser
erkennen zu können. »Meine Liebe, mir haben Ihre Ratschläge
gefehlt.«
Mühsam entzog ich ihm meine Hand. Ich spürte, wie
Übelkeit in mir aufstieg. Edward zog wirklich alle Vampir-Register,
die ihm zur Verfügung standen, um mich zu bezirzen und an sich
binden. »Wenn Sie so weitermachen, brauchen Sie einen Eimer für den
Schleim«, entgegnete ich grob. Normalerweise wäre ich nie so plump
gewesen – vor allem nicht bei jemandem wie Edward, wenn ich ihm
noch nie zuvor begegnet wäre. Denn selbst als liebenswürdiger
Charmeur besaß er eine Boshaftigkeit, die geradezu greifbar war.
Doch in diesem Fall hielt ich es für das Beste, ihm so zu begegnen.
Ich hatte ihn zwar dazu gebracht, Dinge zu tun, die er eigentlich
nicht hatte tun wollen, und dafür hatte er unter anderem körperlich
leiden müssen. Aber
meiner Meinung nach hatte sich das Ergebnis für ihn wesentlich
mehr gelohnt als für mich.
»Ich bin bisher sehr geduldig gewesen«, fuhr er in
einem kühleren Tonfall fort. Sein Blick wurde stechender, und
erneut drehte sich mir der Magen um. Doch die Distanz, die er nun
hielt, war wesentlich angenehmer, auch wenn er offensichtlich eine
andere Taktik verfolgte. »Wie lange wollen Sie noch so tun, als ob
Ihnen Ihre mickrige Existenz, Ihr bedeutungsloses Zuhause, Ihr
lächerlicher Job und die Eintagsfliegen, die Sie Ihre Freunde
nennen, genügen würden? Sie könnten so viel mehr erreichen, Harper.
Und ich werde es allmählich müde, ständig darauf warten zu müssen,
dass Sie endlich Ihre Schulden begleichen.«
Ich lachte. Einen derart plumpen Angriff hatte ich
von Edward nun wirklich nicht erwartet. »Welche Schulden? Soweit
ich mich erinnern kann, waren wir mehr oder weniger quitt. Ich habe
Sie auf ein paar Dinge hingewiesen, die Ihren Untergang hätten
bedeuten können. Dafür wollte ich nichts für mich, sondern nur für
diejenigen, denen Sie bereits etwas geschuldet haben. Sie konnten
Ihren Thron behalten, Sie wurden sogar zum Helden und konnten den
großmütigen Herrn und Meister spielen. Gleichzeitig waren Sie in
der Lage, auf einen Schlag alle Ihre Feinde zu vernichten. Außerdem
konnten Sie Seattle als Ihr Reich behalten und Carlos wieder auf
Ihre Seite ziehen. Wo soll ich da noch in Ihrer Schuld stehen, wenn
ich fragen darf?«
»Sie haben dafür eine Bezahlung erhalten«,
erwiderte er mit eiskalter Stimme. Er wirkte zufrieden darüber, wie
leicht er mich in seine Falle gelockt hatte. Ich entschloss mich,
das Spiel noch etwas länger mitzumachen, ehe ich ihn
entwaffnete.
»Ich habe nichts außer mein eigenes Leben dafür
bekommen.
Vielleicht noch einige neue Narben und eine Verbindung zu Ihnen
und den Ihren, auf die ich gern verzichten könnte. Es mag zwar
stimmen, dass ich meinen Fall abschließen konnte. Aber das hat
nicht unbedingt zu einer befriedigenden Lösung geführt.«
Edward beugte sich vor und versuchte, meinen Blick
zu halten. Wenn ich ihm das gestattete, hätte er mich am Haken.
Also wandte ich den Kopf ab und starrte ihn finster aus den
Augenwinkeln an.
Frustriert fuhr er fort: »Sie haben anscheinend den
Scheck vergessen, den Sie damals angenommen haben und der Sie an
mich bindet. Sie stehen also in meiner Schuld, denn ich hätte Ihnen
nichts bezahlen müssen.«
»Oh, ja. Ich weiß. Sogar sogenannte Geschenke haben
ihren Preis.« Ich zog einen cremefarbenen Umschlag aus meiner
Tasche und knallte ihn zwischen uns auf den Tisch. Der Klang
erinnerte an eine zerrissene Gitarrenseite. »Meinen Sie vielleicht
diesen Scheck?«, fragte ich unschuldig und sah ihn nun direkt
an.
Ich hatte den Scheck seit jener Nacht, in der ich
ihn erhalten hatte, in seinem ursprünglichen Umschlag in der
untersten Schublade meines Büroschreibtischs aufbewahrt. Der
eingetragene Betrag wies viele Nullen auf. Doch die Versuchung, die
eine solche Summe auch für mich bedeutete, hatte nicht die gleiche
Wirkung wie die Angst, Edward Kammerling auf immer verpflichtet zu
sein. Ich hatte schon früh in meinem Leben begriffen, dass man
einen unerwartet hohen Lohn nicht umsonst bekam.
Als junges Mädchen war mir ein großzügiger
Vorschuss für eine Rolle in einem Musical angeboten worden –
allerdings nur unter der Bedingung, dass ich den eindeutigen
Wünschen des Regisseurs nachkam. Dummerweise hatte
mich diese Erfahrung nicht gelehrt, nicht immer wieder in
Versuchung zu geraten. Das letzte Mal jedoch, als ich mich in einer
solchen Lage befunden hatte, war mir endgültig klar geworden, dass
es auf der Welt nichts umsonst gab. So ließ mich bereits jede
Einladung zum Mittagessen aufhorchen, und je üppiger dieses war,
desto misstrauischer wurde ich. Nach meinen ersten Begegnungen mit
dem Grau und der Wirkung, die diese magische Welt auf mich hatte,
war ich davon ausgegangen, dass Vampire einen noch höheren Preis
für ihre angeblichen Gefallen verlangten. Ich hatte nicht falsch
gelegen. Offensichtlich war meine zynische Ader in diesem Fall von
Vorteil gewesen, denn Edward reagierte jetzt ausgesprochen
gereizt.
Er nahm den Umschlag und zog den Scheck mit dem
Vermerk »Für Dienste an der Community« heraus. Die Temperatur fiel
spürbar, bis ich schließlich meinen Atem sehen konnte. Zorn ist
nicht zwangsläufig immer ein hei ßes Gefühl. Doch wenn er sich in
diesem Fall als Hitze gezeigt hätte, wäre das Papier vermutlich
innerhalb weniger Sekunden zu Asche zerfallen.
Der Vampir legte Umschlag und Scheck nachdenklich
wieder auf den Tisch. »Verstehe.«
»Sie sollten sich ab und zu Ihre Kontoauszüge
ansehen«, schlug ich vor. »Offensichtlich nehmen Ihre Banker ihren
Job nicht ganz so ernst. Ich hatte diesen Scheck seit vergangenem
Mai, aber Ihnen ist anscheinend nicht aufgefallen, dass er nie
eingelöst wurde.«
Edward sah mich an. Oberflächlich betrachtet wirkte
sein Blick neutral. Doch die Aura um seinen Kopf strahlte blutrot.
Gleichzeitig bildeten sich schwarze Sturmwolken im Grau. Er lehnte
sich zurück, und der Zorn verflog genauso schnell, wie er gekommen
war.
»Ich hätte wissen müssen, dass es bei Ihnen nicht
funktioniert.«
»Wir sind nicht alle so leicht zu bestechen.«
»Oh, verstehen Sie mich nicht falsch. Ich hielt Sie
nicht für bestechlich. Ich dachte, ich würde Sie auf eine andere
Weise in Versuchung führen können.« Er verriet mir nicht, was er im
Schilde geführt hatte. »Doch wir haben bereits genug Zeit
verschwendet. Was wollen Sie? Vielleicht schulden Sie mir ja bald
wirklich etwas.«
»Hören Sie mit Ihren Spielchen auf, Edward. Ich
brauche nur eine kleine Information. Ich bitte Sie um keinen
Gefallen.«
»Schon verstanden«, gab er zurück. »Was wollen Sie
wissen?«
»Wer bringt die Obdachlosen am Pioneer Square
um?«
Die Frage überraschte ihn. »Woher soll ich das
bitte wissen? Wieso fragen Sie?«
»Die Todesfälle sind ziemlich seltsam. Die Körper
scheinen nicht mehr viel Blut in sich zu haben, und an einigen
Leichen wurden offenbar Hände und Beine abgenagt.«
Der Vampir runzelte die Stirn. Mir lief es eiskalt
den Rücken hinunter. »Ich vermute, dass Ihr Freund Quinton diesen
Verdacht geäußert hat. Er hält sich für klug. Ich kann nicht
behaupten, dass mir die Gesellschaft sonderlich zusagt, mit der Sie
sich umgeben.«
»Mir sagen auch nicht alle zu, mit denen ich mich
umgeben muss«, erwiderte ich spitz. »Sie haben doch bisher ganz gut
zusammengearbeitet. Was haben Sie plötzlich gegen Quinton
einzuwenden?«
Der Anflug eines Lächelns deutete sich auf seinem
Gesicht an. »Wenn ich Ihnen das erzählen würde, müsste ich Sie
töten«, scherzte er, auch wenn wir beide wussten, dass
es in Wahrheit kein Witz war. »Warum sollten Sie eine solche
Behauptung glauben – selbst wenn sie von einem sogenannten Freund
stammt?«, fuhr er fort, wobei er das Wort ›Freund‹ besonders
abfällig aussprach.
»Ich habe zwei der Leichen gesehen, und ich weiß
nicht, ob es sich bei ihnen um Vampiropfer handelt. Dazu kenne ich
zu wenige, um sie vergleichen zu können. Ich habe keine Ahnung,
wodurch die Obdachlosen den Tod gefunden haben. Ich weiß nur, dass
sie von etwas Magischem umgebracht wurden. Und dass man ihr Blut
und ihre Gliedmaßen mitnahm. Oberflächlich betrachtet, klingt das
nach dem Werk von Vampiren. Aber es gibt noch andere Dinge, die mir
seltsam vorkommen. Außer den Obdachlosen wurden in letzter Zeit in
der Gegend nämlich auch Zombies gesichtet. Einer davon könnte
meiner Meinung nach sogar ein früheres Opfer eines solchen Angriffs
gewesen sein. Es scheint sich um eine Art Serie zu handeln, die
mindestens sechzig Jahre zurückreicht. Es kann also kaum ein Mensch
sein, der diese Leute auf dem Gewissen hat. Und da Vampire deutlich
länger leben als normale Menschen, fand ich Quintons Idee nicht so
abwegig, wie Sie sich vielleicht denken können.«
Edward musterte mich verächtlich. »Ich kann Ihnen
versichern, dass keiner meiner Leute dafür verantwortlich ist. Wir
reißen nicht und erschaffen auch keine Zombies. Und falls uns
Fehler unterlaufen sollten, dann stellen wir sicher, dass diese
nicht nachts durch die Straßen wandeln.«
»Wenn wir also einmal davon ausgehen, dass kein
Vampir dahintersteckt …«
»Es steckt kein Vampir dahinter.« Edward klang nun
wütend, und seine Wut schien mir sowohl seelisch als auch
körperlich einen Schlag zu verpassen. Diesmal schaffte ich
es nicht, nicht zusammenzuzucken. Mein offensichtliches Unbehagen
besänftigte ihn ein wenig. Die anderen Vampire im Saal warfen uns
neugierige Blicke zu und sahen dann wieder weg, wobei ich im Grau
rötliche Blitze der Überraschung erkennen konnte.
»Mir fehlt zu einer solchen Behauptung leider die
letzte Sicherheit«, erwiderte ich. »Ich weiß weder, was aus den
Opfern von Vampiren wird, noch woher Zombies kommen. Genau deshalb
bin ich hier. Irgendetwas Furchterregendes passiert in unserer
Mitte, und dem muss Einhalt geboten werden. Ich bin mir sicher, es
würde Ihnen nicht gefallen, plötzlich in der Weekly zu
lesen, dass man blutleere Leichen am Pioneer Square gefunden hat
oder dass lebende Tote durch unsere Straßen wandeln.«
»Zombies sind etwas für Nekromanten und nicht für
uns«, fuhr er mich an. »Wir verwandeln unsere Opfer nur selten und
mit größter Umsicht …«
»Sie meinen so umsichtig, wie Sie das bei Cameron
getan haben?«
Das Knurren, das er von sich gab, schlug im Grau
schwarze Wellen. »Darum geht es jetzt nicht. Diese Toten, von denen
Sie sprechen, wurden weder blutleer von uns auf der Straße
zurückgelassen noch in wandelnde Leichen verwandelt. Das wäre
Wahnsinn, und keiner von uns ist wahnsinnig. Wenn Sie mehr wissen
wollen, sollten Sie sich an Carlos wenden.«
Seine Wut löste Schwindel und Übelkeit in mir aus.
Ich schluckte, blieb nach außen hin aber kühl. Zumindest hoffte ich
das. »Das werde ich auch. Ich will das Ganze zu einem Ende bringen
– ganz gleich, wer dafür verantwortlich ist.«
»Sie können mir glauben, Harper. Meine Leute sind
es
nicht.« Er lehnte sich zurück und gab mir damit zu verstehen, dass
die Unterhaltung für ihn beendet war. »Ich kann Ihnen sonst nichts
sagen, werde Sie aber auch nicht in Ihren Nachforschungen
behindern.«
Das wirst du bestimmt nicht, dachte ich
grimmig.
»Ich werde meinen Leuten sogar befehlen, Sie und
Ihren einsamen Wolf in Ruhe zu lassen, falls Ihnen das bei der
Lösung des Falls helfen sollte.«
»Ja, das würde helfen. Ich wäre Ihnen auch dankbar,
wenn Sie es mich wissen lassen könnten, sobald Sie etwas Relevantes
erfahren, was mich weiterbringen könnte.«
Edward nickte. »Gut, kann ich machen. Wäre das
jetzt alles?«
Ich blickte auf den Umschlag und den Scheck, die
noch immer auf dem Tisch lagen. »Sind wir quitt?«
Seine Lippen und seine Nasenflügel zuckten, doch er
nickte. »Ja, sind wir. Allerdings würde ich Ihnen raten, Ihren
sogenannten Freund erst einmal genau unter die Lupe zu nehmen,
bevor Sie ihm weiter vertrauen.«
Ich zog eine Augenbraue hoch, antwortete aber
nicht. Dann glitt ich aus der Nische. Es war keine gute Idee,
Edward verärgert zurückzulassen. Ich senkte also kurz den Kopf, um
eine gewisse Unterwürfigkeit zu signalisieren, und sagte dann:
»Danke.«
Als ich ging, verspürte ich hinter mir im wabernden
Grau eine seltsame Unruhe, als ob es mir gelungen wäre, Edward zu
überraschen, obwohl ich eigentlich bezweifelte, dass so etwas
möglich war. In meinem Kopf wirbelten alle möglichen Fragen
durcheinander, und ich musste mir große Mühe geben, meine
Aufmerksamkeit auf den gefährlichen Weg bis zur Tür zu richten.
Zumindest durfte ich annehmen, dass Edwards Versprechen, uns in
nächster
Zeit in Ruhe zu lassen, in der Vampir-Community ein gewisses
Gewicht besaß. Allerdings traute ich Vampiren grundsätzlich nicht
über den Weg, auch wenn Versprechen in diesem Umfeld eine beinahe
magische Wirkung hatten. Ich hoffte jedenfalls, dass mich keiner
der anderen Vampire nach meinem Gespräch mit Edward als Freiwild
betrachtete, sobald ich den Club verließ. Ich beobachtete die Gäste
des After Dark misstrauisch aus dem Augenwinkel. Einige
gierige Blicke folgten mir. Doch zum Glück kam mir keiner nach oder
erschien plötzlich auf der Straße, nachdem ich das Eisentor hinter
mir zugezogen hatte.
Ich verstand nicht ganz, weshalb Edward so empört
und angewidert auf die Zombies reagiert hatte. Aber seine Reaktion
hatte mich davon überzeugt, dass er die Wahrheit sagte. Die Vampire
hatten nichts mit den Todesfällen um den Pioneer Square zu tun.
Natürlich konnte man ihn und sein Rudel nicht völlig freisprechen.
Ich wusste zwar, dass sie sich überall auf die Lauer legten, doch
diesmal war es nicht ihr Werk. Zumindest konnte es kein Vampir
sein, der unter Edwards Schutz stand – damit also auch nicht
Carlos. Da Carlos sowohl Vampir als auch Nekromant war, schien es
mir der nächste logische Schritt zu sein, ihn aufzusuchen – eine
Vorstellung, die mich noch mehr erschreckte, als es das Gespräch
mit Edward getan hatte. Ich hegte wirklich kein Verlangen danach,
wieder von Verzweiflung und Horror erfüllt zu werden, wie ich das
bei unserem letzten Treffen erlebt hatte. Noch weniger wollte ich
in seiner Schuld stehen.
Mir kam eine Idee. Vielleicht musste ich gar nicht
mit Carlos sprechen. Schließlich hatte ich seinem Schützling
Cameron vor einiger Zeit bei einem Problem mit einem Toten
geholfen, von dem er nicht wusste, ob er als Vampir
wiederauferstehen würde oder nicht. Damals hatte Cameron
angedeutet, dass es wesentlich schlimmere Dinge gab, als ich mir
vorstellen konnte. Für mich war bereits die Vorstellung schlimm
genug, dass ein Vampiropfer als Vampir weiterleben würde. Doch
Camerons Bemerkung hatte mir gezeigt, dass ich noch lange nicht
alles wusste. Es gab nicht viel, was einen Vampir – selbst einen
jungen – aus der Fassung brachte. Cameron allerdings hatte sich
eindeutig gefürchtet. Vielleicht stand das Ganze ja mit meinem
augenblicklichen Fall in Zusammenhang?
Ich hatte mehr als einmal geholfen, Camerons
chaotisches Leben oder vielmehr Un-Leben in Ordnung zu bringen. Und
außerdem fand ich ihn nicht sonderlich bedrohlich. Jedenfalls noch
nicht. Also holte ich mein Handy aus der Tasche und wählte seine
Nummer. Er hob sofort ab.
»Hi, Harper.«
»Hi, Cam. Hör zu, ich habe ein Problem, und ich
könnte mir vorstellen, dass du mir weiterhelfen könntest.«
»Wirklich? Dann schieß los.«
»Ich würde dich lieber persönlich sprechen. Es
könnte etwas länger dauern.«
Ich hörte, wie er die Hand über die Muschel legte.
Einige Zeit lang klang seine Stimme verschwommen. Dann sprach er
wieder klar in den Apparat.
»Gut. Wir sind in einer Viertelstunde beim Big
Picture. Unten im Keller. Geh am besten gleich die Treppe
runter und bieg nach der Rampe links ab. Bis gleich.«
Er ließ mir keine Zeit, ihn zu fragen, wen er mit
»wir« meinte, sondern legte sofort wieder auf. Es passte mir
überhaupt nicht, einen weiteren Vampir zu treffen. Aber zumindest
schien mir der Ort, den er gewählt hatte, recht sicher zu sein. Ich
war zwar noch nie dort gewesen, hatte
aber bereits davon gehört. Das Big Picture war ein winziges
Kino in einer Bar unter dem El Groucho. Man konnte dort
Räumlichkeiten für private Anlässe mieten, sodass ich annahm, dass
wir dort ungestört reden konnten.
Ich war für das kalte Wetter mit meinen eleganten
Klamotten viel zu dünn angezogen. Auch mein Knie zeigte sich nicht
begeistert. Um es nicht noch weiter zu reizen, indem ich zu Fuß
ging oder in der Kälte auf einen Bus wartete, fuhr ich mit dem Auto
zur Ecke Wall Street und First Avenue. Zu meiner Überraschung fand
ich dort sofort einen freien Parkplatz, der noch nicht von den
vielen jungen Leuten okkupiert worden war, die gerne ins
Belltown-Viertel kamen, um sich hier zu amüsieren.
Ich trat durch die Schwingtüren des El
Groucho und bog nach rechts ab, ehe mich der Türsteher in
Augenschein nehmen konnte. Dort folgte ich einem kurzen Korridor
bis zu dem Neonschild BIG PICTURE über einer Treppe, die nach unten
führte. Für einen Moment bedauerte ich es bitterlich, dass Will und
ich es nie geschafft hatten, uns hier einen Film anzusehen. Doch
dann schüttelte ich den Anflug von Tristesse ab und stieg die
Treppe hinunter.
Ein Kino in einer Bar ist selbst für Seattle
ungewöhnlich. Allerdings gefiel mir die Vorstellung, endlich einmal
ohne nervende Jugendliche und Kinder einen Film sehen zu können.
Auf dem Weg nach unten stieg mir der Geruch von Popcorn in die
Nase. Falls man hier alte Schwarzweißfilme zeigte, wäre ich im
siebten Himmel gewesen. Für einen Moment sah ich mich mit einer
Tüte Popcorn und einer Flasche Bier in der Hand und Humphrey Bogart
oder auch einer Komödie wie Leoparden küsst man nicht auf
einer großen Leinwand, und ich konnte mir ein Lächeln nicht
verkneifen.
Die Kinolobby war gleichzeitig die Bar, wo es
einige gemütlich aussehende Sofas, Sessel und kleine Tischchen gab.
Das Ganze erinnerte an ein großes Wohnzimmer. Die vorherrschenden
Gold- und Grüntöne wirkten in dem schwachen Licht noch einladender
und üppiger. Auch die Zeitschichten im Grau waren hier weniger
bevölkert, was mir natürlich noch besser gefiel. Jemand hatte um
die Palmen, die hier in Blumentöpfen herumstanden, bunte
Lichterketten gewickelt. Einige Paare hatten es sich bereits auf
den Sofas bequem gemacht und nippten an ihren Getränken.
Obwohl der Raum nicht groß war, klangen die
Gespräche gedämpft. Vermutlich war die Schallverkleidung für das
Kino auch für die Bar verwendet worden. Selbst die Swingband aus
dem El Groucho war hier unten nicht zu hören. Ich entdeckte
zwei Türen am anderen Ende und vermutete, dass man von dort aus ins
Kino und in die anderen Räumlichkeiten gelangte.
Der Barkeeper warf mir einen fragenden Blick zu und
lächelte. Er schlug mir vor, meine Eintrittskarte zu lösen, etwas
zu bestellen und dann ins Kino zu gehen, da der Film gleich
anfangen würde. Ich erwiderte sein Lächeln und erklärte ihm, dass
ich auf Freunde warten würde …
»Harper!«
Ich drehte mich um und entdeckte Cameron, der auf
mich zukam. Erwartungsvoll blieb er vor mir stehen.
Er hatte sich seit unser letzten Begegnung vor zwei
Monaten kaum verändert. An diesem Abend trug er ein schwarzes Hemd
über einem strahlend weißen T-Shirt und dazu eine graue Hose. Sein
weißblondes Haar war noch immer sehr kurz geschnitten, sodass es
abstand, und mir fiel auf, dass die Düsterkeit seiner Vampir-Aura
im Vergleich
zu anderen seiner Artgenossen relativ schwach war. Ich vermutete,
dass er seit seinem Fehler im Oktober niemanden mehr angegriffen
hatte.
Es wäre mir lieber gewesen, ihn nicht um einen
Gefallen bitten zu müssen. Obwohl ich Cameron eigentlich mochte,
fand ich seine Entwicklung doch abstoßend und erschreckend. Wenn
ich fair bleiben wollte, musste ich meine Empörung, was den Toten
betraf, den ich mir hatte ansehen müssen, beiseiteschieben. Damals
war ich angewidert, aufgebracht und fest entschlossen gewesen, mich
in Zukunft von Cameron fernzuhalten. Andererseits hatte mein Besuch
im Leichenschauhaus zu der Bekanntschaft mit Fish geführt, was sich
nun bei meinem zweiten Besuch als nützlich erwiesen hatte. Ich
hatte allerdings nicht vor, Cameron ganz und gar zu verschonen. Es
mochte vielleicht etwas spießig von mir sein, aber ich hatte
einfach etwas dagegen, wenn man Menschen umbrachte.
»Hi, Cameron.«
Er grinste und entblößte dabei seine scharfen
Eckzähne. »Ich hole uns etwas zu trinken. Was willst du?«
Ich zögerte.
»Es ist nur etwas zu trinken, Harper. Du kannst die
zweite Runde ausgeben, wenn du willst«, beruhigte er mich.
Da es mir sowieso ein geeigneter Tag für einen
Drink schien, willigte ich ein. »Also gut«, erwiderte ich. »Dann
einen Bushmills ohne Eis und Soda.«
Wieder schenkte er mir sein strahlendes Lächeln und
ging an die Bar, während ich durch die Lobby lief und drei Stufen
hinunterstieg, um im nächsten Raum den Vampir zu treffen, den
Cameron mitgebracht hatte. Es war Carlos.
Er saß in einer Nische mit einer Couch und einem
Sessel
ohne Armlehnen. Außerdem stand dort noch ein kleiner Bambustisch
mit einer Glasplatte und eine Chaiselongue aus Rattan, die wie eine
lauernde Katze aussah.
Carlos – groß, dunkel und furchterregend wie immer
– hatte es sich an einer Seite des Sofas bequem gemacht. Ich hatte
also die Wahl, mich entweder neben ihn zu setzen – was mich nicht
sonderlich reizte – oder den unbequemsten Platz zu wählen. Dort
würde ich zwar mit dem Rücken zum Ausgang sitzen, aber ich hatte
jederzeit die Möglichkeit, zu flüchten, falls es nötig sein sollte.
Ich wählte also den Sessel.
Carlos nickte mir zu, und für einen Moment zeigte
sich der Anflug eines Lächelns in seinem Gesicht. Er sah gesünder
aus, als ich ihn jemals erlebt hatte, wobei ich lieber nicht wissen
wollte, wieso. Ich erwiderte seinen Gruß. Er schien wie immer
amüsiert zu registrieren, dass ich mich in seiner Gegenwart sehr
unwohl fühlte.
Keinem von uns blieb Zeit, etwas zu sagen, ehe
Cameron mit drei Gläsern auf einem Tablett zu uns stieß. Er stellte
die Getränke auf dem Tischchen ab, bevor er es sich in der anderen
Ecke des Sofas bequem machte. Früher hatte er sich meist wie ein
Teenager oder ein junger Student hingefläzt. Doch inzwischen saß er
wie ein junger Tiger auf dem Sprung da. Er nahm sein Glas mit
Martini. Carlos trank Rotwein, was mich nicht überraschte.
Cameron sah mich aus seinen violetten Augen an.
»Also – was möchtest du wissen?«
»Wie direkt kann ich sein, ohne sofort abgemurkst
zu werden?«
Cameron kicherte, ohne sich an seinem Martini zu
verschlucken. Dann stellte er das Glas hastig ab. Er presste seine
Nasenflügel zusammen und warf Carlos einen raschen
Blick zu. »Oh, Mann. Jetzt habe ich aus Versehen Alkohol in die
Nase bekommen. Das tut weh.«
Carlos zog eine seiner schwarzen Augenbrauen hoch.
»Nur weil du nicht mehr durch deine Nase atmest, bedeutet das noch
lange nicht, dass sie sich verändert hat, Junge.«
»Ich werde es mir merken«, erwiderte Cameron, rieb
sich die Nasenspitze und verzog das Gesicht, als ob er niesen
wollte. Einen Moment später wandte er mir wieder seine
Aufmerksamkeit zu. »Ich glaube, jetzt bin ich endlich so weit.
Schieß los.«
Ich holte tief Luft und wagte den Sprung ins kalte
Wasser. »Als du dir vor zwei Monaten Sorgen um deinen Toten gemacht
hast, meintest du, dass er vielleicht als etwas anderes als ein
Vampir ins Leben zurückkehren könnte – falls er überhaupt
zurückkehrt. Hast du dabei vielleicht an einen Zombie
gedacht?«
Die beiden warfen mir ausdruckslose Blicke zu, und
ich spürte, wie die Temperatur im Raum fiel. Carlos wandte den Kopf
und sah Cameron derart durchdringend an, dass dieser
zusammenzuckte.
»Ich weiß nichts über Zombies«, erwiderte Cameron.
»Und da letztes Mal sowieso nichts passiert ist«, fügte er hinzu
und warf Carlos einen trotzigen Blick zu, sodass dieser im Grau rot
zu leuchten begann, »habe ich auch nichts mit jemandem zu tun, der
jetzt vielleicht durch Seattle streift. Bist du denn einem Zombie
begegnet?«
Ich nickte und erklärte den beiden kurz, was
vorgefallen war. Ihre Mienen wirkten angespannt und ziemlich
beängstigend, während sie mir aufmerksam zuhörten. Mein Blick
wanderte immer wieder zwischen ihnen hin und her, um auf keinen
Fall zu lange in die Augen eines Vampirs
zu starren. »Ja. Ich … Ich bin vor einigen Nächten quasi über
einen Zombie gestolpert. Die Kreatur, die ihn mitgebracht hat, hat
von mir verlangt, ihn … also … Der Geist des Leichnams war in
seinem Körper gefangen, und ich sollte ihn daraus befreien. Es war
alles ziemlich unappetitlich.«
Ich erzählte den beiden nichts von Will, da ich
Angst hatte, dass Carlos sonst auf die Idee kommen könnte, sich
auch für meinen Verflossenen zu interessieren. Auch wenn wir kein
Paar mehr waren, so konnte ich Will doch nicht zumuten, von Carlos
belästigt zu werden. Der Vampir konnte sehr gefährlich werden, vor
allem wenn er annahm, dass sich seine Welt in Gefahr befand. Ich
war zwar wütend auf Will, aber so wütend dann auch wieder
nicht.
Carlos beugte sich langsam vor und legte die Hände
flach auf den Tisch. Der Bambus ächzte, und ich vernahm ein
Geräusch, als ob eine Eisplatte gesprungen wäre. »Erzähl uns genau,
was passiert ist. Was hast du getan, und was hast du
gesehen?«
Ich spürte, wie er versuchte, mir seinen Willen
aufzudrängen, und wich ihm aus, indem ich eine Wand aus Grau
zwischen uns zog. »Du musst mich nicht zwingen«, knurrte ich ihn
missmutig an.
Cameron lehnte sich zurück, zog die Knie hoch und
stellte sein Glas auf ihnen ab. »Genau, Mann. Schlechte Manieren,
Herr Lehrer.«
Carlos warf ihm einen zornigen Blick zu, der noch
bedrohlicher wirkte als der zuvor. Diesmal zuckte Cameron jedoch
nicht zusammen. Stattdessen starrte er nur finster zurück. »Wie
heißt dieser Film nochmal?«, fragte er mich, ohne den Blick von
Carlos zu wenden. »Du weißt schon –
in dem Paul Newman sagt: ›Du sollst mit deinen Freunden nicht
falschspielen‹?«
»Der Clou«, erwiderte ich.
»Genau.« Seine Stimme klang auf einmal seltsam
erwachsen. »Mara hat das Gleiche zu mir gesagt, als wir uns zum
ersten Mal trafen.«
Carlos’ Augen wurden zu schmalen Schlitzen.
Schließlich wandte er den Kopf zur Seite und schnaubte verächtlich.
»Du wirst langsam besser«, murmelte er.
Cameron räusperte sich. »Schlechter
Verlierer.«
Der ältere Vampir warf ihm einen Blick zu, der
Cameron wie ein körperlicher Schlag traf. Der Kopf des jungen
Vampirs flog nach vorn und prallte gegen seine Knie. Das Glas mit
dem Martini fiel zu Boden. Carlos sah ungerührt zu, wie sich
Cameron wieder aufrichtete und ganz langsam die Füße auf den Boden
stellte.
Er war kreidebleich geworden, schloss die Augen und
neigte den Kopf. »Ich bitte um Verzeihung«, murmelte er.
Carlos nickte. »Du wirst wirklich langsam besser«,
murmelte er erneut. Dann konzentrierte er sich wieder auf
mich.
Diesmal versuchte er nicht, mich unter Druck zu
setzen. »Was ist passiert? Erzähl uns genau, was du getan und was
du gesehen hast.«
»Der Zombie war bereits am Verwesen, aber er konnte
sich noch bewegen. Ich habe in ihm und um ihn herum ineinander
verwickelte Energielinien gesehen, die ihn meiner Meinung nach am
Leben erhielten. Sie waren überall von Fäden aus dem Grau
durchzogen – es sah fast wie ein Netz aus. Diese Fäden waren
irgendwie seltsam. Sie schienen selbst keine Energie zu beinhalten
und bestanden aus einem sehr weichen, fast neutralen
Material.«
Alleine die Erinnerung daran verursachte mir Ekel.
Ich schluckte, um nicht würgen zu müssen. »Ich habe in den
verwesenden Körper gefasst, um die Energiestränge
auseinanderzuziehen. Dann fiel der Zombie in sich zusammen. Oder
besser gesagt, er hat sich aufgelöst. Es gelang mir, die Stränge zu
trennen, und ich konnte deutlich zwei verschiedene Energieformen
wahrnehmen. Eine davon hat nicht da hingehört. Sie verschwand auch
sofort. Irgendwie kam sie mir bekannt vor, aber ich weiß nicht,
warum. Die andere Energie schien der Geist des Körpers zu sein. Ich
glaube, der Tote war früher ein Indianer. Ich nehme nicht an, dass
er zurückblieb, sondern sich wie der Körper aufgelöst hat. Sobald
die Energieformen verschwunden waren, zerfiel die Leiche zu Staub
und wurde vom Wind weggetragen.«
Carlos sah mich an. Im Grau um ihn herum schien ein
Sturm aufzuziehen. »Sonst noch etwas?«
»Ich habe diese Art von weichen Fäden in letzter
Zeit öfter gesehen. Zum Beispiel am Tatort eines Verbrechens, wo
sie an einem Toten hingen. Und noch an einem anderen Leichnam. Doch
diese Leichen waren nicht in der Lage aufzustehen und
herumzulaufen.«
Carlos dachte nach, während Cameron mir einen Blick
zuwarf. Er zuckte mit den Schultern und wartete wie ich auf Carlos’
Antwort. Selbst für einen Vampir wirkte Cameron weiterhin
unwirklich blass.
»Hatten diese weichen Fäden immer dieselbe Form?«,
wollte Carlos nach einer Weile wissen. »Du hast gesagt, dass sie
wie ein Netz aussahen.«
»Nein, eigentlich nicht. Sie waren nur da.«
»Mmh … Ungewöhnlich. Das war kein echter Zombie,
aber für den Moment wollen wir uns nicht mit Begriffen
aufhalten. Deine Fäden hielten den Geist in seinem Körper
gefangen, sodass er nicht zur Ruhe kommen konnte.«
»Das waren nicht meine Fäden«, widersprach ich.
»Und woher willst du wissen, dass es kein echter Zombie war – wenn
es so etwas überhaupt gibt?«
Carlos lachte heiser und lehnte sich auf dem Sofa
zurück. »Es gibt verschiedene Arten von Zombies. Die echten Zombies
werden in eine Gestalt gezwungen und durch Energie darin
festgehalten. Was du beschreibst, scheint mir aber etwas anderes zu
sein. Du konntest den lebensspendenden Geist nur aus der
Körperhülle herausholen, weil der Körper bereits am Verfallen war.
Du hast das Netz zerstört, das den Körper zusammenhielt, indem du
in ihn hineingefasst hast. Solange die äußere Gestalt noch so
aussah, als ob es sich um einen lebendigen Körper handeln würde,
vermochte der Geist nicht zu entkommen. Das weiche Material des
Netzes hat sozusagen das Gefängnis gebildet, das jemand gebaut hat,
um den Mann zu fangen und zu töten.«
»Dann ist es also eine Art Zauber?«
»Nein, es ist ein Überbleibsel – wie die Fäden
einer Spinne, die sie um eine Fliege wickelt. Es besitzt keine
eigene Energie und zieht auch keine an. Es handelt sich um totes
Material und nicht um einen lebendigen Zauber. Ein echter Zombie
kann nur in einem vor kurzem verstorbenen Körper geschaffen
werden.«
Carlos’ Worte ließen ein Bild von einem
dunkelhaarigen Mann vor meinem inneren Auge erstehen. Er kniete in
einem Friedhof und murmelte eine Zauberformel vor sich hin, wodurch
sich Leichen aus Gräbern und Mausoleen erhoben. Ich musste mich
schütteln, um nicht von der einlullenden Stimme des Vampirs
benebelt zu werden, die sich
auf merkwürdige Weise mit der des Mannes aus meiner Fantasie
verband. Mir lief es kalt über den Rücken.
»Wenn der Körper tatsächlich bereits so verwest
war, wie du sagst«, fuhr Carlos fort, »hätte er von sich aus
zerfallen müssen. Doch das Netz hat ihn zusammengehalten. Sonst
wäre es dir auch nicht so leicht gefallen, die Energiefäden aus ihm
herauszuziehen. Du hättest den Körper aufschneiden müssen.« Er
runzelte die Stirn. In unserer Nische schien es noch düsterer zu
werden. »Der zweite Geist allerdings … Der zweite Geist beunruhigt
mich. So etwas sollte nicht geschehen. Es muss noch eine dritte
Partei geben, die das Ganze für ihre Zwecke nutzen wollte.«
Ich sah ihn fragend an. »Was nutzt sie für ihre
Zwecke?«, hakte ich nach. »Ich verstehe noch immer nicht, wie das
alles zusammenhängt.«
»Der lebende Tote und diese grauen weichen Fäden
stammen von einem Zauberwesen, das Menschen tötet. Ich habe keine
Ahnung, welche Ziele es verfolgt, und ich bin mir auch nicht
sicher, ob dieses Netz noch nach dem Tod des Wesens zurückbleibt.
Falls doch, werden die Zombies, die durch die Kreatur erschaffen
wurden, auch nach deren Zerstörung weiter existieren.«
»Aber es wird doch keine weiteren Zombies geben,
wenn dieses … dieses Ding sie nicht mehr erschafft – oder?«
»Nein, dann nicht. Jedenfalls keine neuen mehr.
Diejenigen, die noch übrig bleiben, müssen genauso eliminiert
werden, wie du das schon getan hast – indem man die Energiefäden
herausholt, die durch das Netz im Körper gefangen gehalten werden.
Vielleicht gelingt es ja auch einigen Geistern, zu fliehen, sobald
die Kreatur zerstört ist. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.
Man muss jedenfalls das Zentrum ausmerzen. So viel ist klar.«
Ich schüttelte mich angewidert, und auch Cameron
wirkte grimmig.
Carlos lächelte böse. »Es ist eine magische
Verstrickung. Du weißt ja, dass magische Formen und Gestalten noch
eine Zeit lang präsent bleiben«, sagte er. »Um sie zu zerstören,
muss man die eigentliche Mitte auseinandernehmen. Wenn es ein
Zombie wäre, der von einem Nekromanten ins Leben gerufen worden
ist, oder auch ein Vampiropfer, bei dem etwas falsch lief, wäre das
Ganze etwas anderes. Aber hier haben wir es weder mit dem einen
noch mit dem anderen zu tun. Alles wirkt irgendwie willkürlich.
Diese Kreatur scheint die Erschaffung von Zombies nicht bewusst
oder ständig herbeizuführen, denn sonst wären deine beiden anderen
Leichen ja auch wieder auferstanden.«
»Dafür sollte man dankbar sein. Seattle hat schon
genug mit der Kälte und den ständigen Stromausfällen zu kämpfen. In
letzter Zeit gab es am Pioneer Square mindestens vier Tote, es
könnten aber auch deutlich mehr sein. Hast du irgendeine Ahnung,
was für ein Wesen das sein könnte, das diese Leute umbringt und
solche Fäden hinterlässt?«
»Nein.«
»Könnte es vielleicht die Kreatur sein, die mir den
Zombie gebracht hat? Es war ein ziemlich haariger Mann oder
vielleicht auch ein Monster.«
»Vermutlich ein Haariger.«
»Wie? Was ist denn ein Haariger?«
Er sah mich ein wenig verächtlich an. »Das sind die
Alten. Kreaturen, die eine Mischform zwischen den mythischen
Tiermenschen der Eingeborenen und den Lebenden unserer normalen
Welt darstellen. Die Geschichten über Bigfoot erzählen von einem
Riesen, der zum Volk der Haarigen
gehört. Haarige sind nicht sehr klug, aber auch nicht
gefährlich.«
»Das ist doch Blödsinn. Das erste Mal, als ich so
einem begegnet bin, wollte er mich töten, nur weil Wygan es ihm
befohlen hat.«
Nun war Carlos’ Neugier geweckt, und ich bereute es
bereits, Wygan oder den Haarigen erwähnt zu haben.
»Hat Wygan ihn auch diesmal geschickt?«
»Nein. Der Haarige scheint bei Wygan ziemlich unten
durch zu sein, weil es ihm beim ersten Mal nicht gelungen ist, mir
etwas anzutun. Er hatte ziemlich viele Narben und meinte, dass ich
an seinen Verletzungen Schuld wäre. Die stammten offensichtlich von
Wygan. Er wollte, dass ich den Zombie zerstöre, um dadurch meine
Schuld bei ihm zu begleichen.«
Cameron lehnte sich zu mir und sah mich besorgt an.
»Du hast doch nicht noch andere … noch andere seltsame Dinge
gesehen, oder?«
»Was für seltsame Dinge?«, wollte ich wissen. »Noch
Seltsameres als Vampire, Zombies, Geister und Haarige?«
»Ich meine …«
Carlos warf Cameron einen warnenden Blick zu, aber
dieser achtete nicht darauf. »Ich meine nicht uns. Ich meine andere
Wesen, die Menschen auflauern … und anderen.«
»Willst du damit andeuten, dass es etwas gibt, was
auch Vampire frisst?« Allein die Vorstellung drehte mir den Magen
um. Ich hatte eigentlich keine Lust, herauszufinden, ob es noch
etwas Schlimmeres als Wygan oder Carlos gab. »Was soll das sein?
Werwölfe? Dämonen? Was gibt es denn noch Schlimmeres?«
Carlos schüttelte den Kopf und verbot Cameron mit
einem weiteren Blick, mir zu antworten. Dann wandte er sich an
mich. »Du musst vor dem Haarigen keine Angst haben. Es ist ihm
nicht gelungen, dir etwas anzutun«, erklärte er. »Und Haarige sind
nicht in der Lage, einen solchen Faden auszulegen, wie du ihn
geschildert hast. Er hat dir den Zombie gebracht, damit du ihm
seinen Frieden schenkst. Aber er hätte ihn niemals erschaffen
können. Er wollte nur seinen Geist befreien. Falls es sich bei dem
Toten tatsächlich um einen Indianer gehandelt hat, dann hat dem
Haarigen der Geist des Verstorbenen wahrscheinlich leidgetan. Die
zwei waren vielleicht schon lange miteinander verbunden.«
»Das hilft mir aber mit den Zombies und den toten
Obdachlosen nicht weiter. Ich weiß noch immer nicht, ob sie von
einer Art riesiger, menschenfressender, übernatürlicher Spinne
angegriffen wurden oder sonst etwas«, entgegnete ich. »Ich will,
dass das aufhört!«
Allein die Vorstellung, dass aus den Kanälen und
dem Untergrund tatsächlich ein Monster kommen könnte, ließ mir das
Blut in den Adern gefrieren.
»Das verstehe ich. Aber wir können dir in diesem
Fall nicht weiterhelfen«, erklärte Carlos. Er schien plötzlich sehr
daran interessiert zu sein, unsere Unterhaltung so schnell wie
möglich zu beenden.
Das machte die Angelegenheit für mich noch
unheimlicher, denn Carlos war wahrhaftig niemand, der sich leicht
aus der Ruhe bringen ließ. Wenn er nicht weiterreden wollte, hatte
er normalerweise keine Hemmungen, eine Ausrede zu gebrauchen. Doch
jetzt stand er einfach auf.
»Das Ganze hat nichts mit Geisterbeschwörung zu tun
und gehört auch nicht in das Reich der Vampire. Ich habe
keine Ahnung, welche Kreatur hinter den Anschlägen steckt oder wie
sie ihr Netz erschafft. Ich weiß auch nicht, warum es auf diese
Weise ausgeworfen wird. Es ist an dir, das herauszufinden, und es
zu zerstören, Harper.«
Er ging an mir vorbei und verließ den kleinen Raum.
Cameron stand ebenfalls auf und wollte ihm folgen.
»Was hat das alles zu bedeuten, Cameron?«, wollte
ich wissen.
Er blieb für einen Moment stehen und sah zu mir
herab. »Tut mir leid, Harper. Es steht nicht in unserer Macht,
etwas zu tun … was auch immer es sein mag. Bisher hat es das Grau
noch nicht so aufgewühlt, dass es uns stören würde. In einer
solchen Situation verfügen wir auch nur über körperliche Macht, und
die wird dir in diesem Fall nicht weiterhelfen. Falls du allerdings
dieses Wesen findest und ein paar kräftige Arme brauchst, um es zu
bändigen, dann ist das natürlich etwas anderes. Aber sonst können
wir dir nicht weiterhelfen.«
»Wovor habt ihr Angst? Ich kann nicht glauben, dass
ihr Angst habt.«
»Das kann ich dir nicht sagen. Aber es geht nicht
um dein Monster, so viel ist sicher. Glaub mir, und stell bitte
keine weiteren Fragen über die … die anderen. Bitte. Carlos wird
mich sowieso schon bestrafen, und ich schwöre dir, dass du es auch
gar nicht wissen willst.«
Mit diesen Worten drehte Cameron sich um und folgte
seinem Meister nach draußen.
Ich blieb sprachlos zurück und starrte auf den
unberührten Wein und den verschütteten Martini. Dann stürzte ich
meinen Whisky runter und ging ebenfalls. Ich wusste, dass es keinen
Sinn hatte, zu versuchen, die beiden doch noch zum Sprechen zu
bringen. Selbst wenn es mehr gab, als
was sie mir gesagt hatten, wollten sie offenbar nicht damit
herausrücken. Warum sollte ich also Zeit verschwenden?
Aber was zum Teufel konnte sie derart in Angst und
Schrecken versetzen? Innerlich schickte ich ein Stoßgebet zu
irgendeinem Gott im Himmel, dass ich es nicht eines Tages bedauern
würde, sie nicht zum Sprechen gebracht zu haben.