12.

 

»Schott auf!« rief ich in den Helm­sen­der mei­nes Raum­an­zugs.

»Schott fährt auf!« ant­wor­te­te Ste­pan Tronss­kij aus dem Kom­man­doraum.

Vor uns ent­stand ein Spalt in der bis­her ge­schlos­se­nen Me­tall­mas­se des Schleu­sen­schotts und ver­grö­ßer­te sich ra­pi­de. Wir be­fan­den uns un­mit­tel­bar über dem Süd­pol der ge­wal­ti­gen Ku­gel, die die BA­PU­RA war. Ein flim­mern­des, schlauch­för­mi­ges Ener­gie­feld ent­stand, das vom Aus­gang der Schleu­se bis auf den Bo­den der Hal­le hin­a­b­reich­te. Ich war der ers­te, der in die Mün­dung des Fel­des trat und nach un­ten glitt. Die an­de­ren folg­ten mir dichtauf. Uns al­len saß die Angst in den Kno­chen. Wir fühl­ten uns nur si­cher, so­lan­ge wir zu­sam­men­blie­ben. Die schlimms­te Vor­stel­lung war die, von den an­de­ren ge­trennt zu wer­den und al­lein in den end­lo­sen, ver­wor­re­nen Gän­gen die­ses La­by­rinths um­her­wan­dern zu müs­sen.

Wir wa­ren elf Mann – Tan­ca­noc, Scheu­ning, Pe­tron­ko, ich und sie­ben Mann der Be­sat­zung. Wir hat­ten auf die über­le­ge­nen Waf­fen der Mar­sia­ner, die uns in Fül­le zur Ver­fü­gung stan­den, ver­zich­tet und tru­gen statt des­sen die ver­gleichs­wei­se un­be­hol­fe­nen, pri­mi­ti­ven Ther­mo-Rak-Pis­to­len, die zur Stan­dard­aus­rüs­tung der GWA-Schat­ten ge­hör­ten. Denn wir hat­ten in der GO­D­A­POL-An­la­ge die Er­fah­rung ge­macht, daß die Schutz­pan­zer der Ye­do­ce­ko­ner wohl die ge­fähr­li­che Strah­lung der mar­sia­ni­schen Hand­waf­fen zu ab­sor­bie­ren ver­moch­ten, nicht aber die hoch­ener­ge­ti­schen Ther­mo-Rak-Pro­jek­ti­le un­se­rer alt­mo­di­schen Pis­to­len. Man kann De­fen­siv-Maß­nah­men über­trei­ben. Die Ye­do­ce­ko­ner, aus­ge­hend von ih­rer kei­nes­wegs um­fas­sen­den Kennt­nis der mar­sia­ni­schen Tech­no­lo­gie, hat­ten es auf ih­re Wei­se ge­tan: sie wa­ren für hoch­ent­wi­ckel­te Waf­fen un­ver­wund­bar, aber un­se­ren al­ten Ther­mo-Rak-Ge­schos­sen hat­ten sie kei­ne ver­nünf­ti­ge Ab­wehr ent­ge­gen­zu­set­zen.

Han­ni­bal war an Bord der BA­PU­RA zu­rück­ge­blie­ben. Für den Fall, daß mir et­was zu­stieß, muß­te er ver­füg­bar sein, um sich auf­grund sei­nes ho­hen NOQ als nach­fol­gen­der Erb­be­rech­tig­ter an­er­ken­nen zu las­sen. Es war mir nicht leicht ge­fal­len, ihn zum Zu­rück­blei­ben zu über­re­den. Aber schließ­lich hat­te er die tak­ti­sche Not­wen­dig­keit ein­ge­se­hen.

Ich trug, auf den rech­ten Är­mel mei­ner Raum­schutz­mon­tur ge­klebt, ei­ne Ver­grö­ße­rung ei­ner der Auf­nah­men, die Han­ni­bal von dem Bild­schirm in dem klei­nen Kon­fe­renz­raum ge­macht hat­te. Das Bild wies den Weg zum Kon­troll­zen­trum. Mei­ne vor­dring­lichs­te Auf­ga­be war, di­rekt zu TECH­NO zu spre­chen und ihn da­von zu über­zeu­gen, daß der Trans­mit­ter un­ver­züg­lich ab­ge­schal­tet wer­den müs­se. Ich war nicht si­cher, ob ich mit die­ser An­wei­sung Er­folg ha­ben wür­de. Schließ­lich war TECH­NO dar­über in­for­miert wor­den, daß im Hei­mat-Son­nen­sys­tem sei­ner Er­bau­er der Ge­fah­ren­fall MU­TOOC herrsch­te, und es war äu­ßerst frag­lich, ob die Aus­sa­gen ei­nes re­la­tiv be­deu­tungs­lo­sen Man­nes, wie ich es war, aus­reich­ten, um TECH­NO von der für die­sen Fall in Kraft tre­ten­den Ge­fah­ren­pro­gram­mie­rung ab­wei­chen zu las­sen.

Mit an­de­ren Wor­ten: Wir durf­ten uns nicht nur auf TECH­NOs Wohl­wol­len ver­las­sen. Falls er sich wei­ger­te, auf un­se­re Wün­sche ein­zu­ge­hen, muß­ten wir an­de­re Maß­nah­men er­grei­fen. Tan­ca­noc, Pe­tron­ko und ich tru­gen je ei­ne Mi­kro-N-Spreng­kap­sel, ei­ne Kern­bom­be in Mi­nia­tur­aus­ga­be, die im­mer­hin noch die Spreng­kraft von fünf­hun­dert Ton­nen des kon­ven­tio­nel­len che­mi­schen Ex­plo­sivstoffs TNT ent­wi­ckel­te. Kern­bom­ben sol­cher Win­zig­keit hat­te man erst vor kur­z­em ent­wi­ckeln kön­nen, seit­dem man ge­lernt hat­te, einen Neu­tro­nen­re­flek­tor her­zu­stel­len, des­sen Wir­kung selbst ge­rings­te Men­gen von Kern­brenn­stoff so­fort kri­tisch wer­den ließ.

Wir wa­ren al­so gut aus­ge­rüs­tet. Es gab in un­se­rem Vor­ha­ben nur ei­ne ein­zi­ge Un­be­kann­te: das Ver­hal­ten der Ye­do­ce­ko­ner. Ih­ret­we­gen hat­ten wir Tan­ca­noc mit­ge­nom­men, der üb­ri­gens nicht einen un­se­rer Raum­an­zü­ge trug – es gab oh­ne­hin kei­nen, der ihm ge­paßt hät­te – son­dern den Schutz­pan­zer, den er auch in GO­D­A­POLs un­ter­ir­di­schen Räu­men ge­tra­gen hat­te und der ihn sei­nen Lands­leu­ten ge­gen­über aus­wei­sen muß­te.

An der Pe­ri­phe­rie der Hal­le, in der die BA­PU­RA ge­lan­det war, be­tra­ten wir einen wei­ten und lee­ren, aber hell er­leuch­te­ten Gang, der auch auf mei­nem Kar­ten­bild ein­ge­zeich­net war und an­schei­nend auf dem ge­ra­des­ten We­ge zu TECH­NOs Kon­troll­zen­tra­le führ­te. Es gab auf un­se­rem Pfad nur die­sen Gang, dem wir ein­fach bis zum En­de zu fol­gen hat­ten. Zu bei­den Sei­ten des Gan­ges la­gen aus­ge­dehn­te Räu­me, die je­doch in ei­ner Far­be ge­kenn­zeich­net wa­ren, die nach un­se­rem pri­mi­ti­ven Vio­lett, das ver­wäs­sert und von Na­tur aus un­auf­fäl­lig wirk­te. Es gab nur einen ein­zi­gen kri­ti­schen Punkt, näm­lich ei­ne Art Rund­hal­le mit ei­nem Durch­mes­ser von an­nä­hernd fünf­zig Me­tern, wenn wir TECH­NOs Maß­stab rich­tig deu­te­ten, auf die von acht ver­schie­de­nen Rich­tun­gen her an­de­re Gän­ge mün­de­ten.

Falls die Ye­do­ce­ko­ner von un­se­rer An­we­sen­heit Wind be­kom­men hat­ten und falls sie be­ab­sich­tig­ten, un­se­ren Be­such in TECH­NOs Kon­troll­zen­tra­le zu ver­hin­dern, dann war die Hal­le der Punkt, an dem sie uns auf­lau­ern muß­ten. Die Räu­me zu bei­den Sei­ten des Gan­ges hat­ten sie wohl kaum be­setzt. Es war für je­mand, der sich den Gang ent­lang­be­weg­te, zu ein­fach, sich durch ent­spre­chen­de Vor­sichts­maß­nah­men ge­gen ei­ne Um­klam­me­rung zu schüt­zen. Al­so blieb wirk­lich nur die Hal­le. Ich hat­te mir vor­ge­nom­men, Tan­ca­noc vor­aus­zu­schi­cken, so­bald wir in die Nä­he des Kreu­zungs­punk­tes ge­lang­ten, und zu war­ten, wie die Ye­do­ce­ko­ner auf sein Er­schei­nen rea­gier­ten. Wir al­le tru­gen mar­sia­ni­sche Trans­la­to­ren, die Tan­ca­noc so prä­pa­riert hat­te, daß sie ein­wand­frei auf die Spra­che sei­nes Vol­kes rea­gier­ten.

Wie ge­sagt: wir wa­ren gut aus­ge­rüs­tet. Wer sich die Lis­te der Vor­sichts­maß­nah­men an­sah, die wir ge­trof­fen hat­ten, der muß­te zu dem Schluß ge­lan­gen, daß wir ge­gen al­le Ge­fah­ren ge­wapp­net wa­ren. Da­bei über­sah er al­ler­dings ei­nes: wir hat­ten uns nur ge­gen sol­che Fähr­nis­se wapp­nen kön­nen, die sich vor­aus­se­hen lie­ßen. Die un­vor­her­seh­ba­ren wa­ren die, die uns Schwie­rig­kei­ten ma­chen wür­den.

 

Knapp drei­ßig Me­ter vor uns zeich­ne­te sich ei­ne Öff­nung ab. Ich ver­glich an­hand der An­zei­ge mei­nes Ho­do­me­ters die bis­her zu­rück­ge­leg­te Ent­fer­nung mit der Stre­cke, die das Kar­ten­bild an­deu­te­te. Es gab kei­nen Zwei­fel: wir stan­den un­mit­tel­bar vor dem kri­ti­schen Kreu­zungs­punkt.

Tan­ca­noc sah mich be­deu­tungs­voll an. Die Au­gen la­gen un­ter der weit her­vor­sprin­gen­den Stirn in tie­fem Schat­ten und er­schie­nen als win­zi­ge, un­deut­li­che Leucht­punk­te. Der klei­ne Mund mit den har­ten, von Horn­haut ver­klei­de­ten Lip­pen war fest ge­schlos­sen.

»Es ist so­weit, Tan­ca­noc«, sprach ich in das Mi­kro­phon mei­ner Hel­m­an­la­ge.

»Ich weiß«, ant­wor­te­te er.

Dann griff er in den Gür­tel, zog die Pis­to­le und reich­te sie mir.

»Ich wer­de sie nicht brau­chen«, er­klär­te er.

»Du bist zu op­ti­mis­tisch«, warn­te ich ernst.

»Und selbst wenn ich sie brauch­te … sie wür­de mich zu­vor ver­ra­ten.«

Das war ein Ar­gu­ment, das ich gel­ten las­sen muß­te. Es wür­de an uns lie­gen, ein Au­ge auf Tan­ca­noc zu ha­ben. Er wand­te sich ab und schritt da­von. Das Licht vor uns in der Hal­le war in­ten­si­ver als die Be­leuch­tung des Gan­ges. Er er­schi­en als ei­ne ge­drun­ge­ne, kraft­er­füll­te Sil­hou­et­te, an der kei­ne Ein­zel­hei­ten zu er­ken­nen wa­ren. Er er­reich­te das En­de des Gan­ges und zö­ger­te einen Atem­zug lang, be­vor er in die Wei­te der Hal­le hin­ein­trat. Dann ging er wei­ter. Die De­cken­be­leuch­tung er­faß­te ihn. Er war jetzt trotz der Ent­fer­nung deut­li­cher zu se­hen als zu­vor. Ich er­tapp­te mich da­bei, wie ich sei­ne Schrit­te zähl­te. Die Hal­le durch­maß fünf­zig Me­ter. Die Ye­do­ce­ko­ner hat­ten kur­ze Bei­ne, und den­noch: ein­hun­dert­mal einen Fuß vor den an­dern ge­setzt, und er war durch!

Aber so­weit kam er nicht. Und merk­wür­dig: ich wuß­te eben­so wie er, daß er es nicht schaf­fen wür­de. Die Stim­me kam aus der Dun­kel­heit ei­nes der Gän­ge, die auf den Ver­tei­ler mün­de­ten. Sie klang hart und er­bar­mungs­los, selbst in der Über­set­zung, die der Trans­la­tor an­fer­tig­te.

»Halt! Du bist kei­ner von uns … ob­wohl du so aus­siehst! Iden­ti­fi­zie­re dich!«

Tan­ca­noc, das konn­ten wir deut­lich se­hen, hielt ab­rupt an. Er blieb ein­fach ste­hen, oh­ne den Kopf zu wen­den: ein deut­li­ches An­zei­chen da­für, daß auch er nicht wuß­te, wo­her die Stim­me kam.

»Laß mich dich se­hen«, ant­wor­te­te er grim­mig. »Dich und dei­ne Leu­te – dann will ich euch sa­gen, ob ich ei­ner von euch bin oder nicht!«

»Wie ist dein Na­me?«

»Ich bin Tan­ca­noc!«

Ein über­rasch­ter Aus­ruf, dann:

»Tan­ca­noc – der sich mit sei­ner Grup­pe der Ma­schi­ne an­ver­trau­te?«

»Der­sel­be!«

»Du warst lan­ge fort, Tan­ca­noc«, sprach die frem­de Stim­me. »Die Mann­schaft hier ist in­zwi­schen ab­ge­löst wor­den. Un­ter uns ist kei­ner, der dich kennt. Du wirst durch dei­nen Be­richt be­wei­sen müs­sen, daß du wirk­lich der bist, für den du dich aus­gibst.«

»Ich?« er­wi­der­te Tan­ca­noc über­rascht und em­pört zu­gleich. »Ich brau­che mich vor nie­mand aus­zu­wei­sen. Man kennt mich auf Ye­do­ce­kon und auf Roqa­loc, und wenn du mich nicht kennst, dann bist du es, der sich ver­däch­tig macht!«

»Du sprichst kühn, Tan­ca­noc!« höhn­te der an­de­re. »Aber uns über­zeugst du da­mit nicht. Wir ha­ben von Tan­ca­noc ge­hört. Er war im­mer ein treu­er Die­ner der Ma­schi­ne. Wir aber hal­ten die Ma­schi­ne für ei­ne Aus­ge­burt des Bö­sen. Wir sind hier, um sie zu be­kämp­fen und ih­rer Herr­schaft ein En­de zu ma­chen …«

Ich hör­te Tan­ca­noc la­chen. Es war ein gluck­sen­des Ge­räusch, das mehr Bit­ter­keit als Er­hei­te­rung zum Aus­druck zu brin­gen schi­en.

»Du ar­mer Narr«, fiel Tan­ca­noc dem an­dern ins Wort. »Weißt du nicht, daß ihr nur des­we­gen noch am Le­ben seid, weil ei­ne ur­al­te Pro­gram­mie­rung der Ma­schi­ne ver­bie­tet, euch kör­per­li­chen Scha­den zu­zu­fü­gen? Gä­be es die­se Pro­gram­mie­rung nicht, wä­ret ihr al­le längst ei­nes un­rühm­li­chen To­des ge­stor­ben. Und den­noch stehst du da und ver­kün­dest lauthals …«

»Ver­rä­ter!« schrie der an­de­re. »Wie kannst du das wis­sen, wenn du nicht mit der Ma­schi­ne in Ver­bin­dung stehst?«

Die Ge­fahr, in der Tan­ca­noc sich be­fand, war hand­greif­lich. Ich wand­te mich um und woll­te einen Be­fehl ge­ben. Da stell­te ich fest, daß Pe­tron­ko und drei Mann der Be­sat­zung ver­schwun­den wa­ren. Ich wur­de zor­nig. Aus­ge­rech­net jetzt, wo wir auch den letz­ten Mann brauch­ten, um Tan­ca­noc aus der Pat­sche zu hau­en.

»Wo, zum Don­ner­wet­ter …«

Es war, als hät­te Pe­tron­ko nur auf die­sen Aus­bruch ge­war­tet. Ich hör­te sei­ne Stim­me im Helm­sen­der.

»Ich ha­be einen Durch­gang ge­fun­den, Sir«, un­ter­brach er mich.

Zum ers­ten­mal schenk­te ich den Wän­den des Gan­ges Be­ach­tung. Ich stell­te fest, daß zu mei­ner Lin­ken, wenn ich den Gang zu­rück­blick­te, ei­ne Tür ge­öff­net wor­den war. Ei­ner der Leu­te deu­te­te dar­auf und gab mir zu ver­ste­hen, daß Pe­tron­ko auf die­sem Weg ver­schwun­den war.

»Was heißt Durch­gang?« frag­te ich scharf, noch im­mer nicht ganz be­sänf­tigt.

»Ich be­fin­de mich mit mei­nen Leu­ten in ei­nem der an­de­ren Kor­ri­do­re, die auf den Rund­platz mün­den, Sir«, ant­wor­te­te der Rus­se.

Ich schal­te­te blitz­schnell. Durch sei­nen Al­lein­gang hat­te Pe­tron­ko uns einen un­schätz­ba­ren Vor­teil ver­schafft. Wä­ren wir aus ei­ner ein­zi­gen Gang­mün­dung her­vor­ge­bro­chen, hät­ten die Ye­do­ce­ko­ner Dut­zen­de von Mög­lich­kei­ten ge­habt, uns aus­zu­wei­chen und gleich dar­auf mit der Ver­fol­gung zu be­gin­nen. Jetzt je­doch konn­ten wir aus zwei ver­schie­de­nen Rich­tun­gen am Kreu­zungs­punkt er­schei­nen. Sie muß­ten glau­ben, daß wir wei­te Ge­bie­te der un­ter­ir­di­schen An­la­ge be­reits be­setzt hiel­ten, und wür­den in ih­ren wei­te­ren Re­ak­tio­nen ent­spre­chend vor­sich­tig sein.

»Gut, Pe­tron­ko!« lob­te ich. »Hal­ten Sie sich zu­rück und war­ten Sie auf mein Kom­man­do!«

In­zwi­schen war vorn auf dem Kreu­zungs­punkt die Un­ter­hal­tung wei­ter­ge­gan­gen. So­eben er­klär­te der An­füh­rer der auf­stän­di­schen Ye­do­ce­ko­ner:

»Ich kann dir nicht trau­en! Du bist mein Ge­fan­ge­ner!«

Wor­auf Tan­ca­noc mit bit­te­rem Spott ant­wor­te­te:

»Und du bist ein ar­mer Narr! Glaubst du wirk­lich, ich wä­re oh­ne Schutz ge­kom­men?«

»Faßt ihn, Leu­te!« schrie der Ye­do­ce­ko­ner.

»Vor­wärts!« be­fahl ich mei­nen Män­nern. »Pe­tron­ko, Sie hal­ten sich noch ei­ne Wei­le zu­rück. Wir schie­ßen, um zu tö­ten, aber wir schie­ßen nur, wenn es un­be­dingt not­wen­dig ist!«

 

Es wa­ren nur noch we­ni­ge Schrit­te bis zum Rand des kreis­run­den Plat­zes, auf dem Tan­ca­noc stand. Die Auf­stän­di­schen, et­wa zwan­zig an der Zahl und in schim­mern­de Pan­zer ge­klei­det, nä­her­ten sich in der Haupt­sa­che von links her. Sie be­weg­ten sich vor­sich­tig, als be­fürch­te­ten sie, daß Tan­ca­noc doch ir­gend­ei­ne ver­bor­ge­ne Waf­fe bei sich tra­ge.

»Halt!« schrie ich und trat aus dem Gang her­vor. »Die­ser Mann ist mein Freund, und ihr wer­det ihn in Ru­he las­sen!«

Sie fuh­ren her­um und starr­ten mich an. Hin­ter mir lös­ten sich mei­ne Be­glei­ter aus dem Schat­ten des Gan­ges. Den Ye­do­ce­ko­nern muß­ten wir wie frem­de Un­ge­heu­er vor­kom­men. Sie hat­ten We­sen un­se­rer Art noch nie zu Ge­sicht be­kom­men.

Aber ihr Schreck währ­te nur einen Atem­zug lang. Der An­füh­rer – ein stäm­mi­ger Kerl, der sei­ne Art­ge­nos­sen um ei­ne hal­be Schä­del­hö­he über­rag­te – deu­te­te mit aus­ge­streck­tem Arm auf mich. Der Trans­la­tor über­setz­te sei­ne Wor­te, so, wie er vor ein paar Se­kun­den die mei­ni­gen in die Spra­che der Ye­do­ce­ko­ner über­tra­gen hat­te.

»Frem­de! Freun­de der Ma­schi­ne! Sie tra­gen kei­ne Schutz­pan­zer! Macht sie nie­der!«

»Feu­er!« be­fahl ich ru­hig.

Fau­chend ent­lu­den sich un­se­re Pis­to­len. Mit grel­lem, feu­ri­gem Schweif schos­sen die hoch­bri­san­ten Pro­jek­ti­le auf die vor Schreck er­star­ren­den Ye­do­ce­ko­ner zu. Nur zwei Sal­ven wa­ren gut ge­zielt: sie durch­bra­chen mü­he­los den ye­do­ce­ko­ni­schen Schutz­pan­zer. Die Ge­schos­se ex­plo­dier­ten und er­zeug­ten un­ge­heu­re Glut­bäl­le, in de­nen die Trä­ger der Pan­zer in Se­kun­den­schnel­le zu Asche ver­gin­gen. Ich selbst – und auch ei­ni­ge an­de­re aus un­se­rer Grup­pe – hat­ten ab­sicht­lich auf Punk­te an der ge­gen­über­lie­gen­den Wand des Plat­zes ge­zielt. Die Ge­schos­se de­to­nier­ten dort und brach­ten das Fels­ge­stein zum Schmel­zen, so daß es in glut­flüs­si­gen Bä­chen her­ab­rann und auf dem Bo­den rau­chen­de La­chen bil­de­te. Die Luft im Kreu­zungs­punkt war auf ein­mal ko­chend heiß.

»Das als Be­weis!« rief ich den ent­setz­ten Ye­do­ce­ko­nern zu. »Wir sind nicht un­be­dingt Freun­de der Ma­schi­ne. Aber wir sind hier­her­ge­kom­men, da­mit sie uns einen wich­ti­gen Dienst er­weist. Zu die­sem Zweck müs­sen wir mit ihr ver­han­deln, und ihr wer­det uns dar­an nicht hin­dern. Geht bei­sei­te und laßt uns un­an­ge­foch­ten vor­bei.«

Noch wäh­rend ich sprach, sah ich, wie die Ye­do­ce­ko­ner sich über den Kreu­zungs­punkt zu ver­tei­len be­gan­nen und stra­te­gi­sche Po­si­tio­nen ein­nah­men. Wir hat­ten es mit ei­ner har­ten Mann­schaft zu tun, die mir wi­der Wil­len Re­spekt ab­nö­tig­te. Sie woll­ten nicht auf­ge­ben.

»Wir wer­den nichts der­glei­chen tun!« rief der An­füh­rer mir zu. »Wir sind die Her­ren die­ser An­la­ge. Ihr habt uns zu ge­hor­chen, und wir sor­gen da­für, daß ihr die Ma­schi­ne nie­mals zu Ge­sicht be­kommt!«

Ich ließ ihn zu En­de re­den; dann sag­te ich:

»Pe­tron­ko, rücken Sie an!«

»Ich kom­me, Sir«, lau­te­te die Ant­wort.

Aus ei­ner an­de­ren Gang­mün­dung fauch­te ei­ne kur­ze Ther­mo-Rak-Sal­ve. Auch sie schlug nutz­los in die Wand und be­schränk­te sich dar­auf, die Luft in der klei­nen Hal­le noch mehr zu er­hit­zen. Aber das war ge­nug. Die Ye­do­ce­ko­ner war­fen sich zu Bo­den und kro­chen, so rasch sie konn­ten, in die De­ckung der halb­dunklen Gän­ge zur Lin­ken. Ich jag­te ei­ne Sal­ve hin­ter ih­nen her und über sie hin­weg, die weit im Hin­ter­grund ei­nes der Gän­ge de­to­nier­te und ei­ne Ku­gel aus wa­bern­der, blau­leuch­ten­der Glut er­zeug­te, in de­ren Wi­der­schein die has­tig flüch­ten­den Ge­stal­ten der Auf­stän­di­schen deut­lich zu er­ken­nen wa­ren.

Die Gän­ge zur Lin­ken führ­ten von TECH­NOs Kon­troll­raum fort. Das war mir will­kom­men. Ge­ra­de des­we­gen hat­te ich es be­grüßt, daß es Bo­ris Pe­tron­ko ge­lun­gen war, einen Durch­gang nach der an­de­ren Rich­tung hin zu fin­den. Auf die­se Wei­se konn­ten wir die Ye­do­ce­ko­ner aus un­se­rer Marsch­rich­tung ab­drän­gen. Ich war mir dar­über im kla­ren, daß sie über kurz oder lang wie­der hier er­schei­nen wür­den – und zwar mit ei­ner viel­fach stär­ke­ren Streit­macht, um uns den Rück­weg zu ver­le­gen. Fürs ers­te je­doch war un­ser Pro­blem ge­löst. Der Weg war frei.

Wie der Rück­weg zu be­wäl­ti­gen war, dar­über wür­den wir uns den Kopf zer­bre­chen, wenn es an der Zeit war.

 

Wir ka­men un­be­hin­dert vor­wärts und muß­ten un­se­rem Ziel recht na­he sein, als ich zur rech­ten Hand plötz­lich einen klei­nen, schma­len Sei­ten­gang be­merk­te, der nur mä­ßig er­leuch­tet war und in un­be­kann­te Tie­fen der un­ter­ir­di­schen An­la­ge zu füh­ren schi­en. Er war auf dem Kar­ten­bild nicht ver­merkt. Wahr­schein­lich ge­hör­te er zu den Ver­bin­dun­gen, die TECH­NO aus dem Bild ent­fernt hat­te, nach­dem er auf­ge­for­dert wor­den war, sich auf das We­sent­li­che zu be­schrän­ken. Was mich an dem Gang fas­zi­nier­te, war der Um­stand, daß er ziem­lich ge­nau in die Rich­tung führ­te, in der auf dem Kar­ten­bild die Trans­mit­t­er­sta­ti­on ein­ge­zeich­net war. Der ein­zi­ge Zu­gang zum Trans­mit­ter, der auf dem Bild ein­ge­zeich­net war, ging vom Kon­troll­zen­trum aus, und das war – je nach dem Ver­lauf un­se­rer Ver­hand­lun­gen mit TECH­NO – wo­mög­lich nicht ge­ra­de der­je­ni­ge, den wir am güns­tigs­ten ein­schla­gen soll­ten.

Ei­ni­ge hun­dert Me­ter wei­ter bot sich uns plötz­lich ein völ­lig neu­er An­blick. Un­ser Gang mün­de­te auf einen Quer­gang von be­acht­li­cher Brei­te. Auf der an­de­ren Sei­te des Quer­gangs er­hob sich ei­ne Wand aus schim­mern­dem MA-Stahl. Der Mün­dung un­se­res Gan­ges ge­gen­über zeich­ne­ten sich in der sonst fu­gen­lo­sen Wand die Um­ris­se ei­nes Por­tals ab. So ähn­lich sah der Zu­gang zu NEW­TON in der un­ter­ir­di­schen Stadt Top­thar aus. Nur die bei­den sta­tio­nären Ro­bo­ter, die uns aus glit­zern­den Lin­sen­sys­te­men mus­ter­ten, fehl­ten dort.

»Ich er­ken­ne Ge­ne­ral Kon­nat von Oko­lar-drei«, quarr­te ei­ne der bei­den Ma­schi­nen.

»Ich bin Ge­ne­ral Kon­nat«, be­stä­tig­te ich über Helm­funk und nahm als selbst­ver­ständ­lich an, daß die Ma­schi­nen auf den Emp­fang kurz­wel­li­ger Ra­dio­strah­lung ein­ge­rich­tet wa­ren. »Dies hier sind mei­ne Be­glei­ter. Wir ha­ben mit TECH­NO zu spre­chen.«

»Sie sind iden­ti­fi­ziert und zum Zu­tritt be­rech­tigt«, schnarr­te der Ro­bot. »Das Ver­hal­ten Ih­rer Be­glei­ter un­ter­liegt Ih­rer Ver­ant­wor­tung.«

Nach die­ser et­was omi­nösen An­kün­di­gung öff­ne­te sich das Por­tal. Wir blick­ten nicht, wie auf dem Mars, in einen Gang, des­sen Wän­de mit Waf­fen und Er­ken­nungs­ge­rä­ten ge­spickt wa­ren, son­dern un­mit­tel­bar in die Kon­troll­zen­tra­le. Auch hier gab es im Hin­ter­grund ei­ne Art Po­dest, das je­doch nicht durch ein Ener­gie­git­ter von dem Rest des Raum­es ge­trennt war. In der Wand hin­ter dem Po­dest wölb­te sich nur ei­ne Me­tall­kup­pel, und vor der Haupt­schalt­kon­so­le stand nur ein ein­zi­ger Ses­sel. Die An­la­ge war ein­fa­cher, zweck­mä­ßi­ger und un­kom­pli­zier­ter als die in Top­thar.

Ich schritt durch das Por­tal, und mei­ne zehn Be­glei­ter folg­ten mir dichtauf. Am Fu­ße des Po­des­tes hiel­ten sie an. Ich je­doch schritt die drei Stu­fen hin­auf, ging auf den Ses­sel zu und ließ mich dar­in nie­der. Falls TECH­NO mich be­ob­ach­te­te, dann muß­te er aus mei­nem Ver­hal­ten schlie­ßen, daß ich nicht nur be­fehls­be­rech­tigt, son­dern auch be­fehls­ge­wohnt war.

»Ge­ne­ral Kon­nat an TECH­NO«, er­hob ich die Stim­me. »Ich bin hier, um dir ei­ne Rei­he von An­wei­sun­gen zu er­tei­len. Die auf­stän­di­schen Ye­do­ce­ko­ner woll­ten uns den Weg ver­le­gen, aber wir ha­ben sie ge­schla­gen.«

»TECH­NO an Ge­ne­ral Kon­nat«, ant­wor­te­te das Ge­hirn. »Ich re­gis­trier­te un­ge­wöhn­li­che Vor­gän­ge ent­lang der Pe­ri­phe­rie die­ser An­la­ge, konn­te je­doch nicht fest­stel­len, was sich dort zu­trug.«

Die­se Er­öff­nung elek­tri­sier­te mich. Was hat­te ich un­ter »re­gis­trie­ren« zu ver­ste­hen? Ich war von NEW­TON und ZON­TA ge­wohnt, daß sie al­les wahr­nah­men – in über­tra­ge­nem Sinn auf op­ti­sche Wei­se wahr­nah­men –, was sich in ih­rem in­ners­ten Macht­be­reich ab­spiel­te. Hat­te TECH­NO die­se Fä­hig­keit nicht? Konn­te er nicht se­hen … was im­mer man bei ei­nem Ro­bot­ge­hirn auch un­ter Se­hen ver­ste­hen woll­te? Ich nahm mir vor, spä­ter auf die­sen Punkt zu­rück­zu­kom­men. Vor­erst je­doch gab es Wich­ti­ge­res zu be­spre­chen.

»Auf Oko­lar-drei«, er­klär­te ich dem Ro­bo­ter, »bahnt sich in­fol­ge des oh­ne An­laß ak­ti­vier­ten Alarm­fal­les MU­TOOC ei­ne Ka­ta­stro­phe an. Die Gü­ter­sen­dun­gen dei­nes Trans­mit­ters dro­hen den Pla­ne­ten zu über­schwem­men. Ich ver­lan­ge, daß der Trans­mit­ter au­gen­blick­lich in den Ru­he­zu­stand ver­setzt wird.«

TECH­NO ließ nicht lan­ge auf sich war­ten. Sei­ne Ant­wort ent­sprach mei­nen fins­ters­ten Er­war­tun­gen.

»Ei­ne Ab­schal­tung des Trans­mit­ters wäh­rend des Ge­fah­ren­fal­les MU­TOOC ist un­mög­lich, Ge­ne­ral Kon­nat.«

»Der Ge­fah­ren­fall MU­TOOC exis­tiert nicht«, wi­der­sprach ich. »Es han­delt sich um einen Fehl­alarm.«

»Die­se Fest­stel­lung ist von mei­ner Pro­gram­mie­rung her un­ver­ständ­lich, Ge­ne­ral Kon­nat.«

Der Zorn ging mit mir durch.

»Dann muß eben dei­ne Pro­gram­mie­rung ge­än­dert wer­den, zum Don­ner­wet­ter …!«

Und dann ge­sch­ah das, wo­mit ich nicht ge­rech­net hat­te. TECH­NO ant­wor­te­te mir nicht mehr akus­tisch, son­dern durch ei­ne Leucht­schrift. Das war nicht sei­ne ei­ge­ne Mei­nungs­äu­ße­rung, die er nach Be­fra­gung sei­ner Lo­gik­sek­to­ren her­vor­brach­te, son­dern der Out­put ei­ner hart­ver­drah­te­ten Schal­tung, die auf mei­nen Vor­schlag zur Um­pro­gram­mie­rung rea­giert hat­te.

An ei­ner bis­her un­auf­fäl­li­gen, düs­te­ren Stel­le der Wand er­schi­en plötz­lich ei­ne Art Spruch­band, von dem in grel­len Far­ben, in mei­ner ei­ge­nen Spra­che, die Wor­te zu mir he­r­a­b­leuch­te­ten:

PRO­GRAM­MIE­RUNG AUS­GE­SCHLOS­SEN

 

Ich gab mich ge­schla­gen. Von TECH­NO war in die­sem Fall kei­ne Hil­fe zu er­war­ten. Im Ge­gen­teil: er wür­de rück­sichts­los ge­gen je­den vor­ge­hen, der den Trans­mit­ter in sei­ner Tä­tig­keit zu hin­dern such­te. Eben das aber war mein nächs­tes Ziel.

»Ich stel­le einen Wi­der­spruch fest«, be­merk­te ich. »Auf­stän­di­sche Ye­do­ce­ko­ner be­we­gen sich frei in­ner­halb der un­ter­ir­di­schen An­la­gen. Sie sind al­len Ma­schi­nen feind. Ihr Trach­ten ist es, dich und den Trans­mit­ter zu zer­stö­ren. Du je­doch darfst dich ge­gen die Auf­stän­di­schen nicht weh­ren. Wie er­klärt sich das?«

»Ich weh­re mich nicht, so­lan­ge die Ye­do­ce­ko­ner nicht die le­bens­wich­ti­gen In­stal­la­tio­nen die­ser An­la­ge be­dro­hen. Soll­ten sie das doch tun, so bin ich ge­zwun­gen, sie als ge­fähr­li­che Fein­de ein­zu­stu­fen und ih­ren Schutz­sta­tus zu an­nul­lie­ren.«

Jetzt war der kri­ti­sche Au­gen­blick ge­kom­men.

»Wie kannst du fest­stel­len«, frag­te ich schein­bar bei­läu­fig, »ob le­bens­wich­ti­ge Ein­rich­tun­gen be­droht wer­den, da dein Wahr­neh­mungs­ver­mö­gen doch of­fen­bar ge­trübt ist?«

Ich woll­te wis­sen, was es mit der un­ge­wöhn­li­chen Be­mer­kung auf sich hat­te, die vor we­ni­gen Mi­nu­ten ge­fal­len war, als TECHNO mir zu ver­ste­hen gab, daß er »un­ge­wöhn­li­che Vor­gän­ge re­gis­triert« ha­be, oh­ne je­doch zu wis­sen, worum es gin­ge. Es zeig­te sich, daß das Ro­bot­ge­hirn sich nicht zier­te, über sei­ne Ge­bre­chen of­fen zu dis­ku­tie­ren.

»Es liegt in der Tat ei­ne Wahr­neh­mungs­be­hin­de­rung vor. Das op­ti­sche Sen­sor­sys­tem wur­de von den Auf­stän­di­schen schon in ei­ner frü­hen Pha­se ih­res Auf­stan­des be­schä­digt und un­brauch­bar ge­macht.«

»Dann se­he ich nicht, wie du die­se An­la­ge noch wirk­sam schüt­zen kannst!«

»Der Schutz die­ser An­la­ge ist mei­ne vor­dring­lichs­te Auf­gabe«, ant­wor­te­te TECH­NO stand­haft. »Mir ste­hen ei­ni­ge hun­dert Kampfro­bo­ter zur Ver­fü­gung. Au­ßer­dem er­su­che ich Sie, Ge­ne­ral Kon­nat, mir einen Teil der Be­sat­zung Ih­res Raum­schiffs zu Pa­trouil­len­zwe­cken zur Ver­fü­gung zu stel­len.«

Ich be­griff so­fort den un­ge­heu­ren Wert des An­ge­bots, das mir hier un­ter­brei­tet wur­de. Trotz­dem zö­ger­te ich, dar­auf ein­zu­ge­hen. Der Ro­bot durf­te aus ei­ner all­zu großen Be­reit­wil­lig­keit mei­ner­seits kei­nen Ver­dacht schöp­fen.

»Das ist mit Schwie­rig­kei­ten ver­bun­den …«, zö­ger­te ich. »Eine klei­ne Trup­pe, das lie­ße sich viel­leicht ma­chen … und über­haupt: was ist, wenn mei­ne Leu­te mit ei­nem dei­ner Kampfro­bo­ter zu­sam­men­tref­fen? Ich le­ge kei­nen Wert dar­auf …«

»Die Kampfro­bo­ter sind be­reits in­for­miert«, un­ter­brach mich TECH­NO. »Sie be­trach­ten Ih­re Leu­te als be­freun­de­tes Per­so­nal und wer­den ih­nen kei­ne Schwie­rig­kei­ten in den Weg le­gen.«

Ich tri­um­phier­te. Das war ge­nau das, wor­auf ich ur­sprüng­lich hin­aus­woll­te! Das Ro­bot­ge­hirn hat­te uns zu Wäch­tern be­stellt. Den Bock zum Gärt­ner ge­macht! Ich öff­ne­te mei­nen Men­tal­block und rief nach Han­ni­bal. Der Klei­ne mel­de­te sich so­fort. Ich setz­te ihm aus­ein­an­der, was mit TECH­NO be­spro­chen wor­den war. Auch oh­ne daß ich ei­ne Er­klä­rung ab­gab, er­riet er mei­nen Plan so­fort.

»Ich brau­che Hil­fe!« dräng­te ich. »Die Ye­do­ce­ko­ner ha­ben sich in­zwi­schen von ih­rem Schock er­holt und sind oh­ne Zwei­fel da­bei, sich zu re­or­ga­ni­sie­ren. Sie wer­den sich nicht dar­auf be­schrän­ken, nur den Gang zu blo­ckie­ren, durch den wir ge­kom­men sind. Sie wer­den die Ge­gend ab­su­chen und da­bei viel­leicht auch in die Nä­he des Trans­mit­ters ge­lan­gen.«

»Hm, das wird ge­fähr­lich für euch«, ant­wor­te­te er miß­mu­tig. »Sie sind euch wahr­schein­lich mehr­fach über­le­gen. Wie könn­te man …«

»Ich ha­be einen Plan«, un­ter­brach ich sei­nen Ge­dan­ken­strom. »Nimm dir et­wa fünf­zig Leu­te und un­ter­nimm einen Aus­fall­ver­such in Rich­tung Kon­troll­zen­trum. Die Ye­do­ce­ko­ner müs­sen an­neh­men, daß du kommst, um uns den Weg frei­zu­kämp­fen. Sie wer­den ih­re Leu­te in un­mit­tel­ba­rer Nä­he des Haupt­gangs kon­zen­trie­ren. Un­ter­des­sen ha­ben wir die Chan­ce …«

»Ver­ste­he, ver­ste­he!« rief er. »Wie aber fin­det ihr vom Trans­mit­ter zur BA­PU­RA zu­rück? Auf dem al­ten Weg dürft ihr nicht mehr zu­rück­keh­ren, das ist klar!«

»Wir wer­den es schon schaf­fen«, ver­trös­te­te ich ihn. »Laß das un­se­re Sor­ge sein! Dei­ne Sa­che ist es, uns den Rücken und die Flan­ken frei­zu­hal­ten.«

»Wird ge­macht, Großer!« ver­sprach Han­ni­bal. »Halt die Oh­ren steif!«

Die Ver­bin­dung brach ab. Ich wand­te mich an TECH­NO.

»Es ist not­wen­dig, daß ich an Bord mei­nes Raum­schiffs zu­rück­keh­re«, er­klär­te ich. »Ich wer­de dort ei­ne Mann­schaft zu­sam­men­stel­len, die im Ver­ein mit dei­nen Kampfro­bo­tern die Gän­ge die­ser An­la­ge kon­trol­lie­ren und die Auf­stän­di­schen im Zaum hal­ten kann.«

»Ich dan­ke, Ge­ne­ral Kon­nat«, ant­wor­te­te das Ro­bot­ge­hirn.

Wir wa­ren ent­las­sen. Das Schott fuhr auf, und wir stan­den wie­der auf dem brei­ten Quer­gang, der das Kon­troll­zen­trum in sei­ner gan­zen Aus­deh­nung zu um­ge­ben schi­en. Die bei­den sta­tio­nären Ro­bo­ter rühr­ten sich nicht. Wir über­quer­ten die brei­te Flä­che und dran­gen in den Gang ein, durch den wir ge­kom­men wa­ren. Kur­ze Zeit spä­ter stan­den wir vor der Ab­zwei­gung des Sei­ten­gan­ges, der nun, da wir uns aus ent­ge­gen­ge­setz­ter Rich­tung nä­her­ten, nach links führ­te.

In we­ni­gen Mi­nu­ten wür­de sich her­aus­stel­len, ob mein ver­we­ge­ner Plan et­was wert war oder nicht.

 

Der schma­le Gang schi­en nicht zum ur­sprüng­li­chen Plan der An­la­ge ge­hört zu ha­ben. Er wand sich nach rechts und links, die Wän­de wa­ren zum Teil nur halb be­ar­bei­tet, und die we­ni­gen Leucht­kör­per sa­hen so aus, als ver­dank­ten sie ih­re Exis­tenz ei­ner Not­lö­sung. Trotz­dem be­weg­te sich der Gang ge­ne­rell in der Rich­tung, in der nach TECH­NOs Kar­ten­bild der Trans­mit­ter lie­gen muß­te. Für uns gab es vor­läu­fig al­so kei­nen Grund zu ver­za­gen.

Wir moch­ten von dem Haupt­gang aus et­wa einen Ki­lo­me­ter zu­rück­ge­legt ha­ben, als ich im Halb­dun­kel vor mir plötz­lich ei­ne schat­ten­haf­te Be­we­gung ge­wahr­te. Ich er­starr­te so­fort, und mei­ne Be­glei­ter, Scheu­ning aus­ge­nom­men, wa­ren aus­rei­chend kamp­fer­probt, um die Be­deu­tung mei­nes Ver­hal­tens so­fort zu er­fas­sen. Wir stan­den da wie elf Sta­tu­en und lausch­ten mit weit ge­öff­ne­ten Oh­ren den selt­sa­men Ge­räuschen, die aus den Tie­fen des Gan­ges auf uns zu­ka­men. Schlur­fen und Ras­seln, hin und wie­der me­tal­li­sches Kli­cken und lei­ses Rat­tern, als grif­fen zwei de­fek­te Zahn­rä­der in­ein­an­der. Was konn­te das sein?

Der Schat­ten des Un­be­kann­ten wuchs plötz­lich vor uns auf. Ich er­kann­te ei­ne ecki­ge, hu­ma­noi­de Ge­stalt und sah un­deut­lich das Glit­zern zwei­er rie­sen­haf­ter Au­gen. Ein Kampfro­bo­ter! fuhr es mir durch den Sinn. Un­will­kür­lich spann­te ich die Mus­keln, als müß­te ich die mäch­ti­ge Ma­schi­ne im nächs­ten Au­gen­blick an­sprin­gen.

Plötz­lich er­wach­te mein Trans­la­tor zum Le­ben. Der Ro­bot be­herrsch­te un­se­re Spra­che noch nicht. Er sprach ye­do­ce­ko­nisch.

»Wäch­ter eins-drei-sie­ben er­kennt Ge­ne­ral Kon­nat!«

Mei­ne Er­leich­te­rung war so groß, daß ich einen Au­gen­blick lang ver­geb­lich nach Wor­ten such­te. Dann kehr­te die Fas­sung zu­rück, und ich herrsch­te die Ma­schi­ne an: »Gib den Weg frei und laß uns pas­sie­ren!«

Der Trans­la­tor über­setz­te mei­ne Wor­te. Der Ro­bot drück­te sich ge­gen die Wand und ant­wor­te­te:

»Ich ge­hor­che, Ge­ne­ral Kon­nat.«

Wir eil­ten an ihm vor­über. Ei­ni­ge hun­dert Me­ter wei­ter blie­ben wir ste­hen und horch­ten, ob er uns et­wa folg­te. Aber das ras­seln­de, schlur­fen­de Ge­räusch war nicht mehr zu hö­ren. Wäch­ter 137 hat­te sei­nen Pa­trouil­len­gang in der ur­sprüng­li­chen Rich­tung fort­ge­setzt.

Vor uns wur­de es plötz­lich hel­ler. Wir schie­nen uns ei­nem wich­ti­gen Kreu­zungs­punkt zu nä­hern. Ich hob die Hand zum Zei­chen, daß wir von jetzt an vor­sich­ti­ger vor­drin­gen müß­ten. Ich woll­te et­was sa­gen … aber da traf es mich wie der Faust­schlag ei­nes un­sicht­ba­ren Rie­sen. Plötz­lich hat­te ich kei­nen Bo­den mehr un­ter den Fü­ßen. Ich stürz­te, wäh­rend sen­gen­der, bei­ßen­der Schmerz mir durch den Kör­per zuck­te. Ich hör­te Schreie, oh­ne zu wis­sen, daß auch ich schrie. Ich schlug hart auf und hör­te ein vi­brie­ren­des Sin­gen und Pfei­fen in den Oh­ren. Für Se­kun­den ver­lor ich das Be­wußt­sein.

Als ich wie­der zu mir kam, war der Spuk vor­bei. Wir al­le hock­ten auf dem Bo­den und starr­ten ein­an­der ver­stört an. Nur auf Tan­ca­nocs brei­tem Ge­sicht lag ein wis­sen­des Lä­cheln.

»Was … was war das?« stieß Scheu­ning stot­ternd her­vor.

»Der Trans­mit­ter«, ant­wor­te­te der Ye­do­ce­ko­ner. »Wir be­fin­den uns in un­mit­tel­ba­rer Nä­he des Haupt­schalt­ele­ments. So­eben ist oh­ne Zwei­fel wie­der ei­ne Sen­dung an die Er­de ab­ge­gan­gen. Ob­wohl das ei­gent­li­che Trans­mit­ter­feld in den großen un­ter­ir­di­schen Ver­la­deräu­men ent­steht, in de­nen die Gü­ter vor dem Versand zu­sam­men­ge­tra­gen wer­den, be­kom­men wir auch in der Nähe der Schalt­ein­heit die Aus­wir­kun­gen der Trans­mit­ter­tä­tig­keit zu spü­ren.«

Er hob den Arm und wies vor­aus. Mein Blick folg­te sei­nem Wink. Ich sah durch die Mün­dung un­se­res Gan­ges hin­aus auf einen frei­en, kreis­run­den Platz. Er war grell be­leuch­tet, und in sei­nem Zen­trum er­hob sich ei­ne gi­gan­ti­sche Ma­schi­ne, die nach oben über den Rand mei­nes Blick­felds hin­aus­rag­te. Ich raff­te mich auf. Mit wei­ten Sprün­gen hetz­te ich den Gang ent­lang, ver­ließ ihn und trat auf den Platz hin­aus. Er durch­maß we­nigs­tens zwei­hun­dert Me­ter. Die Schalt­ein­heit selbst war von all­ge­mein zy­lin­dri­scher Form, leicht ko­nisch und hat­te an der Ba­sis einen Durch­mes­ser von drei­ßig Me­tern. Ih­re Hö­he schätz­te ich auf we­nigs­tens das Drei­fa­che des Durch­mes­sers. Die Hal­le selbst hat­te an­nä­hernd die Form ei­ner Halb­ku­gel. Aus dem Ze­nit glüh­te mit blen­den­der Hel­lig­keit ei­ne künst­li­che Atom­son­ne.

Ich ließ das Bild auf mich wir­ken. Hier al­so stand ich vor der Wur­zel des Übels, das die Er­de be­fal­len hat­te. Ei­ne gi­gan­ti­sche Ma­schi­ne, und doch, ver­gli­chen mit den Ener­gi­en, die sie spie­le­risch hand­hab­te, und den un­ge­heu­ren Ent­fer­nun­gen, die ih­re Sen­dun­gen über­brück­ten, ein Zwerg. Un­se­re Spreng­kap­seln wür­den sie zu Fall brin­gen, und da­mit war – wenn auch nicht für uns, so doch we­nigs­tens für die Er­de – vor­läu­fig al­le Ge­fahr be­sei­tigt.

Wir de­po­nier­ten die Spreng­kap­seln rund um den Fuß des Ma­schi­nen­gi­gan­ten. Die Kap­seln wa­ren, wie wir es zur Ge­wohn­heit ge­macht hat­ten, mit ei­nem Te­le­pa­thie­zün­der ver­se­hen, der von mir, Han­ni­bal oder Ki­ny Ed­wards be­tä­tigt wer­den konn­te. Te­le­pa­thie­zün­der hat­ten ge­gen­über den her­kömm­li­chen elek­tro­ni­schen Zünd­me­cha­nis­men den Vor­teil, daß sie nicht stör­an­fäl­lig wa­ren, und vor den noch äl­te­ren Zeit­zün­dern zeich­ne­te sie der Um­stand aus, daß sie be­tä­tigt wer­den konn­ten, wenn der Zeit­punkt da­für am güns­tigs­ten war, und sich nicht ei­nem fest vor­ge­ge­be­nen Zeita­blauf un­ter­wer­fen muß­ten.

Da­mit war un­se­re Ar­beit ge­tan. Die Kap­seln konn­ten je­der­zeit zur De­to­na­ti­on ge­bracht wer­den. Die Ge­fahr für die Er­de war so gut wie be­sei­tigt. Von neu­em über­kam mich das Ge­fühl un­end­li­cher Er­leich­te­rung. Die Auf­ga­be, den Weg zu­rück zur BA­PU­RA zu fin­den, er­schi­en mir wie ei­ne lä­cher­li­che Klei­nig­keit im Ver­gleich mit den Pro­ble­men, die wir seit un­se­rem Start vom Mars hat­ten lö­sen oder um­ge­hen müs­sen.

 

Ich rief Han­ni­bal. Es dau­er­te ei­ne Zeit­lang, bis er ant­wor­te­te, und ich be­merk­te, daß der Strom sei­ner Ge­dan­ken ver­zerrt und un­deut­lich war.

»Was ist los?« er­kun­dig­te ich mich be­sorgt.

»Ich fürch­te, wir ha­ben uns ein zu großes Stück Ku­chen ab­ge­schnit­ten«, ant­wor­te­te er ge­preßt. »Ich lie­ge hier mit mei­nen fünf­zig Mann, von de­nen ich et­wa acht in­zwi­schen ver­lo­ren ha­be, und die Ye­do­ce­ko­ner sind auf al­len Sei­ten. Mein Gott, so vie­le Ye­do­ce­ko­ner auf ei­nem Hau­fen ha­be ich noch nie ge­se­hen …!«

»Wo steckt ihr?« woll­te ich wis­sen.

»Un­mit­tel­bar vor dem Kreu­zungs­punkt, auf dem ihr mit den Ker­len zu­sam­men­ge­sto­ßen seid. Aber sie sind nicht nur vor uns, son­dern sie kom­men auch aus den Räu­men, die zu bei­den Sei­ten des Gan­ges lie­gen.«

Ich grins­te bit­ter.

»Das ist kein Pro­blem, das nicht mit ei­nem Über­ra­schungs­vor­stoß aus dem Rücken des Geg­ners ge­löst wer­den könn­te, Klei­ner! Halt aus, wir kom­men!«

»Du bist ver­rückt!« ächz­te er. »Es sind we­nigs­tens zwei­hun­dert Mann. Ihr habt kei­ne Chan­ce …«

Ich un­ter­brach ein­fach die Ver­bin­dung. Scheu­ning und Pe­tron­ko hat­ten an mei­ner Star­re be­merkt, daß ich mit Han­ni­bal in Kon­takt ge­tre­ten war. Scheu­ning starr­te mich fra­gend und ein we­nig miß­trau­isch an.

»Wir müs­sen un­se­ren Leu­ten aus der Klem­me hel­fen«, er­klärte ich. »Ma­jor Utan und fünf­zig Mann sind von Ye­do­ce­ko­nern um­zin­gelt.«

Einen Au­gen­blick lang sah Scheu­ning so aus, als wol­le er pro­tes­tie­ren. Dann je­doch senk­te er plötz­lich den Kopf und nick­te vor sich hin.

»Selbst­ver­ständ­lich«, mur­mel­te er.

Al­so kehr­ten wir doch zu dem Gang zu­rück, durch den wir ge­kom­men wa­ren. Je nä­her wir dem Kreu­zungs­punkt ka­men, de­sto deut­li­cher wa­ren die Ge­räusche des Kamp­fes zu hö­ren. Hel­les, feind­se­li­ges Sin­gen ver­misch­te sich mit wü­ten­dem Fau­chen. Das Sin­gen kam von den Strahl­waf­fen der Auf­stän­di­schen, das Fau­chen war das Ab­schuß­ge­räusch un­se­rer Ther­mo-Rak-Pis­to­len. Wir has­te­ten vor­wärts. Wenn die Ye­do­ce­ko­ner über­haupt zu dem Schluß ge­kom­men wa­ren, daß Han­ni­bals Vor­stoß nur dem Zweck diente, uns bei der Rück­kehr aus dem Kon­troll­zen­trum den Weg zu eb­nen, so hat­ten sie dar­aus of­fen­bar nicht die rich­ti­gen Schlüs­se ge­zo­gen. Kein ein­zi­ger Auf­stän­di­scher hielt in un­se­rer Rich­tung Aus­schau. Wir er­reich­ten den Rand des Plat­zes, den der Kreu­zungs­punkt bil­de­te, und sa­hen drü­ben, auf der an­de­ren Sei­te, ge­pan­zer­te Ye­do­ce­ko­ner zu bei­den Sei­ten der Gang­mün­dung kau­ern, hin­ter der Han­ni­bal und sei­ne Leu­te la­gen. Die Luft war ko­chend­heiß. Aus dem Gang auf der an­de­ren Sei­te kam das un­un­ter­bro­che­ne Dröh­nen der Ex­plo­sio­nen.

»Ich bin hier, Klei­ner!« rief ich Han­ni­bal auf te­le­pa­thi­schem We­ge zu. »Wenn es geht, dann mach dei­nen Leu­ten klar, daß sie nicht auf uns hal­ten sol­len!«

Dann kon­zen­trier­te ich mich auf die Zün­der der Spreng­kap­seln, die wir am Fu­ße der Trans­mit­ter-Schalt­ele­men­te de­po­niert hat­ten. Ich ra­scher Fol­ge be­tä­tig­te ich einen nach dem an­dern. Ich war kaum fer­tig, da drang aus dem In­nern des Pla­ne­ten ein To­sen und Dröh­nen, das den Lärm des Kamp­fes im Nu er­stick­te. Un­ter mir zit­ter­te der Bo­den. Aus den Gang­wän­den bra­chen große Stücke Ver­klei­dung und stürz­ten her­ab. Vor uns wa­ren die Ye­do­ce­ko­ner über­rascht auf­ge­fah­ren und sa­hen sich um. Ei­ner war so un­vor­sich­tig, vor die Mün­dung des Gan­ges zu tre­ten und wur­de so­fort von ei­ner Rak-Sal­ve er­faßt, die ei­ner von Han­ni­bals Leu­ten ab­ge­feu­ert ha­ben muß­te.

»Jetzt drauf!« schrie ich mei­ne Leu­te an.

Wir bra­chen aus dem Gang her­vor. Ich wer­de nie das pa­ni­sche Ge­heul ver­ges­sen, das die Ye­do­ce­ko­ner aus­stie­ßen, als sie aus ei­ner Rich­tung, von der her sie sich völ­lig si­cher wähn­ten, einen neu­en Geg­ner auf­tau­chen sa­hen. Jetzt erst be­kam mein Wort Ge­wicht: wir schos­sen, um zu tö­ten. Wir konn­ten es uns nicht leis­ten, an­ders zu ver­fah­ren. Vor uns her scho­ben wir ei­ne Front von glü­hen­den, son­nen­hei­ßen Ex­plo­si­ons­bäl­len, die die ye­do­ce­ko­ni­sche Streit­macht auf­rie­ben und die Wän­de der Gän­ge zum Schmel­zen brach­ten. Durch die schüt­zen­den Schich­ten un­se­rer Raum­an­zü­ge hin­durch spür­ten wir die mör­de­ri­sche Hit­ze, die den Kampf­platz er­füll­te.

Ich han­del­te nur noch me­cha­nisch. Er­ken­nen – zie­len – feu­ern – Ma­ga­zin aus­wech­seln … da­bei schritt ich ste­tig vor­wärts. Ich über­quer­te den Kreu­zungs­punkt, drang in den ge­gen­über­lie­gen­den Gang ein.

Plötz­lich ein Schrei:

»Auf­hö­ren! Um Got­tes wil­len … auf­hö­ren!«

Ich er­wach­te wie aus der Tran­ce. Das war kein nor­ma­ler Schrei ge­we­sen, kein akus­ti­scher, son­dern ei­ner, der nur in mei­nem Ge­hirn wi­der­hall­te.

»Han­ni­bal …?«

»Gott sei Dank!« Das klang wie aus tiefs­ter See­le. »Ich dach­te schon, du woll­test uns auch noch aus­lö­schen!«

Ich sah mich um. Rings um mich glüh­ten die Wän­de des Gan­ges, rauch­ten glü­hend­hei­ße, halb­flüs­si­ge Ge­steins­mas­sen auf dem Bo­den. Hin­ter mir, durch den Dunst ge­ra­de noch er­kenn­bar, er­schie­nen die Ge­stal­ten mei­ner Be­glei­ter.

»Die Ye­do­ce­ko­ner …?« be­gann ich.

»Sind ver­schwun­den«, fiel mir Han­ni­bal ins Wort. »Hals über Kopf, als sei die wil­de Jagd hin­ter ih­nen her.«

Da wur­den mir plötz­lich die Knie weich. Der Trans­mit­ter war zer­stört, die Ye­do­ce­ko­ner wa­ren ge­schla­gen. Die Kamp­fes­wut, die sich in mei­nem In­nern auf­ge­spei­chert hat­te, ver­puff­te plötz­lich und hin­ter­ließ ei­ne Lee­re.

»Dann ma­chen wir uns am bes­ten auf den Rück­weg …«, mur­mel­te ich dumpf.

 

Vier Stun­den wa­ren ver­gan­gen. Wir wuß­ten nicht, wie es in den un­ter­ir­di­schen An­la­gen des Mars-Ver­sor­gers aus­sah. Wir wuß­ten nur, daß seit der Zün­dung der Spreng­kap­seln kei­ne ein­zi­ge Trans­mit­ter-Schock­wel­le mehr re­gis­triert wor­den war. Es sah so aus, als hät­ten wir un­se­re Auf­ga­be tat­säch­lich ge­löst.

Die Fra­ge war na­tür­lich, was wei­ter aus uns wer­den wür­de. Noch im­mer stand die BA­PU­RA auf ih­rem un­ter­ir­di­schen Lan­de­platz. Wir konn­ten ver­su­chen zu star­ten, aber wir wuß­ten nicht, wel­che Ge­füh­le TECH­NO nach der Zer­stö­rung des Trans­mit­ters uns ge­gen­über heg­te, ob er uns der Tat ver­däch­tig­te oder nicht und ob er uns oh­ne wei­te­res star­ten las­sen wür­de. Ich hat­te mich ent­schlos­sen, noch einen Stan­dard­tag zu war­ten und, falls ich bis da­hin noch nichts von TECH­NO ge­hört hat­te, dann einen Start­ver­such zu wa­gen.

Die auf­stän­di­schen Ye­do­ce­ko­ner schie­nen sich weit in den Hin­ter­grund der un­ter­ir­di­schen An­la­gen zu­rück­ge­zo­gen zu ha­ben. Ih­re Men­ta­lim­pul­se wa­ren kaum mehr zu spü­ren. Wir hat­ten ih­nen einen heil­sa­men Schre­cken ein­ge­jagt. Ich be­dau­er­te zu­tiefst, daß die ers­te Be­geg­nung zwi­schen un­se­ren bei­den Völ­kern nicht un­ter güns­ti­ge­ren Vor­zei­chen hat­te statt­fin­den kön­nen. Wir be­klag­ten auf un­se­rer Sei­te elf To­te und acht­und­zwan­zig Schwer­ver­letz­te. Von den Ye­do­ce­ko­nern wa­ren nach vor­sich­ti­ger Schät­zung we­nigs­tens sieb­zig ge­fal­len.

Ich saß in mei­nem Ar­beits­raum und mus­ter­te mit ei­nem ge­wis­sen Ab­scheu den Prunk, den auf­zu­bau­en man aus den be­kann­ten Grün­den für nö­tig emp­fun­den hat­te, da mel­de­te sich über In­ter­kom Cap­tain Bot­cher, mein stets auf­merk­sa­mer, pe­dan­ti­scher Ad­ju­tant.

»Pro­fes­sor Scheu­ning, Sir, um Ih­nen ei­ne Hy­po­the­se dar­zu­le­gen.«

Ich brach­te nicht mehr fer­tig, ernst zu sein.

»Las­sen Sie Scheu­ning und sei­ne Hy­po­the­se rein!« ge­bot ich Bot­cher.

We­ni­ge Au­gen­bli­cke spä­ter saß Scheu­ning vor mir.

»Sie er­in­nern sich, Sir, an das trich­ter­för­mi­ge Ener­gie­ge­bil­de, das wir beim An­flug auf die­sen Pla­ne­ten be­merk­ten, in das, von der Son­ne her kom­mend, ein bläu­lich leuch­ten­der Blitz her­nie­der­zuck­te?« be­gann er vor­sich­tig.

»Ich er­in­ne­re mich«, ant­wor­te­te ich wür­de­voll.

»Es ist mir ein un­ge­heu­er­li­cher Ge­dan­ke ge­kom­men«, er­ei­ferte sich Scheu­ning. »Ich ha­be ihn so­fort durch­ge­rech­net und bin zu dem Er­geb­nis ge­langt, daß er im Prin­zip durch­führ­bar ist – vor­aus­ge­setzt, das tech­no­lo­gi­sche Know-how und die ent­spre­chen­den Ge­rä­te sind vor­han­den.«

»Um was für einen Ge­dan­ken dreht es sich, Pro­fes­sor?« er­kun­dig­te ich mich ge­dul­dig.

»Auf der Er­de, Sir«, ant­wor­te­te er, »lan­den Tag für Tag Gü­ter, die nicht nur von un­schätz­ba­rem Wert sind, son­dern auch ei­ne Mas­se von meh­re­ren Bil­lio­nen Ton­nen dar­stel­len. Sie al­le kom­men von die­ser Welt, vom Mars-Ver­sor­ger Al­pha-sechs. Wo­her nimmt der Ver­sor­ger all die­se Ma­te­rie? Zehrt er sich selbst auf? Ver­braucht er die ei­ge­ne Sub­stanz, um die Er­de mit Ver­sor­gungs­gü­tern zu be­lie­fern? Das müß­te man doch mer­ken, nicht wahr? Es müß­te sich selbst mit un­se­ren ver­gleichs­wei­se pri­mi­ti­ven Meß­in­stru­men­ten fest­stel­len las­sen, ob der Ver­sor­ger in den ver­gan­ge­nen Wo­chen pro Tag meh­re­re Bil­lio­nen Ton­nen Mas­se ver­lo­ren hat. Das ist aber nicht der Fall. Al­so schlie­ße ich: es fand kein Mas­se­schwund statt. Die Sub­stanz, aus der die Ver­sor­gungs­gü­ter ge­fer­tigt wur­den, wur­de aus an­de­rer Quel­le be­sorgt.«

»Und jetzt kommt die Ge­schich­te mit dem blau­en Blitz«, nick­te ich spöt­tisch.

»In der Tat, Sir!« rief Scheu­ning. »Ei­ne ge­heim­nis­vol­le Ma­schi­ne­rie zapft die Son­ne die­ses Pla­ne­ten­sys­tems an, einen blau­en Rie­sen üb­ri­gens, der über un­ge­heu­re Ener­gie­re­ser­ven ver­fügt. Die­sem Rie­sen wird Ener­gie ab­ge­saugt. Sie ent­lädt sich in Form von Blit­zen in den Auf­fang­trich­ter, den wir ge­se­hen ha­ben. Ir­gend­wo un­ter­halb die­ses Trich­ters be­fin­det sich ei­ne Sta­ti­on, die Ener­gie in Ma­te­rie ver­wan­delt, zu­nächst in ein­fa­chen Was­ser­stoff, aus dem in stu­fen­wei­sen Fu­si­ons­pro­zes­sen schwe­re­re Ele­men­te er­zeugt wer­den.«

Er schwieg und gab mir Zeit, über sei­ne un­ge­heu­er­li­che Hy­po­the­se nach­zu­den­ken. Ma­te­rie­er­zeu­gung aus Ener­gie! Seit Ein­stein wuß­ten wir, daß es so et­was im Prin­zip gab. Und hat­ten wir die Tech­no­lo­gie der Mar­sia­ner nicht schon ge­nug Wun­der voll­brin­gen se­hen, um rück­halt­los zu glau­ben, daß sie auch das Mi­ra­kel der Ener­gieum­wand­lung voll­zie­hen kön­ne?

Ei­ne Vi­si­on tauch­te vor mei­nem geis­ti­gen Au­ge auf: die Mensch­heit hat­te die Ge­heim­nis­se der mar­sia­ni­schen Tech­nik ent­schlüs­selt. Sie be­herrsch­te das Er­be, das ei­ne ur­al­te Zi­vi­li­sa­ti­on ihr hin­ter­las­sen hat­te – ei­ne Zi­vi­li­sa­ti­on üb­ri­gens, die es nicht fer­tig­ge­bracht hat­te, zu über­le­ben. Es frös­tel­te mich plötz­lich. Wir Men­schen wa­ren trotz un­se­rer Un­ei­nig­kei­ten und Krie­ge Zeit un­se­res Da­seins ein see­lisch sta­bi­les, so­zu­sa­gen un­ver­wüst­li­ches Völk­chen ge­we­sen. Was aber kam da jetzt auf uns zu …?

Als ich aus mei­nen Träu­men er­wach­te, be­merk­te ich, daß Scheu­ning mich in­zwi­schen ver­las­sen hat­te – ent­täuscht wahr­schein­lich über mei­nen Man­gel an Re­ak­ti­on auf sei­ne sen­sa­tio­nel­le Ent­de­ckung. Ich muß­te ihn an­ru­fen. Ich muß­te ihn trös­ten. Ich muß­te ihm sa­gen, daß ich sei­ne Hy­po­the­se für das Er­zeug­nis ei­nes bril­lan­ten Geis­tes hielt.

Ich muß­te so vie­les. Aber mit ei­nem­mal hat­te ich kei­ne Kraft mehr da­zu. Heim­tückisch und hin­ter­lis­tig hat­te sich ab­grund­tie­fe Mü­dig­keit mei­ner be­mäch­tigt. Ich muß­te jetzt nur noch ei­nes.

Schla­fen …

 

 

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