10.

 

Es dau­er­te ei­ne Zeit­lang, bis mei­ne An­sicht sich durch­setz­te. Ein paar Leu­te, be­son­ders Scheu­ning, hiel­ten mei­ne Schluß­fol­ge­rung für un­halt­bar. Scheu­ning ver­such­te, mir vor­zu­rech­nen, daß wir bis­lang erst zwölf­tau­send Licht­jah­re zu­rück­ge­legt ha­ben konn­ten, wenn man von der An­nah­me aus­ging, daß die ein­zel­nen Pa­ra­bol­flug-Etap­pen in Dau­er und über­wun­de­ner Di­stanz ein­an­der an­nä­hernd gleich sei­en.

»Wer sagt Ih­nen, daß das wirk­lich so ist?« frag­te ich ihn. »Be­den­ken Sie, daß der Au­to­pi­lot wäh­rend der ers­ten Etap­pe, auf der Ih­re Be­rech­nun­gen be­ru­hen, einen Feh­ler im Sys­tem ent­deck­te. Es ist durch­aus mög­lich, daß die­ser ers­te Ab­schnitt weitaus kür­zer war, als der Au­to­pi­lot ge­plant hat­te.«

Da­ge­gen wuß­te er nichts ein­zu­wen­den; aber er war noch im­mer nicht über­zeugt. Klar­heit brach­te erst Tan­ca­noc, der sich die gan­ze Zeit über in sei­nem Quar­tier auf­ge­hal­ten hat­te und erst jetzt zum ers­ten­mal im Kom­man­do­stand er­schi­en. Er hat­te die Auf­re­gung be­merkt, die sich der Mann­schaft be­mäch­tigt hat­te, und war aus sei­nem Un­ter­schlupf her­vor­ge­kom­men, um zu er­fah­ren, worum es ei­gent­lich ging. Er trat durch das brei­te Schott und schritt ziel­be­wußt auf mein Schalt­pult zu. Da­bei warf er einen Blick auf die un­ter der Kup­pel­de­cke an­ge­brach­ten Bild­schir­me. Noch im sel­ben Au­gen­blick er­starr­te er mit­ten in der Be­we­gung. Er brei­te­te die Ar­me aus. Ein merk­wür­di­ger Aus­druck er­schi­en auf sei­nem brei­ten, na­sen­lo­sen Ge­sicht. Er rief et­was, das wir nicht ver­stan­den – in der Spra­che sei­ner Hei­mat. Dann erst kam er, mit ra­schen Schrit­ten, auf mich zu und schrie so laut, daß je­der­mann im Kom­man­do­stand ihn hö­ren konn­te:

»Wir sind am Ziel! Das dort ist die blaue Son­ne!«

Wir wuß­ten, daß die Ye­do­ce­ko­ner die Raum­fahrt in be­schränk­tem Ma­ße be­herrsch­ten. Ih­re Auf­ga­be, den Mars­ver­sor­ger Al­pha-VI zu be­treu­en, er­for­der­te, daß sie sich von Zeit zu Zeit in den Raum hin­aus­be­ga­ben, um Mes­sun­gen vor­zu­neh­men, die in­ner­halb der pla­ne­ta­ri­schen At­mo­sphä­re nicht durch­ge­führt wer­den konn­ten. Die al­ten Mar­sia­ner hat­ten ih­nen zu die­sem Zweck Raum­schif­fe zur Ver­fü­gung ge­stellt, die al­ler­dings nur für in­ner­pla­ne­ta­ri­sche Flü­ge ge­eig­net wa­ren. Es war al­so nicht so, daß die Ye­do­ce­ko­ner ih­re Son­ne noch nie aus dem frei­en Raum und zu­dem aus be­deu­ten­der Ent­fer­nung zu Ge­sicht be­kom­men hät­ten. Des­we­gen war Tan­ca­nocs Aus­ruf auch für die Zweif­ler aus­schlag­ge­bend.

Wir wa­ren tat­säch­lich am Ziel!

Jim Do­gen­dal ver­ließ sei­nen Ko­pi­lo­ten­pos­ten und be­gab sich zur Or­ter­zen­tra­le. Er war der­je­ni­ge, der sich mit den mar­sia­ni­schen Or­tungs­ge­rä­ten bes­ser als je­der an­de­re aus­kann­te. Wäh­rend des Flug­es hat­ten wir Leut­nant Er­trol dort schal­ten und wal­ten las­sen. Auch er hat­te sich im Lau­fe der ver­gan­ge­nen Wo­chen und Mo­na­te zu ei­nem Ex­per­ten der mar­sia­ni­schen Or­tungs­tech­nik ent­wi­ckelt. Aber jetzt, da die La­ge kri­tisch zu wer­den be­gann, wa­ren wir si­che­rer, wenn die Be­sat­zung der Or­ter­zen­tra­le aus zwei Fach­leu­ten be­stand.

Die BA­PU­RA ver­folg­te einen Kurs, den wir nicht kann­ten, der uns je­doch der blau­en Rie­sen­son­ne un­ver­kenn­bar nä­her brach­te. Der re­la­ti­vis­ti­sche Ef­fekt war schwach aus­ge­prägt. Un­se­re Re­la­tiv­ge­schwin­dig­keit be­trug wahr­schein­lich nicht mehr als sieb­zig Pro­zent Licht. Do­gen­dal hat­te sei­nen neu­en Pos­ten kaum be­zo­gen, als er mich an­rief.

»Ei­ner un­se­rer Bild­schir­me zeigt das frem­de Sys­tem und den Kurs un­se­res Fahr­zeugs, Sir. Ist die­se Ab­bil­dung auch im Kom­man­do­stand zu se­hen?«

Ich sah mich um und ver­nein­te.

»Ich ver­su­che ei­ne Schal­tung, Sir«, sag­te dar­auf­hin Do­gen­dal. »Viel­leicht bringt sie et­was …«

Er hat­te schon im­mer ei­ne Be­ga­bung da­für ge­habt, die Tricks und Ge­heim­nis­se der mar­sia­ni­schen Schalt­tech­nik in­tui­tiv zu durch­schau­en. Kaum fünf Se­kun­den wa­ren ver­gan­gen, seit­dem er das letz­te Wort ge­spro­chen hat­te, da husch­te es wie Wet­ter­leuch­ten über den größ­ten der Or­ter­bild­schir­me, und im Handum­dre­hen ent­stand ein neu­es Bild. Es war das ty­pi­sche Or­ter­bild: schim­mernd wei­ße Si­gna­le auf ei­nem iri­sie­rend-dun­kel­grü­nen Hin­ter­grund. Es zeig­te in der Mit­te der Bild­flä­che einen in­ten­siv leuch­ten­den Fleck und rings dar­um ver­teilt ins­ge­samt drei­zehn Re­fle­xe von un­ter­schied­li­cher Leucht­stär­ke. Wir wuß­ten, daß das Pla­ne­ten­sys­tem, das Tan­ca­noc sei­ne Hei­mat nann­te, aus ins­ge­samt drei­zehn Sa­tel­li­ten­wel­ten be­stand. Wir hat­ten hier al­so einen wei­te­ren Hin­weis dar­auf, daß wir tat­säch­lich un­mit­tel­bar vor dem Ziel an­ge­kom­men wa­ren.

Aber das Bild zeig­te mehr. Es zeig­te den Kurs der BA­PU­RA als einen dün­nen, leuch­ten­den Strich, der sich von au­ßen her dem frem­den Son­nen­sys­tem nä­her­te. Noch war nicht zu er­ken­nen, auf wel­chen der vie­len Pla­ne­ten er ziel­te. Es gab in der all­ge­mei­nen Rich­tung des Kurspfeils we­nigs­tens drei Wel­ten, die als Ziel in Fra­ge ka­men. Ich war noch in den An­blick des merk­wür­di­gen Bil­des ver­tieft, da be­gann es plötz­lich zu fla­ckern. Als sei das Bild­ge­rät de­fekt ge­wor­den, lie­fen wo­gen­de Far­ben über die Bild­flä­che und über­deck­ten die An­zei­ge fast völ­lig. Im sel­ben Au­gen­blick be­fiel mich ein merk­wür­di­ges Ge­fühl. Es kam mir vor, als sträub­ten sich mir die Haa­re. Es knack­te in den Oh­ren, und für den Bruch­teil ei­ner Se­kun­de leg­te sich mir ein dün­ner Schlei­er vor die Au­gen.

Be­nom­men fuhr ich auf. Im Rund des Kom­man­do­stands tob­te auf­ge­reg­tes Stim­men­ge­wirr. Die mar­sia­ni­schen Farb­an­zei­gen über­schlu­gen sich fast, so has­tig lie­fen die fla­ckern­den Farb­fle­cke über die Bild­an­zei­gen. Ich sah auf. Der Or­ter­schirm bot wie­der einen nor­ma­len An­blick. Die große Son­ne, die drei­zehn Pla­ne­ten, der leuch­ten­de Strich, der den Kurs der BA­PU­RA dar­stell­te – al­les war da. Das Bild sah so un­schul­dig aus, als hät­te es den merk­wür­di­gen Zwi­schen­fall nie ge­ge­ben.

»Was war das?« frag­te ich, noch im­mer halb be­nom­men, im Selbst­ge­spräch.

»Das müß­ten Sie sich ei­gent­lich sa­gen kön­nen«, ant­wor­te­te ei­ne halb spöt­ti­sche Stim­me un­mit­tel­bar ne­ben mir.

Ich fuhr her­um. Scheu­ning stand da und grins­te ver­hal­ten. Ich hat­te ihn nicht kom­men hö­ren.

»Einen bes­se­ren Be­weis da­für, daß wir un­mit­tel­bar vor dem Ziel ste­hen«, sag­te er, »hät­ten Sie sich nicht wün­schen kön­nen. Für mich gibt es kei­nen Zwei­fel, daß wir so­eben ei­ne Schock­welle des Ver­sor­gungs­trans­mit­ters er­lebt ha­ben, ei­ne Auf­riß­flut un­ge­heu­ren Aus­ma­ßes.«

Ich be­gann zu ver­ste­hen. Scheu­ning hat­te recht. Wir be­fan­den uns in un­mit­tel­ba­rer Nä­he des Mars-Ver­sor­gers Al­pha-VI. Der Trans­mit­ter, des­sen un­auf­hör­li­che Gü­ter­sen­dun­gen die Erd­ober­flä­che zu be­gra­ben droh­ten, be­fand sich nur we­ni­ge Licht­mi­nu­ten von uns ent­fernt. Aus die­ser ge­rin­gen Di­stanz war die Auf­riß­flut, die ent­stand, wenn der Trans­port­feld­tun­nel durch den Hyper­raum ent­stand, so­gar kör­per­lich zu spü­ren ge­we­sen, wie mei­ne Er­fah­rung be­wies. Kein Wun­der, daß NEW­TON be­fürch­te­te, die Schock­wel­len wür­den die Neu­gier­de frem­der Ster­nen­völ­ker er­re­gen. Deut­lich ge­nug wa­ren sie auf je­den Fall!

Über In­ter­kom gab ich der Mann­schaft Scheu­nings Hy­po­the­se be­kannt. Es war wich­tig, den Leu­ten klarzu­ma­chen, daß sol­che Er­eig­nis­se sich in mehr oder we­ni­ger re­gel­mä­ßi­ger Fol­ge wie­der­ho­len wür­den und daß sie für uns kei­ne un­mit­tel­ba­re Ge­fahr dar­stell­ten. Ich hat­te mei­ne Er­klä­rung kaum zu En­de ge­spro­chen, da durch­fuhr plötz­lich ein schar­fer Ruck den Leib des rie­si­gen Raum­schiffs. Ich hör­te ein häß­li­ches Knir­schen und Knis­tern, als woll­te die stäh­ler­ne Ku­gel­zel­le un­ter der Wucht ei­ner höl­li­schen Kraft zer­bers­ten. Ich re­gis­trier­te im Hin­ter­grund mei­nes Be­wußt­seins, der Auf­prall müs­se so un­er­war­tet ge­kom­men sein, daß der An­ti­grav der BA­PU­RA nur mit Ver­zö­ge­rung dar­auf hat­te rea­gie­ren kön­nen.

Ein Schrei gell­te auf. Ich wuß­te nicht, wo­her er kam:

»Wir hän­gen in ei­nem Ener­gie­feld!«

 

Das Or­ter­bild hat­te sich ver­än­dert. Quer vor den Kurs der BA­PU­RA hat­te sich ein grel­leuch­ten­der Strich ge­zo­gen. Er war nicht be­son­ders breit, aber da, wo ihn die Kurs­li­nie un­se­res Schif­fes traf, strahl­te er in fast un­er­träg­li­chem Glanz. Mein Blick such­te Scheu­ning.

Der mach­te den Ein­druck ei­nes Kin­des, das so­eben sei­ne Weih­nachts­ge­schen­ke aus­ge­packt hat. Er strahl­te übers gan­ze Ge­sicht. Halb zu­sam­men­hän­gen­de Wor­te dran­gen ihm mur­melnd über die Lip­pen.

»Phan­tas­tisch … ein­fach un­glaub­lich! Kein all­um­fas­sen­der Ener­gie­schirm … wä­re auch zu kost­spie­lig bei die­sem Ab­stand … son­dern lo­ka­li­sier­te Bar­rie­ren! Un­glaub­lich! Die­se Leu­te ver­stan­den et­was von der Ener­gie­schirm­tech­nik …«

Er schi­en schließ­lich zu mer­ken, daß ich ei­ne Er­klä­rung von ihm er­war­te­te. Er fuhr mit der Hand über die Stirn, als müs­se er den Bann ent­fer­nen, in den ihn der An­blick der ge­heim­nis­vol­len Ener­gieb­ar­rie­re ge­schla­gen hat­te.

»Man ver­wehrt uns den Zu­tritt, Sir«, stieß er her­vor und schi­en kei­nes­wegs un­glück­lich dar­über zu sein. »Man hat uns ei­ne ener­ge­ti­sche Schran­ke in den We­ge ge­legt!«

»Wer ist man?« frag­te ich un­ge­dul­dig.

»Nun – die Be­herr­scher und Er­bau­er des Mars-Ver­sor­gers. Al­so wohl die al­ten Mar­sia­ner selbst.«

Mein Blick wan­der­te zu­rück zu dem Or­ter­schirm. Die BA­PU­RA war fast zum Still­stand ge­kom­men. Der Leucht­strich, der un­se­ren Kurs be­schrieb, be­weg­te sich nicht mehr. In­ner­halb von we­ni­gen Se­kun­den hat­te die Bar­rie­re un­se­re ge­sam­te Fahrt auf­ge­zehrt. Aus den Tie­fen des Schif­fes drang das schril­le Ge­heul mar­sia­ni­scher Alarmpfei­fen. Über die Meß­bild­flä­chen tob­ten Stür­me ent­fes­sel­ter Far­ben, de­ren Be­deu­tung kei­ner von uns kann­te. Es war klar, daß der Au­to­pi­lot von uns ir­gend­ei­ne Re­ak­ti­on er­war­te­te. Aber wie soll­ten wir rea­gie­ren? Was konn­ten wir tun?

Ich griff nach dem Mi­kro­phon.

»Ste­pan …!« rief ich.

Der cho­le­ri­sche Rus­se mel­de­te sich so­fort.

»Hier, Sir!«

»Ge­hen Sie auf Not­schal­tung! Über­neh­men Sie die BA­PU­RA in ma­nu­el­le Steue­rung! Na­ru …!«

»Sir?«

»Über­wa­chen Sie Ste­pans Ma­nö­ver! Ach­ten Sie auf die Leuch­t­an­zei­gen. Beim ge­rings­ten An­zei­chen von Ge­fahr ge­ben Sie un­ver­züg­lich an den Au­to­pi­lo­ten zu­rück.«

»Ver­stan­den, Sir!« ant­wor­te­te der Afri­ka­ner.

»Wel­ches Ma­nö­ver be­feh­len Sie?« woll­te Tronss­kij wis­sen.

Ich such­te den Bild­schirm ab. Die Ener­gieb­ar­rie­re wies, so kurz sie auch sein moch­te, ei­ne deut­li­che Krüm­mung auf. Sie sah aus wie ein Stück Kreis­bo­gen oder – wenn man sich die Sa­che per­spek­ti­visch vor­stell­te – wie ein Stück Ku­gel­scha­le. Das Zen­trum der hy­po­the­ti­schen Ku­gel war oh­ne Zwei­fel der Pla­net; den die BA­PU­RA an­flog. Frü­her, nur auf der Grund­la­ge der Rich­tung, in die der Kur­ss­trich wies, war es un­mög­lich ge­we­sen zu er­ken­nen, wel­cher der drei Pla­ne­ten, die im Ab­stand von ei­ni­gen Licht­mi­nu­ten vor uns stan­den, das Ziel war. Jetzt je­doch er­gab sich aus der Krüm­mung der Ener­gieb­ar­rie­re ein neu­es Be­stim­mungs­stück. Un­ser Ziel muß­te der mitt­le­re der drei Pla­ne­ten sein, der sechs­te von der blau­en Son­ne aus ge­rech­net.

»Flie­gen Sie seit­wärts an der Bar­rie­re ent­lang!« be­fahl ich Tronss­kij. »Ge­win­nen Sie ein paar Licht­se­kun­den Ab­stand vom Ener­gie­feld. Dann füh­ren Sie ei­ne ra­sche Schwen­kung durch und hal­ten Kurs auf den sechs­ten Pla­ne­ten des Sys­tems. Ist das klar?«

»Klar, Sir!« ant­wor­te­te der Rus­se mit har­ter, kal­ter Stim­me.

Der gan­ze Kom­man­do­stand ver­folg­te sei­ne Be­we­gun­gen mit äu­ßers­ter Span­nung. Als er die Not­steue­rung ein­schal­te­te, je­nes Sys­tem, das nur einen Teil der viel­fäl­ti­gen Steu­er­funk­tio­nen be­herrsch­te, über die die­ses kom­pli­zier­te Raum­schiff ver­füg­te, und mit dem wir we­gen sei­ner re­la­ti­ven Ein­fach­heit uns hat­ten ver­traut ma­chen kön­nen, er­lo­schen ei­ni­ge der hu­schen­den Farb­an­zei­gen, die an­schei­nend mit der Tä­tig­keit des Au­to­pi­lo­ten zu tun hat­ten. Mit dumpf ru­mo­ren­den Trieb­wer­ken nahm die BA­PU­RA Fahrt auf. Tronss­kij lenk­te sie nach links an der Ener­gie­schran­ke ent­lang, und mit ein we­nig Rück­wärts­fahrt leg­te er all­mäh­lich Ab­stand zwi­schen uns und die ge­fähr­li­che Wand aus Ener­gie.

Mi­nu­ten ver­stri­chen. Die BA­PU­RA war links über das En­de der Bar­rie­re hin­aus vor­ge­sto­ßen. Ih­re Ge­schwin­dig­keit lag im nicht­re­la­ti­vis­ti­schen Be­reich. Tronss­kij steu­er­te das Raum­schiff in ei­ne en­ge Kur­ve und voll­zog ei­ne Kurs­schwen­kung von an­nä­hernd ein­hun­dert Grad. Der leuch­ten­de Kur­s­strei­fen zeig­te jetzt am Rand der Bar­rie­re vor­bei ge­nau auf den sechs­ten Pla­ne­ten. Ich woll­te auf­at­men – da pack­te zum zwei­ten­mal je­ne un­heim­li­che Ge­walt den ge­wal­ti­gen Schiffs­kör­per und ließ ihn in al­len Fu­gen er­zit­tern und äch­zen. Ich ver­lor den Halt und wä­re um ein Haar zu Bo­den ge­stürzt. Als ich auf­sah, war die Ener­gieb­ar­rie­re von ih­rem ur­sprüng­li­chen Stand­ort ver­schwun­den und hat­te sich seit­wärts ver­setzt. Sie lag wie­der­um quer vor dem Kurs.

»Phan­tas­tisch!« hör­te ich Scheu­ning ru­fen.

Viel­leicht hat­te er noch mehr sa­gen wol­len. Er kam je­doch nicht da­zu. Ei­ne an­de­re Stim­me war plötz­lich zu hö­ren, klar, fast schnei­dend – ei­ne Stim­me, die mir auf merk­wür­di­ge und un­heim­li­che Wei­se be­kannt vor­kam, ei­ne Stim­me, der es an Mo­du­la­ti­on nicht man­gel­te und die trotz­dem so klang, wie nur die künst­li­che Stim­me ei­ner Ma­schi­ne klin­gen konn­te.

»Mars-Ver­sor­ger Al­pha-sechs an BA­PU­RA! Sie sind iden­ti­fi­ziert, aber nicht zum An­flug be­rech­tigt. Ge­ben Sie den Schutz-Kode!«

 

Mir blieb der Ver­stand ste­hen!

Die Stim­me, die zu mir sprach, war die Stim­me des Ro­bo­ters, der den Mars-Ver­sor­ger re­gier­te. Sie sprach Eng­lisch! Sie kann­te den Na­men un­se­res Raum­schiffs! Ich ver­such­te, mir vor­zu­stel­len, welch in­ten­si­ve Kom­mu­ni­ka­ti­on sich zwi­schen dem Au­to­pi­lo­ten und dem frem­den Re­chen­ge­hirn in den we­ni­gen Mi­nu­ten ab­ge­spielt ha­ben muß­te, die seit un­se­rem Auf­tau­chen aus der Re­so­nanz-Krüm­mungs­zo­ne ver­stri­chen wa­ren. Der Au­to­pi­lot hat­te uns aus­ge­wie­sen. Er hat­te dem Ro­bo­ter den Na­men un­se­res Schif­fes ge­nannt. Aber noch weit mehr: Er hat­te dem Ro­bo­ter klar­ge­macht, daß sich an Bord der BA­PU­RA We­sen be­fan­den, die die Spra­che sei­ner Er­bau­er nicht be­herrsch­ten, son­dern sich in ei­nem an­de­ren Idi­om ver­stän­dig­ten. Und schließ­lich hat­te er ihm die kom­plet­te Kennt­nis des Eng­li­schen über­mit­telt, so daß der Ro­bot uns an­spre­chen konn­te.

Ne­ben Scheu­ning stand plötz­lich Aich. Ich wuß­te nicht, wo­her er ge­kom­men war. Er lä­chel­te mir auf­mun­ternd zu und sag­te drän­gend:

»Nur im­mer zu! Das ist nicht das ers­te­mal, daß Sie sich ge­gen­über ei­nem Ro­bot­ge­hirn Re­spekt ver­schaf­fen muß­ten!«

Er hat­te recht. Ich be­saß Er­fah­rung mit mar­sia­ni­schen Ro­bo­tern. Zu­erst NEW­TON, dann ZON­TA und schließ­lich GO­D­A­POL. Ich war kein Neu­ling mehr. Ich wuß­te, wie man mit die­sen Ma­schi­nen zu spre­chen hat­te. Man durf­te von An­fang an kei­nen Zwei­fel dar­an las­sen, daß man sie für zwar nütz­li­che, aber an­sons­ten nur be­schränkt ent­schei­dungs­fä­hi­ge Die­ner hielt. Den­noch muß­te ich äu­ßerst be­hut­sam vor­ge­hen. Wie­viel wuß­te der Au­to­pi­lot von den Vor­gän­gen, die sich auf dem Mars ab­ge­spielt hat­ten? Wie­viel hat­te er dem Ro­bot­ge­hirn des Mars-Ver­sor­gers mit­ge­teilt? Ich kam zu dem Schluß, daß ich auch dies­mal mit der Wahr­heit das meis­te er­rei­chen wür­de.

»Hier spricht Ge­ne­ral Kon­nat«, ant­wor­te­te ich, »Kom­man­dant der BA­PU­RA, Bür­ger des Pla­ne­ten Ter­ra, der dei­nen Er­bau­ern als Oko­lar-drei be­kannt war. Ich bin der vom Zen­tral­ge­hirn an­er­kann­te Er­be des mar­sia­ni­schen Rei­ches. Ich bin der Nach­fol­ger des Ad­mi­rals Sag­hon. Ich bin ge­kom­men, um ei­ne Ge­fahr zu ban­nen, die Oko­lar-drei zu ver­nich­ten droht. Ich ge­be dir den Na­men TECHNO und er­klä­re dir, daß du mir zu ge­hor­chen hast!«

Ei­ni­ge Se­kun­den ver­gin­gen, dann traf die Ant­wort des Ro­bo­ters ein. Er war ein har­ter Bur­sche. Mei­ne heh­ren Wor­te hat­ten ihn we­nig be­ein­druckt.

»Na­me TECH­NO wird zwecks Er­leich­te­rung der Kom­mu­ni­ka­ti­on ak­zep­tiert.« Das hieß so­viel wie: Ich will dem ar­men Nar­ren ru­hig sei­nen Wil­len las­sen, wenn er so dar­auf ver­ses­sen ist, mir einen Na­men zu ge­ben. »Erb­be­rech­ti­gung kann je­doch nicht oh­ne wei­te­res an­er­kannt wer­den. Es be­steht kei­ne Kom­mu­ni­ka­ti­on zwi­schen dem Zen­tral­ge­hirn und dem Mars-Ver­sor­ger Al­pha-sechs. Ei­ne Über­prü­fung Ih­rer An­ga­ben durch Rück­fra­ge bei der Zen­tra­le ist da­her nicht mög­lich. Ei­ne an­de­re Art der Prü­fung muß vor­ge­nom­men wer­den.«

»Wel­che Art?« frag­te ich.

»Ih­nen ist be­kannt«, ant­wor­te­te TECH­NO, »daß als erb­be­rech­tigt nur an­er­kannt wer­den kann, wer die Be­fä­hi­gung zum Stabs­of­fi­zier der mar­sia­ni­schen Raum­flot­te be­sitzt.«

»Das ist mir be­kannt«, ant­wor­te­te ich. »Es ist ei­ne Fra­ge der geis­ti­gen Ka­pa­zi­tät.«

»Das ist rich­tig. Ich bin ge­hal­ten, Ih­re Ka­pa­zi­tät zu prü­fen.«

»Wie?« frag­te ich über­rascht. »Bei die­ser Ent­fer­nung?«

»Die Ent­fer­nung spielt nur ei­ne un­ter­ge­ord­ne­te Rol­le. Un­mit­tel­bar über der Hül­le Ih­res Raum­schiffs wird in we­ni­gen Au­gen­bli­cken ein kä­fi­g­ähn­li­ches Ge­bil­de ma­te­ria­li­sie­ren. Le­gen Sie den Raum­schutz­an­zug an und be­ge­ben Sie sich durch ei­ne der Schleu­sen in den Kä­fig. Die Prü­fung fin­det in­ner­halb des Kä­figs statt. Fällt sie po­si­tiv aus, so wird Ih­nen die Lan­dung auf Al­pha-sechs un­ver­züg­lich ge­stat­tet.«

Mei­ne Ge­dan­ken jag­ten ein­an­der.

»Wir sind zwei an Bord die­ses Schif­fes, die die nö­ti­ge Be­fä­hi­gung be­sit­zen.«

»Das ist mir mit­ge­teilt wor­den«, ließ TECH­NO sich hö­ren. »Bit­te, be­stei­gen Sie bei­de den Kä­fig!«

»Und üb­ri­gens be­fin­det sich der An­ge­hö­ri­ge ei­nes Vol­kes, das auf dem Pla­ne­ten Ye­do­ce­kon an­säs­sig ist, an Bord die­ses Schif­fes.«

NEW­TON hat­te den Na­men Ye­do­ce­kon nicht ge­kannt.

Es zeig­te sich, daß der Ro­bot­re­gent des Mars-Ver­sor­gers Al­pha-VI bes­ser in­for­miert war.

»Ver­an­las­sen Sie den Ye­do­ce­ko­ner, nach Ih­nen den Kä­fig eben­falls zu be­tre­ten!« for­der­te TECH­NO mich auf. »Sei­ne Iden­ti­tät wird da­zu die­nen, den Wahr­heits­ge­halt Ih­rer Aus­sa­gen zu un­ter­strei­chen.«

Der ver­damm­te Ro­bo­ter scheu­te sich nicht, mir zu ver­ste­hen zu ge­ben, daß ich un­ter Um­stän­den ein Lüg­ner sein kön­ne. Ich woll­te schon auf­brau­sen, da fiel mir ein, daß Ma­schi­nen mit mo­ra­li­schen Be­den­ken we­nig an­zu­fan­gen wis­sen. Au­ßer­dem wur­de ich durch einen ent­setz­ten Schrei ab­ge­lenkt, den ei­ner mei­ner Of­fi­zie­re aus­ge­sto­ßen hat­te.

Ei­ner der op­ti­schen Bild­schir­me, der bis­her nur das Stern­ge­fun­kel des wei­ten Alls ge­zeigt hat­te, war plötz­lich un­ge­wöhn­lich hell ge­wor­den. Von der Bild­flä­che her­ab leuch­te­te ein Ge­bil­de, das aus rei­ner Ener­gie zu be­ste­hen schi­en und die Form ei­nes über­großen Vo­gel­bau­ers hat­te. Wahr­lich, der Ro­bot­re­gent von Mars-Ver­sor­ger Al­pha-VI ver­lor kei­ne Zeit!