5.

 

Und dann kam der Tag!

In Wa­shing­ton schrieb man den 15. Ja­nu­ar 2010.

Die BA­PU­RA stand start­be­reit. Die drei­tau­send Män­ner und Frau­en der Be­sat­zung wa­ren an Bord ge­gan­gen. Wir hat­ten kei­ne Schwie­rig­kei­ten ge­habt, ge­nü­gend Frei­wil­li­ge zu­sam­men­zu­trom­meln. Im Ge­gen­teil: wir hat­ten Leu­te zu­rück­wei­sen müs­sen. Kein ein­zi­ger hat­te dienst­ver­pflich­tet wer­den müs­sen. Un­ter den drei­tau­send Mann Be­sat­zung be­fan­den sich die fä­higs­ten Köp­fe, die sich je mit den Pro­ble­men der al­ten, aus­ge­stor­be­nen Mars­zi­vi­li­sa­ti­on und de­ren Tech­no­lo­gie be­schäf­tigt hat­ten.

Mir blieb, nach­dem Jim Do­gen­dal mir so­eben per Ra­dio ver­si­chert hat­te, er brau­che nur noch auf den »Start-Knopf« zu drücken, um den neun­hun­dert Me­ter durch­mes­sen­den Raum­rie­sen in Gang zu set­zen, die Auf­ga­be, dem Ro­bot­ge­hirn in den Tie­fen der al­ten Mar­s­stadt einen letz­ten Be­such ab­zu­stat­ten. Es war ein selt­sa­mes Ge­fühl, mit dem ich – ein­sam, zu­erst noch von dem stän­di­gen Ru­mo­ren der schwe­ren mar­sia­ni­schen Ma­schi­nen um­ge­ben, spä­ter dann in völ­li­ger Stil­le – durch den zwei­ten An­ti­gravschacht in die Tie­fe glitt. Es war noch nicht lan­ge her, da wa­ren mir die­ser Schacht und all die un­heim­li­chen Ge­bil­de, die sich an sei­nem un­te­ren En­de be­fan­den, wie die Er­zeug­nis­se ei­nes Alp­traums er­schie­nen. Jetzt je­doch hat­te ich den Ein­druck, mich durch ver­trau­tes Ge­län­de zu be­we­gen. Wie oft war ich in den ver­gan­ge­nen Ta­gen und Wo­chen hier auf- und ab­ge­glit­ten, ein Ge­spräch mit NEW­TON su­chend oder von ei­nem sol­chen Ge­spräch kom­mend. Wie merk­wür­dig und be­drückend war die Vor­stel­lung, daß ich nun die­sen Gang wahr­schein­lich zum letz­ten Mal un­ter­nahm. Ich frag­te mich, was aus dem Mars und der Er­de wer­den wür­de, wenn un­se­re Ex­pe­di­ti­on, wie zu er­war­ten, fehl­schlug. Wür­de NEW­TON et­was für die Ret­tung der Mensch­heit tun kön­nen? Ich war so in trü­be Ge­dan­ken ver­sun­ken, daß ich das un­te­re En­de des Schach­tes ver­paß­te und ziem­lich hart auf­prall­te, weil ich ver­säumt hat­te, mich recht­zei­tig an ei­ner der Hal­tes­tan­gen ab­zu­fan­gen.

Ich schritt durch den Schleu­sen­gang und durch den Pro­gram­mier­saal. Dann stand ich er­neut vor den bei­den sta­tio­nären Ro­bo­tern, die mich iden­ti­fi­zier­ten und schließ­lich das rot­leuch­ten­de Git­ter öff­ne­ten. Ich ging zu ei­nem der Ses­sel, in de­nen frü­her – 187.000 Jah­re frü­her! – Ad­mi­ral Sag­hon und sei­ne engs­ten Mit­ar­bei­ter ge­ses­sen und den Kampf ge­gen die De­ne­ber ge­lenkt hat­ten. Ich ließ mich nie­der und sah zu der mitt­le­ren Kup­pel auf.

»NEW­TON, ich bin hier!« sag­te ich.

»Ich ha­be Sie wahr­ge­nom­men, Sir«, ant­wor­te­te der Ro­bot so­fort. »Ich ken­ne den Grund Ih­rer An­we­sen­heit. Die BA­PU­RA ist start­be­reit.«

»Du weißt al­les, NEW­TON«, ant­wor­te­te ich. »Sag mir, wie du die Chan­cen un­se­res Un­ter­neh­mens be­ur­teilst!«

»Da­zu feh­len mir we­sent­li­che In­for­ma­tio­nen, Sir«, gab NEW­TON zu­rück. »Über die Er­folgs­aus­sich­ten Ih­rer Ex­pe­di­ti­on zum Mars-Ver­sor­ger Al­pha-sechs läßt sich zu die­sem Zeit­punkt kei­ne ernst­zu­neh­men­de Aus­sa­ge ma­chen.«

»Okay, NEW­TON, ich ak­zep­tie­re das«, ließ ich ihn wis­sen. »Sind die Kurs­da­ten im Au­to­pi­lo­ten der BA­PU­RA ge­spei­chert? Wird das Raum­schiff we­nigs­tens funk­tio­nie­ren und durch­hal­ten?«

»Die Kurs­da­ten sind ge­spei­chert«, ant­wor­tet das Ro­bot­ge­hirn. Der Teu­fel moch­te sei­ne ewig sach­li­che Stim­me ho­len! »So­weit mir be­kannt ist, be­fin­det sich die BA­PU­RA in aus­ge­zeich­ne­ter Ver­fas­sung. Al­le not­wen­di­gen Re­pa­ra­tu­r­ar­bei­ten sind er­folg­reich ab­ge­schlos­sen.«

Ich stand auf. Ich hat­te hier un­ten nichts mehr zu su­chen. Oben war­te­ten Jim Do­gen­dal und drei­tau­send Män­ner und Frau­en dar­auf, daß ich sie aus ih­rer ner­ven­zer­mür­ben­den Span­nung er­lös­te.

»Ich ge­he, NEW­TON«, sag­te ich so laut, daß es von den Wän­den wi­der­hall­te. »Du hast mir er­klärt, daß du mich als Er­ben dei­ner Er­bau­er und als Be­fehls­be­rech­tig­ten an­er­kennst. Ich ge­be dir zum Ab­schied einen Be­fehl, von dem ich nicht weiß, ob du ihn aus­füh­ren kannst. Ich be­feh­le dir, über die­ses Son­nen­sys­tem und be­son­ders über die zwei Pla­ne­ten Er­de und Mars zu wa­chen und al­le Ge­fahr, ob sie von in­nen oder von au­ßen kommt, von ih­nen fern­zu­hal­ten!«

Ich blieb noch ei­ne Wei­le ste­hen, um zu hö­ren, ob er auf die­se An­wei­sung hin et­was zu sa­gen hat­te. Ich er­war­te­te es nicht, und mei­ne Er­war­tung er­wies sich als rich­tig.

In die­sem wich­tigs­ten al­ler Au­gen­bli­cke schwieg NEW­TON …

 

Ich be­trat den rie­si­gen, drei­vier­tel­run­den Kom­man­do­stand der BA­PU­RA. Sei­ne Ver­klärt­heit, Tu­madschin Khan, trug heu­te die schmuck­lo­se, zweck­mä­ßi­ge Uni­form sei­ner Raum­flot­te. Le­dig­lich ein sil­ber­ner, sie­ben­za­cki­ger Stern auf den schma­len Schul­ter­rie­geln sei­ner Uni­form wies sei­nen Rang aus.

Die Span­nung war so in­ten­siv, daß ich sie kör­per­lich spür­te. Al­ler Au­gen rich­te­ten sich auf mich, als ich durch das brei­te Schott trat. Mich er­faß­te beim An­blick der blas­sen Ge­sich­ter, der fremd­ar­ti­gen Ma­schi­nen und des un­abläs­si­gen Ge­b­lin­kers der bun­ten Leuch­t­an­zei­gen je­nes Ge­fühl, das der Ter­ra­ner nicht in dem Au­gen­blick, in dem er es emp­fin­det, son­dern spä­ter, wenn er in fröh­li­cher Run­de dar­über be­rich­tet, als »Bam­mel« be­zeich­net. Als sich das Schott hin­ter mir schloß, hielt ich ei­ne Se­kun­de lang in­ne und war­te­te, bis mei­ne Knie die ei­gen­tüm­li­che Weich­heit ver­lo­ren hat­ten, von der sie plötz­lich be­fal­len wor­den wa­ren.

War das nicht die Klap­pe ei­ner Fal­le, die sich so­eben hin­ter mir ge­schlos­sen hat­te? Wür­den wir nicht al­le, die wir hier wa­ren, in die­sem Raum auch zu­grun­de ge­hen, kurz nach­dem ei­ner von uns einen falschen He­bel ge­zo­gen oder einen falschen Knopf ge­drückt hat­te? War ich so­eben frei­wil­lig in den für mich und mei­ne Ka­me­ra­den her­ge­stell­ten Sarg ge­stie­gen?

Im Hin­ter­grund mei­nes Be­wußt­seins poch­te die Er­in­ne­rung an mei­ne Schu­lung als GWA-Schat­ten. Der Ein­satz­lei­ter ist für die Mo­ral sei­ner Grup­pe ver­ant­wort­lich. Die­se Ver­ant­wor­tung kann nicht schwer ge­nug ge­nom­men wer­den, denn ei­ne Ein­satz­grup­pe oh­ne aus­rei­chen­de Mo­ral hat höchs­tens die Hälf­te der ma­xi­ma­len Aus­sicht auf Er­folg.

In Ord­nung al­so … ich hat­te Angst. Mehr Angst, als ich je­mals im Le­ben ge­habt hat­te. Aber ich durf­te sie nicht zei­gen. Ich muß­te der­je­ni­ge sein, an dem die an­dern sich auf­rich­te­ten. Das ist ei­ne der übels­ten Auf­ga­ben, die ei­nem Men­schen zu­fal­len kann. Aber ich hat­te sie nun ein­mal, konn­te sie an nie­mand wei­ter­rei­chen und war ge­zwun­gen, sie zu er­fül­len.

 

An dem run­den Teil der Wand des Drei­vier­tel­krei­ses ent­lang stan­den die Kon­troll­kon­so­len der Of­fi­zie­re, die un­mit­tel­bar für die Len­kung des Schif­fes ver­ant­wort­lich wa­ren. Dicht über den Kon­so­len, die kup­pel­för­mi­ge De­cke des Raums bis hin­auf zum Ze­nit aus­fül­lend, be­fan­den sich Bild­schir­me – große, rie­si­ge und gi­gan­ti­sche, die den ver­schie­dens­ten Zwe­cken dienten. Die Mehr­zahl wur­de für die An­zei­ge mar­sia­ni­scher Farb­kode-Si­gna­le ver­wen­det, die wir noch im­mer nicht rich­tig ge­deu­tet hat­ten. Der Rest be­sorg­te die Über­mitt­lun­gen von Or­tungs­si­gna­len und op­ti­schen Bil­dern, die die Au­ßen­bord­ka­me­ras, zum Teil auch die Auf­nah­me­ge­rä­te des In­ter­kom­sys­tems er­zeug­ten. Die ge­ra­de Rück­wand des Drei­vier­tel­krei­ses wur­de von Schalt­ti­schen ein­ge­nom­men, die der An-Bord- und der Au­ßen­bord­kom­mu­ni­ka­ti­on dienten.

An­nä­hernd im Mit­tel­punkt des Kom­man­doraums je­doch be­fand sich, auf ei­ner Art Po­dest, zu dem zwei Stu­fen hin­auf­führ­ten, das Pult des Kom­man­dan­ten. Von die­ser Stel­le aus hat­te der Kom­man­dant des Schif­fes nicht nur einen um­fas­sen­den Über­blick über den Kom­man­doraum, sein Pult war oben­drein die best­aus­ge­stat­te­te Schalt­stel­le in die­sem rie­si­gen Rund. Das war mein Platz. Dort oben wür­de ich sit­zen und Be­feh­le er­tei­len. Dort oben wür­de ich sit­zen und der ers­te sein, der merk­te, daß es mit der BA­PU­RA …

Nein, dar­an woll­te ich nicht mehr den­ken.

Mit for­schem Schritt be­weg­te ich mich auf das Po­dest zu. Ich stieg die zwei Stu­fen hin­auf und blieb hin­ter dem Kom­man­do­pult ste­hen. Ich blick­te in die Run­de, sah die blei­chen, an­ge­spann­ten Ge­sich­ter noch im­mer auf mich ge­rich­tet und zwang mich zu ei­nem Grin­sen.

»Nein, ich muß Sie ent­täu­schen!« sag­te ich laut und deut­lich. Zu­dem wur­den mei­ne Wor­te von ei­nem mar­sia­ni­schen Laut­spre­cher­sys­tem auf­ge­nom­men und ver­stärkt, so daß sie auch im letz­ten Win­kel des großen Raum­es zu ver­neh­men wa­ren. »Ich bin nicht der Weih­nachts­mann!«

Ich hör­te je­mand la­chen. Es war ein ge­quäl­tes La­chen wie von je­mand, der sich zu die­ser Äu­ße­rung ver­pflich­tet fühlt. Aber nie­mand sonst fiel ein, und der ein­zi­ge La­cher, von sei­nen Ge­nos­sen al­lein­ge­las­sen, ver­stumm­te ab­rupt. Da wuß­te ich, daß es auf die­se Wei­se nicht ging.

»Star­ren Sie mich nicht so an!« schrie ich wü­tend. »Ich brin­ge Ih­nen nicht die Nach­richt, daß die Ex­pe­di­ti­on ab­ge­bla­sen wor­den ist. Wir star­ten … und zwar so­fort! Cap­tain Do­gen­dal … lei­ten Sie den Start­vor­gang ein.«

Da dreh­ten sie sich wie­der um. Do­gen­dal, der Ko­pi­lot, warf einen letz­ten Blick auf sei­ne In­stru­men­te. Er tat es mit dem fach­män­ni­schen Blick des ver­sier­ten Schlacht­schiff­pi­lo­ten; in Wirk­lich­keit war es kaum mehr als ei­ne Re­flex­hand­lung. Do­gen­dal war Pi­lot. Die­ser letz­te Blick war ihm in Fleisch und Blut über­ge­gan­gen. Er rück­te das Mi­kro­phon zu­recht und sag­te mit hei­se­rer Stim­me:

»BA­PU­RA star­tet … jetzt!«

 

Es war ge­nau wie beim ers­ten­mal, als wir mit ei­nem mar­sia­ni­schen Su­per­schlacht­schiff star­te­ten: auf den op­ti­schen Bild­schir­men blie­ben das rie­si­ge Lan­de­feld und die mar­sia­ni­sche Wüs­te so rasch hin­ter uns zu­rück, als ar­bei­te vor den Ka­me­ras ei­ne un­ge­heu­er schnel­le Zoom-Lin­se. Es war wie ei­ne Trick­auf­nah­me. In­ner­halb we­ni­ger Se­kun­den wan­del­te sich die ebe­ne Flä­che zu ei­nem win­zi­gen Punkt auf der Ober­flä­che ei­ner Ku­gel. Die Ku­gel selbst schrumpf­te zu­se­hends, und das Bild­feld zeig­te in im­mer wei­te­rer Aus­deh­nung den schwar­zen, ster­nen­be­sä­ten Hin­ter­grund des Alls.

Die BA­PU­RA be­schleu­nig­te mit un­heim­li­chen Wer­ten, und den­noch emp­fan­den wir im In­nern des Raum­schiffs nicht den ge­rings­ten zu­sätz­li­chen An­druck. Die Schwer­kraft im Raum­schiff war auf an­nä­hernd ein Gra­vo ein­ge­re­gelt – ein Ver­dienst un­se­rer Spe­zia­lis­ten, die schließ­lich doch die rich­ti­gen Knöp­fe ge­fun­den hat­ten, um we­nigs­tens die­ses Pro­blem zur all­ge­mei­nen Zu­frie­den­heit zu lö­sen. Welch un­glaub­lich fort­ge­schrit­te­ne Tech­nik ver­barg sich hin­ter die­ser Be­quem­lich­keit! Wel­che Kräf­te moch­ten es sein, die die al­ten Mar­sia­ner mo­bi­li­siert hat­ten, um den Be­schleu­ni­gungsan­druck so voll­kom­men zu neu­tra­li­sie­ren?

Auf mei­nem Pult leuch­te­te ei­ner von Dut­zen­den klei­ner Bild­schir­me auf, über die ich vi­su­ell mit je­dem wich­ti­gen Punkt der BA­PU­RA ver­bun­den war. Na­ru Ke­no­ne­wes ha­ge­res, schwar­zes Ge­sicht wur­de er­kenn­bar. Er grins­te, und sein kräf­ti­ges, strah­lend wei­ßes Ge­biß bil­de­te einen über­ra­schen­den Ge­gen­satz zu sei­ner eben­holz­far­be­nen Haut.

»Ra­dar mel­det: Ab­stand zum Mars knapp zwei­hun­dert­tau­send Ki­lo­me­ter, Sir«, be­rich­te­te er. »Und das vier­zig Se­kun­den nach dem Start!«

Die Sa­che schi­en ihm Spaß zu ma­chen. Ich über­schlug die Rech­nung kurz im Kopf und kam zu dem Er­geb­nis, daß die BA­PU­RA mit meh­re­ren hun­dert Ki­lo­me­tern pro Se­kun­de be­schleu­nigt ha­ben muß­te. Mir schwin­del­te. Ich nahm an, daß die Be­schleu­ni­gung in den ers­ten paar Se­kun­den un­mit­tel­bar nach dem Start ge­rin­ger ge­we­sen war als in die­sem Au­gen­blick – und den­noch: wel­chen Or­kan muß­ten wir selbst in der dün­nen mar­sia­ni­schen At­mo­sphä­re ent­facht ha­ben!

»Kön­nen Sie er­ken­nen, wo­hin un­ser Kurs ge­rich­tet ist, Na­ru?« frag­te ich.

»Nur dank un­se­ren ei­ge­nen Meß­ge­rä­ten, Sir«, ant­wor­te­te er. »Die mar­sia­ni­schen In­stru­men­te sa­gen wahr­schein­lich auch dar­über aus, aber kei­ner von uns kann sie le­sen. Wir ent­fer­nen uns von der Son­ne in ei­nem ziem­lich stei­len Win­kel zur all­ge­mei­nen Ebe­ne der Pla­ne­ten­bah­nen. Wir be­we­gen uns auf ei­nem Kurs, den vor uns noch kein Mensch ge­flo­gen ist.«

Sein Grin­sen ver­schwand. Das Ge­sicht, das mich jetzt von dem klei­nen Bild­schirm her­auf an­blick­te, war bit­ter ernst.

»In Ord­nung, Na­ru«, ant­wor­te­te ich be­sänf­ti­gend, »da­mit muß­ten wir rech­nen. Wie steht es mit den an­de­ren Sta­tio­nen des Schif­fes?«

»Ich er­kun­di­ge mich so­fort, Sir«, ant­wor­te­te Ke­no­ne­we, ein we­nig ver­le­gen, da er sich an ei­ne selbst­ver­ständ­li­che Pflicht er­in­nert fühl­te.

Aber be­vor er da­zu kam, sei­ne Um­fra­ge ins Mi­kro­phon zu spre­chen, leuch­te­ten auf mei­nem Pult wei­te­re Bild­schir­me auf. Es war ge­nau so, wie wir es schon ein­mal er­lebt hat­ten: es schi­en an Bord die­ses Raum­schiffs ein Ser­vo­sys­tem zu ge­ben, das auf akus­ti­sche Si­gna­le rea­gier­te – auf Si­gna­le in eng­li­scher Spra­che noch da­zu! Er­trol, Sno­fer, Lis­ter­man – sie al­le wa­ren plötz­lich zu se­hen.

»Leut­nant Er­trol, Sir«, klang es aus dem Emp­fän­ger. »Or­ter­zen­tra­le al­les re­gu­lär.« Er ver­zog das Ge­sicht zu ei­nem schma­len, freud­lo­sen Lä­cheln. »Was man so re­gu­lär nennt.«

»Das heißt, Sie or­ten kei­ne frem­den Raum­schif­fe, wie?« frag­te ich, wo­bei ich mich gut ge­launt zeig­te.

Er­trols Lä­cheln wur­de ein we­nig ver­bind­li­cher.

»Kei­ne, Sir«, be­stä­tig­te er.

»Gut.« Ich wand­te mich dem nächs­ten Bild­schirm zu. »Cap­tain Sno­fer, wie steht es bei Ih­nen?«

Sno­fer war ernst, wie ge­wöhn­lich. Im Dienst brach­te er sel­ten ei­ne an­de­re als ei­ne sach­li­che Mie­ne zu­we­ge.

»Al­les in Ord­nung, Sir«, rea­gier­te er. »Die Farb­an­zei­gen lau­fen wie ge­wohnt. Die Trieb­werks­zen­tra­le mel­det nichts Un­ge­wöhn­li­ches.«

»Vor­züg­lich«, lob­te ich – und dann, weil er gar so säu­er­lich drein­blick­te, füg­te ich ein we­nig ge­häs­sig hin­zu: »Wenn Sie es für die Dau­er der Ex­pe­di­ti­on so hal­ten kön­nen, ha­ben Sie die Be­för­de­rung zum Ma­jor schon in der Ta­sche.«

Er ver­zog kei­ne Mie­ne. Ich wand­te mich Lis­ter­man zu. Er wirk­te aus­ge­spro­chen fröh­lich. Be­vor ich et­was sa­gen konn­te, mel­de­te er:

»Ge­fechts­zen­tra­le klar, Sir. Al­le Ge­schüt­ze feu­er­be­reit. Nur ein klei­nes Pro­blem.«

»Wel­ches?« frag­te ich über­rascht.

»Kein Ziel, Sir«, grins­te er mich an.

»Der Teu­fel soll Sie ho­len, Lis­ter­man!« knurr­te ich. »Ih­nen wird das La­chen schon noch ver­ge­hen.«

Die Zu­recht­wei­sung be­ein­träch­tig­te sei­ne Lau­ne nicht im ge­rings­ten.

»Eben des­we­gen, Sir«, ant­wor­te­te er schlag­fer­tig, »la­che ich, so­lan­ge ich noch Ge­le­gen­heit da­zu ha­be.«

Ich hät­te mich wahr­schein­lich län­ger mit ihm un­ter­hal­ten, aber ein wei­te­rer Bild­schirm leuch­te­te plötz­lich auf, und ich er­kann­te die ha­ge­re Ge­stalt mei­nes per­sön­li­chen Ad­ju­tan­ten.

»Bot­cher, Sie?« frag­te ich über­rascht. »Wie kom­men Sie da­zu …«

Ich zö­ger­te ei­ne Se­kun­de, und er nahm die Ge­le­gen­heit wahr, mei­ne un­aus­ge­spro­che­ne Fra­ge zu be­ant­wor­ten.

»Ich be­die­ne das Fern­kom­mu­ni­ka­ti­onspult, Sir. Sie brau­chen sich nur um­zu­dre­hen, zur ge­ra­den Wand hin, dann kön­nen Sie mich se­hen.«

Ich tat es. Phi­lip Bot­cher saß hin­ter der größ­ten Kon­so­le im Hin­ter­grund des Kom­man­doraums. Er hat­te sich eben­so um­ge­wandt und wink­te mir zu.

»Das war es üb­ri­gens nicht, was ich sa­gen woll­te, Sir«, be­merk­te er ei­ni­ger­ma­ßen ver­le­gen, als wir bei­de uns wie­der dem In­ter­kom zu­dreh­ten. »Ich ha­be einen An­ruf für Sie.«

Für einen Au­gen­blick blieb mir die Luft weg. Er be­dien­te, hat­te er ge­sagt, die Fern­ver­bin­dun­gen, bes­ser ge­sagt: die Au­ßen­bord­kom­mu­ni­ka­ti­on. Wir wa­ren mitt­ler­wei­le weit über einen Mond­bahn­ra­di­us vom Mars ent­fernt. Wer brach­te es fer­tig, über solch ei­ne Di­stanz …

In dem­sel­ben Au­gen­blick, in dem ich dar­über nach­zu­den­ken be­gann, kam mir wie von selbst die Ant­wort.

»Re­ling, nicht wahr?« frag­te ich Bot­cher.

»Der­sel­be, Sir«, nick­te mein Ad­ju­tant. »Ich schal­te um!«

 

Bot­chers Bild ver­blich. Einen Au­gen­blick spä­ter er­schi­en Ge­ne­ral Re­lings schnurr­bär­ti­ge Vi­sa­ge. Er lä­chel­te ver­hal­ten.

»Sie wun­dern sich, wie?« frag­te er.

»Ich wun­de­re mich, zu­ge­stan­den«, ant­wor­te­te ich. »Aber ich neh­me an, daß Sie ein paar fä­hi­ge Wis­sen­schaft­ler ge­fun­den ha­ben, die in müh­se­li­ger Ar­beit et­was über die Theo­rie des Hy­per­funks lern­ten und es fer­tig­brach­ten, Ih­ren Sen­der auf die Fre­quenz der BA­PU­RA zu jus­tie­ren.«

Das Lä­cheln ver­lor sich.

»Sie sind viel zu ver­dammt schlau«, knurr­te er. Wir wa­ren kaum we­ni­ger als ein­hun­dert Mil­lio­nen Ki­lo­me­ter von­ein­an­der ent­fernt, und trotz­dem hör­te ich ihn nicht nur oh­ne Zeit­ver­lust, son­dern oben­drein noch so klar und deut­lich, daß ich je­de Nu­an­ce der ver­trau­ten Stim­me er­ken­nen konn­te. »Wenn Sie schon so schlau sind, dann sa­gen Sie mir ge­fäl­ligst, wann Sie den Sen­de­trans­mit­ter ab­ge­stellt ha­ben und wann Sie wie­der zur Er­de zu­rück­keh­ren wer­den!«

Jetzt war es an mir zu lä­cheln.

»Ich be­dau­re, Sir«, ant­wor­te­te ich. »Schlech­te Ver­bin­dung. Ich ha­be Ih­re Fra­ge nicht ver­stan­den.«

»Es war kei­ne Fra­ge …«, bell­te er. Wei­ter sprach er nicht. Er hat­te ge­merkt, daß er auf den Arm ge­nom­men wer­den soll­te.

Von ei­nem Au­gen­blick zum an­de­ren wur­de er ru­hig und sach­lich.

»Ich ru­fe Sie aus zwei Grün­den an«, sag­te er. »Ers­tens woll­te ich Ih­nen mit­tei­len, daß die Ro­ta­ti­on der Er­de um die ei­ge­ne Ach­se sich bis­lang ins­ge­samt um na­he­zu ei­ne Mil­li­se­kun­de pro Tag ver­lang­samt hat. In­fol­ge der Un­men­gen von Ver­sor­gungs­gü­tern, die die­ser ver­fluch­te Trans­mit­ter über Aus­tra­li­en, dem Pa­zi­fik und der Ant­ark­tis ab­lädt.« Er mach­te ei­ne klei­ne Pau­se und fuhr sich da­bei mit der Zun­gen­spit­ze über die Ober­lip­pe, ei­ne deut­li­che Ges­te der Ner­vo­si­tät, die ich zu­vor noch nie an ihm be­ob­ach­tet hat­te. »Und zwei­tens woll­te ich Ih­nen und Ih­rer Mann­schaft viel Glück wün­schen!«

Der Bild­schirm wur­de plötz­lich dun­kel. Ich fuhr über­rascht zu­rück. Dann be­gann ich zu be­grei­fen. Der har­te Re­ling – der Be­fehls­ha­ber der Ge­hei­men Wis­sen­schaft­li­chen Ab­wehr, des­sen Er­folg zum Teil auf sei­nem Ruf be­ruh­te, un­ge­wöhn­lich hart zu sein – hat­te plötz­lich An­zei­chen von Rüh­rung ver­spürt. Und um uns die­se An­zei­chen nicht se­hen zu las­sen, hat­te er die Hy­per­funk­sen­dung ab­rupt un­ter­bro­chen.

Es war lä­cher­lich: aber mir kam plötz­lich der Ge­dan­ke, daß es um un­se­re Ex­pe­di­ti­on doch nicht so schlecht be­stellt sein kön­ne, wenn Ar­nold G. Re­ling sich da­vor fürch­te­te, wir könn­ten ihn nach un­se­rer Rück­kehr an den ein­zi­gen Au­gen­blick in sei­nem Le­ben er­in­nern, in dem er ein wei­ches Herz ge­zeigt hat­te.