6.
Wir entfernten uns aus dem Sonnensystem mit aberwitziger, ständig wachsender Geschwindigkeit. Schon längst hatten sich relativistische Effekte bemerkbar gemacht. Die Sterne vor uns glänzten in grellem Violett, die hinter uns glühten in dunklem Rot. Zu beiden Seiten, über und unter uns waren alle Farben des sichtbaren Spektrums vertreten. Das Universum hatte sich in einen Regenbogen verwandelt, der uns auf allen Seiten umgab.
Unsere Geschwindigkeit unterschied sich nur noch um weniges von der Geschwindigkeit des Lichts. Diese Information hatten wir von unseren eigenen Meßgeräten, die wir mitgebracht und an Bord installiert hatten. Die Akzelerometer freilich funktionierten nicht. Da der Andruckabsorber den Beschleunigungsandruck völlig absorbierte, lieferten die Meßgeräte keinerlei Anzeige. Nach ihrer Aussage hatten wir uns um keinen Zentimeter von der Stelle bewegt. Aber es gab andere Methoden, unsere Geschwindigkeit zu ermitteln. Wir besaßen ein recht kompliziertes Gerät, auf das unsere Abteilung für wissenschaftliche Feinwerktechnik mit Recht stolz war. Es benutzte die Sonne und Sirius als Fixpunkte und ermittelte unsere Bewegungsgrößen, indem es die scheinbaren Abstände der beiden Himmelskörper mehrmals pro Sekunde maß und die Veränderung ermittelte. Das allein wäre noch keine sonderliche Leistung gewesen. Aber an das Gerät war ein Minicomputer angeschlossen, der auf iterative Weise den Effekt der relativistischen Verzerrung ermittelte und ihn bei der Auswertung der Meßdaten berücksichtigte. Denn Sonne und Sirius standen für unsere Augen nicht da, wo ein unbewegter Beobachter sie gesehen hätte. Je höher unsere Geschwindigkeit, desto bedeutsamer wurde die Abweichung. Der Kleinstrechner kompensierte sie und lieferte uns jeweils die richtigen Daten.
Seit dem Start war rund eine Stunde vergangen. Die Sonne war zu einem Stern geschrumpft, der sich kaum noch von der Fülle der übrigen Sterne unterschied. So weit wie diesmal war noch keiner unserer Testflieger ins All vorgestoßen. Wir hatten das Sonnensystem längst verlassen. Wir hatten die Grenzen durchstoßen, die dem Menschen bislang gesetzt waren. Wir waren auf dem Weg hinaus in den interstellaren Raum. Meine Angst, die atavistische Furcht vor dem Unbekannten, hatte sich gelegt. Von Zeit zu Zeit öffnete ich behutsam den mentalen Schirm, der andere Menschen davor bewahrte, daß ihre Bewußtseinsinhalte wie ein aufgeschlagenes Buch vor mir lagen. Ich wollte nicht ihre Gedanken belauschen. Ich wollte wissen, wie sie empfanden. Und da bemerkte ich, daß bei ihnen dieselbe Wandlung eingesetzt hatte wie bei mir. Die Furcht war geschwunden, oder doch wenigstens geringer geworden. Der Geist des großen Abenteuers begann, die Männer und Frauen der Besatzung zu beseelen. Es kam ihnen zu Bewußtsein, was die Angst bisher vor ihnen verborgen hatte, nämlich daß wir Ungeheuerliches taten, daß wir Pionierarbeit leisteten, daß der Mensch der Erde zum ersten Mal den Griff nicht nach den Planeten des eigenen Sonnensystems, sondern nach anderen Sonnen wagte.
Allmählich verbreitete sich gedämpfte Begeisterung in unserem Raumschiff. Man redete sich ein, daß im Grunde genommen dies alles doch gar nicht so schwierig und gefährlich war. Man begann an den Rechnungen zu zweifeln, die besagten, daß unsere Überlebenschance zwischen zehn und zwanzig Prozent lag. Man sprach aufeinander ein und versuchte sich gegenseitig zu überzeugen, daß das gefürchtete Selbstmordunternehmen wohl eher ein abenteuerlicher Spaziergang werden würde. Ich ließ die Leute gewähren. Ich wußte, daß uns noch Schweres bevorstand, bevor wir unserem Ziel überhaupt nahe kamen. Sie wußten es auch, aber nach der Art kleiner Kinder, die sich vor dem schwarzen Mann erst fürchten, wenn sie schon an der Kellertür stehen, sahen sie darüber hinweg.
Ich war gerade dabei, ein viertes oder fünftes Mal herumzuhorchen, als ich plötzlich einen kräftigen Impuls empfing, der Panik ausdrückte. Ich horchte auf. Das war Dr. Snofers Mentalstimme! Was hatte er? War der Augenblick schon gekommen, in dem wir zum zweiten Mal unserer Angst Herr werden mußten?
Ein kleiner Bildschirm leuchtete auf. Snofers Gesicht erschien, schweißbedeckt und vor Angst verzerrt.
»Etwas geht vor, Sir!« stieß er keuchend hervor. »Die Anzeigen sehen plötzlich anders aus als bisher. Alles spielt verrückt. Geräte sind plötzlich zum Leben erwacht, die bislang keinen Mucks von sich gegeben haben!«
Er war völlig außer sich.
»Sie wissen, worauf wir alle warten«, antwortete ich. »Dieses Raumschiff kann eine Entfernung von vierundzwanzigtausend Lichtjahren nicht zurücklegen, indem es sich im relativistischen Flug durch unser vierdimensionales Kontinuum bewegt, nicht wahr? Das würde bedeuten, daß bei unserer Rückkehr zur Erde dort annähernd achtundvierzigtausend Jahre vergangen sein würden. Die Marsianer beherrschten ohne Zweifel den überlichtschnellen Flug durch den – na, sagen wir – Hyperraum. Könnten die Anzeigen etwas damit zu tun haben, daß die BAPURA sich vorbereitet, in den Hyperraum vorzustoßen?«
Er raufte sich die Haare. Er war verzweifelt.
»Ich weiß es nicht, Sir!« jammerte er. »Ich kann diese verdammten Leuchtanzeigen nicht deuten. Es gibt hier unten ein paar stationäre Roboter. Sie verstehen und sprechen Englisch. Ich habe sie gefragt, aber alles, was sie antworten, ist: ›Eine Beantwortung Ihrer Frage ist unmöglich, da sie auf falschen Voraussetzungen beruht‹.«
Ich traf einen raschen Entschluß. Snofer war nahe daran, seelisch zu zerbrechen. Er brauchte Gesellschaft, die ihm Mut zureden konnte.
»Ich schicke Ihnen Aich und Scheuning«, sagte ich. »Inzwischen schließen Sie die Augen und sehen sich die Anzeigen nicht mehr an. Das ist ein Befehl!«
Ich schaltete ab. Wenige Augenblick später gellte meine Stimme über den Rundsprech durch sämtliche Räume, Gänge und Decks des riesigen Schiffes:
»Die Herren Aich und Scheuning begeben sich bitte zu Captain Snofers Unterstützung in die Triebwerkszentrale!«
Ich wiederholte den Ruf zweimal, dann lehnte ich mich in meinen Sessel zurück und harrte der Dinge, die nun geschehen sollten. Ein kurzer mentaler Rundblick genügte mir, mich zu überzeugen, daß seit meinem Aufruf die Spannung an Bord wieder gestiegen war.
Etwa zehn Minuten später meldete sich Scheuning. Er war ein älterer Mann, das physikalische As der Erde und keineswegs der Typ, der sich in der Ecke verkroch, um nur seinen Studien nachzuhängen. Damals, als wir die BAPURA zum erstenmal starteten, um den anfliegenden Hypnos entgegenzugehen, war er als Sprecher der wissenschaftlichen Gemeinde aufgetreten, die meine Taktik bemängelte.
Er wirkte ruhig und überlegen wie immer.
»Wir sind unserer Sache alles andere als sicher«, erklärte er, »aber Ihre Vermutung ist wahrscheinlich richtig. Die BAPURA schickt sich an, in den Hyperraum zu gehen. Ich habe hier unten ein paar Meßgeräte installiert, die mir im Augenblick des Übertritts hoffentlich ein paar Daten liefern, aus denen wir auf das Prinzip des marsianischen Überlichtflugs schließen können.«
Josua Aich schob sich von links ins Bild.
»Das ist auch meine Meinung, Sir«, sagte er.
»Snofer …?« fragte ich einfach.
»Ist in Ordnung«, nickte Scheuning. »Er brauchte wirklich nur Gesellschaft. Ich bleibe selbstverständlich hier, bis wir das Schlimmste überstanden haben.«
»Ich auch«, schloß Aich sich an.
»Noch etwas«, begann Scheuning von neuem. »Die Theorie der Automata gibt keine eindeutige Auskunft darüber, ob dieser Eintritt in den Hyperraum, wenn wir den Namen schon einmal gebrauchen wollen, von dem Autopiloten in eigener Machtvollkommenheit eingeleitet wird, oder ob er dazu ein Kommando braucht. Weisen Sie bitte die Piloten an, darauf zu achten, ob auf ihren Konsolen irgendwo eine neue und wahrscheinlich besonders auffallende Leuchtmarkierung erscheint. Was sie dann zu tun haben, das überlasse ich Ihrer Entscheidung.«
Ich nickte.
»Okay, bleiben Sie im Bild!«
Die Bildfläche blieb angeschaltet. Scheuning und Aich machten sich an den Meßgeräten zu schaffen, die sie im Triebwerksraum aufgebaut hatten. Hinter ihnen sah ich die mächtigen Metalldome fremder Maschinen, die die für die Triebwerke benötigten, ungeheuren Energien nach unbekannten Prinzipien erzeugten. Die beiden Professoren entfernten sich von dem Aufnahmegerät, bis ich ihre Stimmen nicht mehr hören konnte. Snofer war nirgendwo zu sehen. Wahrscheinlich ruhte er sich aus.
Ich sah auf dem Bildschirm einen kleinen Ausschnitt des Wandteils, der ausschließlich den Anzeigen marsianischer Meßinstrumente vorbehalten war. Es war das übliche Bild. Das Wahrnehmungsvermögen der alten Marsianer mußte auf einem anderen Prinzip beruht haben als das unsere. Unsere Instrumente hatten Zeiger, die auf einen Zahlenwert deuteten, oder zeigten in digitaler Ausführung die Zahl selbst. Die Marsianer schienen nichts von Zahlen gehalten zu haben. Bei ihnen übermittelte die Farbe eines Lichtsignals die gewünschte Information. Farben hatten für die Herren dieser uralten Technologie dieselbe Bedeutung wie für uns Zahlen. Ihr Sehvermögen mußte eine fast unglaubliche Fähigkeit besessen haben, selbst die geringfügigsten Farbvariationen voneinander zu unterscheiden. Das sichtbare Spektrum der elektromagnetischen Strahlung umfaßte den Längenwellenbereich von 4000 bis 7000 Angströmeinheiten. Nach monatelanger Beobachtung der marsianischen Meßanzeigen waren unsere Wissenschaftler zu der Ansicht gelangt, daß die Marsianer zwei Farben, deren Wellenlängen nur um zehn Angström auseinanderlagen, eindeutig voneinander zu unterscheiden gewußt hatten. Wo das unempfindliche menschliche Auge nur die sechs Grundfarben wahrnahm, nämlich Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau und Violett, da hatten die Marsianer insgesamt dreihundert verschiedene Farben deutlich voneinander unterscheiden können.
Wir waren uns darüber im klaren, daß selbst dreihundert Farben, so unglaublich das auch klingen mochte, nicht ausreichten, um all die verschiedenen Zahlenwerte zu ersetzen, die unsere Meßinstrumente lieferten. Unsere Fachleute waren daher zu dem Schluß gekommen, daß auch die räumliche Anordnung der einzelnen Signale unter- und zueinander einen Informationsgehalt besitzen müsse. Farbe und Organisation, das also waren die beiden Grundzüge der marsianischen Meß- und Regeltechnik. Und unser Problem war es, daß wir bislang weder in dem einen, noch dem anderen einen Sinn erkennen konnten. Wir konnten nur Veränderungen registrieren – also feststellen, wann ein marsianisches Meßinstrument etwas anderes anzeigte, als es bis vor kurzem angezeigt hatte. Das war alles.
Und eben das geschah in diesem Augenblick! Ich riß die Augen weit auf, als ich sah, wie die Lichtsignale auf dem Meßbildschirm im Hintergrund des Triebwerksraumes ihre Farbe und ihre Anordnung in Sekundenschnelle wechselten. Es war ein wirres Gehusche von Leuchteffekten, mit denen vielleicht das flinke Auge eines Marsianers etwas hätte anfangen können. Für mich jedoch waren sie sinnlos. Ich konnte ihnen nur entnehmen, daß etwas Ungewöhnliches im Gange war.
Ich war so vertieft in den Anblick, daß ich die drei Bildschirme nicht bemerkte, die über meiner Konsole zusätzlich zu leuchten begonnen hatten. Erst als ich Naru Kenonewes Stimme hörte, ungewöhnlich laut und erregt, fuhr ich auf.
»Sir, auf meiner Konsole erscheint unübersehbar eine neue Anzeige!« meldete er.
Auf den beiden anderen Bildschirmen erkannte ich die Gesichter unserer zwei Kopiloten, Captain Dogendal und unseren russischen Choleriker, Stepan Tronsskij.
»Dieselbe Anzeige ist bei mir zu sehen, Sir«, berichtete Dogendal.
»Und bei mir auch, zum Donnerwetter!« grollte Stepan mit tiefer Stimme und blitzenden Augen. »Was hat das zu bedeuten?«
»Naru!« sprach ich den Chefpiloten an. »Befindet sich irgendein Hebel, Schalter oder Knopf in unmittelbarer Nähe der Anzeige?«
»Das ist richtig, Sir«, antwortete der Afrikaner. »Die Anzeige selbst besteht aus einer etwa fünfzehn mal acht Zentimeter großen Leuchtplatte, die bisher dunkel war, jetzt jedoch in grellem Grün glüht. Unmittelbar unterhalb dieser Leuchtplatte gibt es einen breiten Kippschalter, dessen Tastfläche jetzt ebenfalls erleuchtet ist, und zwar einfach weiß.«
Unten in der Triebwerkszentrale waren Aich und Scheuning wieder auf das Aufnahmegerät zugeeilt. Da sie mich beschäftigt sahen, sprachen sie mich nicht an, sondern versuchten mit wildem Armeschwenken, meine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.
»Ich weiß, ich weiß, meine Herren«, beruhigte ich sie. »Die BAPURA ist fertig zum Eintritt in den Hyperraum. Die Konsolen der Piloten zeigen ein neues Leuchtsignal.«
Da ließen sie die Arme sinken, und Scheuning fragte unverblümt:
»Wie werden Sie sich entscheiden?«
»Ich habe mich schon entschieden«, lächelte ich ihn an. »Damals, als ich General Relings Befehl entgegennahm. Wir wußten die ganze Zeit über, daß wir den Mars-Versorger Alpha-sechs nicht in normalem Raumflug erreichen können. Warum sollten wir jetzt also plötzlich zögern, das Unvermeidliche zu tun?«
Er sah ein paar Sekunden vor sich hin, dann blickte er wieder auf.
»Sie haben natürlich recht, Sir«, antwortete er. Er lächelte sogar ein wenig. »Ich weiß gar nicht, was mir da durch den Kopf gegangen ist!«
»Wir wagen den Sprung«, entschied ich. »Verlieren Sie Ihre Meßinstrumente nicht aus den Augen! Es ist wichtig zu erfahren, nach welchem Prinzip der marsianische Überlichtflug funktioniert.«
Die beiden Wissenschaftler eilten davon. Ich wandte mich wieder den drei Piloten zu.
»Naru, es ist soweit!« erklärte ich. »Betätigen Sie den weißen Kippschalter!«
Einen Atemzug lang geschah überhaupt nichts.
Dann aber erhob sich irgendwo unter uns ein urwelthaftes Tosen. Das riesige Raumschiff begann zu zittern, als sei es in die Fänge einer überlegenen Macht geraten. Die mächtige Kugelzelle gab ein klingendes Geräusch von sich, als wolle sie zerbersten. Lichter flackerten. Eine entsetzliche Sekunde lang beherrschte mich der Gedanke, der jahrzehntausendealte Raumschiffkörper sei den Belastungen, die beim Eintritt in den Hyperraum auftraten, nicht mehr gewachsen und werde zusammenbrechen.
Da aber war der Spuk auch schon vorbei. Ich schüttelte den Kopf und versuchte, das unangenehme Sausen loszuwerden, das die gewaltige Geräuschentwicklung in meinen Ohren hinterlassen hatte, da gellte plötzlich durch das Rund des Kommandostands ein entsetzter Schrei. Ich blickte auf, sah die Männer von ihren Sesseln aufspringen und zu den Bildschirmen hinaufdeuten. Dröhnendes Stimmengewirr erfüllte den Kommandoraum.
Als ich sah, was die Aufregung verursachte, stockte mir der Atem. Die Meßbildschirme boten noch denselben Anblick wie zuvor, aber die optischen und die Orterbildgeräte zeigten sich gänzlich verändert. Von den Optikschirmen leuchtete ein blasses, konturloses mit blauen Farbtönen vermischtes Grau. Die Orterschirme dagegen glommen in düsterem Grün. Es war ein gespenstischer Anblick, der Furcht auslöste. Dabei hätten wir das Phänomen erwarten und uns geistig darauf vorbereiten müssen!
Ich nahm das Mikrophon zur Hand.
»Begeben Sie sich wieder an Ihre Plätze!« befahl ich den Leuten. Und als sie zögernd gehorchten, fuhr ich fort: »Der Vorgang ist ganz selbstverständlich. Vor wenigen Augenblicken hat die BAPURA das vierdimensionale Kontinuum verlassen und ist in einen Raum vorgestoßen, den wir aus Mangel an besserem Verständnis vorerst einmal Hyperraum genannt haben. Die Gegebenheiten dieses Raumes sind offenbar so, daß auch die marsianischen Aufnahmegeräte nichts mit ihnen anfangen, das heißt sie nicht abbilden können. Daher also die leeren Bildschirme. Bitte rufen Sie sich immer wieder in Erinnerung zurück, daß dies ein Unternehmen ist, wie es die Menschen noch nie durchgeführt haben. Mit Überraschungen muß gerechnet werden, und es dient unser aller Wohl, wenn nicht auf jedes ungewöhnliche Ereignis mit Panik reagiert wird!«
Es fiel mir nicht leicht, diesen Tadel auszusprechen. Schließlich hatte ich selber die Luft angehalten, als ich die leeren Bildschirme erblickte. Aber ich verfolgte einen bestimmten Zweck. Ich wußte, daß sie sich über meine Worte ärgern würden, und je mehr sie sich ärgerten, desto weniger anfällig waren sie für Panik. Es gibt nichts besseres als den Zorn, um aus dem Menschen einen verbissenen Kämpfer zu machen.
Der Flug der BAPURA nahm seinen Fortgang. Von Aich und Scheuning war vorläufig nichts zu hören. Wahrscheinlich waren sie dabei, ihre Meßergebnisse auszuwerten. Im Kommandostand wurde es ruhig. Die Leute hatten nichts zu tun. Sie beobachteten die marsianischen Farbanzeigen und versuchten, ihren Sinn zu enträtseln. Fünf Stunden nach dem Eintritt in den Hyperraum erschien Hannibal auf der Szene und löste mich ab. Ich war ihm dankbar dafür. Ich brauchte dringend ein paar Stunden Ruhe.
Man sah Scheuning an, wie er verzweifelt nach Worten suchte, die es nicht gab, um Dinge zu beschreiben, die sich nicht anschaulich beschreiben ließen. Unser Gespräch fand in meinem Privatquartier statt. Aich war ebenfalls zugegen. Seit dem Eintritt in den Hyperraum waren knapp dreißig Stunden vergangen. Hannibal hatte die Leitung im Kommandostand.
»Erstens ist die Bezeichnung Hyperraum völlig falsch«, brach es schließlich aus Scheuning hervor. Er war ärgerlich über die eigene Unfähigkeit, sich auszudrücken. »Wir befinden uns in einer Art Zwischenkontinuum, einem Grenzgebiet zwischen dem vierdimensionalen Raum, den wir kennen, und einem noch unbekannten übergeordneten Kontinuum. In dieser Zwischenzone gibt es energetische Schwingungen unbekannter Art. Im Augenblick des Übertritts haben unsere Triebwerke die BAPURA ebenfalls in einen schwingenden Zustand versetzt, wenn Sie sich das vorstellen können …«
»Nein, kann ich nicht!« unterbrach ich ihn trocken.
Er sah mich eine Sekunde lang irritiert an, dann fuhr er fort, als hätte ich überhaupt nichts gesagt:
»Die Triebwerke sind offenbar bestrebt, eine Resonanz zwischen den Schwingungen des Zwischenkontinuums und denen der BAPURA herzustellen. Je genauer die beiden Frequenzen übereinstimmen, desto rascher bewegt sich das Raumschiff. Der Weg, den es dabei zurücklegt, durchschneidet ohne allen Zweifel die Krümmung des vierdimensionalen Raumes. Auf diese Weise werden Geschwindigkeiten erzielt, die nach unserer Schätzung«, dabei warf er Josua Aich einen aufmunternden Blick zu, »um ein Millionenfaches über der Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen liegen, wenn man sie in das Vier-D-Kontinuum zurückrechnet.«
»Was er sich nicht zu sagen getraut«, erklärte Aich mit einem feinen Lächeln, »ist, daß wir für diese Zwischenzone schon einen Namen gefunden haben. Aufgrund ihrer Eigenschaften haben wir sie die ›Resonanz-Krümmungszone‹ genannt.«
Ich konnte nicht anders, ich mußte lachen.
»Meine Herren, ich weiß mir die Mühe zu schätzen, die Sie sich machen, um mir anhand eines Modellbildes unsere Lage zu verdeutlichen. Aber ich muß Ihnen gestehen, daß ich nicht mitkomme. Vielleicht versuchen Sie, die Sache mathematisch zu modellieren. Wo die Anschauung nicht weiterhilft, da muß man sich mit Gleichungen begnügen. Übrigens: nachdem Sie sich bisher über das Transportmedium ausgelassen haben, durch das wir uns bewegen, wie wäre es, wenn Sie auch paar Worte über die Art des Transportes verlören?«
Scheuning kratzte sich mürrisch den Kopf.
»Da sind wir noch nicht soweit gediehen«, brummte er. »Fest steht lediglich, daß die BAPURA sich durch den Resonanzkrümmungsraum bewegt wie ein Körper, der mit Überschallgeschwindigkeit durch die Luft fliegt. Es entsteht eine Schockwelle, die die Form eines Paraboloids hat. Natürlich ist die energetische Struktur der BAPURA-Schockwelle grundsätzlich verschieden von der des akustischen Überschall-Schocks.«
Er sah mich fragend an, als wolle er sich vergewissern, daß ich ihm diese Feststellung auch abnahm. Dann sprach er weiter:
»Die Schockwelle entstand in dem Augenblick, in dem die BAPURA, um in das Zwischenkontinuum einzutreten, einen ungeheuerlichen Potentialunterschied überwand, bei dem potentielle Energie in kinetische Energie umgewandelt wurde. Natürlich ist hier nicht von konventionellen Energieformen die Rede. Ich sollte besser immer sagen: das Äquivalent der potentiellen Energie …«
»Nein, nein, ich verstehe schon«, unterbrach ich ihn. »Wir können uns hier nur mit Denkmodellen behelfen. Wenn ich Sie richtig verstehe, war es also beim Eintritt in die Resonanz-Krümmungszone so, als ob die BAPURA von einem hohen Berg herunterfiele?«
»Als hätte sie einen Sturz aus bedeutender Höhe getan, ja«, bestätigte Scheuning. »Natürlich nur bildlich gesprochen.«
»Klar doch!« lachte ich. »Unsere Art der Fortbewegung ließe sich also zutreffend mit dem Ausdruck ›Hochsturz-Parabolflug‹ bezeichnen, nicht wahr?«
Scheuning verzog säuerlich das Gesicht.
»Ich weiß nicht, Sir …«, begann er.
Ich kam nicht dazu, ihm weiter zuzuhören. Ein Mentalimpuls von ungewöhnlicher Intensität erreichte mich. Er kam von Hannibal.
»Großer!« hörte ich: »Etwas scheint schiefzugehen. Die Roboter sind wieder auf dem Plan …!«