EPILOG
In den folgenden Tagen schlief ich mehr,
als ich arbeitete. Mir fiel nicht einmal auf, dass in Seattle
wieder die üblichen Wintertemperaturen herrschten und der norma le
Alltag zurückgekehrt war. Quinton war noch immer wachsam, was Fern
Laguire und Detective Solis betraf. Auch ich war mir nicht sicher,
ob wir sie nun endlich los waren.
Fern Laguire war es gelungen, Solis alle
Untersuchungen und Nachforschungen hinsichtlich der toten
Obdachlosen und irgendwelcher Monster im Kanalsystem zu entreißen.
Sie vergrub die Fälle am sichersten Ort der Welt – der staatlichen
Bürokratie -, wo sie wohl nie mehr das Licht der Welt erblicken
würden.
Solis hatte sich zuerst gegen einen solchen
Eingriff gewehrt. Doch dann wurde er von einem Schusswechsel im
Zentrum von Seattle abgelenkt und begann sich auf den neuen Fall zu
konzentrieren. Zwar vergaß er die seltsamen Todesfälle nicht, aber
zumindest für den Moment ließ er sie ruhen – was bedeutete, dass er
sich weder um mich noch um den mysteriösen Mr. Lassiter weiter
kümmerte, mit dem ich auf einmal überraschend viel Zeit
verbrachte.
Trotz der Sorge, dass seine Deckung jeden Moment
auffliegen könnte, blieb Quinton in seinem Untergrundzimmer
und in meinem Leben. Nachdem er sich eine Weile liebevoll um mich
gekümmert und sowohl mein Appartement als auch mein Büro von Wanzen
befreit hatte, verbrachte er zur Abwechslung wieder drei Nächte in
seiner eigenen Behausung. Chaos gefiel es, dass Quinton so viel
Zeit bei uns verbrachte. Das treulose Tier hängte sich geradezu an
ihn und kümmerte sich erst wieder um mich, wenn Quinton nicht da
war.
Im Innersten unserer Herzen waren wir beide
Einzelgänger, und da Quinton zudem nicht wusste, ob er sich noch
immer auf Fern Laguires Radarschirm befand, stand es nie zur
Debatte, wie viel wir Zeit bei mir zu Hause verbrachten. Nachdem es
mir wieder besser ging, waren wir sowieso viel zu sehr damit
beschäftigt, Sisiutls letzte Zombies zu suchen und zu
beseitigen.
Quinton behielt Bella eine Weile bei sich.
Schließlich übergab er den betrübten und verwaisten Hund jedoch
Rosaria Cabrera von den Frauen in Schwarz. Bella wurde ihre
ständige Begleiterin. Auch wenn sie weiterhin seltsame Gestalten im
Nebel anknurrte und häufig die Ohren spitzte, war sie schon bald
eine treue Freundin.
Von Tanker gab es kein Lebenszeichen mehr. Wir
wussten nicht, ob er tot oder vielleicht doch irgendwo
untergetaucht war.
Ben überlebte Sisiutls Angriff, wenn auch nur
knapp. Typisch Ben, war er auf den beinahe tödlich verlaufenen
Zusammenstoß mit der unheimlichen Schlangenkreatur ziemlich stolz.
Mara hingegen zeigte sich nicht so begeistert und hielt ihrem Mann
eine lange Standpauke, indem sie ihm erklärte, wie dumm es von ihm
gewesen sei, sich solchen Risiken auszusetzen, während sie noch
nicht einmal die Frage mit Albert gelöst hatten. Das Netz mit dem
Geist verschwand irgendwann vom Dach der Danzigers. Aber Mara
hüllte sich in Schweigen, was sie damit gemacht hatte.
Nach einer Weile vergab mir Chaos, dass ich nach
Monstern gestunken hatte, und begann wieder mit dem Erklettern der
Bücherregale, dem Stehlen meiner Schuhe, dem Fressen meines
Frühstücks und dem Angriff auf meine nackten Zehen. Eines Tages
warf er bei einer seiner Eskapaden die hölzerne Puzzle-Box, die
Will mir geschenkt hatte, auf den Boden. Er kicherte siegessicher
und begann sie dann durchs Zimmer zu rollen und um sie
herumzutanzen. Ich hatte Will bewusst aus meinen Gedanken
verdrängt, und der Anblick der Box versetzte mir einen leichten
Stich. Ich war zwar glücklich mit Quinton, würde aber wohl immer
eine Schwäche für Will haben – trotz unseres abrupten Endes.
Während Chaos mit der Puzzle-Box spielte, fiel
die zerzauste Fasanenfeder vom Regal. Sie segelte langsam zu Boden
und landete mit dem Kiel zuerst auf der Kugel. Ein unwirkliches
Klingelgeräusch ertönte, das Puzzle bewegte sich, und das Grau
begann sich zu regen. Es gab einen Ton von sich, als ob eine
luftdicht verschlossene Tür geöffnet worden wäre. Auf einmal konnte
ich jede Faser in meinem Körper spüren. Die Feder schwebte weiter
zu Boden, aber die Atemlosigkeit im Grau hielt an. Chaos sprang
entsetzt zurück und fuchtelte mit seinen kleinen Klauen, ehe er
nach einem Moment triumphal zu der Kugel zurückkehrte. Er schien
irgendetwas Unsichtbares besiegt zu haben. Kurz darauf spielte er
bereits wieder vergnügt mit dem Ball.
Ich beobachtete, wie im Grau etwas Glühendes über
den Boden schwebte, und fragte mich, welche neue Hölle wohl bereits
auf mich wartete.