10

»ICH BIN EIN BAUER«, sagte König Harald. »Ihr müßt euch also mit dem begnügen, was ein Bauer auf den Tisch bringt.«

Die Halle erzitterte von dröhnendem Gelächter, und der König entblößte schmunzelnd seinen Zahn.

»Gelobt sei das Land, in dem ein Bauer auftischt, womit sogar der Kaiser Ehre einlegen würde«, sagte Bischof Horath. Diesmal lachte niemand, denn jeder wußte, daß es allein Harald Blauzahn vorbehalten war, sich einen Bauern zu nennen.

Der König überging die unbedachte Äußerung des Bischofs, ohne daß ein Schatten des Unmuts seine Stirn streifte. Er saß leicht nach vorn gebeugt auf dem Hochsitz, fischte umständlich eine Fliege aus seinem Trinkhorn und gab den Bischof der stummen Empörung seiner Gäste preis.

Außer diesen hatte noch ein knappes Dutzend Zuschauer Einlaß gefunden. Es waren reiche Kaufleute, denen Bue der Dicke für ein ansehnliches Schmiergeld dazu verholfen hatte, als Zaungäste am Fest des Königs teilzunehmen, sowie einige von Bues Frauen, unter ihnen auch Nanna. Dieser war es gelungen, Bue davon zu überzeugen, daß er ihrem nunmehr verbürgten Rang als Tochter des Kalifen allen sichtbar Rechnung tragen müsse: entweder dadurch, daß er ihr einen Platz an der Tafel des Königs verschaffe, oder, und dies sei das mindeste, indem er ihr erlaube, sich in Begleitung eines waffenfähigen Mannes unter den Zuschauern zu zeigen. Bue, der einerseits stolz darauf war, eine Prinzessin zur Geliebten zu haben, andererseits jedoch gewisse Zweifel an ihrer vornehmen Herkunft hegte und es demzufolge für geraten hielt, nicht zuviel Aufhebens davon zu machen, entschied sich für das letztere. So kam es, daß auch Björn unter den Zuschauern war.

»Ich sehe viele große Männer an meinem Tisch«, brach nun der König das Schweigen, »und jeder von ihnen hätte es verdient, daß ich ihn namentlich willkommen heiße. Aber das Alter hat mich geschwätzig gemacht, und ich will euch nicht mit den Erinnerungen langweilen, die der Anblick eines jeden in mir wachruft. Betrachtet es daher nicht als Herabsetzung, wenn ich nur die Namen jener nenne, die neu in unserer Runde sind. Ich grüße dich, Egil Skallagrimsson von Island!«

Ein hochgewachsener, breitschultriger Mann erhob sich und trat vor den König. Sein Kopf war fast kahl, sein Gesicht bartlos, aber über seinen Augen wölbten sich zwei mächtige schwarze Brauen.

»Jeder hier kennt deinen Namen«, sagte der König. »Doch nur wenige wissen, daß du es nicht nötig hast, anderer Männer Taten zu preisen.«

Der Skalde neigte sein Haupt und sprach, halb an den König, halb an die Tafelrunde gewandt, die Strophe:

 

Wenn mit vieren ich fahre, weißt du,

können sechs nicht streiten

wider mich mit Schildlärm - Gottes

verletzenden Messern, den roten;

wenn aber mit acht ich bin,

sind zwölf nicht genug zu erschüttern

mir, dem Schwarzbrauigen, das Herz,

wenn gegeneinander die Schwerter man zieht.

 

»Das ist nicht nur wohl gesprochen, sondern auch wahr«, sagte Harald. »Denn wenn es mir selbst auch nicht vergönnt war, mich im Zweikampf mit ihm zu messen, so habe ich doch genügend Männer gekannt, die es mit ihrem Leben bezahlen mußten, daß sie Egils Worte für Prahlerei hielten.«

Nun richtete sich der Blick des Königs auf At-Tartuschi, der am unteren Ende der Tafel zwischen dem Sohn eines wagrischen Fürsten und Poppo saß. »Ich grüße auch dich«, sagte er und nahm einen Schluck aus seinem Trinkhorn, während ihm Bue der Dicke beflissen den Namen seines arabischen Gastes zuflüsterte. »Sei mir willkommen, At-Tartuschi«, fuhr der König fort. »Es heißt, der Kalif von Cordoba habe dich ausgesandt, ihm über andere Länder zu berichten. Was nun, verzeih mir meine Neugier, wirst du ihm über mein Land erzählen?«

Poppo übersetzte Haralds Worte und begleitete At-Tartuschi vor den Hochsitz, wo der Araber, nachdem er sich tief verbeugt hatte, gestenreich zu reden begann. Er sprach mit solcher Eindringlichkeit, daß der König sich zu häufigem Kopfnicken veranlaßt sah.

Als der Araber geendet hatte, sagte Poppo: »Erspare mir, Herr, in dürren Worten wiederzugeben, was At-Tartuschi mit dem Wortreichtum eines Dichters an Lobendem über dich und dein Land zu sagen weiß. Nur die unerschütterliche Überzeugung, daß sich das Paradies allein dem guten Christen und diesem auch erst nach dem Tode öffnet, hindert mich daran, seine Worte so zu deuten, daß sich deine Untertanen bereits zu Lebzeiten darin befinden.«

Haralds Augen ruhten wohlgefällig auf At-Tartuschis braunem Gesicht. »Sag ihm, daß mir seine Worte gutgetan haben«, trug er Poppo auf. »Zugleich aber betrübt es mich«, wandte er sich an die Tafelrunde, »daß ein Mann vom anderen Ende der Welt kommen muß, mir das zu sagen. Von euch höre ich immer nur Klagen.«

»Wir Isländer sind dafür bekannt, daß wir mit Königen nicht viel im Sinn haben«, sagte Egil und erhob sich abermals. »Dennoch verdienst du es, Harald Gormsson, daß man dich in einer Sprache rühmt, die uns allen geläufig ist. Höre denn:

 

Zu Gast mich der Fürst lud,

Pflicht ist sein Lob mir,

bring Odins Met

in der Angeln Land;

konnte preisen den Herrn,

rühme gewiß ihn,

um Gehör ich ihn bitte,

da ein Loblied ich fand.

 

Dies war die erste von vielen Strophen, die der Skalde sang. Auf-und abschreitend, mit lauter Stimme und ausladenden Gebärden beschwor er Schwertlärm und Schlachtgetümmel, türmte Hügel von Toten vor den gebannt Lauschenden auf und tränkte die Erde mit Strömen von Blut. Aus allem aber stieg strahlend der siegreiche Herrscher empor, in dem Harald zu erkennen schwergefallen wäre, hätte der Skalde nicht mehrfach mit starker Betonung seinen Namen genannt.

»Man hält dich nicht zu unrecht für den größten aller lebenden Skalden«, sagte der König, während die Röte, die von seinem Hals aufgestiegen war, nun auch sein Gesicht überflutete. »Vielleicht schmückst du einiges zu sehr aus und dichtest mir im Überschwang Taten an, für die andere zu rühmen wären, doch ich verhehle nicht, daß mich deine Strophen mit Freude erfüllen.« Er schenkte Egil ein Stirnband mit einem Goldknoten sowie einen russischen Hut und ließ ihn neben seiner Mutter Thyra Platz nehmen.

Diese hatte es schon zu Beginn des Festes mit Verdruß vermerkt, daß der einzige Platz an der Tafel, der ihr als der Witwe Gorms des Alten angemessen erschien: der zweite Hochsitz gegenüber dem des Königs, von Haralds Frau Hallgerd eingenommen wurde. Daß ihr, die ohnehin beengt saß, nun noch zugemutet wurde, ihren Platz auf der Bank mit dem Skalden zu teilen, versetzte sie in Zorn. »Dein Vater hätte es nie gewagt, einen Isländer neben mich zu setzen«, sagte sie zum König. »Denn diese Leute stinken nach Schafen und Torf, wenn nicht nach Üblerem.«

»Mach dir nichts daraus, Egil«, sagte der König. »Statt ihr Weisheit zu schenken, hat das Alter sie zänkisch gemacht.«

»Wäre sie ein Mann, hätte ich sie dafür erschlagen«, brummte Egil und zog seine Brauen zusammen.

Thyras schwammiger Körper begann zu zittern. Die Adern an ihren Schläfen traten blaurot hervor, und Speichel sprühte von ihren Lippen, während sie schrie: »Gebt mir ein Schwert, und ihr sollt sehen, wie dieser isländische Maulheld um sein Leben bettelt!« Da niemand ihrer Aufforderung nachkam, griff sie nach einem Trinkhorn und schlug es Egil auf den Kopf. Dieser atmete schwer und warf dem König einen Blick zu, der zu besagen schien, daß ein weiterer Schlag nicht unerwidert bleiben würde.

»Höre meinen Schwur, Mutter«, sagte Harald mit einer Stimme, die keinen Zweifel an seiner Entschlossenheit zuließ: »Du wirst den Rest deines Lebens auf einer Felsklippe im Nordmeer verbringen, wenn du Egil nicht auf der Stelle Genugtuung gewährst.«

Thyra preßte die Lippen zwischen ihre Zahnstümpfe. »Was verlangst du?« fragte sie, ohne Egil anzublicken.

»Nach allem, was ich gehört habe, bist du sehr reich«, entgegnete der Skalde.

»Bedenke aber auch, daß sie eine törichte alte Frau ist; vermutlich erinnert sie sich schon jetzt nicht mehr daran, was sie tat«, mischte der König sich ein, der offenbar um sein Erbteil zu fürchten begann.

»Ich sagte, daß er stinkt, und ich schlug ihn«, stellte Thyra fest. »Und du, Isländer, vermutest zu recht, daß du mich mit deiner Forderung nicht so leicht in Verlegenheit bringen wirst.«

Egil sagte: »So füll das Horn, das du mir aufs Haupt schlugst, bis zum Rand mit Silber. Damit will ich mich zufriedengeben.«

»Das ist weniger, als ich erwartet habe«, sagte die alte Königin. »Aber für einen Isländer mag es genug sein.«

»Schweig jetzt, Mutter!« fuhr sie der König an. »Egils maßvolle Forderung beweist seinen Großmut; ein Mann seines Ansehens hätte weit mehr verlangen können.« Und zum Skalden sagte er in milderem Tonfall: »Trink einen Schluck aus meinem Horn, Egil, und sieh darin ein Zeichen meiner Freundschaft.«

Der Skalde ließ sich das Horn reichen und trank es in einem Zuge leer. Als er es absetzte, sagte er: »Du trinkst Bier, Harald Gormsson, während du deine Gäste mit teurem Wein bewirtest?«

»Wäre es umgekehrt, müßtet ihr mich einen Geizhals schelten«, schmunzelte der König. »Aber mir bekommt das süße Zeug nicht. Statt mich in gute Laune zu versetzen, macht es mich müde und schwächt meine Manneskraft. Bier hingegen verschafft mir Wohlbehagen, und je mehr ich davon trinke, desto öfter kräht mein Hahn. Ich bin nun mal ein Bauer, wie auch Gorm ein Bauer war und alle Könige Dänemarks vor ihm.« Sein Blick blieb auf dem zehnjährigen Sven haften, der am anderen Ende der Tafel neben seiner Mutter saß, und Verachtung kräuselte seine Lippen, als er fortfuhr: »Aber das Milchgesicht dort ist aus der Art geschlagen. Das macht mir Sorgen. Denn wie soll aus ihm ein guter König werden, wenn er nicht wie ein Bauer denkt und fühlt?«

Aller Augen richteten sich auf Sven, dessen blasses Gesicht bei den Worten des Vaters seine kindliche Unbekümmertheit verlor. Hallgerd griff nach seiner Hand. »Hüte dich vor unbedachten Worten, mein Sohn«, sagte sie. »Dein Vater würde es dir mit einer weiteren Kränkung vergelten.«

»Sechzehn Söhne habe ich, von denen ich weiß«, fuhr Harald fort. »Alle sind wohlgeraten, aus jedem könnte ebensogut ein Bauer wie ein König werden. Und ausgerechnet diesem Jammerlappen muß ich mein Reich anvertrauen, weil er das Recht auf seiner Seite hat. Alles Glück, das mir die Götter beschert haben, wird durch dieses eine Unglück zunichte gemacht.«

»Laß ihn reden und denke dir deinen Teil«, ermahnte Hallgerd ihren Sohn.

»Ich hasse ihn«, sagte Sven, ohne daß sich seine Lippen bewegten. Die Gespräche verstummten; eine lähmende Stille breitete sich aus.

»Was hat er gesagt?« fragte der König.

Niemand antwortete ihm. Verstohlene Blicke aus den Augenwinkeln, betretenes Schweigen, hier und da ein Räuspern.

»Ich will wissen, was er gesagt hat!« schrie der König.

Da erhob sich Bue der Dicke und trat in geduckter Haltung an den Hochsitz. Harald wandte ihm sein Ohr zu und hörte unbewegten Gesichts, was Bue ihm zuflüsterte. Dann öffneten sich langsam seine Lippen, gaben nach und nach den Zahn frei, nun auch die schwarzen Zahnstümpfe, die rissige Zunge. Haralds Körper erbebte von kurzen, rasch aufeinanderfolgenden Atemstößen, der König lachte. Bue, den es sichtlich erleichterte, daß seine Mitteilung den König zu erheitern schien, begann ebenfalls zu lachen, das Lachen pflanzte sich von einem zum anderen fort, nahm, je weiter es um sich griff, an Lautstärke zu und füllte die Halle mit tosendem Lärm.

Auf einen Wink des Königs verebbte das Gelächter. »An dir ist ein Possenreißer verlorengegangen, Sohn«, sagte Harald. »Du verstehst es, eine ganze Tafelrunde mit drei Worten zum Lachen zu bringen, das will schon etwas heißen. Was meint ihr«, fragte der König in die Runde, »würde Sven Haraldsson nicht einen guten Narren abgeben?«

Da nickten etliche und schmunzelten. Andere wichen Haralds Blick aus, rissen Fleischstücke aus dem Braten und stopften sie sich in den Mund. Was sie nun kauend, schmatzend, gnurpschend hervorbrachten, konnte ebensogut als Zustimmung wie als Widerspruch gedeutet werden. Harald war, wenn man ihm glauben durfte, ein vom Tode gezeichneter Mann. Demnach konnte Sven schon in wenigen Jahren seine Nachfolge antreten, und es war zu vermuten, daß er, wie sein Vater, ein gutes Gedächtnis besaß.

»Aber wenn es so wäre, wie du sagst: Aus welchem Grund solltest du mich hassen?« fragte der König seinen Sohn.

Statt zu antworten, steckte Sven seinen Zeigefinger in das eine Nasenloch und schnaubte vernehmlich aus dem anderen.

»Wärst du nicht der Sohn einer Frau aus königlichem Geschlecht, hätte ich dich gleich nach deiner Geburt ertränkt«, fuhr der König fort. »Noch immer bist du ein Bündel schlaffer Haut und weicher Knochen. Verübelst du es mir, daß ich einen Mann aus dir zu machen versuche?«

Jetzt richtete der Zehnjährige seine leicht hervorquellenden kalten Augen auf seinen Vater und hielt dessen Blick schweigend stand.

»Als ich in deinem Alter war«, sagte der König, »setzte mich Gorm im Wald aus. Tagelang irrte ich umher, wehrlos Wölfen, Bären und anderem Getier preisgegeben. Ich lernte den Hunger kennen, fraß Baumrinde, Schnecken und Würmer. Aber ich fand den Weg zurück, und als ich an Gorms Hoftor klopfte, war ich ein anderer als jener, den er in der Wildnis alleingelassen hatte. Im Winter darauf warf er mich ins Meer und ließ mich darin schwimmen, bis ich ein Eisklumpen war. Ich verfluchte ihn, ich schwor mir, ihn zu töten, aber als ich ein Mann war, liebte ich ihn, weil er einen Mann aus mir gemacht hatte. Ich bin mit dir glimpflicher verfahren, Sohn. Ich verlange nicht, daß du mich dafür liebst, noch erwarte ich Dank. Aber wenn du mich haßt, wenn es wirklich so ist, daß du mich haßt, dann will ich dir auch einen Grund dafür geben.« Die letzten Worte sprach der König mit leiser Stimme, sie schwirrten beinahe lautlos durch den Saal, und manch einer duckte sich, als fürchte er, von ihnen getroffen zu werden.

»Früher ging es lustiger auf deinen Festen zu, Bruder«, sagte Gunhild, die Witwe des Königs von Jorvik. Sie war eine stattliche Frau mit breitem Gesäß und schweren Brüsten, die sie der Bequemlichkeit halber vor sich auf den Tisch zu legen pflegte. »Da wurde gesungen und erzählt, und wenn es Streitigkeiten gab, wurden sie an Ort und Stelle mit dem Schwert ausgetragen. Erinnerst du dich, wie Erik seinem Gegner den Kopf abschlug und dieser vom einen Ende des Tisches bis zum anderen rollte?« Sie riß ihren Mund auf und lachte mit schwabbelndem Busen.

»Ja, die alten Zeiten«, seufzte König Harald. »Ich wollte, ich könnte sie vergessen, dann fiele es mir leichter, die Freudlosigkeit meines jetzigen Daseins zu ertragen. Seitdem ich König bin, ist mir aller Frohsinn abhandengekommen; die Verantwortung, die auf meinen Schultern lastet, die Sorge um das Wohlergehen meiner Untertanen haben mich schwermütig und krank gemacht. Ich weiß, daß es etliche unter euch gibt, die sich gern an meiner Stelle sähen. Aber die Götter mögen sie davor bewahren, daß ihr Wunsch jemals in Erfüllung geht. Denn es ist ein hartes Los, sich für sein Land aufzuopfern und dafür nichts als Undank zu ernten.« Damit lehnte der König sich zurück und starrte trübsinnig zur Decke empor.

»Außerdem treiben sie es mit Ziegen und Kühen«, sprach Thyra in die Stille hinein. Offenbar hatte sie inzwischen überschlagen, daß ihr ein Trinkhorn voll Silber noch eine weitere Kränkung erlaube. Und damit niemand im ungewissen blieb, wer gemeint sei, fügte sie hinzu: »Für die Isländer ist ein Loch so gut wie das andere.«

»Schafft sie hinaus!« sagte der König, ohne den Blick vom Deckengebälk zu lösen.

Zwei seiner Leibwächter, Männer von riesenhaftem Wuchs, traten hinter die alte Königin, hoben sie von der Bank und trugen sie durch den Saal. Thyra wehrte sich nicht, kein Schrei kam über ihre Lippen, keines jener Schimpfwörter, für die sie berüchtigt war. Als sie aber an der Tür angelangt war, packte sie Björns Schulter und grub ihre Fingernägel in sein Fleisch. Björn roch die ranzigen Ausdünstungen ihres Körpers, er sah das rote Aderngespinst ihrer Augäpfel, und da er ihr so nahe war, vernahm er deutlicher als alle anderen die Worte, die sie zwischen keuchenden Atemzügen hervorstieß: »Dein Zahn, Harald Gormsson, ist das einzige, das von dir in Erinnerung bleiben wird. Denn was du an Taten vollbracht hast, wird schon am Tage nach deinem Tod vergessen sein.«

Einer der Leibwächter versetzte Thyra einen Stoß, so daß sie über die Schwelle stolperte und in die Knie brach. Björn sah, wie sich zwei Mägde über sie beugten und, während sie sie aufzurichten versuchten, nach ihrem Schmuck griffen. Dann schlug jemand von außen die Tür zu.

»Warum lacht ihr nicht?« fragte der König in die Runde. »Mich belustigt es, was meine Mutter sagte, euch nicht?«

Da begannen seine Gäste zur gleichen Zeit zu reden, das Stimmengewirr schwoll an, Entrüstung griff um sich. Die Brüder Sigurd und Harek von den Schafsinseln sprangen auf und erboten sich, Thyra zu erwürgen; Bischof Horath verschaffte sich mit der Behauptung Gehör, Gorms Witwe sei vom Teufel besessen, und daher empfehle er, sie auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen; Bue der Dicke hingegen erinnerte den König an dessen eigenen Schwur und schlug vor, Thyra nach Litla Dimun zu verbannen, einer Felsinsel im Nordmeer, die an Unwirtlichkeit ihresgleichen suche. Harald jedoch wiegte unentschlossen den Kopf, schien an keinem der Vorschläge so recht Gefallen zu finden und brachte seine Gäste schließlich mit einer Handbewegung zum Schweigen.

»Mir wäre lieber gewesen, wir hätten gemeinsam über das Geschwätz der alten Frau gelacht«, sagte der König. »Aber offenbar seid ihr euch einig, daß sie dafür eine Strafe verdient. Oder ist einer hier im Saal anderer Meinung?«

»Ich, Herr«, sagte Poppo und erhob sich.

»Si tacuisses!« stöhnte Bischof Horath und sank in sich zusammen. Die Bischöfe von Aarhus und Ribe tauschten erstaunte Blicke: Wer war dieser Priester, daß er es wagte, an der Tafel des Königs das Wort zu nehmen?

»Man sagte mir, du seist ein sprachkundiger Mann«, versetzte der König. »Nur aus diesem Grund habe ich dich zu meinem Fest eingeladen. Da du nun aber hier bist, laß uns deinen Rat hören.«

»Es steht mir nicht zu, dir einen Rat zu erteilen, König Harald«, antwortete Poppo. »Ich will jedoch nicht mitschuldig daran sein, daß du deinen Nachruhm durch einen Muttermord befleckst. Wenn es, wie mein ehrwürdiger Herr meinte, der Teufel war, der aus deiner Mutter sprach, so räche dich an ihm, nicht aber an jener, deren Stimme er sich lieh.«

»Das ist leichter gesagt als getan, Priester«, entgegnete der König. »Wie soll ich mich an einem rächen, von dem niemand mit Sicherheit sagen kann, ob es ihn gibt?«

»Ich habe ihn gesehen«, sagte Poppo mit fester Stimme. »Ich habe ihn gefühlt, gerochen, mit all meinen Sinnen habe ich ihn wahrgenommen. Es gibt den Teufel so gewiß wie es Gott gibt und seinen Sohn Jesus Christus und die Jungfrau Maria. Nimm den wahren Glauben an, Herr, dann wirst du auch den Teufel erkennen, und Gott wird dir die Kraft geben, ihn zu bezwingen.«

»Immerhin würde sich, wenn ich an deinen Gott glaubte, die Zahl meiner Feinde um einen vermehren«, warf der König gewitzt ein. »Noch dazu um einen, dem mit dem Schwert nicht beizukommen ist.«

»Das Gebet ist stärker als das Schwert«, sagte Bischof Reginbrand, der dem Wortwechsel zwischen König und Priester mit wachsender Aufmerksamkeit gelauscht hatte.

Poppo verneigte sich vor dem Bischof von Aarhus. Dann fuhr er, zum König gewandt, fort: »Und Gott ist mächtiger als die Götzen und Dämonen, die ihr die alten Götter nennt. Denn siehe: Eure Götter sind von Menschenhand gemacht, sie sind aus Gold, Silber, Kupfer, Stein oder Holz, sind taub, blind und stumm. Sie leben nicht, bewegen sich nicht, fühlen nicht. Bedenke doch: Welche Rettung können sie dir bringen, die ja nicht einmal, da sie ohne Verstand sind, sich selbst helfen können?«

Da stand Thormod auf und sagte: »Wenn du einem weitgereisten Mann erlaubst, von seinen Erfahrungen zu berichten, Herr: Der Gott der Christen ist mir auf dem festen Land in manchem nützlich gewesen, über das Meer jedoch hat er keine Macht, dort herrscht immer noch Njörd. Laß dir also von dem Priester nicht einreden, daß sein Gott allmächtig sei.«

Thormods Worte fanden bei vielen Zustimmung, und auch König Harald zeigte durch ein Kopfnicken an, daß sie ihm einleuchtend erschienen.

»Höre, was ein erfahrener Mann sagt, und erkläre uns, wozu es gut sein soll, auf den Beistand vieler Götter zu verzichten und sich statt dessen einem einzigen anzuvertrauen«, forderte Harald den Priester auf.

»Noch dazu einem, der das Wasser scheut!« rief Bue der Dicke, die Augen beifallheischend auf das Gesicht des Königs gerichtet. Aber dieser schneuzte sich mit Daumen und Zeigefinger, was unter seinen Vertrauten als Ausdruck der Mißbilligung galt.

»Es wundert mich nicht, wenn Gott jenen seinen Beistand versagt, die ihn neben ihre Götzen und Dämonen stellen«, antwortete Poppo. »Bedenke vor allem dies, Herr: Eure Götter sind wie Menschen geboren. Odin wurde von Bor gezeugt, und Bestla brachte ihn zur Welt. Bor war Buris Sohn, und diesen leckte die Kuh Audumla aus dem Eis. Davor war der Riese Aurgelmir, den andere Ymir nennen, und davor war der Knall, als das Eis von Niflheim mit dem Feuer von Muspellheim zusammenkam. Aber wer erschuf Feuer und Eis, wer die gähnende Leere Ginnungagap, Herr? Und wenn du meinst, dies sei schon immer dagewesen: Wer herrschte über die Welt, bevor eure Götter geboren wurden? Ich sage es dir: Es war der einzige, der wahre, der allmächtige Gott; er war vor allem anderen da, er selbst ist der Anfang!«

Es wurde sehr still im Saal. Von draußen war Kindergeschrei zu hören; Spatzen tschilpten im Reetdach der Halle. Die Bischöfe von Ribe und Aarhus flüsterten einander lateinische Worte zu; Bischof Horath stocherte mißmutig in seinen Zähnen.

»Alles mag so sein, wie du sagst, Poppo«, ließ sich nun der König wieder vernehmen. »Aber wie willst du beweisen, daß dein Gott auch heute noch mächtiger ist als unsere Götter? Odin und Thor, Njörd und Freyr tun ihre Macht durch Zeichen und Wunder kund, von der Macht deines Gottes hingegen höre ich nur aus deinem und anderer Christenpriester Mund.«

Da übermannte den sonst so beherrschten Priester der Zorn. Er schleuderte seinen hölzernen Becher gegen die Wand und rief: »Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist sind die einzige Gottheit, alle anderen nur Abgötter!«

Björn sah, wie Sigurd und Harek nach ihren Schwertern griffen; auch Bue machte sich bereit, den Priester auf einen Wink seines Herrn hin mit der Waffe zu belehren, wie man sich in Gegenwart des Königs zu benehmen habe. Doch Harald bedeutete mit beschwichtigenden Gebärden, daß er keine Handgreiflichkeiten wünsche.

»Bist du bereit, dies durch deines Gottes eigenes Urteil zu bekräftigen?« fragte er lauernd.

Poppo stützte sich mit beiden Armen auf den Tisch, stand eine Zeitlang so da, reglos, die Augen zusammengepreßt, als lausche er einer inneren Stimme. Dann richtete er sich langsam auf, öffnete die Augen, blickte zur Decke empor. »Ja, Herr«, sagte er leise.

»Bringt mir ein Stück glühenden Eisens«, befahl der König.

Seine Leibwächter stürmten waffenklirrend aus dem Saal. Poppo kniete zwischen den Bänken nieder, bekreuzigte sich und umhüllte sich mit seiner Kutte, so daß von ihm nicht mehr zu sehen war als seine ledrigen Fußsohlen.

»Was tut er da?« fragte Gunhild, die, auf ihren Brüsten ruhend, eingeschlummert war.

»Er betet«, antwortete Bischof Liafdag.

»Er fleht Gott um seinen Beistand an«, verdeutlichte Bischof Reginbrand.

»Si tacuisses, si tacuisses«, murmelte Bischof Horath.

»Ich setze mein bestes Pferd darauf, daß er sich die Pfoten verbrennt«, rief Wichmann, der Brudersohn des Billungers. »Wer hält dagegen?« Niemand meldete sich, obwohl allgemein bekannt war, daß Wichmann beim Wetten meist den kürzeren zog.

Der König ließ sich eine Specksteinschale reichen und schlug darin sein Wasser ab. Währenddessen sagte er: »Ihr seid meine Zeugen, daß ich den Priester nicht gezwungen habe, die Macht seines Gottes durch die Feuerprobe zu beweisen. Es ist sein eigener Wille. Wenn er sich also, woran ich nicht zweifle, die Hände verbrennen wird, ist kein anderer als er selber daran schuld. Ich sage dies, weil ich weiß, daß einige unter uns sind, die Erzbischof Adaldag nur zu gerne berichten würden, ich hätte einem seiner Priester Schaden zugefügt.« Sein Blick streifte die drei Bischöfe nur flüchtig, blieb dafür aber um so länger an Wichmann haften, von dem es hieß, daß er ein Günstling des mächtigen Erzbischofs sei.

Nun geschah etwas, was in Sagas besungen, in Holz geritzt, in Stein gemeißelt werden sollte. Die Zahl derer, die sich rühmten, Zeugen des Ereignisses gewesen zu sein, wuchs von Jahr zu Jahr; keine Halle, und wäre sie um ein Vielfaches größer gewesen als die König Haralds, hätte ihnen allen Platz geboten. Es kam soweit, daß der Zeitpunkt bedeutender und alltäglicher Geschehnisse danach bestimmt wurde, ob er vor oder nach Poppos Feuerprobe lag. Keine Hungersnot, keine Sturmflut, kein Königsmord und kein Krieg gruben sich tiefer in das Gedächtnis der Menschen ein.

Einer der Leibwächter trägt das glühende Eisenstück mit einer Zange in den Saal. Es ist armlang und breit wie ein Schwert. Björn sieht die rote Glut zwischen bröckligem Grau, spürt die Hitze auf seinem Gesicht. Der Leibwächter bleibt neben Poppo stehen und hält das Eisenstück über ihn. At-Tartuschi besprengt es mit Wein, knallend zerspringen die Tropfen. Die weiter entfernt Sitzenden stehen auf, drängen nach vorn; Nanna greift nach Björns Hand, steigt auf eine Bank und zieht ihn zu sich empor. Poppo, unter seiner Kutte kauernd, rührt sich nicht. Ist er inzwischen zu der Einsicht gelangt, das Unmögliche zu versuchen; hat ihn der Mut verlassen?

»Es ist soweit, Priester«, sagt der König. »Oder willst du dir nachsagen lassen, du hättest gewartet, bis das Eisen erkaltet ist?«

»In nomine patris et filii et spiritus sancti«, sagt Bischof Reginbrand und schlägt über Poppo das Kreuz.

Unter der Kutte bewegt es sich, zwei Arme kommen zum Vorschein, schlagen die Kutte zurück, Poppo erhebt sich. Sein Gesicht ist weiß, selbst aus seinen Lippen ist das Blut gewichen. Poppo blickt in die Runde, seine Augen sind starr, seine Pupillen geweitet und tiefschwarz. Nun senkt er den Blick auf das Eisen, er streckt beide Hände aus, die Handflächen nach oben gekehrt, und bedeutet dem Leibwächter mit einer Kopfbewegung, das Eisenstück auf seine Hände zu legen. Björn stockt der Herzschlag, obwohl er das alles schon einmal sah, und wie damals steigt jetzt Rauch von Poppos Händen auf, es riecht nach verbranntem Fett, doch kein Schrei durchdringt die atemlose Stille.

»Wirf das Eisen fort, bevor es dich zum Krüppel macht!« ächzt König Harald, als erleide er selbst die Qualen, die Poppo ohne Anzeichen von Schmerz zu ertragen scheint.

»Es ist nur das Fett, das mir die Hitze aus den Poren treibt, Herr«, sagt Poppo. »Doch meine Haut widersteht der Glut, solange Gott es will.«

So steht er da, das glühende Eisenstück auf seinen ausgestreckten Händen. Der König läßt sein Horn füllen. Als er es leergetrunken hat, steigt er vom Hochsitz, geht zu Poppo, spuckt auf das Eisen, sein Speichel verpufft mit lautem Zischen.

»Damit wollen wir es genug sein lassen, Poppo«, sagt er. »Zeig mir deine Hände.«

Der Leibwächter nimmt das Eisenstück mit der Zange von Poppos Händen. Die Haut ist ein wenig gerötet, wo das glühende Eisen lag, aber sie ist glatt und unversehrt, zeigt keine Brandstellen, keine Blasen. Der König hält Poppos Hände hoch und führt den Priester schweigend durch die Halle. Als sie an Björn vorüberkommen, blickt Poppo ihn an, und ein dünnes Lächeln spielt um seine blutleeren Lippen.

 

Drei Tage nach Poppos Feuerprobe ließ sich König Harald taufen. Nachdem er den wahren Glauben angenommen hatte, gelobte er, auch seine Untertanen zu Christen zu machen, und damit niemand an seiner Entschlossenheit zweifle, setzte er einen Stein, auf dem das Bekehrungswerk bereits als vollendet vermerkt war.

Bischof Horath zog sich verbittert in ein Kloster zurück. An seiner Stelle wurde Poppo Bischof von Schleswig. Zunächst sträubte er sich, dieses Amt zu übernehmen; als man ihn jedoch wissen ließ, Horath arbeite in der Abgeschiedenheit seiner Klosterzelle an einer Lebensbeschreibung des wundertätigen Poppo, die mit besonderer Sorgfalt die Zeitspanne vor seiner Hinwendung zum Christentum behandle, nahm er den Krummstab unter der Bedingung an, daß Horath wegen seiner angegriffenen Gesundheit eine Tätigkeit an der frischen Luft zugewiesen werde.

 

Eines Abends ließ Poppo Björn zu sich in das Haus des Bischofs bitten. Poppo lag im Bett, seine Wangen waren eingefallen, und noch immer hatte sein Gesicht nicht die gewohnte Röte wiedererlangt. Er richtete sich auf und blickte Björn an. »Ich sehe, daß du dir Sorgen um mich machst«, sagte er. »Aber ich bin nicht krank, nur sehr erschöpft. Die Feuerprobe wird wohl mein letztes Wunder gewesen sein, denn es gehört viel Kraft dazu, Gottes Werkzeug zu sein.« Er ließ sich auf das Kissen zurücksinken, schwieg längere Zeit, hob dann den Zeigefinger und winkte Björn zu sich heran: »Ich versprach dir, darüber nachzudenken, wie du zu Reichtum kommen kannst. Höre denn: Geh zu Thormod und sag ihm, daß du es bist, der ihm auf seiner Reise Glück bringen wird. - Gott möge dich beschützen, mein Sohn, und weil du noch ein Heide bist, wird er es dir verzeihen, wenn du hin und wieder auch den guten alten Njörd um Hilfe bittest.« Damit wandte er den Kopf zur Seite und schloß die Augen.

Thormod tat verwundert, als Björn ihm Poppos Botschaft überbrachte. »Ich will nicht verhehlen, daß mir eine Reliquie lieber gewesen wäre, denn eine solche nimmt nicht viel Platz weg und verlangt keinen Anteil«, sagte er. »Aber wenn Poppo meint, daß du mir Glück bringen wirst, dann willkommen an Bord, Björn Hasenscharte.«

Als Björn am Morgen der Abreise zum Hafen hinunterging, löste sich eine Gestalt aus dem Schatten der Häuserzeile und trat in das Sonnenlicht.

»Ich wollte dich noch einmal sehen«, sagte Thordis.

»Gestern abend waren wir so vergnügt miteinander«, sagte er. »Weshalb weinst du jetzt?«

»Ich weine nicht«, entgegnete sie störrisch.

Björn deutete auf die Tropfen, die glitzernd an ihren Wimpern hingen: »Und was ist das?«

Thordis fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ach, das«, sagte sie, »das sind nur Tränen.«