16
SVEN GABELBART KAM nicht selbst. Er sandte Odinkar mit dreißig Langschiffen, von denen Skjalm Hvide, Haralds alter Widersacher, allein zwölf gestellt hatte. Der greise Jarl saß, in Felle gehüllt, an Bord eines seiner Schiffe; er hatte sich vom Krankenlager aufgerafft, um das Ende seines Todfeindes mitzuerleben.
Die dänische Flotte ankerte zwischen der Insel und den geschlossenen Eisentoren des Hafens. Der Ankerplatz lag außerhalb der Reichweite der Bogenschützen und Steinschleudern, doch nahe genug, daß man Einzelheiten erkennen konnte. Björn sah, wie Odinkars Männer an Land wateten und rings um die Burg ausschwärmten. Ihre Waffen blinkten in der Sonne, und ihre Schilde waren bunte Tupfen im satten Grün der Wiesen. Nach Einbruch der Dunkelheit leuchteten in weitem Rund ihre Lagerfeuer auf; es war, als hätte sich eine Kette aus funkelnden Edelsteinen um die Jomsburg gelegt.
Mistui rief alle waffenfähigen Männer auf, sich im Burghof zu versammeln. Björn schätzte ihre Zahl auf dreihundert; die meisten von ihnen waren Obodriten oder Angehörige anderer slawischer Stämme, aber es waren auch Nordmänner darunter, Griechen und dunkelhäutige Araber. Manche äußerten offen ihren Unmut, daß man den Dänen in kriegerischer Haltung entgegentrete, denn dafür gäbe es keinen vernünftigen Grund. Doch Mistui, durch Jaczkos Einflüsterungen kämpferisch gestimmt, schob die Einwände beiseite und gab vor, es seiner Ehre schuldig zu sein, die Jomsburg gegen jeden zu verteidigen, der sich ihr in feindlicher Absicht nähere. Im übrigen sei sie erwiesenermaßen unbezwingbar, so daß sie nur zu warten brauchten, bis die Dänen unverrichteter Dinge wieder abgezogen seien.
Tags darauf schickte Odinkar einen Unterhändler. Es war Asser, Skjalm Hvides Sohn. Mistui empfing ihn in dem Raum, wo Harald und seine Gefolgsleute ihre Nächte zu verbringen pflegten. Asser begrüßte Styrbjörn mit einem Neigen des Kopfes, auch Björn und Bue streifte er mit einem Blick, doch König Harald schien er nicht wahrzunehmen. Dann trat er vor Mistui und sagte: »Odinkar bittet dich um eine Unterredung.«
»Ist ihm das Bier ausgegangen?« fragte Mistui.
»Er möchte mit dir reden, an einem Ort außerhalb der Burg. Er gibt dir sein Wort, daß dir nichts geschehen wird, wenn du allein und ohne Waffen kommst.«
Mistui gab Jaczko einen Wink und preßte die Lippen zusammen. Wenig später vernahm er aufmerksam den geflüsterten Befund.
»Ja so, ja so«, sagte er und fuhr an Asser gewandt fort: »Richte Odinkar aus, daß ich keinen Fuß aus der Burg setze, solange er sie belagert. Wenn er mit mir sprechen will, soll er zu mir kommen.«
»Das wird er nicht.«
»Schade«, entgegnete der Obodritenkönig mit gespieltem Bedauern. »Ich hätte ihm gern meine Vorratskammern gezeigt und das knappe Tausend kampfbereiter Männer. So wird denn dieser Wunsch wie seine Bitte unerfüllt bleiben.«
»Odinkar hat damit gerechnet«, sagte Asser. »Deshalb hat er mich beauftragt, mit dir zu reden, wenn du ihm ein Gespräch verweigerst.«
»Ich höre.«
»Was ich zu sagen habe, ist nur für deine Ohren bestimmt. Schick die anderen hinaus.«
Da schüttelte Mistui so heftig den Kopf, daß ihm die Ohrringe ins Gesicht schlugen. »Hat Skjalm dir nicht beigebracht, wie man mit einem König redet?« rief er. »Sag, was du zu sagen hast, oder ich werde es mit glühenden Nägeln aus dir herauspressen!«
»Du hast einen Mann unter deinem Dach, der seinen Sohn ermorden wollte«, erwiderte Asser ruhig. »Odinkar hat den Auftrag, diesen Mann nach Dänemark zurückzubringen.«
»Es muß ein bedeutender Mann sein, wenn Odinkar mit dreißig Schiffen kommt, ihn zu holen. Willst du mir nicht seinen Namen nennen?«
»Du weißt, um wen es geht«, sagte Asser. »Sven Gabelbart will ihn haben, tot oder lebendig. Lieferst du ihn aus, wird Sven dir Burgundaland schenken; wenn du dich weigerst, holen wir ihn mit Gewalt.«
Nun konnte König Harald nicht länger an sich halten. »Burgundaland gehört mir!« stieß er hervor. »Woher nimmt der Zwerg das Recht, über das Eigentum des Königs zu verfügen? Geh zu Odinkar und sag ihm, daß König Mistui weder Geschenke noch Weisungen von einem Aufrührer entgegennimmt!«
»Ich beherrsche eure Sprache gut genug, ihm das selber mitzuteilen, Bruder«, sagte Mistui, während ein Schatten des Unmuts über seine Stirn kroch.
»Und vergiß nicht, daß er es war, der deine Söhne umgebracht hat«, setzte Harald hinzu.
»Kein Mann vergißt so etwas«, entgegnete Mistui und wandte sich wieder Skjalm Hvides Sohn zu: »König Harald ist mein Blutsbruder und mein Gast. Beides verpflichtet mich, für ihn mit meinem Leben einzustehen, wenn seines bedroht ist.«
»Das ist mannhaft gesprochen, Bruder«, lobte ihn Harald.
»Odinkar hat Befehl, die Jomsburg dem Erdboden gleichzumachen und dich selbst, Mistui, an der Rah aufzuhängen, wenn du seine Forderung nicht erfüllst«, sagte Asser.
Mistui kniff die Augenschlitze zusammen und kräuselte die Oberlippe, so daß man seine spitzgefeilten gelben Zähne sah. »Ich bin versucht, dies für eine schlechte Nachricht zu halten«, knurrte er. »Weißt du, wie man hierzulande mit dem Überbringer schlechter Nachrichten verfährt, Asser Skjalmsson?«
»Laß ihn laufen, Schwager«, sagte Styrbjörn. »Wer sollte Odinkar sonst deine stolzen Worte übermitteln?«
Da nickte Mistui und deutete wortlos auf die Tür.
Als Asser gegangen war, umarmte Harald den Obodritenkönig, dankte ihm überschwenglich und pries sich glücklich, ihn zum Freund zu haben. Niemals, schwor er, werde Mistui bereuen, ihn vor den Schergen seines bösartigen Sohnes in Schutz genommen zu haben. Für alles aber, was jener angedroht oder bereits getan habe, solle er zur Rechenschaft gezogen und unnachsichtig bestraft werden.
Mistui, schien es, hatte ihm nur mit halbem Ohr zugehört, denn als Harald verstummt war, sagte er nachdenklich: »Burgundaland ist eine schöne und reiche Insel.«
»Verhilf mir zu meinem Recht, und sie gehört dir, Bruder«, entgegnete Harald.
»Da draußen liegen dreißig Langschiffe«, sagte Mistui. »Daß Sven sie entbehren kann, um dich nach Dänemark zurückzuholen, läßt vermuten, daß er noch etliche mehr besitzt. Was könnte ich gegen eine solche Flotte ausrichten, Bruder?«
»Noch vor kurzem klangen deine Worte zuversichtlicher«, sagte Harald. »Wie kommt es, daß du jetzt so zaghaft redest?«
Bue der Dicke warf Jaczko einen drohenden Blick zu. »Hat dein Furzdeuter diesen Sinneswandel bewirkt?« fragte er, worauf Jaczko hinter Mistuis Rücken eine Reihe verneinender Gebärden machte.
»Jaczko drückt sich in letzter Zeit recht gewunden aus«, antwortete Mistui. »Doch glaube ich, seinen Worten entnehmen zu können, daß es mir nicht zum Nachteil gereicht, wenn ich zu dir halte, Bruder. Das wundert mich um so mehr, als er sonst, unter weit günstigeren Umständen, stets davon abriet, ein Wagnis einzugehen.«
»Da er dich bislang immer gut beraten hat, solltest du ihm auch jetzt vertrauen«, sagte Harald.
Eines Morgens, kurz vor Sonnenaufgang, trieben vier lichterloh brennende Schiffe auf den Hafen zu. Odinkar hatte sie in einer Bucht mit Reisig, Stroh und Pech beladen und, nachdem ihre Fracht in Brand gesetzt worden war, aus dem Windschatten schleppen lassen. Der steife Nordwind drückte sie gegen die Eisentore, und ein Funkenregen ging über dem Hafen nieder. Zuerst fingen die Schiffe Feuer, dann die Lagerschuppen und die Hütten der Fischer, und bald wälzte sich ein prasselndes Flammenmeer gegen die Mauern der Burg. Den Brandern folgte der Angriff vom Land her. Auf langen, mit Sprossen versehenen Stangen erklommen Odinkars Männer die Mauer nahe dem südlichen Tor. Aber dort trafen sie auf Styrbjörn, der, mit der Kampfweise der Dänen vertraut, vorausgesehen hatte, von welcher Seite sie angreifen würden. Björn war ihm nachgeeilt, und er sah, wie Styrbjörn mit beidhändig geschwungenem Schwert auf die Männer einhieb, die sich zwischen den Zinnen hindurchzuzwängen suchten. Der Jomswikinger bewegte sich so schnell, daß Björn ihm kaum mit den Augen folgen konnte, und dank dieser für einen Mann seines Alters ungewöhnlichen Behendigkeit gelang es ihm, den Angriff abzuwehren. Doch plötzlich ließ Styrbjörn das Schwert fallen und brach in die Knie. Zwischen seinen Schulterblättern steckte ein Pfeil. Björn lief zu ihm, und Styrbjörn sagte: »Laß mich die Spitze sehen, Björn Hasenscharte.«
Björn zog den Pfeil heraus und reichte ihn Styrbjörn. Dieser führte die Spitze nahe an seine Augen heran. »Ich wünschte, ein dänischer Pfeil hätte mich getroffen, bevor dieser mir in den Rücken fuhr; es wäre ein ehrenvollerer Tod gewesen«, sagte er. »Doch sieh her, Björn Hasenscharte: Ich habe noch Fett um den Herzmuskel.« Nach diesen Worten sank er vornüber und starb.
Mistui ließ Styrbjörn in einer Gruft neben Burislav und seinen Söhnen bestatten. Dort hielt König Harald drei Tage und Nächte die Totenwache. Björn erzählt, er habe während dieser Zeit keine Speisen zu sich genommen und nichts außer Wasser getrunken. Als er wieder aus der Gruft hervorkam, ähnelte er selbst so sehr einem Toten, daß manche ihn für seinen eigenen Wiedergänger hielten. Hohlwangig und vor Schmutz starrend, die Augen in eiternde Wülste gebettet, warf er sich in Mistuis Arme und beklagte laut jammernd sein Los. Mistui wandte sich angewidert ab, denn noch mehr als das würdelose Gebaren des Freundes ekelte ihn dessen Gestank. Er bat ihn, sich zu beruhigen; auch er trauere um seinen Schwager, aber immerhin habe dieser noch eine Ruhmestat vollbracht, bevor er den Tod gefunden habe.
»Man hat ihn hinterrücks ermordet!« schrie Harald. »Es war einer von deinen Leuten, Mistui! Als nächsten werden sie mich umbringen!«
»Mäßige dich, Harald«, entgegnete der Obodritenkönig, indem er sich gewaltsam aus der Umarmung löste. »Es kränkt mich, dich so reden zu hören. Laß es nicht soweit kommen, daß ich darüber nachzudenken beginne, was es mich kostet, dir Gastfreundschaft zu gewähren.«
»Mistui, Bruder«, sagte Harald und verzog das Gesicht zu einem kläglichen Lächeln. »Ich werde dir den Schaden tausendfach vergüten. Du sollst nicht nur Burgundaland bekommen, ich will dir auch Gunhild zur Frau geben, die Witwe des Königs von Jorvik.«
»Was soll ich mit einer Frau anfangen, die mir keine Kinder mehr gebären kann?« fragte Mistui.
»Sie ist meine Schwester«, antwortete Harald. »Soviel ich weiß, hat sich noch kein Slawenkönig rühmen können, der Schwager des Königs von Dänemark zu sein.«
Mistuis Antwort war ein fauchender Furz, den er fahren ließ, ohne daß es ihn nach seiner Deutung zu verlangen schien. Denn während Jaczko noch beflissen schnüffelte, wandte er sich zum Gehen und sagte: »Da du dich von Mördern umgeben siehst, werde ich dafür sorgen, daß niemand zu dir vorgelassen wird außer einer Magd, die euch Essen und Trinken bringt.« Damit verließ er den Raum. Keiner von ihnen sollte König Mistui wiedersehen.
Seit diesem Tag war die Magd ihre einzige Verbindung zur Außenwelt. Sie war in jungen Jahren als Sklavin nach Holmgard verkauft worden und hatte dort die Sprache der Waräger erlernt. Sie erzählte, die Dänen seien damit beschäftigt, einen schwimmenden Turm zu bauen, und ein ähnliches, auf Rundhölzern ruhendes Gerüst sei unweit des südlichen Tores im Entstehen begriffen. Unter Mistuis Männern mehrten sich die Stimmen, die den Obodritenkönig zum Einlenken aufforderten; auch Jaczko empfehle ihm, die Zeit bis zur Fertigstellung der Türme für Verhandlungen zu nutzen. Das seien beunruhigende Nachrichten, meinte Bue der Dicke, und Björn stimmte ihm zu.
Harald schien von alledem nichts wahrzunehmen. Er kauerte, die Arme um seine Knie geschlungen, in einer Ecke und starrte vor sich hin, während ihm der Speichel von den Lippen troff. Hin und wieder entschlüpften ihm Worte, die im einzelnen zwar verständlich waren, zusammengenommen jedoch keinen Sinn ergaben. Eines Tages erwachte er aus der Erstarrung und begann, auf allen vieren im Raum herumzukriechen. Als Björn ihn fragte, was er suche, packte Harald ihn am Hals und schrie, er vermisse seinen Zahn und fordere ihn zurück, da einer von beiden ihn gestohlen habe. Dann stürzte er sich auf Bue, doch dieser stieß ihn so heftig gegen die Wand, daß Harald das Bewußtsein verlor. Dadurch verwirrten sich seine Sinne noch mehr; als er wieder zu sich gekommen war, deutete er auf Bue und flüsterte: »Wer ist dieser Mann, dessen Anblick mich martert? Stell fest, was er will, und befreie mich von seinen Forderungen, wenn du kannst, damit er mich nicht mehr verfolgt.«
Am Abend, als sie die Speisen brachte, berichtete die Magd, einer von Mistuis halbwüchsigen Söhnen sei den Dänen in die Hände gefallen. Nun verlange Odinkar Harald Blauzahn im Austausch gegen Mistuis Sohn, und er habe angedroht, diesem für jeden Tag, um den der Obodritenkönig seine Entscheidung hinauszögere, einen Finger abschneiden zu lassen. Zwei Finger, wollte die Magd gehört haben, seien Mistui bereits überbracht worden.
»Mistui wird ihn ausliefern, das steht außer Frage«, sagte Bue. »Wir müssen Harald in Sicherheit bringen, solange noch Zeit dafür ist.« Er gab der Magd eine Goldmünze und versprach ihr eine weitere, wenn sie die Tür unverriegelt ließe. In ihren Augen lag ein ungläubiges Staunen, während sie die Münze in der Hand wog. Als sie gegangen war, öffnete Bue die Tür und verschwand für eine Weile.
»Komm her, kleiner Mann.‹, sagte Harald. Björn setzte sich neben ihn. »Kennst du mich?«
»Du bist König Harald, Gorms des Alten Sohn, Herr«, antwortete Björn.
»Ich will dir etwas anvertrauen«, fuhr der König leise fort. »Ich bin aus Glas. Meine Beine sind aus Glas, meine Arme sind aus Glas, mein ganzer Körper ist aus Glas. Ich wage nicht, mich zu rühren, weil ich Angst habe, ich könnte zersplittern, weißt du? Hier, fühl meine Hand.«
Sie war kalt und schlaff. Die Hand eines Toten, dachte Björn.
»Andere verrotten, wenn sie gestorben sind. Ich bin zu Glas geworden«, sagte der König. »Willst du so freundlich sein und den Leuten erzählen, Harald Blauzahn sei zu Glas geworden?«
»Das werde ich tun, Herr«, versprach Björn.
»Es steht schlimm um mich, nicht wahr?« fragte der König plötzlich mit klarer Stimme.
»Ja, Herr.«
»Ich habe alles gehört. Laßt mich hier. Es kommt auf das gleiche hinaus, ob ich hierbleibe oder fliehe, Björn Bosison.«
In jenem Augenblick geistiger Klarheit, erzählt Björn, habe König Harald Bues Absicht durchschaut. Dennoch habe er sich nicht gesträubt, als Bue ihn von seinem Lager gezerrt und sich wie einen Sack über die Schulter geworfen habe.
Es war kurz nach Mitternacht, als sie aufbrachen. Sie tappten durch ein Gewirr dunkler Gänge, bis sie zu einer Treppe gelangten, die in engen Windungen zu einer eisenbeschlagenen Tür hinabführte. Bue schob die schweren Riegel zurück und öffnete sie. Einige tangbewachsene Stufen tiefer war ein Steg, und an diesem dümpelte ein flacher Kahn.
Das Boot schien einem Fischer zu gehören, denn am Bug lag ein Bündel alter Netze. Auf dieses setzte Bue den König. Er selbst ließ sich auf der Ruderbank nieder und bedeutete Björn, im Heck Platz zu nehmen. Dann stieß er den Kahn vom Steg ab. Geräuschlos glitt er auf das im Mondlicht flimmernde Haff hinaus. Bald darauf wurden sie von einer Brise erfaßt; kleine Wellen plätscherten gegen die Bordwand, und das Boot drehte sich langsam, bis es dem Wind seine Breitseite zukehrte. Die Jomsburg versank hinter einem Wald aus verkrüppelten Bäumen; meerwärts ragten die Masten der dänischen Langschiffe über einen sanft geschwungenen Dünenrücken empor.
»Worauf wartest du noch, Bue?« hörte Björn den König fragen.
Bue antwortete nicht. Er legte die Riemen aus und ruderte das Boot mit kurzen Schlägen. Am Kielwasser sah Björn, daß er mehrfach den Kurs wechselte, einmal sogar ein Stück in die Richtung zurückfuhr, aus der sie gekommen waren. Wollte er mögliche Verfolger täuschen oder durch zielloses Umherrudern Zeit gewinnen?
König Harald sprach leise vor sich hin. Von Jelling sprach er und den Steinen, die er für Gorm und Thyra gesetzt hatte, von Treulosigkeit und Verrat war die Rede, und mehr als einmal vernahm Björn den Namen dessen, dem er die Schuld an seinem Unglück gab. Dann richtete er sich auf und sagte: »Hallgerd wollte nicht schwanger werden, sooft ich sie auch beschlief. Da flößte ihr Thyra einen Trank ein, und so kam es, daß sie den Zwerg gebar. Er ist aus Hexensud entstanden, nicht aus meinem Samen. Ja, so muß es sein. Der Zwerg, der sich Sven Gabelbart nennt, ist nicht mein Sohn.«
Ein Möwenschwarm flatterte vom nahegelegenen Ufer auf und wirbelte kreischend zum Wald hinüber. Bue zog die Riemen ein und lauschte mit halbgeöffnetem Mund. Jemand mußte die Möwen aufgescheucht haben.
Nun geschah etwas, was Björn mit jener eigentümlichen Erstarrung erlebte, in die ein Angsttraum den Träumenden zu versetzen pflegt. Bue zieht eine Eisenstange unter der Ruderbank hervor. Sie ist armlang und muß sehr schwer sein, denn er braucht beide Hände, um zum Schlag auszuholen. Harald streckt ihm abwehrend eine Hand entgegen. »Nimm dein Schwert dafür, Bue«, sagt er. »Erschlag mich nicht wie einen Hund.« Die Eisenstange trifft ihn mitten auf den Kopf. Mit einem dumpfen Knall zerbirst die Schädeldecke; aus Nase und Ohren quillt blutiger Brei. Die Finger seiner emporgereckten Hand krümmen sich zu einer Kralle, während der Körper des Sterbenden wie unter Fieberschauern zu zittern beginnt. Ein zweiter Schlag zerschmettert ihm den Brustkorb. Pfeifend entweicht die Luft aus seinen Lungen. Dann ein Röcheln. Dann Stille.
Bue der Dicke wandte sich zu Björn um. Auf seiner Stirn glitzerten Schweißtropfen. »Jetzt ist Sven Gabelbart rechtmäßig König von Dänemark«, sagte er.
Björn spürte, wie eine kalte Wut in ihm aufstieg. »Warum hast du ihn umgebracht?« preßte er hervor. »Hätte es nicht genügt, ihn den Dänen auszuliefern?«
»Sven wird es mir zu danken wissen, daß ich es übernahm, den Alten aus dem Weg zu räumen«, entgegnete Bue der Dicke. »Denn nun kann er seine Hände in Unschuld waschen.«
Plötzlich sah Björn Bues feisten Nacken in riesenhafter Vergrößerung, und er sah seine eigenen Hände, die ihn mit aller Kraft umklammert hielten. Bue würgte, als ob er sich erbrechen müsse, er versuchte, Björns Hände abzuschütteln, griff, als ihm dies nicht gelang, nach der Eisenstange. Björn hörte, wie sie fauchend die Luft durchschnitt, er warf sich zur Seite, prallte mit dem Hinterkopf auf den Dollbord und stürzte ins Wasser.
Sein Körper drehte sich langsam um die eigene Achse, während er immer tiefer in eine von grünlichen Schlieren durchwobene Dunkelheit sank. Einmal bemerkte er über sich die zerfließenden Umrisse des Kahns. Er sah, wie ein Ruderblatt durch die Wasserfläche brach und dunkle Ringe auf ihr hinterließ. Dann gruben sich seine Finger in körnigen Sand. Das Wasser des Haffs war nicht tief. Vielleicht konnte er, wenn er sich aufrichtete, den Kopf aus dem Wasser heben. Doch dort oben lauerte Bue auf ihn mit schlagbereiter Eisenstange; er würde ihn erschlagen, wie er Harald Blauzahn erschlagen hatte. Björn kroch, schwebte, flog über den Grund des Haffs. Er streift die wiegenden Wipfel eines Tangwalds. Er ist ein Fisch, ein Vogelfisch, ein Vogel. Hinter dem Wald ist es hell. Gelbes Licht gleißt auf glatten, spiegelnden Flächen. Sie sind aus Eis. Er fliegt über eine Eiswüste. Unter ihr atmet das Meer. Wenn er flatternd auf der Stelle verharrt, kann er sehen, wie sich die Eisplatten heben und senken. Auf einer Eisscholle sitzt groß und breitschultrig die Hexe Hyrrokkin. Ihre Augen sind grün. Ihre Haare sind Schlangen; sie ringeln sich um ihr faltiges Gesicht. Sie winkt Björn zu sich, und er setzt sich auf ihre Schulter. Da wird sein Gefieder allmählich schwarz. Er ist ein Vogel, ein Nachtvogel, die Nacht.