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VOR IHNEN LAG, vom Sonnenlicht aus dem wogenden Grau des Meeres gehoben, Jütlands Küste. Als sie näher kamen, sahen sie, daß Scharen von Menschen aus verschiedenen Richtungen zum Ufer strömten und sich dort zu einer dichten, reglos staunenden Menge vereinigten. In Windeseile hatte sich unter den Küstenbewohnern herumgesprochen, daß Sven Gabelbart mit einer riesigen Flotte von Westen käme. Mochte auch die Zahl der Schiffe hinter ihren hochgespannten Erwartungen zurückbleiben, so stimmten doch alle darin überein, daß diese Flotte um vieles größer sei als jene, mit der Sven vor geraumer Zeit in See gestochen war. Einige besonders Scharfsichtige machten Sven Gabelbart an Bord eines der Schiffe aus, und nun wandte sich die Aufmerksamkeit der Menge ihm zu, König Haralds Sohn, von dem es hieß, er habe England unterworfen und kehre mit unermeßlicher Beute heim.

Verhaltener Jubel klang auf, während Sven von zwei Männern durch das seichte Wasser an Land getragen wurde. Als er jedoch auf den eigenen Beinen stand, verstummten die Rufe, und mancher schien seinen Augen nicht zu trauen, denn gemessen an den Taten, die er vollbracht haben sollte, kam er ihnen unsagbar klein vor. Sven spürte die Enttäuschung, ließ sich jedoch nichts anmerken, sondern sprach freundlich mit den Leuten und lauschte geduldig dem Wortwechsel zweier Greise, die sich nicht einig werden konnten, wie groß Gorm der Alte gewesen war.

Inzwischen waren auch seine Gefolgsleute an Land gekommen, und Sven ging mit ihnen zu der Bucht hinüber, die er als Ankerplatz für seine Flotte ausgewählt hatte. Dort blieben sie, bis die Nachricht eintraf, daß Asser, Skjalm Hvides Sohn, mit zwanzig Schiffen die Nordspitze Jütlands umrundet hatte.

Nun brach Sven mit seinem Heer nach Süden auf. Unterwegs schlossen sich ihm etliche Großbauern mit ihren waffenfähigen Söhnen an. Sie berichteten, König Harald habe, als er von Svens Rückkehr erfuhr, im ganzen Land zum Heerbann aufgerufen, und als seiner Aufforderung nur wenige gefolgt seien, habe er sich eines uralten Brauchs entsonnen und den Kriegspfeil von Hof zu Hof geschickt. Doch auch damit habe Harald nicht die erwünschte Wirkung erzielt; es sei von den meisten eher als ein Zeichen seiner Hilflosigkeit gewertet worden. Sven Gabelbart hingegen habe sich durch die Eroberung Englands großes Ansehen erworben, und niemand zweifle mehr daran, daß das Glück von Harald auf ihn übergewechselt sei.

So zog Sven Gabelbart mit seinem Heer unbehelligt durch Jütland. Er legte nur kurze Tagesstrecken zurück; oft machte er für zwei oder drei Tage Rast und ließ die Männer im Gebrauch der Knebellanze unterweisen. Es schien, daß er, während er sich ohne Eile Jelling näherte, schon ein anderes Ziel ins Auge gefaßt hatte.

Als sie sich von den fruchtbaren Marschen ostwärts wandten und die trostlose Ödnis der jütischen Heide durchquerten, geschah es, daß Sven eines Nachts, als er vor dem Zelt sein Wasser abschlug, von einem Wurfspeer zu Boden gerissen wurde. Der Speer verletzte ihn nur leicht an der Schulter, und Sven erhob sich sogleich wieder, leichenblaß zwar, aber ohne Anzeichen von Erregung.

Der Speer steckte neben Svens Zelt im Erdboden, und sein Schaft wies in die Richtung, wo die Zelte der Gefolgsleute lagen. Skarthi befragte die Wachen; sie versicherten ihm, sie hätten so nahe beieinander gestanden, daß kein Fremder ungesehen zwischen ihnen hindurch ins Lager hätte schlüpfen können. Nun ließ Skarthi die Gefolgsleute wecken. Sie krochen schlaftrunken aus den Zelten und traten in das Licht des Lagerfeuers. Skarthi zog den Speer aus dem Boden, säuberte dessen Spitze sorgfältig vom Erdreich und ging, während er den Speer so hielt, daß jeder ihn aus der Nähe betrachten konnte, langsam vom einen zum anderen.

»Dieser Speer wurde auf Sven Gabelbart geworfen«, sagte er. »Sein Schaft ist aus Zedernholz und seine Spitze vierkantig ausgehämmert. Er wurde für einen Häuptling gemacht, denn nur ein Häuptling kann ihn bezahlen. Wem gehört er?«

»Geschieht es mit deiner Billigung, daß Skarthi Männer verdächtigt, die dir oft genug ihre Treue bewiesen haben?« rief Odinkar zu Sven hinüber.

»Skarthi soll tun, was er für richtig hält«, antwortete Sven.

»Ich weiß nicht, ob ich mich gekränkt oder geschmeichelt fühlen soll«, sagte Sigurd von den Schafsinseln. »Glaubst du, mein linker Arm hätte in so kurzer Zeit die Kraft und die Treffsicherheit gewonnen, die mein rechter besaß?«

»Ich frage noch einmal«, sagte Skarthi: »Welchem von euch gehört der Speer?«

Die Männer starrten mißmutig ins Feuer, und es war nicht zu erkennen, wer aus Empörung schwieg und wer aus Furcht.

»So mag sich der Speer selbst seinen Besitzer suchen«, fuhr Skarthi fort und schleuderte den Speer senkrecht in den Nachthimmel empor. Atemlose Stille trat ein. Dann war aus der Höhe ein Wispern zu hören, das rasch zu einem flatternden Zischen anschwoll, und plötzlich machte Gryth einen Satz zur Seite. Der Speer jedoch fuhr eine Armlänge hinter Skarthi ins Feuer.

»Du hältst deinen Speer für klüger, als er ist, Gryth«, schmunzelte Skarthi, und zu Sven sagte er: »Das ist der Mann, der dich töten wollte, Herr.«

»Es ist mein Speer, das gebe ich zu«, entgegnete der Jarl. »Aber was ist damit bewiesen? Ich war mit Morcar und Leofwine in einem Zelt. Könnte nicht auch einer von ihnen meinen Speer nach Sven Gabelbart geworfen haben?«

»Die Frage kann niemand besser beantworten als du selbst«, sagte Sven. Er ließ Gryth mit den Füßen nach oben an einen Baum hängen. Dort hing er zwei Tage mit aufgedunsenem Oberkörper und blaurotem Gesicht, und am dritten Tag erstickte er an erbrochenem Schleim. Nun wurde darüber gestritten, ob es als Beweis für seine Unschuld anzusehen oder mit der Angst vor der Todesstrafe zu erklären sei, daß Gryth trotz aller Qual kein Geständnis abgelegt hatte. Auch Sven selbst schien sich im Zweifel zu befinden, denn er wies seine Vertrauten an, Morcar und Leofwine zu beobachten und ihn nie mit den beiden Jarlen allein zu lassen. Nach dem Mordanschlag nahm Svens Mißtrauen krankhafte Züge an, und Björn erzählt, Sven habe sein Trinkgefäß mit einem gläsernen Boden versehen lassen, so daß er sein Gegenüber im Auge behalten konnte, wenn er den Becher an die Lippen hob.

Am östlichen Rand der Heide, nicht mehr weit von Jelling entfernt, kam ihnen ein Reitertrupp entgegen, an dessen Spitze Bue der Dicke ritt. Der Ratgeber des Königs hatte noch an Leibesumfang zugelegt, seit Björn ihm zuletzt begegnet war, und sein Pferd atmete hörbar auf, als Bue sich von seinem Rücken wälzte. Die Männer, die ihn begleiteten, trugen blitzende Rüstungen unter langen Mänteln und hatten ihr Haar zu Zöpfen geflochten. Daraus schlossen Svens Gefolgsleute, daß es Franken seien.

Bue der Dicke trat in gebeugter Haltung vor Sven hin, und Björn sah, daß ihm, obwohl es nicht sonderlich warm war, der Schweiß in Strömen über das feiste Gesicht rann. Seine winzigen, in pralle Hautwülste gebetteten Augen waren schräg nach oben auf Sven gerichtet, während er, wie es die Form verlangte, darauf wartete, daß dieser das Wort an ihn richtete.

»Ist dir heiß, Bue?« fragte Sven. »Oder schwitzt du unter der Bürde eines Auftrags?«

»Das eine ist, daß ich dir die Grüße König Haralds, deines Vaters, überbringen soll, Sven Haraldsson«, antwortete der Dicke feierlich.

»Dafür hättest du dich nicht herzubemühen brauchen, denn ich bin auf dem Weg zu ihm«, sagte Sven. »Und was ist das andere?«

Dies bedürfe etwas breiterer Ausführung, entgegnete Bue und wischte sich den Schweiß von Stirn und Nase. Aus sicherer Quelle habe man erfahren, daß der Sachsenkaiser Otto, der zweite dieses Namens, in schwere Kämpfe mit Sarazenen und Byzantinern verwickelt sei. Um der drohenden Niederlage zu entgehen, habe er alle verfügbaren Truppen nach Süditalien beordert und Hermann den Billunger damit betraut, die Ostgrenze des Reiches gegen die Slawen zu sichern. Dadurch sei das ganze Land nördlich der Elbe nahezu von Feinden entblößt, und selbst die Stadt werde nur noch von einigen Dutzend sächsischer Ritter bewacht. Nach dieser Darlegung, die er im einzelnen mit verläßlichen Zahlen zu untermauern imstande sei, bedürfe es wohl kaum noch des Hinweises, daß der König entschlossen sei, die Gunst der Umstände zu nutzen.

»Es freut mich zu hören, daß mein Vater Pläne schmiedet, statt sich vor Gram über mich zu verzehren«, sagte Sven. »Aber weshalb schickt er dich, mir etwas mitzuteilen, was ich von ihm selbst erfahren könnte?«

»Der König ist der Ansicht, daß Eile geboten sei«, erwiderte Bue, während ihm von neuem der Schweiß ausbrach. »Er schlägt deshalb vor, daß du ohne Aufenthalt weiter nach Süden marschierst und ihr die Stadt von zwei Seiten angreift, du vom Land und er von See her.«

»Er setzt gern auf Bewährtes, der Alte«, schmunzelte Sven. »Da du aber mit Zahlen aufzuwarten versprachst: Wie groß ist sein Heer?«

Darauf antwortete Bue der Dicke, indem er die Stimme senkte und, als gelte es Vertrauliches mitzuteilen, einen Schritt näher an Sven herantrat: »Sieh dir die Männer an, die mit mir kamen. Es sind Franken, Sven Haraldsson. Jeder von ihnen hat auf dem Schlachtfeld Rühmliches geleistet. Der König hat sie durch Gilli anwerben lassen, der neuerdings mit Rittern handelt statt mit Sklaven, und da ich auch Haralds Schatzmeister bin, kann ich dir versichern, daß sie nicht billig waren.«

»Wieviele außer diesen hat er in Dienst genommen?«

»Ich will nicht übertreiben«, erwiderte Bue. »Insgesamt sind es nicht mehr als dreißig, vielleicht auch einige weniger. Aber jeder kämpft für zwanzig Mann, so daß der König, rechnet man noch seine eigenen Männer hinzu, über eine ansehnliche Streitmacht verfügt.«

»So verschwenderisch du Schweiß verströmst, so geizig bist du mit Zahlen, Bue«, sagte Sven. »Darum verlangt es mich, Haralds Heer mit eigenen Augen zu sehen. Kündige dem König meinen Besuch an.«

»Herr«, sagte Bue, und es mochte seiner Verwirrung zuzuschreiben sein, daß er Sven so anredete, »du bringst mich in eine heikle Lage! Mein Auftrag lautet, dich von Jelling fernzuhalten.«

Da lachte Sven und sagte: »Mach dich auf den Weg, Bue! Sonst bin ich da, bevor der Alte das Messer wetzen kann.«

Es war ein trüber Tag, als sie nach Jelling gelangten. Von Westen trieben tiefhängende Wolken über die Heide und tauchten das Land in ein dämmriges Licht. Sven ließ sein Heer vor dem Palisadenzaun ein Lager aufschlagen und ritt mit kleinem Gefolge zum Tor des Königshofes. Nach altem Brauch klopfte Odinkar, der unter den Gefolgsleuten der vornehmste war, mit dem Schwertknauf gegen das Tor, nannte Svens Namen und verkündete, dieser sei gekommen, König Harald seine Aufwartung zu machen. Nun öffnete sich das Tor und gab den Blick auf Styrbjörn frei, der Sven Haraldsson im Namen des Königs willkommen hieß. Sven dankte mit höflichen Worten und nannte, auch dies dem Brauch gemäß, die Namen seiner Gefolgsleute, und der Jomswikinger musterte jeden, als sehe er ihn zum ersten Mal.

König Harald erwartete sie in der großen Halle. Er saß zusammengesunken auf dem Hochsitz und bot Sven den Platz zu seiner Linken an.

»Frag mich lieber nicht nach meinem Befinden, Sohn«, sagte er mit brüchiger Stimme. »Die Antwort würde dich betrüben, und ich bin es müde, von meinen Leiden zu reden.«

»Wie du wünschst, Vater«, antwortete Sven, während er seine Gefolgsleute mit verstohlenen Blicken aufforderte, sich in seine Nähe zu setzen.

»Als ob mir Alter und Krankheit nicht schon genug zu schaffen machten, hat mich auch noch der Schlag getroffen«, sagte der König. Er hob den Kopf ein wenig, und nun sah man, daß sein rechter Mundwinkel herunterhing.

»Steht es so schlimm mit dir«, sagte Sven, indem er seinen Worten eine Betonung gab, die sie zwischen Frage und Feststellung in der Schwebe ließ.

»Nun, es hätte schlimmer kommen können«, schwächte der König ab. »Zuerst war mir, als sei ich am ganzen Körper gelähmt; jetzt sind nur noch der rechte Arm und eine Seite meines Gesichts ohne Gefühl. Davon ist teilweise auch meine Zunge betroffen: Manchmal gehorcht sie mir gar nicht; dann wieder sagt sie eigenmächtig Worte, die jeglichen Sinnes entbehren. Es ist, alles in allem, kein Vergnügen, alt zu werden, Sohn. Aber nun erzähle mir, was du in England erlebt hast.«

»Björn Bosison kann es unterhaltsamer in Worte kleiden«, antwortete Sven. »Wir haben nur noch keine Zeit gefunden, uns zu verständigen, welche Ereignisse erzählt und welche besser mit Schweigen übergangen werden sollten. Deshalb fasse dich noch ein wenig in Geduld, Vater, und laß uns statt dessen über deine Pläne reden.«

»Ich will nicht verhehlen, daß ich dich im Zorn mit einem Teil meines Heeres von dannen ziehen sah, Sohn«, sagte Harald. »Nun aber, da du mit einem weit größeren Heer zurückgekehrt bist, will ich es dir nicht mehr nachtragen und dich zum Befehlshaber beider Heere ernennen.«

»Es überrascht mich, dich von zwei Heeren reden zu hören«, entgegnete Sven. »Wo hältst du das andere verborgen?«

»Mir steht nicht der Sinn nach scherzhafter Rede«, wies der König ihn zurecht. »Ich unterstelle all meine Männer deinem Befehl, außer einigen wenigen, die ich zu meinem eigenen Schutz benötige.«

»Höre, Vater«, sagte Sven, »ich ziehe nicht mit Männern in den Kampf, die ein anderer gekauft hat. Da uns ihre vielgerühmte Tapferkeit aber von Nutzen sein könnte, schlage ich vor, daß du deine Ritter selbst befehligst.«

»Ich bin ein alter kranker Mann, vergiß das nicht«, erwiderte Harald. »Soll ich mich auf einer Bahre in die Schlacht tragen lassen?«

»Wenn ich den Feind aus dem Land vertreiben soll, wirst du mich begleiten müssen, Vater«, sagte Sven. »Ich will weder dich noch deine Söldner im Rücken haben, während ich gegen den Sachsen kämpfe.«

»Du stellst dem König Bedingungen?« rief Harald, indem sein rechter Mundwinkel heftig zu zucken begann.

»Bis jetzt habe ich nur eine genannt«, antwortete Sven gleichmütig. »Doch es kann sein, daß es nicht bei dieser bleibt.«

Mehr sprachen sie an diesem Abend nicht miteinander. König Harald brütete finster vor sich hin, während Sven vom Hochsitz herab mit seinen Gefolgsleuten scherzte und zuweilen lauter lachte, als man es von ihm gewohnt war. Einmal begegnete Björn König Haralds Blick. Er wich ihm aus, aber er spürte, wie er lange an ihm haften blieb.

Später gingen Svens Gefolgsleute zu den Frauen. So kam es, daß Björn Nanna wiedersah. Ihr Körper war noch etwas üppiger geworden und wies nun auch Rundungen an Stellen auf, wo vorher keine gewesen waren. Sie zog Björn auf ihr Lager und sagte: »Was hast du mir mitgebracht, Björn Hasenscharte?«

»Nicht viel mehr als mich selbst«, erwiderte Björn.

»So gib mir das Wenige, damit es nicht heißt, du hättest umsonst mit mir geschlafen.«

Björn schenkte ihr einen silbernen Armreif und eine Handvoll Münzen von geringem Wert, und Nanna meinte, dafür pflege sie sonst allenfalls ihre Hand zu leihen, doch er, Björn, solle für diesen Hungerlohn die Wonnen arabischer Liebeskunst genießen, denn er stünde ihrem Herzen näher als jeder andere Mann. Was nun geschah, sollte Björn bis an sein Lebensende nicht vergessen. Sie hätten sich, erzählte er mit lustvollem Behagen, mit solcher Hingabe geliebt, daß Zärtlichkeit nicht mehr von Qual zu unterscheiden gewesen sei, er habe sich winseln, brüllen, verzückte Schreie ausstoßen hören, und er schwöre bei Freyrs mächtigem Glied, daß er sich nicht weniger als ein dutzendmal in Nanna ergossen habe.

Als es Morgen wurde, lagen sie erschöpft nebeneinander und sahen zu den Fledermäusen empor, die wie kleine pralle Säcke an den Dachbalken hingen.

»Weißt du noch, wie ich dir erzählte, daß ich die Tochter des Kalifen von Cordoba sei?«

»Wie könnte ich das vergessen haben, Nanna.«

»Erinnerst du dich auch, daß ich sagte, man brauche eine Wahrheit, um einer Lüge Glaubwürdigkeit zu verleihen?«

»Ich erinnere mich an jedes deiner Worte.«

»Meine Wahrheit war meine Schönheit«, fuhr Nanna fort. »Solange ich schön war, glaubte man, daß ich die Tochter des Kalifen sei, oder tat so, um mir zu gefallen. Aber jetzt werde ich fett, die Brüste hängen mir auf den Bauch herab, ich fange an, wie ein altes Weib zu riechen. Meine Schönheit schwindet dahin und mit ihr alles, wofür es sich zu leben lohnte. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit, wenn ich als Tochter des Kalifen von Cordoba sterben will.«

»Was redest du vom Sterben, Nanna!« rief Björn erschrocken. »Du bist kaum älter als ich und noch immer die schönste von allen Frauen, denen ich jemals begegnet bin.«

Ein Lächeln huschte über Nannas Gesicht. Dann sah sie ihn mit ihren schwarzen Augen an und sagte: »Würdest du mich töten, wenn ich dich darum bäte, Björn Hasenscharte?«

Die Antwort blieb ihm erspart, denn während er nach Worten suchte, war von draußen Lärm zu hören. Er eilte zur Tür und sah, daß Svens Gefolgsleute sich zum Aufbruch sammelten. An ihnen vorbei zogen die fränkischen Ritter in langer Reihe zum Tor hinaus. Auf ihren blanken Rüstungen spiegelte sich das Morgenrot, und ihre Feldbanner knatterten im Wind.