5. Der sogenannte Arbeitsfonds

Es ergab sich im Verlauf dieser Untersuchung, daß das Kapital keine fixe Größe ist, sondern ein elastischer und mit der Teilung des Mehrwerts in Revenue und Zusatzkapital beständig fluktuierender Teil des gesell-377

DAS KAPITAL

schaftlichen Reichtums. Man sah ferner, daß selbst bei gegebner Größe des funktionierenden Kapitals die ihm einverleibte Arbeitskraft, Wissenschaft und Erde (worunter ökonomisch alle ohne Zutat des Menschen von Natur vorhandnen Arbeitsgegenstände zu verstehn sind) elastische Potenzen desselben bilden, die ihm innerhalb gewisser Grenzen einen von seiner eignen Größe unabhängigen Spielraum gestatten. Es wurde dabei von allen Verhältnissen des Zirkulationsprozesses abgesehn, die sehr verschiedne Wirkungsgrade derselben Kapitalmasse verursachen. Es wurde, da wir die Schranken der kapitalistischen Produktion voraussetzen, also eine rein naturwüchsige Gestalt des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, abgesehn von jeder mit den vorhandnen Produktionsmitteln und Arbeitskräften unmittelbar und planmäßig bewirkbaren rationelle-ren Kombination. Die klassische Ökonomie liebte es von jeher, das gesellschaftliche Kapital als eine fixe Größe von fixem Wirkungsgrad aufzufassen. Aber das Vorurteil ward erst zum Dogma befestigt durch den Urphilister Jeremias Bentham, dies nüchtern pedantische, schwatzlederne Orakel des gemeinen Bürgener-standes des 19. Jahrhunderts.[62] Bentham ist unter den Philosophen, was Martin Tupper unter den Dichtern. Beide waren nur in England fabrizierbar.[63] Mit seinem Dogma werden die gewöhnlichsten Erscheinungen des Produktionsprozesses, wie z.B. dessen plötzliche Expansionen und Kontraktionen, ja sogar die Akkumulation, völlig unbegreif-

[62] Vgl. u.a. J. Bentham, "Théorie des Peines et des Récompenses", trad. Et. Dumont, 3ème éd., Paris 1826, t.II, l.IV, ch.II.

[63] Jeremias Bentham ist ein rein englische Phänomen. Selbst unsern Philosophen Christian Wolf nicht ausgenommen, hat zu keiner Zeit und in keinem Land der hausbackenste Gemeinplatz sich jemals so selbstgefällig breitgemacht. Das Nützlichkeitsprinzip war keine Erfindung Benthams. Er reproduzierte nur geistlos, was Helvetius

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bar.[64] Das Dogma wurde sowohl von Bentham selbst als von Malthus, James Mill, MacCulloch usw. zu apologetischen Zwecken vernutzt, namentlich um einen Teil des Kapitals, das variable oder in Arbeitskraft umsetzbare Kapital als eine fixe Größe darzustellen. Die stoffliche Existenz des variablen Kapitals, d.h. die Masse der Lebensmittel, die es für den Arbeiter repräsentiert, oder der sog. Arbeitsfonds, wurde in einem durch Naturketten abgeringten und unüberschreitbaren Sonderteil des gesellschaftlichen Reichtums verfabelt.

Um den Teil des gesellschaftlichen Reichtums, der als konstantes Kapital oder, stofflich ausgedrückt, als Produktionsmittel funktionieren soll, in Bewegung zu setzen, ist eine bestimmte Masse lebendiger Arbeit erheischt. Diese ist technologisch gegeben. Aber weder ist die Anzahl der Arbeiter gegeben, erheischt, um diese Arbeitsmasse flüssig zu machen, denn das wechselt mit dem Exploitationsgrad der individuellen Arbeitskraft, noch der Preis dieser Arbeitskraft, sondern nur seine

und andere Franzosen des 18. Jahrhunderts geistreich gesagt hatten. Wenn man z.B. wissen will, was ist einem Hunde nützlich, so muß man die Hundenatur ergründen. Diese Natur selbst ist nicht aus dem "Nützlichkeitsprinzip" zu konstruieren. Auf den Menschen angewandt, wenn man alle menschliche Tat, Bewegung, Verhältnisse usw. nach dem Nützlichkeitsprinzip beurteilen will, handelt es sich erst um die menschliche Natur im allgemeinen und dann um die in jeder Epoche historisch modifizierte Menschennatur. Bentham macht kein Federlesens. Mit der naivsten Trockenheit unterstellt er den modernen Spießbürger, speziell den englischen Spießbürger, als den Normalmenschen. Was diesem Kauz von Normalmensch und seiner Welt nützlich, ist an und für sich nützlich. An diesem Maßstab beurteilt er dann Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Z.B. die christliche Religion ist nützlich, weil sie dieselben Missetaten religiös verpönt, die der Strafkodes juristisch verdammt.

Kunstkritik ist "schädlich", weil sie ehrbare Leute in ihrem Genuß an Martin Tupper stört usw. Mit solchem Schund hat der brave Mann, dessen Devise: "nulla dies sine linea", Berge von Büchern ge-füllt. Wenn ich die Courage meines Freundes H. Heine hätte, würde ich Herrn Jeremias ein Genie in der bürgerlichen Dummheit nennen.

378

DAS KAPITAL

[64] "Politische Ökonomen sind zu geneigt, eine bestimmte Quantität von Kapital und eine bestimmte Anzahl Arbeiter als Produktionsinstrumente von gleichförmiger Kraft und als mit einer gewissen gleichförmigen Intensität wirkend zu behandeln ... Diejenigen, die behaupten, daß Waren die einzigen Agenten der Produktion sind, beweisen, daß die Produktion überhaupt nicht erweitert werden kann, denn zu einer solchen Erweiterung müßten Lebensmittel, Rohmaterialien und Werkzeuge vorher vermehrt werden. was in der Tat darauf hinauskommt, daß kein Wachstum der Produktion ohne ihr vorheriges Wachstum stattfinden kann oder, in andren Worten. daß jedes Wachstum un-möglich ist." (S. Bailey, "Money and its Vicissitudes", p.58 u. 70.) Bailey kritisiert das Dogma hauptsächlich vom Standpunkt des Zirkulationsprozesses.

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zudem sehr elastische Minimalschranke. Die Tatsachen, die dem Dogma zu Grund liegen, sind die: Einerseits hat der Arbeiter nicht mitzusprechen bei der Teilung des gesellschaftlichen Reichtums in Genußmittel der Nichtarbeiter und in Produktionsmittel. Andrerseits kann er nur in günstigen Ausnahmsfällen den sog. "Arbeitsfonds" auf Kosten der "Revenue" des Reichen erweitern.[65]

Zu welch abgeschmackter Tautologie es führt, die kapitalistische Schranke des Arbeitsfonds in seine gesellschaftliche Naturschranke umzudichten, zeige u.a. Professor Fawcett:

"Das zirkulierende Kapital[66] eines Landes", sagt er, "ist sein Arbeitsfonds. Um daher den durchschnittlichen Geldlohn, den jeder Arbeiter erhält, zu berechnen, haben wir nur einfach dies Kapital durch die Anzahl der Arbeiterbevölkerung zu dividieren."[67]

D.h. also, erst rechnen wir die wirklich gezahlten individuellen Arbeitslöhne in eine Summe zusammen, dann behaupten wir, daß diese Addition die Wertsumme des von Gott und Natur oktroyierten "Arbeitsfonds"

bildet. Endlich dividieren wir die so erhaltne Summe durch die Kopfzahl der Arbeiter, um hinwiederum zu entdecken, wieviel jedem Arbeiter individuell im Durchschnitt zufallen kann. Eine ungemein pfiffige Prozedur dies. Sie verhindert Herrn Fawcett nicht, im selben Atemzug zu sagen:

"Der in England jährlich akkumulierte Gesamtreichtum wird in zwei Teile geteilt. Ein Teil wird in England zur Erhaltung unsrer eignen Industrie verwandt. Ein andrer

[65] J. St. Mill sagt in seinen "Principles of Polit. Economy" [b.II, ch.I, §3]: "Das Produkt der Arbeit wird heutzutag verteilt im umgekehrten Verhältnis zur Arbeit – der größte Teil an die, die niemals arbeiten, der nächstgrößte an die, deren Arbeit fast nur nominell ist, und so, auf absteigender Skala, schrumpft die Belohnung zusammen, im Maße wie die Arbeit härter und unangenehmer wird, bis die ermüdendste und erschöpfendste körperliche Arbeit nicht mit Sicherheit auch nur auf Gewinnung der Lebensbedürfnisse rechnen kann." Zur Vermeidung von Mißverständnis bemerke ich, daß, wenn Männer wie J. St. Mill usw. wegen des Widerspruchs ihrer altökonomischen Dogmen und ihrer modernen Tendenzen zu rügen sind, es durchaus unrecht wäre sie mit dem Troß der vulgärökonomischen Apologeten zusammenzuwerfen.

[66] H. Fawcett, Prof. of Polit. Econ. at Cambridge: "The Economic Position of the British Labourer", Lond. 1865, p.120.

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DAS KAPITAL

[67] Ich erinnere hier den Leser, daß die Kategorien: variables und konstantes Kapital von mir zuerst gebraucht werden. Die politische Ökonomie seit A. Smith wirft die darin enthaltenen Bestimmungen mit den aus dem Zirkulationsprozeß entspringenden Formunterschieden von fixem und zirkulierendem Kapital kunterbunt zusammen. Das Nähere darüber im Zweiten Buch, zweiter Abschnitt.

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Teil wird in andre Länder exportiert ... Der in unsrer Industrie angewandte Teil bildet keine bedeutende Portion des jährlich in diesem Land akkumulierten Reichturns."[68]

Der größere Teil des jährlich zuwachsenden Mehrprodukts, dem englischen Arbeiter ohne Äquivalent ent-wandt, wird also nicht in England, sondern in fremden Länder verkapitalisiert. Aber mit dem so exportierten Zusatzkapital wird ja auch ein Teil des von Gott und Bentham erfundnen "Arbeitsfonds" exportiert.[69]

[68] Fawcett, l.c. p.123, 122.

[69] Man könnte sagen, daß nicht nur Kapital, sondern auch Arbeiter, in Form der Emigration, jährlich aus England exportiert werden. Im Text ist jedoch gar nicht die Rede vom Peculium der Auswanderer, die zum großen Teil keine Arbeiter sind. Die Pächterssöhne liefern große Portion. Das jährlich zur Verzinsung ins Ausland versandte englische Zusatzkapital steht in ungleich größerem Verhältnis zur jährlichen Akkumulation als die jährliche Auswanderung zum jährlichen Zuwachs der Bevölkerung.

380

DAS KAPITAL

Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Produktion

1. Wachsende Nachfrage nach Arbeitskraft mit der Akkumulation,

bei gleichbleibender Zusammensetzung des Kapitals

<640> Wir behandeln in diesem Kapitel den Einfluß, den das Wachstum des Kapitals auf das Geschick der Arbeiterklasse ausübt. Der wichtigste Faktor bei dieser Untersuchung ist die Zusammensetzung des Kapitals und die Veränderungen, die sie im Verlauf des Akkumulationsprozesses durchmacht.

Die Zusammensetzung des Kapitals ist in zweifachem Sinn zu fassen. Nach der Seite des Werts bestimmt sie sich durch das Verhältnis, worin es sich teilt in konstantes Kapital oder Wert der Produktionsmittel und variables Kapital oder Wert der Arbeitskraft, Gesamtsumme der Arbeitslöhne. Nach der Seite des Stoffs, wie er im Produktionsprozeß fungiert, teilt sich jedes Kapital in Produktionsmittel und lebendige Arbeitskraft; diese Zusammensetzung bestimmt sich durch das Verhältnis zwischen der Masse der angewandten Produktionsmittel einerseits und der zu ihrer Anwendung erforderlichen Arbeitsmenge andrerseits. Ich nenne die erstere die Wertzusammensetzung, die zweite die technische Zusammensetzung des Kapitals. Zwischen beiden besteht enge Wechselbeziehung. Um diese auszudrücken, nenne ich die Wertzusammensetzung des Kapitals, insofern sie durch seine technische Zusammensetzung bestimmt wird und deren Änderungen widerspiegelt: die organische Zusammensetzung des Kapitals. Wo von der Zusammensetzung des Kapitals kurzweg die Rede ist, ist stets seine organische Zusammensetzung zu verstehn.

Die zahlreichen in einem bestimmten Produktionszweig angelegten Einzelkapitale haben unter sich mehr oder weniger verschiedne Zusammensetzung. Der Durchschnitt ihrer Einzelzusammensetzungen ergibt uns die Zusammensetzung des Gesamtkapitals dieses Produktionszweigs. Endlich <641> ergibt uns der Gesamtdurchschnitt der Durchschnittszusammensetzungen sämtlicher Produktionszweige die Zusammensetzung des gesellschaftlichen Kapitals eines Landes, und von dieser allein in letzter Instanz ist im folgenden die Rede.

Wachstum des Kapitals schließt Wachstum seines variablen oder in Arbeitskraft umgesetzten Bestandteils ein.

Ein Teil des in Zusatzkapital verwandelten Mehrwerts muß stets rückverwandelt werden in variables Kapital oder zuschüssigen Arbeitsfonds. Unterstellen wir, daß, nebst sonst gleichbleibenden Umständen, die Zusammensetzung des Kapitals unverändert bleibt, d.h. eine bestimmte Masse Produktionsmittel oder konstantes Kapital stets dieselbe Masse Arbeitskraft erheischt, um in Bewegung gesetzt zu werden, so wächst offenbar die Nachfrage nach Arbeit und der Subsistenzfonds der Arbeiter verhältnismäßig mit dem Kapital und um so rascher, je rascher das Kapital wächst. Da das Kapital jährlich einen Mehrwert produziert, wovon ein Teil jährlich zum Originalkapital geschlagen wird, da dies Inkrement selbst jährlich wächst mit dem zunehmenden Umfang des bereits in Funktion begriffenen Kapitals und da endlich, unter besondrem Sporn des Bereicherungstriebs, wie z.B. Öffnung neuer Märkte, neuer Sphären der Kapitalanlage infolge neu entwickelter gesellschaftlicher Bedürfnisse usw., die Stufenleiter der Akkumulation plötzlich ausdehnbar ist durch bloß veränderte Teilung des Mehrwerts oder Mehrprodukts in Kapital und Revenue, können die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals das Wachstum der Arbeitskraft oder der Arbeiteranzahl, die Nachfrage nach Arbeitern ihre Zufuhr überflügeln und daher die Arbeitslöhne steigen. Dies muß sogar schließlich der Fall sein bei unveränderter Fortdauer obiger Voraussetzung. Da in jedem Jahr mehr Arbeiter beschäftigt werden als im vorhergehenden, so muß früher oder später der Punkt eintreten, wo die Bedürfnisse der Akkumulation anfangen, über die gewöhnliche Zufuhr von Arbeit hinauszuwachsen, wo also Lohnsteigerung eintritt. Klage hierüber ertönt in England während des ganzen fünfzehnten und der ersten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Die mehr oder minder günstigen Umstände, worin sich die Lohnarbeiter erhalten und vermehren, ändern jedoch nichts am Grundcharakter der kapitalistischen Produktion. Wie die einfache Reproduktion fortwährend das Kapitalverhältnis selbst reproduziert, Kapitalisten auf der einen Seite, Lohnarbeiter auf der andren, so reproduziert die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter oder die Akkumulation das Kapitalverhältnis auf erweiterter Stufenleiter, mehr Kapitalisten oder größere Kapitalisten auf diesem Pol, mehr Lohnarbeiter auf jenem. Die Reproduktion der Arbeitskraft, die sich dem Kapital <642> unaufhörlich als Verwertungsmittel einverleiben muß, nicht von ihm loskommen kann und deren Hörigkeit zum Kapital nur versteckt wird durch den Wech-381

DAS KAPITAL

sel der individuellen Kapitalisten, woran sie sich verkauft, bildet in der Tat ein Moment der Reproduktion des Kapitals selbst. Akkumulation des Kapitals ist also Vermehrung des Proletariats.

Die klassische Ökonomie begriff diesen Satz so wohl, daß A. Smith, Ricardo usw., wie früher erwähnt, die Akkumulation sogar fälschlich identifizieren mit Konsum des ganzen kapitalisierten Teils des Mehrprodukts durch produktive Arbeiter oder mit seiner Verwandlung in zuschüssige Lohnarbeiter. Schon 1696 sagt John Bellers:

"Wenn jemand 100.000 Acres hätte und ebenso viele Pfunde Geld und ebensoviel Vieh, was wäre der reiche Mann ohne den Arbeiter außer selbst ein Arbeiter? Und wie die Arbeiter Leute reich machen, so desto mehr Arbeiter, desto mehr Reiche ... Die Arbeit des Armen ist die Mine des Reichen."

So Bernard de Mandeville im Anfang des 18. Jahrhunderts:

"Wo das Eigentum hinreichend geschützt ist, wäre es leichter, ohne Geld zu leben als ohne Arme, denn wer würde die Arbeit tun?... Wie die Arbeiter vor Aushungerung zu bewahren sind, so sollten sie nichts erhalten, was der Ersparung wert ist. Wenn hier und da einer aus der untersten Klasse durch ungewöhnlichen Fleiß und Bauchkneipen sich über die Lage erhebt, worin er aufgewachsen war, so muß ihn keiner daran hin-

<643> dern: ja es ist unleugbar der weiseste Plan für jede Privatperson, für jede Privatfamilie in der Gesellschaft, frugal zu sein; aber es ist das Interesse aller reichen Nationen, daß der größte Teil der Armen nie un-tätig sei und sie dennoch stets verausgaben, was sie einnehmen ... Diejenigen, die ihr Leben durch ihre tägliche Arbeit gewinnen, haben nichts, was sie anstachelt, dienstlich zu sein außer ihren Bedürfnissen, welche es Klugheit ist zu lindern, aber Narrheit wäre zu kurieren. Das einzige Ding, das den arbeitenden Mann fleißig machen kann, ist ein mäßiger Arbeitslohn. Ein zu geringer macht ihn je nach seinem Temperament kleinmü-

tig oder verzweifelt, ein zu großer insolent und faul ... Aus dem bisher Entwickelten folgt, daß in einer freien Nation, wo Sklaven nicht erlaubt sind, der sicherste Reichtum aus einer Menge arbeitsamer Armen besteht.

Außerdem, daß sie die nie versagende Zufuhrquelle für Flotte und Armee, gäbe es ohne sie keinen Genuß und wäre das Produkt keines Landes verwertbar. Um die Gesellschaft" (die natürlich aus den Nichtarbeitern besteht) "glücklich und das Volk selbst in kümmerlichen Zuständen zufrieden zu machen, ist es nötig, daß die große Majorität sowohl unwissend als arm bleibt. Kenntnis erweitert und vervielfacht unsere Wünsche, und je weniger ein Mann wünscht, desto leichter können seine Bedürfnisse befriedigt werden."

Was Mandeville, ein ehrlicher Mann und heller Kopf, noch nicht begreift, ist, daß der Mechanismus des Akkumulationsprozesses selbst mit dem Kapital die Masse der "arbeitsamen Armen" vermehrt, d.h. der Lohnarbeiter, die ihre Arbeitskraft in wachsende Verwertungskraft des wachsenden Kapitals verwandeln und ebendadurch ihr Abhängigkeitsverhältnis von ihrem eignen, im Kapitalisten personifzierten Produkt verewigen müssen. Mit Bezug auf dies Abhängigkeitsverhältnis bemerkt Sir F. M. Eden in seiner "Lage der Armen, oder Geschichte der arbeitenden Klasse Englands":

"Unsere Zone erfordert Arbeit zur Befriedigung der Bedürfnisse, und deshalb muß wenigstens ein Teil der Gesellschaft unermüdet arbeiten ... Einige, die nicht arbeiten, haben dennoch die Produkte des Fleißes zu ihrer Verfügung. Das verdanken diese Eigentümer aber nur der Zivilisation und Ordnung; sie sind reine Kreaturen der bürgerlichen Institutionen. Denn diese haben es anerkannt, daß man die Früchte der <644> Arbeit auch anders als durch Arbeit sich aneignen kann. Die Leute von unabhängigem Vermögen verdanken ihr Vermögen fast ganz der Arbeit andrer, nicht ihrer eignen Fähigkeit, die durchaus nicht besser ist als die der andren; es ist nicht der Besitz von Land und Geld, sondern das Kommando über Arbeit (the command of labour), das die Reichen von den Armen unterscheidet ... Was dem Armen zusagt, ist nicht eine verworfe-ne oder servile Lage, sondern ein bequemes und liberales Abhängigkeitsverhältnis (a state of easy and liberal dependence), und für die Leute von Eigentum hinreichender Einfluß und Autorität über die, die für sie arbeiten ... Ein solches Abhängigkeitsverhältnis ist, wie jeder Kenner der menschlichen Natur weiß, notwendig für den Komfort der Arbeiter selbst. "

Sir F. M. Eden, beiläufig bemerkt, ist der einzige Schüler Adam Smiths, der während des achtzehnten Jahrhunderts etwas Bedeutendes geleistet hat .

<645> Unter den bisher unterstellten, den Arbeitern günstigsten Akkumulationsbedingungen kleidet sich ihr Abhängigkeitsverhältnis vom Kapital in erträgliche oder, wie Eden sagt, "bequeme und liberale" Formen.

382

DAS KAPITAL

Statt intensiver zu werden mit dem Wachstum des Kapitals, wird es nur extensiver, d.h. die Exploitations-und Herrschaftssphäre des Kapitals dehnt <646> sich nur aus mit seiner eigenen Dimension und der Anzahl seiner Untertanen. Von ihrem eignen anschwellenden und schwellend in Zusatzkapital verwandelten Mehrprodukt strömt ihnen ein größerer Teil in der Form von Zahlungsmitteln zurück, so daß sie den Kreis ihrer Genüsse erweitern, ihren Konsumtionsfonds von Kleidern, Möbeln usw. besser ausstatten und kleine Reservefonds von Geld bilden können. So wenig aber bessere Kleidung, Nahrung, Behandlung und ein größeres Peculium das Abhängigkeitsverhältnis und die Exploitation des Sklaven aufheben, so wenig die des Lohnarbeiters. Steigender Preis der Arbeit infolge der Akkumulation des Kapitals besagt in der Tat nur, daß der Umfang und die Wucht der goldnen Kette, die der Lohnarbeiter sich selbst bereits geschmiedet hat, ihre losere Spannung erlauben. In den Kontroversen über diesen Gegen- <647> stand hat man meist die Hauptsache übersehn, nämlich die differentia specifica <den kennzeichnenden Unterschied> der kapitalistischen Produktion. Arbeitskraft wird hier gekauft, nicht um durch ihren Dienst oder ihr Produkt die persönlichen Bedürfnisse des Käufers zu befriedigen. Sein Zweck ist Verwertung seines Kapitals, Produktion von Waren, die mehr Arbeit enthalten, als er zahlt, also einen Wertteil enthalten, der ihm nichts kostet und dennoch durch den Warenverkauf realisiert wird. Produktion von Mehrwert oder Plusmacherei ist das absolute Gesetz dieser Produktionsweise. Nur soweit sie die Produktionsmittel als Kapital erhält, ihren eignen Wert als Kapital reproduziert und in unbezahlter Arbeit eine Quelle von Zuschußkapital liefert, ist die Arbeitskraft verkaufbar.

Die Bedingungen ihres Verkaufs, ob mehr oder minder günstig für den Arbeiter, schließen also die Notwendigkeit ihres steten Wiederverkaufs und die stets erweiterte Reproduktion des Reichtums als Kapital ein. Der Arbeitslohn, wie man gesehn, bedingt seiner Natur nach stets Lieferung eines bestimmten Quantums unbezahlter Arbeit auf seiten des Arbeiters. Ganz abgesehn vom Steigen des Arbeitslohns mit sinkendem Preis der Arbeit usw., besagt seine Zunahme im besten Fall nur quantitative Abnahme der unbezahlten Arbeit, die der Arbeiter leisten muß. Diese Abnahme kann nie bis zum Punkt fortgehn, wo sie das System selbst bedrohen würde. Abgesehn von gewaltsamen Konflikten über die Rate des Arbeitslohns, und Adam Smith hat bereits gezeigt, daß im großen und ganzen in solchem Konflikt der Meister stets Meister bleibt, unterstellt ein aus Akkumulation des Kapitals entspringendes Steigen des Arbeitspreises folgende Alternative.

Entweder fährt der Preis der Arbeit fort zu steigen, weil seine Erhöhung den Fortschritt der Akkumulation nicht stört; es liegt darin nichts Wunderbares, denn, sagt A. Smith,

"selbst bei gesunknem Profit vermehren sich die Kapitale dennoch; sie wachsen selbst rascher als vorher ...

Ein großes Kapital wächst selbst bei kleinerem Profit im allgemeinen rascher als ein kleines Kapital bei gro-

ßem Profit. (l.c. I, p. 189.)

<648> In diesem Falle ist es augenscheinlich, daß eine Verminderung der unbezahlten Arbeit die Ausdehnung der Kapitalherrschaft keineswegs beeinträchtigt. – Oder, das ist die andre Seite der Alternative, die Akkumulation erschlafft infolge des steigenden Arbeitspreises, weil der Stachel des Gewinns abstumpft. Die Akkumulation nimmt ab. Aber mit ihrer Abnahme verschwindet die Ursache ihrer Abnahme, nämlich die Disproportion zwischen Kapital und exploitabler Arbeitskraft. Der Mechanismus des kapitalistischen Produktionsprozesses beseitigt also selbst die Hindernisse, die er vorübergehend schafft. Der Arbeitspreis fällt wieder auf ein den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals entsprechendes Niveau, ob dieses nun unter, über oder gleich mit dem Niveau, welches vor Eintritt des Lohnzuwachses als normal galt. Man sieht: Im ersten Fall ist es nicht die Abnahme im absoluten oder proportionellen Wachstum der Arbeitskraft oder Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital überschüssig, sondern umgekehrt die Zunahme des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft unzureichend macht. Im zweiten Fall ist es nicht die Zunahme im absoluten oder proportionellen Wachstum der Arbeitskraft oder der Arbeiterbevölkerung, welche das Kapital unzureichend, sondern umgekehrt die Abnahme des Kapitals, welche die exploitable Arbeitskraft, oder vielmehr ihren Preis, überschüssig macht. Es sind diese absoluten Bewegungen in der Akkumulation des Kapitals, welche sich als relative Bewegungen in der Masse der exploitablen Arbeitskraft widerspiegeln und daher der eignen Bewegung der letztren geschuldet scheinen. Um mathematischen Ausdruck anzuwenden: die Größe der Akkumulation ist die unabhängige Variable, die Lohngröße die abhängige, nicht umgekehrt. So drückt sich in der Kri-senphase des industriellen Zyklus der allgemeine Fall der Warenpreise als Steigen des relativen Geldwerts, und in der Prosperitätsphase das allgemeine Steigen der Warenpreise als Fall des relativen Geldwerts aus. Die sog. Currency-Schule schließt daraus, daß bei hohen Preisen zu viel, bei niedrigen zu wenig Geld zirkuliert.

<3. und 4. Auflage: bei hohen Preisen zu wenig, bei niedrigen zu viel Geld zirkuliert.> Ihre Ignoranz und völlige Verkennung der Tatsachen finden würdige Parallele in den Ökonomen, welche jene Phänomene der Akkumulation dahin deuten, daß das eine Mal zu wenig und das andre Mal zu viel Lohnarbeiter existieren.

383

DAS KAPITAL

Das Gesetz der kapitalistischen Produktion, das dem angeblichen "natürlichen Populationsgesetz" zugrunde liegt, kommt einfach auf dies her- <649> aus: Das Verhältnis zwischen Kapital, Akkumulation und Lohnrate ist nichts als das Verhältnis zwischen der unbezahlten, in Kapital verwandelten Arbeit und der zur Bewegung des Zusatzkapitals erforderlichen zuschüssigen Arbeit. Es ist also keineswegs ein Verhältnis zweier voneinander unabhängigen Größen, einerseits der Größe des Kapitals, andrerseits der Zahl der Arbeiterbevölkerung, es ist vielmehr in letzter Instanz nur das Verhältnis zwischen der unbezahlten und der bezahlten Arbeit derselben Arbeiterbevölkerung. Wächst die Menge der von der Arbeiterklasse gelieferten und von der Kapitalistenklasse akkumulierten, unbezahlten Arbeit rasch genug, um nur durch einen außergewöhnlichen Zuschuß bezahlter Arbeit sich in Kapital verwandeln zu können, so steigt der Lohn, und alles andre gleichgesetzt, nimmt die unbezahlte Arbeit im Verhältnis ab. Sobald aber diese Abnahme den Punkt berührt, wo die das Kapital ernährende Mehrarbeit nicht mehr in normaler Menge angeboten wird, so tritt eine Reaktion ein: ein geringerer Teil der Revenue wird kapitalisiert, die Akkumulation erlahmt, und die steigende Lohnbewegung empfängt einen Gegenschlag. Die Erhöhung des Arbeitspreises bleibt also eingebannt in Grenzen, die die Grundlagen des kapitalistischen Systems nicht nur unangetastet lassen, sondern auch seine Reproduktion auf wachsender Stufenleiter sichern. Das in ein Naturgesetz mystifizierte Gesetz der kapitalistischen Akkumulation drückt also in der Tat nur aus, daß ihre Natur jede solche Abnahme im Exploitationsgrad der Arbeit oder jede solche Steigerung des Arbeitspreises ausschließt, welche die stetige Reproduktion des Kapitalverhältnisses und seine Reproduktion auf stets erweiterter Stufenleiter ernsthaft gefährden könnte. Es kann nicht anders sein in einer Produktionsweise, worin der Arbeiter für die Verwertungsbedürfnisse vorhandner Werte, statt umgekehrt der gegenständliche Reichtum für die Entwicklungsbedürfnisse des Arbeiters da ist. Wie der Mensch in der Religion vom Machwerk seines eignen Kopfes, so wird er in der kapitalistischen Produktion vom Machwerk seiner eignen Hand beherrscht.

2. Relative Abnahme des variablen Kapitalteils

im Fortgang der Akkumulation

und der sie begleitenden Konzentration

<650> Nach den Ökonomen selbst ist es weder der vorhandne Umfang des gesellschaftlichen Reichtums noch die Größe des bereits erworbnen Kapitals, die eine Lohnerhöhung herbeiführen, sondern lediglich das fortgesetzte Wachsen der Akkumulation und der Geschwindigkeitsgrad ihres Wachstums (A. Smith, Buch 1, Kap. 8). Bisher haben wir nur eine besondre Phase dieses Prozesses betrachtet, diejenige, in der der Kapitalzuwachs stattfindet bei gleichbleibender technischer Zusammensetzung des Kapitals. Aber der Prozeß schreitet über diese Phase hinaus.

Die allgemeinen Grundlagen des kapitalistischen Systems einmal gegeben, tritt im Verlauf der Akkumulation jedesmal ein Punkt ein, wo die Entwicklung der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit der mächtigste Hebel der Akkumulation wird.

"Dieselbe Ursache, sagt A. Smith, "die die Löhne erhöht, nämlich die Zunahme des Kapitals, treibt zur Steigerung der produktiven Fähigkeiten der Arbeit und setzt eine kleinere Arbeitsmenge instand, eine größere Menge von Produkten zu erzeugen."

Abgesehn von Naturbedingungen, wie Fruchtbarkeit des Bodens usw., und vom Geschick unabhängiger und isoliert arbeitender Produzenten, das sich jedoch mehr qualitativ in der Güte als quantitativ in der Masse des Machwerks bewährt, drückt sich der gesellschaftliche Produktivgrad der Arbeit aus im relativen Größenumfang der Produktionsmittel, welche ein Arbeiter, während gegebner Zeit, mit derselben Anspannung von Arbeitskraft, in Produkt verwandelt. Die Masse der Produktionsmittel, womit er funktioniert, wächst mit der Produktivität seiner Arbeit. Diese Produktionsmittel spielen dabei eine doppelte Rolle. Das Wachstum der einen ist Folge, das der andren Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. Z.B. mit der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit und der Anwendung von Maschinerie wird in derselben Zeit mehr Rohmaterial verarbeitet, tritt also größere Masse von Rohmaterial und Hilfsstoffen in den Arbeitsprozeß ein. Das ist die Folge der wachsenden Produktivität der Arbeit. Andrerseits ist die Masse der angewandten Maschinerie, Ar-384

DAS KAPITAL

beitsviehs, mineralischen Düngers, Drainierungsröhren usw. Bedingung der wachsenden Produktivität der Arbeit. Ebenso die Masse der in Baulichkeiten, Riesenöfen, Trans- <651> portmitteln usw. konzentrierten Produktionsmittel. Ob aber Bedingung oder Folge, der wachsende Größenumfang der Produktionsmittel im Vergleich zu der ihnen einverleibten Arbeitskraft drückt die wachsende Produktivität der Arbeit aus. Die Zunahme der letzteren erscheint also in der Abnahme der Arbeitsmasse verhältnismäßig zu der von ihr bewegten Masse von Produktionsmitteln oder in der Größenabnahme des subjektiven Faktors des Arbeitsprozesses, verglichen mit seinen objektiven Faktoren.

Diese Veränderung in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, das Wachstum in der Masse der Produktionsmittel, verglichen mit der Masse der sie belebenden Arbeitskraft, spiegelt sich wider in seiner Wertzusammensetzung, in der Zunahme des konstanten Bestandteils des Kapitalwerts auf Kosten seines variablen Bestandteils. Es werden z.B. von einem Kapital, prozentweis berechnet, ursprünglich je 50% in Produktionsmitteln und je 50% in Arbeitskraft ausgelegt, später, mit der Entwicklung des Produktivgrads der Arbeit, je 80% in Produktionsmitteln und je 20% in Arbeitskraft usw. Dies Gesetz des steigenden Wachstums des konstanten Kapitalteils im Verhältnis zum variablen wird auf jedem Schritt bestätigt (wie schon oben entwik-kelt) durch die vergleichende Analyse der Warenpreise, gleichviel ob wir verschiedne ökonomische Epochen bei einer einzigen Nation vergleichen oder verschiedne Nationen in derselben Epoche. Die relative Größe des Preiselements, welches nur den Wert der verzehrten Produktionsmittel oder den konstanten Kapitalteil vertritt, wird in direktem, die relative Größe des andern, die Arbeit bezahlenden oder den variablen Kapitalteil vertretenden Preiselements, wird im allgemeinen in umgekehrtem Verhältnis stehn zum Fortschritt der Akkumulation.

Die Abnahme des variablen Kapitalteils gegenüber dem konstanten oder die veränderte Zusammensetzung des Kapitalwerts zeigt jedoch nur annähernd den Wechsel in der Zusammensetzung seiner stofflichen Bestandteile an. Wenn z.B. heute der in der Spinnerei angelegte Kapitalwert zu 7/8 konstant und 1/8 variabel ist, während er Anfang des 18. Jahrhunderts 1/2 konstant und 1/2 variabel war, so ist dagegen die Masse von Rohstoff, Arbeitsmitteln usw., die ein bestimmtes Quantum Spinnarbeit heute produktiv konsumiert, viel-hundertmal größer als im Anfang des 18. Jahrhunderts. Der Grund ist einfach der, daß mit der wachsenden Produktivität der Arbeit nicht nur der Umfang der von ihr vernutzten Produktionsmittel steigt, sondern deren Wert, verglichen mit ihrem Umfang, sinkt. Ihr Wert steigt also absolut, aber nicht proportionell mit ihrem Umfang. Das Wachstum der Differenz zwischen konstantem und variablem Kapital ist daher <652> viel kleiner als das der Differenz zwischen der Masse der Produktionsmittel, worin das konstante, und der Masse Arbeitskraft, worin das variable Kapital umgesetzt wird. Die erstere Differenz nimmt zu mit der letzteren, aber in geringerem Grad.

Übrigens, wenn der Fortschritt der Akkumulation die relative Größe des variablen Kapitalteils vermindert, schließt er damit die Steigerung ihrer absoluten Größe keineswegs aus. Gesetzt, ein Kapitalwert spalte sich anfangs in 50% konstantes und 50% variables Kapital, später in 80% konstantes und 20% variables. Ist inzwischen das ursprüngliche Kapital, sage 6.000 Pfd. St., gewachsen auf 18.000 Pfd. St., so ist sein variabler Bestandteil auch um 1/5 gewachsen. Er war 3.000 Pfd. St., er beträgt jetzt 3.600 Pfd. St. Wo aber früher ein Kapitalzuwachs von 20% genügt hätte, die Nachfrage nach Arbeit um 20% zu steigern, erfordert das jetzt Verdreifachung des ursprünglichen Kapitals.

Im vierten Abschnitt wurde gezeigt, wie die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit Kooperation auf großer Stufenleiter voraussetzt, wie nur unter dieser Voraussetzung Teilung und Kombination der Arbeit organisiert, Produktionsmittel durch massenhafte Konzentration ökonomisiert, schon stofflich nur gemeinsam anwendbare Arbeitsmittel, z.B. System der Maschinerie usw., ins Leben gerufen, ungeheure Naturkräfte in den Dienst der Produktion gepreßt und die Verwandlung des Produktionsprozesses in technologische Anwendung der Wissenschaft vollzogen werden können. Auf Grundlage der Warenproduktion, wo die Produktionsmittel Eigentum von Privatpersonen sind, wo der Handarbeiter daher entweder isoliert und selbständig Waren produziert oder seine Arbeitskraft als Ware verkauft, weil ihm die Mittel zum Selbstbetrieb fehlen, realisiert sich jene Voraussetzung nur durch das Wachstum der individuellen Kapitale oder im Maße, worin die gesellschaftlichen Produktions- und Lebensmittel in das Privateigentum von Kapitalisten verwandelt werden. Der Boden der Warenproduktion kann die Produktion auf großer Stufenleiter nur in kapitalistischer Form tragen. Eine gewisse Akkumulation von Kapital in den Händen individueller Warenproduzenten bildet daher die Voraussetzung der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise. Wir mußten sie deshalb unterstellen bei dem Übergang aus dem Handwerk in den kapitalistischen Betrieb. Sie mag die ur-385

DAS KAPITAL

sprüngliche Akkumulation heißen, weil sie statt historisches Resultat historische Grundlage der spezifisch kapitalistischen Produktion ist. Wie sie selbst entspringt, brauchen wir hier noch nicht zu untersuchen. Genug, sie bildet den Ausgangspunkt. Aber alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen <653> Produktivkraft der Arbeit, die auf dieser Grundlage erwachsen, sind zugleich Methoden der gesteigerten Produktion des Mehrwerts oder Mehrprodukts, welches seinerseits das Bildungselement der Akkumulation. Sie sind also zugleich Methoden der Produktion von Kapital durch Kapital oder Methoden seiner beschleunigten Akkumulation. Die kontinuierliche Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital stellt sich dar als wachsende Größe des in den Produktionsprozeß eingehenden Kapitals. Diese wird ihrerseits Grundlage einer erweiterten Stufenleiter der Produktion, der sie begleitenden Methoden zur Steigerung der Produktivkraft der Arbeit und beschleunigter Produktion von Mehrwert. Wenn also ein gewisser Grad der Kapitalakkumulation als Bedingung der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise erscheint, verursacht die letztere rückschlagend eine beschleunigte Akkumulation des Kapitals. Mit der Akkumulation des Kapitals entwickelt sich daher die spezifisch kapitalistische Produktionsweise und mit der spezifisch kapitalistischen Produktionsweise die Akkumulation des Kapitals. Diese beiden ökonomischen Faktoren erzeugen, nach dem zusammengesetzten Verhältnis des Anstoßes, den sie sich gegenseitig erteilen, den Wechsel in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, durch welchen der variable Bestandteil immer kleiner und kleiner wird, verglichen mit dem konstanten.

Jedes individuelle Kapital ist eine größere oder kleinere Konzentration von Produktionsmitteln mit entsprechendem Kommando über eine größere oder kleinere Arbeiterarmee. Jede Akkumulation wird das Mittel neuer Akkumulation. Sie erweitert mit der vermehrten Masse des als Kapital funktionierenden Reichtums seine Konzentration in den Händen individueller Kapitalisten, daher die Grundlage der Produktion auf gro-

ßer Stufenleiter und der spezifisch kapitalistischen Produktionsmethoden. Das Wachstum des gesellschaftlichen Kapitals vollzieht sich im Wachstum vieler individuellen Kapitale. Alle andren Umstände als gleichbleibend vorausgesetzt, wachsen die individuellen Kapitale, und mit ihnen die Konzentration der Produktionsmittel, im Verhältnis, worin sie aliquote Teile des gesellschaftlichen Gesamtkapitals bilden. Zugleich reißen sich Ableger von den Originalkapitalen los und funktionieren als neue selbständige Kapitale. Eine große Rolle spielt dabei unter anderm die Teilung des Vermögens in Kapitalistenfamilien. Mit der Akkumulation des Kapitals wächst daher auch mehr oder minder die Anzahl der Kapitalisten. Zwei Punkte charakterisieren diese Art Konzentration, welche unmittelbar auf der Akkumulation beruht oder vielmehr mit ihr identisch ist. Erstens: Die wachsende Konzentration der gesellschaftlichen Produktionsmittel in den Händen indivi- <654> dueller Kapitalisten ist, unter sonst gleichbleibenden Umständen, beschränkt durch den Wachstumsgrad des gesellschaftlichen Reichtums. Zweitens: Der in jeder besondren Produktionssphäre ansässige Teil des gesellschaftlichen Kapitals ist verteilt unter viele Kapitalisten, welche einander als unabhängige und miteinander konkurrierende Warenproduzenten gegenüberstehn. Die Akkumulation und die sie begleitende Konzentration sind also nicht nur auf viele Punkte zersplittert, sondern das Wachstum der funktionierenden Kapitale ist durchkreuzt durch die Bildung neuer und die Spaltung alter Kapitale. Stellt sich die Akkumulation daher einerseits dar als wachsende Konzentration der Produktionsmittel und des Kommandos über Arbeit, so andrerseits als Repulsion vieler individueller Kapitale voneinander.

Dieser Zersplitterung des gesellschaftlichen Gesamtkapitals in viele individuelle Kapitale oder der Repulsion seiner Bruchteile voneinander wirkt entgegen ihre Attraktion. Es ist dies nicht mehr einfache, mit der Akkumulation identische Konzentration von Produktionsmitteln und Kommando über Arbeit. Es ist Konzentration bereits gebildeter Kapitale, Aufhebung ihrer individuellen Selbständigkeit, Expropriation von Kapitalist durch Kapitalist, Verwandlung vieler kleineren in weniger größere Kapitale. Dieser Prozeß unterscheidet sich von dem ersten dadurch, daß er nur veränderte Verteilung der bereits vorhandnen und funktionierenden Kapitale voraussetzt, sein Spielraum also durch das absolute Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums oder die absoluten Grenzen der Akkumulation nicht beschränkt ist. Das Kapital schwillt hier in einer Hand zu großen Massen, weil es dort in vielen Händen verlorengeht. Es ist die eigentliche Zentralisation im Unterschied zur Akkumulation und Konzentration.

Die Gesetze dieser Zentralisation der Kapitale oder der Attraktion von Kapital durch Kapital können hier nicht entwickelt werden. Kurze tatsächliche Andeutung genügt. Der Konkurrenzkampf wird durch Verwohlfeilerung der Waren geführt. Die Wohlfeilheit der Waren hängt, caeteris paribus <unter sonst gleichbleibenden Umständen>, von der Produktivität der Arbeit, diese aber von der Stufenleiter der Produktion ab. Die größeren Kapitale schlagen daher die kleineren. Man erinnert sich ferner, daß mit der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise der Minimalumfang des individuellen Kapitals wächst, das erheischt ist, um ein 386

DAS KAPITAL

Geschäft unter seinen normalen Bedingungen zu betreiben. Die kleineren Kapitale drängen sich daher in Produktionssphären, deren sich die große Industrie nur noch sporadisch oder unvollkommen <655> be-mächtigt hat. Die Konkurrenz rast hier im direkten Verhältnis zur Anzahl und im umgekehrten Verhältnis zur Größe der rivalisierenden Kapitale. Sie endet stets mit Untergang vieler kleineren Kapitalisten, deren Kapitale teils in die Hand des Siegers übergehn, teils untergehn. Abgesehn hiervon bildet sich mit der kapitalistischen Produktion eine ganz neue Macht, das Kreditwesen, das in seinen Anfängen verstohlen, als bescheidne Be ihilfe der Akkumulation, sich einschleicht, durch unsichtbare Fäden die über die Oberfläche der Gesellschaft in größern oder kleinem Massen zersplitterten Geldmittel in die Hände individueller oder assoziierter Kapitalisten zieht, aber bald eine neue und furchtbare Waffe im Konkurrenzkampf wird und sich schließlich in einen ungeheuren sozialen Mechanismus zur Zentralisation der Kapitale verwandelt.

Im Maß wie die kapitalistische Produktion und Akkumulation, im selben Maß entwickeln sich Konkurrenz und Kredit, die beiden mächtigsten Hebel der Zentralisation. Daneben vermehrt der Fortschritt der Akkumulation den zentralisierbaren Stoff, d.h. die Einzelkapitale, während die Ausweitung der kapitalistischen Produktion, hier das gesellschaftliche Bedürfnis, dort die technischen Mittel jener gewaltigen industriellen Unternehmungen schafft, deren Durchführung an eine vorgängige Zentralisation des Kapitals gebunden ist.

Heutzutage ist also die gegenseitige Attraktionskraft der Einzelkapitale und die Tendenz zur Zentralisation stärker als je zuvor. Wenn aber auch die relative Ausdehnung und Energie der zentralisierenden Bewegung in gewissem Grad bestimmt ist durch die schon erreichte Größe des kapitalistischen Reichtums und die Überlegenheit des ökonomischen Mechanismus, so hängt doch der Fortschritt der Zentralisation keineswegs ab von dem positiven Größenwachstum des gesellschaftlichen Kapitals. Und dies speziell unterscheidet die Zentralisation von der Konzentration, die nur ein andrer Ausdruck für die Reproduktion auf erweiterter Stufenleiter ist. Die Zentralisation kann erfolgen durch bloße veränderte Verteilung schon bestehender Kapitale, durch einfache Veränderung der quantitativen Gruppierung der Bestandteile des gesellschaftlichen Kapitals. Das Kapital kann hier zu gewaltigen Massen in einer Hand anwachsen, weil es dort vielen einzelnen Händen entzogen wird. In einem gegebnen Geschäftszweig hätte die Zentralisation ihre äußerste Grenze erreicht, wenn alle darin angelegten Kapitale zu einem Einzelkapital verschmolzen wären. In einer gegebnen Gesellschaft wäre diese Grenze <656> erreicht erst in dem Augenblick, wo das gesamte gesellschaftliche Kapital vereinigt wäre in der Hand, sei es eines einzelnen Kapitalisten, sei es einer einzigen Kapitalistengesellschaft.

Die Zentralisation ergänzt das Werk der Akkumulation, indem sie die industriellen Kapitalisten instand setzt, die Stufenleiter ihrer Operationen auszudehnen. Sei dies letztre Resultat nun Folge der Akkumulation oder der Zentralisation; vollziehe sich die Zentralisation auf dem gewaltsamen Weg der Annexion – wo gewisse Kapitale so überwiegende Gravitationszentren für andre werden, daß sie deren individuelle Kohäsion brechen und dann die vereinzelten Bruchstücke an sich ziehn – oder geschehe die Verschmelzung einer Menge bereits gebildeter, resp. in der Bildung begriffner Kapitale vermittelst des glatteren Verfahrens der Bildung von Aktiengesellschaften – die ökonomische Wirkung bleibt dieselbe. Die gewachsne Ausdehnung der industriellen Etablissements bildet überall den Ausgangspunkt für eine umfassendere Organisation der Gesamtarbeit vieler, für eine breitre Entwicklung ihrer materiellen Triebkräfte, d.h. für die fortschreitende Umwandlung vereinzelter und gewohnheitsmäßig betriebner Produktionsprozesse in gesellschaftlich kombinierte und wissenschaftlich disponierte Produktionsprozesse.

Es ist aber klar, daß die Akkumulation, die allmähliche Vermehrung des Kapitals durch die aus der Kreisform in die Spirale übergehende Reproduktion ein gar langsames Verfahren ist, im Vergleich mit der Zentralisation, die nur die quantitative Gruppierung der integrierenden Teile des gesellschaftlichen Kapitals zu ändern braucht. Die Welt wäre noch ohne Eisenbahnen, hätte sie solange warten müssen, bis die Akkumulation einige Einzelkapitale dahin gebracht hätte, dem Bau einer Eisenbahn gewachsen zu sein. Die Zentralisation dagegen hat dies, vermittelst der Aktiengesellschaften, im Handumdrehn fertiggebracht. Und während die Zentralisation so die Wirkungen der Akkumulation steigert und beschleunigt, erweitert und beschleunigt sie gleichzeitig die Umwälzungen in der technischen Zusammensetzung des Kapitals, die dessen konstanten Teil vermehren auf Kosten seines variablen Teils und damit die relative Nachfrage nach Arbeit vermindern.

Die durch die Zentralisation über Nacht zusammengeschweißten Kapitalmassen reproduzieren und vermehren sich wie die andren, nur rascher, und werden damit zu neuen mächtigen Hebeln der gesellschaftlichen Akku- <657> mulation. Spricht man also vom Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation, so sind darin

– heutzutage – die Wirkungen der Zentralisation stillschweigend einbegriffen.

387

DAS KAPITAL

Die im Lauf der normalen Akkumulation gebildeten Zusatzkapitale (s. Kap. XXII, 1) dienen vorzugsweise als Vehikel zur Exploitation neuer Erfindungen und Entdeckungen, überhaupt industrieller Vervollkommnun-gen. Aber auch das alte Kapital erreicht mit der Zeit den Moment seiner Erneuerung an Haupt und Gliedern, wo es sich häutet und ebenfalls wiedergeboren wird in der vervollkommneten technischen Gestalt, worin eine geringere Masse Arbeit genügte, eine größere Masse Maschinerie und Rohstoffe in Bewegung zu setzen. Die hieraus notwendig folgende absolute Abnahme der Nachfrage nach Arbeit wird selbstredend um so größer, je mehr die diesen Erneuerungsprozeß durchmachenden Kapitale bereits zu Massen angehäuft sind vermöge der zentralisierenden Bewegung.

Einerseits attrahiert also das im Fortgang der Akkumulation gebildete Zuschußkapital, verhältnismäßig zu seiner Größe, weniger und weniger Arbeiter. Andrerseits repelliert das periodisch in neuer Zusammensetzung reproduzierte alte Kapital mehr und mehr früher von ihm beschäftigte Arbeiter.

3. Progressive Produktion einer relativen Übervölkerung

oder industriellen Reservearmee

Die Akkumulation des Kapitals, welche ursprünglich nur als seine quantitative Erweiterung erschien, vollzieht sich, wie wir gesehn, in fortwährendem qualitativen Wechsel seiner Zusammensetzung, in beständiger Zunahme seines konstanten auf Kosten seines variablen Bestandteils.

Die spezifisch kapitalistische Produktionsweise, die ihr entsprechende Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit, der dadurch verursachte Wechsel in der organischen Zusammensetzung des Kapitals halten nicht nur Schritt mit dem Fortschritt der Akkumulation oder dem Wachstum des gesellschaftlichen Reichtums. Sie schreiten ungleich schneller, weil die einfache Akkumulation oder die absolute Ausdehnung des Gesamtkapitals von <658> der Zentralisation seiner individuellen Elemente, und die technische Umwälzung des Zusatzkapitals von technischer Umwälzung des Originalkapitals begleitet sind. Mit dem Fortgang der Akkumulation wandelt sich also das Verhältnis von konstantem zu variablem Kapitalteil, wenn ursprünglich 1:1, in 2:1, 3:1, 4: 1, 5: 1, 7:1 usw., so daß, wie das Kapital wächst, statt 1/2 seines Gesamtwerts progressiv nur 1/3, 1/4, 1/5, 1/6, 1/5 usw. in Arbeitskraft, dagegen 2/3, 3/4, 4/5, 5/6, 7/8 usw. in Produktionsmittel umgesetzt wird. Da die Nachfrage nach Arbeit nicht durch den Umfang des Gesamtkapitals, sondern durch den seines variablen Bestandteils bestimmt ist, fällt sie also progressiv mit dem Wachstum des Gesamtkapitals, statt, wie vorhin unterstellt, verhältnismäßig mit ihm zu wachsen. Sie fällt relativ zur Größe des Gesamtkapitals und in beschleunigter Progression mit dem Wachstum dieser Größe. Mit dem Wachstum des Gesamtkapitals wächst zwar auch sein variabler Bestandteil, oder die ihm einverleibte Arbeitskraft, aber in beständig abnehmender Proportion. Die Zwischenpausen, worin die Akkumulation als bloße Erweiterung der Produktion auf gegebner technischer Grundlage wirkt, verkürzen sich. Nicht nur wird eine in wachsender Progression beschleunigte Akkumulation des Gesamtkapitals erheischt, um eine zusätzliche Arbeiterzahl von gegebner Größe zu absorbieren oder selbst, wegen der beständigen Metamorphose des alten Kapitals, die bereits funktionierende zu beschäftigen. Ihrerseits schlägt diese wachsende Akkumulation und Zentralisation selbst wieder um in eine Quelle neuer Wechsel der Zusammensetzung des Kapitals oder abermalig beschleunigter Abnahme seines variablen Bestandteils, verglichen mit dem konstanten. Diese mit dem Wachstum des Gesamtkapitals beschleunigte und rascher als sein eignes Wachstum beschleunigte relative Abnahme seines variablen Bestandteils scheint auf der andren Seite umgekehrt stets rascheres absolutes Wachstum der Arbeiterbevölkerung als das des variablen Kapitals oder ihrer Beschäftigungsmittel. Die kapitalistische Akkumulation produziert vielmehr, und zwar im Verhältnis zu ihrer Energie und ihrem Umfang, beständig eine relative, d.h. für die mittleren Verwertungsbedürfnisse des Kapitals überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuß-

Arbeiterbevölkerung.

Das gesellschaftliche Gesamtkapital betrachtet, ruft die Bewegung seiner Akkumulation bald periodischen Wechsel hervor, bald verteilen sich ihre Momente gleichzeitig über die verschiednen Produktionssphären. In einigen Sphären findet Wechsel in der Zusammensetzung des Kapitals statt ohne Wachstum seiner absoluten Größe, infolge bloßer Konzentration <3. Auflage: Zentralisation>; in <659> andren ist das absolute Wachstum des Kapitals mit absoluter Abnahme seines variablen Bestandteils oder der von ihm absorbierten Arbeitskraft verbunden; in andren wächst das Kapital bald auf seiner gegebnen technischen Grundlage fort 388

DAS KAPITAL

und attrahiert zuschüssige Arbeitskraft im Verhältnis seines Wachstums, bald tritt organischer Wechsel ein und kontrahiert sich sein variabler Bestandteil; in allen Sphären ist das Wachstum des variablen Kapitalteils und daher der beschäftigten Arbeiterzahl stets verbunden mit heftigen Fluktuationen und vorübergehender Produktion von Übervölkerung, ob diese nun die auffallendere Form von Repulsion bereits beschäftigter Arbeiter annimmt oder die mehr unscheinbare, aber nicht minder wirksame, erschwerter Absorption der zuschüssigen Arbeiterbevölkerung in ihre gewohnten Abzugskanäle. Mit der Größe des bereits funktionierenden Gesellschaftskapitals und dem Grad seines Wachstums, mit der Ausdehnung der Produktionsleiter und der Masse der in Bewegung gesetzten Arbeiter, mit der Entwicklung der Produktivkraft ihrer Arbeit, mit dem breiteren und volleren Strom aller Springquellen des Reichtums dehnt sich auch die Stufenleiter, worin größere Attraktion der Arbeiter durch das Kapital mit größerer Repulsion derselben verbunden ist, nimmt die Raschheit der Wechsel in der organischen Zusammensetzung des Kapitals und seiner technischen Form zu, und schwillt der Umkreis der Produk- <660> tionssphären, die bald gleichzeitig, bald abwechselnd davon ergriffen werden. Mit der durch sie selbst produzierten Akkumulation des Kapitals produziert die Arbeiterbevölkerung also in wachsendem Umfang die Mittel ihrer eignen relativen Überzähligmachung. Es ist dies ein der kapitalistischen Produktionsweise eigentümliches Populationsgesetz, wie in der Tat jede besondre historische Produktionsweise ihre besondren, historisch gültigen Populationsgesetze hat. Ein abstraktes Populationsgesetz existiert nur für Pflanze und Tier, soweit der Mensch nicht geschichtlich eingreift.

<661> Wenn aber eine Surplusarbeiterpopulation notwendiges Produkt der Akkumulation oder der Entwicklung des Reichtums auf kapitalistischer Grundlage ist, wird diese Übervölkerung umgekehrt zum Hebel der kapitalistischen Akkumulation, ja zu einer Existenzbedingung der kapitalistischen Produktionsweise. Sie bildet eine disponible industrielle Reservearmee, die dem Kapital ganz so absolut gehört, als ob es sie auf seine eignen Kosten großgezüchtet hätte. Sie schafft für seine wechselnden Verwertungsbedürfnisse das stets bereite exploitable Menschenmaterial, unabhängig von den Schranken der wirklichen Bevölkerungszunahme.

Mit der Akkumulation und der sie begleitenden Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit wächst die plötzliche Expansionskraft des Kapitals, nicht nur, weil die Elastizität des funktionierenden Kapitals wächst, und der absolute Reichtum, wovon das Kapital nur einen elastischen Teil bildet, nicht nur, weil der Kredit, unter jedem besondren Reiz, im Umsehn ungewöhnlichen Teil dieses Reichtums der Produktion als Zusatzkapital zur Verfügung stellt. Die technischen Bedingungen des Produktionsprozesses selbst, Maschinerie, Transportmittel usw. ermöglichen, auf größter Stufenleiter, die rascheste Verwandlung von Mehrprodukt in zuschüssige Produktionsmittel. Die mit dem Fortschritt der Akkumulation überschwellende und in Zusatzkapital verwandelbare Masse des gesellschaftlichen Reichtums drängt sich mit Frenesie in alte Produktionszweige, deren Markt sich plötzlich erweitert, oder in neu eröffnete, wie Eisenbahnen usw., deren Bedürfnis aus der Entwicklung der alten entspringt. In allen solchen Fällen müssen große Menschenmassen plötzlich und ohne Abbruch der Produktionsleiter in andren Sphären auf die entscheidenden Punkte werfbar sein. Die Übervölkerung liefert sie. Der charakteristische Lebenslauf der modernen Industrie, die Form eines durch kleinere Schwankungen unterbrochnen zehnjährigen Zyklus von Perioden mittlerer Lebendigkeit, Produktion unter Hochdruck, Krise und Stagnation, beruht auf der beständigen Bildung, größern oder geringem Absorption und Wiederbildung der industriellen Reservearmee oder Übervölkerung. Ihrerseits rekrutieren die Wechselfälle des industriellen Zyklus die Übervölkerung und werden zu einem ihrer energischsten Reproduktions agentien.

Dieser eigentümliche Lebenslauf der modernen Industrie, der uns in keinem frühern Zeitalter der Menschheit begegnet, war auch in der Kindheitsperiode der kapitalistischen Produktion unmöglich. Die Zusammensetzung des Kapitals veränderte sich nur sehr allmählich. Seiner Akkumulation entsprach also im Ganzen verhältnismäßiges Wachstum der Arbeitsnachfrage. Langsam wie der Fortschritt seiner Akkumulation, verglichen <662> mit der modernen Epoche, stieß er auf Naturschranken der exploitablen Arbeiterbevölkerung, welche nur durch später zu erwähnende Gewaltmittel wegräumbar waren. Die plötzliche und ruckweise Expansion der Produktionsleiter ist die Voraussetzung ihrer plötzlichen Kontraktion; letztere ruft wieder die erstere hervor, aber die erstere ist unmöglich ohne disponibles Menschenmaterial, ohne eine vom absoluten Wachstum der Bevölkerung unabhängige Vermehrung von Arbeitern. Sie wird geschaffen durch den einfachen Prozeß, der einen Teil der Arbeiter beständig "freisetzt", durch Methoden, welche die Anzahl der beschäftigten Arbeiter im Verhältnis zur vermehrten Produktion vermindern. Die ganze Bewegungsform der modernen Industrie erwächst also aus der beständigen Verwandlung eines Teils der Arbeiterbevölkerung in unbeschäftigte oder halbbeschäftigte Hände. Die Oberflächlichkeit der politischen Ökonomie zeigt sich u.a.

darin, daß sie die Expansion und Kontraktion des Kredits, das bloße Symptom der Wechselperioden des industriellen Zyklus, zu deren Ursache macht. Ganz wie Himmelskörper, einmal in eine bestimmte Bewegung 389

DAS KAPITAL

geschleudert, dieselbe stets wiederholen, so die gesellschaftliche Produktion, sobald sie einmal in jene Bewegung wechselnder Expansion und Kontraktion geworfen ist. Wirkungen werden ihrerseits zu Ursachen, und die Wechselfälle des ganzen Prozesses, der seine eignen Bedingungen stets reproduziert, nehmen die Form der Periodizität an. <In der autorisierten französischen Ausgabe findet sich an dieser Stelle folgende Einschaltung: "Aber erst von der Zeit an, als die mechanische Industrie so tiefe Wurzeln geschlagen hatte, daß sie auf die ganze nationale Produktion einen überwiegenden Einfluß ausübte; als durch sie der Außenhandel dem Binnenhandel den Rang abzulaufen begann; als sich der Weltmarkt sukzessive ausgedehnter Gebiete in der neuen Welt, in Asien und in Australien bemächtigte; als schließlich die industriellen Nationen, die auf die Arena traten, zahlreich genug geworden waren – erst von dieser Zeit an datierten jene sich stets wiedererzeu-genden Zyklen, deren aufeinanderfolgende Phasen Jahre umfassen und die immer hinauslaufen auf eine allgemeine Krise, die Ende eines Zyklus und Ausgangspunkt eines neuen ist. Bis jetzt ist die periodische Dauer solcher Zyklen zehn oder elf Jahre, aber es gibt keinerlei Grund, diese Zahl als konstant zu betrachten. Im Gegenteil, aus den Gesetzen der kapitalistischen Produktion, wie wir sie eben entwickelt haben, muß man schließen, daß sie variabel ist und daß die Periode der Zyklen sich stufenweise verkürzen wird."> Ist letztere einmal konsolidiert, so begreift selbst die politische Ökonomie die Produktion einer relativen, d.h. mit Bezug auf das mittlere Verwertungsbedürfnis des Kapitals überschüssigen Bevölkerung als Lebensbedingung der modernen Industrie.

"Gesetzt", sagt H. Merivale, früher Professor der politischen Ökonomie zu Oxford, später Beamter des englischen Kolonialministeriums, "gesetzt, bei Gelegenheit einer <663> Krise raffe die Nation sich zu einer Kraftanstrengung auf, um durch Emigration einige 100.000 überflüssige Arme loszuwerden, was würde die Folge sein? Daß bei der ersten Wiederkehr der Arbeitsnachfrage ein Mangel vorhanden wäre. Wie rasch immer die Reproduktion von Menschen sein mag, sie braucht jedenfalls den Zwischenraum einer Generation zum Ersatz erwachsner Arbeiter. Nun hängen die Profite unsrer Fabrikanten hauptsächlich von der Macht ab, den günstigen Moment lebhafter Nachfrage zu exploitieren und sich so für die Periode der Erlahmung schadlos zu halten. Diese Macht ist ihnen nur gesichert durch Kommando über Maschinerie und Handarbeit.

Sie müssen disponible Hände vorfinden; sie müssen fähig sein, die Aktivität ihrer Operationen wenn nötig höher zu spannen oder abzuspannen, je nach dem Stand des Markts, oder sie können platterdings nicht in der Hetzjagd der Konkurrenz das Übergewicht behaupten, auf das der Reichtum dieses Landes gegründet ist."

Selbst Malthus erkennt in der Übervölkerung, die er, nach seiner bornierten Weise, aus absolutem Überwuchs der Arbeiterbevölkerung, nicht aus ihrer relativen Überzähligmachung deutet, eine Notwendigkeit der modernen Industrie. Er sagt:

"Weise Gewohnheiten in bezug auf die Ehe, wenn zu einer gewissen Höhe getrieben unter der Arbeiterklasse eines Landes, das hauptsächlich von Manufaktur und Handel abhängt, würden ihm schädlich sein ... Der Natur der Bevölkerung gemäß kann ein Zuwachs von Arbeitern nicht zu Markt geliefert werden, infolge besondrer Nachfrage, bis nach Verlauf von 16 oder 18 Jahren, und die Verwandlung von Revenue in Kapital durch Ersparung kann sehr viel rascher Platz greifen; ein Land ist stets dem ausgesetzt, daß sein Arbeitsfonds rascher wächst als die Bevölkerung.

<664> Nachdem die politische Ökonomie so die beständige Produktion einer relativen Übervölkerung von Arbeitern für eine Notwendigkeit der kapitalistischen Akkumulation erklärt hat, legt sie, und zwar adäquat in der Figur einer alten Jungfer, dem "beau idéal <schönen Ideal> ihres Kapitalisten folgende Worte an die durch ihre eigne Schöpfung von Zusatzkapital aufs Pflaster geworfnen "Überzähligen" in den Mund:

"Wir Fabrikanten tun für euch, was wir können, indem wir das Kapital vermehren, von dem ihr subsistieren müßt; und ihr müßt das übrige tun, indem ihr eure Zahl den Subsistenzmitteln anpaßt."

Der kapitalistischen Produktion genügt keineswegs das Quantum disponibler Arbeitskraft, welches der natürliche Zuwachs der Bevölkerung liefert. Sie bedarf zu ihrem freien Spiel einer von dieser Naturschranke unabhängigen industriellen Reservearmee.

Bisher wurde unterstellt, daß der Zu- oder Abnahme des variablen Kapitals genau die Zu- oder Abnahme der beschäftigten Arbeiterzahl entspricht.

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DAS KAPITAL

Bei gleichbleibender oder selbst verminderter Zahl der von ihm kommandierten Arbeiter wächst jedoch das variable Kapital, wenn der individuelle Arbeiter mehr Arbeit liefert und daher sein Arbeitslohn wächst, obgleich der Arbeitspreis gleichbleibt oder selbst sinkt, nur langsamer, als die Arbeitsmasse steigt. Der Zuwachs des variablen Kapitals wird dann Index von mehr Arbeit, aber nicht von mehr beschäftigten Arbeitern. Jeder Kapitalist hat das absolute Interesse, ein bestimmtes Arbeitsquantum aus kleinerer, statt ebenso wohlfeil oder selbst wohlfeiler aus größerer Arbeiterzahl auszupressen. In dem letzten Fall wächst die Auslage von konstantem Kapital verhältnismäßig zur Masse der in Fluß gesetzten Arbeit, im ersten Fall viel langsamer. Je größer die Stufenleiter der Produktion, desto entscheidender dies Motiv. Seine Wucht wächst mit der Akkumulation des Kapitals.

Man hat gesehn, daß die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und Produktivkraft der Arbeit –

zugleich Ursache und Wirkung der Akkumulation – den Kapitalisten befähigt, mit derselben Auslage von variablem Kapital mehr Arbeit durch größere extensive oder intensive Exploitation der individuellen Arbeitskräfte flüssig zu machen. Man hat ferner gesehn, daß er mit demselben Kapitalwert mehr Arbeitskräfte kauft,

<665> indem er progressiv geschicktere Arbeiter durch ungeschicktere, reife durch unreife, männliche durch weibliche oder kindliche verdrängt.

Einerseits macht also, im Fortgang der Akkumulation, größeres variables Kapital mehr Arbeit flüssig, ohne mehr Arbeiter zu werben, andererseits macht variables Kapital von derselben Größe mehr Arbeit mit derselben Masse Arbeitskraft flüssig und endlich mehr niedere Arbeitskräfte durch Verdrängung höherer.

Die Produktion einer relativen Übervölkerung oder die Freisetzung von Arbeitern geht daher noch rascher voran als die ohnehin mit dem Fortschritt der Akkumulation beschleunigte technische Umwälzung des Produktionsprozesses und die entsprechende proportionelle Abnahme des variablen Kapitalteils gegen den konstanten. Wenn die Produktionsmittel, wie sie an Umfang und Wirkungskraft zunehmen, in geringerem Grad Beschäftigungsmittel der Arbeiter werden, wird dies Verhältnis selbst wieder dadurch modifiziert, daß im Maß, wie die Produktivkraft der Arbeit wächst, das Kapital seine Zufuhr von Arbeit rascher steigert als seine Nachfrage nach Arbeitern. Die Überarbeit des beschäftigten Teils der Arbeiterklasse schwellt die Reihen ihrer Reserve, während umgekehrt der vermehrte Druck, den die letztere durch ihre Konkurrenz auf die erstere ausübt, diese zur Überarbeit und Unterwerfung unter die Diktate des Kapitals zwingt. Die Verdammung eines Teils der Arbeiterklasse zu erzwungnem Müßiggang durch Überarbeit des andren Teils und umgekehrt, wird Bereicherungsmittel des einzelnen Kapitalisten und beschleunigt zugleich die <666> Produktion der industriellen Reservearmee auf einem dem Fortschritt der gesellschaftlichen Akkumulation entsprechenden Maßstab. Wie wichtig dies Moment in der Bildung der relativen Übervölkerung, beweist z. B. England. Seine technischen Mittel zur "Ersparung" von Arbeit sind kolossal. Dennoch, würde morgen allgemein die Arbeit auf ein rationelles Maß beschränkt und für die verschiednen Schichten der Arbeiterklasse wieder entsprechend nach Alter und Geschlecht abgestuft, so wäre die vorhandne Arbeiterbevölkerung absolut unzureichend zur Fortführung der nationalen Produktion auf ihrer jetzigen Stufenleiter. Die große Mehrheit der jetzt

"unproduktiven" Arbeiter müßte in "produktive" verwandelt werden.

Im großen und ganzen sind die allgemeinen Bewegungen des Arbeitslohns ausschließlich reguliert durch die Expansion und Kontraktion der industriellen Reservearmee, welche dem Periodenwechsel des industriellen Zyklus entsprechen. Sie sind also nicht bestimmt durch die Bewegung der absoluten Anzahl der Arbeiterbevölkerung, sondern durch das wechselnde Verhältnis, worin die Arbeiterklasse in aktive Armee und Reservearmee zerfällt, durch die Zunahme und Abnahme des relativen Umfangs der Übervölkerung, durch den Grad, worin sie bald absorbiert, bald wieder freigesetzt wird. Für die moderne Industrie mit ihrem zehnjährigen Zyklus und seinen periodischen Phasen, die außerdem im Fortgang der Akkumulation durch stets rascher aufeinander folgende unregelmäßige Oszillationen durchkreuzt werden, wäre es in der Tat ein schönes Gesetz, welches die Nachfrage und Zufuhr von Arbeit nicht durch die Expansion und Kontraktion des Kapitals, also nach seinen jedesmaligen Verwertungsbedürfnissen regelte, so daß der Arbeitsmarkt bald relativ untervoll erscheint, weil das Kapital sich expandiert, bald wieder übervoll, weil es sich kontrahiert, sondern umgekehrt die Bewegung des Kapitals von der absoluten Bewegung der Bevölkerungsmenge abhängig machte.

Dies jedoch ist das <667> ökonomische Dogma. Nach demselben steigt infolge der Kapitalakkumulation der Arbeitslohn. Der erhöhte Arbeitslohn spornt zur rascheren Vermehrung der Arbeiterbevölkerung, und diese dauert fort, bis der Arbeitsmarkt überfüllt, also das Kapital relativ zur Arbeiterzufuhr unzureichend geworden ist. Der Arbeitslohn sinkt, und nun die Kehrseite der Medaille. Durch den fallenden Arbeitslohn wird die Arbeiterbevölkerung nach und nach dezimiert, so daß ihr gegenüber das Kapital wieder überschüssig wird, 391

DAS KAPITAL

oder auch, wie andre es erklären, der fallende Arbeitslohn und die entsprechende erhöhte Exploitation des Arbeiters beschleunigt wieder die Akkumulation, während gleichzeitig der niedere Lohn das Wachstum der Arbeiterklasse in Schach hält. So tritt wieder das Verhältnis ein, worin die Arbeitszufuhr niedriger als die Arbeitsnachfrage, der Lohn steigt usw. Eine schöne Bewegungsmethode dies für die entwickelte kapitalistische Produktion! Bevor infolge der Lohnerhöhung irgendein positives Wachstum der wirklich arbeitsfähigen Be-völkerung eintreten könnte, wäre die Frist aber und abermal abgelaufen, worin der industrielle Feldzug ge-führt, die Schlacht geschlagen und entschieden sein muß.

Zwischen 1849 und 1859 trat, zugleich mit fallenden Getreidepreisen, eine praktisch betrachtet nur nominelle Lohnerhöhung in den englischen Agrikulturdistrikten ein, z.B. in Wiltshire stieg der Wochenlohn von 7 auf 8

sh., in Dorsetshire von 7 oder 8 auf 9 sh. usw. Es war dies Folge des übergewöhnlichen Abflusses der agrikolen Übervölkerung, verursacht durch Kriegsnachfrage, massenhafte Ausdehnung der Eisenbahnbauten, Fabriken, Bergwerke etc. Je niedriger der Arbeitslohn, desto höher drückt sich jedes noch so unbedeutende Steigen desselben in Prozentzahlen aus. Ist der Wochenlohn z.B. 20 sh. und steigt er auf 22, so um 10%; ist er dagegen nur 7 sh. und steigt auf 9, so um 284/7%, was sehr erklecklich klingt. Jedenfalls heulten die Pächter und schwatzte sogar der "London Economist" ganz ernsthaft von "a general and substantial advance" <einer allgemeinen und beträchtlichen Erhöhung"> mit Bezug auf diese Hungerlöhne. Was taten nun die Pächter?

Warteten sie, bis die Landarbeiter sich infolge dieser brillanten Zahlung so vermehrt hatten, daß ihr Lohn wieder fallen mußte, wie die Sache sich im dogmatisch ökonomischen Hirn zuträgt? Sie führten mehr Maschinerie ein, und im Umsehn waren die Arbeiter wieder "überzählig" in einem selbst den Pächtern genügenden Verhältnis. Es war jetzt "mehr Kapital" in der Agrikultur an- <668> gelegt als vorher und in einer produktiveren Form. Damit fiel die Nachfrage nach Arbeit nicht nur relativ, sondern absolut.

Jene ökonomische Fiktion verwechselt die Gesetze, welche die allgemeine Bewegung des Arbeitslohns oder das Verhältnis zwischen Arbeiterklasse, d.h. Gesamtarbeitskraft und gesellschaftlichem Gesamtkapital regeln, mit den Gesetzen, welche die Arbeiterbevölkerung unter die besondren Produktionssphären verteilen. Wenn z.B. infolge günstiger Konjunktur die Akkumulation in einer bestimmten Produktionssphäre besonders lebhaft, die Profite hier größer als die Durchschnittsprofite, Zuschußkapital dahin drängt, so steigt natürlich Arbeitsnachfrage und Arbeitslohn. Der höhere Arbeitslohn zieht einen größeren Teil der Arbeiterbevölkerung in die begünstigte Sphäre, bis sie mit Arbeitskraft gesättigt ist und der Lohn auf die Dauer wieder auf sein früheres Durchschnittsniveau oder unter dasselbe fällt, falls der Zudrang zu groß war. Dann hört nicht nur die Einwanderung von Arbeitern in den fraglichen Geschäftszweig auf, sie macht sogar ihrer Auswanderung Platz. Hier glaubt der politische Ökonom zu sehn, "wo und wie", mit Zunahme des Lohns eine absolute Zunahme von Arbeitern, und mit der absoluten Zunahme der Arbeiter eine Abnahme des Lohns, aber er sieht in der Tat nur die lokale Oszillation des Arbeitsmarkts einer besondren Produktionssphäre, er sieht nur Phänomene der Verteilung der Arbeiterbevölkerung in die verschiednen Anlagesphären des Kapitals, je nach seinen wechselnden Bedürfnissen.

Die industrielle Reservearmee drückt während der Perioden der Stagnation und mittleren Prosperität auf die aktive Arbeiterarmee und hält ihre Ansprüche während der Periode der Überproduktion und des Paroxysmus im Zaum. Die relative Übervölkerung ist also der Hintergrund, worauf das Gesetz der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit sich bewegt. Sie zwängt den Spielraum dieses Gesetzes in die der Exploitationsgier und Herrschsucht des Kapitals absolut zusagenden Schranken ein. Es ist hier der Ort, auf eine der Großtaten der ökonomischen Apologetik zurückzukommen. Man erinnert sich, daß, wenn durch Einführung neuer oder Ausdehnung alter Maschinerie ein Stück variables Kapital in konstantes verwandelt wird, der ökonomische Apologet diese Operation, welche Kapital "bindet" und ebendadurch Arbeiter "freisetzt", umgekehrt so deutet, daß sie Kapital für den Arbeiter freisetzt. Erst jetzt kann man die Unverschämtheit des Apologeten vollständig würdigen. Was freigesetzt wird, sind nicht nur die unmittelbar durch die Maschine verdrängten Arbeiter, sondern ebenso ihre Ersatzmannschaft und das, bei gewohnter Ausdehnung des Geschäfts auf seiner alten Basis, regelmäßig absorbierte Zuschußkontingent. Sie sind <669> jetzt alle "freigesetzt", und jedes neue funktionslu-stige Kapital kann über sie verfügen. Ob es sie oder andre attrahiert, die Wirkung auf die allgemeine Arbeitsnachfrage wird Null sein, solange dies Kapital gerade hinreicht, um den Markt von ebensoviel Arbeitern zu befreien, als die Maschinen auf ihn geworfen. Beschäftigt es eine geringere Zahl, so wächst die Menge der Überzähligen; beschäftigt es eine größere, so wächst die allgemeine Arbeitsnachfrage nur um den Überschuß der Beschäftigten über die "Freigesetzten". Der Aufschwung, den Anlage suchende Zusatzkapitale sonst der allgemeinen Arbeitsnachfrage gegeben hätten, ist also in jedem Fall insoweit neutralisiert, wie die von der Maschine aufs Pflaster geworfnen Arbeiter reichen. D.h. also, der Mechanismus der kapitalistischen Produk-392

DAS KAPITAL

tion sorgt dafür, daß der absolute Zuwachs von Kapital von keiner entsprechenden Steigerung der allgemeinen Arbeitsnachfrage begleitet ist. Und dies nennt der Apologet eine Kompensation für das Elend, die Leiden und den möglichen Untergang der deplacierten Arbeiter während der Übergangsperiode, welche sie in die industrielle Reservearmee bannt! Die Nachfrage nach Arbeit ist nicht identisch mit Wachstum des Kapitals, die Zufuhr der Arbeit nicht mit dem Wachstum der Arbeiterklasse, so daß zwei voneinander unabhängige Potenzen aufeinander einwirkten. Les dés sont pipés. <Die Würfel sind gefälscht.> Das Kapital agiert auf beiden Seiten zugleich. Wenn seine Akkumulation einerseits die Nachfrage nach Arbeit vermehrt, vermehrt sie andrerseits die Zufuhr von Arbeitern durch deren "Freisetzung", während zugleich der Druck der Unbeschäftigten die Beschäftigten zur Flüssigmachung von mehr Arbeit zwingt, also in gewissem Grad die Arbeitszufuhr von der Zufuhr von Arbeitern unabhängig macht. Die Bewegung des Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr von Arbeit auf dieser Basis vollendet die Despotie des Kapitals. Sobald daher die Arbeiter hinter das Geheimnis kommen, wie es angeht, daß im selben Maß, wie sie mehr arbeiten, mehr fremden Reichtum produzieren und die Produktivkraft ihrer Arbeit wächst, sogar ihre Funktion als Verwertungsmittel des Kapitals immer prekärer für sie wird; sobald sie entdecken, daß der Intensitätsgrad der Konkurrenz unter ihnen selbst ganz und gar von dem Druck der relativen Übervölkerung abhängt; sobald sie daher durch Trade's Unions usw. eine planmäßige Zusammenwirkung zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten zu orga-nisieren suchen, um die ruinierenden Folgen jenes Naturgesetzes der kapitalistischen Produktion auf ihre Klasse zu brechen oder zu schwächen, zetert das Kapital und sein Sykophant, der politische Ökonom, über Verletzung des "ewigen" <670> und sozusagen "heiligen" Gesetzes der Nachfrage und Zufuhr. Jeder Zusammenhalt zwischen den Beschäftigten und Unbeschäftigten stört nämlich das "reine" Spiel jenes Gesetzes.

Sobald andrerseits, in den Kolonien z.B., widrige Umstände die Schöpfung der industriellen Reservearmee und mit ihr die absolute Abhängigkeit der Arbeiterklasse von der Kapitalistenklasse verhindern, rebelliert das Kapital, samt seinem gemeinplätzlichen Sancho Pansa, gegen das "heilige" Gesetz der Nachfrage und Zufuhr und sucht ihm durch Zwangsmittel unter die Arme zu greifen.

4. Verschiedne Existenzformen der relativen Übervölkerung.

Das allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation

Die relative Übervölkerung existiert in allen möglichen Schattierungen. Jeder Arbeiter gehört ihr an während der Zeit, wo er halb oder gar nicht beschäftigt ist. Abgesehn von den großen, periodisch wiederkehrenden Formen, welche der Phasenwechsel des industriellen Zyklus ihr aufprägt, so daß sie bald akut in den Krisen erscheint, bald chronisch in den Zeiten flauen Geschäfts, besitzt sie fortwährend drei Formen: flüssige, latente und stockende.

In den Zentren der modernen Industrie – Fabriken, Manufakturen, Hütten und Bergwerken usw. – werden Arbeiter bald repelliert, bald in größerem Umfang wieder attrahiert, so daß im großen und ganzen die Zahl der Beschäftigten zunimmt, wenn auch in stets abnehmendem Verhältnis zur Produktionsleiter. Die Übervölkerung existiert hier in fließender Form.

Sowohl in den eigentlichen Fabriken wie in allen großen Werkstätten, wo Maschinerie als Faktor eingeht oder auch nur die moderne Teilung der Arbeit durchgeführt ist, braucht man massenhaft männliche Arbeiter bis zur Zurücklegung des Jugendalters. Dieser Termin einmal erreicht, bleibt nur eine sehr geringe Anzahl in denselben Geschäftszweigen verwendbar, während die Mehrzahl regelmäßig entlassen wird. Sie bildet ein Element der fließenden Übervölkerung, das mit dem Umfang der Industrie wächst. Ein Teil davon wandert aus und reist in der Tat nur dem auswandernden Kapital nach. Eine der Folgen ist, daß die weibliche Bevölkerung rascher wächst als die männliche, teste England. Daß der natürliche Zuwachs der Arbeitermasse die Akkumulationsbedürfnisse des Kapitals nicht sättigt und sie dennoch zugleich überschreitet, ist ein Widerspruch seiner Bewegung selbst. Es braucht größere Massen Arbeiter im früheren Alter, geringere im männlichen. Der Widerspruch ist nicht schreiender als der andre, daß <671> über Mangel an Händen geklagt wird zur selben Zeit, wo viele Tausende auf dem Pflaster liegen, weil die Teilung der Arbeit sie an einen bestimmten Geschäftszweig kettet. Der Konsum der Arbeitskraft durch das Kapital ist zudem so rasch, daß der Arbeiter von mittlerem Alter sich meist schon mehr oder minder überlebt hat. Er fällt in die Reihen der Überzähligen oder wird von einer höheren auf eine niedrigere Staffel hinabgedrängt. Gerade bei den Arbeitern der großen Industrie stoßen wir auf die kürzeste Lebensdauer.

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DAS KAPITAL

"Dr. Lee, der Gesundheitsbeamte von Manchester, hat festgestellt, daß in jener Stadt die mittlere Lebensdauer der wohlhabenden Klasse 38, die der Arbeiterklasse nur 17 Jahre ist. In Liverpool beträgt sie 35 Jahre für die erstere, 15 für die Zweite. Es folgt also, daß die privilegierte Klasse eine Anweisung aufs Leben hat (have a lease of life) mehr als doppelt so groß als die ihrer weniger begünstigten Mitbürger."

Unter diesen Umständen erheischt das absolute Wachstum dieser Fraktion des Proletariats eine Form, welche ihre Zahl schwellt, obgleich ihre Elemente sich schnell abnutzen. Also rasche Ablösung der Arbeitergenerationen. (Dasselbe Gesetz gilt nicht für die übrigen Klassen der Bevölkerung.) Dies gesellschaftliche Bedürfnis wird befriedigt durch frühe Ehen, notwendige Folge der Verhältnisse, worin die Arbeiter der großen Industrie leben, und durch die Prämie, welche die Exploitation der Arbeiterkinder auf ihre Produktion setzt.

Sobald sich die kapitalistische Produktion der Agrikultur, oder im Grad, worin sie sich derselben bemächtigt hat, nimmt mit der Akkumulation des hier funktionierenden Kapitals die Nachfrage für die ländliche Arbeiterbevölkerung absolut ab, ohne daß ihre Repulsion, wie in der nicht agrikolen Industrie, durch größere Attraktion ergänzt wäre. Ein Teil der Landbevölkerung befindet sich daher fortwährend auf dem Sprung, in städtisches oder Manufakturproletariat überzugehn, und in der Lauer auf dieser Verwandlung günstige Um-stände. (Manufaktur hier im Sinn aller nichtagrikolen Industrie.) Diese Quelle der relativen Übervölkerung fließt <672> also beständig. Aber ihr beständiger Fluß nach den Städten setzt auf dem Lande selbst eine fortwährend latente Übervölkerung voraus, deren Umfang nur sichtbar wird, sobald sich die Abzugskanäle ausnahmsweise weit öffnen. Der Landarbeiter wird daher auf das Minimum des Salairs herabgedrückt und steht mit einem Fuß stets im Sumpf des Pauperismus.

Die dritte Kategorie der relativen Übervölkerung, die stockende, bildet einen Teil der aktiven Arbeiterarmee, aber mit durchaus unregelmäßiger Beschäftigung. Sie bietet so dem Kapital einen unerschöpflichen Behälter disponibler Arbeitskraft. Ihre Lebenslage sinkt unter das durchschnittliche Normalniveau der arbeitenden Klasse, und grade dies macht sie zur breiten Grundlage eigner Exploitationszweige des Kapitals. Maximum der Arbeitszeit und Minimum des Salairs charakterisieren sie. Wir haben unter der Rubrik der Hausarbeit ihre Hauptgestalt bereits kennengelernt. Sie rekrutiert sich fortwährend aus den Überzähligen der großen Industrie und Agrikultur und namentlich auch aus untergehenden Industriezweigen, wo der Handwerksbetrieb dem Manufakturbetrieb, letztrer dem Maschinenbetrieb erliegt. Ihr Umfang dehnt sich, wie mit Umfang und Energie der Akkumulation die "Überzähligmachung" fortschreitet. Aber sie bildet zugleich ein sich selbst reproduzierendes und verewigendes Element der Arbeiterklasse, das verhältnismäßig größeren Anteil am Gesamtwachstum derselben nimmt als die übrigen Elemente. In der Tat steht nicht nur die Masse der Geburten und Todesfälle, sondern die absolute Größe der Familien in umgekehrtem Verhältnis zur Höhe des Arbeitslohns, also zur Masse der Lebensmittel, worüber die verschiednen Arbeiterkategorien verfügen. Dies Gesetz der kapitalistischen Gesellschaft klänge unsinnig unter Wilden oder selbst zivilisierten Kolonisten. Es erinnert an die massenhafte Reproduktion individuell schwacher und vielgehetzter Tierarten.

<673> Der tiefste Niederschlag der relativen Übervölkerung endlich behaust die Sphäre des Pauperismus.

Abgesehn von Vagabunden, Verbrechern, Prostituierten, kurz dem eigentlichen Lumpenproletariat, besteht diese Gesellschaftsschichte aus drei Kategorien. Erstens Arbeitsfähige. Man braucht die Statistik des englischen Pauperismus nur oberflächlich anzusehn, und man findet, daß seine Masse mit jeder Krise schwillt und mit jeder Wiederbelebung des Geschäfts abnimmt. Zweitens: Waisen- und Pauperkinder. Sie sind Kandidaten der industriellen Reservearmee und werden in Zeiten großen Aufschwungs, wie 1860 z.B., rasch und massenhaft in die aktive Arbeiterarmee einrolliert. Drittens: Verkommene, Verlumpte, Arbeitsunfähige. Es sind namentlich Individuen, die an ihrer durch die Teilung der Arbeit verursachten Unbeweglichkeit untergehn, solche, die über das Normalalter eines Arbeiters hinausleben, endlich die Opfer der Industrie, deren Zahl mit gefährlicher Maschinerie, Bergwerksbau, chemischen Fabriken etc. wächst, Verstümmelte, Verkrankte, Witwen etc. Der Pauperismus bildet das Invalidenhaus der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht der industriellen Reservearmee. Seine Produktion ist eingeschlossen in der Produktion der relativen Übervölkerung, seine Notwendigkeit in ihrer Notwendigkeit, mit ihr bildet er eine Existenzbedingung der kapitalistischen Produktion und Entwicklung des Reichtums. Er gehört zu den faux frais der kapitalistischen Produktion, die das Kapital jedoch großenteils von sich selbst ab auf die Schultern der Arbeiterklasse und der kleinen Mittelklasse zu wälzen weiß.

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DAS KAPITAL

Je größer der gesellschaftliche Reichtum, das funktionierende Kapital, Umfang und Energie seines Wachstums, also auch die absolute Größe des Proletariats und die Produktivkraft seiner Arbeit, desto größer die industrielle Reservearmee. Die disponible Arbeitskraft wird durch dieselben Ursachen entwickelt wie die Ex-pansivkraft des Kapitals. Die verhältnismäßige Größe der industriellen Reservearmee wächst also mit den Potenzen des Reichtums. Je größer aber diese Reservearmee im Verhältnis zur aktiven Arbeiterarmee, desto massenhafter die konsolidierte Übervölkerung, deren Elend im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Arbeitsqual steht. Je größer endlich die Lazarusschichte der Arbeiterklasse und die industrielle Reserve- <674> armee, desto größer der offizielle Pauperismus. Dies ist das absolute, allgemeine Gesetz der kapitalistischen Akkumulation. Es wird gleich allen andren Gesetzen in seiner Verwirklichung durch mannigfache Umstände modifiziert, deren Analyse nicht hierher gehört.

Man begreift die Narrheit der ökonomischen Weisheit, die den Arbeitern predigt, ihre Zahl den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals anzupassen. Der Mechanismus der kapitalistischen Produktion und Akkumulation paßt diese Zahl beständig diesen Verwertungsbedürfnissen an. Erstes Wort dieser Anpassung ist die Schöpfung einer relativen Übervölkerung oder industriellen Reservearmee, letztes Wort das Elend stets wachsender Schichten der aktiven Arbeiterarmee und das tote Gewicht des Pauperismus.

Das Gesetz, wonach eine immer wachsende Masse von Produktionsmitteln, dank dem Fortschritt in der Produktivität der gesellschaftlichen Arbeit, mit einer progressiv abnehmenden Ausgabe von Menschenkraft in Bewegung gesetzt werden kann – dies Gesetz drückt sich auf kapitalistischer Grundlage, wo nicht der Arbeiter die Arbeitsmittel, sondern die Arbeitsmittel den Arbeiter anwenden, darin aus, daß, je höher die Produktivkraft der Arbeit, desto größer der Druck der Arbeiter auf ihre Beschäftigungsmittel, desto prekärer also ihre Existenzbedingung: Verkauf der eignen Kraft zur Vermehrung des fremden Reichtums oder zur Selbstverwertung des Kapitals. Rascheres Wachstum der Produktionsmittel und der Produktivität der Arbeit als der produktiven Bevölkerung drückt sich kapitalistisch also umgekehrt darin aus, daß die Arbeiterbevölkerung stets rascher wächst als das Verwertungsbedürfnis des Kapitals.

Wir sahen im vierten Abschnitt bei Analyse der Produktion des relativen Mehrwerts: innerhalb des kapitalistischen Systems vollziehn sich alle Methoden zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit auf Kosten des individuellen Arbeiters; alle Mittel zur Entwicklung der Produktion schlagen um in Beherrschungs- und Exploitationsmittel des Produzenten, verstümmeln den Arbeiter in einen Teilmenschen, entwürdigen ihn zum Anhängsel der Maschine, vernichten mit der Qual seiner Arbeit ihren Inhalt, entfremden ihm die geistigen Potenzen des Arbeitsprozesses im selben Maße, worin letzterem die Wissenschaft als selbständige Potenz einverleibt wird; sie verunstalten die Bedingungen, innerhalb deren er arbeitet, unterwerfen ihn während des Arbeitsprozesses der kleinlichst gehässigen Despotie, verwandeln seine Lebenszeit in Arbeitszeit, schleudern sein Weib und Kind unter das Juggernaut-Rad des Kapitals. Aber alle Methoden zur Produktion des Mehrwerts sind zugleich Methoden der Akkumulation, und jede Ausdehnung der Akkumulation wird umgekehrt <675> Mittel zur Entwicklung jener Methoden. Es folgt daher, daß im Maße wie Kapital akkumuliert, die Lage des Arbeiters, welches immer seine Zahlung, hoch oder niedrig, sich verschlechtern muß. Das Gesetz endlich, welches die relative Übervölkerung oder industrielle Reservearmee stets mit Umfang und Energie der Akkumulation in Gleichgewicht hält, schmiedet den Arbeiter fester an das Kapital als den Prometheus die Keile des Hephästos an den Felsen. Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol, d.h. auf Seite der Klasse, die ihr eignes Produkt als Kapital produziert.

Dieser antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation ist in verschiednen Formen von politischen Ökonomen ausgesprochen, obgleich sie zum Teil zwar analoge, aber dennoch wesentlich verschiedene Erscheinungen vorkapitalistischer Produktionsweisen damit zusammenwerfen.

Der venetianische Mönch Ortes, einer der großen ökonomischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts, faßt den Antagonismus der kapitalistischen Produktion als allgemeines Naturgesetz des gesellschaftlichen Reichtums.

"Das ökonomisch Gute und ökonomisch Böse halten sich in einer Nation stets das Gleichgewicht (il bene ed il male economico in una nazione sempre all'istessa misura), die Fülle der Güter für einige ist immer gleich dem Mangel derselben für andre (la copia dei beni in alcuni sempre eguale alla mancanza di essi in altri). Gro-

ßer Reichtum von einigen ist stets begleitet von absoluter Beraubung des Notwendigen bei viel mehr andren.

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Der Reichtum einer Nation entspricht ihrer Bevölkerung, und ihr Elend entspricht ihrem Reichtum. Die Arbeitsamkeit in einigen erzwingt den Müßiggang in andren. Die Armen und Müßigen sind eine notwendige Frucht der Reichen und Tätigen" usw.

<676> In ganz grober Weise verherrlichte ungefähr 10 Jahre nach Ortes der hochkirchliche protestantische Pfaffe Townsend die Armut als notwendige Bedingung des Reichtums.

"Gesetzlicher Zwang zur Arbeit ist verbunden mit zuviel Mühe, Gewaltsamkeit und Geräusch, während der Hunger nicht nur ein friedlicher, schweigsamer, unaufhörlicher Druck, sondern als natürlichstes Motiv zur Industrie und Arbeit die machtvollste Anstrengung hervorruft."

Alles kommt also darauf an, den Hunger unter der Arbeiterklasse permanent zu machen, und dafür sorgt, nach Townsend, das Bevölkerungsprinzip, das besonders unter den Armen tätig ist.

"Es scheint ein Naturgesetz, daß die Armen zu einem gewissen Grad leichtsinnig (improvident) sind" (nämlich so leichtsinnig, auf die Welt zu kommen ohne goldne Löffel im Mund), "so daß stets welche da sind (that there always may be some) zur Erfüllung der servilsten, schmutzigsten und gemeinsten Funktionen des Gemeinwesens. Der Fonds von menschlichem Glück (the fund of human happiness) wird dadurch sehr vermehrt, die Delikateren (the more delicate) sind von der Plackerei befreit und können höherem Beruf usw.

ungestört nachgehn ... Das Armengesetz hat die Tendenz, die Harmonie und Schönheit, die Symmetrie und Ordnung dieses Systems, welches Gott und die Natur in der Welt errichtet haben, zu zerstören."

Fand der venetianische Mönch in dem Schicksalsschluß, der das Elend verewigt, die Existenzberechtigung der christlichen Wohltätigkeit, des Zölibats, der Klöster und frommen Stiftungen, so findet im Gegenteil der protestantische Pfründner darin den Vorwand, die Gesetze zu verdammen, kraft deren der Arme ein Recht auf kärgliche öffentliche Unterstützung besaß.

<677> "Der Fortschritt des gesellschaftlichen Reichtums", sagt Storch, "erzeugt jene nützliche Klasse der Gesellschaft ... welche die langweiligsten, gemeinsten und ekelhaftesten Beschäftigungen ausübt, in einem Wort alles, was das Leben Unangenehmes und Knechtendes hat, auf ihre Schultern nimmt und ebendadurch den andren Klassen die Zeit, die Heiterkeit des Geistes und die konventionelle" (c'est bon! <das ist gut!>)

"Charakterwürde verschafft etc."

Storch fragt sich, welches denn eigentlich der Vorzug dieser kapitalistischen Zivilisation mit ihrem Elend und ihrer Degradation der Massen vor der Barbarei? Er findet nur eine Antwort – die Sicherheit!

"Durch den Fortschritt der Industrie und Wissenschaft", sagt Sismondi, "kann jeder Arbeiter jeden Tag viel mehr produzieren als er zu seinem Konsum braucht. Aber zu gleicher Zeit, wahrend seine Arbeit den Reichtum produziert, würde der Reichtum, wäre er berufen, ihn selbst zu konsumieren, ihn wenig geeignet zur Arbeit machen." Nach ihm "würden die Menschen" (d.h. die Nichtarbeiter) "wahrscheinlich auf alle Vervoll-kommnungen der Künste verzichten wie auf alle Genüsse, die die Industrie uns verschafft, müßten sie diese durch anhaltende Arbeit, wie die des Arbeiters, erkaufen ... Die Anstrengungen sind heute geschieden von ihrer Belohnung; es ist nicht derselbe Mensch, der erst arbeitet und sich dann ausruht: im Gegenteil, eben weil der eine arbeitet, muß der andre sich ausruhn ... Die endlose Vervielfältigung der Produktivkräfte der Arbeit kann also kein andres Resultat haben als die Zunahme des Luxus und der Genüsse der müßigen Reichen."

Destutt de Tracy endlich, der fischblütige Bourgeoisdoktrinär, spricht es brutal aus:

"Die armen Nationen sind die, wo das Volk gut dran ist, und die reichen Nationen sind die, wo es gewöhnlich arm ist."

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Fußnoten

(70) Karl Marx, l.c. <Siehe Band 6, S. 410> – "Bei gleicher Unterdrückung der Massen ist ein Land um so reicher, je mehr Proletarier es hat." (Colins, "L'Économie Politique, Source des Révolutions et des Utopies prétendues Socialistes", Paris 1857, t. III, p. 331.) Unter "Proletarier" ist ökonomisch nichts zu versteh. als der Lohnarbeiter, der "Kapital" produziert und verwertet und aufs Pflaster geworfen wird, sobald er für die Verwertungsbedürfnisse des "Monsieur Kapital", wie Pecqueur diese Person nennt, überflüssig ist. "Der kränkliche Proletarier des Urwalds" ist ein artiges Roschersches Phantom. Der Urwäldler ist Eigentümer des Urwalds und behandelt den Urwald, ganz so ungeniert wie der Orang-Utang, als sein Eigentum. Er ist also nicht Proletarier. Dies wäre nur der Fall, wenn der Urwald ihn, statt er den Urwald exploitierte. Was seinen Gesundheitszustand betrifft, steht solcher wohl den Vergleich aus nicht nur mit dem des modernen Proletariers, sondern auch dem der syphilitischen und skrofulösen "Ehrbarkeit". Doch versteht Herr Wilhelm Roscher unter Urwald wahrscheinlich die stammverwandte Lüneburger Heide.

(71) "As the Labourers make men rich, so the more Labourers, there will be the more rich men ... the Labour of the Poor being the Mines of the Rich." (John Bellers, l.c.p. 2.)

(72) B. de Mandeville, ("The Fable of the Bees", 5th cd., Land. 1728, Remarks, p. 212, 213, 328.) – "Mäßiges Leben und beständige Arbeit sind für den Armen der Weg zum materiellen Glücke" (worunter er möglichst langen Arbeitstag und möglichst wenig Lebensmittel versteht) "und zum Reichtum für den Staat" (nämlich Grundeigentümer, Kapitalisten und ihre politischen Würdeträger und Agenten). ("An Essay on Trade and Commerce", Lond. 1770, p. 54.)

(73) " Eden hätte fragen sollen, wessen Kreatur sind denn "die bürgerlichen Institutionen"? Vom Standpunkt der juristischen Illusion betrachtet er nicht das Gesetz als Produkt der materiellen Produktionsverhältnisse, sondern umgekehrt die Produktionsverhältnisse als Produkt des Gesetzes. Linguet warf Montesquieus illusorischen "Esprit des Lois" mit dem einen Wort über den Haufen: "L'esprit des lois, c'est la propriété".

(74) Eden, l.c., v. I, 1.1, ch. I, p. l, 2 und Preface, p. XX.

(75) Sollte der Leser an Malthus erinnern, dessen "Essay on Population" 1798 erschien, so erinnere ich, daß diese Schrift in ihrer ersten Form nichts als ein schülerhaft oberflächliches und pfäffisch verdeklamiertes Plagiat aus Defoe, Sir James Steuart, Townsend, Franklin, Wallace usw. ist und nicht einen einzigen selbstge-dachten Satz enthält. Das große Aufsehn, das dies Pamphlet erregte, entsprang lediglich Parteiinteressen. Die Französische Revolution hatte im britischen Königreich leidenschaftliche Verteidiger gefunden; das "Populationsprinzip", langsam im 18. Jahrhundert herausgearbeitet, dann mitten in einer großen sozialen Krisis mit Pauken und Trompeten verkündet als das unfehlbare Gegengift gegen die Lehren von Condorcet u.a., wurde jubelnd begrüßt von der englischen Oligarchie als der große Austilger aller Gelüste nach menschlicher Fortentwicklung. Malthus, über seinen Erfolg hocherstaunt, gab sich dann daran, oberflächlich kompiliertes Material in das alte Schema zu stopfen und neues, aber nicht von Malthus entdecktes, sondern nur annexiertes, zuzufügen. – Nebenbei bemerkt. Obgleich Malthus Pfaffe der englischen Hochkirche, hatte er das Mönchs-gelübde des Zölibats abgelegt. Dies ist nämlich eine der Bedingungen der fellowship <Mitgliedschaft> der protestantischen Universität zu Cambridge. "Daß die Mitglieder der Kollegien verheiratet sind, gestatten wir nicht, sondern sobald jemand eine Frau nimmt, hört er damit auf, Mitglied des Kollegiums zu sein." ("Reports of Cambridge University Commission", p. 172.) Dieser Umstand unterscheidet Malthus vorteilhaft von den andren protestantischen Pfaffen, die das katholische Gebot des Priesterzölibats von sich selbst abgeschüttelt und das "Seid fruchtbar und mehret euch" in solchem Maß als ihre spezifisch biblische Mission vindiziert haben, daß sie überall in wahrhaft unanständigem Grad zur Vermehrung der Bevölkerung beitragen, während sie gleichzeitig den Arbeitern das "Populationsprinzip" predigen. Es ist charakteristisch, daß der ökonomische travestierte Sündenfall, der Adamsapfel, der "urgent appetite", "the checks which tend to blunt the shafts of Cupid" <die "dringliche Begierde, "die Hemmnisse, die die Pfeile Cupidos abzustumpfen suchen">, wie Pfaff Townsend munter sagt, daß dieser kitzlige Punkt von den Herrn von der protestantischen Theologie oder vielmehr Kirche monopolisiert ward und wird. Mit Ausnahme des venetianischen Mönches Ortes, eines originellen und geistreichen Schriftstellers, sind die meisten Populationslehrer protestantische Pfaffen. So Bruckner: "Théorie du Systeme animal", Leyde 1767, worin die ganze moderne Bevölkerungstheorie erschöpft ist und wozu der vorübergehende Zank zwischen Quesnay und seinem Schüler Mirabeau 397

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pére <der Ältere> über dasselbe Thema Ideen lieferte, dann Pfaffe Wallace, Pfaffe Townsend, Pfaffe Malthus und sein Schüler, der Erzpfaff Th. Chalmers, von kleineren pfäffischen Skribenten in this line <dieser Art> gar nicht zu reden. Ursprünglich ward die politische Ökonomie betrieben von Philosophen, wie Hobbes, Locke, Hume, Geschäfts- und Staatsleuten, wie Thomas Morus, Temple, Sully, de Witt, North, Law, Vanderlint, Cantillon, Franklin, und theoretisch namentlich, und mit dem größten Erfolg, von Medizinern, wie Petty, Barbon, Mandeville, Quesnay. Noch Mitte des 18. Jahrhunderts entschuldigt sich Rev. Mr. Tucker, ein bedeutender Ökonom für seine Zeit, daß er sich mit dem Mammon beschäftigte. Später, und zwar mit dem

"Bevölkerungsprinzip" schlug die Stunde der protestantischen Pfaffen. Als ob er diese Geschäftsverpfu-schung geahnt, sagt Petty, der die Population als Basis des Reichtums behandelt und, gleich Adam Smith, abgesagter Pfaffenfeind: "Die Religion blüht am besten, wenn die Priester am meisten kasteit werden, wie das Recht am besten, wo die Advokaten verhungern." Er rät daher den protestantischen Pfaffen, wenn sie einmal dem Apostel Paulus nicht folgen und sich nicht durch das Zölibat "abtöten" wollen, "doch ja nicht mehr Pfaffen zu hecken (not to breed more Churchmen) als die vorhandenen Pfründen (benefices) absorbieren können; d.h. wenn es nur 12.000 Pfründen in England und Wales gibt, ist es unweis, 24.000 Pfaffen zu hek-ken (it will not be safe to breed 24.000 ministers), denn die 12.000 Unversorgten werden stets einen Lebensunterhalt zu gewinnen suchen, und wie könnten sie das leichter tun, als indem sie unter das Volk gehn und es überreden, die 12.000 Pfründner vergifteten die Seelen, und hungerten selbige Seelen aus, und zeigten ihnen den Holzweg zum Himmel?" (Petty, "A Treatise on Taxes and Contributions", Lond. 1667, p. 57.) Adam Smiths Stellung zum protestantischen Pfaffentum seiner Zeit ist durch folgendes charakterisiert. In "A Letter to A. Smith, L. L. D. On the life, Death and Philosophy of his Friend David Hume. By One of the People called Christians", 4th ed., Oxford 1784, kanzelt Dr. Horne, hochkirchlicher Bischof von Norwich, den A.

Smith ab, weil er in einem öffentlichen Sendschreiben an Herrn Strahan seinen "Freund David" (sc. Hume)

"einbalsamiere", weil er dem Publikum erzähle, wie "Hume auf seinem Sterbebett sich mit Lukian und Whist amüsierte", und sogar die Frechheit hatte, zu schreiben: "Ich habe Hume stets, sowohl während seines Lebens wie nach seinem Tode so nahe dem Ideal eines vollkommen weisen und tugendhaften Mannes betrachtet, als die Schwäche der menschlichen Natur erlaubt." Der Bischof ruft entrüstet: "Ist es recht von Ihnen, mein Herr, uns als vollkommen weise und tugendhaft den Charakter und Lebenswandel eines Menschen zu schildern, der von einer unheilbaren Antipathie besessen war wider alles, was Religion heißt, und der jeden Nerv anspannte, um, so viel an ihm, selbst ihren Namen aus dem Gedächtnis der Menschen zu löschen?"

(l.c.p. 8.) "Aber laßt euch nicht entmutigen, Liebhaber der Wahrheit, der Atheismus ist kurzlebig." (p. 17.) Adam Smith "hat die gräßliche Ruchlosigkeit (the atrocious wickedness), den Atheismus durch das Land zu propagandieren" (nämlich durch seine "Theory of moral sentiments"). "... Wir kennen Eure Schliche, Herr Doktor! Ihr meint's gut, rechnet aber diesmal ohne den Wirt. Ihr wollt uns durch das Beispiel von David Hume, Esq., weismachen, daß Atheismus der einzige Schnaps (cordial) für ein niedergeschlagnes Gemüt und das einzige Gegengift wider Todesfurcht ist ... Lacht nur über Babylon in Ruinen und beglückwünscht nur den verhärteten Bösewicht Pharao!" (l.c.p. 21, 22.) Ein orthodoxer Kopf unter A. Smiths Kollegienbesuchern schreibt nach dessen Tod: "Smiths Freundschaft für Hume verhinderte ihn, ein Christ zu ... Er glaubte Hume alles aufs Wort. Wenn Hume ihm gesagt, der Mond sei ein grüner Käs, er hätt's geglaubt. Er glaubte ihm daher auch, daß es keinen Gott und keine Wunder gebe ... In seinen politischen Prinzipien streifte er an Re-publikanismus." ("The Bee" by James Anderson, 18 vls., Edinb. 1791-1793, vol. 3, p. 166, 165.) Pfaff Th.

Chalmers hat A. Smith in Verdacht, daß er aus reiner Malice die Kategorie der "unproduktiven Arbeiter"

eigens für die protestantischen Pfaffen erfand, trotz ihrer gesegneten Arbeit im Weinberg des Herrn.

(76) Note zur 2. Ausgabe. "Die Grenze jedoch der Beschäftigung von industriellen wie von ländlichen Arbeitern ist dieselbe: nämlich die Möglichkeit für den Unternehmer, einen Profit aus ihrem Arbeitsprodukt herauszuschlagen. Steigt die Rate des Arbeitslohns so hoch, daß der Gewinn des Meisters unter den Durchschnittsprofit fällt, so hört er auf, sie zu beschäftigen, oder beschäftigt sie nur unter der Bedingung, daß sie eine Herabsetzung des Arbeitslohns zulassen." (John Wade, l.c.p. 240.)

(77) Vgl. Karl Marx, Zur Kritik der Politischen Oekonomie", p. 165 sqq. <siehe Band 13, S. 154 ff.> (77a) "Gehen wir aber nun auf unsere erste Untersuchung zurück, wo nachgewiesen ist ... daß das Kapital selbst nur das Erzeugnis menschlicher Arbeit ist ... so scheint es ganz unbegreiflich, daß der Mensch unter die Herrschaft seines eigenen Produkts – das Kapital – geraten und diesem untergeordnet werden könne; und da dies in der Wirklichkeit doch unleugbar der Fall ist, so drängt sich unwillkürlich die Frage auf: wie hat der Arbeiter aus dem Beherrscher des Kapitals – als Schöpfer desselben – zum Sklaven des Kapitals werden kön-398

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nen? (Von Thünen, "Der isolirte Staat", Zweiter Theil, Zweite Abtheilung, Rostock 1863, p. 5, 6.) Es ist das Verdienst Thünens, gefragt zu heben. Seine Antwort ist einfach kindisch.

(77b) (Zur 4. Aufl. – Die neuesten englischen und amerikanischen "Trusts" streben dies Ziel bereits an, indem sie versuchen, wenigstens sämtliche Großbetriebe eines Geschäftszweigs zu einer großen Aktiengesellschaft mit praktischem Monopol zu vereinigen. – F. E.}

(77c) Note zur 3. Auflage. – In Marx' Handexemplar steht hier die Randbemerkung: "Hier für Späteres zu bemerken: Ist die Erweiterung nur quantitativ, so verhalten sich bei größerem und kleinerem Kapital in demselben Geschäftszweig die Profite wie die Größen der vorgeschossenen Kapitale. Wirkt die quantitative Erweiterung qualitativ, so steigt zugleich die Rate des Profits für das größre Kapital. – F. E.}

(78) Der Zensus für England und Wales zeigt u.a.:

Alle in der Agrikultur beschäftigten Personen (Eigentümer, Pächter, Gärtner, Hirten usw. eingeschlossen) –

1851: 2.011.447, 1861: 1.924.110, Abnahme – 87.337. Worsted Manufaktur <Kammgarnweberei> – 1851: 102.714 Personen, 1861: 79.242; Seidenfabrik – 1851 111.940, 1861:101.678; Kattundrucker – 1851: 12.098, 1861:12.556, welche geringe Zunahme trotz des enorm ausgedehnten Geschäfts große proportionelle Abnahme in der Zahl der beschäftigten Arbeiter bedingt. Hutmacher – 1851: 15.957, 1861: 13.814; Strohhut-und Bonnetmacher – 1851: 20.393, 1861: 18.176; Malzer – 1851: 10.566, 1861: 10.677; Lichtgießer – 1851: 4.949, 1861: 4.686. Diese Abnahme ist u.a. der Zunahme der Gasbeleuchtung geschuldet. Kammacher –

1851: 2.038, 1861: 1.478; Holzsäger – 1851: 30.552, 1861: 31.647, geringe Zunahme infolge des Aufschwungs von Sägemaschinen; Nagelmacher – 1851: 26.940, 1861: 26.130, Abnahme infolge der Maschinenkonkurrenz; Arbeiter in Zinn- und Kupferbergwerken – 1851: 31.360, 1861: 32.041. Dagegen: Baumwollspinnereien und Webereien – 1851: 371.777, 1861: 456.646; Kohlenbergwerke – 1851: 183.389, 1861: 246.613. "Die Zunahme von Arbeitern ist im allgemeinen am größten seit 1851 in solchen Zweigen, worin die Maschinerie bisher noch nicht mit Erfolg angewandt worden. ("Census of England and Wales for 1861", vol. III, Lond. 1863, p.

35-39.)

(79) Das Gesetz der progressiven Abnahme der relativer Größe des variablen Kapitals, nebst seinen Wirkungen auf die Lage der Lohnarbeiterklasse, ist von einigen ausgezeichneten Ökonomen der klassischen Schule mehr geahnt als begriffen worden. Das größte Verdienst hierin gebührt John Barton, obwohl er, wie alle anderen, das konstante Kapital mit dem fixen, das variable mit dem zirkulierenden zusammenwirft. Er sagt:

"Die Nachfrage nach Arbeit hängt von der Vermehrung des zirkulierenden und nicht des fixen Kapitals ab.

Wenn es stimmte, daß das Verhältnis zwischen diesen beiden Arten des Kapitals zu allen Zeiten und unter allen Umständen dasselbe ist, dann folgt allerdings daraus, daß die Anzahl der beschäftigten Arbeiter sich nach dem Reichtum des Staates richtet. Aber eine solche Behauptung hat nicht den Anschein von Wahrscheinlichkeit. In dem Maße, wie die Naturwissenschaften gepflegt werden und die Zivilisation sich ausbreitet, wächst das fixe Kapital im Verhältnis zum zirkulierenden immer mehr und mehr an. Die Summe des bei der Produktion eines Stückes britischen Musselins verwendeten fixen Kapitals ist wenigstens hundertmal, wahrscheinlich aber tausendmal größer als jene, die zur Erzeugung eines ähnlichen Stückes indischen Musselins verwendet wird. Und der Anteil des zirkulierenden Kapitals ist hundert- oder tausendmal kleiner ... Wenn die Gesamtheit der jährlichen Ersparnisse dem fixen Kapital zugeschlagen würde, so würden sie sich nicht in einer erhöhten Nachfrage nach Arbeit auswirken." (John Barton, "Observations on the circumstances which influence the Condition of the labouring Classes of Societv", Lond. 1817, p. 16, 17.) "Die gleiche Ursache, die die Nettorevenue des Landes anwachsen läßt, kann gleichzeitig einen Überfluß an Bevölkerung erzeugen und die Lage des Arbeiters verschlechtern." (Ricardo, l.c.p. 469.) Mit der Zunahme des Kapitals "wird die Nachfrage" (nach Arbeit) "verhältnismäßig abnehmen". (l.c.p. 480, Note.) "Der Betrag des Kapitals, der zur Erhaltung von Arbeit bestimmt ist, kann sich ändern, unabhängig von irgendwelchen Veränderungen im Gesamtbetrag des Kapitals ... Große Schwankungen im Ausmaß der Beschäftigung und große Not können häufiger werden in dem Maße, wie das Kapital selbst reichlicher wird." (Richard Jones, "An Introductory Lecture on Pol. Econ.", Lond. 1833, p. 12.) "Nachfrage" (nach Arbeit) "wird steigen ... nicht im Verhältnis zur Akkumulation des Gesamtkapitals ... Jede Vermehrung des zur Reproduktion bestimmten nationalen Kapitals wird deshalb im Laufe des gesellschaftlichen Fortschritts einen stets geringeren Einfluß auf die Lage des Arbeiters haben." (Ramsay. l.c.p. 90, 91.)

(80) H. Merivale, "Lectures on Colonization and Colonies", Lond. 1841 and 1842, v. I, p. 146.

399

DAS KAPITAL

(81) "Prudential habits with regard to marriage, carried to a considerable extent among the labouring class of a country mainly depending upon manufactures and commerce, might injure it ... From the nature of a population, an increase of labourers cannot be brought into market, in consequence of a particular demand, till after the lapse of 16 or 18 years, and the conversion of revenue into capital, by saving, may take place much more rapidly; a country is always liable to an increase in the quantity of the funds for the maintenance of labour faster than the increase of population. (Malthus, "Princ. of Pol. Econ,", p. 215, 319,320.) In diesem Werk entdeckt Malthus endlich, vermittelst Sismondis, die schöne Dreieinigkeit der kapitalistischen Produktion: Überproduktion – Überpopulation – Überkonsumtion, three very delicate monsters, indeed! <drei sehr delikate Ungeheuer, in der Tat!> Vgl. F. Engels, "Umrisse zu einer Kritik der Nationalökonomie", l.c.p. 107

sqq. <Siehe Band 1, S. 518 bis 521>

(82) Harriet Martineau, "The Manchester Strike", 1832, p. 101.

(83) Selbst während der Baumwollnot von 1863 findet man in einem Pamphlet der Baumwollspinner von Blackburn heftige Denunziation gegen die Überarbeit, die kraft des Fabrikgesetzes natürlich nur erwachsne männliche Arbeiter traf. "Man verlangte in dieser Fabrik von den erwachsenen Arbeitern eine zwölf- bis drei-zehnstündige Arbeit täglich, obwohl es Hunderte gibt, die zum Müßiggang gezwungen sind, aber gern einen Teil der Arbeitszeit arbeiten möchten, um ihre Familien erhalten zu können und ihre Arbeitsbrüder vor einem vorzeitigen Tode infolge Überarbeit zu bewahren." "Wir", heißt es weiter, "möchten fragen, ob diese Praxis, Überzeit zu arbeiten, irgendwie erträgliche Verhältnisse zwischen Meistern und 'Dienern' möglich macht? Die Opfer der Überarbeit fühlen die Unbill ebensosehr als die dadurch zu erzwungnem Müßiggang Verdammten (condemned to forced idleness). In diesem Distrikt reicht das zu verrichtende Werk hin, um alle teilweise zu beschäftigen, würde die Arbeit billig verteilt. Wir verlangen nur ein Recht, indem wir die Meister auffordern, allgemein nur kurze Zeit zu arbeiten, wenigstens solange der jetzige Stand der Dinge währt, statt einen Teil zu überarbeiten, während der andre durch Arbeitsmangel gezwungen wird, von der Wohltätigkeit seine Existenz zu fristen." ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1863", p. 8.) – Die Wirkung einer relativen Übervölkerung auf die beschäftigten Arbeiter begreift der Verfasser des "Essay on Trade and Commerce" mit seinem gewohnten unfehlbaren Bourgeoisinstinkt. "Eine andre Ursache der Faulenzerei (idleness) in diesem Königreich ist der Mangel einer hinreichenden Anzahl arbeitender Hände. Sooft durch irgendeine ungewöhnliche Nachfrage für Fabrikate die Arbeitsmasse ungenügend wird, fühlen die Arbeiter ihre eigne Wichtigkeit und wollen sie ihren Meistern ebenfalls fühlbar machen; es ist erstaunlich; aber so depraviert ist die Gesinnung dieser Kerle, daß in solchen Fällen Gruppen von Arbeitern sich kombiniert haben, um ihre Meister dadurch in Verlegenheit zu setzen, daß sie einen ganzen Tag durch faulenzten." ("Essay etc.", p. 27, 28.) Die Kerle verlangten nämlich Lohnerhöhung.

(84) "Economist", Jan. 21, 1860

(85) Während im letzten Halbjahr von 1866 80.000 – 90.000 Arbeiter in London außer Arbeit geworfen wurden, heißt es im Fabrikbericht über dasselbe Halbjahr: "Es scheint nicht absolut richtig zu sein, wenn man sagt, daß Nachfrage stets grade in dem Augenblick Zufuhr hervorbringt, da es nötig ist. Auf Arbeit traf das nicht zu, denn viel Maschinerie mußte im letzten Jahre aus Mangel an Arbeitskräften stillstehn." ("Report of Insp. of Fact. for 31st Oct. 1866", p. 81.)

(85a) Eröffnungsrede der sanitären Konferenz, Birmingham, 14. Jan. 1875, von J. Chamberlain, damals Mayor der Stadt, jetzt (1883) Handelsminister.

(86) "781 Städte" sind aufgezählt im Zensus von 1861 für England und Wales "mit 10.960.998 Einwohnern, während die Dörfer und Landkirchspiele nur 9.105.226 zählen ... Im Jahr 1851 figurierten 580 Städte im Zensus, deren Bevölkerung ungefähr gleich der Bevölkerung der sie umgebenden Landdistrikte war. Während aber in den letzteren die Bevölkerung wahrend der folgenden 10 Jahre nur um eine halbe Million wuchs, wuchs sie in den 580 Städten um 1.554.067. Der Bevölkerungszuwachs in den Landkirchspielen ist 6,5%, in den Städten 17,3%. Der Unterschied in der Rate des Wachstums ist der Wanderung vom Land in die Stadt geschuldet. Drei Viertel des Gesamtwachstums der Bevölkerung gehört den Städten. ("Census etc.", VIII, p.

l1, 12.)

400

DAS KAPITAL

(87) "Armut scheint die Fortpflanzung zu begünstigen." (A. Smith.) Dies ist sogar eine besonders weise Einrichtung Gottes nach dem galanten und geistreichen Abbe Galiani: "Gott hat es gefügt, daß die Menschen, die die nützlichsten Berufe ausüben, überreichlich geboren werden." (Galiani, l.c.p. 78.) "Elend, bis zum äu-

ßersten Grad von Hungersnot und Pestilenz, vermehrt eher das Wachstum der Bevölkerung, statt es zu hemmen." (S. Laing, National Distress", 1844, p. 69.) Nachdem Laing dies statistisch illustriert, fahrt er fort: Befände sich alle Welt in bequemen Umständen, so wäre die Welt bald entvölkert." ("If the people were all in easy circumstances, the world would soon be depopulated.")

(88) "Von Tag zu Tag wird es somit klarer, daß die Produktionsverhältnisse, in denen sich die Bourgeoisie bewegt, nicht einen einheitlichen, einfachen Charakter haben, sondern einen zwieschlächtigen; daß in denselben Verhältnissen, in denen der Reichtum produziert wird, auch das Elend produziert wird; daß in denselben Verhältnissen, in denen die Entwicklung der Produktivkräfte vor sich geht, sich eine Repressionskraft entwik-kelt; daß diese Verhältnisse den bürgerlichen Reichtum, d.h. den Reichtum der Bourgeoisklasse, nur erzeugen unter fortgesetzter Vernichtung des Reichtums einzelner Glieder dieser Klasse und unter Schaffug eines stets wachsenden Proletariats." (Karl Marx, "Misère de la Philosophie", p. 116. <Siehe Band 4, S. 141>) (89) G. Ortes, "Della Economia Nazionale libri sei 1774", bei Custodi, Parte Moderna, t. XXI, p. 6, 9, 22, 25

etc. Ortes Sagt l.c.p. 32: "Statt unnütze Systeme für das Glück der Völker aufzustellen, will ich mich darauf beschränken, die Gründe ihres Unglücks zu untersuchen."

(90) "A Dissertation on the Poor Laws. By a Wellwisher of Mankind (The Rev. Mr. J. Townsend), 1786", republished Lond. 1817, p. 15, 39, 41. Dieser "delikate" Pfaffe, dessen eben angeführte Schrift, nebst seiner Reise durch Spanien, Malthus oft seitenlang abschreibt, entlehnte den größten Teil seiner Doktrin aus Sir J.

Steuart, den er jedoch verdreht. Z.B. wenn Steuert sagt: "Hier, in der Sklaverei, existierte eine gewaltsame Methode, die Menschheit arbeitsam" (für die Nichtarbeiter) "zu machen ... Die Menschen wurden damals zur Arbeit" (d.h. zur Gratisarbeit für andere) "gezwungen, weil sie Sklaven von andren waren; die Menschen sind jetzt zur Arbeit" (d.h. zur Gratisarbeit für Nichtarbeiter) "gezwungen, weil sie die Sklaven ihrer eignen Be-dürfnisse sind", so schließt er deswegen nicht, wie der fette Pfründner, daß – die Lohnarbeiter stets am Hun-gertuch nagen sollen. Er will umgekehrt ihre Bedürfnisse vermehren und die wachsende Zahl ihrer Bedürfnisse zugleich zum Sporn ihrer Arbeit für "die Delikateren" machen.

(91) Storch, l.c., t. III, p. 223.

(92) Sismondi, l.c., t. I, p. 79, 80, 85.

(93) Destutt de Tracy, l.c.p. 231. "Les nations pauvres, c'est là où le peuple est à son aise; et les nations riches, c'est là où il est ordinairement pauvre."

401

DAS KAPITAL

5. Illustration des allgemeinen Gesetzes der kapitalistischen Akkumulation

a) England von 1846-1866

<677> Keine Periode der modernen Gesellschaft ist so günstig für das Studium der kapitalistischen Akkumulation als die Periode der letztverflossenen 20 Jahre. Es ist, als ob sie den Fortunatussäckel gefunden hätte.

Von allen Ländern aber bietet England wieder das klassische Beispiel, weil es den <678> ersten Rang auf dem Weltmarkt behauptet, die kapitalistische Produktionsweise hier allein völlig entwickelt ist, und endlich die Einführung des Tausendjährigen Reichs des Freihandeis seit 1846 der Vulgärökonomie den letzten Schlupfwinkel abgeschnitten hat. Der titanische Fortschritt der Produktion, so daß die letzte Hälfte der zwanzigjährigen Periode die erste wieder weit überflügelt, ward bereits im vierten Abschnitt hinreichend angedeutet.

Obgleich das absolute Wachstum der englischen Bevölkerung im letzten halben Jahrhundert sehr groß war, fiel das verhältnismäßige Wachstum oder die Rate des Zuwachses fortwährend, wie folgende dem offiziellen Zensus entlehnte Tabelle zeigt:

Jährlicher prozentmäßiger Zuwachs der Bevölkerung von England und Wales in Dezimalzahlen 1811-1821

1,533%

1821-1831

1,446%

1831-1841

1,326%

1841-1851

1,216%

1851-1861

1,141%

Betrachten wir nun andrerseits das Wachstum des Reichtums. Den sichersten Anhaltspunkt bietet hier die Bewegung der der Einkommensteuer unterworfenen Profite, Grundrenten usw. Der Zuwachs der steuerpflichtigen Profite (Pächter und einige andre Rubriken nicht eingeschlossen) betrug für Großbritannien von 1853 bis 1864 50,47% (oder 4,58% im jährlichen Durchschnitt), der der Bevölkerung während derselben Periode ungefähr 12%. Die Zunahme der besteuerbaren Renten von Land (Häuser, Eisenbahnen, Minen, Fischereien usw. eingeschlossen) betrug von 1853 bis 1864 38% oder 35/12 % jährlich, woran folgende Rubriken den stärksten Anteil nahmen:

Überschuß des jährlichen

Einkommens von 1864

über 1853

Zuname per Jahr

Von Häusern:

38,60%

3,50%

Steinbrüchen:

84,76%

7,70%

Minen:

68,85%

6,26%

Eisenhütten:

39,92%

3,63%

Fischereien:

57,37%

5,21 %

Gaswerken:

126,02%

11,45%

Eisenbahnen:

83,29%

7,57%

<679> Vergleicht man je vier Jahre der Periode von 1853 – 1864, so wächst der Zunahmegrad der Einkommen fortwährend. Er ist z. B. für die aus Profit stammenden von 1853-1857 jährlich 1,73%, 1857-1861 jährlich 2,74%, und 9,30% jährlich für 1861-1864. Die Gesamtsumme der der Einkommensteuer unterworfenen Einkommen des Vereinigten Königreichs betrug 1856: 307.068.898 Pfd.St., 1859: 328.127.416 Pfd.St., 1862: 351.745.241 Pfd.St., 1863: 359.142.897 Pfd.St., 1864: 362.462.279 Pfd.St., 1865: 385.530.020 Pfd. St.

Die Akkumulation des Kapitals war zugleich von seiner Konzentration und Zentralisation begleitet. Obgleich keine offizielle Agrikulturstatistik für England (wohl aber für Irland) existierte, ward sie von 10 Grafschaften freiwillig geliefert. Sie ergab hier das Resultat, daß von 1851 bis 1861 die Pachten unter 100 Acres von 31.583

auf 26.567 vermindert, also 5.016 mit größeren Pachten zusammengeschlagen waren. Von 1815 bis 1825 fiel kein Mobiliarvermögen über 1 Million Pfd.St. unter die Erbschaftssteuer, von 1825 bis 1855 dagegen 8, von 1855 bis Juni 1859, d.h. in 41/2 Jahren, 4. Die Zentralisation wird man jedoch am besten ersehn aus einer kurzen Analyse der Einkommensteuer für Rubrik D (Profite mit Ausschluß von Pächtern usw.) in den Jahren 402

DAS KAPITAL

1864 und 1865. Ich bemerke vorher, daß Einkommen aus dieser Quelle bis zu 60 Pfd. St. hinab Income Tax zahlen. Diese steuerpflichtigen Einkommen betrugen in England, Wales und Schottland 1864: 95.844.222

Pfd.St. und 1865:105.435.787 Pfd.St. , die Zahl der Besteuerten 1864: 308.416 Personen auf eine Gesamtbevölkerung von 23.891.009, 1865: 332.431 Personen auf Gesamtbevölkerung von 24.127.003 Über die Verteilung dieser Einkommen in beiden Jahren folgende Tabelle:

<680>

Jahr, endend April 1864

Jahr, endend April 1865

Einkommen

Perso-

Einkom-

Perso-

von Profit

nen

men von

nen

Profit

Gesamtein-

Pfd.

95.844.22 308.416 Pfd.St. 105.435.787 332.431

kommen:

St.

davon:

Pfd.

57.028.290

22.334 Pfd.St. 64.554.297

24.075

St.

davon:

Pfd.

36.415.225

3.619 Pfd.St. 42.535.576

4.021

St.

davon:

Pfd.

22.809.781

822 Pfd.St. 27.555.313

973

St.

davon:

Pfd.

8.744.762

91 Pfd.St. 11.077.238

107

St.

Es wurden im Vereinigten Königreich 1855 produziert 61.453.079 Tonnen Kohlen zum Wert von 16.113.267

Pfd.St., 1864: 92.787.873 Tonnen zum Wert von 23.197.968 Pfd.St., 1855: 3.218.154 Tonnen Roheisen zum Wert von 8.045.385 Pfd.St., 1864: 4.767.951 Tonnen zum Wert von 11.919.877 Pfd.St. 1854 betrug die Länge der im Vereinigten Königreich im Betrieb befindlichen Eisenbahnen 8.054 Meilen, mit eingezahltem Kapital von 286.068.794 Pfd.St., 1864 die Meilenlänge 12.789 mit aufgezahltem Kapital von 425.719.613 Pfd.St. 1854

betrug Gesamtexport und Import des Vereinigten Königreichs 268.210.145 Pfd. St., 1865: 489.923.285. Folgende Tabelle zeigt die Bewegung des Exports:

1847

58.842.377 Pfd.St.

1849

63.596.052 Pfd.St.

1856

115.826.948 Pfd.St.

1860

135.842.817 Pfd.St.

1865

165.862.402 Pfd.St.

1866

188.917.563 Pfd.St.

Man begreift nach diesen wenigen Angaben den Triumphschrei des Generalregistrators des brit. Volks:

"Rasch wie die Bevölkerung anwuchs, hat sie nicht Schritt gehalten mit dem Fortschritt der Industrie und des Reichtums."

Wenden wir uns jetzt zu den unmittelbaren Agenten dieser Industrie oder den Produzenten dieses Reichtums, zur Arbeiterklasse.

"Es ist einer der melancholischsten Charakterzuge im sozialen Zustand des Landes", sagt Gladstone, "daß mit einer Abnahme in der Konsumtionsmacht des Volks und einer Zunahme in den Entbehrungen und dem Elend der arbeitenden Klasse <681> gleichzeitig eine beständige Akkumulation von Reichtum in den höhern Klassen und ein beständiger Anwachs von Kapital stattfinden."

So sprach dieser salbungsvolle Minister im Hause der Gemeinen am 13. Februar 1843. Am 16. April 1863, zwanzig Jahre später, in der Rede, worin er sein Budget vorlegt:

403

DAS KAPITAL

"Von 1842 bis 1852 wuchs das besteuerbare Einkommen dieses Landes um 6% ... In den 8 Jahren von 1853

bis 1861 wuchs es, wenn wir von der Basis von 1853 ausgehn, um 20%. Die Tatsache ist so erstaunlich, daß sie beinahe unglaublich ist ... Diese berauschende Vermehrung von Reichtum und Macht ... ist ganz und gar auf die besitzenden Klassen beschränkt, aber ... aber, sie muß von indirektem Vorteil für die Arbeiterbevölkerung sein, weil sie die Artikel der allgemeinen Konsumtion verwohlfeilert – während die Reichen reicher, sind die Armen jedenfalls weniger arm geworden. Daß die Extreme der Armut sich vermindert <4. Auflage: ver-

ändert> haben, wage ich nicht zu sagen."

Welch lahmer Antiklimax! Wenn die Arbeiterklasse "arm" geblieben ist, nur "weniger arm" im Verhältnis, worin sie eine "berauschende Vermehrung von Reichtum und Macht" für die Klasse des Eigentums produzierte, so ist sie relativ gleich arm geblieben. Wenn die Extreme der Armut sich nicht vermindert haben, haben sie sich vermehrt, weil die Extreme des Reichtums. Was die Verwohlfeilerung der Lebensmittel betrifft, so zeigt die offizielle Statistik, z.B. die Angaben des London Orphan Asylum <Londoner Waisenhaus>, eine Verteurung von 20% für den Durchschnitt der drei Jahre von 1860 bis 1862, verglichen mit 1851-1853. In den folgenden 3 Jahren 1863-1865 <682> progressive Verteuerung von Fleisch,. Butter, Milch, Zucker, Salz, Kohlen und einer Masse andrer notwendiger Lebensmittel.) Gladstones folgende Budgetrede, vom 7. April 1864, ist ein pindarischer Dithyrambus auf den Fortschritt der Plusmacherei und das durch "Armut" gemä-

ßigte Glück des Volks. Er spricht von Massen "am Rand des Pauperismus", von den Geschäftszweigen,

"worin der Lohn nicht gestiegen", und faßt schließlich das Glück der Arbeiterklasse zusammen in den Worten:

"Das menschliche Leben ist in neun Fallen von zehn ein bloßer Kampf um die Existenz."

Professor Fawcett, nicht wie Gladstone durch offizielle Rücksicht gebunden, erklärt rundheraus:

"Ich leugne natürlich nicht, daß der Geldlohn mit dieser Vermehrung des Kapitals" (in den letzten Dezennien) "gestiegen ist, aber dieser scheinbare Vorteil geht in großem Umfang wieder verloren, weil viele Lebensbedürfnisse beständig teurer werden" (er glaubt, wegen Wertfall der edlen Metalle) " ... Die Reichen werden rasch reicher (the rich grow rapidly richer), während keine Zunahme im Komfort der arbeitenden Klassen wahrnehmbar ist ... Die Arbeiter werden fast Sklaven der Krämer, deren Schuldner sie sind."

<683> In den Abschnitten über den Arbeitstag und die Maschinerie enthüllten sich die Umstände, unter welchen die britische Arbeiterklasse eine "berauschende Vermehrung von Reichtum und Macht" für die besitzenden Klassen schuf. Jedoch beschäftigte uns damals vorzugsweise der Arbeiter während seiner gesellschaftlichen Funktion. Zur vollen Beleuchtung der Gesetze der Akkumulation ist auch seine Lage außerhalb der Werkstatt ins Auge zu fassen, sein Nahrungs- und Wohnungszustand. Die Grenze dieses Buchs gebietet uns, hier vor allem den schlechtest bezahlten Teil des industriellen Proletariats und der Ackerbauarbeiter zu berücksichtigen, d.h. die Majorität der Arbeiterklasse.

Vorher noch ein Wort über den offiziellen Pauperismus oder den Teil der Arbeiterklasse, der seine Existenzbedingung, Verkauf der Arbeitskraft, eingebüßt hat und von öffentlichen Almosen vegetiert. Die offizielle Pauperliste zählte in England 1855: 851.369 Personen, 1856: 877.767, 1865: 971.433. Infolge der Baumwollnot schwoll sie in den Jahren 1863 und 1864 zu 1.079.382 und 1.014.978. Die Krise von 1866, die London am schwersten traf, schuf in diesem Sitz des Weltmarkts, einwohnerreicher als das Königreich Schottland, für 1866 einen Pauperzuwachs von 19,5%, verglichen mit 1865, und von 24,4%, verglichen mit 1864, einen noch größren Zuwachs für die ersten Monate von 1867, verglichen mit 1866. Bei Analyse der Pauperstatistik sind zwei Punkte hervorzuheben. Einerseits spiegelt die Bewegung im Ab und Zu der Paupermasse die periodischen Wechselfälle des industriellen Zyklus wider. Andrerseits trügt die offizielle Statistik mehr und mehr über den wirklichen Umfang des Pauperismus im Grad, worin mit der Akkumulation des Kapitals der Klassenkampf und daher das Selbstgefühl der Arbeiter sich entwickeln. Z.B. die Barbarei in der Behandlung der Paupers, worüber die englische Presse ("Times", "Pall Mall Gazette" etc.) während der letzten zwei Jahre so laut schrie, ist alten Datums. F. Engels konstatiert 1844 ganz dieselben Greuel und ganz dasselbe vorübergehende, scheinheilige zur "Sensationsliteratur" gehörige Gezeter. Aber die furchtbare Zunahme des Hungertods ("deaths by starvation") in London, während des letzten Dezenniums, beweist unbedingt den zunehmenden Abscheu der Arbeiter vor der Sklaverei des Workhouse , dieser Strafanstalt des Elends.

404

DAS KAPITAL

b) Die schlechtbezahlten Schichten der britischen industriellen

Arbeiterklasse

<684> Wenden wir uns jetzt zu den schlechtbezahlten Schichten der industriellen Arbeiterklasse. Während der Baumwollnot, 1862, wurde Dr. Smith vom Privy Council mit einer Untersuchung über den Nahrungsstand der verkümmerten Baumwollarbeiter in Lancashire und Cheshire beauftragt. Langjährige frühere Beobachtung hatte ihn zum Resultat geführt, daß, "um Hungerkrankheiten (starvation diseases) zu vermeiden", die tägliche Nahrung eines Durchschnitts-Frauenzimmers mindestens 3.900 Gran Kohlenstoff mit 180 Gran Stickstoff enthalten müsse, die tägliche Nahrung eines Durchschnitts-Mannes mindestens 4.300 Gran Kohlenstoff mit 200 Gran Stickstoff, für die Frauenzimmer ungefähr soviel Nahrungsstoff als in zwei Pfund gutem Weizenbrot enthalten ist, für Männer 1/9 mehr, für den Wochendurchschnitt von weiblichen und männlichen Erwachsnen mindestens 28.600 Gran Kohlenstoff und 1.330 Gran Stickstoff. Seine Berechnung ward praktisch in überraschender Weise bestätigt durch ihre Übereinstimmung mit der kümmerlichen Nahrungs-menge, worauf der Notstand die Konsumtion der Baumwollarbeiter herabgedrückt hatte. Sie erhielten im Dezember 1862: 29.211 Gran Kohlenstoff und 1.295 Gran Stickstoff wöchentlich.

Im Jahre 1863 verordnete der Privy Council eine Untersuchung über den Notstand des schlechtestgenährten Teils der englischen Arbeiterklasse. Dr. Simon, der ärztliche Beamte des Privy Council, erkor zu dieser Arbeit den obenerwähnten Dr. Smith. Seine Untersuchung erstreckt sich auf die Agrikulturarbeiter einerseits, andrerseits auf Seidenweber, Nähterinnen, Lederhandschuhmacher, Strumpfwirker, Handschuhweber und Schuster. Die letzteren Kategorien sind, mit Ausnahme der Strumpfwirker, ausschließlich städtisch. Es wurde zur Regel der Untersuchung gemacht, die gesundesten und relativ bestgestellten Familien in jeder Kategorie auszuwählen.

Als allgemeines Resultat ergab sich, daß

"nur in einer der untersuchten Klassen der städtischen Arbeiter die Zufuhr von Stickstoff das absolute Minimalmaß, unter welchem Hungerkrankheiten eintreten, ein wenig überschritt, daß in zwei Klassen Mangel, und zwar in der einen sehr großer Mangel, an der Zufuhr von sowohl stickstoff- wie kohlenstoffhaltiger Nahrung stattfand, daß <685> von den untersuchten Ackerbaufamilien mehr als ein Fünfteil weniger als die unentbehrliche Zufuhr von kohlenstoffhaltiger Nahrung erhielt, mehr als 1/3 weniger als die unentbehrliche Zufuhr stickstoffhaltiger Nahrung und daß in drei Grafschaften (Berkshire, Oxfordshire und Somersetshire) Mangel an dem Minimum der stickstoffhaltigen Nahrung durchschnittlich herrschte."

Unter den Agrikulturarbeitern waren die von England, dem reichsten Teile des Vereinigten Königreichs, die schlechtestgenährten. Die Unternahrung fiel unter den Landarbeitern überhaupt hauptsächlich auf Frau und Kinder, denn "der Mann muß essen, um sein Werk zu verrichten". Noch größerer Mangel wütete unter den untersuchten städtischen Arbeiterkategorien. "Sie sind so schlecht genährt, daß viele Fälle grausamer und gesundheitsruinierender Entbehrung" ("Entsagung" des Kapitalisten alles dies! nämlich Entsagung auf Zahlung der zur bloßen Vegetation seiner Hände unentbehrlichen Lebensmittel!) "vorkommen müssen."

Folgende Tabelle zeigt das Verhältnis des Nahrungsstandes der oben erwähnten rein städtischen Arbeiterkategorien zu dem von Dr. Smith angenommenen Minimalmaß und zum Nahrungsmaß der Baumwollarbeiter während der Zeit ihrer größten Not:

Beide Geschlechter

Wochendurch-

Wochendurch-

schnitt an Koh-

schnitt an Stick-

lenstoff

stoff

Gran

Gran

Fünf städtische Geschäftszweige

28.876

1.192

Arbeitslose Lancashire Fabrikarbeiter

29.211

1.295

Minimalquantum, vorgeschlagen für

28.600

1.330

die Lancashire Arbeiter auf gleiche

Zahl männlicher und weiblicher

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DAS KAPITAL

Eine Hälfte, 60/125 der untersuchten industriellen Arbeiterkategorien erhielt absolut kein Bier, 28% keine Milch. Der Wochendurchschnitt der flüssigen Nahrungsmittel in den Familien schwankte von 7 Unzen bei den Nähterinnen auf 243/4 Unzen bei Strumpfwirkern. Die Mehrzahl derer, die keine Milch erhielten, bestand aus den Nähterinnen von London. Die Quantität der wöchentlich konsumierten Brotstoffe wechselte von 73/4 Pfund bei den Nähterinnen zu 111/4 Pfund bei den Schustern und ergab einen Totaldurchschnitt von 9,9 Pfund wöchentlich auf den Erwachsnen. Zucker (Sirup etc.) wechselte von 4 Unzen wöchentlich für die Lederhandschuh- <686> macher auf 11 Unzen für Strumpfwirker; der Totaldurchschnitt per Woche für alle Kategorien, per Erwachsnen, 8 Unzen. Gesamter Wochendurchschnitt von Butter (Fett usw.) 5 Unzen per Erwachsnen. Der Wochendurchschnitt von Fleisch (Speck usw.) schwankte, per Erwachsnen, von 71/4

Unzen bei den Seidenwebern auf 181/4 Unzen bei den Lederhandschuhmachern; Gesamtdurchschnitt für die verschiednen Kategorien 13,6 Unzen. Die wöchentliche Kost für Nahrung per Erwachsnen ergab folgende allgemeine Durchschnittszahlen: Seidenweber 2 sh. 21/2 d., Nähterinnen 2 sh. 7 d., Lederhandschuhmacher 2

sh. 91/2 d., Schuster 2 sh. 73/4 d., Strumpfwirker 2 sh. 61/4 d. Für die Seidenweber von Macclesfield betrug der Wochendurchschnitt nur 1 sh. 81/2 d. Die schlechtestgenährten Kategorien waren die Nähterinnen, die Seidenweber und die Lederhandschuhmacher.

Dr. Simon sagt in seinem allgemeinen Gesundheitsbericht über diesen Nahrungszustand:

"Daß die Fälle zahllos sind, worin Nahrungsmangel Krankheiten erzeugt oder verschärft, wird jeder bestätigen, der mit medizinischer Armenpraxis oder mit den Patienten der Spitäler, seien sie Insassen oder außerhalb wohnend, vertraut ist ... Jedoch kommt hier vom sanitären Standpunkt noch ein andrer, sehr entscheidender Umstand hinzu ... Man muß sich erinnern, daß Beraubung an Nahrungsmitteln nur sehr widerstrebend ertragen wird und daß in der Regel große Dürftigkeit der Diät nur im Gefolge andrer, vorhergegangner Entbehrungen nachhinkt. Lange bevor der Nahrungsmangel hygienisch ins Gewicht fällt, lange bevor der Physiolog daran denkt, die Grane Stickstoff und Kohlenstoff zu zählen, zwischen denen Leben und Hungertod schwebt, wird der Haushalt von allem materiellen Komfort ganz und gar entblößt sein. Kleidung und Heizung werden noch dürftiger gewesen sein als die Speise. Kein hinreichender Schutz wider die Härte des Wetters; Abknappung des Wohnraums zu einem Grad, der Krankheiten erzeugt oder verschärft; kaum eine Spur von Hausgerät oder Möbeln, die Reinlichkeit selbst wird kostspielig oder schwierig geworden sein. Werden noch aus Selbstachtung Versuche gemacht, sie aufrechtzuerhalten, so repräsentiert jeder solcher Versuch zuschüssige Hungerpein. Die Häuslichkeit wird dort sein, wo Obdach am wohlfeilsten kaufbar; in Quartieren, wo die Gesundheitspolizei die geringste Frucht trägt, das jämmerlichste Gerinne, wenigster Verkehr, der meiste öffentliche Unrat, kümmerlichste oder schlechteste Wasserzufuhr und, in Städten, größter Mangel an Licht und Luft. Dies sind die Gesundheitsgefahren, denen die Armut unvermeidlich ausgesetzt ist, wenn diese Armut Nahrungsmangel einschließt. Wenn die Summe dieser Übel von furchtbarer Größe für das Leben ist, so ist der bloße Nahrungsmangel an sich selbst entsetzlich ... Dies sind qualvolle Gedanken, namentlich wenn man sich erinnert, daß die Armut, wovon es sich handelt, nicht die selbstverschuldete Armut des Müßig- <687> gangs ist. Es ist die Armut von Arbeitern. Ja, mit Bezug auf die städtischen Arbeiter ist die Arbeit, wodurch der knappe Bissen Nahrung erkauft wird, meist über alles Maß verlängert. Und dennoch kann man nur in sehr bedingtem Sinn sagen, daß diese Arbeit selbsterhaltend ist ... Auf sehr großem Maßstab kann der nominelle Selbsterhalt nur ein kürzerer oder längerer Umweg zum Pauperismus sein."

Der innere Zusammenhang zwischen Hungerpein der fleißigsten Arbeiterschichten und auf kapitalistischer Akkumulation begründetem, grobem oder raffiniertem Verschwendungskonsum der Reichen enthüllt sich nur mit Kenntnis der ökonomischen Gesetze. Anders mit dem Wohnungszustand. Jeder unbefangne Beobachter sieht, daß je massenhafter die Zentralisation der Produktionsmittel, desto größer die entsprechende Anhäufung von Arbeitern auf demselben Raum, daß daher, je rascher die kapitalistische Akkumulation, desto elender der Wohnungszustand der Arbeiter. Die den Fortschritt des Reichtums begleitende "Verbesserung"

(improvements) der Städte durch Niederreißen schlecht gebauter Viertel, Errichtung von Palästen für Banken, Warenhäuser usw., Streckung der Straßen für Geschäftsverkehr und Luxuskarossen, Einführung von Pferdebahnen usw. verjagt augenscheinlich die Armen in stets schlechtere und dichter gefüllte Schlupfwinkel.

Andrerseits weiß jeder, daß die Teuerkeit der Wohnungen im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Güte steht und daß die Minen des Elends von Häuserspekulanten mit mehr Profit und weniger Kosten ausgebeutet werden als jemals die Minen von Potosi. Der antagonistische Charakter der kapitalistischen Akkumulation und daher der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse überhaupt wird hier so handgreifbar, daß selbst die offiziellen 406

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englischen Berichte über diesen Gegenstand wimmeln von heterodoxen Ausfällen auf das "Eigentum und seine Rechte". Das Übel hielt solchen Schritt mit der Entwicklung der Industrie, der Akkumulation des Kapitals, dem Wachstum und der "Verschönerung" der Städte, daß die bloße Furcht vor ansteckenden Krankheiten, welche auch der "Ehrbarkeit" nicht schonen, von 1847 bis 1864 nicht weniger als 10 gesundheitspolizeiliche Parlamentsakte ins Leben rief und die erschreckte Bürgerschaft in einigen Städten, wie Liverpool, Glasgow usw., durch ihre Munizipalität eingriff. Dennoch, ruft Dr. Simon in seinem Bericht von 1865: "Allgemein zu sprechen, sind die Übelstände in England unkontrol- <688> liert." Auf Befehl des Privy Council fand 1864 Untersuchung über die Wohnungsverhältnisse der Landarbeiter, 1865 über die der ärmeren Klassen in den Städten statt. Die meisterhaften Arbeiten des Dr. Julian Hunter findet man im siebenten und achten Bericht über "Public Health". Auf die Landarbeiter komme ich später. Für den städtischen Wohnungszustand schicke ich eine allgemeine Bemerkung des Dr. Simon voraus:

"Obgleich mein offizieller Gesichtspunkt", sagt er, "ausschließlich ärztlich ist, erlaubt die gewöhnlichste Humanität nicht, die andre Seite dieses Übels zu ignorieren. In seinem höheren Grad bedingt es fast notwendig eine solche Verleugnung aller Delikatesse, so schmutzige Konfusion von Körpern und körperlichen Verrichtungen, solche Bloßstellung geschlechtlicher Nacktheit, die bestial, nicht menschlich sind. Diesen Einflüssen unterworfen zu sein ist eine Erniedrigung, die sich vertieft, je länger sie fortwirkt. Für die Kinder, die unter diesem Fluch geboren sind, ist er Taufe in Infamie (baptism into infamy). Und über alles Maß hoffnungslos ist der Wunsch, daß unter solche Umstände gestellte Personen in andren Hinsichten nach jener Atmosphäre der Zivilisation aufstreben sollten, deren Wesen in physischer und moralischer Reinheit besteht."

Den ersten Rang in überfüllten oder auch für menschliche Behausung absolut unmöglichen Wohnlichkeiten nimmt London ein.

"Zwei Punkte", sagt Dr. Hunter, "sind sicher; erstens gibt es ungefähr 20 große Kolonien in London, jede ungefähr 10.000 Personen stark, deren elende Lage alles übersteigt, was jemals anderswo in England gesehen worden ist, und sie ist fast ganz das Resultat ihrer schlechten Hausakkommodation; zweitens, der überfüllte und verfallne Zustand der Häuser dieser Kolonien ist viel schlechter als 20 Jahre zuvor." "Es ist nicht zuviel zu sagen, daß das Leben in vielen Teilen von London und Newcastle höllisch ist."

Auch der bessergestellte Teil der Arbeiterklasse, zusamt Kleinkrämern und andren Elementen der kleinen Mittelklasse, fällt in London mehr und mehr unter den Fluch dieser nichtswürdigen Behausungsverhältnisse, im Maße, wie die "Verbesserungen" und mit ihnen die Niederreißung alter <689> Straßen und Häuser fortschreiten, wie Fabriken und Menschenzustrom in der Metropole wachsen, endlich die Hausmieten mit der städtischen Grundrente steigen.

"Die Hausmieten sind so übermäßig geworden, daß wenige Arbeiter mehr als ein Zimmer zahlen können."

Es gibt fast kein Londoner Hauseigentum, das nicht mit einer Unzahl von "middlemen" <"Maklern"> belastet wäre. Der Preis des Bodens in London steht nämlich stets sehr hoch im Vergleich zu seinen jährlichen Einkünften, indem jeder Käufer darauf spekuliert, ihn früher oder später zu einem Jury Price (durch Geschworene festgesetzte Taxe bei Expropriationen) wieder loszuschlagen oder durch Nähe irgendeines großen Unternehmens außerordentliche Werterhöhung zu erschwindeln. Folge davon ist ein regelmäßiger Handel im Ankauf von Mietkontrakten, die ihrem Verfall nahen.

"Von den Gentlemen in diesem Geschäft kann man erwarten, daß sie handeln, wie sie handeln, soviel wie möglich aus den Hausbewohnern herausschlagen und das Haus selbst in so elendem Zustand wie möglich ihren Nachfolgern überlassen."

Die Mieten sind wöchentlich, und die Herren laufen kein Risiko. Infolge der Eisenbahnbauten innerhalb der Stadt

"sah man kürzlich im Osten Londons eine Anzahl aus ihren alten Wohnungen verjagter Familien umherwan-dern eines Samstags abends mit ihren wenigen weltlichen Habseligkeiten auf dem Rücken, ohne irgendeinen Haltplatz außer dem Workhouse"

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Die Workhouses sind bereits überfüllt, und die vom Parlament bereits bewilligten "Verbesserungen" sind erst im Beginn ihrer Ausführung. Werden die Arbeiter verjagt durch Zerstörung ihrer alten Häuser, so verlassen sie nicht ihr Kirchspiel oder siedeln sich höchstens an seiner Grenze, im nächsten fest.

"Sie suchen natürlich möglichst in der Nähe ihrer Arbeitslokale zu hausen. Folge, daß an der Stelle von zwei Zimmern, eins die Familie aufnehmen muß. Selbst zu erhöhter Miete wird die Wohnlichkeit schlechter als die schlechte, woraus man sie verjagt. Die Hälfte der Arbeiter im Strand braucht bereits zwei Meilen Reise zum Arbeitslokal."

Dieser Strand, dessen Hauptstraße auf den Fremden einen imposanten Eindruck vom Reichtum Londons macht, kann als Beispiel der Londoner <690> Menschenverpackung dienen. In einer Pfarrei desselben zählte der Gesundheitsbeamte 581 Personen auf den Acre, obgleich die Hälfte der Themse mit eingemessen war. Es versteht sich von selbst, daß jede gesundheitspolizeiliche Maßregel, die, wie das bisher in London der Fall, durch Niederschleifen untauglicher Häuser die Arbeiter aus einem Viertel verjagt, nur dazu dient, sie in ein andres desto dichter zusammenzudrängen.

"Entweder", sagt Dr. Hunter, "muß die ganze Prozedur als eine Abgeschmacktheit notwendig zum Stillstand kommen, oder die öffentliche Sympathie (!) muß erwachen für das, was man jetzt ohne Übertreibung eine nationale Pflicht nennen kann, nämlich Obdach für Leute zu verschaffen, welche aus Mangel an Kapital sich selbst keins verschaffen, wohl aber durch periodische Zahlung die Vermieter entschädigen können."

Man bewundre die kapitalistische Justiz! Der Grundeigentümer, Hauseigner, Geschäftsmann, wenn expropriiert durch "improvements" <"Verbesserungen">, wie Eisenbahnen, Neubau der Straßen usw., erhält nicht nur volle Entschädigung. Er muß für seine erzwungne "Entsagung" von Gott und Rechts wegen noch obendrein durch einen erklecklichen Profit getröstet werden. Der Arbeiter wird mit Frau und Kind und Habe aufs Pflaster geworfen und – wenn er zu massenhaft nach Stadtvierteln drängt, wo die Munizipalität auf Anstand hält, gesundheitspolizeilich verfolgt!

Außer London gab es Anfang des 19. Jahrhunderts keine einzige Stadt in England, die 100.000 Einwohner zählte. Nur fünf zählten mehr als 50.000. Jetzt existieren 28 Städte mit mehr als 50.000 Einwohnern.

"Das Resultat dieses Wechsels war nicht nur enormer Zuwachs der städtischen Bevölkerung, sondern die alten dichtgepackten kleinen Städte sind nun Zentra, die von allen Seiten umbaut sind, nirgendwo mit freiem Luftzutritt. Da sie für die Reichen nicht länger angenehm sind, werden sie von ihnen für die amüsanteren Vorstädte verlassen. Die Nachfolger dieser Reichen beziehn die größeren Häuser, eine Familie, oft noch mit Untermietern, für jedes Zimmer. So ward eine Bevölkerung gedrängt in Häuser, nicht für sie bestimmt, und wofür sie durchaus unpassend, mit einer Umgebung, die wahrhaft erniedrigend für die Erwachsnen und ruinierend für die Kinder ist."

Je rascher das Kapital in einer industriellen oder kommerziellen Stadt akkumuliert, um so rascher der Zustrom des exploitablen Menschenmaterials, um so elender die improvisierten Wohnlichkeiten der Arbeiter.

<691> Neweastle-upon-Tyne, als Zentrum eines fortwährend ergiebigeren Kohlen- und Bergbaudistrikts, behauptet daher nach London die zweite Stelle in dem Wohnungsinferno. Nicht minder als 34.000 Menschen hausen dort in Einzelkammern. Infolge absoluter Gemeinschädlichkeit sind kürzlich in Newcastle und Ga-teshead Häuser in bedeutender Anzahl von Polizei wegen zerstört worden. Der Bau der neuen Häuser geht sehr langsam voran, das Geschäft sehr rasch. Die Stadt war daher 1865 überfüllter als je zuvor. Kaum eine einzelne Kammer war zu vermieten. Dr. Embleton vom Newcastle Fieberhospital sagt:

"Ohne allen Zweifel liegt die Ursache der Fortdauer und Verbreitung des Typhus in der Überhäufung menschlicher Wesen und der Unreinlichkeit ihrer Wohnungen. Die Häuser, worin die Arbeiter häufig leben, liegen in abgeschloßnen Winkelgassen und Höfen. Sie sind mit Bezug auf Licht, Luft, Raum und Reinlichkeit wahre Muster von Mangelhaftigkeit und Ungesundheit, eine Schmach für jedes zivilisierte Land. Dort liegen Männer, Weiber und Kinder des Nachts zusammengehudelt. Was die Männer angeht, folgt die Nachtschicht der Tagesschicht in ununterbrochnem Strom, so daß die Betten kaum Zeit zur Abkühlung finden. Die Häuser sind schlecht mit Wasser versehn und schlechter mit Abtritten, unflätig, unventiliert, pestilenzialisch.

Der Wochenpreis solcher Löcher steigt von 8 d. zu 3 sh.

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"Newcastle-upon-Tyne", sagt Dr. Hunter, "bietet das Beispiel eines der schönsten Stämme unsrer Landsleute, der durch die äußern Umstände von Behausung und Straße oft in eine beinah wilde Entartung versunken ist."

Infolge des Hin- und Herwogens von Kapital und Arbeit mag der Wohnungszustand einer industriellen Stadt heute erträglich sein, morgen wird er abscheulich. Oder die städtische Ädilität mag endlich sich aufgerafft haben zur Beseitigung der ärgsten Mißstände. Morgen wandert ein Heuschreckenschwarm von verlumpten Irländern oder verkommenen englischen Agrikulturarbeitern ein. Man steckt sie weg in Keller und Speicher oder verwandelt das früher respektable Arbeiterhaus in ein Logis, worin das Personal so rasch wechselt wie die Einquartierung während des Dreißigjährigen Kriegs. Beispiel: Bradford. Dort war der Munizipalphilister eben mit Stadtreform beschäftigt. Zudem gab es daselbst 1861 noch 1751 unbewohnte Häuser. Aber nun das gute Geschäft, worüber der sanft liberale Herr Forster, der Negerfreund, jüngst so artig gekräht hat. Mit dem guten Geschäft natürlich Überflutung durch die Wellen der stets wogenden <692> "Reservearmee – oder

"relativen Übervölkerung". Die scheußlichen Kellerwohnungen und Kammern, registriert in der Liste (Note

), die Dr. Hunter vom Agenten einer Assekuranzgesellschaft erhielt, waren meist von gutbezahlten Arbeitern bewohnt. Sie erklärten, sie würden gern bessere Wohnungen zahlen, wenn sie zu haben wären. Unterdes ver-lumpen und verkranken sie mit Mann und Maus, während der sanftliberale Forster, M.P., Tränen vergießt über die Segnungen des Freihandels und die Profite der eminenten Bradforder Köpfe, die in Worsted

<Kammgarn> machen. Im Bericht vom 5. September 1865 erklärt Dr. Bell, einer der Armenärzte von Bradford, <693> die furchtbare Sterblichkeit der Fieberkranken seines Bezirks aus ihren Wohnungsverhältnissen:

"In einem Keller von 1.500 Kubikfuß wohnen 10 Personen ... Die Vincentstraße, Green Air Place und the Leys bergen 223 Häuser mit 1.450 Einwohnern, 435 Betten und 36 Abtritten ... Die Betten, und darunter verstehe ich jede Rolle von schmutzigen Lumpen oder Handvoll von Hobelspänen, halten jedes im Durchschnitt 3,3 Personen, manches 4 und 6 Personen. Viele schlafen ohne Bett auf nacktem Boden in ihren Kleidern, junge Männer und Weiber, verheiratet und unverheiratet, alles kunterbunt durcheinander. Ist es nötig hinzuzufügen, daß diese Hausungen meist dunkle, feuchte, schmutzige Stinkhöhlen sind, ganz und gar unpassend für menschliche Wohnung? Es sind die Zentra, wovon Krankheit und Tod ausgehn und ihre Opfer auch unter den Gutgestellten (of good circumstances) packen, welche diesen Pestbeulen erlaubt haben., in unsrer Mitte zu eitern."

Bristol behauptet den dritten Rang nach London im Wohnungselend.

"Hier, in einer der reichsten Städte Europas, größter Überfluß an barster Armut (blank poverty) und häusli-chem Elend."

c) Das Wandervolk

Wir wenden uns nun zu einer Volksschicht, deren Ursprung ländlich, deren Beschäftigung großenteils industriell ist. Sie bildet die leichte Infanterie des Kapitals, die es je nach seinem Bedürfnis bald auf diesen Punkt wirft, bald auf jenen. Wenn nicht auf dem Marsch, "kampiert" sie. Die Wanderarbeit wird verbraucht für verschiedne Bau- und Drainierungsoperationen, Backsteinmachen, Kalkbrennen, Eisenbahnbau usw. Eine wandelnde Säule der Pestilenz, importiert sie in die Orte, in deren Nachbarschaft sie ihr Lager aufschlägt, Pocken, Typhus, Cholera, Scharlachfieber usw. In Unternehmen von bedeutender Kapitalauslage, wie Eisenbahnbau usw., liefert meist der Unternehmer selbst seiner Armee Holzhütten oder dergl., improvisierte Dörfer ohne alle Gesundheitsvorkehrung, jenseits der Kontrolle der Lokalbehörden, sehr profitlich für den Herrn Kontraktor, der die Arbeiter doppelt ausbeutet, als Industriesoldaten und als Mieter. Je nachdem die Holzhütte 1, 2 oder 3 Löcher enthält, hat ihr Insasse, Erdarbeiter usw., 2, 3, 4 sh. wöchentlich zu zahlen. Ein Beispiel <694> genüge. Im September 1864, berichtet Dr. Simon, ging dem Minister des Innern, Sir George Grey, folgende Denunziation seitens des Vorstehers des Nuisance Removal Committee <Gesundheitspolizeilichen Komitees> der Pfarrei von Sevenoaks zu:

"Pocken waren dieser Pfarrei ganz unbekannt bis etwa vor 12 Monaten. Kurz vor dieser Zeit wurden Arbeiten für eine Eisenbahn von Lewisham nach Tunbridge eröffnet. Außerdem, daß die Hauptarbeiten in der unmittelbaren Nachbarschaft dieser Stadt ausgeführt wurden, ward hier auch das Hauptdepot des ganzen 409

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Werks errichtet. Große Personenzahl daher hier beschäftigt. Da es unmöglich war, sie alle in Cottages unterzubringen, ließ der Kontraktor, Herr Jay, längs der Linie der Bahn auf verschiednen Punkten Hütten aufschlagen zur Behausung der Arbeiter. Diese Hütten besaßen weder Ventilation noch Abzugsgerinne und waren außerdem notwendig überfüllt, weil jeder Mieter andre Logierer aufnehmen mußte, wie zahlreich immer seine eigne Familie, und obgleich jede Hütte nur zweizimmrig. Nach dem ärztlichen Bericht, den wir erhielten, war die Folge, daß diese armen Leute zur Nachtzeit alle Qualen der Erstickung zu erdulden hatten, zur Vermeidung der pestilenzialischen Dünste von dem schmutzigen stehenden Wasser und den Abtritten dicht unter den Fenstern. Endlich wurden unsrem Komitee Klagen eingehändigt von einem Arzte, der Gelegenheit hatte, diese Hütten zu besuchen. Er sprach über den Zustand dieser sog. Wohnlichkeiten in den bit-tersten Ausdrücken und befürchtete sehr ernsthafte Folgen, falls nicht einige Gesundheitsvorkehrungen getroffen würden. Ungefähr vor einem Jahr verpflichtete sich p.p. Jay, ein Haus einzurichten, worin die von ihm beschäftigten Personen, beim Ausbruch ansteckender Krankheiten, sofort entfernt werden sollten. Er wiederholte dies Versprechen Ende letzten Julis, tat aber nie den geringsten Schritt zur Ausführung, obgleich seit diesem Datum verschiedne Fälle von Pocken und infolge davon zwei Todesfälle vorkamen. Am 9. September berichtete mir Arzt Kelson weitere Pockenfälle in denselben Hütten und beschrieb ihren Zustand als entsetzlich. Zu Ihrer (des Ministers) – Information muß ich hinzufügen, daß unsere Pfarrei ein isoliertes Haus besitzt, das sog. Pesthaus, wo die Pfarreigenossen, die von ansteckenden Krankheiten leiden, verpflegt werden.

Dies Haus ist jetzt seit Monaten fortwährend mit Patienten überfüllt. In einer Familie starben fünf Kinder an Pocken und Fieber. Vom l. April bis 1. September dieses Jahres kamen nicht weniger als 10 Todesfälle an Pocken vor, 4 in den besagten Hütten, den Pestquellen. Es ist unmöglich, die Zahl der Krankheitsfälle anzugeben, da die heimgesuchten Familien sie so geheim als möglich halten."

<695> Die Arbeiter in Kohlen- und anderen Bergwerken gehören zu den bestbezahlten Kategorien des britischen Proletariats. Zu welchem Preis sie ihren Lohn erkaufen, wurde an einer früheren Stelle gezeigt. Ich werfe hier einen raschen Blick auf ihre Wohnlichkeitsverhältnisse. In der Regel errichtet der Exploiteur des Bergwerks, ob Eigentümer oder Mieter desselben, eine Anzahl Cottages für seine Hände. Sie erhalten Cottages und Kohlen zur Feuerung "umsonst", d.h., letztre bilden einen in natura gelieferten Teil des Lohns. Die nicht in dieser Art Unterbringbaren erhalten zum Ersatz 4 Pfd.St. per Jahr. Die Bergwerksdistrikte ziehn rasch eine große Bevölkerung an, zusammengesetzt aus der Minenbevölkerung selbst und den Handwerkern, Krämern usw., die sich um sie gruppieren. Wie überall, wo die Bevölkerung dicht, ist die Bodenrente hier hoch. Der Bergbauunternehmer sucht daher auf möglichst engem Bauplatz am Mund der Gruben so viel Cottages aufzuwerfen, als grade nötig sind, um seine Hände und ihre Familien zusammenzupacken. Werden neue Gruben in der Nähe eröffnet oder alte wieder in Angriff genommen, so wächst das Gedränge. Bei der Konstruktion der Cottages waltet nur ein Gesichtspunkt, "Entsagung" des Kapitalisten auf alle nicht absolut unvermeidliche Ausgabe von Barem.

"Die Wohnungen der Gruben- und andrer Arbeiter, die mit den Bergwerken von Northumberland und Durham verknüpft sind", sagt Dr. Julian Hunter, "sind vielleicht im Durchschnitt das Schlechteste und Teuerste, was England auf großer Stufenleiter in dieser Art bietet, mit Ausnahme jedoch ähnlicher Distrikte in Mon-mouthshire. Die extreme Schlechtigkeit liegt in der hohen Menschenzahl, die ein Zimmer füllt, in der Enge des Bauplatzes, worauf eine große Häusermasse geworfen wird, im Wassermangel und Abwesenheit von Abtritten, in der häufig angewandten Methode, ein Haus über ein andres zu Stellen oder sie in flats" (so daß die verschiednen Cottages vertikal übereinander liegende Stockwerke bilden) "zu verteilen... Der Unternehmer behandelt die ganze Kolonie, als ob sie nur kampiere, nicht residiere." "In Ausführung meiner Instruktionen", sagt Dr. Stevens, "habe ich die meisten großen Bergwerksdörfer der Durham Union besucht ... Mit sehr wenigen Ausnahmen gilt von allen, daß jedes Mittel zur Sicherung der Gesundheit der Einwohner vernachlässigt wird ... Alle Grubenarbeiter sind an den Pächter <696> (lessee) oder Eigentümer des Bergwerks für 12 Monate gebunden" ("bound", Ausdruck, der wie bondage <Hörigkeit> aus der Zeit der Leibeigenschaft stammt). "Wenn sie ihrer Unzufriedenheit Luft machen oder in irgendeiner Art den Aufseher (viewer) belästigen, so setzt er eine Marke oder ein Memorandum hinter ihre Namen im Aufsichtsbuch und entläßt sie bei der jährlichen Neubindung ... Es scheint mir, daß kein Teil des Trucksystems schlechter sein kann als das in diesen dichtbevölkerten Distrikten herrschende. Der Arbeiter ist gezwungen, als Teil seines Lohns ein mit pestilenzialischen Einflüssen umgebnes Haus zu empfangen. Er kann sich nicht selbst helfen. Er ist in jeder Rücksicht ein Leibeigner (he is to all intents and purposes a serf). Es scheint fraglich, oh jemand sonst ihm helfen kann außer seinem Eigentümer, und dieser Eigentümer zieht vor allem sein Bilanzkonto zu Rat, und das Resultat ist ziemlich unfehlbar. Der Arbeiter erhält von dem Eigentümer auch seine Zufuhr an Wasser.

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Es sei gut oder schlecht, es werde geliefert oder zurückgehalten. er muß dafür zahlen oder sich vielmehr einen Lohnabzug gefallen lassen."

Im Konflikt mit der "öffentlichen Meinung" oder auch der Gesundheitspolizei geniert sich das Kapital durchaus nicht, die teils gefährlichen, teils entwürdigenden Bedingungen, worin es Funktion und Häuslichkeit des Arbeiters bannt, damit zu "rechtfertigen", das sei nötig, um ihn profitlicher auszubeuten. So, wenn es entsagt auf Vorrichtungen zum Schutz gegen gefährliche Maschinerie in der Fabrik, auf Ventilations- und Sicherheitsmittel in den Minen usw. So hier mit der Behausung der Minenarbeiter.

"Als Entschuldigung", sagt Dr. Simon, der ärztliche Beamte des Privy Council, in seinem offiziellen Bericht,

"als Entschuldigung für die nichtswürdige Hauseinrichtung wird angeführt, daß Minen gewöhnlich pachtwei-se exploitiert werden, daß die Dauer des Pachtkontrakts (in Kohlenwerken meist 21 Jahre) zu kurz ist, damit der Minenpächter es der Mühe wert halte, gute Hauseinrichtung für das Arbeitsvolk und die Gewerbsleute usw. zu liefern, welche die Unternehmung anzieht; hätte er selbst die Absicht, nach dieser Seite hin liberal zu verfahren, so würde sie vereitelt werden durch den Grundeigentümer. Der habe nämlich die Tendenz, sofort exorbitante Zuschußrente zu verlangen für das Privilegium, ein anständiges und komfortables Dorf auf der Grundoberfläche zu errichten zur Behausung der Bearbeiter des unterirdischen Eigentums. Dieser prohibitorische Preis, wenn nicht direkte Prohibition, schrecke ebenfalls andre ab, welche sonst wohl bauen möchten

... Ich will den Wert dieser Entschuldigung nicht weiter untersuchen, auch nicht, auf wen denn in letzter Hand die zuschüssige Ausgabe für anständige Wohnlichkeit fallen würde, auf den Grundherrn, den Minenpächter, die Arbeiter oder das Publikum ... Aber angesichts solcher schmählichen Tatsachen, wie die beigefügten Berichte" (des Dr. Hunter, Stevens usw.) "sie enthüllen, muß ein Heilmittel angewandt werden ...

Grundeigentumstitel werden so benutzt, um <697> ein großes öffentliches Unrecht zu begehn. In seiner Eigenschaft als Mineneigner ladet der Grundherr eine industrielle Kolonie zur Arbeit auf seiner Domäne ein und macht dann, in seiner Eigenschaft als Eigentümer der Grundoberfläche, den von ihm versammelten Arbeitern unmöglich, die zu ihrem Leben unentbehrliche, geeignete Wohnlichkeit zu finden. Der Minenpächter" (der kapitalistische Exploiteur) "hat kein Geldinteresse, dieser Teilung des Handels zu widerstehn, da er wohl weiß, daß, wenn die letztern Ansprüche exorbitant sind, die Folgen nicht auf ihn fallen, daß die Arbeiter, auf die sie fallen, zu unerzogen sind, um ihre Gesundheitsrechte zu kennen, und daß weder obzönste Wohnlichkeit noch faulstes Trinkwasser jemals Anlaß zu einem Strike liefern."

d) Wirkung der Krisen auf den bestbezahlten Teil der Arbeiterklasse

Bevor ich zu den eigentlichen Agrikulturarbeitern übergehe, soll an einem Beispiel noch gezeigt werden, wie die Krisen selbst auf den bestbezahlten Teil der Arbeiterklasse, auf ihre Aristokratie, wirken. Man erinnert sich: das Jahr 1857 brachte eine der großen Krisen, womit der industrielle Zyklus jedesmal abschließt. Der nächste Termin wurde 1866 fällig. Bereits diskontiert in den eigentlichen Fabrikdistrikten durch die Baumwollnot, welche viel Kapital aus der gewohnten Anlagesphäre zu den großen Zentralsitzen des Geldmarkts jagte, nahm die Krise diesmal einen vorwiegend finanziellen Charakter an. Ihr Ausbruch im Mai 1866 wurde signalisiert durch den Fall einer Londoner Riesenbank, dem der Zusammensturz zahlloser finanzieller Schwindelgesellschaften auf dem Fuß nachfolgte. Einer der großen Londoner Geschäftszweige, welche die Katastrophe traf, war der eiserne Schiffsbau. Die Magnaten dieses Geschäfts hatten während der Schwindel-zeit nicht nur maßlos überproduziert, sondern zudem enorme Lieferungskontrakte übernommen, auf die Spekulation hin, daß die Kreditquelle gleich reichlich fortfließen werde. Jetzt trat eine furchtbare Reaktion ein, die auch in andren Londoner Industrien bis zur <698> Stunde, Ende März 1867, fortdauert. Zur Charakteristik der Lage der Arbeiter folgende Stelle aus dem ausführlichen Bericht eines Korrespondenten des

"Morning Star", welcher Anfang 1867 die Hauptsitze des Leidens besuchte.

"Im Osten von London, den Distrikten von Poplar, Millwall, Greenwich, Deptford, Limehouse und Canning Town befinden sich mindestens 15.000 Arbeiter samt Familien in einem Zustand äußerster Not, darunter über 3.000 geschickte Mechaniker. Ihre Reservefonds sind erschöpft infolge sechs- oder achtmonatiger Arbeitslosigkeit ... Ich hatte große Mühe, zum Tor des Workhouse (von Poplar) vorzudringen, denn es war belagert von einem ausgehungerten Haufen. Er wartete auf Brotbilletts, aber die Zeit zur Verteilung war noch nicht gekommen. Der Hof bildete ein großes Quadrat mit einem Pultdach, das rings um seine Mauern läuft.

Dichte Schneehaufen bedeckten die Pflastersteine in der Mitte des Hofes. Hier waren gewisse kleine Plätze 411

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mit Weidengeflecht abgeschlossen, gleich Schafhürden, worin die Männer bei besserem Wetter arbeiten. Am Tage meines Besuchs waren die Hürden so verschneit, daß niemand in ihnen sitzen konnte. Die Männer waren jedoch unter dem Schutz der Dachvorsprünge mit Makadamisierung von Pflastersteinen beschäftigt.

Jeder hatte einen dicken Pflasterstein zum Sitz und klopfte mit schwerem Hammer auf den frostbedeckten Granit, bis er 5 Bushel davon abgehauen hatte. Dann war sein Tagewerk verrichtet und erhielt er 3 d." (2

Silbergroschen, 6 Pfennige) "und ein Billett für Brot. In einem andren Teil des Hofes stand ein rachitisches kleines Holzhaus. Beim Öffnen der Tür fanden wir es gefüllt mit Männern, Schulter an Schulter gedrängt, um einander warm zu halten. Sie zupften Schiffstau und stritten miteinander, wer von ihnen mit einem Minimum von Nahrung am längsten arbeiten könne, denn Ausdauer war der point d'honneur. In diesem einen Workhouse allein erhielten 7.000 Unterstützung, darunter viele Hunderte, die 6 oder 8 Monate zuvor die höchsten Löhne geschickter Arbeit in diesem Land verdienten. Ihre Zahl wäre doppelt so groß gewesen, gäbe es nicht so viele, welche nach Erschöpfung ihrer ganzen Geldreserve dennoch vor Zuflucht zur Pfarrei zurückbeben, solange sie noch irgend etwas zu versetzen haben ... Das Workhouse verlassend, machte ich einen Gang durch die Straßen von meist einstöckigen Häusern, die in Poplar so zahlreich. Mein Führer war Mitglied des Komitees für die Arbeitslosen. Das erste Haus, worin wir eintraten, war das eines Eisenarbeiters, seit 27 Wochen außer Beschäftigung. Ich fand den Mann mit seiner ganzen Familie in einem Hinterzimmer sitzend. Das Zimmer war noch nicht ganz von Möbeln entblößt, und es war Feuer darin. Dies war nötig, um die nackten Füße der jungen Kinder vor Frost zu schützen, denn es war ein grimmig kalter Tag. Auf einem Teller gegen-

über dem Feuer lag ein Quantum Werg, welches Frau und Kinder zupften in Erstattung des Brots vom Workhouse. Der Mann arbeitete in einem der oben beschriebenen Höfe für ein Brotbillett und 3 d. per Tag.

Er kam jetzt nach Haus zum Mittagessen, sehr hungrig, wie er uns <699> mit einem bittern Lächeln sagte, und sein Mittagessen bestand aus einigen Brotschnitten mit Schmalz und einer Tasse milchlosen Tees ... Die nächste Tür, an der wir anklopften, wurde geöffnet durch ein Frauenzimmer mittleren Alters, die, ohne ein Wort zu sagen, uns in ein kleines Hinterzimmer führte, wo ihre ganze Familie saß, schweigend, die Augen auf ein rasch ersterbendes Feuer geheftet. Solche Verödung, solche Hoffnungslosigkeit hing um diese Leute und ihr kleines Zimmer, daß ich nicht wünsche, je eine ähnliche Szene wieder zu sehn. 'Nichts haben sie verdient, mein Herr', sagte die Frau, auf ihre Jungen zeigend, 'nichts für 26 Wochen, und all unser Geld ist hingegan-gen, alles Geld, das ich und der Vater in den beßren Zeiten zurücklegten, in dem Wahn, einen Rückhalt während schlechten Geschäfts zu sichern. Sehn Sie es', schrie sie fast wild, indem sie ein Bankbuch hervorholte mit allen seinen regelmäßigen Nachweisen über eingezahltes und rückerhaltnes Geld, so daß wir sehn konnten, wie das kleine Vermögen begonnen hatte mit dem ersten Deposit von 5 Shilling, wie es nach und nach zu 20 Pfd.St. aufwuchs und dann wieder zusammenschmolz, von Pfunden zu Shillingen, bis der letzte Eintrag das Buch so wertlos machte wie ein leeres Stück Papier. Diese Familie erhielt ein notdürftiges Mahl täglich vom Workhouse ... Unsere folgende Visite war zur Frau eines Irländers, der an den Schiffswerften gearbeitet hatte. Wir fanden sie krank von Nahrungsmangel, in ihren Kleidern auf eine Matratze gestreckt, knapp bedeckt mit einem Stück Teppich, denn alles Bettzeug war im Pfandhaus. Die elenden Kinder warteten sie und sahen aus, als bedürften sie umgekehrt der mütterlichen Pflege. Neunzehn Wochen erzwungnen Müßiggangs hatten sie so weit heruntergebracht, und während sie die Geschichte der bittern Vergangenheit erzählte, stöhnte sie, als ob alle Hoffnung auf eine bessere Zukunft verloren wäre ... Beim Austritt aus dem Hause rannte ein junger Mann auf uns zu und bat uns, in sein Haus zu gehn und zu sehn, ob irgend etwas für ihn geschehen könne. Ein junges Weib, zwei hübsche Kinder, ein Kluster von Pfandzetteln und ein ganz kahles Zimmer war alles, was er zu zeigen hatte."

Über die Nachwehen der Krise von 1866 folgender Auszug aus einer torystischen Zeitung. Man muß nicht vergessen, daß der Ostteil Londons, um den es sich hier handelt, nicht nur Sitz der im Text des Kapitels er-wähnten eisernen Schiffsbauer, sondern auch einer stets unter dem Minimum bezahlten sog. "Hausarbeit" ist.

"Ein entsetzliches Schauspiel entrollte sich gestern in einem Teil der Metropole. Obgleich die arbeitslosen Tausende des Ostendes mit schwarzen Trauerflaggen nicht in Masse paradierten, war der Menschenstrom imposant genug. Erinnern wir uns, was diese Bevölkerung leidet. Sie stirbt vor Hunger. Das ist die einfache und furchtbare Tatsache. Es sind ihrer 40.000 ... In unsrer Gegenwart, in einem Viertel dieser wundervollen Metropole, dicht neben der enormsten Akkumulation von Reichtum, welche die Welt je sah, dicht dabei 40.000 hilflos verhungernd! Diese Tausende brechen jetzt ein in die andren Viertel; sie, in allen Zeiten halbverhungert, schreien uns ihr Weh ins Ohr, sie schreien es zum Himmel, sie erzählen uns von ihren elendge-schlagenen Wohnungen, daß es unmöglich für sie, Arbeit zu finden, und nutzlos zu betteln. Die lokalen

<700> Armensteuerpflichtigen sind durch die Forderungen der Pfarreien selbst an den Rand des Pauperismus getrieben." ("Standard" 5. April 1867.)

412

DAS KAPITAL

Da es Mode unter den englischen Kapitalisten ist, Belgien als das Paradies des Arbeiters zu schildern, weil

"die Freiheit der Arbeit" oder, was dasselbe ist, "die Freiheit des Kapitals" dort weder durch den Despotismus der Trades' Unions noch durch Fabrikgesetze verkümmert sei, hier ein paar Worte über das "Glück" des belgischen Arbeiters. Sicher war niemand tiefer eingeweiht in die Mysterien dieses Glücks als der verstorbene Herr Ducpétiaux, Generalinspektor der belgischen Gefängnisse und Wohltätigkeitsanstalten und Mitglied der Zentralkommission für belgische Statistik. Nehmen wir sein Werk: "Budgets éonomiques des classes ouvrières en Belgique", Bruxelles 1855. Hier finden wir u.a. eine belgische Normalarbeiterfamilie, deren jährliche Ausgaben und Einnahmen nach sehr genauen Daten berechnet, und deren Nahrungsverhältnisse dann mit denen des Soldaten, des Flottenmatrosen und des Gefangnen verglichen werden. Die Familie "besteht aus Vater, Mutter und vier Kindern". Von diesen sechs Personen "können vier das ganze Jahr durch nützlich beschäftigt werden"; es wird vorausgesetzt, "daß es weder Kranke noch Arbeitsunfähige darunter gibt" noch

"Ausgaben für religiöse, moralische und intellektuelle Zwecke, ausgenommen ein sehr Geringes für Kirchen-stühle", noch "Beiträge zu Sparkassen oder Altersversorgungskassen", noch "Luxus- oder sonstige überflüssige Ausgaben". Doch sollen der Vater und der älteste Sohn Tabak rauchen und sonntags das Wirtshaus besuchen dürfen, wofür ihnen ganze 86 Centimen die Woche ausgesetzt sind.

"Aus der Gesamtzusammenstellung der den Arbeitern der verschiednen Geschäftszweige bewilligten Löhne folgt ... daß der höchste Durchschnitt des täglichen Lohns ist: 1 fr. 56 c. für Männer, 89 c. für Frauen, 56 c.

für Knaben und 55 c. für Mädchen. Hiernach berechnet, würden sich die Einkünfte der Familie allerhöchstens auf 1.068 fr. jährlich belaufen ... In der als typisch angenommenen Haushaltung haben wir alle möglichen Einkünfte zusammengerechnet. Wenn wir aber der Mutter einen Arbeitslohn anrechnen, entziehen wir dadurch die Haushaltung ihrer Leitung; wer besorgt das Haus, wer die kleinen Kinder? Wer soll kochen, waschen, flicken? Dies Dilemma tritt jeden Tag vor die Arbeiter."

Der Budget der Familie ist demnach:

der Vater

Das Kapital
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