13
SVEN GABELBART NAHM die Nachricht mit unbewegtem Gesicht entgegen. Er gab Befehl, Skarthis Leichnam in die Stadt zu bringen, und zog sich mit Björn in sein Schlafgemach zurück. Dort legte er sich auf das Bett und starrte längere Zeit zur Decke empor. Dann sagte er: »Sein Selbstmord fügt den vielen Rätseln noch ein weiteres hinzu. Brachte er sich um, weil er sich von mir durchschaut fühlte, oder war er mir so treu ergeben, daß er den Tod der Trennung vorzog?«
»Du wolltest dich von ihm trennen, Herr?«
»Wenn der Zweifel erst geweckt ist, läßt er sich schwer wieder zum Schweigen bringen«, erwiderte Sven. »Ich empfand Unbehagen in seiner Nähe. Daher sagte ich ihm, daß die Zeit gekommen sei, ihn für seine treuen Dienste zu belohnen. Überdies dürfe er, falls er nach Uppsala zurückkehren und dort Anspruch auf den Königsthron erheben wolle, mit meiner großzügigen Unterstützung rechnen.«
»Das war sehr klug von dir, Herr. Denn wie hätte ein Yngling ein solches Angebot ablehnen können?«
»Ich bin nicht mehr sicher, ob er aus dem Geschlecht der Ynglinge stammte; vielleicht war dies eine der Lügen, mit denen er mich umgarnen wollte. Doch nun höre, Björn Bosison, und merke dir, was ich sage: Ich habe Skarthi meinen Freund genannt, und ich will nicht, daß es heißt, ich hätte mich täuschen lassen. Was immer du von Skarthi erzählen wirst, sprich gut von ihm. Man soll Skarthi als einen Mann in Erinnerung behalten, der meiner Freundschaft würdig war.«
Als die Gefolgsleute mit Skarthis Leichnam in das Haus des Königs zurückgekehrt waren, rief Sven den Goden Odinkar zu sich und sagte, er habe ihn oft davon erzählen hören, wie die schwedischen Waräger ihre Häuptlinge zu bestatten pflegten, und da Skarthi aus königlichem Geschlecht stamme, sei es sein Wunsch, daß ihm die gleiche Ehre zuteil werde. Er beauftragte den Goden, unverzüglich mit den Vorbereitungen zu beginnen und ungeachtet der Kosten oder eines bischöflichen Einspruchs nach Warägerbrauch zu verfahren. So kam es, daß die Stadtbewohner Zeugen eines Ereignisses wurden, dessen Schilderung noch viele Menschenalter später ein lustvolles Schaudern hervorrufen sollte.
Ein Schiff wurde an Land gezogen und mit vier Pfosten abgestützt, so daß es aufrecht stand. Rings um das Schiff wurden Zelte für Sven Gabelbart, seine Gefolgsleute und die Jarle errichtet. Unterdessen wuschen Mägde den Leichnam und rieben ihn mit duftenden Kräutern ein. Wie es der Brauch erforderte, fragte Odinkar die Sklavinnen, welche von ihnen Skarthi in das Totenreich begleiten wolle. Während die Mägde erschrocken nach Ausflüchten suchten, kam Nanna herein. Sie trug ihre schönsten Kleider und hatte ihr Gesicht weiß und rot geschminkt. An ihrem starren Blick sah Björn, daß sie betrunken war.
»Ich will es«, sagte sie zu Odinkar.
Björn griff nach ihrem Arm, aber sie schüttelte ihn ab und trat einen Schritt näher an den Goden heran. »Du weißt, wer ich bin?«
»Du bist die Hure Nanna«, antwortete Odinkar.
»Ich bin die Tochter des Kalifen von Cordoba!« herrschte sie ihn an. »Die Tochter des Kalifen will mit Skarthi zu den Toten gehen.«
»Damit bist du deinem Wort verpflichtet«, sagte Odinkar feierlich. »Jetzt kannst du es nicht mehr zurücknehmen.« Er gab zwei Sklavinnen den Auftrag, sie zu bewachen und bei ihr zu sein, wohin sie auch ging. Nun sei Nanna durch die Straßen getanzt, erzählt Björn, habe mißtönende Weisen gesungen und sich für einen Becher Bier vor jedem Mann entblößt. Schließlich habe sie sich vor Trunkenheit nicht mehr auf den Beinen halten können; die Sklavinnen hätten sie in das Haus des Königs geschleppt, und dort sei sie neben der Leiche in tiefen Schlaf gesunken.
Unterdessen hatte man eine Bank auf das Schiff gestellt und darüber ein Zelt errichtet. Als der Tag anbrach, bekleideten die Sklavinnen Skarthis Leichnam mit Hosen, Schuhen, Wams und einem Mantel aus golddurchwirktem Stoff, stülpten ihm eine Mütze aus Marderfell auf und trugen ihn auf das Schiff: Dort setzten sie ihn auf die Bank und stützten ihn mit Kissen ab. Dann brachten sie Met, Früchte, Brot und Zwiebeln auf das Schiff, während die Knechte einen Hund, einen Hahn, zwei Pferde und zwei Ochsen in Stücke hieben und das blutige Fleisch rings um das Zelt legten. All dies geschah so, wie Odinkar es angeordnet hatte.
Schon am frühen Morgen hatte sich der Platz am Hafen mit Menschen gefüllt. Unter ihnen bemerkte Björn auch Wichmann, den König Harald geschickt hatte, damit er ihm über die Vorgänge berichte. Der König, erzählte er Björn, schäume vor Wut, weil Sven es nicht für nötig befunden habe, ihn zu der Feier einzuladen.
Gegen Mittag war das Gedränge so groß geworden, daß Odinkar sich mit Stockhieben einen Weg durch die Menge bahnen mußte. Er führte Nanna in den Ring, der durch die Zelte der Vornehmen gebildet wurde. Sie war einfacher gekleidet als am Tag zuvor und hatte ihr schwarzes Haar gelöst. Hinter ihnen ging eine alte Frau. Sie war groß und sehr dick, und ihr Gesicht war bis unter die Augen mit grauen Bartstoppeln bedeckt. Später erfuhr Björn, daß sie außerhalb der Stadt in einer Schilfhütte wohnte und man sie den ›Todesengel‹ nannte, weil sie ihren Lebensunterhalt damit verdiente, Kinder zu töten, die den Eltern aus diesen oder jenen Gründen unerwünscht waren.
Als Nanna Björn erblickte, kam sie zu ihm und gab ihm die Nadel mit dem Rabenkopf.
»Nimm sie zurück, Björn Hasenscharte«, sagte sie. »Ich will nicht, daß die Flammen sie verzehren.«
»Warum tust du das, Nanna?« fragte Björn. »Was verbindet dich mit Skarthi, daß du mit ihm sterben willst?«
»Wir sind beide aus königlichem Geschlecht«, antwortete Nan-na. »Der Tod wird eine standesgemäße Ehe stiften.« Da trat Odinkar zu ihnen und ermahnte Nanna, sich an die Anweisungen zu halten, die er ihr gegeben hatte.
Nun ging Nanna von einem Zelt zum anderen und gab sich jedem der Vornehmen hin, und wenn dies geschehen war, tranken sie Met aus demselben Becher, und wie es der Brauch verlangte, sagte der Mann: »Melde Skarthi, daß ich dies aus Liebe zu dir tat.«
Als die Sonne tief im Westen stand, stellte sich Nanna in einen Holzrahmen, und mit diesem hoben sie die Männer dreimal hoch.
Beim ersten Mal sagte Nanna: »Sieh da, ich sehe meinen Vater, den Kalifen, und meine Mutter.«
Beim zweiten Mal sagte sie: »Sieh da, ich sehe alle meine toten Verwandten.«
Und beim dritten Mal sagte sie: »Sieh da, ich sehe Skarthi im Jenseits sitzen; es ist lieblich und grün, und bei ihm sind Männer und junge Dienerinnen. Er ruft nach mir. Laßt mich zu ihm gehen.«
Sie streifte ihre Armringe ab und gab sie der alten Frau, die sie töten sollte. Dann hob man sie auf das Schiff und reichte ihr einen Becher Met. Sie nahm ihn, sang und leerte ihn. Nun half man der Alten auf das Schiff, und diese packte Nanna und drängte sie zum Zelt. Plötzlich verzerrte sich ihr Gesicht vor Angst, und sie begann zu schreien. Da nahm die Alte Nannas Kopf zwischen ihre riesigen Hände und zog sie in das Zelt. Nun gingen sechs Männer zu ihr. Einer von ihnen erzählte, Nanna sei allen sechs zu Willen gewesen. Danach habe man sie neben Skarthi gelegt. Zwei Männer hätten ihre Füße ergriffen, zwei ihre Hände, und das alte Weib habe eine Schlinge um Nannas Hals gelegt und die Enden zwei Männern gereicht. Sie selbst habe Nanna ein breites Messer zwischen die Rippen gestoßen, und die Männer hätten Nanna mit der Schlinge gewürgt, bis sie tot war.
Kurz nach Sonnenuntergang entzündete Odinkar eine Fackel und rief: »Welcher von euch stand Skarthi am nächsten?« Da trat Sven Gabelbart vor und sagte: »Ich, Odinkar. Ich liebte ihn mehr als einen Bruder.«
Der Gode reichte ihm die Fackel, und Sven ging zum Schiff. Björn sah, wie er die Wolfsmaske von der Schulter nahm und auf das Schiff warf. Dann setzte er das Holz in Brand, das man unter dem Schiff aufgeschichtet hatte. Nun kamen auch seine Gefolgsleute und die Jarle mit brennenden Fackeln und legten sie auf das Holz. Eine Zeitlang schien es, als wolle das Feuer erlöschen, doch dann kam ein starker Wind auf, und wenig später stand das Schiff mit allem, was es trug, in Flammen. Einige wollen gesehen haben, wie Skarthi und Nanna sich aufrichteten und in aschiger Umarmung miteinander verschmolzen. Dies, meint Björn jedoch, sei eine jener abgeschmackten Ausschmückungen, deren sich ein guter Geschichtenerzähler enthalten sollte.
Es war Nacht geworden, als das Feuer endlich erlosch. Odinkar befahl den Knechten, die Asche in ein Boot zu füllen und dieses außerhalb des Hafens zu versenken. Nachdem dies geschehen war, trat er vor Sven hin und sagte: »War es dir so recht, Herr?«
Sven dankte ihm mit überschwenglichen Worten, küßte ihn auf beide Wangen und ernannte ihn an Skarthis Stelle zu seinem Ratgeber. Als er aber mit Björn allein war, sagte er: »Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, daß Skarthi nur in deinen und anderer Leute Geschichten fortleben soll. Geschichten sind nichts Beständiges; sie gehen von Mund zu Mund, dieser fügt etwas hinzu, jener läßt etwas weg, und schließlich entarten sie zu Zerrbildern ihres Ursprungs. Was kann ich tun, die Erinnerung an Skarthi und unsere Freundschaft wachzuhalten und sie vor Verfälschung zu bewahren?«
»Wozu bedarfst du noch meines Rates, da du bereits einen Entschluß gefaßt hast, Herr?« gab Björn zur Antwort.
Sven sah ihn mit seinen kalten Froschaugen an und sagte: »Ich sollte dich in deine Werkstatt zurückschicken, Björn Hasenscharte. Du fängst an, in meinen Gedanken zu lesen.«
Auf einer Anhöhe westlich der Stadt, nur wenige Schritte vom Ufer der Förde entfernt, ließ Sven Gabelbart einen Stein errichten. In diesen schlug ein Steinmetz die Runen:
König Sven setzte diesen
Stein für Skarthi,
seinen Gefolgsmann, der nach
Westen gefahren war, nun aber
bei Haithabu den Tod fand.
Als man König Harald davon berichtete, geriet er außer sich vor Zorn. Es heißt, er habe sich so sehr erregt, daß ihm der Zahn aus dem Mund geflogen sei und man diesen erst nach längerem Suchen wiedergefunden habe. Niemals zuvor, soll er geschrien haben, sei es einem Sohn eingefallen, sich zu Lebzeiten des Vaters König zu nennen, und er, Harald Blauzahn, werde diese ungeheure Kränkung zum Anlaß nehmen, einen seiner unehelichen Söhne als Thronfolger einzusetzen. Dies sei jedoch auf den Widerspruch seiner Vertrauten gestoßen; sie hätten dem König klargemacht, daß Sven keinen anderen auf dem Thron dulden würde und jederzeit in der Lage sei, sich mit Gewalt anzueignen, was ihm rechtmäßig zustehe. Da tat Harald etwas, was er bis an das nicht mehr ferne Ende seiner Tage bereuen sollte: Er gab Tryn den Befehl, Sven zu töten.
Als sei dies ein Auftrag wie jeder andere, traf Tryn seine Vorbereitungen. Er schliff die Klinge seiner Axt und ging in den Wald, um Pilze zu sammeln. Diese schnitt er klein und vermengte sie mit Bier und Ochsenblut zu einem Brei. Nachdem er ihn gegessen hatte, legte er sich schlafen. Um Mitternacht hörte man ein dumpfes Grollen aus seiner Brust, ähnlich jenem, mit dem ein Vulkan seinen Ausbruch ankündigt. Dann riß es ihn vom Lager hoch. Er packte seine Axt und stürzte aus dem Haus.
Sven saß mit seinen Gefolgsleuten und den Jarlen in der Halle, als Tryn unter furchtbarem Gebrüll die Tür eintrat. Sie sei zersplittert wie dünnes Eis, erzählt Björn, und nicht nur ihn allein habe lähmendes Entsetzen befallen, als der Berserker unversehens vor ihnen stand. Er war nackt bis auf einen Schurz aus Ziegenfell. Inmitten seines aschfahlen Gesichts gähnten zwei dunkle Löcher, und vom Mund troff schaumiger Speichel auf seine rötlich behaarte Brust. Mit einem gewaltigen Hieb schlug er Leofwine, der ihm am nächsten saß, den Kopf von den Schultern. Ein zweiter galt Sigurd von den Schafsinseln. Dieser wich ihm jedoch aus, und die Axt grub sich in die eichene Tischplatte. Nun trat Thorgeir Bryntroll ihm entgegen. Er stieß sein Messer in Tryns Hüfte, aber dieser riß die Axt aus dem Tisch und richtete sie gegen den Wikinger. Mit einer Behendigkeit, die man dem vierschrötigen Mann nicht zugetraut hätte, sprang Thorgeir Bryntroll über den Tisch und entging so dem sicheren Tod. Denn der Hieb, der ihm gegolten hatte, war mit solcher Kraft geführt, daß er einen der mächtigen Stützbalken fällte. Eine Staubwolke senkte sich von der Decke herab und hüllte alles in wirbelnde Schwaden. Jetzt faßten Svens Gefolgsleute Mut und drangen von mehreren Seiten zugleich auf Tryn ein. Einer traf ihn am Nacken, ein anderer schlug ihm ein Ohr ab, doch der Berserker stürmte unverdrossen weiter in die Richtung, wo er Sven Gabelbart vermutete. Sein Körper, erzählt Björn, sei mit klaffenden Wunden bedeckt gewesen, aber dies habe seiner blindwütigen Raserei keinen Abbruch getan, sondern sie noch in einem Maß gesteigert, daß selbst die Tapfersten vor ihm zurückgewichen seien. So kam es, daß Tryn plötzlich Sven Gabelbart gegenüberstand. Dieser saß wie versteinert auf dem Hochsitz; mit einer Hand hatte er den Knauf des Schwertes umklammert, das quer über seinen Knien lag. Tryn hielt einen Augenblick inne, als sammle er alle Kraft, den tödlichen Hieb zu führen, dann schlug er zu. Sven duckte sich, die Axt verfehlte ihn um Haaresbreite und durchschnitt einen der Pfosten des Hochsitzes. Da geschah es, daß Tryn, während er erneut zum Schlag ausholte, von einem herabstürzenden Balken am Kopf getroffen wurde. Mit einem tiefen Seufzer brach er zusammen. Thorgeir Bryntroll war der erste, der seine Verblüffung überwand; er stürzte sich auf Tryn und bohrte ihm die Spitze seiner Streitaxt ins Herz. Aber nun bäumte sich Tryn noch einmal auf, packte den Wikinger am Bein und schleuderte ihn mit solcher Wucht gegen die Wand, daß er ihm das Genick brach.
»Das war kein schlechter Sprung für einen alten Mann«, sagte Thorgeir Bryntroll, bevor er starb.
»Bei uns auf den Schafsinseln gilt ein toter Berserker nicht für weniger gefährlich als ein lebender«, sagte Sigurd. »Wir kennen aber auch ein Mittel, ihn zu bannen.« Nach diesen Worten stellte er sich breitbeinig über den toten Tryn und pißte ihm ins Ohr.
Svens Gesicht war kreideweiß. Seine Hand, die noch immer den Schwertknauf umklammert hielt, zitterte. Wie jemand, der längere Zeit den Atem angehalten hat, holte er tief Luft und sagte: »Schafft die Toten hinaus und laßt mich allein. Aber haltet euch bereit, ich werde euch bald brauchen.«
Im Morgengrauen wurde Björn durch ein Pochen an der Tür geweckt. Als er öffnete, stand Styrbjörn vor ihm.
»Du, Styrbjörn?« sagte Björn überrascht. »Was hat es zu bedeuten, daß du mich zu so früher Stunde weckst?«
»Zieh dir etwas Warmes an; auf dem Meer weht ein kalter Wind«, entgegnete der Jomswikinger und drängte ihn in die Schlafkammer. Asfrid richtete sich im Bett auf und sah teilnahmslos zu, wie Björn sich ankleidete.
»Eben träumte ich von dir«, murmelte sie schlaftrunken. »Du schnittst einem Kind das Herz aus der Brust.«
Björn warf eine Handvoll Silbermünzen auf das Bett und sagte: »Geh sparsam damit um. Es kann sein, daß ich länger fortbleibe.«
»Es war mein Kind«, sagte Asfrid.
Styrbjörn führte ihn zum Hafen hinunter. Am äußersten Ende des Stegs lag Björns Knorr, und in ihm sah er zwei in Decken gehüllte Männer sitzen. Als er an Bord gestiegen war, entblößten die Männer ihre Gesichter. Es waren König Harald und Bue der Dicke.