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Als Lydia die Augen aufschlug, umgab sie absolute Dunkelheit. Raue, fremdartige Schluchzer entrangen sich ihrer Kehle. Tränen strömten über ihr Gesicht. Der Geruch von verbranntem Fleisch und Blut hing in ihrer Nase. Sie hatte es tatsächlich getan. Allein der Gedanke daran verstärkte die Panikattacke in ihrem Inneren zusätzlich. Aufgeplatztes Fleisch, das sich zwischen zersplitterten Möbelstücken über den Boden verteilte. Sie selbst hatte kaum einen Kratzer abbekommen. Die Lautstärke der Explosion hätte ihr fast das Gehör geraubt. »Hallo? Ist da jemand«

Lydia zuckte zusammen, unterbrach ihr Schluchzen und schnappte nach Luft. Panisch starrte sie neben sich in die Dunkelheit, wo die Stimme herzukommen schien.

»Bist du bescheuert?!«, fauchte jemand Zweites, merkwürdig rau.

»Da hat doch jemand geweint«, gab das erste Mädchen jetzt ein wenig eingeschüchtert zurück. Sie konnten höchstens zwei Biegungen entfernt sein. Zögerlich erhob sich Lydia. Tränen liefen noch immer heiß und feucht über ihre Wangen, aber ihren Lippen entkam kein Ton.

»Dieser jemand kann dich ganz schnell das Leben kosten, und jetzt psssst …«

Noch näher.

Lydia sah einen Lichtstrahl, der matt hinter der nächsten Biegung hervordrang. Sie gingen eindeutig in ihre Richtung. Fahrig wischte sich Lydia die Tränen aus dem Gesicht. Was sollte sie tun? Weglaufen? Flüchtig blickte sie in den schwarzen Tunnel, der hinter ihr lag. Der Lichtschein näherte sich, und dann war es zu spät, um eine Entscheidung zu treffen. Jemand stieß einen überraschten Laut aus und blendete sie. Obwohl sie nichts mehr sah, nahm sie eine Kampfhaltung ein.

»Wehe du bewegst dich! Wer bist du und was hast du hier zu suchen?«

Lydia kannte diese raue Stimme. Angestrengt kramte sie in ihrem Gedächtnis.

»Ich …«

»Lydia?«

»Das kann nicht sein«, wisperte die zweite Stimme. Die Taschenlampe wurde gesenkt und Lydia blinzelte mehrmals. Nach und nach enthüllte der Tunnel zwei dunkelhäutige Frauen, die sie aus entsetzten Augen musterten. Etwas Vertrautes lag in ihren Gesichtern, das Lydia irgendwo tief in ihrer Seele traf. Auf einmal waren da wieder Tränen, die ungehindert über ihr Gesicht flossen.

»Verdammte scheiße …«, murmelte das Mädchen mit der rauen Stimme, und dann, ganz plötzlich, überbrückte sie hastig den Abstand zwischen ihnen. Sie riss Lydia an sich und umarmte sie fest. Es fühlte sich an wie Heimat. Wie zu Hause anzukommen. Schluchzer der Erleichterung schüttelten nun ungehemmt ihren Körper und das fremde Mädchen, das nun gar nicht mehr fremd war, hielt sie fest im Arm. »Wir haben dich damals überall gesucht.«

Sie standen eine Weile so da, bis Lydia sie sanft von sich schob.

»Ich habe etwas Schreckliches getan«, stotterte sie.

»Süße, alles wird gut, der Clan hält immer zusammen, egal was passiert.«

 

 

 

 

– Ende –