2.
Der Raumhafen Topthar war eine weite, blauglänzende Metallfläche von mehr als zehntausend Quadratkilometern Flächeninhalt. Gebäude waren nirgendwo zu sehen. Die Anlagen, deren ein Raumhafen bedarf, waren unterirdisch angebracht. Im Verteidigungsfall konnten Geschützkuppeln ausgefahren werden. Im Normalzustand jedoch bot der Raumhafen dem Landenden den Anblick einer rechteckigen Metallscheibe, die scheinbar wahllos in die rote marsianische Wüste plaziert worden war.
Auf dieser Fläche erhoben sich die Giganten der alten marsianischen Raumflotte, die wir aus ihren untermarsianischen Hangars durch riesige Antigravschächte an die Oberfläche bugsiert hatten – eine unserer Großtaten im Zusammenhang mit der Bewältigung der marsianischen Technologie! Hier standen sie aufgereiht: die schweren Kreuzer der Kashat-Klasse, kugelförmig, mit einem Durchmesser von 250 Metern, die Schlachtschiffe der Marshu-Klasse, 400 Meter durchmessend, und schließlich die Riesenleiber der Superschlachtschiffe der Porcupa-Klasse mit einem Durchmesser von 900 Metern.
Man konnte sich nur darüber wundern, wie leicht uns diese Ziffern über die Lippen kamen. Ein kugelförmiges Raumschiff von 900 Metern Durchmesser … wie leicht sich das sagte, und um welch einen atemberaubenden, seelenbedrückenden Koloß, um welch ein monströses, maßstäbesprengendes Gebirge aus Stahl handelte es sich doch dabei! Wir waren wie die Kinder zu Weihnachten: so wunderbar, so phantastisch waren die unter dem Christbaum aufgehäuften Geschenke, daß die Wirklichkeit einfach hinter uns zurückblieb. Wir akzeptierten das Wunder als Gegebenheit und machten uns keine Gedanken mehr darüber.
Lobrals kleiner Kreuzer wirkte wie ein lächerlicher Zwerg unter den Giganten. Wir landeten sanft und ohne Zwischenfall. Auf dem Mars war unsere Ankunft rechtzeitig angekündigt worden. Jeder derartige Vorfall war Vorwand für eine neue Generalprobe der »Einsatzgruppe Mars«, die allein zu dem Zweck existierte, einem aus den Tiefen des Alls kommenden fremden Besucher vor Augen zu führen, daß der Befehlshaber des »Stützpunktes Mars«, nämlich ich, genannt »Seine Verklärtheit, Tumadschin Khan«, in Wirklichkeit der Herr über eine unsäglich weit fortgeschrittene Zivilisation und Technologie sei.
Fünftausend Mann Elitetruppen waren angetreten und säumten den Weg, der von der Energiebrücke der 1418 bis zum Einstieg des Antigravschachts führte. Trotz der dünnen Atmosphäre und der bitteren marsianischen Kälte trugen sie nur dünne, schmucklose Monturen, die allerdings thermalisoliert waren, und Verdichtungsmasken, die die Marsluft mit Sauerstoff anreicherten und schädliche Gase daraus entfernten. Der Anblick war der eines auf Zucht und Ordnung gedrillten und zu körperlicher Härte ausgebildeten Regiments.
Ich halte – da, wo es angebracht ist – viel von Zucht und Ordnung, und ein Mensch, der Strapazen ertragen kann, entlockt mir mehr Sympathie als einer, der bei der geringsten Anstrengung zu jammern anfängt. Unter normalen Umständen hätte mir das Spalier, das sich da zu beiden Seiten meines Gehwegs aufgebaut hatte, Freude bereitet. Im Augenblick war ich jedoch viel zu sehr von Sorgen über das erfüllt, was NEWTON mir zu sagen hatte. Ich glitt, begleitet nur von Tancanoc, über die Energiebrücke hinab, salutierte kurz und bewegte mich so rasch wie möglich bis zum Eingang des Antigravlifts.
Wir schwebten in die Tiefe. Über uns schloß sich automatisch die Abdeckung des Schachts. Unter uns öffnete sich ein Schachtverschluß, nachdem der Druckausgleich bewirkt worden war. Im Innern der untermarsianischen Stadt Topthar herrschten irdische Druckverhältnisse. Wir konnten die Verdichtermasken abnehmen. Auf der Höhe der Ebene, auf der mein »Thronsaal« lag, schwangen wir uns aus dem Schacht. Am Ausgang standen bewaffnete Mitglieder der Einsatzgruppe, die zackig salutierten. Ich schenkte ihnen kaum Beachtung. In dem Saal, in dem ich fremde Würdenträger zu empfangen pflegte, herrschte das übliche Tohuwabohu, das für jeden meiner Eintritte planmäßig angesetzt war: die Kugelgestalten der Blauen Zwerge von Bawala V, geschickt gemachte Attrappen, in deren jeder ein Liliputaner steckte, hüpften und sprangen in der Gegend umher. Sie galten als die Spaßmacher des Hofes Seiner Verklärtheit, und ihre größte Angst war es, in den Fängen des halbintelligenten Sauriers Moolo zerquetscht zu werden. Moolo war, wenn man es so wollte, mein Schoßhund, ein acht Meter hohes Ungeheuer von widerwärtigstem Aussehen, auch es war nur eine Attrappe, in der zwei Artisten saßen, die berühmten Panolis, die den künstlichen Saurierkörper mit Geschick und durch die Hilfe einer komplizierten, elektronisch gesteuerten Apparatur bedienten.
Außerdem waren da noch die verschiedenartigsten Wesen von fremden Welten, unwirkliche, unmenschliche Kreaturen, Botschafter, Gesandte, Vertreter, vielleicht auch Geiseln am Hofe Seiner Verklärtheit, die jedem Uneingeweihten deutlich machen sollten, daß Tumadschin Khans Macht wahrlich bis in die hintersten Winkel der Milchstraße reichte.
Plötzlich widerte der Zirkus mich an. Ich wußte: er mußte sein, er war eine Notwendigkeit für den Fall, daß wir unvorhergesehenen Besuch erhielten. Aber im Augenblick war die Lage so ernst, so gefahrvoll, daß nur noch Sachlichkeit und Nüchternheit uns helfen konnten.
Inmitten all des Durcheinanders trieb sich, farblos und unauffällig wie immer, mein Adjutant herum: Captain Philip Botcher, der kleinlichste, gewissenhafteste Mann, den die Geheime Wissenschaftliche Abwehr je gekannt hatte. Ich brauchte ihn nur anzusehen, und schon war er an meiner Seite.
»Von Major Utan habe ich auszurichten, Sir …«, begann er hastig, als habe er nur auf diesen Augenblick gewartet, um seine Botschaft loszuwerden.
»Das kann warten!« unterbrach ich ihn. »Wo ist das Megaphon, mit dem Trontmeyer im Zirkus herumbrüllt?«
Alf Trontmeyer war unser Chefregisseur, der den Gigant-Bluff leitete.
»Ich … ich weiß es nicht genau«, antwortete Botcher verlegen. »Aber ich kann ja …«
»Bringen Sie’s mir!« befahl ich.
Er verschwand und war knapp zwei Minuten später wieder zur Stelle. In der Zwischenzeit hatte das Durcheinander, das in Wirklichkeit keines war, ringsum seinen Fortgang genommen. Botcher trug ein kleines Lautsprechergerät, dessen Verstärker mit mehreren hundert Watt arbeitete. Ich hob es vor die Lippen und brüllte:
»Ruhe, zum Donnerwetter! Augenblicklich Ruhe! Die Vorstellung ist beendet!«
Augenblicklich herrschte Stille. Ich blieb stehen, bis sich die Akteure des Bluffs verzogen hatten. Meine Nervosität legte sich allmählich. Die riesige, prunkvoll ausgestattete Halle war leer bis auf die Gestalten weniger Männer, die zu meinem engsten Stab gehörten.
Es war Zeit, mit NEWTON zu sprechen.
Diesmal ging ich allein. Ich stand vor der riesigen Metallwand aus jenem unverwüstlichen Werkstoff der marsianischen Technologie, dem wir nicht einmal mit nuklearen Schneidbrennern beizukommen vermochten. Ich war schon oft hier unten gewesen, viertausend Meter unter der Oberfläche des Planeten, aber jedesmal von neuem erfüllte der Anblick der riesigen, endlosen Wand mich mit Ehrfurcht und Scheu.
Das hohe Portal reagierte auf meinen Knopfdruck. Mit leisem Zischen glitten die beiden Flügel auseinander. Ich gelangte in einen schleusenähnlichen Gang, dessen Wände und Decke mit Hunderten verschiedener Geräte gespickt waren, die meisten darunter Meßinstrumente zur Bestimmung charakteristischer Werte, die den Eintretenden als befugt oder unbefugt einstuften. Wehe dem, der sich in diesen Gang wagte, ohne NEWTON willkommen zu sein. Die Mündungen tödlicher Waffen waren unübersehbar. Die alten Marsianer hatten keinen Spaß verstanden, wo es um die Sicherheit ihrer wichtigsten Einrichtungen ging.
Von der Decke herab brach eine Lichtflut. Ich blieb stehen und gab dem komplizierten Linsensystem Gelegenheit, mich von allen Seiten sorgfältig zu studieren. Erst als das Licht erlosch, schritt ich weiter. Hinter mir schloß sich das Portal, und Sekunden später öffnete sich vor mir die Panzertür am anderen Ende des Ganges. Ich trat in den hellerleuchteten Vorraum. Zu beiden Seiten der Tür standen zwei marsianische Kampfroboter, vierarmige Metallungeheuer, deren jedes über die Feuerkraft eines modernen irdischen Infanteriebataillons verfügte. Sie schienen mich nicht zu beachten. Ich schritt weiter. Durch eine torbogenartige Öffnung gelangte ich in die eigentliche Schalt- und Programmierzentrale. Die Aktivität war die übliche. Auf den riesigen Display-Wänden glitten Farbanzeigen in verwirrender Fülle und Buntheit auf und ab, nach rechts und nach links, unter- und übereinander. Feines, summendes Singen erfüllte die Luft und wirkte einschläfernd. Die gewaltigen Bildschirme unter der Decke zeigten den dichten Sternenteppich des Alls, jeder einen anderen Ausschnitt. Wartungsroboter aller Größen und Formen bewegten sich flink und zumeist lautlos in der verwirrenden Fülle von Geräten und Maschinen, Schalt- und Programmiertischen, Kontrollkonsolen und Datenendstellen. Bei meinen ersten Besuchen waren sie weitaus zahlreicher gewesen als jetzt. Es schien, als seien die Reparaturarbeiten, die bei NEWTONS Erwachen aus jahrzehntausendelangem Schlaf notwendig gewesen waren, jetzt abgeschlossen. Die Roboter waren seitdem nur noch mit der Wartung, nicht mehr mit der Instandsetzung beschäftigt.
Ich hielt mich nicht auf, sondern schritt auf die Erhebung zu, die den Hintergrund der riesigen Halle ausmachte. In weitem Bogen spannte sie sich von einer Hallenwand zur anderen. Einige Stufen führten zu der Erhebung hinauf und endeten vor einem rotleuchtenden Gitter. Unmittelbar vor dem Gitter standen zwei stationäre, schwer bewaffnete Marsroboter. Zwischen ihnen blieb ich stehen und gab ihnen Gelegenheit, mich zu identifizieren. Es war stets dieselbe Prozedur: zehn Sekunden Beäugung durch die funkelnden Linsen des optischen Systems der mechanischen Wächter, dann öffnete sich das Gitter und ließ mich die Erhebung betreten.
Im Hintergrund ragten aus der Wand metallene Kuppeln, in deren Oberflächen Bildschirme, Displays, Lautsprecher und Mikrophone eingearbeitet waren. Schräg zur Linken unter den Kuppeln standen drei Kommandopulte. Weiter zur Rechten gab es eine Gruppe bequemer Drehsessel. Hier hatte sich das Kommandozentrum der alten Marsianer befunden. Von hier aus waren die kritischen Phasen des Krieges gegen die Deneber überwacht und gesteuert worden.
Ich nahm in einem der Sessel Platz. Dieses Recht stand mir zu. NEWTON hatte mich als ein Wesen anerkannt, das das Recht hatte, ihm Befehle zu erteilen. Wir hatten niemals versucht, ihn darüber hinwegzutäuschen, daß wir nicht Marsianer waren, sondern Angehörige eines anderen, fremden Volkes, das noch, in zahllose Splittergruppen unterteilt, in den primitivsten Anfängen seiner Entwicklung steckte, als die marsianische Zivilisation bereits den Stand höchster Blüte erreicht hatte. Diese Ehrlichkeit hatte sich bezahlt gemacht – allerdings war sie es nicht allein, die mich bei NEWTON sozusagen akkreditiert hatte. Der Rechner verlangte von dem, von dem er Anweisungen entgegennehmen sollte, ein gewisses – und für unsere Begriffe unerhört großes – Maß an Intelligenz. Ohne die psychophysische Behandlung, die Hannibal und ich in der sublunaren Marsstadt Zonta über uns hatten ergehen lassen und durch die unsere Intelligenzquotienten auf Werte über 50 Neu-Orbton aufgestockt worden waren, hätten wir keine Chance gehabt, jemals von NEWTON anerkannt zu werden. Fünfzig war das mindeste, was er verlangte. Die fähigsten Köpfe der Menschheit kamen von Natur aus so gut wie nie über den Schwellenwert 40 hinweg.
»Ich bin hier, NEWTON!« sagte ich laut.
Als wir ihm diesen Namen gaben, hatten wir ihm dessen Bedeutung erklärt. Ich habe keine Ahnung, wie ein Robotgehirn über Namen empfindet, aber NEWTON jedenfalls hatte die Taufe willig über sich ergehen lassen und reagierte seitdem auf die neue Bezeichnung.
»Ich habe Sie bemerkt, Sir«, antwortete eine sorgfältig modulierte Stimme aus einem der Lautsprecher, die in die Oberfläche der mittleren Stahlkuppel eingearbeitet waren. »Ich bedanke mich für Ihr promptes Erscheinen.«
»Ich hörte, du seist besorgt«, versuchte ich, ihn zu einer Aussage zu bewegen. »Um was geht es?«
»Es geht um die ständige Flut von Versorgungsgütern aller Art, die sich über Okolar-drei ergießt.« Okolar III war der Name, den die alten Marsianer der Erde gegeben hatten. NEWTON sprach Englisch, aber wo sich dazu Gelegenheit bot, griff er auf die marsianischen Originalbezeichnungen zurück. »Ich fürchte, daß andere Zivilisationen durch diesen Vorgang auf das Okolar-System aufmerksam gemacht werden. Ich kenne Ihre Lage und glaube zu verstehen, daß Sie an neugierigen Besuchern aus dem All im Augenblick nicht interessiert sind.«
Es klang fast wie leiser Spott. Ich sah erstaunt auf. Ein Computer, der etwas von Ironie versteht? Unmöglich! Oder vielleicht doch …?
»Du verstehst absolut richtig«, antwortete ich mit Nachdruck. »Wodurch werden fremde Sternenvölker auf die Erde aufmerksam gemacht? Ich verstehe, daß die Güter mit Hilfe eines Transmitters von einem unbekannten Punkt im Kosmos zur Erde befördert werden. Der Transportvorgang ist überlichtschnell und spielt sich in einem Transportmedium ab, das unserem Universum nicht angehört. Kann der Vorgang trotzdem geortet werden?«
Das waren, in knapp dreißig Worten, meine gesamten Kenntnisse der Transmitter-Physik. Ich hatte sie von NEWTON. Bei einer früheren Gelegenheit hatte er versucht, mir das Prinzip zu erklären.
»Nicht der Vorgang selber ist ortbar«, bekam ich zu hören, »sondern eine seiner Begleiterscheinungen, Sir. In der Tat bildet das Transmitterfeld eine Art Tunnel durch den Hyperraum. Dort, wo der Tunnel in den Hyperraum eintritt, und dort, wo er ihn wieder verläßt, treten energetische Überlappungserscheinungen auf. Der Hyperraum wird durch den Tunnel sozusagen aufgerissen. Durch den Riß hindurch dringt die hochenergetische Aufrißflut in unser Universum und kann dort von geeigneten Geräten unschwer angemessen werden. Bei der Intensität, mit der die Versorgungs-Transmitterstrecke seit Tagen arbeitet, entstehen außerordentlich energiereiche Aufrißimpulse, die sicherlich schon vielerorts empfangen und gemessen wurden.«
»Und was ist dagegen zu tun?«
»Die Transmitterstrecke muß dringend geschlossen werden!« antwortete NEWTON mit der unerschütterlichen Ruhe eines Wesens, das nicht die Fähigkeit besitzt, Furcht zu empfinden.
»Aber wie?« rief ich. »Wir sind in die unterirdische Anlage eingedrungen. Der dortige Rechner hat keinen Einfluß auf den Transportvorgang. Den Empfangstransmitter getrauen wir uns nicht zu zerstören, weil wir fürchten, daß dabei Nebeneffekte auftreten, die die Erde in Stücke zerreißen. Was können wir tun, NEWTON?«
»Zunächst muß der Standort des Sendetransmitters ermittelt werden«, erklärte der Robot. »Das Notversorgungssystem verfügt über Dutzende von Stützpunkten. Es muß festgestellt werden, von welchem der vielen Punkte diese Gütersendungen ausgehen.«
»Wie tun wir das?« fragte ich hilflos.
»Ich bin schon an der Arbeit«, sagte NEWTON. »Die Ortung der Aufrißflut muß sorgfältig ausgewertet werden. Es wird schwierig sein, eine eindeutige Ortsbestimmung durchzuführen, da meine Antennen die Aufrißimpulse, die von der Erde kommen, naturgemäß wesentlich deutlicher empfangen als diejenigen, die von dem weit entfernten Sendetransmitter ausgehen. Trotzdem erwarte ich ein Ergebnis in wenigen Stunden.«
Ich wäre am liebsten aufgesprungen. NEWTON hatte von selbst begonnen, uns zu helfen! Meine Gedanken überschlugen sich. Etwas kam mir in den Sinn …
»Ich kann helfen, NEWTON!« rief ich begeistert. »Tancanoc, unser Freund, kommt von einer Welt desselben Sonnensystems, in dem sich auch der Versorgungsplanet befindet. Tancanocs Heimat heißt Yedocekon. Die Sonne ist ein blauer Riese. Es gibt dreizehn Planeten, von denen Yedocekon der vierte ist …«
»Der Name ist nicht marsianischer Herkunft«, unterbrach mich das Robotergehirn, »und in meinen Speichern nicht erfaßt. Der Hinweis auf Größe und Farbe der Sonne sowie die Anzahl der Planeten sind jedoch wichtige Bestimmungsstücke.«
Er schwieg. Ich wartete eine Weile und kam mir dabei klein und hilflos vor. Wie nutzlos war ich doch, waren wir alle in einer Lage wie dieser, in der es um das Schicksal der Erde und der Menschheit ging! All unsere Hoffnung ruhte auf diesem Mammut-Roboter, den unser Schicksal im Grunde genommen gar nichts anging.
»Meine Mitteilungen sind beendet, Sir«, sagte NEWTON schließlich. »Ich werde mich mit Ihnen in Verbindung setzen, sobald ein Ergebnis vorliegt.«
Das hieß, ich war entlassen. Ein Generalmajor der GWA, von einer Maschine entlassen! Ich stand auf, trat durch die Gitteröffnung und durchquerte den Programmiersaal. Wahrscheinlich bot ich in diesem Augenblick keinen sonderlich forschen Anblick. Das entsprach meiner inneren Verfassung. Ich war noch niemals zuvor so abgrundtief niedergeschlagen gewesen.
General Reling saß schon am Empfänger und wartete auf meinen Bericht über die Besprechung mit NEWTON. Bis ich zum Senderaum kam, hatte ich mich einigermaßen wieder in der Gewalt. Aber ein Rest Niedergeschlagenheit mußte mir noch immer vom Gesicht abzulesen sein.
»So schlimm, wie?« bemerkte Reling sarkastisch.
Wir waren seit neuestem im Besitz eines Hyperfunkkanals marsianischer Herkunft. Topthar war direkt mit der Befehlszentrale der GWA in Washington verbunden. Das Washingtoner Gerät stammte aus der unterirdischen Marsanlage, in der wir mit den Yedocekonern aneinandergeraten waren. Unsere Techniker hatten es samt Generator ausgebaut und ins Hauptquartier gebracht. Wir wußten nicht, wie ein Hypersender funktionierte, aber wir wußten genau, welche Knöpfe wir drücken mußten, um das Gerät zu aktivieren. Die Funkverbindung zwischen Mars und Erde war daher zeitverlustfrei, aber sie erforderte, daß beide Gesprächsteilnehmer sich in den jeweiligen Sende- und Empfangsräumen befanden.
»Schlimm genug, Sir«, antwortete ich.
Dann erstattete ich meinen Bericht. Relings Gesicht wurde zusehends ernster und verbissener.
»Das erfordert rasches Handeln«, knurrte er, nachdem ich geendet hatte.
»Was wollen Sie tun?« fragte ich überrascht. »Haben Sie einen Plan?«
Er maß mich mit eigentümlichem Blick. Seine Augen gefielen mir nicht. Er schien etwas im Sinn zu haben, und kurze Zeit später wußte ich auch, daß diese Vermutung richtig gewesen war. Jetzt jedoch sagte er:
»Nein, keinen Plan. Ich rufe eine Sondersitzung der IAK ein. Gemeinsam werden wir uns schon etwas Brauchbares ausdenken. Ich setze mich mit Ihnen in Verbindung, sobald etwas Greifbares zustande gekommen ist. Ende!«
Der Bildschirm wurde dunkel. Schon wieder einer, der sich mit mir in Verbindung setzen wollte, sobald er etwas gefunden hatte. Erst NEWTON, dann Reling. Ich selbst war anscheinend völlig nutzlos und konnte nichts Besseres tun als warten. Ich redete mir ein, ich hätte eine Ruhepause verdient, und verzog mich in mein prunkvoll eingerichtetes Privatquartier. Bei dem Versuch einzuschlafen stellte ich fest, daß ich innerlich viel zu aufgewühlt war, um die Augen zuzubehalten. Ich nahm ein Medikament und fühlte schon nach wenigen Augenblicken, wie die Erregung in sich zusammensank und wohlige Müdigkeit mich umfing.
Ich erwachte durch ein telepathisches Pochen. Sofort hellwach, fuhr ich in die Höhe. Der erste Blick galt meiner Uhr. Ich stieß einen unbeherrschten Fluch aus, als ich feststellte, daß ich annähernd zwanzig Stunden lang geschlafen hatte. Dann konzentrierte ich mich auf den telepathischen Ruf.
»Wird Zeit, daß du aufwachst!« hörte ich Hannibals spöttische Gedanken. »Sonst erwischt der Kurier der IAK dich am Ende beim Pennen!«
»Kurier?« fragte ich überrascht. »IAK?«
»Ja, sie hatten eine Sondersitzung, wie du weißt, und die Ergebnisse sind anscheinend so wichtig, daß man dich durch Kurier darüber informieren möchte. Er kommt mit der 1418. Großer Bahnhof und so ist schon angefahren.«
Ich hatte ein ungutes Gefühl im Magen.
»Kuriere kann ich nicht leiden«, sagte ich. »Weißt du, wer der Mann ist?«
»War nicht zu erfahren.«
»Hoffentlich nicht wieder wie beim letzten Mal …«
»Der Alte selbst, meinst du?«
»So was Ähnliches!«
Ich unterbrach die Verbindung, nahm ein Bad und warf mich in die gold- und edelsteinstrotzende Montur Seiner Verklärtheit, Tumadschin Khans. Zwanzig Minuten nach Hannibals Anruf erschien ich im Thronsaal, wo sich inzwischen Alf Trontmeyers bunte, lärmende Schar längst wieder eingefunden hatte. Ich wurde mit Fanfarenklängen empfangen. Die Zyklopengarde nahm Haltung an und eskortierte mich zu dem phantastisch aufgeputzten Thronsitz, auf dem Tumadschin Khan fremde Besucher empfing. Die Zyklos waren hervorragende Produkte der besten Maskenbildner, die die Erde aufzuweisen hatte. Keiner von ihnen war weniger als 2,07 Meter groß, und die Einlagen in den mächtigen Stiefeln sorgten dafür, daß die scheinbare Körpergröße im Durchschnitt 2,20 Meter betrug. Ihre mächtigen Schädel waren mit einem einzigen, fast melonengroßen Auge bewaffnet. Der riesige Mund wies ein entsetzliches Gehege spitz zulaufender Fangzähne auf. Zyklos sprachen über eine in der Maske angebrachte, lautverzerrende Verstärkeranlage. Wenn sie brüllten, dann fielen einem normalen Sterblichen die Ohren vom Kopf. Chef der Zyklopengarde war Boris Petronko, Major, mehrfacher Olympiasieger im Gewichtheben und ein Gemütsmensch par excellence.
Ich machte es mir auf dem Thron bequem. Die »Kugelwesen von Bawala V« tollten vor mir auf dem Boden, um mich zu erheitern; aber ich achtete nicht auf sie. Dieses Theater mußte sein, damit es uns allen in Fleisch und Blut überging und auch nicht die geringste Ungereimtheit auftrat, wenn sich hier wirklich einmal jemand sehen ließ, den es zu beeindrucken galt. Heute aber hatte ich wenig Verständnis für den Zirkus. Ich sah Hannibals dürre, kleine Gestalt weit im Hintergrund des riesigen Raumes. Er hob die Hand, um mir zuzuwinken. Ich erwiderte die Geste nicht. Es war alles so sinnlos …
Da begannen die Fanfaren von neuem zu schmettern. Der Zeremonienmeister brüllte: »Der Kurier von der Erde!«
Und Sekunden später fügte er, deutlich überrascht hinzu:
»Seine Exzellenz, der Oberbefehlshaber der irdischen Heimatflotte, Großadmiral Reling, in eigener Person!«
Also hatte ich doch recht gehabt. Ich sprang auf. Wenn Reling persönlich kam, hatte er etwas Wichtiges auf dem Herzen. Das Theater war nicht mehr nötig. Ich schritt auf den weiten Eingang zu und erreichte ihn im selben Augenblick, in dem Reling auf der gegenüberliegenden Seite der Vorhalle aus dem Antigrav stieg. Er wurde begleitet von einem Dutzend Offiziere »meiner Flotte«.
»Ich glaube, wir kommen ohne den Unsinn aus«, sagte Reling anstelle einer Begrüßung. Sein Gesicht war düster. Es war ihm anzumerken, daß er diesen Gang nicht gerne unternahm.
»Ende der Probe!« schrie ich in den Saal hinein.
Trontmeyer nahm den Befehl auf und gab ihn weiter. Der Thronsaal leerte sich augenblicklich. Nur Botcher, mein Adjutant, und Hannibal blieben zurück. Auch Relings Eskorte war wieder an die Oberfläche zurückgekehrt.
»Ich habe Ihnen den Entschluß der Sondersitzung der Internationalen Abwehr-Koalition zu überbringen«, begann Reling.
Ich blickte ihn nur an und sagte kein Wort. Ein entsetzlicher Verdacht stieg in mir auf. Konnte das wahr sein? Würde man mir …
»Die Koalition hat entschieden, daß die Welt gefunden werden muß, von der der verderbliche Strom an Versorgungsgütern ausgeht«, fuhr der Alte fort. »Sie erhalten hiermit den Auftrag, ein Raumschiff der Porcupa-Klasse mit dreitausend Mann Besatzung zu versehen, die unbekannte Versorgungswelt anzufliegen und den dortigen Transmitter entweder umzuprogrammieren oder zu vernichten!«
Ich starrte ihn sprachlos an. Ich wollte etwas sagen, wollte lauthals protestieren, aber kein Wort kam mir über die Lippen. Plötzlich jedoch zerbrach etwas in meinem Innern. Ein Damm barst, hinter dem sich die Aufregungen, Enttäuschungen und Frustrationen der vergangenen Tage aufgestaut hatten. Meine Stimmbänder waren plötzlich wieder frei.
»Sie sind übergeschnappt!« schleuderte ich dem General entgegen.