12377 Weiber

13803

Lond. Drucker

894

1747

2367[256]

d) Die modrne Hausarbeit

Ich wende mich jetzt zur sog. Hausarbeit. Um sich eine Vorstellung von dieser auf dem Hintergrund der großen Industrie aufgebauten Exploitationssphäre des Kapitals und ihren Ungeheuerlichkeiten zu machen,

[255] "Public Health, VI. Rep.", Lond. 1864, p.29, 31.

288

DAS KAPITAL

[256] l.c. p.30. Dr. Simon bemerkt, daß die Sterblichkeit der Londoner Schneider und Drucker vom 25.-35. Jahr in der Tat viel größer ist, weil ihre Londoner Anwender eine große Zahl junger Leute zum 30. Jahr hinauf vom Land als "Lehrlinge" und "improvers" (die sich in ihrem Handwerk aufbil-den wollen) erhalten. Diese figurieren im Zensus als Londoner, sie schwellen die Kopfzahl, worauf die Londoner Sterblichkeitsrate berechnet wird, ohne verhältnismäßig zur Zahl der Londoner Todesfälle beizutragen. Großer Teil von ihnen kehrt nämlich und ganz besonders in schweren Krankheitsfällen, zum Land zurück. (l.c.)

{490}

betrachte man z.B. die scheinbar ganz idylische, in einigen abgelegnen Dörfern Englands betriebne Nägelmacherei.[257] Hier genügen einige Beispiele aus den noch gar nicht maschinenmäßig betriebnen oder mit Maschinen- und Manufakturbetrieb[1*] konkurrierenden Zweigen der Spitzenfabrik und Storohflechterei.

Von den 150000 Personen, die in der englischen Spitzenproduktion beschäftigt, fallen ungefähr 10000 unter die Botmäßigkeit des Fabrikakts von 1861. Die ungeheure Mehrzahl der übrigbleibenden 140000 sind weiber, junge Personen und Kinder beiderlei Geschlechts, obgleich das männliche Geschlecht nur schwach vertreten ist. Der Gesundheitszustand dieses "wohlfeilen" Exploitationsmaterials ergibt sich aus folgender Aufstellung des Dr. Trueman, Arzt beim General Dispensary von Nottingham. Von je 686 Patienten, Spitzenmacherin-nen, meist zwischen dem 17. und 24. Jahr, waren schwindsuuchtig:

1852 1 auf 45,

1857 1 auf 13,

1853 1 auf 28,

1858 1 auf 15,

1854 1 auf 17,

1859 1 auf 9,

1855 1 auf 18,

1860 1 auf 8,

1856 1 auf 15,

1861 1 auf 8.[258]

Dieser Fortschritt in der Rate der Schwindsucht muß dem opitmistischsten fortschrittler und lügenfauchend-sten deutsche Freihandelshausierburschen genügen.

Der Fabrikakt von 1861 regelt das eigentliche Machen der Spitzen, soweit es durch Maschinerie geschieht, und dies ist die Regel in England. Die Zweige, die wir hier kurz berücksichtigen, und zwar nicht, soweit die Arbeiter in Manufakturen, Warenhäusern usw. konzentriert, sondern nur sofern sie sog. Hausarbeiter sind, zerfallen 1. in das finishing (letztes Zurechtmachen der maschinenmäßig fabrizierten Spitzen, eine Kategorie, die wieder zahlreiche Unterabteilungen einschließt), 2. Spitzenklöppeln.

Das Lace finishing wird als Hausarbeit betrieben entweder in sog. "Mistresses Houses" oder von Weibern, einzeln oder mit ihren Kindern, in ihren Privatwohnungen. Die Weiber, welche die "Mistresses Houses"

[257] Es handelt sich hier um gehämmerte Nägel im Unterschied von den maschinenmäßig fabrizierten geschnittenen Nägeln. Siehe "Child. Empl. Comm., III. Report", p.XI, p.XIX, n.125-130; p.52. n.11; p.113-114, n.487; p.137, n.674.

[258] "Child. Empl. Comm., II. Report", p.XXII, n.166.

[1*] 1. -4. Auflage: Manufakturbetrieb

[491]

halten, sind selbst arm. Das Arbeitslokal bildet Teil ihrer Privatwohnung. Sie erhalten Aufträge von Fabrikanten, Besitzern von Warenmagazinen usw. und wenden Weiber, Mädchen und junge Kinder an, je nach dem Umfang ihrer Zimmer und der fluktuierenden Nachfrage des Geschäfts. Die Zahl der beschäftigten Arbeiterinnen wechselt von 20 zu 40 in einigen, von 10 zu 20 in andren dieser Lokale. Das durchschnittliche Minimalalter, worin Kinder beginnen, ist 6 Jahre, manche jedoch unter 5 Jahren. Die gewöhnliche Arbeitszeit währt von 8 Uhr morgens bis 8 Uhr abends, mit 1 1/2 Stunden für Mahlzeiten, die unregelmäßig und oft in den stinkigen Arbeitslöchern selbst genommen werden. Bei gutem Geschäft währt die Arbeit oft von 8 Uhr (manchmal 6 Uhr) morgens bis 10, 11 oder 12 Uhr nachts. In englischen Kasernen beträgt der vorschriftsmäßige Raum für jeden Soldaten 500-600 Kubikfuß, in den Militärlazaretten 1200. In jenen Arbeitslöchern kommen 67-100 Kubikfuß auf jede Person. Gleichzeitig verzehrt Gaslicht den Sauerstoff der Luft. Um die Spitzen rein zu halten, müssen die Kinder oft die Schuhe ausziehn, auch im Winter, obgleich das Estrich aus Pflaster oder Ziegeln besteht.

289

DAS KAPITAL

"Es ist nichts Ungewöhnliches in Nottingham, 15 bis 20 Kinder in einem kleinen Zimmer von vielleicht nicht mehr als 12 Fuß im Quadrat zusammengepökelt zu finden, während 15 Stunden aus 24

beschäftigt an einer Arbeit, an sich selbst erschöpfend durch Überdruß und Monotonie, zudem unter allen nur möglichen gesundheitszerstörenden Umst¨nden ausgeübt ... Selbst die jüngsten Kinder arbeiten mit einer gespannten Aufmerksamkeit und Geschwindigkeit, die erstaunlich sind, fast niemals ihren Fingern Ruhe oder langsamre Bewegung gönnend. Richtet man Fragen an sie, so erheben sie das Auge nicht von der Arbeit, aus Furcht, einen Moment zu verlieren."

Der "lange Stock" dient den "mistresses" als Anregungsmittel im Verhältnis, worin die Arbeitszeit verlängert wird.

"Die Kinder ermüden allmählich und werden so rastlos wir Vögel gegen das Ende ihrer langen Gebundenheit an eine Geschäftigung, eintönig, für die Augen angreifend, erschöpfend durch die Einförmigkeit der Körperhatung. Es ist wahres Sklavenwerk." ("Their work is like slavery.")[259]

Wo Frauen mit ihren eignen Kindern zu Hause, d.h. im modernen Sinn, in einem gemieteten Zimmer, häufig in einer Dachstube arbeiten, sind die Zustände womöglich noch schlimmer. Diese Art Arbeit wird 80 Meilen im Umkreis von Nottingham ausgegeben. Wenn das in den Warenhäusern beschäftigte Kind sie 9 oder 10

Uhr abends vrläßt, gibt

[259] "Child. Empl. Comm., II. Report", 1864, p.XIX, XX, XXI.

{492}

man ihm oft noch ein Bündel mit auf den Weg, um es zu Hause fertigzumachen. Der kapitalistische Pharisä-

er, vertreten durch einen seiner Lohnknechte, tut das natürlich mit der salbungsvollen Pharase: "das sei für Mutter", weiß aber sehr wohl, daß das arme Kind aufsitzen und helfen muß.[260]

Die Industrie des Spitzenklöppelns wird hauptsächlich in zwei englischen Agrikulturdistrikten betrieben, dem Honiton Spitzendistrikt, 20 bis 30 Meilen längs der Südküste von Devonshire, mit Einschluß weniger Plätze von Nord-Devon, und einem andren Disteikt, der großen Teil der Grafschaften von Buckingham, Bedford, Northampton und die benachbarten Teile von Oxfordshire und Huntingdonshire umfaßt. Die cottages der Ackerbautaglöhner bilden durchschnittlich die Arbeitslokale. Manche Manufakturherrn wenden über 3000

dieser Hausarbeiter an, hauptsächlich Kinder und junge Personen, ausschließlich weiblichen Geschlechts. Die beim Lace finishing beschriebnen Zustände wiederholen sich. Nur treten an die Stelle der "mistresses houses"

die sog. "lace schools" (Spitzenschulen), gehalten von armen Weibern in ihren Hütten. Vom 5. Jahr an, manchmal jünger, bis zum 12. oder 15. arbeiten die Kinder in diesen Schulen, während des ersten Jahres die jüngsten von 4 bis 8 Stunden, später von 6 Uhr morgens bis 8 und 10 Uhr abends.

"Die Zimmer sind im allgemeinen gewöhnliche Wohnstuben kleiner cottages, der Kamin zugestopft zur Abwehr von Luftzung, die Insassen manchmal auch im Winter nur von ihrer eignen animali-schen Wärme geheizt. In andren Fällen sich diese sog. Schulzimmer kleinen Vorratskammern ähnliche Räume, ohne Feuerplatz ... Die Überfüllung dieser Löcher und die dadurch bewirkte Luftverpe-stung sind oft extrem. Dazu kommt die schädliche Wirkung von Gerinnen, Abtritten, verwesenden Stoffen und andrem Unrat, gewöhnlich in den Zugängen zu kleinren cottages."

Mit Bezug auf den Raum:

"In einer Spitzenschule 18 Mädchen und Meisterin, 33 Kubikfuß für jede Person; in einer andren, wo unerträglicher Gestank, 18 Personen, per Kopf 24 1/2 Kubikfuß. Man findet in dieser Industrie Kinder von 2 und 2 1/2 Jahren verwandt."[261]

Wo das Spitzenklöppeln in den ländlichen Grafschaften von Buckingham und Bedford aufhört, beginnt die Strohflechterei. Sie erstreckt sich über großen Teil von Hertfordshire und die westlichen und nördlichen Teile von Esses. Es waren 1861 beschäftigt im Strohflechten und Strohhutmachen 48043 Personen, 3815 davon männlichen Geschlechts aller Altersstufen, die

[260] l.c. p.XXI, XXII.

[261] l.c. p.XXIX, XXX.

{493}

andren weiblichen Geschlechts, und zwar 14913 unter 20 Jahren, davon an 7000 Kinder. An die Stelle der Spitzenschulen treten hier die "straw plait schools" (Strohflechtschulen). Die Kinder beginnen hier den Unterricht im Strohflechten gewöhnlich vom 4., manchmal zwischen dem 3. und 4. Jahr. Erziehung erhalten sie 290

DAS KAPITAL

natürlich keine. Die Kinder selbst nennen die Elementarschulen "natural schools" (natürliche Schulen) im Unterschied zu diesen Butaussaugungsanstalten, worin sie einfach an der Arbeitgehalten werden, um das von ihren halberhungerten Müttern vorgeschriebne Machwerk, meist 30 Yards per Tag, zu verfertigen. Diese Mütter lassen sie dann oft noch zu Haus bis 10, 11, 12 Uhr nachts arbeiten. Das Stroh schneider ihnen Finger und Mund, durch den sie es beständig anfeuchten. Nach der von Dr. Ballard resümierten Gesamtansicht der medizinischen Beamten Londons bilden 300 Kubikfuß den Minimalraum für jede Person in einem Schlaf-oder Arbeitszimmer. In den Strohflechtschulen ist der Raum aber noch spärlicher zugemessen als in den Spitzenschulen, 12 2/3, 17, 18 1/2 und unter 22 Kubikfuß für jede Person.

"Die kleinre dieser Zahlen", sagt Kommissär White, "repräsentieren weniger Raum als die Hälfte von dem, den ein Kind einnehmen würde, wenn verpackt in eine Schachtel von 3 Fuß nach allen Dimensionen."

Dies der Lebensgenuß der Kinder bis zum 12. oder 14. Jahr. Die elenden, verkommenen Eltern sinnen nur darauf, aus den Kindern soviel als möglich herauszuschlagen. Aufgewachsen fragen die Kinder natürlich keinen Deut nach den Eltern und verlassen sie.

"Es ist kein Wunder, daß Unwissenheit und Laster überströmen in einer so aufgezüchteten Bevölkerung ... Ihre Moral steht auf der niedrigsten Stufe ... Eine große Anzahl der Weiber hat illegitime Kinder und manche inso unreifem Alter, daß selbst die Vertrauten der Kriminalstatistik darüber erstarren."[262]

Und das heimatsland dieser Musterfamilien ist, so sagt der sicher im Christentum kompetente Graf Monta-lembert, Europas christliches Musterland!

Der Arbeitsloh, in den eben behandelten Industriezweigen überhauptjämmerlich (der ausnahmsweise Maxi-mallohn der Kinder in den Strohflechtschulen 3 sh.), wird noch tief unter seinen nominalbetrag herabgedrückt durch das namentlich in den Spitzendistrikten allgemein vorherrschende Trucksystem.[263]

[262] l.c. p.XL, XLI.

[263] "Child. Empl. Comm., I. Rep.", 1863, p.185.

{494}

e) Übergang der modernen Manufaktur und Hausarbeit

zur großen Industrie. Beschleunigung dieser Revolution durch Anwendung

der Fabrikgesetze auf jene Betriebsweisen

Die Verwohlfeilerung der Arbeitskraft durch bloßen Mißbrauch weiblicher und unreifer Arbeitskräfte, bloßen Raub aller normalen Arbeits- und Lebensbedingungen und bloße Brutalität der Über- und Nachtarbeit, stößt zuletzt auf gewisse nicht weiter überschreitbare Naturschranken, und mit ihr auch die auf diesen Grundlagen beruhende Verwohlfeilerung der Waren und kapitalistische Exploitation überhaupt. Sobald dieser Punkt endlich erreicht ist, und es dauert lange, schlägt die Stunde für Einführung der Maschinerie und die nun rasche Verwandlung der zersplitterten Hausarbeit (oder auch Manufaktur) in Fabrikbetrieb.

Das kolossalste Beispiel dieser Bewegung liefert die Produktion von "Wearing Apparel" (zum Anzug gehörige Artikel). Nach der Klassifikation der "Child. Empl. Comm." umfaßt diese Industrie Strohhut- und Damen-hutmacher, Kappenmacher, Schneider, milliners und dressmakers[264], Hemdenmacher und Näherinnen, Korsetten-, Handschuh-, Schuhmacher, nebst vielen kleineren Zweigen, wie Fabrikation von Halsbinden, Halskragen usw. Das in England und Wales in diesen Industrien beschäftigte weibliche Personal betrug 1861: 586298, wovon mindestens 115242 unter 20, 16560 unter 15 Jahren. Zahl dieser Arbeiterinnen im Vereinigten Königreich (1861): 750334. Die Zahl der gleichzeitig in Hut-, Schuh-, Handschuhmacherei und Schneiderei beschäftigten männlichen Arbeiter in England und Wales: 437969, wovon 14964 unter 15 Jahren, 89285

fünfzehn- bis zwanzigjährig, 333117 über 20 Jahren. Es fehlen in dieser Angabe viele hierher gehörige kleinere Zweige. Nehmen wir aber die Zahlen, wie sie stehn, so ergibt sich für England und Wales allein, nach dem Zensus von 1861, eine Summe von 1024267 Personen, also ungefähr so viel, wie Ackerbau und Viehzucht absorbieren. Man fängt an zu verstehn, wozu die Maschinerie so ungeheure Produktenmassen hervorzaubern und so ungeheure Arbeitermassen "freisetzen" hilft.

291

DAS KAPITAL

Die Produktion des "Wearing Apparel" wird betrieben durch Manufakturen, welche in ihrem Innern nur die Teilung der Arbeit reproduzierten, deren membra disjecta sie fertig vorfanden; durch kleinere Handwerks-

[264] Millinery bezieht sich eigentlich nur auf den Kopfputz, doch auch Damenmäntel und Mantil-len, während Dressmakers mit unsren Putzmacherinnen identisch sind.

{495}

meister, die aber nicht wie früher für individuelle Konsumenten, sondern für Manufakturen und Warenmagazine arbeiten, so daß oft ganze Städte und Landstriche solche Zweige, wie Schusterei usw., als Spezialität aus üben; endlich im größten Umfand durch sog. Hausarbeiter, welche das auswärtige Departement der Manufakturen, Warenmagazine und selbst der kleineren Meister bilden.[265] Die massen des Arbeitsstoffs, Rohstoffs, Halbfabrikate usw. liefert die große Industrie, die Masse des wohlfeilen Menschenmaterials (taillable à merci et miséricorde[1*]) besteht aus den durch die große Industrie und Agrikultur "Freigesetzten". Die Manufakturen dieser Sphäre verdankten ihren Ursprung hauptsächlich dem Bedürfnis des Kapitalisten, eine jeder Bewegung der Nachfrage entsprechende schlagfertige Armee unter der Hand zu haben.[206] Diese Manufakturen ließen jedoch neben sich den zerstreuten handwerksmäßigen und Hausbetrieb als breite Grundlage fortbestehn. Die große Produktion von Mehrwert in diesen Arbeitszweigen, zugleich mit der progressiven Verwohlfeilerung ihrer Artikel, war und ist hauptsächlich geschuldet dem Minimum des zu kümmerlicher Vegetation nötigen Arbeitslohns, verbunden mit dem Maximum menschenmöglicher Arbeitszeit.

Es war eben die Wohlfeilheit des in Ware verwandelten Menschenschweißes und Menschenbluts, welche den Absatzmarkt beständig erweiterte und täglich erweitert, für England namentlich auch den Kolonialmarkt, wo überdem englische Gewohnheit und Geschmack vorherrschen. Endlich trat ein Knotenpunkt ein. Die Grundlage der alten Methode, bloß brutale Ausbeutung des Arbeitermaterials, mehr oder minder begleitet von systematisch entwickelter Arbeitsteilung, genügte dem wachsenden Markt und der noch rascher wachsenden Konkurrenz der Kapitalisten nicht länger. Die Stunde der Maschinerie schlug. Die entscheidend revolutionäre Maschine, welche die sämtlichen zahllosen Zweige dieser Produktionssphäre, wie Putzmacherei, Schneiderei, Schusterei, Näherei, Hutmacherei usw. gleichmäßig ergreift, ist – die Nähmaschine.

[265] Die englische millinery und das dressmaking werden meist in den Baulichkeiten der Anwender, teils durch dort wohnhafte und engagierte Arbeiterinnen, teils durch auswärts wohnende Taglöhne-rinnen betrieben.

[266] Kommissär White besuchte eine Manufaktur für Militärkleider, die 1000 bis 1200 Personen, fast alle weiblichen Geschlechts, beschäftigte, eine Schuhmanufaktur mit 1300 personen, wovon beinahe die Hälfte Kinder und junge Personen usw. ("Child. Empl. Comm., II. Rep.", p.XLVII, n.319.)

[1*] auf Gnade und Barmherzigkeit ausgeliefert

{496}

Ihre unmittelbare Wirkung auf die Arteiter ist ungehähr die aller Maschinerie, welche in der Periode der gro-

ßen Industrie neue Geschäftszweige erobert. Kinder im unreifsten Alter werden entfernt. Der Lohn der Maschinenarbeiter steigt verhältnismäßig zu dem der Hausarbeiter, wovon viele zu "den Ärmsten der Armen"

("the poorest of the poor") gehören. Der Lohn der besser gestellten Handwerker, mit denen die Maschine konkurriert, sinkt. Die neuen Maschinenarbeiter sind ausschließlich Mädchen und junge Frauen. Mit Hilfe der mechanischen Kraft vernichten sie das Monopol der männlichen Arbeit in schwererem Werk und verjagen aus leichterem Massen alter Weiber und unreifer Kinder. Die übermächtige Konkurrenz erschlägt die schwächsten Handarbeiter. Das greuliche Wachstum des Hungertods (death from starvation) in London während des letzten Dezenniums läuft parallel mit der Ausdehnung der Maschinennäherei.[267] Die neuen Arbeiterinnen der Nähmaschine, welche von ihnen mit Hand und Fuß oder mit der Hand allein, sitzend und stehend, je nach Schwere, Größe und Spezialität der Maschine, bewegt wird, verausgaben große Arbeitskraft.

Ihre Beschäftigung wird gesundheitswidrig durch die Dauer des Prozesses, obgleich er meist kürzer als im alten System. Überall, wo die Nähmaschine, wie beim Schuh-, Korsett-, Hutmachen usw., ohnehin enge und überfüllte Werkstätten heimsucht, vermehrt sie die gesundheitswidrigen Einflüsse.

"Die Wirkung", sagt Kommissär Lord, "beim Eintritt in niedrig gestochne Arbeitslokale, wo 30 bis 40 Maschinenarbeiter zusammenwirken, ist unerträglich ... Die Hitze, teilweis den Gasöfen zur Wärmung der Bügeleisen geschuldet, ist schrecklich ... Wenn selbst in solchen Lokalen sog. mäßige Arbeitsstunden, d.h. von 8 Uhr morgens bis 6 Uhr abends, vorherrschen, fallen dennoch jeden Tag 3

oder 4 Personen regelmäßig in Ohnmacht."[268]

292

DAS KAPITAL

Die Umwälzung der gesellschaftlichen Betriebsweise, dies notwendige Produkt der Umwandlung des Produktionsmittels, vollzieht sich in einem bunten Wirrwarr von Übergangsformen. Sie wechseln mit dem Umfang, worin, und der Zeitlänge, während welcher die Nähmaschine den einen oder andren Industriezweig bereits ergriffen hat; mit der vorgefundnen

[267] Ein Beispiel. Am 26. Februar 1864 enthält der wöchentliche Sterblichkeitsbericht des Register General 5 Fälle von Hungertod. Am selben Tag berichtet die "Times" einen neuen Fall von Hungertod. Sechs Opfer des Hungertods in einer Woche!

[268] "Child. Empl. Comm., II. Rep.", 1864, p.LXVII, n.406-409; p.84, n.124; p.LXXIII, n.441; p.68, n.6; p.84, n.126; p.78, n.85; p.76, n.69; p.LXXII, n.438.

{497}

Lage der Arbeiter, dem Übergewicht des Manufaktur-, Handwerks- oder Hausbetriebs, dem Mietpreis der Arbeitslokale[269] usw. In der Putzmacherei z.B., wo die Arbeit meist schon organisiert war, hauptsächlich durch einfache Kooperation, bildet die Nähmaschine zunächst nur einen neuen Faktor des Manufakturbetriebs. In der Schneiderei, hemdenmacherei, Schusterei usw. durchkreuzen sich alle Formen. Hier eigentlicher Fabrikbetrieb. Dort erhalten Zwischenanwender das Rohmaterial vom Kapitalisten en chef und gruppieren in

"Kammern" oder "Dachstuben" 10 bis 50 und noch mehr Lohnarbeiter um Nähmaschinen. Endlich wie bei aller Maschinerie, die kein gegliedertes System bildet, und im Zwergformat anwendbar ist, benutzen Handwerker oder Hausarbeiter, mit eigner Familie oder Zuziehung weniger fremder Arbeiter, auch ihnen selbst gehörige Nähmaschinen.[270] Tatsächlich überwiegt jetzt in England das System, daß der Kapitalist eine größre Maschinenanzahl in seinen Baulichkeiten konzentriert und dann das Maschinenprodukt zur weiteren Verarbeitung unter die Armee der Hausarbeiter verteilt.[271] Die Buntheit der Übergangsformen versteckt jedoch nicht die Tendenz zur Verwandlung in eingetlichen Fabrikbetrieb. Diese Tendenz wird genährt durch den Charakter der Nähmaschine selbst, deren mannigfaltige Anwendbarkeit zur Vereinigung früher getrennter Geschäftszweige in derselben Baulichkeit und unter dem Kommando desselben Kapitals drängt; durch den Umstand, daß vorläufiges Nadelwerk und einige andre Operationen am geeignetsten am Sitz der Maschine verrichtet werden; endlich durch die unvermeidliche Expropriation der Handwerker und Hausarbeiter, die mit eignen Maschinen produzieren. Dies Fatum hat sie zum Teil shon jetzt erreicht. Die stets wachsende Masse des in Nähmaschinen angellegten Kapitals[272] spornt die Produktion und erzeugt Marktstockungen, welche das Signal zum Verkauf der Nähmachinen durch die Hausarbeiter läuten. Die Überproduktion von solchen Maschinen selbst zwingt ihre absatzbedürftigen Produzenten, sie auf wöchentliche [269] "Der Mietpreis der Arbeitslokale scheint der Faktor zu sein, der schließlich den Ausschlag gibt, und folglich hat sich in der Hauptstadt das alte System, Arbeit an kleine Unternehmer und Familien auszugeben, am längsten erhalten und ist um ehesten wieder aufgenommen worden." (l.c. p.83, n.123.) Der Schlußsatz bezieht sich ausschlie ß-

lich auf Schusterei.

[270] In der Handschuhmacherei usw., wo die Lage der Arbeiter von der der Paupers kaum unterscheidbar, kommt dies nicht vor.

[271] l.c. p.83, n.122.

[272] In der für den Großverkauf produzierenden Stiefel- und Schuhmacherei von Leicester allein waren 1864 berists 800 Nähmaschinen im Gebrauch. {498}

Miete zu verleihn, und schafft damit eine für die kleinen Maschineneigner tödliche Konkurrenz.[273] Stets noch fortdauernde Konstruktionswechsel und Verwohlfeilerung der Maschinen depreziieren ebenso beständig ihre alten Exemplare und lassen sie nur noch massenhaft, zu Spottpreisen gekauft, in der Hand großer Kapitalisten, profitlich anwenden. Endlich gibt die Substitution der Dampfmaschine für den Menschen, hier wie in allen ähnlichen Umwälzungsprozessen, den Ausschlag. Die Anwendung der Dampfkraft stößt im Anfang auf rein technische Hindernisse, wie Schütteln der Maschinen, Schwierigkeit in der Beherrschung ihrer Geschwindigkeit, raschen Verderb der leichtern Maschinen usw., lauter Hindernisse, welche die Erfahrung bald überwinden lehrt.[274] Wenn einerseits die Konzentration vieler Arbeitsmaschinen in größren Manufakturen zur Anwendung der Kampfkraft treibt, beschleunigt andrerseits die Konkurrenz des Dampfes mit Menschenmuskeln Konzentration von Arbeitern und Arbeitsmaschinen in großen Fabriken. So erlebt England gegenwärtig in der kolossalen Produktionssphäre des "Wearing Apparel", wie in den meisten übrigen Gewerken, die Umwälzung der Manufaktur, des Handwerks und der Hausarbeit in Fabrikbetrieb, nachdem alle jene Formen, unter dem Einfluß der großen Industrie gänzlich verändert, zersetzt, entstellt, berists längst alle Ungeheuerlichkeiten des Fabriksystems ohne seine positiven Entwicklungsmomente reproduziert und selbst übertrieben hatten.[275]

293

DAS KAPITAL

Diese naturwüchsig vorgehende industrielle Revolution wird künstlich beschleunigt durch die Ausdehnung der Fabrikgesetze auf alle Industriezweige, worin Weiber, junge Personen und Kinder arbeiten. Die zwangsmäßige Regulation des Arbeitstags nach Länge, Pausen, Anfangs- und

[273] l.c. p.84, n.124.

[274] So im Armee-Kleidungsdepot zu Pimlico, London, in der Hemdenfabrik von Tillie und Henderson zu Londonderry, in der Kleiderfabrik der Firma Tait zu Limerick, die an 1200 "Hände" vernutzt.

[275] "Die Tendenz zum Farbriksystem." (l.c. p.LXVII.) "Das ganze Gewerbe befindet sich jetzt in einem Übergangsstadium und macht die gleichen Veränderungen durch, die auch die Spitzenindustrie, die Weberei usw., durchgemacht haben." (l.c., n.405.) "Eine völlige Revolution." (l.c. p.XLVI, n.318.) Zur Zeit der "Child. Empl. Comm." von 1840 war die Strumpfwirkerei noch Handarbeit. Seit 1846 wurde verschiedenartige Maschinerie eingeführt, jetzt durch Dampf getrieben. Die Gesamtzahl der in der englischen Strumpfwirkerei beschäftigten Personen beiderlei Geschlechts und aller Altersstufen vom 3. Jahr an betrug 1862 ungefähr 120000 Personen. Davon, nach Parliamentary Return vom 11. Fabruar, 1862 doch nur 4063 unter der Botmäßigkeit des Fabrikakts.

{499}

Endpunkt, das System der Ablösung für Kinder, der Ausschluß aller Kinder unter einem gewissen Alter usw.

ernötigen einerseits vermehrte Maschinerie[276] und Ersatz von Muskeln durch Dampf als Triebkraft.[277]

Andrerseits, um im Raum zu gewinnen, was in der Zeit verlorengeht, findet Streckung der gemeinschaftlich vernutzten Produktionsmittel statt, der Öfen, Baulichkeiten usw., also in einem Wort größre Konzentration der Produktionsmittel und entsprehende größre Konglomeration von Arbeitern. Der leidenschaftlich wiederholte haupteinwand jeder mit dem Fabrikgesetz bedrohten Manufaktur ist in der Tat die Notwendigkeit größ-

rer Kapitalauslage, um das Geschäft in seinem alten Umfang fortzuführen. Was aber die Zwischenformen zwischen Manufaktur und Hausarbeit und letztre selbst betrifft, so versinkt ihr Boden mit der Schranke des Arbeitstags und der Kinderarbeit. Schrankenlose Ausbeutung wohlfeiler Arbeitskräfte bildet die einzige Grundlage ihrer Konkurrenzfähigkeit.

Wesentliche Bedingung des Fabrikbetriebs, namentlich sobald er der Regulation des Arbeitstags unterliegt, ist normale Sicherheit des Resultats, d.h. Produktion eines bestimmten Quantums Ware oder eines bezweckten Nutzeffekts in gegebnem Zeitraum. Die gesetzlichen Pausen des regulierten Arbeitstags unterstellen ferner plötlichen und periodischen Stillstand der Arbeit ohen Schaden für das im Produktionsprozeß befindliche Machwerk. Diese Sicherheit des Resultats und Unterbrechungsfähigkeit der Arbeit sind natürlich in rein mechanischen Gewerken leichter erzielbar als dort, wo chemische und physikalische Prozesse eine Rolle spielen, wie z.B. in Töpferei, Bleicherei, Färberei, Bäckerei, den meisten Metallmanufakturen. Mit dem Schlendrian des unbeschränkten Arbeitstags, der Nachtarbeit und freier Menschenverwürstung gilt jedes naturwüchsige hindernis bald für eine ewige "Naturschranke" der Produktion. Kein Gift vertilgt Ungeziefer sichrer als das Fabrikgesetz solche "Naturschranken". Niemand schrie lauter über "Unmöglichkeiten" als die Herren von der Töpferei. 1864 wurde ihnen

[276] So z.B. in der Töpferei berichtet die Firma Cochran von der "Britannia Pottery, Glasgow":

"Um unsere Produktionshöhe aufrechtzuerhalten, verwenden wir jetzt in weitem Umfang Maschinen, die von ungelernten Arbeitern bedient werden, und jeder Tag überzeugt uns, daß wir eine grö-

ßere Menge herstellen können als nach dem alten Verfahren." ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct.

1865", p.13.) "Die Wrkung des Fabrikakts ist, zu weitrer Einführung von Maschinerie zu treiben."

(l.c. p.13, 14.)

[277] So nach Einführung des Fabrikakts in die Töpferei große Zunahme der power jiggers statt der handmoved jiggers[1*].

[1*] Drehscheiben mit Kraftantrieb statt der Drehscheiben mit Handantrieb

{500}

das Fabrikgesetz oktroyiert, und alle Unmöglichkeiten waren schon 16 Monate später verschwunden. Die durch das Fabrikgesetz hervorgerufne

"verbesserte Methode, Töpferbrei (slip) durch statt durch Verdunstung zu machen, die neue Konstruktion der Öfen zum Trocknen der ungebrannten Ware usw. sind Ereignisse von großer Wichtig-294

DAS KAPITAL

keit in der Kunst der Töpferei und bezeichnen einen Fortschritt derselben, wie ihn das letzte Jahrhundert nicht aufweisen kann ... Die Temperatur der Öfen ist beträchtlich vermindert, bei teträchtlicher Abnahme im Kohlenkonsum und raschrer Wirkung auf die Ware."[278]

Trotz aller Prophezeiung stieg nicht der Kostenpreis des Erdenguts, wohl aber die Produktenmasse, so daß die Ausfuhr der 12 Monate von Dezember 1864 bis Dezember 1865 einen Wertüberschuß von 138628

Pfd.St. über den Durchschnitt der drei vorigen Jahre ergab. In der Fabrikation von Zündhölzern galt es als Naturgesetz, daß Jungen, selbst während der Herunterwürgung ihres Mittagsmahls, die Hölzer in eine warme Phosphorkomposition tunkten, deren giftiger Dampf ihnen in das Gesicht stieg. Mit der Notwendigkeit, Zeit zu ökonomisieren, erzwang der Fabrikakt (1864) eine "dipping machine" (Eintauchungsmaschine), deren Dämpfe den Arbeiter nicht erreichen können.[279] So wird jetzt in den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfnen Zweigen der Spitzenmanufaktur behauptet, die Mahlzeiten können nicht regelmäßig sein, wegen der verschiednen Zeitlängen, die verschiedne Spitzenmaterialien zur Trocknung brauchen, und die von 3 Minuten au eine Stunde und mehr variieren. Hierauf antworten die Kommissäre der "Children's Employment Comm.": "Die Umstände sind dieselben wie in der Tapetendruckerei. Einige der Hauptfabrikanten in diesem Zweig machten lebhaft geltend, die Natur der verwandten Materialien und die Verschiedenartigkeit der Prozesse, die sie durchlaufen, erlaubten ohne großen Verlust keine plötzliche Stillsetzung der Arbeit für Mahlzeiten ... Durch die 6. Klausel der 6. Sektion des Factory Acts Extension Act[1*]" (1864) "ward ihnen eine achtzehnmonatliche Frist vom Erlassungsdatum des Akts an eingeräumt, nach deren Ablauf sie sich den durch den Fabrikakt spezifizierten Erfrischungspausen fügen müßten."[280]

[278] "Rep. Insp. Fact., 31st Oct. 1865", p.96 und 127.

[279] Die Einführung dieser und andrer Maschinerie in die Zündholzfabrik hat in einem Departement derselben 230 junge Personen durch 32 Jungen und Mädchen von 14 bis 17 Jahren ersetzt.

Diese Ersparung von Arbeitern wurde 1865 weitergeführt durch Anwendung der Dampfkraft.

[280] "Child. Empl. Comm., II. Rep.", 1864, p.IX, n.50.

[1*] Gesetzes zur Ausdehnung der Fabrikgesetze

{501}

Kaum hatte das Gesetz parlamentarische Sanktion erhalten, als die Herrn Fabrikanten auch entdeckten:

"Die Mißstände, die wir von der Einführung des Fabrikgesetzes erwarteten, sind nicht eingetreten.

Wir finden nicht, daß die Produktion irgendwie gelähmt ist. In der Tat, wir produzieren mehr in derselben Zeit."[281]

Man sieht, das englische Parlament, dem sicher niemand Genialität vorwerfen wird, ist durch Erfahrung zur Einsicht gelangt, daß ein Zwangsgesetz alle sog. Naturhindernisse der Produktion gegen Beschränkung und Reglung des Arbeitstags einfach wegdiktieren kann. Bei Einführung des Fabrikakts in einem Industriezweig wird daher ein Termin von 6 bis 18 Monaten gestellt, innerhalb dessen es Sache des Fabrikanten ist, die technischen Hindernisse wegzuräumen. Mirabeaus "Impossible? Ne me dites jamais ce bâte de mot!"[1*] gilt namentlich für die moderne Technologie. Wenn aber das Fabrikgesetz so die zur Verwandlung des Manufakturbetriebs in Fabrikbetrieb notwendigen materiellen Elemente treibhausmäßig reift, beschleunigt es zugleich durch die Notwendigkeit vergrößerter Kapitalauslage den Untergang der kleineren Meister und die Konzentration des Kapitals.[282]

Abgesehn von den rein technischen und technisch beseitbaren Hindernissen stößt die Regulation des Arbeitstags auf unregelmäßige Gewohnheiten der Arbeiter selbst, namentlich wo Stücklohn vorherrscht und Verbummlung der Zeit in einem Tages- oder Wochenabschnitt durch nachträgliche Überarbeit oder Nachtarbeit gutgemacht werden kann, eine Methode, die den erwachsnen Arbeiter brutalisiert, seine unreifen und weiblichen Genossen ruiniert.[283] Obgleich diese Regellosigkeit in Verausgabung

[281] "Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p.22.

[282] "Die nötigen Verbesserungen ... können in vielen alten Manufakturen nicht eingeführt werden, ohne Kapitalauslage über die Mittel vieler gegenwärtiger Besitzer ... Eine vorübergehende Desorganisation begleitet notwendig die Einführung der Fabrikakte. Der Umfang dieser Desorganisation steht in direktem Verhältnis zur Größe der zu heilenden Mißstände." (l.c. p.96, 97.)

295

DAS KAPITAL

[283] In den Hochöfen z.B. "wird die Arbeitszeit gegen Ende der Woche im allgemeinen stark ausgedehnt, infolge der Gewohnheit der Arbeiter, am Montag und gelegentlich, teilweise oder ganz, auch am Dienstag zu feiern". ("Child. Empl. Comm., III. Rep.", p.VI.) "Die kleinen Meister haben im allgemeinen eine sehr unregelmäßige Arbeitszeit. Sie verlieren 2 oder 3 Tage, und dann arbeiten sie die ganze Nacht, um den Verlust aufzuholen ... Sie beschäftigen immer ihre eignen Kinder, wenn sie welche haben."

[1*] "Unmöglich? Kommt mir nie mit diesem dummen Wort!"

{502}

der Arbeitskraft eine naturwüchsige rohe Reaktion gegen die Langweile monotoner Arbeitsplackerei ist, entspringt sie jedoch in ungleich höherem Grad aus der Anarchie der Produktion selbst, die ihrerseits wieder ungezügelte Exploitation der Arbeitskraft durch das Kapital voraussetzt. Neben die allgemeinen periodischen Wechselfälle des industriellen Zyklus und die besondren Marktschwankungen in jedem Produktionszweig treten namentlich die sog. Saison, beruhe sie nun auf Periodizität der Schiffahrt günstiger Jahreszeiten oder auf der Mode, und die Plötzlichkeit großer und in kürzester Frist auszuführender Ordres. Die Gewohnheit der letztern dehnt sich mit Eisenbahnen und Telegraphie aus.

"Die Audehnung des Eisenbahnsystems", sagt z.B. ein Londoner Fabrikant "durch das ganze Land hat die Gewohnheit kurzer Ordres sehr gefördert. Käufer kommen jetzt von Galsgow, Manchester und Edinburgh einmal in 14 Tagen oder für den Engroskauf zu den City-Warenhäusern, denen wir die Waren liefern. Sie geben Ordres, die unmittelbar ausgeführt werden müssen, statt vom Lager zu kaufen, wie es Gewohnheit war. In frühren Jahren waren wir stets fäahrend der schlaffen Zeit für die Nachfrage der nächsten Saison vorauszuarbeiten, aber jetzt kann niemand vorhersagen, was dann in Nachfrage sein wird."[284]

In den noch nicht dem Fabrikgesetz unterworfnen Fabriken und Manufakturen herrscht periodisch die furchtbarste Überarbeit während der sog. Saison, stoßweis infolge plötzlicher Ordres. Im auswärtigen Departement der Fabrik, der Manufaktur und des Warenmagazins, in der Sphäre der Hausarbeit, ohnehin durchaus unregelmäßig, für ihr Rohmaterial und ihre Ordres ganz abhängig von den Launen des Kapitalisten, den hier keine Rücksicht auf Verwertung von Baulichkeiten, Maschinen usw. bindet und der hier nichts riskiert als die haut der Arbeiter selbst, wird so systematisch eine stets disponible, industrielle Reservearmee großge-züchtet, dezimiert während eines Teils des Jahrs durch unmenschlichsten Arbeitszwang, während des andren Teils verlumpt durch Arbeitsmangel.

"Die Anwender", sagt die "Child. Empl. Comm.", "exploitieren die gewohnheitsmäßige Unregelmä-

ßigkeit der Hausarbeit, um sie in Zielen, wo Extrawerk nötig, bis

(l.c. p.VII.) "Der Mangel an Regelmäßigkeit beim Arbeitsanfang, der durch die Möglichkeit und die Übung, durch Überarbeit den Verlust einzuholen, gefördert wird." (l.c. p.XVIII.) "Ungeheurer Zeitverlust in Birmingham ... indem sie einen Teil der Zeit bummeln und in der restlichen Zeit sich ab-schuften." (l.c. p.XI.)

[284] "Child. Empl. Comm., IV. Rep.", p.XXXII. "Die Ausdehnung des Eisenbahnsystems soll diese Gewohnheit, plötzliche Ordres zu erteilen, sehr gefördert haben; für die Arbeiter ergeben sich daraus Hetztempo, Vernachlässigung der Essenszeiten und Überstunden." (l.c. p.XXXI.)

{503}

11, 12, 2 Uhr nachts, in der Tat, wie die stehende Phrase lautet, auf alle Stunden hinaufzuforieren", und dies in Lokalen, "wo der Gestank hinreicht, euch niederzuschmettern (the stench is enough to knock you down). Ihr geht vielleicht bis an die Tür und öffnet sie, aber schaudert zurück von weit-rem Vorgehn."[285] "Es sind komische Käuze, unsre Anwender", sagt einer der verhörten Zeugen, ein Schuster, "sie glauben, es tue einem Jungen keinen Harm, wenn er während eines halben Jahrs totgerackert und während der andren Hälfte fast gezwungen wird, herumzuludern."[286]

Wie die technischen Hindernisse, so wurden und werden diese sog. "Geschäftsgewohnheiten" ("usages which have grown with the growth of trade") von interwssierten Kapitalisten als "Naturschranken" der Produktion behauptet, ein Lieblingsschrei der Baumwoll-Lords zur Zeit, als das Fabrikgesetz sie zuerst bedrohte. Obgleich ihre Industrie mehr als jede andre auf dem Weltmarkt und daher der Schiffahrt beruht, strafte die Erfahrung sie Lügen. Seitdem wird jedes angebliche "Geschäftshindernis" von den englische Fabrikinspektoren als hohle Faluse behandelt.[287] Die gründlich gewissenhaften Unterscuhungen der "Child. Empl. Comm."

296

DAS KAPITAL

beweisen in der Tat, daß in einigen Industrien die bereits augewandte Arbeitsmasse nur gleichmäßiger über das ganze Jahr verteilt würde durch die Regulation des Arbeitstags[288], daß letztre der erste rationelle Zügel für die menschenmörderischen, inhaltlosen und an sich dem System der großen Industrie unangemeßnen Flatterlaunen der Mode[289], daß die Entwicklung

[285] "Child. Empl. Comm., IV. Rep.", p.XXXV, n.235 und 237.

[286] l.c. p.127, n.56.

[287] "Was den Verlust anbelangt, der dem Handel durch nicht rechtzeitiges Erfüllen der Ordres zur Verschiffung entsteht, so erinnere ich mich, daß dies das Lieblingsargument der Fabrikherren 1832

war. Nichts, was jetzt zu diesem Gegenstand angefuuhrt werden kann, könnte soviel Gewicht haben wie damals, als der Dampf noch nicht alle Entfernungen halbiert und neue Regelungen des Verkehrs eingeführt hatte. Diese Behauptung erwies sich damals, als wirklich die Probe aufs Exempel gemacht wurde, als nicht stichhaltig und würde gewiß auch jetzt einer Nachprüfung nicht standhalten." ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1862", p.54, 44.)

[288] "Chil. Empl. Comm., III. Rep.", p.XVIII, n.118.

[289] John Bellers bemerkt schon 1699: "Die Ungewißheit der Mode vergrößert die Zahl der notlei-denden Armen. Sie birgt zwei große Mißstände in sich: 1. die Gesellen leiden im Winter Not aus Mangel an Arbeit, da die Schnittwarenhändler und Webermeister nicht wagen, ihre Kapitalien zur Beschäftigung von Gesellen zu verauslagen, bevor der Frühling kommt und sie wissen, was dann Mode sein wird; 2. im Frühling sind nicht genug Gesellen da, so daß die Webermeister viele Lehrlinge heranziehen müssen, um den Handel des Königreichs in einem viertel oder halben Jahr versorgen zu können, wodurch der Ackersmann vom Pflug gerissen, das flache Land von Arbeitern

{504}

der ozeanische Schiffahrt und der Kommunikationsmittel überhaupt den eigentlich technischen Grund der Saisonarbeit aufgehoben hat[290], daß alle andren angeblich unkontrollierbaren Umstände weggeräumt werden durch weitere Baulichkeiten, zusätzliche Maschinerie, vermehrte Anzahl der gleichzeitig beschäftigten Arbeiter[291] und von selbst folgenden Rückschlag auf das System des Großhandels.[292] Jedoch versteht sich das Kapital, wie es wiederholt durch den Mund seiner Repräsentanten erklärt, zu solcher Umwälzung

"nur unter dem Druck eines allgemeinen Parlamentsakts'[293], der den Arbeitstag zwangsgesetzlich reguliert.

9. Fabrikgesetzgebung. (Gesundheits- und Erziehungsklauseln.)

Ihre Verallgemeinerung in England

Die Fabrikgesetzgebung, diese erste bewußte und planmäßige Rückwirkung der Gesellschaft auf die naturwüchsige Gestalt ihres Produktionsprozesses, ist, wie man gesehn, ebensosehr ein notwendiges Produkt der großen Industrie als Baumwollgarn, Selfactors und der elektrische Tele-entblößt, die Städte sich zu einem großen Teil mit Bettlern füllen und manche, die sich zu betteln schämen, im Winter dem Hungertode ausgeliefert werden." ("Essays about the Poor, Manufactures etc.", p.9.)

[290] "Child. Empl. Comm., V. Rep.", p.171, n.34.

[291] So heißt es z.B. in den Zeugenaussagen von Bradforder Exporthändlern: "Unter diesen Um-ständen ist es klar, daß Jungen nicht länger als vom 8 Uhr morgens bis 7 oder 7 1/2 Uhr abends in den Warenhäusern beschäftigt zu werden brauchen. Es ist nur eine Frage von Extra-Auslage und Extra-Händen. Die Jungen brauchten nicht so spät in die Nacht hinein zu arbeiten, wären einige Anwender nicht so profithungrig; eine Extramaschine kostet nur 16 oder 18 Pfd.St. ... Alle Schwierigkeiten entspringen aus ungenügenden Vorrichtungen und Raummangel." (l.c. p.171, n.35, 36 u.

38.)

[292] l.c. [p.81, n.32.] Ein Londoner Fabrikant, der übrigens die zwangsweise Regulation des Arbeitstags als Schutzmittel der Arbeiter gegen die Fabrikanten und der Fabrikanten selbst gegen den 297

DAS KAPITAL

Großhandel betrachtet, sagt aus: "Der Druck in unsrem Geschäft ist verursacht durch die Verschiffer, die z.B. Ware mit einem Segelschiff verschicken wollen, um für eine bestimmte Saison an Ort und Stelle zu sein und zugleich die Frachtdifferenz zwischen Segelschiff und Dampfschiff einzustek-ken, oder von zwei Dampfschiffen das frühere wählen, um vor ihren Konkurrenten auf dem auswärtigen Markt zu ersheinen."

[293] "Dem könnte abgeholfen werden", sagt ein Fabrikant, "auf Kosten einer Erweiterung der Werke unter dem Druck eines allgemeinen Parlamentsakts." (l.c. p.X, n.38.)

{505}

graph. Bevor wir zu ihrer Verallgemeinerung in England übergehn, sind noch einige nicht auf die Stundenzahl des Arbeitstags bezügliche Klauseln des englischen Fabrikakts kurz zu erwähnen.

Abgesehn von ihrer Redaktion, welche dem kapitalisten ihre Umgehung erleichtert, sind die Gesundheitsklau-seln äußerst mager, in der Tat beschränkt auf Vorschriften für Weißen der Wände und einege sonstige Rein-lichkeitsmaßregeln, Ventialtion und Schutz gegen gefährliche Maschinerie. Wie kommen im Dritten Buch auf den fanatischen Kampf der Fabrikanten gegen die Klausel zurück, die ihnen eine geringe Ausgabe zum Schutz der Gliedmaßen ihrer "Hände" aufoktroyiert. Hier bewährt sich wieder glänzend das Freihandelsdog-ma, daß in einer Gesellschaft antogonistischer Interessen jeder das Gemeinwohl durch Verfolgung seines Eigennutzes fördert. Ein Beispiel genügt. Man weiß, daß sich während der letztverfloßnen zwanzigjährigen Periode die Flachsindustrie und mit ihr die scutching mills (Fabriken zum Schlagen und Brechen des Flachses) in Irland sehr vermehrt haben. Es gab dort 1864 an 1800 dieser mills. Periodisch im Herbst und Winter werden hauptsächlich junge Personen und Weiber, die Söhne, Töchter und Frauen der benachbarten kleinen Pächter, lauter mit Maschineir ganz unbekannte Leute, von der Feldarbeit weggeholt, um die Walzwerke der scutching mills mit Flachs zu füttern. Die Unfälle sind nach Umfang und Intensität gänzlich beispiellos in der Geschichte der Maschinerie. Eine einzige scutching mill zu Kildinan (bei Cork) zählte von 1852 bis 1856

sechs Todesfälle und 60 schwere Verstümmlungen, welchen allen durch die einfachsten Anstalten, zum Preis von wenigen Schillingen, vorgebeugt werden konnte. Dr. W. White, der certifying surgeon der Fabriken zu Downpatrick, erklärt in einem offiziellen Bericht von 16. Dezember 1865:

"Die Unfälle in scutching mills sind furchtbarster Art. In vielen Fällen wird ein Vierteil des Körpers vom Rumpfe gerissen. Tod oder eine Zukunft elenden Unvermögens und Leidens sind gewöhnliche Folgen der Wunden. Die Zunahme der Fabriken in diesem Lande wird natürlich diese schauderhaf-ten Resultate ausdehne. Ich bin überzeugt, daß durch geeignete Staatsüberwachung der scutching mills große Opfer von Leib und Leben zu vermeiden sind."[294]

Was könnte die kapitalistische Produktionsweise besser charakterisieren als die Notwendigkeit, ihr durch Zwangsgesetz von Staats wegen die einfachsten Reinlichkeits- und Gesundheitsvorrichtungen aufzuherrschen?

[294] l.c. p.XV, n.72sqq.

{506}

"Der Fabrikakt von 1864 hat in den Töpfereien über 200 Werkstätten geweißt und gereinigt, nach zwanzigjähriger oder gänzlicher Enthaltung von jeder solchen Operation" (dies ist die "Abstinenz"

des Kapitals!), "in Plätzen, wo 27878 Arbeiter beschäftigt sind und bisher, während übermäßiger Tages-, oft Nachtarbeit, eine mefitische Atmosphäre einatmeten, welche eine sonst vergleichungsweis harmlose Beschäftigung mit Krankheit und Tod schwängerte. Der Akt hat die Ventilationsmittel sehr vermehrt."[295]

Zugleich zeigt dieser Zweig des Fabrikakts schlagend, wie die kapitalistische Produktionsweise ihrem Wesen nach über einen gewissen Punkt hinaus jede rationelle Verbeßrung anuschließt. Es ward wiederholt bemerkt, daß die englischen Ärzte aus einem Munde 500 Kubikfuß Luftraum per Person für kaum genügendes Minimum bei fortgesetzter Arbeit erklären. Nun wohl! Wenn der Fabrikakt indirekt durch alle seine Zwangsmaß-

regeln die Verwandlung kleinerer Werkstätten in Fabriken beschleunigt, daher indirekt in das Eigentumsrecht der kleineren Kapitalisten eingreift und den großen das Monopol sichert, so würde die gesetzliche Aufherr-schung des nötigen Luftraums für jeden Arbeiter in der Werkstätte Tausende von kleinen Kapitalisten mit einem Schlag direkt expropriieren! Sie würde die Wurzel der kapitalistischen Produktionsweise angreifen, d.h.

die Selbstverwertung des Kapitals, ob groß oder klein, durch "freien" Ankauf und Konsum der Arbeitskraft.

Vor diesen 500 Kubikfuß Luft geht daher der Fabrikgesetzgebung der Atem aus. Die Gesundheitsbehöden, die industriellen Untersuchungskommissionen, die Fabrikinspektoren wiederholen wieder und wieder die 298

DAS KAPITAL

Notwendigkeit der 500 Kubikfußund die Unmöglichkeit, sie dem Kapital aufzuoktroyieren. Sie erklären so in der Tat Schwindsucht und andre Lungenkrankheiten der Arbeit für eine Lebensbedingung des Kapitals.[296]

Armselig, wie die Erziehungsklauseln des Fabrikakts im ganzen erscheinen, proklamieren sie den Elementarunterricht als Zwangsbedingung

[295] "Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p.127.

[296] Man hat erfahrungsmäßig gefunden, daß ungefähr 25 Kubikzoll Luft bei jeder Atmung mittlerer Intensität von einem gesunden Durchschnittsindividuum konsumiert werden, und ungefähr 20

Atmungen per Minute vorgehen. Der Luftkonsum eines Individuums in 24 Stunden ergäbe danach ungefähr 720000 Kubikzoll oder 416 Kubikfuß. Man weiß aber, daß einmal eingeatmete Luft nicht mehr zu demselben Prozeß dienen kann, bevor sie in der großen Werkstätte der Natur gereinigt wird.

Nach den Experimenten von Valentin und Brunner scheint ein gesunder Mann ungefähr 1300 Kubikzoll Kohlensäure per Stunde auszuatmen; dies ergäbe ungefähr 8 Unzen solider Kohle, von der Lunge in 24 Stunden abgeworfen. "Jeder Mann sollte wenigstens 800 Kubikfuß haben." (Huxley.)

{507}

der Arbeit.[297] Ihr Erlolg bewies zuerst die Möglichkeit der Verbindung von Unterricht und Gymnastik[298]

mit Handarbeit, also auch von Handarbeit mit Unterricht und Gymnastik. Die Fabrikinspektoren entdeckten bald aus den Zeugenverhören der Schulmeister, daß die Fabrikkinder, obgleich sie nur halb soviel Unterricht genießen als die regelmäßigen Tagesschüler, ebensoviel und oft mehr lernen.

"Die Sache ist einfach. Diejenigen, die sich nur einen halben Tag in der Schule aufhalten, sind stets frisch und fast immer fähig und willig, Unterricht zu empfangen. Das System halber Arbeit und halber Schule macht jede der beiden Beschäftigungen zur Ausruhung und Erholung von der andren und folglich viel angemeßner für das Kind als die ununterbrochne Fortdauer einer von beiden. Ein Junge, der von morgens früh in der Schule sitzt, und nun gar bei heißem Wetter, kann unmöglich mit einem andren wetteifern, der munter und aufgeweckt von seiner Arbeit kommt."[299]

Weitere Belege findet man in Seniors Rede auf dem soziologischen Kongreß zu Edinburgh 1863. Er zeigt hier auch u.a. noch, wie der einseitige unproduktive und velängerte Schultag der Kinder der höhern und mittlern Klassen die Arbeit der Lehrer nutzlos vermehrt, "während er Zeit, Gesundheit und Energie der Kinder nicht nur fruchtlos, sondern absolut schädlich verwüstet"[300]. Aus dem Fabrisystem, wie man im Detail bei Robert Owen

[297] Nach dem englischen Fabrikakt können die Eltern Kinder unter 14 Jahren nicht in die "kontrollierten" Fabriken schicken, ohne ihnen zugleich Elementarunterricht erteilen zu lassen. Der Fabrikant ist verantwortlich für die Befolgung des Gesetzes. "Fabrikunterricht ist obligatorisch, und er gehört zu den Arbeitsbedingungen." ("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p.111.)

[298] Über die vorteilhaftesten Erfolge der Verbindung von Gymnastik (für Jungen auch militärischer Exerzitien) mit Zwangsunterricht der Fabrikkinder und Armenschüler sieh die Rede von N. W.

Senior im 7. jährlichen Kongreß der "National Association for the Promotion of Social Science" in

"Report of Proceedings etc.", Lond. 1863, p.63, 64, ebenso den Bericht der Fabrikinspektoren für 31.

Okt. 1865, p.118, 119, 120, 126sqq.

[299] "Reports of Insp. of Fact.", l.c. p.118, 119. Ein naiver Seidenfabrikant erklärt den Untersuchungskommissären der "Child. Empl. Comm.": "Ich durchaus überzeugt, daß das wahre Geheimnis der Produktion tüchtiger Arbeiter gefunden ist in der Vereinigung der Arbeit mit Unterricht von der Periode der Kindheit an. Natürlich muß die Arbeit weder zu anstrengend noch widerlich und ungesund sein. Ich wünschte, meine eignen Kinder hätten Arbeit und Spiel zur Abwechslung de Schule."

("Child. Empl. Comm., V. Rep.", p.82, n.36.)

[300] Senior, l.c. p.66. Wie die große Industrie auf einem gewissen Höhegrad durch die Umwälzung der materiellen Produktionsweise und der gesellschaftlichen Produk-

{508}

verfolgen kann, entsproß der Keim der Erziehung der Zukunft, welcher für alle Kinder über einem gewissen Alter produktive Arbeit mit Unterricht und Gymnastik verbinden wird, nicht nur als eine methode zur Steigerung der gesellschaftlichen Produktion, sondern als die einzige Methode zur Produktion vollseitig entwickelter Menschen.

299

DAS KAPITAL

Man hat gesehn, daß die große Industrie die manufakturmäßige Teilung der Arbeit mit ihrer lebenslänglichen Annexion eines ganzen Menschen an eine Detailoperation technisch aufhebt, während zugleich die kapitalistische Form der großen Industrie jene Arbeitsteilung noch monströser reproduziert, in der eigentlichen Fabrik durch Verwandlung des Arbeiters in den selbstbewußten Zubehör einer Teilmaschine, überall sonst teils durch sporadischen Gebrauch der Maschinen und der Maschinenarbeit[301], teils durch Einführung von Weiber-, Kinder- und ungeschickter Arbeit als neuer Grundlage der Arbeitsteilng. Der Widerspruch zwischen der manufkturmäßigen Teilung der Arbeit und dem Wesen der großen Industrie macht sich gewaltsam geltend. Er erscheint u.a. in der furchtbaren Tatsache, daß ein großer Teil der in den modernen Fabriken und Manufakturen beschäftigten Kinder, vom zartesten Alter festgeschmiedet an die einfachsten Manipulationen, jahrelang exploitiert wird, ohne Er-tionverhältnisse auch die Köpfe umwälzt, zeigt schlagend ein Vergleich zwischen der Rede des N. W.

Senior von 1863 und seiner Philippika gegen das Fabrikgesetz von 1833 oder ein Vergleich der Ansichten des erwähnten Kongresses mit der Tatsache, daß es in gewissen ländlichen Teilen Englands armen Eltern immer noch bei Strafe des Hungertods verboten ist, ihre Kinder zu erziehen. So z.B.

berichtet Herr Snell als gewöhnliche Praxis in Somersetshire, daß, wenn eine arme Person Pfarreihilfe anspricht, sie gezwungen wird, ihre Kinder aus der Schule zu nehmen. So erzählt Herr Wollaston, Pfarrer zu Feltham, von Fällen, wo alle Unterstützung gewissen Familien versagt wurde, "weil sie ihre Jungen zur Schule schickten"!

[301] Wo handwerksmäßige Maschinen, durch Menschenkraft getrieben, direkt oder indirekt mit entwickelter und daher mechanische Triebkraft voraussetzender Maschinerie konkurrieren, geht eine große Umwandlung vor mit Bezug auf den Arbeiter, der die Maschine treibt. Ursprünglich ersetzte die Dampfmaschine diesen Arbeiter, jetzt soll er die Dampfmaschine ersetzen. Die Spannung und Verausgabung seiner Arbeitskraft wird daher monströs, und nun gar für Unerwachsne, die zu dieser Tortur verurteil sind! So fand der Kommissär Longe in Coventry und Umgebung Jungen von 10 bis 15 Jahren zum Drehn der Bandstühle verwandt, abgesehn von jüngeren Kindern, die Stühle von kleinerer Kimension zu drehn hatten. "Es ist außerordentlich mühsame Arbeit. Der Junge ist ein bloßer für Dampfkraft." ("Child. Empl. Comm., V. Rep. 1866", p.114, n.6.) Über die mörderischen Folgen "diese Systems der Sklaverei", wie der offizielle Bericht es nennt, l.c. sq.

{509}

lernung irgendeiner Arbeit, die sie später auch nur in derselben Manufaktur oder Fabrik brauchbar machte. In den englischen Buchdruckereien z.B. fand früher ein dem System der alten Manufaktur und des handwerks entsprechender Übergang der Lehrlinge von leichtren zu inhaltsvollren Arbeiten statt. Sie machten einen Lerngang durch, bis sie fertige Drucker waren. Lesen und schreiben zu können war für alle ein handwerkser-fordernis. Alles das änderte sich mit der Druckmaschine. Sie verwendet zwei Sorten von Arbeitern, einen erwachsnen Arbeiter, den Maschinenaufseher, und Maschinenjungen, meist von 11-17 Jahren, deren Geschäft ausschließlich darin besteht, einen Bogen Papier der Maschine zu unterbreiten oder ihr den gedruckten Bogen zu entziehen. Sie verrichten, in London namentlich, diese Plackerei 14, 15, 16 Stunden ununterbrochen während einiger Tage in der Woche und oft 36 Stunden nacheinander mit nur zwei Stunden Rast für Mahlzeit und Schlaf![302] Ein großer Teil von ihnen kann nicht lesen, und sie sind in der Regel ganz verwilderte, abnorme Geschöpfe.

"Um sie zu ihrem Werk zu befähigen, ist keine intellektuelle Ziehung irgendeiner Art nötig; sie haben wenig Gelegenheit für Geschick und noch weniger für Urteil; ihr Lohn, obgleich gewissermaßen hoch für Jungen, wächst nicht verhältnismäßig, wie sie selbst heranwachsen, und die große Mehrzahl hat keine Aussicht auf den einträglicheren und verantwortlicheren Posten des Maschinenaufsehers, weil auf jede Maschine nur ein Aufseher und oft 4 Jungen kommen."[303]

Sobald sie zu alt für ihre kindische Arbeit werden, also wenigstens im 17. Jahr, entläßt man sie aus der Druk-kerei. Sie werden Rekruten des Verbrechens. Einige Versuche, ihnen anderswo Beschäftigung zu verschaffen, scheiterten an ihrer Unwissenheit, Roheit, körperlichen und geistigen Verkommenheit.

Was von der manufakturmäßigen Teilung der Arbeit im Innern der Werkstatt, gilt von der Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft. Solange Handwerk und Manufaktur die allgemeine Grundlage der gesellschaftlichen Produktion bilden, ist die Subsumtion des Produzenten unter einen ausschließlichen Produktionszweig, die Zerreißung der ursprünglichen Mannigfaltigkeit seiner Beschäftigungen[304], ein notwendiges Ent-300

DAS KAPITAL

[302] l.c. p.3, n.24.

[303] l.c. p.7, n.60.

[304] "In einigen Teilen von Hochschottland ... erschienen viele Schafhirten und cotters[1*] mit Frau und Kind, nach dem Statistical Account, in Schuhen, die sie selbst gemacht aus Leder, das sie selbst gegerbt, in Kleidern, die keine Hand außer ihrer eig-

[1*] Häusler

{510}

wicklungsmoment. Auf jener Grundlage findet jeder besondre Produktionszweig empirisch die ihm entsprechende technische Gestalt, vervollkommnet sie langsam und kristallisiert sie rasch, sobald ein gewisser Reifegrad erlang ist. Was hier und da Wechsel hervorruft, ist außer neuem Arbeitsstoff, den der handel liefert, die allmähliche Änderung des Arbeitsinstruments. Die erfahrungsmäßig entsprechende Form einmal gewonnen, verknöchert auch es, wie sein oft jahrtausendlanger Übergang aus der Hand einer Generation in die der andren beweist. Es ist charakteristisch, daß bis ins 18. Jahrhundert hinein die besondren Gewerke mysteries (my-stères)[305] hießen, in deren Dunkel nur der empirisch und professionell Eingeweihte eindringen konnte. Die große Industrie zerriß den Schleier, der den Menschen ihren eignen gesellschaftlichen Produktionsprozeß versteckte und die verschiednen naturwüchsig besonderten Produktionszweige gegeneinander und sogar dem in jedem Zweig Eingeweihten zu Rätseln machte. Ihr Prinzip, jeden Produktionsprozeß, an und für sich und zunächst ohne alle Rücksicht auf die menschliche Hand, in seine konstituierenden Elemente aufzulösen, schuf die ganz moderne Wissenschaft der Technologie. Die buntscheckigen, scheinbar zusammenhangslosen und verknöckerten Gestalten des gesellschaftlichen Produktionsprozesses lösten sich auf in bewußt planmä-

ßige und je nach dem bezweckten Nutzeffekt systematisch besonderte Anwendungen der Naturwissenschaft.

Die Technologie entdeckte ebenso die wenigen großen Grundformen der Bewegung, worin alles produktive Tun des menschlichen Körpers, trotz aller Mannigfaltigkeit der angewandten Instrumente, notwendig vorgeht, ganz so wie die Mechanik durch die größte Komplikation der Maschinerie sich über die beständige Wiederholung der einfachen mechanischen Potenzen nicht täuschen läßt. Die moderne Industrie betrachtet und behandelt die vorhandne Form eines

nen angetastet, deren Material sie selbst von den Schafen geschoren oder wofür sie den Flachs selbst gebaut hatten. In die Zubereitung der Kleider ging kaum irgendein gekaufter Artikel ein, mit Ausnahme von Pfrieme, Hadel, Fingerhut und sehr wenigen Teilen des im Weben angewandten Eisenwerks. Die Farben wurden von den Weibern selbst von Bäumen, Gesträuchen und Kräutern gewonnen usw." (Dugald Stewart, "Works", ed. Hamilton, vol.VIII, p.327-328.)

[305] In dem berühmten "Livre des métiers" des Etienne Boileau wird unter andrem vorgeschrieben, daß ein Geselle bei seiner Aufnahme unter die Meister einen Eid leiste, "seine Brüder brüderlich zu lieben, sie zu stützen, jeder in seinem métier, nicht freiwillig die Gewerksgeheimnisse zu verraten und sogar im Interesse der Gesamtheit nicht zur Empfehlung seiner eignen Ware den Käufer auf die Fehler des Machwerks von andren aufmerksam zu machen".

{511}

Produktionsprozesses nie als definitiv. Ihre technishe Basis ist daher revolutionär, während die aller früheren Produktionsweisen wesentlich konservativ war.[306] Durch Maschinerie, chemische Prozesse und andre Methoden wälzt sie beständig mit der technischen Grundlage der Produktion die Funktionen der Arbeiter und die gesellschaftlichen Kombinationen des Arbeitsprozesses um. Sie revolutioniert damit ebenso beständig die Teilung der Arbeit im Innern der Gesellschaft und schleudert unaufhörlich Kapitalmassen und Arbeitermassen aus einem Produktionszweig in den andern. Die Natur der großen Industrie bedingt daher Wechsel der Arbeit, Fluß der Funktion, allseitige Beweglichkeit des Arbeiters. Andrerseits reproduziert sie in ihrer kapitalistischen Form die alte Teilung der Arbeit mit ihren knöchernen Partikularitären. Man hat gesehn, wie dieser absolute Widerspruch alle Ruhe, Festigkeit, Sicherheit der Lebenslage des Arbeiters aufhebt, ihm mit dem Arbeitsmittel beständig das Lebesmittel aus der Hand zu schlagen[307] und mit seiner Teilfunktion ihn selbst überflüssig zu machen droht; wie dieser Widerspruch im ununterbrochnen Opferfest der Arbeiterklasse, maßlosester Vergeudung der Arbeitskräft und den Verheerungen gesellschaftlicher Anarchie sich aus-tobt. Dies ist die negative Seite. Wenn aber der Wechsel der Arbeit sich jetzt nur als überwältigendes Naturgesetz und mit der blind zerstörenden Wirkung eines Naturgesetzes durchsetzt, das überall auf Hindernisse stößt[308], macht die große Industrie durch ihre

301

DAS KAPITAL

[306] "Die Bourgeoisie kann nicht existieren, ohne die Produktionsinstrumente, also die Produktionsverhältnisse, also sämtliche gesellschaftlichen Verhältnisse fortwährend zu revolutionieren. Unveränderte Beibehaltung der alten Produktionsweise war dagegen die erste Existenzbedingung aller früheren industriellen Klassen. Die fortwährend Umwälzung der Produktion, die ununterbrochene Erschütterung aller gesellschaftlichen Zustände, die ewige Unsicherheit und Bewegung zeichnen die Bourgeoisepoche vor allen früheren aus. Alle festen, eingerosteten Verhältnisse mit ihrem Gefolge von altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen werden aufgelöst, alle neugebildeten veralten, ehe sie veknöchern können. Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellungen, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehn." (F. Engels und Karl Marx, "Manifest der Kommunistischen Partei", Lond. 1848, p.5[1*])

[307] "Ihr nehmt mein Leben,

Wenn ihr die Mittel nehmt, wodurch ich lebe." (Shakespeare)

[308] Ein französischer Arbeiter schreibt bei seiner Rückkehr von San Franzisko: "Ich hätte nie geglaubt, daß ich fähig wäre, alle die Gewerbe auszuüben, die ich in Kalifornien betrieben habe. Ich war fest überzeugt, daß ich außer zur Buchdruckerei

[1*] Siehe Band 4 unserer Ausgabe, S.465

{512}

Katastrophen selbst es zur Farge von Leben oder Tod, den Wechsel der Arbeiten und daher möglichste Vielseitigkeit der Arbeiter als allgemeines gesellschaftliches Produktionsgesetz anzuerkennen und seiner normalen Verwirklichung die Verhältnisse anzupassen. Sie macht es zu einer Frage von Leben oder Tod, die Ungeheuerlichkeit einer elenden, für das wechselne Exploitationsbedürfnis des Kapitals in Reserve gehaltenen, disponiblen Arbeiterbevölkerung zu ersetzen durch die absolute Disponibilität des Menschen für wechselnde Ar-beitserfordernisse; das Teilindividuum, den bloßen Träger einer gesellschaftlichen Detailfunktion, durch das total entwickelte Individuum, für welches verschiedne gesellschaftliche Funktionen einander ablösende Betä-

tigungsweisen sind. Ein auf Grundlage der großen Industrie naturwüchsig entwickeltes Moment dieses Um-wälzungsprozesses sind polytechnische und agronomische Schulen, ein andres sind die "écoles d'enseignement professionnel"[1*], worin die Kinder der Arbeiter einigen Unterricht in der Technologie und prokti-schen Handhabe der verschiednen Produktionsinstrumente erhalten. Wenn die Fabrikgesetzgebung als erste, dem kapital notdürftig abgerungene Konzession nur Elementarunterricht mit fabrikmäßiger Arbeit verbindet, unterliegt es keinem Zweifel, daß die unvermeidliche Eroberung der politischen Gewalt durch die Arbeiterklasse auch dem technologischen Unterricht, thoretisch und praktisch, seinen Platz in den Arbeiterschulen erobern wird. Es unterliegt ebensowenig einem Zweifel, daß die kapitalistische Form der Produktion und die ihr entsprechenden ökonomischen Arbeiterverhältnisse im diametralsten Widerspruch stehn mit solchen Umwälzungsfermenten und ihrem Ziel, der Aufhebung der alten Teilung der Arbeit. Die Entwicklung der Widersprüche einer geschichtlichen Produktionsform ist jedoch der einzig geschichtliche Weg ihrer Auflö-

sung und Neugestaltung. "Ne sutor ultra crepidam"!, die nec plus ultra[2*] handwerksmäßiger Weisheit, wurde zur furchtbaren Narrheit von dem Moment, wo der Uhrmacher Watt die

zu nichts gut sei ... Einmal in der Mitte dieser Welt von Abenteurern, welche ihr Handwerk leichter wechseln als ihr Hemde, meiner Treu! ich tat wie die andren. Da das Geschäft der Minenarbeit sich nicht einträglich genug auswies, verließ ich es und zog in die Stadt, wo ich der Reihe nach Typograph, Dachdecker, Bleigießer usw. wirde. Infolge dieser Erfahrung, zu allen Arbeiten tauglich zu sein, fühle ich mich weniger als Molluske und mehr als Mensch." (A. Corbon, "Der l'enseignement professionnel", 2ème éd. p.50.)

[1*] "Berufsschullen" – [2*] dieser Gipfel

{513}

Dampfmaschine, der Barbier Arkwright den Kettenstuhl, der Juwelierarbeiter Fulton das Dampfschiff erfunden hatte.[309]

Soweit die Fabrikgesetzgebung die Arbeit in Fabriken, Manufakturen usw. reguliert, erscheint dies zunächst nur als Einmischung in die Exploitationsrechte des Kapitals. Jede Regulation der sog. hausarbeit[310] stellt sich dagegen sofort als direkter Eingriff in die patria potestas[2*] dar, d.h. modern interpretiert, in die elterl i-302

DAS KAPITAL

che Autorität, ein Schritt, wovor das zartfühlende englische Parlament lang zurückzubeben affektierte. Die Gewalt der Tatsachen zwang jedoch, endlich anzuerkennen, daß die große Industrie mit der ökonomischen Grundlage des alten Familienwesens und der ihr entsprechenden Familienarbeit auch die alten Familienver-hältnisse selbst auflöst. Das Recht der Kinder mußte proklamiert werden.

"Unglücklicherweise", heißen es im Schlußbericht der "Child. Empl. Comm." von 1866, "leuchtet aus der Gesamtheit der Zeugenaussagen hervor, daß die kinder beiderlei Geschlechts gegen niemand so sehr des Schutzes bedürfen als gegen ihre Eltern." Das System der maßlosen Exploitation der Kinderarbeit überhaupt und der Hausarbeit im besonderen wird dadurch "erhalten, daß die Eltern über ihre jungen und zarten Sprößlinge eine willkürliche und heillose Gewalt ohne Zügel oder kontrolle ausüben... Eltern dürfen nicht die absolute Macht besitzen, ihre Kinder zu reinen Maschinen zu machen, um soundso viel wöchentlichen Lohn herauszuschlagen... Kinder und junge Personen haben ein Recht auf den Schutz der Legislatur wider den Mißbrauch der

[309] John Bellers, ein wahres Phänomen in der Geschichte der politischen Ökonomie, begriff schon Ende des 17. Jahrhunderts mit vollster Klarheit die notwendige Aufhebung der jetzigen Erziehung und Arbeitseinteilung, welche Hypertrophie und Atrophie auf beiden Extremen der Gesellschaft, wenn auch in entgegengesetzter Reichtung, erzeugen. Er sagt u.a. schön: "Müßig Lernen ist wenig besser als das Lernen von Müßiggang... Körperliche Arbeit hat Gott selbst ursprünglich eingerichtet... Arbeit ist so notwendig für die Gesundheit des Körpers, wie Essen für sein Leben; denn die Schmerzen, welche man sich durch Müßiggang erspart, wird man durch Krankheit bekommen... Arbeit tut Öl auf die Lampe des Lebens, Denken aber entzünget sie... Eine kindisch dumme Beschäftigung" (dies ahnungsvoll gegen die Basedows und ihre modernen Nachstümper) "läßt den Geist der Kinder dumm." ("Proposals for raising a Colledge of Industry of all useful Trades and Husbandry", Lond. 1696, p.12, 14, 16, 18.)

[310] Diese geht übrigens großenteils auch in kleineren Werkstätten vor, wie wir gesehn bei der Spitzenmanufaktur und Strohflechterei[1*], und wie namentlich auch an den Metallmanufakturen in Sheffield, Birmingham usw. ausführlicher gezeigt werden könnte.

[1*] Siehe vorl. Band, S.490-493 – [2*] väterliche Gewalt

{514}

elterlichen Gewalt, der ihre physische Kraft vorzeitig bricht und sie degradiert auf der Staffel moralischer und intellektueller Wesen."[311]

Es ist jedoch nicht der Mißbrauch der elterlichen Gewalt, der die direkt oder indirekte Exploitation unreifer Arbeitskräfte durch das Kapital schuf, sondern es ist umgekehrt die kapitalistische Exploitationsweise, welche die elterliche Gewalt, durch Aufhebung der ihr entsprechenden ökonomischen Grundlage, zu einem Miß-

brauch gemacht hat. So furchtbar und ekelhaft nun die Auflösung des alten Famileinwesens innerhalb des kapitalistischen Systems erscheint, so schafft nichtsdestoweniger die große Industrie mit der entscheidenden Rolle, die sie den Weibern, jungen Personen und Kindern beiderlei Geschlechts in gesellschaftlich organisierten Produktionsprozessen jenseits der Sphäre des Hauswesens zuseist, die neue ökonomische Grundlage für eine höhere Form der Familie und des Verhältnisses beider Geschlechter. Es ist natürlich ebenso allbern, die christlich germanischer Form der Familie für absolut zu halten als die atrömische Form, oder die altgrie-chische, oder die orientlalische, die übrigens untereinander eine geschichtliche Entwicklungsreihe bilden.

Ebenso leuchtet ein, daß die Zusammensetzung des kombinierten Arbeitspersonals aus Individuen bieiderlei Geschlechts und der verschiedensten Altersstufen, obgleich in ihrer naturwürchsig brutalen, kapitalistischen Form, wo der Arbeiter für den Produktionsprozeß, nicht der Produktionsprozeß für den Arbeiter da ist, Pestquelle des Verderbs und der Sklaverei, unter entsprechenden Verhältnissen umgekehrt zur Quelle humaner Entwicklung umschlagen muß.[312]

Die Notwendigkeit, das Fabrikgesetz aus einem Ausnahmegesetz für Spinnereien und Webereien, diese ersten Gebilde des Maschinenbetriebs, in ein Gesetz aller gesellschaftlichen Produktion zu verallgemeinern, entspringt, wie man sah, aus dem geschichtlichen Entwicklungsgang der großen Industrie, auf deren Hintergrund die überlieferte Gestalt von Manufaktur, Handwerk und hausarbeit gänzlich umgewälzt wird, die Manufaktur beständig in die Fabrik, das Handwerk beständig in die Manufaktur umschlägt und endlich die Sphären des 303

DAS KAPITAL

Handwerks und der Hausarbeit sich in relativ wunderbar kurzer Zeit zu Jammerhöhlen gestalten, wo die tollsten Ungeheuerlichkeiten der kapitalistischen Exploitation ihr freies

[311] "Child. Empl. Comm., V. Rep.", p.XXV, n.162 und II. Rep., p.XXXVIII, n.285, 289, p.XXV, XXVI, n.191.

[312] "Fabrikarbeit kann genauso rein und vortrefflich sein wie Hausarbeit, ja vielleicht noch mehr."

("Reports of Insp. of Fact., 31st Oct. 1865", p.129.)

{515}

Spiel treiben. Es sind zwei Umstände, welche zuletzt den Ausschlag geben, erstens die stets neu wiederholte Erfahrung, daß das Kapital, sobald es der Staatskontrolle nur auf einzelnen Punkten der gesellschaftlichen Peripherie anheimfällt, sich um so maßloser auf den andern Punkten entschädigt[313], zweitens der Schrei der Kapitalisten selbst nach Gleichheit der Konkurrenzbedingungen, d.h. gleichen Schranken der Arbeitsexploi-tation.[314] Hören wir hierüber zwei Herzensstöße. Die Herrn W. Cooksley (Nagel-, Ketten- usw. Fabrikanten zu Bristol) führten die Fabrikregulation freiwillig in ihrem Geschäft ein.

"Da das alte, unregelmäßige System in den benachbarten Werken fortdauert, sind sie der Unbill ausgesetzt, ihre Arbeitsjungen zur Fortsetzung der Arbeit anderswo nach 6 Uhr abends verlockt (enticed) zu sein. "Dies", sagen sie natürlich, "ist eine Ungerechtigkeit gegen uns und ein Verlust, das es einen Teil der Kraft der Jungen erschöpft, deren voller Vorteil uns gebührt.""[315]

Herr J. Simpson (Paper-Box Bag maker[1*], London) erklärt den Kommissären der "Children Empl.

Comm.":

"Er wolle jede Petition für Einführung der Fabrikakte unterzeichnen. Wie es sei, fühle er sich stets rastlos des Nachts (he always felt restless at night), nach Schluß seiner Werkstatt, bei dem Gedanken, daß andre länger arbeiten ließen und ihm Aufträge vor der Nase wegschnappten."[316] "Es wäre ein Unrecht", sagt die "Child. Empl. Comm." zusammenfassend, "gegen die größren Arbeitsanwender, ihre Fabriken der Regulation zu unterwerfen, während in ihrem eignen Geschäftszweig der Kleinbetrieb keiner gesetzlichen Beschränkung der Arbeitszeit unterliegt. Zur Ungerechtigkeit ungleicher Konkurrenzbedingungen in bezug auf die Arbeitsstunden bei Ausnahme kleinerer Werkstätten käme noch der andre Nachteil für die größren Fabrikanten hinzu, daß ihre Zufuhr von jugendlicher und weiblicher Arbeit abgelenkt würde nach den vom Gesetz verschonten Werkstätten. Endlich gäbe dies Anstoß zur Vermehrung der kleineren Werkstätten, die fast ausnahmslos die mindest die mindest günstigen für Gesundheit, Komfort, Erziehung und allgemeine Verbesserung des Volks sind."[317]

[313] l.c. p.27, 32.

[314] Massenhafte Belege dazu in den "Rep. of Insp. of Fact.".

[315] "Child. Empl. Comm., V. Rep.", p.X, n.35.

[316] l.c. p.IX, n.28.

[317] l.c. p.XXV, n.165-167. Vgl. über die Vorzüge des Großbetriebes verglichen mit dem Zwergbe-trieb "Child. Empl. Comm., III. Rep.", p.13, n.144; p.25, n.121; p.26, n.125; p.27, n.140 usw.

[1*] Kartonagenfabrikant

{516}

In ihrem Schlußbericht schlägt die "Children's Employment Commission" vor, über 1400000 kinder, junge Personen und Weiber, wovon ungefähr die Hälfte vom Kleinbetrieb und der Hausarbeit exploitiert wird, dem Fabrikakt zu unterwerfen.[318]

"Sollte", sagt sie, "das Parlament unsren Vorschlag in seinem ganen Umfang annehmen, so ist es zweifellos, daß solche Gesetzgebung den wohltätigsten Einfluß ausüben werde, nicht nur auf die Jungen und Schwachen, mit denen sie sich zunächst beschäftigt, sondern auf die noch größre Masse von erwachsnen Arbeitern, die direkt" (Weiber) "und indirekt" (Männer) "unter ihren Wirkungskreis fallen. Sie würde ihnen regelmäßige und ermäßigte Arbeitsstunden aufzwingen; sie würde den Vorrat physischer Kraft, wovon ihr eignes Wohlergehen und das des Landes so sehr abhängt, haushalten und häufen; sie würde die aufsprossende Generation vor der Überanstrengung in frühem Alter schützen, welche ihre Konstitution untergräbt und zu vorzeitigem Verfall führt; sie würde schlließ-

304

DAS KAPITAL

lich, wenigstens bis zum 13. Jahr, die Gelegenheit des Elementarunterrichts bieten und damit der unglaubliche Unwissenheit ein Ende machen, die so treu in den Kommissionaberichten geschildert ist und nur mit qualvollster Empfindung und dem tiefen Gefühl nationaler Erniedrigung betrachtet werden kann."[319]

Das Toryministerium kündigte in der Thronrede vom 5. Februar 1867 an, daß es die Vorschläge[319a] der industriellen Untersuchungskommission

[318] Die zu maßregelnden Industriezweige sind: Spitzenmanufaktur, Strumpfwirkerei, Strohflechten, Manufaktur von Wearing Apparel mit ihren zahreichen Arten, künstliche Blumenmacherei, Schuh-, Hut- und Handschuhmacherei, Schneiderei, alle Metallfabriken, von den Hochöfen bis zu den Na-delfabriken usw., Papierfabrik, Glasmanufaktur, Tabaksmanufaktur, India-Rubber[1*] Werke, Litzen-fabrikation (für die Weberei), Handteppich-Weberei, Regenschirm- und Parasolmanufaktur, Fabrikation von Spindeln und Spulen, Buchdrukerei, Buchbindeerei, Schreibmaterialienhandel (Stationery, dazu gehörig Verfertigung von Pappierschachteln, Karten, Papierfärben usw.), Seilerei, Manufaktur von Gagatschmuck, Ziegeleien, hand-Seidenmanufaktur, Coventry-Weberei, Salz-, Talglicht- und Zementierwerke, Zuckerraffinerie, Zwiebackmachen, verschiedne Holz- und andre vermischte Arbeiten.

[319] l.c. p.XXV, n.169.

[319a] Der Factory Acts Extension Act[2*] ging durch 12. August 1867. Er reguliert alle Metall-Gießereien, -Schmieden und -Manufakturen, mit Einschluß der Maschinenfabriken, ferner Glas-, Papier-, Guttapercha-, Kautschuk-, Tabakmanufakturen, Buchddruckereien, Buchbindereien, endlich sämtliche Werkstätten, worin mehr als 50 Personen beschäftigt sind. – Der Hours of Labour Regulation Act[3*], passiert 17. August 1867, reguliert die kleinern Werkstätten und die sog. Hausarbeit. –

Ich

[1*] Gummi – [2*] Das Gesetz zur Ausdehnung der Fabrikgesetze – [3*] Das Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit

{317}

in "Bills" formuliert habe. Dazu hatte es eines neuen zwanzigjährigen Experimentum in corpore vili[2*] bedurft. Bereits im Jahre 1840 war eine parlamentarische Kommission zur Unterscuhung über Kinderarbeit ernannt worden. Ihr Bericht von 1842 entrollte nach den Worten N. W. Seniors

"das furchtbarste Gemälde von Habsucht, Selbstsucht und Grausamkeit der Kapitalisten und Eltern, von Elend, Degradation Zerstörung der Kinder und jungen Personen, das jemals das Auge der Welt schlug... Man wähnt vielleicht, der Bericht beschreibe die Greuel eines vergangnen Zeitalters. Leider aber liegen Berichte vor, daß diese Greuel fortdauern, so intensiv wie je. Eine vor zwei Jahren von Hardwicke veröffentlichte Broschüre erklärt, die 1842 gerügten Mißbräuche stehen heutzutage"

(1863) "in volle Blütte... Dieser Bericht" (von 1842) "lag unbeachtet zwanzig Jahre lang, während deren man jenen Kindern, herangewachsen ohne die geringste Ahnung weder von dem, was wir Moral nennen, noch von Schulbildung, Religion oder natürlicher Familienliebe – diesen Kindern erlaubte man, die Eltern der jetzigen Generation zu werden."[320]

Inzwischen hatte die gesellschaftliche Lage sich geändert. Das Parlament wagte nicht, die Forderungen der Kommission von 1863 ebenso zurückzuweisen wie seinerzeit die von 1842. Daher wurden schon 1864, als die Kommission erst einen Teil ihrer Berichte veröffentlicht hatte, die Erdenwaren-Industrie (einschließlich der Töpferei), die Fabrikation von Tapeten, Zündhölzern, Patronen und Zündhütchen sowie das Samtsche-ren unter die für Textilindustrie gültigen Gesetze gestellt. In der Thronrede von 5. Februar 1867 kündigte das damalige Torykabinett weitere Bills an, gegründet auf die Schlußvorschläge der Kommission, die inzweischen 1866 ihr Werk vollendet hatte.

Am 15. August 1867 erhielt der Factory Acts Extension Act und am 21. August der Workshops' Regulation Act die königliche Bestätigung; der erstre Akt regelt die großen, der letztre die kleinen Geschäftszeige.

Der Factory Acts Extension Act reguliert die Hochöfen, Eisen- und Kupferwerke, Gießereien, Maschinenfabriken, Metallwerkstätten, Fabriken für Guttapercha, Papier, Glas, Tabak, ferner Druckereien und Buchbindereien und überhaupt alle industriellen Werkstätten dieser Art, worin 50 oder mehr Personen gleichzeitig während mindestens 100 Tagen im Jahr beschäftigt werden.

305

DAS KAPITAL

komme auf diese Gesetze, auf den neuen Mining Act[1*] von 1872 etc. im II. Band zurück.

[320] Senior, "Social Science Congress", p.55-58.

[1*] das neue Bergwerksgesetz – [2*] Experiments an einem wertlosen Körper

{518}

Um eine Vorstellung zu geben von der Ausdehnung des von diesem Gesetz umfaßten Gebiets, folgen hier einige der darin festgestellten Definitionen:

" Handwerk soll" (in diesem Gesetz) "bedeuten: irgendwelche Handarbeit, geschäftsmäßig oder zum Erwerb betrieben bei, oder gelegentlich, der Verfertigung, Veränderung, Verzierung, Reparatur oder Fertigstellung zum Verkauf irgendeines Artikels oder eines Teils davon."

" Werkstatt soll bedeuten: irgendwelche Stube oder Örtlichkeit, eingedeckt oder unter freiem Himmel, worin ein "Handwerk" betrieben wird von irgendeinem Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer und worüber derjenige, der solches Kind, jugendlichen Arbeiter oder Frauenzimmer beschäftigt, das Recht des Zutritts und der Kontrolle hat."

" Beschäftigt soll bedeuten: tätig in einem "Handwerk", ob gegen Lohn oder nicht, unter einem Meister oder einem der Eltern, wie unten näher bestimmt."

" Eltern soll bedeuten: Vater, Mutter, Vormund oder andre Person, die die Vormundschaft oder Kontrolle über irgendein ... Kind oder einen jugendlichen Arbeiter hat."

Klausel 7, die Strafklausel für Beschäftigung von Kindern, jugendlichen Arbeitern und Frauenzimmern entgegen den Bestimmungen dieses Gesetzes, setzt Geldstrafen fest, nicht nur für den Inhaber der Werkstatt, ob einer Eltern oder nicht, sondern auch für

"die Eltern oder andre Personen, die das Kind, den jugendlichen Arbeiter oder das Frauenzimmer unter Obhut haben direkten Vorteil aus dessen Arbeit ziehen".

Der Factory Acts Extension Act, der die großen Etablissements trifft, steht zurück gegen den Fabrikakt durch eine Menge elender Ausnahmsbestimmungen und feiger Kompromisse mit den Kapitalisten.

Der Workshops' Regulation Act, erbärmlich in allen seinen Einzelheiten, blieb ein toter Buchstabe in der Hand der mit seiner Ausführung beauftragten städtischen und Lokalbehörden. Als das Parlament ihnen 1871

diese Vollmacht entzog, um sie den Fabrikinspektoren zu übertragen, deren Aufsichtsbezirk es so mit einem Schlage um mehr als 100000 Werkstätten und allein 300 Ziegeleien vergrößerte, wurde ihr Personal sorgsam-lichst um nur acht Assistenten vermehrt, wo es doch schon bisher viel zu schwach besetzt war.[321]

[321] Das Personal der Fabrikinspektion bestand aus 2 Inspektoren, 2 Hilfsinspektoren und 41 Subinspektoren. Acht fernere Subinspektoren wurden 1871 ernannt. Die Gesamtkosten der Vollstrek-kung der Fabrikgesetze in England, Schottland und Irland beliefen sich 1871/72 auf nur 25347

Pfd.St., enschließlich der Gerichtskosten bei Prozessen gegen Übertretungen.

{519}

Was also in dieser englischen Gesetzgebung von 1867 auffällt, ist einerseits die dem Parlament der herrschenden Klassen aufgezwungne Notwendigkeit, so außerordentliche und ausgedehnte maßregeln gegen die Übergriffe der kapitalistischen Exploitation im Prinzip anzunehmen; andrerseits die Halbheit, der Widerwille und die mala fides, womit es diese Maßregeln dann wirklich ins Leben reif.

Die Untersuchungskommission von 1862 schlug ebenfalls eine neue Regulierung der Bergwerksindustrie vor, einer Industrie, die sich von allen andern dadurch unterscheidet, daß bei ihr die Interessen von Grundbesitzen und industriellen Kapitalisten Hand in Hand gehn. Der Gegensatz dieser beiden Interessen hatte die Fabrikgesetzgebung begünstigt, die Abwesenheit dieses Gegensatzes reicht hin, die Verschleppung und Schi-kanen bei der Bergwerksgesetzgebung zu erklären.

306

DAS KAPITAL

Die Untersuchungskommission von 1840 hatte so schauderhafte und empörende Enthüllungen gemacht und einen solchen Skandal vor ganz Europa hervorgerufen, daß das Parlament sein Gewissen salvieren mußte durch den Mining Act von 1842, worin es sich darauf beschränkte, die Arbeit unter Tag von Weibern und von Kindern unter 10 Jahren zu verbieten.

Dann kam 1860 der Mines' Inspection Act, wonach Bergwerke von speziell dazu ernannten öffentlichen Beamten inspiziert werden, und Knaben zwischen 10 und 12 Jahren nicht beschäftigt werden sollen, außer wenn sie im Besitz eines Schulzeugnisses sind oder eine gewisse Anzahl Stunden die Schule besuchen. Dieser Akt blieb durchaus ein toter Buchstabe infolge der lächerlich geringen Anzahl der ernannten Inspektoren, der Winzigkeit ihrer Befugnisse und andrer Ursachen, die sich im Verlauf näher ergeben werden.

Eins der neusten Blaubücher über Bergwerke ist der "Report from the Select Committee on Mines, together with ... Evidence, 23 July 1866". Er sit das Werk eines Ausschusses von Unterhausmitgliedern, befollmächtigt, Zeugen vorzuladen und zu verhören; ein dicker Folioband, worin der "Report" selbst nur fünf Zeilen umfaßt, des Inhalts: daß der Ausschuß nichts zu sagen weiß und daß noch mehr Zeugen verhört werden müssen!

Die Art der Zeugenexamination erinnert an die cross examinations[1*] vor den englischen Gerichten, wo der Advokat durch unverschämte, sinn verwirrende Kreuz- und Querfragen den Zeugen aus der Fassung zu bringen mit und ihm die Worte im Mund zu verdrehn sucht. Die Advokaten hier

[1*] Kreuzverhöre

{520}

sind die parlamentarischen Examinatoren selbst, darunter Minen-Eigner und Exploiteurs; die Zeugen Minenarbeiter, meist in Kohlenbergwerken. Die ganze Farce ist zu charakteristisch für den Geist des Kapitals, um hier nicht einige Auszüge zu geben. Zur leichteren Übersicht gebe ich die Resultate der Untersuchung usw. in Rubriken. Ich erinnre, daß Frage und obligate Antwort in den englischen Blue Books numeriert sind und daß die Zeugen, deren Aussagen hier zitiert werden, Arbeiter in Kohlenbergwerken.

1. Beschäftigung der Jungen vom 10. Jahr an in den Minen. Die Arbeit nebst obligatem Gang von und zu den Bergwerken dauert in der Regel 14 bis 15 Stunden, ausnahmsweise länger, von 3, 4, 5 Uhr morgens bis 4 und 5 Uhr abends. (n.6, 452, 83.) Die erwachsnen Arbeiter arbeiten in zwei Gängen oder 8 Stunden, aber kein solcher Wechsel für die Jungen, um die Kosten zu sparen. (n.80, 203, 204.) Die jungen Kinder hauptsächlich verwandt zum Öffnen und Schließen der Zugtüren in den verschiednen Abteilungen des Bergwerks, die ältern zu schwerer Arbeit, Kohlentransport usw. (n.122, 739, 740.) Die langen Arbeitsstunden unter der Erde dauern bis zum 18. oder 22. Jahr, wann der Übergang zur eigentlichen Minenarbeit atattfindet. (n.161.) Die Kinder und jungen Personen werden heutzutag härter abgeplackt als zu irgendeiner früheren Periode.

(n.1663-1667.) Die Minenarbeiter verlangen fast einstimmig einen Parlamentsakt zum Verbot der Minenarbeit bis zum 14. Jahr. Und nun fragt Hussey Vivian (selbst minenexploiteur):

"Hängt dies Verlangen nicht von der größeren oder geringeren Armut der Eltern ab?" – Und Mr.

Bruce: "Wäre es nicht hart, wo der Vater tot oder verstümmelt usw., der Familie diese Ressourde zu entziehn? Und es muß doch eine allgemeine Regel herrschen. Wollt Ihr in allen Fällen die Beschäftigung der Kinder bis zum 14. Jahr unter der Erde verbieten?" Antwort: "In allen Fällen." (n.107-110.) Vivian: "Wenn die Arbeit vor 14 Jahren in den Minen verboten, würden die Eltern die Kinder nicht in Fabriken usw. schicken? – In der Regel, nein." (n.174.) Arbeiter: "Das Auf- und Zuschließen der Türen sieht leicht aus. Es ist ein sehr qualvolles Geschäft. Vom beständigen Zug abgesehn, ist der Junge gefangengesetzt, ganz so gut wie in einer dunklen Kerkerzelle." Bourgeois Vivian: "Kann dier Junge nicht lesen während der Türwacht, wenn er ein Licht hat? – Erstens müßte er sich die Kerzen kaufen. Aber außerdem würde es ihm nicht erlaubt werden. Er ist da, um auf sein Geschäft aufzu-passen, er hat eine Pflicht zu erfüllen. Ich habe nie einen Jungen in der Grube lesen sehn." (n.139, 141-160.)

2. Erziehung. Die Minenarbeiter verlangen Gesetz für Zwangsunterricht der Kinder, wie in den Farbriken. Sie erklären die Klausel des Akts {521}

von 1860, wonach Erziehungszertifikat zur Verwendung der Jungen von 10-12 Jahren erfordert, für rein illusorisch. Das "peinliche" Verhörverfahren der kapitalistischen Instruktionsrichter wird hier wahrhaft drollig.

307

DAS KAPITAL

(n.115.) "Ist der Akt mehr nötig gegen Anwender oder Eltern? – Gegen beide." (n.116.) "Mehr gegen den einen als den andern? – Wie soll ich das beantworten?" (n.137.) "Zeigen die Anwender irgendein Verlangen, die Arbeitsstunden dem Schulunterricht anzupassen? – Niemals." (n.211.) "Verbessern die Minenarbeiter hinterher ihre Erziehung? – Sie verschlechtern sich im allgemeinen; sie nehmen böse Gewohnheiten an; sie verlegen sich auf Trunk und Spiel und dergleichen und werden ganz und gar schiffbrüchig." (n.454.) "Warum nicht die Kinder in Abendschulen schicken? – In den meisten Kohlendistrikten existieren keine. Aber die Hauptsache ist, von der langen Überarbeit sind sie so erschöpft, daß ihnen die Augen vor Müdligkeit zufallen." "Also", schließt der Bourgeois, "Ihr seid gegen Erziehung? – Beileibe nicht, aber usw." (n.443.) "Sind die Minenbesitzer usw. nicht durch den Akt von 1860 gezwungen, Schulzertifikate zu verlangen, wenn sie Kinder zwischen 10 und 12 Jahren anwenden? – Durch das Gesetz, ja, aber die Anwender tun es nicht." (n.444.) "Nach Eurer Ansicht ist diese Gesetzklausel nicht allgemein ausgeführt? – Sie wird gar nicht ausgeführt." (n.717.) "Interessieren sich die Minenarbeiter sehr für die Erziehungsfrage? – Die große Mehrzahl." (n.718.) "Sind sie ängstlich für Durchführung des Gesetzes? – Die große Mehrzahl." (n.720.) "Warum denn erzwingen sie seine Durchführung nicht? – Mancher Arbeiter wünscht, Jungen ohne Schulzertifikat zu verweigern, aber er wird ein gezeichneter Mann (a market man)." (n.721.). "Gezeichnet durch wen? –

Durch seinen Anwender." (n.722.) "Ihr glaubt doch nicht etwa, daß die Anwender einen Mann wegen Gehorsams gegen das Gesetz verfolgen würden? – Ich glaube, sie würden es tun." (n.723.)

"Warum verweigern die Arbeiter nicht, solche Jungen anzuwenden? – Es ist nicht ihrer Wahl überlassen." (n.1634.) "Ihr verlangt Parlamentsintervention? – Wenn irgend etwas Wirksames für die Erziehung der Kinder der Grubenarbeiter geschehen soll, so muß sie durch Parlamentsakt zwangsmä-

ßig gemacht werden." (n.1636.) "Soll das für die Kinder aller Arbeiter von Großbritannien gelten oder nur für Grubenarbeiter? – Ich bin hier, um im Namen der Grubenarbeiter zu sprechen."

(n.1638.) "Warum Grubenkinder von andren unterscheiden? – Weil sie eine Ausnahme von der Regel bilden." (n.1639.) "In welcher Hinsicht? – In physischer." (n.1640.) "Warum sollte Erziehung für sie wertvoller sein als für Knaben von andern Klassen? – Ich sage nicht, daß sie wertvoller für sie ist, aber wegen ihrer Überarbeitung in den Minen haben sie weniger Chancen für Erziehung in Tags-und Sonntagsschulen." (n.1644.) "Nicht wahr, es ist unmöglich, Fragen dieser Art absolut zu behandeln?" (n.1646.) "Sind genug Schulen in den Distrikten? – Nein." (n.1647.) "Wenn der Staat verlangte, daß jedes Kind zur Schule geschickt, wo sollen denn die Schulen für alle die Kinder herkommen?

– Ich glaube, sobald es die Umstände gebieten, werden die Schulen von selbst entspringen." "Die große Mehrzahl nicht nur der Kinder, sondern der erwachsnen Minenarbeiter kann weder schreiben noch lesen." (n.705, 726.)

{522}

3. Weberarbeit. Arbeiterinnen werden zwar seit 1842 nicht mehr unter, wohl aber über der Erde zum Aufla-den der Kohlen usw., Schleppen der Kufen zu den Kanälen und Eisenbahnwagen, Sortieren der Kohlen usw.

verbraucht. Ihre Anwendung hat sehr zugenommen in den letzten 3-4 Jahren. (n.1727.) Es sind meist Weiber, Töchter und Witwen von Grubenarbeitern, vom 12. bis zum 50. und 60. Jahre. (n.647, 1779, 1781.) (n.648.)

"Was denken die Minenarbeiter von Beschäftigung von Weibern bei Bergwerken? – Sie verdammen sie allgemein." (n.649.) "Warum? – Sie betrachten es erniedrigend für das Geschlecht... Sie trgen eine Art von Mannskleidern. In vielen Fällen wird alle Scham unterdrückt. Manche Weiber rauchen. Die Arbeit ist so schmutzig wie die in den Gruben selbst. Darunter sind viele verheiratete Frauen, die ihre häuslichen Pflichten nicht erfüllen können." (n.651 sqq., 701.)(n.709.) "Können die Witwen ein so einträgliches Geschäft (8-10 sh.

wöchentlich) anderswo finden? – Ich kann darüber nichts sagen." (n.710.) "Und dennoch" (Herz von Stein!)

"seid Ihr entschlossen, ihnen diesen Lebensunterhalt abzuschneiden? – Sicher." (n.1715.) "Woher diese Stimmung? – Wir, Minenarbeiter, haben zu viel Respekt für das schöne Geschlecht, um es zur Kohlengrube verdammt zu sehn... Diese Arbeit ist großenteils sehr schwer. Viele dieser Mädchen heben 10 Tonnen per Tag." (n.1732.) "Glaubt Ihr, daß die in den Bergwerken beschäftigten Arbeiterinnen unmoralischer sind als die in den Fabriken beschäftigten? – Der Prozentsatz der Schlechten ist größer als unter den Fabrikmädchen." (n.1733.) "Aber Ihr seid auch mit dem Stand der Moralität in den Fabriken nicht zufrieden? – Nein."

(n.1734.) "Wollt Ihr denn auch die Weiberarbeit in den Fabriken verbieten? – Nein, ich will nicht." (n.1735.)

"Warum nicht? – Sie ist für das weibliche Geschlecht ehrenvoller und passender." (n.1736.) "Dennoch ist sie schädlich für ihre Moralität, meint Ihr? – Nein, lange nicht so sehr als die Arbeit an der Grube. Ich spreche übrigens nicht nur aus moralischen, sondern auch aus physischen und sozialen Grüden. Die soziale Degradation der Mädchen ist jammervoll und extrem. Wenn diese Mädchen Frauen der Minenarbeiter werden, leiden die Männer tief unter dieser Degradation, und es treibt sie von Haus und zum Soff." (n.1737.) "Aber gälte nicht dasselbe für die bei Eisenwerken beschäftigten Weiber? – Ich kann nicht für andre Geschäftszweige 308

DAS KAPITAL

sprechen." (n.1740.) "Aber welcher Unterschied ist denn zwischen den bei Eisenwerken und Bergwerken beschäftigten Weibern? – Ich habe mich nicht mit dieser Frage beschäftigt." (n.1741.) "Könnt Ihr einen Unterschied zwischen der einen oder der andern Klasse entdecken? – Ich habe nichts darüber vergewissert, kenne aber durch Visite von Haus zu Haus den schmählichen Zustand der Dinge in unsrem Distrikt." (n.1750.)

"Hättet Ihr nicht große Lust, Weiberbeschäftigung überall abzuschaffen, wo sie degradierend ist? – Ja ... die besten Gefühle der Kinder müssen von mütterlicher Zucht herkommen." (n.1751.) "Aber das paßt ja auch auf agrikole Beschäftigung der Weiber? – Die dauert nur zwei Saisons, bei uns arbeiten sie alle vier Saisons durch, manchmal Tag und Nacht, naß bis auf die Haut, ihre Konstitution geschwächt , ihre Gesundheit gebrochen." (n.1753.) "Ihr habt die Frage" (nämlich der Weiberbeschäftigung) "nicht allgemein studiert? – Ich habe um {523}

mich her geschaut und kann so viel sagen, daß ich nirgendwo etwas der weiblichen Beschäftigung an den Kohlengruben Paralleles gefunden habe. [n.1793, 1794, 1808.] Es ist Mannsarbeit und Arbeit für starke Männer. Die beßre Klasse der Minenarbeiter, die sich zu heben und zu humanisieren sucht, statt irgend Stütze an ihren Weibern zu finden, wird durch sie heruntergezerrt."

Nachdem die Bourgeois noch weiter in die Kreuz und Quere gefragt, kommt endlich das Geheimnis ihres

"Mitleidens" für witwen, arme Familien usw. heraus:

"Der Kohleneigentümer ernennt gewisse Gentlemen zur Oberaufsicht und deren Politik ist es, um Beifall zu ernten, alles auf den möglichst ökonomischen Fuß zu setzen und die beschäftigten Mädchen erhallten 1 bis 1 sh. 6 d. täglich, wo ein Mann 2 sh. 6 d. erhalten müßte." (n.1816.) 4. totenschau-Juries.

(n.360.) "Mit Bezug auf die coroner's inquests[1*] in Euren Distrikten, sind die Arbeiter zufrieden mit dem Gerichtsverfahren, wenn Unfälle vorkommen? – Nein, sie sind es nicht." (n.361-375.)

"Warum nicht? – Namentlich weil man Leute zu Juries macht, die absolut nichts von Minen wissen.

Arbeiter werden nie zugezogen, außer als Zeugen. Im ganzen nimmt man Krämer aus der Nachbarschaft, welche unter dem Einfluß der Minenbesitzer, ihrer Kunden, stehn und nicht einmal die technischen Ausdrücke der Zeugen verstehn. Wir verlangen, daß Minenarbeiter einen Teil der Jury bilden. Im Durchschnitt steht der Urteilsspruch im Widerspruch zu den Zeugenaussagen." (n.378.)

"Sollen Juries nicht unparteiisch sein? – "Ja." (n.379.) "Würden die Arbeiter es sein? – Ich sehe keine Motive, warum sie nicht unparteiisch sein sollten. Sie haben Sachkenntnis." (n.380.) "Aber würden sie nicht die Tendenz haben, im Interesse der Arbeiter ungerecht harte Urteile zu fällen? – Nein, ich glaube nicht."

5. Falsches Maß und Gewicht usw. Die Arbeiter verlangen wöchentliche statt vierzehntägiger Zahlung, Maß nach Gewicht statt nach Kubikraum der Kufen, Schutz gegen die Anwendung falschen Gewichts usw.

(n.1071.) "Wenn die Kufen fraudulent vergrößert werden, so kann ein Mann ja die Mine verlassen nach 14tägiger Kündigung? – Aber, wenn er zu einem andern Platz geht, findet er dasselbe."

(n.1072.) "Aber er kann den Platz doch verlassen, wo das Unrecht verübt wird? – Es ist allgemein herrschend." (n.1073.) "Aber der Mann kann seinen jedesmaligen Platz nach 14tägiger Kündigung verlassen? – Ja."

Streusand drauf!

6. Mineninspektion. Die Arbeiter leiden nicht nur von den Zufällen durch explodierende Gase.

[1*] Untersuchungen des Totenbeschauers

{524}

(n.234sqq.) "Wir haben uns ebensosehr zu beklagen über die schlechte Ventilation der Kohlengruben, so daß die Leute kaum darin atmen können; sie werden dadurch zu jeder Art Beschäftigung. So hat z.B. grade jetzt in dem Teil der Mine, wo ich arbeite, die Pestluft viele Leute für Wochen aufs Krankenbett geworfen. Die Hauptgänge sind meist luftig genug, aber nicht die Plätze, worin wir arbeiten. Sendet ein Mann Klage über Ventilation an den Inspektor, so wird er entlassen und ist ein

"gezeichneter" Mann, der auch sonstwo keine Beschäftigung findet. Der "Mining inspection Act"

von 1860 ist ein reiner Papierlappen. Der Inspektor, und ihre Zahl ist viel zu klein, macht vielleicht in 7 Jahren einmal eine formelle Visite. Unser Inspektor ist ein ganz unfähiger, siebzigjähriger Mann, der mehr als 130 Kohlenbergwerken vorsteht. Neben mehr Inspektoren brauchen wir Subinspektoren." (n.280.) "Soll dann die Regierung solch eine Armee von Inspektoren halten, daß sie alles, was 309

DAS KAPITAL

Ihr verlangt, ohne Information der Arbeiter selbst tun können? – Das ist unmöglich, aber sie sollen sich die Information in den Minen selbst holen kommen." (n.285.) "Glaubt Ihr nicht, daß die Wirkung sein würde, die Verantwortlichkeit (!) für die Ventilation usw. von dem Minenbesitzer auf die Regierungsbeamten zu wälzen? – Keineswegs; es muß ihr Geschäft sein, die Beforgung der bereits bestehenden Gesetze zu erzwingen." (n.294.) "Wenn Ihr von Subinspektoren sprecht, meint Ihr Leute mit weniger Gehalt und von niedrigerem Charakter als die gegenwärtigen Inspektoren? – Ich wünsche sie keineswegs niedriger, wenn Ihr sie besser haben könnt." (n.295.) "Wollt Ihr mehr Inspektoren oder eine niedrigere Klasse von Leuten als die Inspektoren? – Wir brauchen Leute, die sich in den Minen selbst umtummelln, Leute, die keine Angst für die eigne Haut haben." (n.297.)

"Wenn man Euren Wunsch nach Inspektoren von einer schlechtren Sorte erfüllte, würde ihr Mangel an Geschick nicht Gefahren erzeugen usw.? – Nein; es ist Sache der Regierung, passende Subjekte anzustellen."

Diese Art Examination wird endlich selbst dem Präsidenten des Untersuchungskomitees zu toll.

"Ihr wollt", fährt er dazwischen, "praktische Leute, die sich in den Minen selbst umsehn und an den Inspektor berichten, der dann seine höhere Wissenschaft verwenden kann." (n.531.) "Würde die Ventilation aller dieser alten Werke nicht viel Kosten verursachen? – Ja, Unkosten möchten erwachsen, aber Menschenleben würden beschützt."

(n.581.) Ein Kohlenarbeiter protestiert gegen die 17. Sektion des Akts von 1860:

"Gegenwärtig, wenn der mineninspektor irgendeinen Teil der Mine in nicht bearbeitsfähigem Zustand findet, muß er es an den Minenbesitzer und den Minister des Innern berichten. Danach hat der Minenbesitzer 20 Tage Bedenkzeit; am Ende der 20 Tage kann er jede Veränderung verweigern. Tut er das aber, so hat er an den Minister des Innern zu schreiben und ihm 5 Bergweiksingenieure vorzu-schlagen, worunter der Minister die Schiedsrichter erwählen muß. Wir behaupten, daß in diesem Fall der Minenbesitzer virtuell seine eignen Richter ernennt."

{525}

(n.586.) Der Bourgeoisexaminator, selbst Minenbesitzer:

"Dies ist ein rein spekulativer Einwand." (n.588.) "Ihr habt also sehr geringer Ansicht von der Redlichkeit der Bergwerksingenieure? – Ich sage, es ist sehr unbillig und ungerecht." (n.589.) "Besitzen Bergwerksingenieure nicht eine Art von öffentlichem Charakter, der ihre Entscheidungen über die von Euch befürchtete Parteilichkeit er hebt? – Ich verweigre, Fragen über den persönlichen Charakter dieser Leute zu beantworten. Ich bin überzeugt, daß sie in vielen Fällen sehr parteiisch handeln und daß diese Macht ihnen genommen werden sollte, wo Menschnleben auf dem Spiel stehn."

Derselbe Bourgeois hat die Unverschämtheit, zu fragen:

"Glaubt Ihr nicht, daß auch die Minenbesitzer Verluste bei den Explosionen haben?"

Endlich (n.1042.):

"Könnt Ihr Arbeiter Eure eignen Interessen nicht selbst wahrnehmen, ohne die Hilfe der Regierung anzurufen? – Nein."

Im Jahre 1865 gab es 3217 Kohlenbergwerke in Großbritannien und – 12 Inspektoren. Ein Minenbesitzer von Yorkshire ("Times", 26.Januar 1867) berechnet selbst, daß abgesehn von ihren rein bürokratischen Geschäften, die ihre ganze Zeit absorbieren, jede Mine nur einmal in 10 Jahren besichtigt werden könnte. Kein Wunder, daß die Katastrophen in den letzten Jahren (namentlich auch 1866 und 1867) progressiv in Anzahl und Umfang (manchmal mit einem Opfer von 200-300 Arbeitern) zugenommen haben. Dies sind die Schönheiten der "freien" kapitalistischen Produktion!

Jedenfalls ist der Akt von 1872, so mangelhaft er ist, der erste, der die Arbeitsstunden der in Bergwerken beschäftigten Kinder regelt und die Exploiteure und Grubenbesitzer in gewissem Maß für sogenannte Unfälle verantwortlich macht.

Die königliche Kommission von 1867 zur Untersuchung der Beschäftigung von Kindern, jugendlichen Personen und Weibern in der Agrikultur hat einege sehr wichtige Berichte veröffentlicht. Es sind verschiedne Versuche gemacht worden, die Prinzipien der Fabrikgesetzgebung, in modifizierter Form, auf die Agrikultur anzuwenden, aber bis jetzt schlugen sie alle total fehr. Worauf ich hier aber aufmerksam zu machen habe, ist das Bestehn einer unwiderstehlichen Tendenz zur allgemeinen Anwendung dieser Pronzipien.

310

DAS KAPITAL

Wenn die Verallgemeinerung der Fabrikgesetzgebung der Fabrikgesetzgebung als physische und geistiges Schutzmittel der Arbeiterklasse unvermeidlich geworden ist, verallgemeinert und beschleunigt sie andrerseits, wie bereits angedeutet, die Verwandlung zerstreuter Arbeitsprozesse auf Zwergmaßstab in kombi-

{526}

nierte Arbeitsprozesse auf großer, gesellschaftlicher Stufenleiter, also die Konzentration des Kapitals und die Alleinherrschaft des Fabrikregimes. Sie zerstört alle altertümlichen und Übergangsformen, wohinter sich die Herrschaft des Kapitals noch teilweise versteckt, und ersetzt sie durch seine direkt, unverhüllte Herrschaft.

Sie verallgemeinert damit auch den direkten Kampf gegen diese herrschaft. Während sie in den individuellen Werkstätten Gleichförmigkeit, Regelmäßigkeit, Ordnung und Ökonomie erzwingt, vermehrt sie durch den ungeheuren Sporn, den Schranke und Regel des Arbeitstags der Technik aufdrücken, die Anarchie und Katastrophen der kapitalistischen Produktion im großen und ganzen, die Intensität der Arbeit und die Konkurrenz der Maschinerie mit dem Arbeiter. Mit den Sphären des Kleinbetriebs und der Hausarbeit vernichtet sie die letzten Zufluchtsstätten der "Überzähligen" und damit das bisherige Sicherheitsventil des ganzen Gesell-schaftsmechanismus. Mit den materiellen Bedingungen und der gesellschaftlichen Kombination des Produktionsprozesses reift sie die Widersprüche und Antagonismen seiner kapitalistischen Form, daher gleichzeitig die Bildungselemente einer neuen und die Umwälzungsmomente der alten Gesellschaft.[322]

[322] Robert Owen, der Vater der Kooperativfabriken und -boutiquen, der jedoch, wie früher bemerkt, die Illusionen seiner Nachtreter über die Tragweite dieser isolierten Umwandlungselemente keineswegs teilte, ging nicht nur tatsächlich in seinen Versuchen vom Fabriksystem aus, sondern er-klärte es auch theoretisch für den Ausgangspunkt der sozialen Revolution. Herr Vissering, Professor der politischen Ökonomie an der Universität zu Leyde, scheint so etwas zu ahne, wenn er in seinem

"Handboek van Praktishe Staathuishoudkunde", 1860-1862, welches die Plattheiten der Vulgärökonomie in entsprechendster Form vorträgt, für Handwerksbetrieb gegen große Industrie eifert. – {Zur 4. Aufl. – Der "neue juristische Rattenkönig" (S.264[1*]), den die englische Gesetzgebung vermittelst der einander widersprechenden Factory Acts, Factory Acts Extension Act und Workshops' Act ins Leben gerufen, wurde endlich unerträglich, und so kam im Factory and Workshop Act 1878 eine Kodifikation der ganzen betreffenden Gesetzgebung zustande. Eine ausführliche Kritik dieses jetzt gültigen Industriekodex Englands kann hier natürlich nicht gegeben werden. Daher mögen folgende Notizen genügen: Der Akt umfaßt 1. Textilfabriken. Hier bleibt so ziemlich alles beim alten: erlaubte Arbeitszeit für Kinder über 10 Jahren: 5 1/2 Stunden täglich, oder aber 6 Stunden, und dann den Samstag frei; junge Personen und Frauen: 10 Stunden an fünf Tagen, höchstens 6 1/2 am Samstag. –

2. Nicht-Textilfabriken. Hier sind die Bestimmungen deren von Nr. 1 mehr angenäher als früher, aber noch immer bestehn manche, den Kapitalisten günstige Ausnahmen, die in manchen Fällen durch Spezial-

[1*] Siehe vorl. Band, S.318

{527}

10. Große Industrie und Agrikultur

Die Revolution, welche die große Industrie im Ackerbau und den sozialen Verhältnissen seiner Produktionsagenten hervorruft, kann erst später dargestellt werden. Hier genügt kurze Andeutung eineger vorwegge-nommenen Resultate. Wenn der Gebrauch der Maschinerie im Ackerbau großenteils frei ist von den physischen Nachteilen, die sie dem Fabrikarbeiter zufügt[323], wirkt sie hier noch intensiver und ohne Gegenstoß auf die "Überzähligmachung" der Arbeiter, wie man später im Detail sehn wird. In den Grafschaften Cambridge und Suffolk z.B. hat sich das Arela des bebauten Landes seit den letzten zwanzig Jahren sehr ausgedehnt, während die Landbevölkerung in derselben periode nicht nur relativ, sondern absolut abnahm. In den Vereinigten Staaten von Nordamerika ersetzten Agrikultur-Maschinen einstweilen nur virtuell Arbeiter, d.h., sie erlauben dem Produzenten Bebauung einer größren Fläche, verjagen aber nicht wirklich erlaubnis des Ministers des Innern noch ausdehnbar sind. – 3. Workshops, definiert ungefähr wie im frühern Akt; soweit Kinder, jugendliche Arbeiter oder Frauen darin beschäftigt, sind Workshops den nicht-textilen Fabriken so ziemlich gleichgestellt, doch wieder mit Erleichterungen im einzelnen. – 4.

311

DAS KAPITAL

Workshops, in denen keine Kinder oder jugendliche Arbeiter, sondern nur Personen beiderlei Geschlechts über 18 Jahren beschäftigt werden; für diese Kategorie gelten noch weitre Erleichterungen.

– 5. Domestic Workshops, wo nur Familienglieder in der Familienwohnung beschäftigt werden; noch elastischere Bestimmungen und gleichzeitig die Beschränkung, daß der Inspektor ohne besondre misisterielle oder richterliche Erllaubnis nur solche Räume betreten darf, die nicht zugleich als Wohnräume benutzt werden, und endlich die unbedingte Freigebung von Strohflechterei, Spitzenklöppelei und Handschuhmacherei innerhalb der Familie. Bei allen Mängeln ist der Akt immer noch, neben dem schweizerischen Bundesfabrikgesetz vom 23. März 1877, weitaus das beste Gesetz über den Gegenstand. Eine Vergleichung desselben mit dem erwähnten schweizerischen Bundesge-setz ist von besondrem Interesse, weil sie die Vorzüge wie die Nachteile der beiden gesetzgeberi-schen Methoden – der englischen, "historischen", von Fall zu Fall eingreifenden, und der kontinentalen, auf den Traditionen der französischen Revolution aufgebauten, mehr generalisierenden Methode – sehr aunschaulich macht. Leider ist der englische Kodex in seiner Anwendung auf Workshops großenteils noch immer toter Buchstabe – wegen unzureichendem Inspektionspersonal. – F.

E.}

[323] Ausführliche Darstellung der im englischen Ackerbau angewandten Maschinerie findet man in

"Die landwirthschaftliche Geräthe und Maschinen Englands" von Dr. W. Hamm. 2. Aufl., 1856. In seiner Skizze über den Entwicklungsgang der englischen Agrikultur folgt Herr Hamm zu kritiklos dem Herrn Leonce de Lavergne. {Zur 4. Aufl. – Jetzt natürlich veraltet. – F. E.}

{528}

beschäftigte Arbeiter. In England und Wales betrug 1861 die Zahl der in der Fabrikation von Ackerbau-Maschinen beteiligten Personen 1034, während die Zahl der an Dampf- und Arbeitsmaschinen beschäftigten Agrikulturarbeiter nur 1205 betrug.

In der Sphäre der Agrikultur wirkt die große Industrie insofern am revolutionärsten, als sie das Bollwerk der alten Gesellschaft vernichtet, den "Bauer", und ihm den Lohnarbeiter unterschiebt. Die sozialen Umwäl-zungsbedürfnisse und Gegensätze des Landes werden so mit denen der Stadt ausgeglichen. An die Stelle des gewohnheitsfaulsten und irrationellsten Betriebs tritt bewußte, technologische Anwendung der Wissenschaft.

Die Zerreißung des ursprünglichen Familienbandes von Agrikultur und Manufaktur, welches die kindlich unentwickelte Gestalt beider umschlang, wird durch die kapitalistische Produktionsweise vollendet. Sie schafft aber zugleich die materiellen Voraussetzungen einer neuen, höheren Synthese, des Vereins von Agrikultur und Industrie, auf Grundlage ihrer gegensätzlich ausgearbeiteten. Mit dem stets wachsenden Übergewicht der städtische Bevölkerung, die sie in großen Zentren zusammenhäuft, häuft die kapitalistische Produktion einerseits die geschichtliche Bewegungskraft der Gesellschaft, stört sie andrerseits den Stoffwechsel zwischen Mensch und Erde, d.h. die Rückkehr der vom Menschen in der Form von Nahrungs- und Klei-dungsmitteln vernutzten Bodenbestandteile zum Boden, also die ewige Naturbedingung dauernder Bodenfruchtbarkeit. Sie zerstört damit zugleich die physische Gesundheit der Stadtarbeiter und das geistige Leben der Landarbeiter.[324] Aber sie zwingt zugleich durch die Zerstörung der bloß naturwüchsig entstandnen Umstände jenes Stoffwechsels, ihn systematisch als regelndes Gesetz der gesellschaftlichen Produktion und in einer der vollen menshlichen Entwicklung adäquaten Form herzustellen. In der Agrikultur wie in der Manufaktur erscheint die kapitalistische Umwandlung des Produktionsprozesses zugleich als Martyrologie der Produzenten, das Arbeitsmittel als Unterjochungsmittel, Exploitationsmittel und Verarmungsmittel des Arbeiters, die gesellschaftliche Kombination der Arbeitsprozesse als organisierte Unterdrückung seiner

[324] "Ihr teilt das Volk in zwei feindliche Lager, plumpe Bauern und verweichlichte Zwerge. Lieber Himmel! Eine Nation, zerspalten in landwirtschaftliche und Handelsinteressen, nennt sich gesund, ja hält sich für aufgeklärt und zivilisiert, nicht nur trotz, sondern gerade zufolge dieser ungeheuerlicher und unnatürlichen Trennung." (David Urquhart, l.c. p.119.) Diese Stelle zeigt zugleich die Stärke und die Schwäche einer Art von Kritik, welche die Gegenwart zu be- und verurteilen, aber nicht zu begreifen weiß.

{529}

individuellen Lebendigkeit, Freiheit und Selbständigkeit. Die Zerstreuung der Landarbeiter über größre Flä-

chen bricht zugleich ihre Widerstandskraft, während Konzentration die der städtischen Arbeiter steigert. Wie in der städtischen Industrie wird in der modernen Agrikultur die gesteigerte Produktivkraft und größre Flüssigmachung der Arbeit erkauft durch Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft selbst. Und jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zu-312

DAS KAPITAL

gleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika z.B., von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß.[325] Die kapitalistische Produktion

[325] Vgl. Liebig, "Die Chemie in ihrer Anwendung auf Agrikultur und Physiologie", 7. Auflage, 1862, namentlich auch im Ersten Band die "Einleitung in die Naturgesetze des Feldbaus". Die Entwicklung der negativen Seite der modernen Agrukultur, vom naturwissenschaftlichen Standpunkt, ist eins der unsterblichen Verdienste liebigs. Auch seine historischen Aperçus über die Geschichte der Agrikultur, obgleich nicht ohne grobe Irrtümer, enthalten Lichtblicke. Zu bedauern bleibt, daß er aufs Gratewohl Äußerungen wagt, wie folgende: "Durch eine weiter getriebne Pulverisierung und häufigeres Pflügen wird der Luftwechsel im Innern poröser Erdteile befördert, und die Oberfläche der Erdteile, auf welche die Luft einwirken soll, vergrößert und erneuert, aber es ist leicht verständlich, daß die Mehrbeträge des Feldes nicht proportionell der auf das Feld verwandten Arbeit sein können, sondern daß sie in einem weit kleineren Verhältnis steigen." "Dieses Gesetz", fügt Liebig hinzu, "ist von J. St. Mill zuerst in seinen "Princ. of Pol. Econ.", v.I, p.17, in folgender Weise ausgesprochen: "Daß der Ertrag des Bodens caeteris paribus in einem abnehmenden Verhältnis wächst im Vergleich zum Anwachsen der Zahl der beschäftigten Arbeiter"" (Herr Mill wiederholt sogar das Ricardosche Schulgesetz in falscher Formel, denn da "the decrease of the labourers employes", die Abnahme der angewandten Arbeiter, in England beständig Schritt hielt mit dem Fortschritt der Agrikultur, fände das für und in England erfundne Gesetz weigstens in England keine Anwendung), ""ist allgemeine Gesetz der Landwirtschaft", merkwürdig genug, da ihm dessen Grund unbekannt war."

(Liebig, l.c., Bd.I, p.143 u. Note.) Abgesehn von irriger Deutung des Wortes "Arbeit", worunter Liebig etwas andres versteht als die politische Ökonomie, ist es jedenfalls "merkwürdig genug", daß er Herrn J. St. Mill zum ersten Verkünder einer Theorie macht, die James Anderson zur Zeit A. Smiths zuerst veröffentlichte und in verschiedenen Schriften bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts hinein wiederholte, die Malthus, überhaupt ein Meister des Plagiats (seine ganze Bevölkerungstheorie ist ein schamloses Plagiat), sich 1815 annexierte, die West zur selben Zeit und unabhängig von Anderson

{530}

entwickelt daher nur die Technik und Kombintion des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.

entwickelte, die Ricardo 1817 in Zusammenhang mit der allgemeinen Werttheorie brachte und die von da an unter dem Namen Ricardos die Runde der Welt gemacht hat, die 1820 von James Mill (dem Vater J. St. mills) vulgarisiert und endlich u. a. auch von Herrn J. St. Mill als bereits Gemeinplatz gewordnes Schuldogma wiederholt wird. Es ist unleugbar, daß J. St. mill seine jedenfalls

"merkwürdige" Autorität fast nur ähnichen Quiproquo verdankt.

313

DAS KAPITAL

Die Produktion des absoluten und relativen Mehrwertes

Absoluter und relativer Mehrwert

Der Arbeitsprozeß wurde (sich fünftes Kapitel) zunächst abstrakt betrachtet, unabhängig von seinen ge-schichtllichen Formen, als Prozeß zwischen Mensch und Natur. Es hieß dort: "Betrachtet man den ganzen Arbeitsprozeß vom Standpunkt seines Resultats, so erscheinen beide, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand, als Produktionsmittel und die Arbeit selbst als produktive Arbeit." Und in Note 7 wurde ergänzt: "Diese Bestimmung produktiver Arbeit, wie sie sich vom Standpunkt des einfachen Arbeitsprozesses ergibt, reicht keineswegs hin für den kapitalistischen Produktionsprozeß." Dies ist hier weiter zu entwickeln.

Soweit der Arbeitsprozeß ein rein individueller, vereinigt derselbe Arbeiter alle Funktionen, die sich später trennen. In der individuellen Aneignung von Naturgegenständen zu seinen Lebenszwecken kontrolliert er sich selbst. Später wird er kontrolliert. Der einzelne Mensch kann nicht auf die Natur wirken ohne Betätigung seiner eignen Muskeln unter Kontrolle seines eignen Hirns. Wie im Natursystem Kopf und Hand zusammengehören, vereint der Arbeitsprozeß Kipfarbeit und Handarbeit. Später scheiden sie sich bis zum feindlichen Gegensatzt. Das Produkt verwandelt sich überhaupt aus dem unmittelbaren Produkt des individuellen Pro-dukzenten in ein gesellschaftliches, in das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d.h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehn. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses selbst erweitert sich daher notwendig der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt, Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unter-funktionen zu vollziehn. Die obige ursprüngliche Bestimmung der pro-

{532}

duktiven Arbeit, aus der Natur der materiellen Produktion selbst abgeleitet, bleibt immer wahr für den Gesamtarbeiter, als Gesamtheit betrachtet. Aber sie gilt nicht mehr für jedes seiner Glieder, einzeln genommen.

Andrerseits aber verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, daß er überhaupt produziert. Er muß Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert oder zur Selbstverwertung des Kapitals dient. Steht es frei, ein Beispiel außerhalb der Sphäre der materiellen Produktion zu wählen, so ist ein Schulmeister produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Daß letztrer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis. Der Begriff des produktiven Arbeiters schließt daher keineswegs bloß ein Verhältnis zwischen Tätigkeit und Nutzeffekt, zwischen Arbeiter und Arbeitsprodukt ein, sondern auch ein spezifisch gesellschaftliches, geschichtlich entstandnes Produktionsverhältnis, welches den Arbeiter zum unmittelbaren Verwertungsmittel des Kapitals stempelt. Produktiver Arbeiter zu sein ist daher kein Glück, sondern ein Pech. Im Vierten Buch dieser Schrift, welches die Geschichte der Theorie behandelt, wird man näher sehn, daß die klassische politische Ökonomie von jeher die Produktion von Mehrwert zum entscheidenden Charakter des produktiven Arbeiters machte. Mit ihrer Auffassung von der Natur des Mehrwerts wechselt daher ihre Definition des produktiven Arbeiters. So erklären die Physiokraten, nur die Ackerbauarbeit sei produktiv, weil sie allein einen Mehrwert liefre. Für die Physiokraten existiert Mehrwert aber ausschließlich in der Form der Grundrente.

Die Verlängrung des Arbeitstags über den Punkt hinaus, wo der Arbeiter nur ein Äquivalent für den Wert seiner Arbeitskraft produziert hätte, und die Aneignung dieser Mehrarbeit durch das Kapital – das ist die Produktion des absoluten Mehrwerts. Sie bildet die allgemeine Grundlage des kapitalistischen Systems und den Ausgangspunkt der Produktion des relativen Mehrwerts. Bei dieser ist der Arbeitstag von vornherein in zwei Stücke geteilt: notwendige Arbeit und Mehrarbeit. Um die Mehrarbeit zu verlängern, wird die notwendige Arbeit verkürzt durch Methoden, vermittelst deren das Äquivalent des Arbeitslohns in weniger Zeit produziert wird. Die Produktion des absoluten Mehrwerts dreht sich nur um die Länge des Arbeitstags; die Produktion des relativen Mehrwerts revolutioniert durch

{533}

und durch die technischen Prozesse der Arbeit und die gesellschaftlichen Gruppierungen.

314

DAS KAPITAL

Sie unterstellt also eine spezifisch kapitalistische Produktionsweise, die mit ihren Methoden, Mitteln und Bedingungen selbst erst auf Grundlage der formellen Subsumtion der Arbeit unter das Kapital naturwüchsig entsteht und ausgebildet wird. An die Stelle der formellen tritt die reelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital.

Es genügt bloßer Hinweis auf Zwitterformen, worin die Mehrarbeit weder durch direkten Zwang dem Produzenten ausgepumpt wird, noch auch dessen formelle Unterordnung unter das Kapital eingetreten ist. Das Kapittal hat sich hier noch nicht unmittelbar des Arbeitsprozesses bemächtigt. Neben die selbständigen Produzenten, die in überlieferter, urväterlicher Betriebsweise handwerkern oder ackerbauen, tritt der Wucherer oder Kaufmann, das Wucherkapital oder das Handelskapital, das sie parasitenmäßig aussaugt. Vorherrschaft dieser Exploitationsform in einer Gesellschaft schlließt die kapitalistische Produktionsweise aus, zu der sie andrerseits, wie im spätren Mittelalte, den Übergang bilden kann. Endlich, wie das Beispiel der modernen Hausarbeit zeigt, werden gewisse Zwitterormen auf dem Hintergrund der großen Industrie stellenweis reproduziert, wenn auch mit gänzlich veränderter Physiognomie.

Wenn zur Produktion des absoluten Mehrwerts die bloß formelle Subsumtion der Arbeit unter das Kapital genügt, z.B. daß Handwerker, die früher für sich selbst oder auch als Gesellen eines Zunftmeisters arbeiteten, nun als Lohnarbeiter unter die direkte Kontrolle des Kapitalisten treten, zeigt sich andrerseits, wie die Meh-toden zur Produktion des relativen Mehrwerts zugleich Methoden zur Produktion des absoluten Mehrwerts sin. Ja, die maßlose Verlängrung des Arbeitstags stellte sich als eigenstes Produkt der großen Industrie dar.

Überhaupt hört die spezifisch kapitalistische Produktionsweise auf, bloßes Mittel zur Produktion des relativen Mehrwerts zu sein, sobald sie sich eines ganzen Produktionszweigs, und noch mehr, sobald sie sich aller entscheidenden Produktionszweige bemächtigt hat. Sie wird jetzt allgemeine, gesellschaftlich herrschende Form des Produktionsprozesses. Als besondre Methode zur Produktion des relativen Mehrwerts wirkt sie nur noch, erstens soweit sie dem Kapital bisher nur formell untergeordnete Industrien ergreift, also in ihrer Propaganda.

Zweitens, soweit ihr bereits anheimgefallne Industrien fortwährend revolutioniert werden durch Wechsel der Produktionsmethoden.

Von gewissem Gesichtspunkt scheint der Unterschied zwischen absolutem und relativem Mehrwert überhaupt illusorisch. Der relative Mehr-

{534}

wert ist absolut, denn er bedingt absolute Verlängrung des Arbeitstags über die zur Existenz des Arbeiters selbst notwendige Arbeitszeit. Der absolute Mehrwert ist relativ, denn er bedingt eine Entwicklung der Ar-beitsproduktivität, welche erlaubt, die notwendige Arbeitszeit auf einen Teil des Arbeitstags zu beschränken.

Faßt man aber die Bewegung des Mehrwerts ins Auge, so verschwindet dieser Schein der Einerleiheit. Sobald die kapitalistische Produktionsweise einmal hergestellt und allgemeine Produktionsweise geworden, macht sich der Unterschied zwischen absolutem und relativem Mehrwert führbar, sobald es gilt, die Rate des Mehrwerts überhaupt zu steigern. Vorausgesetzt, die Arbeitskraft werde zu ihrem Wert bezahlt, stehn wir dann vor dieser Alternative: Die Produktivkraft der Arbeit und ihren Normalgrad von Intensität gegeben, ist die Rate des Mehrwerts nur erhöhbar durch absolute Verlängrung des Arbeitstags; andrerseits, bei gegebner Grenze des Arbeitstags, ist die Rate des Mehrwerts nur erhöhbar durch relativen Größenwechsel seiner Bestandteile, der notwendigen Arbeit und der Mehrarbeit, was seinerseits, soll der Lohn nicht unter den Wert der Arbeitskraft sinken, Wechsel in der produktivität oder Intensität der Arbeit voraussetz.

Braucht der Arbeiter alle seine Zeit, um die zur Erhaltung seiner sebst und seiner Race nötigen Lebensmittel zu produzieren, so bleibt ihm keine Zeit, um unentgeltlich für dritte Personen zu arbeiten. Ohne einen gewissen Produktivtätsgrad der Arbeit keine solche disponible Zeit für den Arbeiter, ohne solche überschüssige Zeit keine Mehrarbeit und daher keine Kapitalisten, aber auch keine Sklavenhalter, keine Feudalbarone, in einem Wort keine Großbesitzerklasse.[1]

So kann von einer Naturbasis des Mehrwerts gesprochen werden, aber nur in dem ganz allgemeinen Sinn, daß kein absolutes Naturhindernis den einen abhät, die zu seiner eignen Existenz nötige Arbeit von sich selbst ab- und einem andern aufzuwälzen, z.B. ebensowenig wie absolute Naturhindernisse die einen abhalten, das Fleisch der andern als Nahrung zu verwenden.[1a] Es sind durchaus nicht, wie es hier und da ge-315

DAS KAPITAL

schehn, mystische Vorstellungen mit dieser naturwüchsigen Produktivität der Arbeit zu verbinden. Nur sobald die Menschen sich aus ihren ersten Tierzuständen her-

[1] "Das bloße Vorhandensein der zu Kapitalisten gewordenen Meister als besondere Klasse hängt ab von der Produktivität der Arbeit." (Ramsay, l.c. p.206.) "Wenn die Arbeit jedes Mannes nur genü-

gen würde, seine eigne Nahrung zu produzieren, könnte es kein Eigentum geben." (Ravenstone, l.c.

p.14.)

[1a] Nach einer kürzlich gemachten Berechnung leben allein in den bereits erforschten Erdgegenden mindestens noch vier Millionen Kannibalen.

{535}

ausgearbeitet, ihre Arbeit selbst also schon in gewissem Grad vergesellschaftet ist, treten Verhältnisse ein, worin die Mehrarbeit des einen zur Existenzbedingung des andern wird. In den Kulturanfängen sind die erworbnen Produktivkräfte der Arbeit gering, aber so sind die Bedürfnisse, die sich mit und an den Mitteln ihrer Befriedigung entwickeln. Ferner ist in jenen Anfängen die Proportion der Gesellschaftsteile, die von ferner fremder Arbeit leben, verschwindend klein gegen die Masse der unmittelbaren Produzenten. Mit dem Fortschritt der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit wächst diese Proportion absolut und rellativ.[2]

Das Kapitalverhältnis entspringt übrigens auf einem ökonomischen Boden, der das Produkt eines langen Entwicklugsprozesses ist. Die vorhandne Produktivität der Arbeit, wovon es als Grundlage ausgeht, ist nicht Gabe der Natur, sondern einer Geschichte, die Tausende von Jahrhunderten umfaßt.

Von der mehr oder minder entwickelten Gestalt der gesellschaftlichen Produktion abgesehn, bleibt die produktivität der Arbeit an Naturbedingungen gebunden. Sie sind alle rückführbar auf die Natur des Menschen selbst, wie Race usw., und die ihn umgebende Natur. Die äußeren Naturbedingungen zerfallen ökonomisch in zwei große Klassen, natürlichen Reichtum an Lebensmitteln, also Bodenfruchtbarkeit, fischreiche Gewässer usw., und natürlichen Reichtum an Arbeitsmitteln, wie lebendige Wassergefälle, schiffbare Flüsse, Holz, Metalle, Kohle usw. In den Kulturanfängen gibt die erstere, auf höherer Entwicklungsstufe die zweite Art des natürlichen Reichtums den Ausschlag. Man vergleiche z.B. England mit Indien oder, in der antiken Welt, Athen und Korinth mit den Uferländern des Schwarzen Meeres.

Je geringer die Zahl der absolut zu befriedigenden Naturbedürfnisse und je größer die natürliche Bodenfruchtbarkeit und Gunst des Klumas, desto geringer die zur Erhaltung und Reproduktion des Produzenten notwendige Arbeitszeit. Desto größer kann also der Überschuß seiner Arbeit für andere über seine Arbeit für sich selbst sein. So bemerkt schon Diodor über die alten Ägypter;

"Es ist ganz unglaublich, wie wenig Mühe und Kosten die Erziehung ihrer Kinder ihnen verursacht.

Sie kochen ihnen die nächste beste einfache Speise; auch geben sie ihnen von der Papierstaude den untern Teil zu essen, soweit man ihn im Feuer rösten kann, und die Wurzeln und Stengel der Sump-fewächse, teils roh, teils gesotten und

[2] "Bei den wilden Indianern in Amerika gehört fast alles dem Arbeiter. 99 Teile von hundert sind dem Konto Arbeit zuzuschreiben. In England hat der Arbeiter vielleicht nicht einmal 2/3." ("The Advantages of the East India etc.", p.72, 73.)

{536}

gebraten. Die meisten Kinder gehn ohne Schuhe und unbekleidet, da die Luft so mild ist. Daher kostet ein Kind seinen Eltern, bis es erwachsen ist, im ganzen nicht über zwanzig Drachmen. Hierhaus ist es hauptsächlich zu erklären, daß in Ägypten die Bevölkerung so zahlreich ist und darum so viele große Werke angelegt werden konnten."[3]

Indes sind die großen Bauwerke des alten Ägyptens dem Umfang seiner Bevölkerung weinger geschuldet, als der großen Proportion, worin sie disponibel war. Wie der individuelle Arbeiter um so mehr Mehrarbeit liefern kann, je geringer seine notwendige Arbeitszeit, so, je geringer der zur Produktion der notwendigen Lebensmittel erheischte Teil der Arbeiterbevökerung, desto größer ihr für andres Werk disponibler Teil.

Die kapitalistische Produktion einmal vorausgesetzt, wird, unter sonst gleichbleibenden Umständen und bei gegebner Länge des Arbeitstags, die Größe der Mehrarbeit mit den Naturbedingungen der Arbeit, namentlich auch der Bodenfruchtbarkeit, variieren. Es folgt aber keineswegs umgekehrt, daß der fruchtbarste Boden der geeignetste zum Wachstum der kapitalistischen Produktionsweise. Sie unterstellt Herrschaft des Menschen 316

DAS KAPITAL

über die Natur. Eine zu verschwenderische Natur "hält ihn an ihrer Hand wie ein Kind am Gängelband". Sie macht seine eigne Entwicklung nicht zu einer Naturnotwendigkeit.[4] Nicht das tropische Klima mit seiner überwuchernden Vegetation, sondern die gemäßigte Zone ist das Mutterland des Kapitals. Es ist nicht die absolute Fruchtbarkeit des Bodens, sondern seine Differenzierung, die Mannigfaltigkeit seiner natürlichen Produkte, welche die Naturgrundlage der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit bildet und den Menschen durch den Wechsel der Naturumstände, innerhalb deren er haust, zur Vermannigfachung seiner eignen Be-dürfnisse, Fähigkeiten,

[3] Diodor, l.c., 1.I, c.80.

[4] "Da der erste" (der natürliche Reichtum) "höchst nobel und vorteilhaft ist, macht er das Volk sorglos, stolz und allen Ausschweifungen ergeben; der zweite dagegen erzwingt Sorgfalt, Gelehrsamkeit, Kunstfertigkeit und Staatsklugheit." ("England's Treasure by Toreign Trade. Or the Balance of our Foreign Trade ist the Rule of our Treasure. Written by Thomas Mun, of London, Merchant, and now publisched for the common good by his son John Mun", Lond. 1669, p.181, 182.) "Auch kann ich mir für die Gesamtheit eines Volkes keinen schlimmeren Fluch vorstellen, als auf einen Fleck Er-de gesetzt zu sein, auf dem die Erzeugung von Subsistenz- und Nahrungsmitteln zum großen Teil selbsttätig erfolgt und das Klima wenig Sorge für Kleidung und Obdach erfordert oder zuläßt ...

möglich ist allerdings auch ein Extrem nach der andren Seite. Ein Boden, der trotz Arbeit keine Früchte hervorbringen kann, ist ebenso schlecht wie ein Boden, der ohne Arbeit reichlich Produkte erzeugt." ([N. Forster,] "An Inquiry into the Present Higy Price of Provisions", Lond. 1767, p.10.)

{537}

Arbeitsmittel und Arbeitsweisen spornt. Die Notwendigkeit, eine Naturkraft gesellschaftlich zu kontrollieren, damit hauszuhalten, sie durch Werke von Menschenhand auf großem Maßstab erst anzueignen oder zu zähmen, spielt die entscheidendste Rolle in der Geschichte der Industrie. So z.B. die Wasserreglung in Ägypten[5], Lombardei, Holland usw. Oder in Indien, Persien usw., wo die Überrieslung durch künstliche Kanäle dem Boden nicht nur das unentbehrliche Wasser, sondern mit dessen Geschlämme zugleich den Minenal-dünger von den Bergen zuführt. Das Geheimnis der Industrieblüte von Spanien und Sizilien unter arabischer Herrschaft war die Kanalisation.[6]

Die Gunst der Naturbedingungen liefert immer nur die Möglichkeit, niemals die Wirklichkeit der Mehrarbeit, also des Mehrwerts oder des Mehrprodukts. Die verschiednen Naturbedingungen der Arbeit bewirken, daß dieselbe Quantität Arbeit in verschiednen Ländern verschiedne Bedürfnismassen befriedigt[7], daß also, unter sonst analogen Umständen, die notwendige Arbeitszeit verschieden ist. Auf die Mehrarbeit wirken sie nur als Naturschranke, d.h. durch die Bestimmung des Punkts, wo die Arbeit für andre beginnen kann. In demselben Maß, worin die Industrie vortritt, weicht diese Naturschranke zurück. Mitten in der westeuropäischen Gesellschaft, wo der Arbeiter die Erlaubnis, für seine eigne Existenz zu arbeiten,

[5] Die Notwendigkeit, die Perioden der Nilbewegung zu berechnen, schuf die ägyptische Astrono-mie und mit ihr die Herrschaft der Priesterkaste als Leiterin der Agrikultur. "Die Sonnenwende ist der Zeitpunkt des Jahres, an dem das Steigen des Nils beginnt und den daher die Ägypter mit der größten Sorgfalt beobachten mußten ... Es war dieses Äquinoktialjahr, das sie festsetzen mußten, um sich in ihren agrikolen Operationen danach zu richten. Sie mußten daher am Himmel ein sichtbares Zeichen seiner Wiederkehr suchen." (Cuvier, "Discours sur les révolutions du globe", éd. Hoefer, Paris 1863, p.141.)

[6] Eine der materiellen Grundlagen der Staatsmacht über die zusammenhangslosen kleinen Produktionsorganismen Indiens war Reglung der Wasserzufuhr. Die muhammedanischen Herrscher Indiens verstanden dies besser als ihre englischen Nachfolger. Wir erinnern nur an die Hungersnot von 1866, die mehr als einer Million Hindus in dem Distrikt von Orissa, Präsidentschaft Benglen, das Leben kostete.

[7] "Es gibt keine zwei Länder, die eine gleiche Zahl der notwendigen Lebensmittel in gleicher Fülle und mit gleichem Aufwand an Arbeit liefern. Die Bedürfnisse der Menschen wachsen oder vermindern sich mit der Strenge oder Milde des Klimas, in dem sie leben, und folglich kann das verhältnismäßige Ausmaß an Erwerbstätigkeit, das die Bewohner der verschiednen Länder notwendigerweise betreiben müssen, nicht gleich sein, noch läßt sich der Glad der Verschiedenheit anders als nach den Hitze- und Kältegraden ermitteln. Man kann daher allgemein schließen, daß die Menge der für 317

DAS KAPITAL

{538}

nur durch Mehrarbeit erkauft, wird sich leicht eingebildet, es sei eine der menschlichen Arbeit eingeborne Qualität, ein Surplusprodukt zu leifern.[8] Man nehme aber z.B. den Einwohner der östlichen Inseln des asiatischen Archipelagus, wo der Sago wild im Walde wächst.

"Wenn die Einwohner, indem sie ein Loch in den Baum bohren, sich davon überzeugt haben, daß das Mark reif ist, so wird der Stamm umgeschlagen und in mehrere Stücke geteilt, das Mark wird her-ausgekratzt, mit Wasser gemischt und geseiht, es ist dann vollkommen brauchbares Sagomehl. Ein Baum gibt gemeiniglich 300 Pfund und kann 500 bis 600 Pfund geben. Man geht dort also in den Wald und schneidet sich sein Brot, wie man bei uns sein Brennholz schlägt."[9]

Gesetzt, ein solcher ostasiatischer Brotschneider brauche 12 Arbeitsstunden in der Woche zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse. Was ihm die Gunst der Natur unmittelbar gibt, ist viel Mußezeit Damit er diese produktiv für sich selbst verwende, ist eine ganze Reihe geschichtlicher Umstände, damit er sie in Mehrarbeit für fremde personen verausgabe, ist äußrer Zwang erheischt. Würde kapitalistische Produktion eingeführt, so müßte der Brave vielleicht 6 Tage in der Woche arbeiten, um sich selbst das Produkt eines Arbeitstags anzueignen. Die Gunst der Natur erklärt nicht, warum er jetzt 6 Tage in der Woche arbeitet oder warum er 5 Tage Mehrarbeit liefert. Sie erklärt nur, warum seine notwendige Arbeitszeit auf einen Tag in der Woche beschränkt ist. In keinem Fall aber entspränge sein Mehrprodukt aus einer der menschlichen Arbeit eingebornen, okkulten Qualität.

Wie die geschichtlich entwickelten, gesellschaftlichen, so erscheinen die naturbedingten Produktivkräfte der Arbeit als Produktivkräfte des kapitals, dem sie einverleibt wird. –

den Unterhalt einer gewissen Menschenzahl erforderlichen Arbeit in kalten Klimaten am größten, in warmen am geringsten ist; in jenen brauchen die Menschen nicht nur mehr Kleidung, sondern der Boden muß auch besser bebaut werden als in diesen." (An Essay on the Governing Causes of the Natural Rate of Interest", Lond. 1750, p.59.) Der Verfasser dieser epochemachenden anonymen Schrift ist J. Massie. Hume nahm daraus seine Zinstheorie.

[8] "Jede Arbeit muß" (scheint auch zu den droits und devoirs du citoyen[1*] zu gehören) "eien Überschuß lassen." (Proudhon)

[9] F. Schouw, "Die Erde, die Pflanze und der Mensch", 2. Aufl., Leipzig 1854, p.148.

[1*] Rechten und Pflichten des Bürgers

{539}

Ricardo kümmert sich nie um den Ursprung des Mehrwerts. Er behandelt ihn wie eine der kapitalistischen Produktionsweise, der in seinen Augen natürlichen Form der gesellschaftlichen Produktion, inhärente Sache.

Wo er von der Produktivität der Arbeit spricht, da sucht er in ihr nicht die Ursache des Daseins von Mehrwert, sondern nur die Ursache, die seine Größe bestimmt. Dagegen hat seine Schule die Produktivkraft der Arbeit laut proklamiert als die Entsthungsursache des Profits (lies: Mehrwerts). Jedenfalls ein Fortschritt gegenüber den Merkantilisten, die ihrerseits den Überschuß des Preises der Produkte über ihre Produktionskosten aus dem Austausch herleiten, aus ihrem Verkauf über ihren Wert. Trotzdem hatte auch Ricardos Schule das Problem bloß umgangen, nicht gelöst. In der Tat hatten diese bürgerlichen Ökonomen den richtigen Instinkt, es sei sehr gefährlich, die brennende Frage nach dem Ursprung des Mehrwerts zu tief zu ergründen.

Was aber sagen, wenn ein halbes Jahrfundert nach Ricardo Herr John Stuart Mill würdevoll seine Überegen-heit über die Merkantilisten konstatiert, indem er die faulen Ausflüchte der ersten Verflacher Ricardos schlecht wiederholt?

Mill sagt:

"Die Ursache des Profits ist die, daß die Arbeit mehr produziert , als für ihren Unterhalt erforderlich ist."

Soweit nicht als die alte leier; aber Mill will auch Eignes hinzutun:

"Oder um die Form des Satzes zu variieren: der Grund, weshalb das Kapital einen Profit leifert, ist der, daß Nahrung, Kleider, Rohstoffe und Arbeitsmittel längere Zeit dauern, als zu ihrer Produktion erforderlich ist."

318

DAS KAPITAL

Mill verwechselt hier die Dauer der Arbeitszeit mit der Dauer ihrer Produkte. Nach dieser Ansicht würde ein Bäcker, dessen Produkte nur einen Tag dauern, aus seinen Lohnarbeitern nie denselben Profit ziehen können wie ein Maschinenbauer, dessen Produkte zwanzig Jahre und länger dauern. Allerdings, wenn die Vogelnester nicht längere Zeit vorhielten, als zu ihrem Bau erforderlich, so würden die Vögel sich ohne Nester behelfen müssen.

Diese Grundwahrheit einmal festgestellt, stellt Mill seine Überlegenheit über die Merkantilisten fest:

"Wir sehn also, daß der Profit entsteht, nicht aus dem Zwischenfall der Austäusche, sondern aus der Produktivkraft der Arbeit; der Gesamtprofit eines Landes ist immer bestimmt durch die Produktivkraft der Arbeit, gleichviel ob Austausch stattfindet oder nicht. Bestände keine Teilung der Beschäftigungen, so gäbe es weder Kauf noch Verkauf, aber immer noch Profit."

{540}

Hier sind also Austausch, Kauf und Verkauf, die allgemeinen Bedingungen der kapitalistischen Produktion, ein purer Zwischenfall, und es gibt immer noch Profit ohne Kauf und Verkauf der Arbeitskraft!

Weiter:

"Produziert die Gesamtheit der Arbeiter eines Landes 20% über ihre Lohnsumme, so werden die Profite 20% sein, was auch immer der Stand der Warenpreise."

Dies ist einerseits eine äußerst gelungne Tautologie, denn wenn Arbeiter einen Mehrwert von 20% für ihre Kapitalisten produzieren, so werden sich die Profite zum Gesamtlohn der Arbeiter verhalten wie 20 : 100.

Andrerseits ist es absolut falsch, daß die Profite "20% sein werden". Sie müssen immer kleiner sein, weil Profite berechnet werden auf die Totalsumme des vorgeschoßnen Kapitals. Der Kapitalist habe z.B. 500 Pfd.St.

vorgeschossen, davon 400 Pfd.St. in Produktionsmitteln, 100 Pfd.St. in Arbeitslohn. Die Rate des Mehrwerts sei, wie angenommen, 20%, so wird die Profitrate sein wie 20 : 500, d.h. 4% und nicht 20%.

Folgt eine glänzende Probe, wie Mill die verschiednen geschichtlichen Formen der gesellschaftlichen Produktion behandelt:

"Ich setze überall den gegenwärtigen Stand der Dinge voraus, der bis auf wenige Ausnahmen überall herrscht, d.h. daß der Kapitalist alle Vorschüsse macht, die Bezahlung des Arbeiters einbegriffen."

Seltsame optische Täushung, überall einen Zustand zu sehn, der bis jetzt nur ausnahmsweise auf dem Erdball herrscht! Doch weiter. Mill ist gut genug, zuzugeben, "es sei nicht eine absolute Notwendigkeit, daß dem so sei".[1*] Im Gegenteil.

"Der Arbeiter könnte, selbst mit seinem ganzen Lohnbetrage, die Zahlung abwarten, bis die Arbeit vollständig fertig ist, wenn er die zu seiner Erhaltung in der Zwischenzeit nötigen Mittel hätte. Aber in diesem Falle wäre er in gewissem Grade ein Kapitalist, der Kapital ins Geschäft legte, und einen Teil der zu seiner Fortführung nötigen Fonds lieferte."

[1*] In seinem Brief an N. F. Danielson vom 28. November 1878 schlug Marx folgende Fassung dieses Absatzes vor:

Folgt eine glänzende Probe, wie Mill die verschiednen geschichtlichen Formen der gesellschaftlichen Produktion behandelt: "Ich setze überall", sagt er, "den gegenwärtigen Stand der Dinge voraus, der bis auf wenige Ausnahmen überall herrscht, wo Arbeiter und Kapitalisten einander als Klassen gegenüberstehen, d.h., daß der Kapitalist alle Vorschüsse macht, die Bezahlung des Arbeiters einbegriffen." Herr Mill will gern glauben, es sei nicht eine absolute Notwendigkeit, daß dem so sei – selbst in dem ökonomischen System, in dem Arbeiter und Kapitalisten einander als Klassen gegenüberstehen.

{541}

Ebensogut könnte Mill sagen, der Arbeiter, der sich selbst nicht nur die Lebensmittel, sondern auch die Arbeitsmittel vorschießt, sei in Wirklichkeit sein eigner Lohnarbeiter. Oder der amerikanische Bauer sei sein eigner Sklave, der nur für sich selbst statt für einen fremden Herrn frondet.

Nachdem uns Mill derart klärlich erwiesen, daß die kaitalistische Produktion, selbst wenn sie nicht existierte, dennoch immer existieren würde, ist er nun konsequent genug, zu beweisen, daß sie selbst dann nicht existiert, wenn sie existiert:

319

DAS KAPITAL

"Und selbst im vorigen Fall" (wenn der Kapitalist dem Lohnarbeiter seine sämtlichen Subsistenzmittel vorschießt) "kann der Arbeiter unter demselben Gesichtspunkt betrachtet werden" (d.h. als ein Kapitalist). "Denn indem er seine Arbeit unter dem Marktpreise (!) hergibt, kann er angesehn werden, als schösse er die Differenz (?) seinem Unternehmer vor usw."[9a]

In der tatsächlichen Wirklichkeit schießt der Arbeiter dem Kapitalisten seine Arbeit während einer Woche usw. umsonst vor, um am Ende der Woche usw. ihren Marktpreis zu erhalten; das macht ihn, nach Mill, zum Kapitalisten! In der platten Ebene erscheinen auch Erdhaufen als Hügel; man messe die Plattheit unsrer heutigen Bourgeoisie am Kaliber ihrer "großen Geister".

[9a] J. St. Mill, "Principles of Political Economy", Lond. 1868, p.252-253, passim. – {Oblige Stellen sind nach der französischen Ausgabe des "Kapital" übersetzt. – F. E.}

320

DAS KAPITAL

Größenwechsel von Preis der Arbeitskraft und Mehrwert

Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert der gewohnhetismäßig notwendigen Lebensmittel des Durchschnittsarbeiters. Die Masse dieser Lebensmittel, obgleich ihre Form wechseln mag, ist in einer bestimmten Epoche einer bestimmten Gesellschaft gegeben und daher als konstante Größe zu behandeln. Was wechselt, ist der Wert dieser Masse. Zwei andre Faktoren gehn in die Wertbestimmung der Arbeitskraft ein.

Einerseits ihre Entwicklungskosten, die sich mit der Produktionsweise ändern, andrerseits ihre Naturdiffe-renz, ob sie männlich oder weiblich, reif oder unreif. Der Verbrauch dieser differenten Arbeitskräfte, wieder bedingt durch die Produktionsweise, macht großen Unterschied in den Reproduktionskosten der Arbeiterfamilie und dem Wert des erwachsnen männlichen Arbeiters. Beide Faktoren bleiben jedoch bei der folgenden Untersuchung ausgeschllossen.[9b]

Wir unterstellen, 1. daß die Waren zu ihrem Wert verkauft werden, 2. daß der Preis der Arbeitskraft wohl gelegentlich über ihren Wert steigt, aber nie unter ihn sinkt.

Dies einmal unterstellt, fand sich, daß die relativen Größen von Preis der Arbeitskraft und von Mehrwert durch drei Umstände bedingt sind: 1. die Lände des Arbeitstags oder die extensive Größe der Arbeit; 2. die normale Intensität der Arbeit oder ihre intensive Größe, so daß ein bestimmtes Arbeitsquantum in bestimmter Zeit verausgabt wird; 3. endlich die Produktivkraft der Arbeit, so daß je nach dem Entwicklungsgrad der Produktionsbedingungen dasselbe Quantum Arbeit in derselben Zeit ein größeres Quantum Produkt liefert.

Sehr verschiedne Kom-

[9b] Der S.281[1*] behandelte Fall ist hier natürlich ebenfalls ausgeschlossen. {Note zur 3. Auf. – F.

E.}

[1*] Siehe vorl. Band, S.336

[543]

binationen sind offenbar möglich, je nachdem einer der drei Faktoren konstant und zwei variabel, oder zwei Faktoren konstant und einer variabel, oder endlich alle gleichzeitig variabel sind. Diese Kombinationen werden noch dadurch vermannigfacht, daß bei gleichzeitiger Variation verschiedner Faktoren die Größe und Richtung der Variation verschieden sein können. Im folgenden sind nur die Hauptkombinationen dargestellt.

I. Größe des Arbeitstags und Intensität der Arbeit konstant

(gegeben), Produktivkraft der Arbeit variabel

Unter dieser Voraussetzung sind Wert der Arbeitskraft und Mehrwert durch drei Gesetze bestimmt.

Erstens: Der Arbeitstag von gegebner Größe stellt sich stets in demselben Wertprodukt dar, wie auch die Produktivität der Arbeit, mit ihr die Produktenmasse und daher der Preis der einzelnen Ware wechsle.

Das Wertprodukt eines zwölfstündigen Arbeitstags ist 6 sh. z.B., obgleich die Masse der produzierten Gebrauchswerte mit der Produktivkraft der Arbeit wechselt, der Wert von 6 sh. sich also über mehr oder weniger Waren verteilt.

Zweitens: Wert der Arbeitskraft und Mehrwert wechseln in umgekehrter Richtung zueinander. Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, ihre Zunahme oder Abnahme, wirkt in umgekehrter Richtung auf den Wert der Arbeitskraft und Arbeitskraft und in direkter auf den Mehrwert.

Das Wertprodukt des zwölfstündigen Arbeitstags ist eine konstante Größe, z.B. 6 sh. Diese konstante Größe ist gleich der Summe des Mehrwerts plus dem Wert der Arbeitskraft, den der Arbeiter durch ein Äquivalent ersetzt. Es ist selbstverständlich, daß von zwei Teilen einer konstanten Größe keiner zunehmen kann, ohne daß der andre abnimmt. Der Wert der Arbeitskraft kann nicht von 3 sh. auf 4 steigen, ohne daß der Mehrwert von 3 sh. auf 2 fällt, und der Mehrwert kann nicht von 3 auf 4 sh. steigen, ohne daß der Wert der Arbeitskraft von 3 sh. auf 2 fällt. Unter diesen Umständen also ist kein Wechsel in der absoluten Größe, sei es des Werts der Arbeitskraft, sei es des Mehrwerts, möglich ohne gleichzeitigen Wechsel ihrer relativen oder verhältnismäßigen Größen. Es ist unmöglich, daß sie gleichzeitig fallen oder steigen.

321

DAS KAPITAL

Der Wert der Arbeitskraft kann ferner nicht fallen, also der Mehrwert nicht steigen, ohne daß die Produktivkraft der Arbeit steigt, z.B. im obigen Fall kann der Wert der Arbeitskraft nicht von 3 auf 2 sh. sinken, ohne daß

{544}

erhöhte Produktivkraft der Arbeit erlaubt, in 4 Stunden dieselbe Masse Lebensmittel zu produzieren, die vorher 6 Stunden zu ihrer Produktion erheischten. Umgekehrt kann der Wert der Arbeitskraft nicht von 3 auf 4 sh. steigen, ohne die Produktivkraft der Arbeit fällt, also 8 Stunden zur Produktion derselben Masse von Lebensmitteln erheischt sind, wozu früher 6 Stunden genügten. Es folgt hieraus, daß die Zunahme in der Produktivtät der Arbeit den Wert der Arbeitskraft senkt und damit den Mehrwert steigert, während umgekehrt die Abnahme der Produktivität den Wert der Arbeitskraft steigert und den Mehrwert senkt.

Bei Formulierung dieses Gesetzes übersah Ricardo einen Umstand: Obgleich der Wechsel in der Größe des Mehrwerts oder der Mehrarbeit einenumgekehrten Wechsel in der Größe des Werts der Arbeitskraft oder der notwendigen Arbeit bedingt, folgt keineswegs, daß sie in derselben Proportion wechseln. Sie nehmen zu oder ab um dieselbe Größe. Das Verhältnis aber, worin jeder Teil des Wertprodukts oder des Arbeitstags zu- oder abnimmt, hängt von der ursprünglichen Teilung ab, die vor dem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit stattfand. War der Wert der Arbeitskraft 4 sh. oder die notwendige Arbeitszeit 8 Stunden, der Mehrwert 2 sh.

oder die Mehrarbeit 4 Stunden und fällt, infolge erhöhter Produktivkraft der Arbeit, der Wert der Arbeitskraft auf 3 sh. oder die notwendige Arbeit auf 6 Stunden, so steigt der Mehrwert auf 3 sh. oder die Mehrarbeit auf 6 Stunden. Es ist dieselbe Größe von 2 Stunden oder 1 sh., die dort zugefügt, hier weggenommen wird. Aber der proportionelle Größenwechsel ist auf beiden Seiten verschieden. Während der Wert der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3, also um 1/4 oder 25% sinkt, steigt der Mehrwert von 2 sh. auf 3, also um 1/2 oder 50%. Es folgt daher, daß die proportionelle Zu- oder Abnahme des Mehrwerts, infolge eines gegebnen Wechsels in der Produktivkraft der Arbeit, um so größer, je kleiner, und um so kleiner, je größer ursprünglich der Teil des Arbeitstags war, der sich in Mehrwert darstellt.

Drittens: Zu- oder Abnahme des Mehrwerts ist stets Folge und nie Grund der entsprechenden Ab- und Zunahme des Werts der Arbeitskraft.[10]

[10] Zu diesem dritten Gesetz hat MacCulloch u.a. den abgeschmackten Zusatz gemacht, daß der Mehrwert ohne Fall im Wert der Arbeitskraft steigen kann durch Abschaffung von Steuern, die der Kapitalist früher zu zahlen hatte. Die Abschaffung solcher Steuern ändert absolut nichts an dem Quantum Mehrwert, das der industrielle Kapitalist in erster Hand dem Arbeiter auspumpt. Sie ändert nur die Proportion, worin er Mehrwert in seine eigne Tasche steckt oder mit dritten Personen teilen muß. Sie ändert slso nichts an dem Verhältnis zwischen Wert der Arbeitskraft und Mehrwert. Die Ausnahme des MacCulloch beweist also nur sein Mißverständnis der Regel, ein

{545}

Da der Arbeitstag von konstanter Größe ist, sich in einer konstanten Wertgröße darstellt, jedem Größenwechsel des Mehrwerts ein umgekehrter Größenwechsel im Wert der Arbeitskraft entspricht und der Wert der Arbeitskraft nur wechseln kann mit einem Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit, folgt unter diesen Bedingungen offenbar, daß jeder Größenwechsel des Mehrwerts aus einem umgekehrten Größenwechsel im Wert der Arbeitskraft entspringt. Wenn man daher gesehn, daß kein absoluter Größenwechsel im Wert der Arbeitskraft und des Mehrwerts möglich ist ohne einen Wechsel ihrer relativen Größen, so folgt jetzt, daß kein Wechsel ihrer relativen Wertgrößen möglich ist ohne einen Wechsel in der absoluten Wertgröße der Arbeitskraft.

Nach dem dritten Gesetz unterstellt der Größenwechsel des Mehrwerts eine durch Wechsel in der Produktivkraft der Arbeit verursachte Wertbewegung der Arbeitskraft. Die Grenze jenes Wechsels ist durch die neue Wertgrenze der Arbeitskraft gegebnen. Es können aber, auch wenn die Umstände dem Gesetz zu wirken erlauben, Zwischenbewegungen stattfinden. Fällt z.B. infolge erhöhter Produktivkraft der Arbeit der Wert der Arbeitskraft von 4 sh. auf 3 oder die notwendige Arbeitszeit von 8 Stunden auf 6, so könnte der Preis der Arbeitskraft nur auf 3 sh. 8 d., 3 sh. 6 d., 3 sh. 2 d. usw. fallen, der Mehrwert daher nur auf 3 sh. 4 d., 3sh. 6

d., 3 sh. 10 d usw. steigen. Der Grad des Falls, dessen Minimalgrenze 3 sh., hängt von dem relativen Gewicht ab, das der Druck des Kapitals von der einen Seite, der Widerstand der Arbeiter von der andern Seite in die Waagschale wirft.

322

DAS KAPITAL

Der Wert der Arbeitskraft ist bestimmt durch den Wert eines bestimmten Quantums von Lebensmitteln. Was mit der Produktivkraft der Arbeit wechsel, ist der Wert dieser Lebensmittel, nicht ihre Masse. Die Masse selbst kann, bei steigender Produktivkraft der Arbeit, für Arbeiter und Kapitalist gleichzeitig und in demselben Verhältnis wachsen ohne irgendeinen Größenwechsel zwischen Preis der Arbeitskraft und Mehrwert. Ist der ursprüngliche Wert der Arbeitskraft 3 sh. und beträgt die notwendige Arbeitszeit 6 Stunden, ist der Mehrwert ebenfalls 3 sh. oder beträgt die Mehrarbeit auch 6 Stunden, so würde eine Verdopplung in der Produktivkraft der Arbeit, bei gleichbleibender Teilung des Arbeitstags, Preis der Arbeitskraft und Mehrwert unverändert lassen. Nur stellte sich jeder derselben in doppelt so vielen, aber verhältnismäßig verwohlfeiler-ten Ge-

Malheur, das ihm in der Vulgarisation Ricardos ebensooft passiert als dem J. B. Say in der Vulgarisation A. Smiths.

{546}

brauchswerten dar. Obgleich der Preis der Arbeitskraft unverändert, wäre er über ihren Wert gestiegen. Fiele der Preis der Arbeitskraft, aber nicht bis zu der durch ihren neuen Wert gegebnen Minimalgrenze von 1 1/2

sh., sondern auf 2 sh. 10 d., 2 sh. 6 d. usw., so repräsentierte dieser fallende Preis immer noch eine wachsende Masse von Lebensmitteln. Der Preis der Arbeitskraft könnte so bei steigender Produktivkraft der Arbeit be-ständig fallen mit gelichzeitigem, fortwährendem Wachstum der Lebensmittelmasse des Arbeiters. Relativ aber, d.h. verglichen mit dem Mehrwert, sänke der Wert der Arbeitskraft beständig und erweiterte sich also die Kluft zwischen den Lebenslagen von Arbeiter und Kapitalist.[11]

Ricardo hat die oben aufgestellten drei Gesetze zuerst streng formuliert. Die Mängel seiner Darstellung sind, 1. daß er die besondern Bedingungen, innerhalb deren jene Gesetze gelten, für die sich von selbst verstehen-den, allgemeinen und ausschließlichen Bedingungen der kapitalistischen Produktion ansieht. Er kennt keinen Wechsel, weder in der Länge des Arbeitstags noch in der Intensität der Arbeit, so daß bei ihm die Produktivität der Arbeit von selbst zum einzigen variablen Faktor wird; – 2. aber, und dies verfälscht seine Analyse in viel höherem Grad, hat er ebensowenig wie die andern Ökonomen jemals den Mehrwert als solchen untersucht, d.h. unabhängig von seinen besondern Formen, wie Profit, Grundrente usw. Er wirft daher die Gesetze über die Rate des Mehrwerts unmittelbar zusammen mit den Gesetzen der Profitrate. Wie schon gesagt, ist die Profitrate das Verhältnis des Mehrwerts zum vorgeschossenen Gesamtkapital, während die Mehrwertsrate das Verhältnis ist des Mehrwerts zum bloß variabeln Teil dieses Kapitals. Nimm an, ein Kapital von 500

Pfd.St. (C) teile sich in Rohstoffe, Arbeitsmittel etc. für zusammen 400 Pfd.St. (c) und in 100 Pfd.St. Arbeitslöhne (v); daß ferner der Mehrwert = 100 Pfd.St. (m). Dann ist die Mehrwertsrate m/v = 100 Pfd.St/100

Pfd.St = 100%. Aber die Profitrate m/C = 100 Pfd.St./500 Pfd.St. = 20%. Es leuchtet außerdem ein, daß die Profitrate abhängen kann von Umständen, die keineswegs auf die Mehrwertsrate einwirken. Ich werde später im Dritten Buch dieser Schrift beweisen, daß

[11] "Wenn in der Produktivtät der Industrie eine Änderung Platz greift, so daß durch eine gegebne Menge von Arbeit und Kapital mehr oder weniger erzeugt wird, kann der Lohnanteil sich offensichtlich ändern, während die Menge, welche dieser Anteil darstellt, die gleiche bleibt, oder die Menge kann sich ändern, während der Anteil unverändert bleibt." ([J. Cazenove,] "Outlines of Political Economy etc.", p.67.)

{547}

dieselbe Rate des Mehrwerts sich in den verschiedensten Profitraten und verschiednen Raten des Mehrwerts, unter bestimmten Umständen, sich in derselben Profitrate ausdrücken können.

II. Konstanter Arbeitstag, konstante Produktivkraft der Arbeit,

Intensität der Arbeit variabel

Wachsende Intensität der Arbeit unterstellt vermehrte Ausgabe von Arbeit in demselben Zeitraum. Der intensivere Arbeitstag verkörpert sich daher in mehr Produkten als der minder intensive von gleicher Stundenzahl. Mit erhöhter Produktivkraft liefert zwar auch derselbe Arbeitstag mehr Produkte. Aber im letztern Fall sinkt der Wert des einzelnen Produkts, weil es weniger Arbeit als vorher kostet, im erstern Fall bleibt er unverändert, weil das Produkt nach wie vor gleich viel Arbeit kostet. Die Anzahl der Produkte steigt hier ohne Fall ihres Preises. Mit ihrer Anzahl wächst ihre Preissumme, während dort dieselbe Wertsumme sich nur in 323

DAS KAPITAL

vergrößerter Produktenmasse darstellt. Bei gleichbleibender Stundenzahl verkörpert sich also der intensivere Arbeitstag in höherem Wertprodukt, also, bei gleichbleibendem Wert des Geldes, in mehr Geld. Sein Wertprodukt variiert mit den Abweichungen seiner Intensität von dem gesellschaftlichen Normalgrad. Derselbe Arbeitstag stellt sich also nicht wie vorher in einem konstanten, sondern in einem variablen Wertprodukt dar, der intensivere, zwölfstündige Arbeitstag z.B. in 7 sh., 8 sh. usw. statt in 6 sh. wie der zwölfstündige Arbeitstag von gewöhnlicher Intensität. Es ist klar: Variiert das Wertprodukt des Arbeitstags, etwa von 6 auf 8 sh., so können beide Teile dieses Wertprodukts, Preis der Arbeitskraft und Mehrwert, gleichzeitig wachsen, sei es in gleichem oder ungleichem Grad. Preis der Arbeitskraft und Mehrwert können beide zur selben Zeit von 3 sh.

auf 4 wachsen, wenn das Wertprodukt von 6 auf 8 steigt. Preiserhöhung der Arbeitskraft schließt hier nicht notwendig Steigerung ihres Preises über ihren Wert ein. Sie kann umgekehrt von einem Fall unter ihren Wert[1*] begleitet sein. Dies findet stets statt, wenn die Preiserhöhung der Arbeitskraft ihren beschleunigten Verschleiß nicht kompensiert.

Man weiß, daß mit vorübergehenden Ausnahmen ein Wechsel in der Produktivität der Arbeit nur dann einen Wechsel in der Wertgröße der Arbeitskraft und daher in der Größe des Mehrwerts bewirkt, wenn die

[1*] 4. Auflage: Fall ihres Werts

{548}

Produkte der betroffenen Industriezweige in den gewohnheitsmäßigen Konsum des Arbeiters eingehn. Diese Schranke fällt hier fort. Ob die Größe der Arbeit extensiv oder intensiv wechsle, ihrem Größenwechsel entspricht ein Wechsel in der Größe ihres Wertprodukts, unabhängig von der Natur des Artikels, worin sich dieser Wert darstellt.

Steigerte sich die Intensität in allen Industriezweigen gleichzeitig und gleichmäßig, so würde der neue höhere Intensitätsgrad zum gewöhnlichen gesellschaftlichen Normalgrad und hörte damit auf, als extensive Größe zu zählen. Indes blieben selbst dann die durchschnittlichen Intensitätsgrade der Arbeit bei verschiednen Nationen verschieden und modifizierten daher die Anwendung des Wertgesetzes auf unterschiedne Nationalar-beitstage. Der intensivere Arbeitstag der einen Nation stellt sich in höherem Geldausdruck dar als der minder intensive der andren.[12]

III. Produktivkraft und Intensität der Arbeit konstant,

Arbeitstag variabel

Der Arbeitstag kann nach zwei Richtungen variieren. Er kann verkürzt oder verlängert werden.

1. Verkürzung des Arbeitstags unter den gegebenen Bedingungen, d.h. gleichbleibender Produktivkraft und Intensität der Arbeit, läßt den Wert der Arbeitskraft und daher die notwendige Arbeitszeit unverändert. Sie verkürzt die Mehrarbeit und den Mehrwert. Mit der absoluten Größe des letztren fällt auch seine relative Größe, d.h. seine Größe im Verhältnis zur gleichbleibenden Wertgröße der Arbeitskraft. Nur durch Herabdrükkung ihres Preises unter ihren Wert könnte der Kapitalist sich schadlos halten.

Alle hergebrachten Redensarten wider die Verkürzung des Arbeitstags unterstellen, daß das Phänomen sich unter den hier vorausgesetzten Umständen ereignet, während in der Wirklichkeit mgekehrt Wechsel in der

[12] "Bei sonst gleichen Umständen kann der englische Fabrikant in einer bestimmten Zeit eine be-trächtlich größere Menge von Arbeit herausbringen als ein ausländischer Fabrikant, so viel, um den Unterschied der Arbeitstage zwischen 60 Stunden wöchentlich hier und 72 bis 80 Stunden anderwärts auszugleichen." ("Reports of Insp. of Fact. for 31st Oct. 1855", p.65.) Größere gesetzliche Verkürzung des Arbeitstags in den kontinentalen Fabriken wäre das unfehlbarste Mittel zur Verminderung dieser Differenz zwischen der kontinentalen und der englischen Arbeitsstunde.

{549}

Produktivität und Intensität der Arbeit entweder der Verkürzung des Arbeitstags vorhergehn oder ihr unmi ttelbar nachfolgen.[13]

2. Verlängerung des Arbeitstags: Die notwendige Arbeitszeit sei 6 Stunden oder der Wert der Arbeitskraft 3

sh., ebenso Mehrarbeit 6 Stunden und Mehrwert 3 sh. Der Gesamtarbeitstag beträgt dann 12 Stunden und 324

DAS KAPITAL

stellt sich in einem Wertprodukt von 6 sh. dar. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert und bleibt der Preis der Arbeitskraft unverändert, so wächst mit der absoluten die relative Größe des Mehrwerts. Obgleich die Wertgröße der Arbeitskraft absolut unverändert bleibt, fällt sie relativ. Unter den Bedingungen von I.

konnte die relative Wertgröße der Arbeitskraft nicht wechseln ohne einen Wechsel ihrer absoluten Größe.

Hier, im Gegenteil, ist der relative Größenwechsel im Wert der Arbeitskraft das Resultat eines absoluten Größenwechsels des Mehrwerts.

Da das Wertprodukt, worin sich der Arbeitstag darstellt, mit seiner eignen Verlängerung wächst, können Preis der Arbeitskraft und Mehrwert gleichzeitig wachsen, sei es um gleiches oder ungleiches Inkrement. Dies gleichzeitige Wachstum ist also in zwei Fällen möglich, bei absoluter Verlängerung des Arbeitstags und bei wachsender Intensität der Arbeit ohne solche Verlängerung.

Mit verlängertem Arbeitstag kann der Preis der Arbeitskraft unter ihren Wert fallen, obgleich er nominell unverändert bleibt oder selbst steigt. Der Tageswert der Arbeitskraft ist nämlich, wie man sich erinnern wird, geschätzt auf ihre normale Durchschnittsdauer oder die normale Lebensperiode des Arbeiters und auf entsprechenden, normalen, der Menschennatur angemessnen Umsatz von Lebenssubstanz in Bewegung.[14] Bis zu einem gewissen Punkt kann der von Verlängerung des Arbeitstags untrennbare größere Verschleiß der Arbeitskraft durch größeren Ersatz kompensiert werden. Über diesen Punkt hinaus wächst der Verschleiß in geometrischer Progression und werden zugleich alle normalen Reproduktions- und Betätigungsbedingungen der Arbeitskraft zerstört. Der Preis der Arbeitskraft und ihr Exploitationsgrad hören auf, miteinander kommensurable Größen zu sein.

[13] "Es gibt kompensierenden Umstände ... die durch die Durchführung des Zehnstundengesetzes ans Licht gebracht worden sind." ("Reports of Insp. of Fact. for 31st October 1848", p.7.)

[14] "Die Arbeitsmenge, die ein Mann im Laufe von 24 Stunden geleistet hat, kann annähernd durch eine Untersuchung der chemischen Veränderungen bestimmt werden, die in seinem Körper stattgefunden haben, da veränderte Formen in der Materie die vorherige Anspannung von Bewegungskraft anzeigen." (Grove, "On the Correlation of Physical Forces", [p.308, 309].)

{550}

IV. Gleichzeitige Variationen in Dauer, Produktivkraft

und Intensität der Arbeit

Es ist hier offenbar eine große Anzahl Kombinationen möglich. Je zwei Faktoren können variieren und einer konstant bleiben, oder alle drei können gleichzeitig variieren. Sie können in gleichem oder ungleichem Grad variieren, in derselben oder entgegengesetzter Richtung, ihre Variationen sich daher teilweis oder ganz aufheben. Indes ist die Analyse aller möglichen Fälle nach den unter I, II und III gegebenen Aufschlüssen leicht.

Man findet das Resultat jeder möglichen Kombination, indem man der Reihe nach je einen Faktor als variabel und die andren zunächst als konstant behandelt. Wir nehmen hier daher nur noch kurze Notiz von zwei wichtigen Fällen.

1. Abnehmende Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger Verlängerung des Arbeitstags: Wenn wir hier von abnehmender Produktivkraft der Arbeit sprechen, so handelt es sich von Arbeitszweigen, deren Produkte den Wert der Arbeitskraft bestimmen, also z.B. von abnehmender Produktivkraft der Arbeit infolge zunehmender Unfruchtbarkeit des Bodens und entsprechender Verteurung der Bodenprodukte. Der Arbeitstag sei zwölfstündig, sein Wertprodukt 6 sh., wovon die Hälfte den Wert der Arbeitskraft ersetze, die andre Hälfte Mehrwert bilde. Der Arbeitstag zerfällt also in 6 Stunden notwendiger Arbeit und 6 Stunden Mehrarbeit. Infolge der Verteurung der Bodenprodukte steige der Wert der Arbeitskraft von 3 auf 4 sh., also die notwendige Arbeitszeit von 6 auf 8 Stunden. Bleibt der Arbeitstag unverändert, so fällt die Mehrarbeit von 6 auf 4 Stunden, der Mehrwert von 3 auf 2 sh. Wird der Arbeitstag um 2 Stunden verlängert, also von 12

auf 14 Stunden, so bleibt die Mehrarbeit 6 Stunden, der Mehrwert 3 sh., aber seine Größe fällt im Vergleich zum Wert der Arbeitskraft, gemessen durch die notwendige Arbeit. Wird der Arbeitstag um 4 Stunden verlängert, von 12 auf 16 Stunden, so bleiben die proportionellen Größen von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft, Mehrarbeit und notwendiger Arbeit unverändert, aber die absolute Größe des Mehrwerts wächst von 3

auf 4 sh., die der Mehrarbeit von 6 auf 8 Arbeitsstunden, also um 1/3 oder 33 1/3%. Bei abnehmender Pro-325

DAS KAPITAL

duktivkraft der Arbeit und gleichzeitiger Verlängerung des Arbeitstags kann also die absolute Größe des Mehrwerts unverändert bleiben, während seine proportionelle Größe fällt; seine proportionelle Größe kann unverändert bleiben, während seine absolute Größe wächst, und, je nach dem Grad der Verlängerung, können beide wachsen.

{551}

Im Zeitraume von 1799 bis 1815 führten die steigenden Preise der Lebensmittel in England eine nominelle Lohnsteigerung herbei, obwohl die wirklichen, in Lebensmitteln ausgedrückten Arbeitslöhne fielen. Hieraus schlossen West und Ricardo, daß die Verminderung der Produktivität der Ackerbauarbeit ein Fallen der Mehrwertsrate verursacht hätte, und machten diese nur in ihrer Phantasie gültige Annahme zum Ausgangspunkt wichtiger Analysen über das relative Größenverhältnis von Arbeitslohn, Profit und Grundrente. Dankt der gesteigerten Intensität der Arbeit und der erzwungenen Verlängerung der Arbeitszeit war aber der Mehrwert damals absolut und relativ gewachsen. Es war dies die Periode, worin die maßlose Verlängerung des Arbeitstags sich das Bürgerrecht erwarb[15], die Periode, speziell charakterisiert durch beschleunigte Zunahme hier des Kapitals, dort des Pauperismus.[16]

2. Zunehmende Intensität und Produktivkraft der Arbeit mit gleichzeitiger Verkürzung des Arbeitstags:

[15] "Korn und Arbeit stimmen selten vollkommen überein; aber es gibt eine offensichtliche Grenze, über die hinaus sie nicht getrennt werden können. Die außergewöhnlichen Anstrengungen der arbeitenden Klassen in Zeiten der Teuerung, die den Rückgang der Löhne bewirken, von dem in den Aussagen" (nämlich vor den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen 1814/15) "die Rede war, gereichen den einzelnen sehr zum Verdienst und begünstigen sicher das Anwachsen des Kapitals.

Aber kein human Empfindender kann wünschen, daß sie ungemindert und ununterbrochen vor sich gehen. Sie sind höchst bewundernswert als zeitweilige Abhilfe; aber wenn sie immer stattfänden, so würden sie ähnlich wirken wie eine im Verhältnis zu ihrer Subsistenz bis an die alleräußerste Grenze getriebene Bevölkerung." (Malthus, Inquiry into the Nature and Progress of Rent", Lond. 1815, p.48, Note.) Es macht Malthus alle Ehre, daß er den Ton legt auf die auch die auch an andrer Stelle in seinem Pamphlet direkt besprochne Verlängerung des Arbeitstags, während Ricardo und andre, im Angesicht der schreiendsten Tatsachen, die konstante Größe des Arbeitstags allen ihren Untersuchungen zugrund legten. Aber die konservativen Interessen, deren Knecht Malthus war, hinderten ihn zu sehn, daß die maßlose Verlängerung des Arbeitstags, zugleich mit außerordentlicher Entwicklung der Maschinerie und der Exploitation der Weiber- und Kinderarbeit, einen großen Teil der Arbeiterklasse

"überzählig" machen mußten, namentlich sobald die Kriegsnachfrage und das englische Monopol des Weltmarkts aufhörten. Es war natürlich weit bequemer und den Interessen der herrschenden Klassen, die Malthus echt pfäffisch idolatrisiert, viel entsprechender, diese "Übervölkerung" aus den ewigen Gesetzen der Natur als aus den nur historischen Naturgesetzen der kapitalistischen Produktion zu erklären.

[16] "Eine grundlegende Ursache des Anwachsens des Kapitals während des Krieges lag in den grö-

ßeren Anstrengungen und vielleicht auch den größeren Entbehrungen der arbeitenden Klassen, die in jeder Gesellschaft die zahlreichsten sind. Durch die Dürftigkeit ihrer Lage wurden mehr Frauen und Kinder genötigt, Arbeit zu nehmen;

{552}

Gesteigerte Produktivkraft der Arbeit und ihre wachsende Intensität wirken nach einer Seite hin gleichförmig.

Beide vermehren die in jedem Zeitabschnitt erzielte Produktenmasse. Beide verkürzen also den Teil des Arbeitstags, den der Arbeiter zur Produktion seiner Lebensmittel oder ihres Äquivalents braucht. Die absolute Minimalgrenze des Arbeitstags wird überhaupt gebildet durch diesen seinen notwendigen, aber kontraktiblen Bestandteil. Schrumpfte darauf der ganze Arbeitstag zusammen, so verschwände die Mehrarbeit, was unter dem Regime des Kapitals unmöglich. Die Beseitigung der kapitalistischen Produktionsform erlaubt, den Arbeitstag auf die notwendige Arbeit zu beschränken. Jedoch würde die letztre, unter sonst gleichbleibenden Umständen, ihren Raum ausdehnen. Einerseits weil die Lebensbedingungen des Arbeiters reicher und seine Lebensansprüche größer. Andrerseits würde ein Teil der jetzigen Mehrarbeit zur notwendigen Arbeit zählen, nämlich die zur Erzielung eines gesellschaftlichen Reserve- und Akkumulationsfonds nötig Arbeit.

Je mehr die Produktivkraft der Arbeit wächst, um so mehr kann der Arbeitstag verkürzt werden, und je mehr der Arbeitstag verkürzt wird, desto mehr kann die Intensität der Arbeit wachsen. Gesellschaftlich betrachtet, wächst die Produktivität der Arbeit auch mit ihrer Ökonomie. Diese schließt nicht nur die Ökonomisierung 326

DAS KAPITAL

der Produktionsmittel ein, sondern die Vermeidung aller nutzlosen Arbeit. Während die kapitalistische Produktionsweise in jedem individuellen Geschäft Ökonomie erzwingt, erzeugt ihr anarchisches System der Konkurrenz die maßloseste Verschwendung der gesellschaftlichen Produktionsmittel und Arbeitskräfte, neben einer Unzahl jetzt unentbehrlicher, aber an und für sich überflüssiger Funktionen.

Intensität und Produktivkraft der Arbeit gegeben, ist der zur materiellen Produktion notwendige Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags um so kürzer, der für freie, geistige und gesellschaftliche Betätigung der Individuen eroberte Zeitteil also um so größer, je gleichmäßiger die Arbeit unter alle werkfähigen Glieder der Gesellschaft verteilt, je weniger eine Gesellschaftsschichte die Naturnotwendigkeit der Arbeit von sich selbst abund einer andren Schichte zuwälzen kann. Die absolute Grenze für die Verkürzung des Arbeitstags ist nach dieser Seite hin die Allgemeinheit der Arbeit. In der kapitalistischen Gesellschaft wird freie Zeit für eine Klasse produzieert durch Verwandlung aller Lebenszeit der Massen in Arbeitszeit. und jene, die schon früher Arbeiter waren, waren aus demselben Grunde gezwungen, einen größeren Teil ihrer Zeit der Vermehrung der Produktion zu widmen." ("Essays on Political Econ. in which are illustrated the Principal Causes of the Present National Distress", London 1830, p.248.)

327

DAS KAPITAL

Verschiedne Formeln für die Rate des Mehrwerts

Man hat gesehn, daß die Rate des Mehrwerts sich darstellt in den Formeln:

I. (Mehrwert)/(Variables Kapital)(m/v)=(Mehrwert)/(Wert der Arbeitskraft)=(Mehrarbeit)/(Notwendige Arbeit).

Die zwei ersten Formen stellen als Verhältnis von Werten dar, was die dritte als Verhältnis der Zeiten, worin diese Werte produziert werden. Diese einander ersetzenden Formeln sind begrifflich streng. Man findet sie daher wohl der Sache nach, aber nicht bewußt ausgearbeitet in der klassischen politischen Ökonomie. Hier begegnen wir dagegen den folgenden abgleiteten Formeln:

II. (Mehrarbeit[1*])/(Arbeitstag)=(Mehrwert)/(Produktenwert)=(Mehrprodukt)/(Gesamtprodukt).

Eine und dieselbe Proportion ist hier absechselnd ausgedrückt in der Form der Arbeitszeiten, der Werte, worin sie sich verkörpern, der Produkte, worin diese Werte existieren. Es wird natürlich unterstellt, daß unter Wert des Produkts nur das Wertprodukt des Arbeitstags zu verstehn, der konstante Teil des Produktenwerts aber ausgeschlossen ist.

In allen diesen Formeln ist der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit oder die Rate des Mehrwerts falsch ausgedrückt. Der Arteitstag sei 12 Stunden. Mit den andren Annahmen unsres früheren Beispiels stellt sich in diesem Fall der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit dar in den Proportionen:

(6 Stunden Mehrarbeit)/(6 Stunden notwendige Arbeit)=(Mehrwert von 3 sh.)/(Variables Kapital von 3

sh.)=100%.

[1*] In der autorisierten französischen Ausgabe setzt Marx diese erste Formel in Klammern, "weil sich der Begriff der Mehrarbeit in der bürgerlichen politischen Ökonomie nicht klar ausgedrückt findet".

{556}

Nach den Formeln II erhalten wir dagegen:

(6 Stunden Mehrarbeit)/(Arbeitstag von 12 Stunden)=(Mehrwert von 3 sh.)/(Wertprodukt von 6 sh.)=50%.

Diese abgeleiteten Formeln drücken in der Tat die Proportion aus, worin der Arbeitstag oder sein Wertprodukt sich zwischen Kapitalist und Arbeiter teilt. Gelten sie daher als unmittelbare Ausdrücke des Selbstver-wertungsgrades des Kapitals, so gilt das falsche Gesetz: Die Mehrarbeit oder der Mehrwert kann nie 100%

erreichen.[17] Da die Mehrarbeit stets nur einen aliquoten Teil des Arbeitstags oder der Mehrwert stets nur einen aliquoten Teil des Wertprodukts bilden kann, ist die Mehrarbeit notwendigerweise stets kleiner als der Arbeitstag oder der Mehrwert stets kleiner als das Wertprodukt. Um sih zu verhalten wie 100/100, müßten sie aber gleich sein. Damit die Mehrarbeit den ganzen Arbeitstag absorbiere (es handelt sich hier um den Durchschnittstag der Arbeitswoche, des Arbeitsjahrs usw.), müßte die notwendige Arbeit auf Null sinken.

Verschwinder aber die notwendige Arbeit, so verschwindet auch die Mehrarbeit, da letztre nur eine Funktion der ersten. Die Proportion (Mehrarbeit)/(Arbeitstag)=(Mehrwert)/(Wertprodukt) kann also niemals die Grenze 100/100 erreichen und noch weniger auf (100 + x)/100 steigen. Wohl aber die Rate des Mehrwerts oder der wirkliche Exploitationsgrad der Arbeit. Nimm z.B. die Schätzung des Herrn L. de Lavergne, wonach

[17] So z.B. in "Dritter Brief an v. Kirchmann von Rodbertus. Widerlegung der Ricardo'schen Theorie von der Grundrente und Begründung einer neuen Rententheorie", Berlin 1851. Ich komme später auf diese Schrift zurück, die trotz ihrer falschen Theorie von der Grundrente das Wesen der kapitalistischen Produktion durchschaut. – {Zusatz zur 3. Auf. – Man sieht hier, wie wohlwollend Marx seine Vorgänger beurteilte, sobald er bei ihnen einen wirklichen Fortschritt, einen richtigen neuen Gedanken fand. Inzwischen die Veröffentlichung der Rodbertusschen Briefe an Rud. Meyer obige Anerkennung einigermaßen eingeschränkt. Da heißt es: "Man muß das Kapital nicht bloß vor der Arbeit, sondern auch vor sich selbst retten, und das geschieht in der Tat am besten, wenn man die Tätigkeit des Unternehmer-Kapitalisten als volks- und staatswirt-schaftliche Funktionen auffaßt, die ihm durch das Kapitaleigentum delegiert sind, und seinen Gewinn als eine Gehaltsform, weil wir noch keine andre soziale Organisation kennen. Gehälter dürfen aber geregelt werden und auch ermäßigt, wenn sie dem Lohn zu viel nehmen. So ist auch der Einbruch von Marx in die Gesell-328

DAS KAPITAL

schaft – so möchte ich sein Buch nennen – abzuwehren ... Überhaupt ist das Marxsche Buch nicht sowohl eine Untersuchung über das Kapitals als eine Polemik {555}

der englische Ackerbauarbeiter nur 1/4, der Kapitalist (Pächter) dagegen 3/4 des Produkts[18] oder seines Werts erhält, wie die Beute sich immer zwischen Kapitalist und Grundeigentümer usw. nachträglich weiter verteils. Die Mehrarbeit des englischen Landarbeiters verhält sich danach zu seiner notwendigen Arbeit = 3 : 1, ein Prozentsatz der Exploitation von 300%.

Die Schulmethode, den Arbeitstag als konstante Größe zu behandeln, wurde durch Anwendung der Formeln II befestigt, weil man hier die Mehrarbeit stets mit einem Arbeitstag von gegebner Größe vergleicht. Ebenso, wenn die Teilung des Wertprodukts ausschließlich ins Auge gefaßt wird. Der Arbeitstag, der sich bereits in einem Wertprodukt vergegenständlicht hat, ist stets ein Arbeitstag von gegebenen Grenzen.

Die Darstellung von Mehrwert und Wert der Arbeitskraft als Bruchteilen des Wertprodukts – eine Darstellungsweise, die übrigens aus der kapitalistischen Produktionsweise selbst erwächst und deren Bedeutung sich später erschließen wird – versteckt den spezifischen Charakter des Kapitalverhältnisses, nämlich den Austausch des variablen Kapitals mit der lebendigen Arbeitskraft und den entsprechenden Ausschluß des Arbeiters vom Produkt. An die Stelle tritt der falsche Schein eines Assoziationsverhältnisses, worin Arbeiter und Kapitalist das Produkt nach dem Verhältnis seiner verschiednen Bildungsfaktoren teilen.[19]

Übrigens sind die Formeln II stets in die Formeln I rüchkverwandelbar. Haben wir z.B. (Mehrarbeit von 6

Stunden)/(Arbeitstag von 12 Stunden), so ist die notwendige Arbeitszeit = Arbeitstag von zwölf Stunden minus Mehrarbeit von sechs Stunden, und so ergibt sich:

(Merharbeit von 6 Stunden)/(Notwendige Arbeit von 6 Stunden) = 100/100.

gegen die heutige Kapitalform, die er mit dem Kapitalbegriff selbst verwechselt, woraus eben seine Irrtümer entstehn." ("Briefe etc. von Dr. Rodbertus-Jagetzow", herausgg. von Dr. Rud. Meyer, Berlin 1881, I. Bd., p.111, 48. Brief von Rodbertus.) – In solchen ideologischen Gemeinplätzen versanden die in der Tat kühnen Anläufe der R.'schen "sozialen Briefe". -F. E.}

[18] Der Teil des Produkts, der nur das ausgelegte konstaante Kapital ersetzt, ist bei dieser Rechnung selbstverständlich abgezogen. – Herr L. de Lavergne, blinder Bewunderer Englands, gibt eher zu niedriges als zu hohes Verhältnis.

[19] Da alle entwickelten Formen des kapitalistischen Produktionsprozesses Formen der Kooperation sind, ist natürlich nichts leichter, als von ihrem spezifisch antagonistischen Charakter zu abstrahieren und sie so in freie Assoziationsformen umzufabeln, wie in des Grafen A. de Laborde, "De l'Esprit de l'Association dans tours les intérêts de

{556}

Eine dritte Formel, die ich gelegentlich schon antizipiert habe, ist:

III. (Mehrwert)/(Wert der Arbeitskraft) = (Mehrarbeit)/(Notwendige Arbeit) = (Unbezahlte Arbeit)/(Bezahlte Arbeit).

Das Mißverständnis, wozu die Formel (Unbezahlte Arbeit)/(Bezahlte Arbeit) verleiten könnte, als zahle der Kapitalist die Arbeit und nicht die Arbeitskraft, fällt nach der früher gegebenen Entwicklung fort. (Unbezahlte Arbeit)/(Bezahlte Arbeit) ist nur populärer Ausdruck für (Mehrarbeit)/(Notwendige Arbeit). Der Kapitalist zahlt den Wert, resp. davon abweichenden Preis der Arbeitskraft und erhält im Austausch die Verfü-

gung über die lebendige Arbeitskraft selbst. Seine Nutznießung dieser Arbeitskraft zerfällt in zwei Perioden.

Während der einen Periode produziert der Arbeiter nur einen Wert = Wert seiner Arbeitskraft, also nur ein Äquivalent. Für den vorgeschoßnen Preis der Arbeitskraft erhält so der Kapitalist ein Produkt vom selben Preis. Es ist, als ob er das Produkt fertig auf dem Markt gekauft hätte. In der Periode der Mehrarbeit dagegen bildet die Nutznießung der Arbeitskraft Wert für den Kapitalisten, ohne ihm einen Wertersatz zu kosten.[20]

Er hat diese Flüssigmachung der Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn kann die Mehrarbeit unbezahlte Arbeit heißen.

Das Kapital ist also nicht nur Kommando über Arbeit, wie A. Smith sagt. Es ist wesentlich Kommando über unbezahlte Arbeit. Aller Mehrwert, in welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente usw. er sich später kristallisiere, ist seiner Substanz nach Materiatur unbezahlter Arbeitszeit. Das Geheimnis von der Selbstver-329

DAS KAPITAL

wertung des Kapitals löst sich auf in seine Verfügung über ein bestimmtes Quantum unbezahlter fremder Arbeit. la Communauté, Paris 1818. Der Yankee H. Carey bringt dies Kunststück mit demselben Erfolg gelegentlich selbst für die Verhältnisse des Sklavensystems fertig.

[20] Obgleich die Physiokraten das Geheimnis des Mehrwerts nicht durchschauten, war ihnen doch so viel klar, daß er "ein unabhängiger und verfügbarer Reichtum ist, den er" (der Besitzer davon) "nicht gekauft hat und den er verkauft". (Turgot, "Réflexions sur la Formation et la Distribution des Richesses", p.11.) 330

DAS KAPITAL

Der Arbeitslohn

Verwandlung von Wert resp. Preis der Arbeitskraft in Arbeitslohn

Auf der Oberfläche der bürgerlichen Gesellschaft erscheint der Lohn des Arbeiters als Preis der Arbeit, ein bestimmtes Quantum Geld, das für ein bestimmtes Quantum Arbeit gezahlt wird. Man spricht hier vom Wert der Arbeit und nennt seinen Geldausdruck ihren notwendigen oder natürlichen Preis. Man spricht andrerseits von Marktpreisen der Arbeit, d.h. über oder unter ihrem notwendigen Preis oszillierenden Preisen.

Aber was ist der Wert einer Ware? Gegenständliche Form der in ihrer Produktion verausgabten gesellschaftlichen Arbeit. Und wodurch messen wir die Größe ihres Werts? Durch die Größe der in ihr enthaltnen Arbeit.

Wodurch wäre also der Wert z.B. eines zwölfstündigen Arbeitstags bestimmt? Durch die in einem Arbeitstag von 12 Stunden enthaltnen 12 Arbeitsstunden, was eine abgeschmackte Tautologie ist.[21]

[21] "Ricardo, geistreich genug, vermeidet eine Schwierigkeit, die auf den ersten Blick seiner Theorie entgegenzustehen scheint, daß nämlich der Wert von der in der Produktion verwandten Arbeitsmenge abhängig ist. Hält man an diesem Prinzip streng fest, so folgt daraus, daß der Wert der Arbeit ab-hängt von der zu ihrer Produktion aufgewandten Arbeitsmenge – was offenbar Unsinn ist. Durch ei-ne geschickte Wendung macht deshalb Ricardo den Wert der Arbeit abhängig von der Menge der Arbeit, die zur Produktion des Lohnes erforderlich ist; oder, um mit seinen eigenen Worten zu sprechen, er behauptet, daß der Wert der Arbeit nach der Arbeitsmenge zu schätzen sei, die zur Produktion des Lohnes benötigt wird; worunter er die Arbeitsmenge versteht, die zur Produktion des Geldes oder der Ware notwendig ist, die dem Arbeiter gegeben werden. Gerade so gut könnte man sagen, daß der Wert von Tuch nicht nach der zu seiner Produktion verwandten Arbeitsmenge geschätzt werde, sondern nach der Arbeitsmenge, die zur Produktion des Silbers verwandt wurde, gegen welches das Tuch eingetauscht wird." ([S. Bailey,] "A Critical Dissertation on the Nature, etc., of Value", pp.50, 51)

{558}

Um als Ware auf dem Markt verkauft zu werden, müßte die Arbeit jedenfalls existieren, bevor sie verkauft wird. Könnte der Arbeiter ihr aber eine selbständige Existenz geben, so würde er Ware verkaufen und nicht Arbeit.[22]

Von diesen Widersprüchen abgesehn, würde ein direkter Austausch von Geld, d.h. vergegenständlichter Arbeit, mit lebendiger Arbeit entweder das Wertgesetz aufheben, welches sich grade erst auf Grundlage der kapitalistischen Produktion frei entwickelt, oder die kapitalistische Produktion selbst aufheben, welche grade auf der Lohnarbeit beruht. Der Arbeitstag von 12 Stunden stellt sich z.B. in einem Geldwert von 6 sh. dar.

Entweder werden Äquivalente ausgetauscht, und dann erhält der Arbeiter für zwölfstündige Arbeit 6 sh. Der Preis seiner Arbeit wäre gleich dem Preis seines Produkts. In diesem Fall produzierte er keinen Mehrwert für den Käufer seiner Arbeit, die 6 sh. verwandelten sich nicht in Kapital, die Grundlage der kapitalistischen Produkion verschwände, aber grade auf dieser Grundlage verkauft er seine Arbeit und ist seine Arbeit Lohnarbeit. Oder er erhält für 12 Stunden Arbeit weniger als 6 sh., d.h. weniger als 12 Stunden Arbeit. Zwölf Stunden Arbeit tauschen sich aus gegen 10, 6 usw. Stunden Arbeit. Diese Gleichsetzung ungleicher Größen hebt nicht nur die Wertbestimmung auf. Ein solcher sich selbst aufhebender Widerspruch kann überhaupt nicht als Gesetz auch nur ausgesprochen oder formuliert werden.[23]

Es nützt nichts, den Austausch von mehr gegen weniger Arbeit aus dem Formunterschied herzuleiten, daß sie das eine Mal vergegenständlicht, das andre Mal lebendig ist.[24] Dies ist um so abgeschmackter, als der Wert einer

[22] "Wenn ihr Arbeit eine Ware nennt,so ist sie doch nicht einer Ware gleich, die zuerst zum Zweck des Tausches produziert und dann auf den Markt gebracht wird, wo sie mit anderen Waren, die grade auf dem Markte sind, in entsprechendem Verhältnis ausgetauscht wird; Arbeit wird in dem Augenblick geschaffen, in dem sie auf den Markt gebracht wird, ja sie wird auf den Markt gebracht, bevor sie geschaffen ist." ("Observations on some verbal disputes etc.", p.75, 76.)

[23] "Wenn man Arbeit als eine Ware und Kapital, das Produkt von Arbeit, als eine andre behandelt, dann würde sich, wenn die Werte jener beiden Waren durch gleiche Arbeitsmengen bestimmt würden, eine gegebene Menge Arbeit \dots{} gegen eine solche Menge Kapital austauschen die durch 331

DAS KAPITAL

die gleiche Arbeitsmenge erzeugt worden wäre; vergangene Arbeit würde ... gegen die gleiche Menge eingetauscht wie gegenwärtige. Aber der Wert der Arbeit, im Verhältnis zu anderen Waren ... wird eben nicht durch gleiche Arbeitsmengen bestimmt." (E. G. Wakefield in s. Edit. von A. Smiths,

"Wealth of Nations", Lond. 1835, v.I, p.230, 231, Note.)

[24] "Man mußte vereinbaren" (auch eine Ausgabe des "contrat social"[1*]), "daß,

[1*] "Gesellschaftsvertrags"

{559}

Ware nicht durch das Quantum wirklich in ihr vergegenständlichter, sondern durch das Quantum der zu ihrer Produktion notwendigen lebendigen Arbeit bestimmt wird. Eine Ware stelle 6 Arbeitsstunden dar. Werden Erfindungen gemacht, wodurch sie in 3 Stunden produziert werden kann, so sinkt der Wert auch der bereits produzierten Ware um die Hälfte. Sie stellt jetzt 3 statt früher 6 Stunden notwendige gesellschaftliche Arbeit dar. Es ist also das zu ihrer Produktion erheischte Quantum Arbeit, nicht deren gegenständliche Form, wodurch ihre Wertgröße bestimmt wird.

Was dem Geldbesitzer auf dem Warenmarkt direkt gegenübertritt, ist in der Tat nicht die Arbeit, sondern der Arbeiter. Was letztrer verkauft, ist seine Arbeitskraft. Sobald seine Arbeit wirklich beginnt, hat sie bereits aufgehört, ihm zu gehören, kann also nicht mehr von ihm verkauft werden. Die Arbeit ist die Substanz und das immanente Maß der Werte, aber sie selbst hat keinen Wert.[25]

Im Ausdruck: "Wert der Arbeit" ist der Wertbegriff nicht nur völlig ausgelöscht, sondern in sein Gegenteil verkehrt. Es ist ein imaginärer Ausdruck, wie etwa Wert der Erde. Diese imaginären Ausdrücke entspringen jedoch aus den Produktionsverhältnissen selbst. Sie sind Kategorien für Erscheinungsformen wesentlicher Verhältnisse. Daß in der Erscheinung die Dinge sich oft verkehrt darstellen, ist ziemlich in allen Wissenschaften bekannt, außer in der politischen Ökonomie.[26]

Das Kapital
titlepage.xhtml
index_split_000.html
index_split_001.html
index_split_002.html
index_split_003.html
index_split_004.html
index_split_005.html
index_split_006.html
index_split_007.html
index_split_008.html
index_split_009.html
index_split_010.html
index_split_011.html
index_split_012.html
index_split_013.html
index_split_014.html
index_split_015.html
index_split_016.html
index_split_017.html
index_split_018.html
index_split_019.html
index_split_020.html
index_split_021.html
index_split_022.html
index_split_023.html
index_split_024.html
index_split_025.html
index_split_026.html
index_split_027.html
index_split_028.html
index_split_029.html
index_split_030.html
index_split_031.html
index_split_032.html
index_split_033.html
index_split_034.html
index_split_035.html
index_split_036.html
index_split_037.html
index_split_038.html
index_split_039.html
index_split_040.html
index_split_041.html
index_split_042.html
index_split_043.html
index_split_044.html
index_split_045.html
index_split_046.html
index_split_047.html
index_split_048.html
index_split_049.html
index_split_050.html
index_split_051.html
index_split_052.html
index_split_053.html
index_split_054.html
index_split_055.html
index_split_056.html
index_split_057.html
index_split_058.html
index_split_059.html
index_split_060.html
index_split_061.html
index_split_062.html
index_split_063.html
index_split_064.html
index_split_065.html
index_split_066.html
index_split_067.html
index_split_068.html
index_split_069.html
index_split_070.html
index_split_071.html
index_split_072.html
index_split_073.html
index_split_074.html
index_split_075.html
index_split_076.html
index_split_077.html
index_split_078.html
index_split_079.html
index_split_080.html
index_split_081.html
index_split_082.html
index_split_083.html
index_split_084.html
index_split_085.html
index_split_086.html
index_split_087.html
index_split_088.html
index_split_089.html
index_split_090.html
index_split_091.html
index_split_092.html
index_split_093.html
index_split_094.html
index_split_095.html
index_split_096.html
index_split_097.html
index_split_098.html
index_split_099.html
index_split_100.html
index_split_101.html
index_split_102.html
index_split_103.html
index_split_104.html
index_split_105.html
index_split_106.html
index_split_107.html
index_split_108.html
index_split_109.html
index_split_110.html
index_split_111.html
index_split_112.html
index_split_113.html
index_split_114.html
index_split_115.html
index_split_116.html