21. EINE KETTE UND EIN TANZ
Der Appetit war mir zwar völlig vergangen, aber ich wusste, dass es unhöflich gewesen wäre, das erlesene Festmahl zu verschmähen. Ich wollte mir eben einen Platz suchen, da fiel mein Blick auf Steldor und Galen. Die schwache Hoffnung, dass die beiden dem Fest fernbleiben würden, war dahin. Sie standen am Ende einer der langen Tafeln. Galen, der ein weißes Hemd und schwarze Hosen trug, warf einen Dolch von der Linken in die Rechte, so wie ich das bisher hauptsächlich bei Steldor gesehen hatte. Der hatte neben ihm einen Stiefel auf die Bank gestellt und stützte sich mit dem Ellbogen auf sein Knie.
Steldor war in ein schwarzes Lederwams mit geschlitzten Ärmeln gekleidet, durch das man sein weißes Hemd sehen konnte. Dazu trug er schwarze Reithosen. Dank meines frisch erwachten Interesses an Waffen fiel mir auch das silberne Schwert an seiner Hüfte auf. Der Griff war mit schwarzem Leder und Silberdraht umwickelt, der Knauf mit Rubinen verziert, die edel gewirkt hätten, wäre da nicht auch noch der stachelbewehrte Handschutz gewesen, der von der Gefährlichkeit der Waffe zeugte. Die dunkle Kleidung passte zu Steldors dunklem Typ und verlieh ihm etwas Geheimnisvolles und Grüblerisches. Trotz meiner Abneigung gegen ihn und meiner nachdenklichen Stimmung ließ sein Anblick mich nicht unberührt. Genau in diesem Moment sah er mich an, schlug die Augen aber sofort wieder nieder. Ich wollte mir gerne einreden, dass mir sein Verhalten egal war, aber diese Reaktion erstaunte mich. Offenbar besaß ich doch eine gewisse Macht über ihn.
Hoch erhobenen Hauptes suchte ich einen Weg durch das Zelt, um zu dem vordersten Tisch zu gelangen, an dem meine Familie speiste. Meine Eltern hatten bereits Platz genommen und wurden von Dienern versorgt. Ich hatte mich für einen Gang entschieden, der von Steldor und Galen am weitesten entfernt war, sodass ich keine gezwungene Unterhaltung mit einem von beiden riskierte. Unterwegs merkte ich jedoch, dass meine Strategie misslingen würde.
Galen hatte sich von Steldor entfernt und kam im selben Gang auf mich zu. Allerdings aus der entgegengesetzten Richtung, sodass ich keine Möglichkeit hatte, ihm auszuweichen, ohne dass es deutlich aufgefallen wäre. Ich kannte Galen zwar nicht besonders gut, aber Steldors Freunde waren bei mir alle nicht besonders gut angesehen. Während er näher kam, spielte er abwesend mit dem Griff seines Schwerts und verbeugte sich schließlich respektvoll. Dabei vollführte sein aschblondes Haar die schwungvolle Bewegung gleich mit.
»Prinzessin Alera, erlaubt Ihr, dass ich Euch an Euren Tisch geleite?«
Ich traute ihm nicht und vermutete irgendeine Absicht hinter seiner plötzlichen Aufmerksamkeit. Dennoch willigte ich ein. Es war nur ein kurzes Stück bis zur Ehrentafel, also musste er das, was er zu sagen oder zu tun gedachte, ziemlich rasch hinter sich bringen.
»Wie gefällt Euch der Abend?«, fragte Galen freundlich.
»Ich genieße die Abwechslung von meinen üblichen Pflichten.« Danach konnte ich es mir nicht verkneifen, meine Genugtuung über die Distanz zu Steldor kundzutun: »Ich fand das Fest recht kurzweilig und die Gesellschaft bislang recht angenehm.«
Galen schien meine Andeutung zu verstehen und schlug einen ernsteren Ton an, als wir den Tisch erreicht hatten, an dem, nur ein paar Schritte entfernt, mein Vater saß.
»Ich fürchte, Lord Steldor hat genau das Gegenteil empfunden, Mylady, denn er kann sich an nichts erfreuen, bis er nicht weiß, dass Ihr ihm vergeben habt.«
Ich vermochte kaum zu glauben, was ich da hörte. War Steldor tatsächlich zu feige, auf mich zuzugehen und sich persönlich zu entschuldigen? Oder war ein solches Schuldeingeständnis unter seiner Würde? Oder er vermutete, ich würde mich weigern, ihn anzuhören, Galen jedoch nicht so brüsk zurückweisen. Aber was auch immer Steldors Motive waren, ich fühlte mich jedenfalls manipuliert, und das ärgerte mich.
An meinem Platz angekommen, griff Galen in einen Beutel, der an seinem Gürtel hing. Er zog eine herrliche Halskette mit einem Anhänger heraus und legte sie über seinen Handrücken, um mir zu zeigen, dass sich in der Mitte des silbernen Anhängers auch noch ein tropfenförmiger Saphir befand. Die Kette war wunderschön, sehr kostbar und passte perfekt zu meiner Robe. Ich überlegte, wie mein Verehrer das wohl bewerkstelligt hatte. Vielleicht hatte er mehrere Ketten mit verschiedenfarbigen Steinen gekauft, sodass, welches Kleid ich auch trug, eine auf alle Fälle dazu passte. Möglicherweise hatte er meine Garderobe aber auch ausspioniert. Angesichts der Tatsache, dass der Großteil unserer weiblichen Bevölkerung für ihn schwärmte, konnte es ihm zweifellos gelungen sein, meiner Kammerzofe charmant zu entlocken, was ich bei diesem Anlass tragen würde.
»Steldor bat mich, Euch dies zu geben, als Pfand seiner Zuneigung und als Zeugnis seiner Sehnsucht nach einem ungetrübten Verhältnis zu Euch.« Galen hielt mir das Schmuckstück so hin, dass jeder, der uns beobachtete, seine Pracht bemerken musste. »Es wäre ihm eine Ehre, wenn Ihr es heute Abend tragen würdet. Doch solltet Ihr Euch dagegen entscheiden, würde er auch das mit Würde und Demut akzeptieren.«
Ich begriff die beiden Alternativen, die Galen mir anbot. Trug ich die Kette, würde Steldor annehmen, alles sei verziehen. Weigerte ich mich, hätte ich den ganzen Abend Ruhe vor ihm. Bevor ich mich entschied, warf ich Steldor einen raschen Blick zu, der ihm zu verstehen geben sollte, dass ich vorhatte, abzulehnen, bevor ich seinem Freund ebendies sagen würde. Doch ich schwankte und suchte nach Worten. Steldor hatte sich nicht von der Stelle gerührt und war, ganz untypisch für ihn, allein. Er stützte sich mit einer Hand auf den Tisch neben sich und trommelte geistesabwesend mit den Fingern auf der Platte. Weder seine Miene noch seine Haltung wirkte überheblich. Er schien vielmehr verletzlicher, als ich ihn je gesehen hatte, als ob er sich wirklich Sorgen darüber machte, wie Galens Gespräch mit mir verlaufen würde. Ich empfand ganz unerwartet Mitleid mit ihm. Steldor besaß auch einige positive Eigenschaften, was mir allerdings bei den meisten Gelegenheiten entging, da es mir schwerfiel, über seinen unerträglichen Dünkel hinwegzusehen. Jetzt jedoch, wo dieser Aspekt seines Charakters einmal nicht im Vordergrund stand, war ich fast geneigt, mich mit ihm zu versöhnen. Wir würden vielleicht doch ein gutes Paar abgeben, sagte ich zu mir selbst und stellte mir uns beide zusammen vor. Wenn es nur einen Weg gäbe, seine unerträgliche Ichbezogenheit zu bekämpfen.
Als ich meine Aufmerksamkeit wieder Galen zuwandte, bemerkte ich, dass mein Vater mir zuzwinkerte, und verstand auf einmal, wie schlau die beiden Freunde das eingefädelt hatten. Sie hatten ihr Vorgehen sorgsam geplant. Galen hätte mir die Kette ja auch schon geben können, bevor wir den Tisch erreicht hatten, oder auch später, im weiteren Verlauf des Abends, aber er hatte genau den Moment in der Nähe meines Vaters abgepasst. Und der hatte mit Sicherheit den Kern unseres Gesprächs mitbekommen. Wenn ich Steldors Geschenk jetzt ablehnte, würde ich folglich nicht nur Steldor enttäuschen, sondern auch den König.
Ich biss mir auf die Unterlippe und spürte einen mächtigen Zorn im Bauch, trotzdem lenkte ich ein und drehte mich um, damit Galen mir die Kette umlegen konnte. Schließlich warf ich Steldor noch einen Blick zu, der jetzt auch zu mir schaute und zu strahlen begann. Zu meinem Missfallen kehrte aber sogleich auch seine typische herablassende Miene zurück.
»Habt Dank, Mylady«, sagte Galen, und ich ärgerte mich insgeheim, dass er seinem Freund sogar das noch abnahm. »Steldor wird Eure Geste zu schätzen wissen.« Damit ging Galen davon und zu seinem eigenen Tisch zurück.
Ich beachtete die beiden Kommandanten nicht weiter, sondern nahm den für mich vorgesehenen Platz zur Linken meiner Mutter ein. Mein Vater strahlte mich an, und meine Mutter drehte sich zu mir um, um die Kette zu bewundern.
»Er besitzt einen außergewöhnlich guten Geschmack«, zwitscherte sie in dem für sie typischen melodiösen Tonfall, »und das nicht nur bei Schmuck.«
Ich nickte und stocherte lustlos auf meinem Teller herum.
Kurze Zeit später trat ein aschfahler Koranis an unseren Tisch. Narian blieb allerdings verschwunden. Was mochte sich zwischen Vater und Sohn zugetragen haben, nachdem wir sie allein vor dem Haus zurückgelassen hatten? Es schien jetzt so, als würde Narian nicht an dem Festmahl teilnehmen. Und offen gestanden war ich mir auch gar nicht mehr sicher, ob ich ihn überhaupt noch sehen wollte, da mich die Präsentation seines Waffenarsenals sehr schockiert hatte. Ich ließ die letzten Stunden im Geiste Revue passieren und hatte das Gefühl, der ganze Abend geriete außer Kontrolle.
Nachdem ich ein paar Bissen zu mir genommen hatte, entschuldigte ich mich, stand auf und spazierte aus dem Zelt, dorthin, wo die Musikanten gerade ihren Auftritt vorbereiteten. Ich hielt nach Miranna und Semari Ausschau und entdeckte die beiden auf einer Bank neben dem Tanzboden. Ihren rosigen Wangen nach zu urteilen, tuschelten sie gerade über irgendetwas. Worum es dabei ging, konnte ich leicht erraten, als ich ihre sehnsüchtigen Blicke bemerkte, die sie einer Gruppe junger Männer, in der ich auch Temerson ausmachte, zuwarfen. Der hatte nach wie vor seinen Bruder bei sich, allerdings war der Kleine inzwischen in Gesellschaft von Zayle, Semaris jüngerem Bruder. Und nach dem Gerangel der beiden zu schließen, begann sich hier gerade eine Freundschaft zu entwickeln.
Die Dämmerung brach herein und Fackeln wurden angezündet. Mit oder ohne Hilfe des Mondes würden sie die Tanzfläche in ein romantisches Licht tauchen. Als die Musikanten zu spielen anhoben, begaben sich mehrere Paare auf den hölzernen Tanzboden und begannen, sich im Rhythmus der Musik zu bewegen. Ich blieb am Rande stehen, und es genügte mir, den graziösen Bewegungen der Tänzer zuzusehen. Dann entdeckte ich meine Mutter, die sich in Begleitung meines ungestümen Vaters unter die Leute mischte. Ob Temerson wohl den Mut finden würde, Miranna zum Tanz zu bitten, oder würde sie selbst die Initiative ergreifen müssen? Meine Gedanken wurden von einer mir nur zu bekannten, aber gänzlich unwillkommenen Stimme gestört.
»Würdet Ihr mir die Ehre eines Tanzes erweisen, Alera?«
Steldor war mit einer kleinen Verbeugung neben mich getreten und hielt mir jetzt seine Hand hin.
Ich streckte meine nicht aus, sondern starrte weiterhin geradeaus auf die Tanzfläche.
»Wohl kaum«, sagte ich schnippisch.
Entschlossen, ihn keines Blickes zu würdigen, musste ich mir seine Reaktion auf meine ungeschönte Zurückweisung vorstellen und malte mir die Enttäuschung auf seinem Gesicht aus. Galen hatte für ihn um Verzeihung gebeten, und ich hatte ihm allem Anschein nach vergeben. Warum also war ich so frostig?
»Ihr nehmt mein generöses Geschenk an und verweigert mir dennoch einen schlichten Tanz?«, fragte er.
Darauf wusste ich nichts zu entgegnen. Das Schmuckstück war prachtvoll und extravagant, und nachdem ich es akzeptiert hatte, konnte ich ihm mit keinem Recht der Welt einen Tanz abschlagen. Er schien meine Gedanken zu lesen, die ja er mir eingegeben hatte, und nahm einfach wortlos meine Hand.
Er war ein ausgezeichneter Tänzer und bewegte sich mit solcher Leichtigkeit und Anmut, dass ich kaum mitzuhalten vermochte. Vielleicht hätten wir uns harmonischer bewegt, wenn ich mich in seinen Armen auch nur im Geringsten wohlgefühlt hätte.
Zunächst tanzten wir wie flüchtige Bekannte, doch Steldor registrierte rasch, dass zahlreiche Augen auf uns ruhten, und beschloss wohl, sein Werben deutlicher zur Schau zu stellen. Er zog mich enger an sich, und ich versteifte mich. Sein Tanz war so elegant wie zuvor, nur meine Bewegungen wurden immer unbeholfener.
»Ich habe erfahren, dass Ihr in letzter Zeit häufiger hier zu Besuch weiltet«, bemerkte Steldor. Ich meinte, eine gewisse Eifersucht herauszuhören, die sicher daher rührte, dass er annahm, ich wäre wegen Narian gekommen. Er wusste natürlich nicht, dass sein eigener Vater mir den Auftrag erteilt hatte, so viel Zeit mit Koranis’ Erstgeborenem zu verbringen.
»Sagt mir doch«, fuhr er fort und dirigierte mich dabei gewandt über die Tanzfläche, »seid Ihr es inzwischen leid geworden, das Kindermädchen zu spielen?«
»Nur wenn ich mit Euch zusammen bin«, erwiderte ich empört über seine Stichelei gegen Narian.
Er sah mich mit zur Seite geneigtem Kopf an, weder zornig noch belustigt, sondern in einer Verfassung, die ich wohl am ehesten konsterniert nennen würde. Das Musikstück war zu Ende, und ich wandte mich ab, um zu gehen. Ich freute mich, dass ich das letzte Wort gehabt hatte, aber er legte seinen Arm um meine Taille.
»Nicht so schnell. Wir müssen erst eine Art Waffenstillstand schließen.«
Die Musikanten stimmten ein neues Stück an und wir tanzten erneut, wobei Steldors Eleganz zunehmend von meinem Widerstand beeinträchtigt wurde, den ich auf den Druck seiner Hand gegen meinen Rücken ausübte.
Ohne Umschweife begann Steldor zu lamentieren: »Ich verstehe Euch nicht. Ihr scheint ernstlich gegen mich eingenommen zu sein, dabei weiß ich nicht einmal, womit ich mir diesen Zorn zugezogen habe.«
Ich traute meinen Ohren kaum.
»Ihr habt meine Schwester geküsst!«
»Schon vorher!«, rief er, als sei meine Bemerkung völlig irrelevant. Dann dämpfte er im Hinblick auf die vielen Leute um uns herum die Stimme. »Seit wir uns das erste Mal begegnet sind, zeigt Ihr mir gegenüber nichts als Verachtung. Was habe ich nur vor so langer Zeit getan, um Euch derart zu kränken?«
Ich erinnerte mich ziemlich genau an meinen ersten Eindruck von Steldor, denn meine Meinung von ihm hatte sich im Laufe der Jahre kaum noch verändert. Ich war damals zehn gewesen, er dreizehn, doch er hatte bereits das Ego eines jungen Pfaus besessen.
»Ihr habt nichts getan«, zischte ich und hätte nur zu gern meinem Ärger Luft gemacht wie neulich im Garten nach dem Fest zu Narians Ehren. »Es liegt einfach daran … wie Ihr seid!«
»Was soll das denn heißen?«, fragte Steldor vollkommen verblüfft. Ich war mir sicher, dass noch nie zuvor jemand gewagt hatte, seinen Charakter zu kritisieren.
»Es geht um Eure Haltung«, sagte ich, und der Zorn, den er bei so vielen Gelegenheiten in mir ausgelöst hatte, wallte erneut auf. »Darum, wie Ihr geht, sprecht … sogar darum, wie Ihr atmet.«
Er hob fragend eine Augenbraue und schien sich über meine Erklärungsversuche zu mokieren.
»Im Ernst, Alera, darum, wie ich atme?«
»Selbst jetzt seid Ihr so unglaublich herablassend!« Auch wenn ich mich zunehmend in Rage redete, gelang es mir, meine Lautstärke zu dämpfen. »Ihr behandelt jeden, als stünde er weit unter Euch – Miranna, den Mann von der Stadtwache auf dem Markt, Temerson, Narian, mich! Ihr geruht nicht einmal, Euch selbst zu entschuldigen, also verzeiht mir, wenn ich ein wenig ungehalten bin.«
Ich versuchte, mich von ihm loszumachen, aber er hielt mich fest und kochte vor Wut. Ich fühlte mich wie in einer Falle, und der ungemein wütende Blick, mit dem er mich anstarrte, war äußerst beunruhigend. Mein Unbehagen wuchs so stark wie meine Entschlossenheit, die Tanzfläche zu verlassen. Und so wurde ich immer steifer und unwilliger, während er weiter versuchte, mit mir zu tanzen.
»Verdammt, Alera, Ihr lasst Euch nicht einmal von mir führen!«, giftete er mit leiser, aber verbitterter Stimme.
Mit einer Hand zeigte er auf den Abstand zwischen unseren Körpern, den ich mich bemühte, aufrechtzuerhalten.
»Mit diesem Tanz verhält es sich wie mit unserer ganzen Beziehung! Ihr seid weit mehr als ›ein wenig ungehalten‹, Alera. Ihr könnt nicht eingestehen, dass irgendetwas, das ich tue, verdienstvoll, gut, richtig oder vielversprechend ist. Denn schließlich beruht meine sogenannte Arroganz auf Taten – ich vermag all das zu leisten, was ich mir zutraue, also prahle ich nicht, sondern konstatiere eher Fakten. Ihr dagegen opponiert ohne Nachdenken und ohne Grund gegen mich! Aber lieber bin ich zu Recht arrogant als irrational widerspenstig. Wenn es nicht so wäre, dass wir heiraten müssen, damit ich den Thron besteigen kann, wie Euer Vater das wünscht, würde ich mir Eure Gesellschaft nicht antun. Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es vielen Männern anders erginge.«
Das zweite Stück war verklungen, aber Steldor ließ meine Hand nicht los. Mit gespielt vergnügter Miene führte er mich von den anderen Tanzpaaren weg.
»Wollt Ihr mich nicht noch zu der Tafel mit den Erfrischungen begleiten?«, sagte er mit gezwungener Freundlichkeit.
Von seiner Kritik gekränkt, aber unfähig, sein Angebot auszuschlagen, ohne seinem schlechten Urteil über mich recht zu geben, ließ ich mich von ihm zu dem besagten Tisch führen, ohne den Arm abzuwehren, den er um meine Taille legte. Dann wartete ich, dass er mir ein Glas Wein brachte. Es ärgerte mich maßlos, dass er nicht ganz unrecht hatte, was mein Verhalten anging, und ich zerbrach mir den Kopf darüber, wie ich aus der misslichen Lage käme, in die ich mich hineinmanövriert hatte. Als Steldor wieder an meiner Seite war, bemerkte ich, wie sich hinter ihm Miranna näherte. Eine Woge der Dankbarkeit überkam mich, als sie ihm auf die Schulter tippte.
»Lord Steldor, würdet Ihr vielleicht gern mit mir tanzen?«, fragte sie und klang eine Spur zu lieblich.
Er schaute wütend zwischen uns beiden hin und her und hatte zweifellos begriffen, dass Miranna sich vorgenommen hatte, mich zu retten. Daher fürchtete ich auch, er würde sie abweisen.
»Um Himmels willen, tanzt ruhig mit Mira. Dann habt Ihr zumindest einen weiteren Aspekt, in dem Ihr uns vergleichen könnt«, stichelte ich. »Lasst mich überlegen, Ihr habt mit uns beiden geflirtet und uns beide geküsst. Da denke ich, es müsste Euch auch interessieren, mit uns beiden zu tanzen.«
Seine Augen verfinsterten sich, er stürzte seinen Wein hinunter und drückte mir den leeren Pokal in die Hand.
»Ein Kavalier kommt stets den Wünschen einer Dame nach, erst recht, wenn er dabei solche Vergleiche anstellen kann«, entgegnete er mir, bevor er seine Aufmerksamkeit Miranna zuwandte. »Euer Angebot ehrt mich«, sagte er zu ihr, verbeugte sich und bot ihr seinen Arm an.
Ich verspürte zwar Erleichterung, als er fortging, aber seine Frechheit verblüffte mich, denn sie implizierte, dass meine Schwester und ich uns um seine Aufmerksamkeit bemühten. Getrieben von dem verzweifelten Wunsch, diesem Schauplatz zu entkommen, suchte ich nach Destari und trug ihm auf, den Stallburschen Bescheid zu geben, damit sie eine der drei königlichen Kutschen zur Abfahrt bereitmachten. Danach bedankte ich mich noch bei Koranis und Alantonya für ihre Gastfreundschaft und stellte dabei fest, dass der Baron seine Selbstgefälligkeit bereits zurückerlangt hatte. Zum Schluss begab ich mich noch zu meinen Eltern, um ihnen mitzuteilen, dass ich in den Palast zurückkehren würde. Vor allem mein Vater musterte mich enttäuscht, aber er machte keinen Versuch, mich davon abzubringen. Wenig später und nicht zuletzt weil Miranna weiter darauf bestand, dass Steldor mit ihr tanzte, saß ich in einer Kutsche und war auf dem Heimweg. Destari ritt auf seinem Pferd nebenher, und einige zusätzliche Wachen folgten uns.
Wir waren noch nicht weit gekommen, als ich den Hufschlag eines sich in leichtem Galopp nähernden Pferdes vernahm. Destari bedeutete dem Kutscher anzuhalten und ritt demjenigen entgegen, der uns offenbar nachkam. Es drangen nur ein paar gedämpfte Rufe an mein Ohr, denen ich nicht entnehmen konnte, um wen es sich handelte, doch ich begann zu fürchten, es sei Steldor, der mir gefolgt war. Meine Unruhe legte sich Augenblicke später, als mein Leibwächter zurückkehrte.
»Es ist Lord Narian, und er wünscht Euch zu sprechen, Prinzessin.«
Ich nickte irritiert, aber nicht unerfreut, und Destari half mir beim Aussteigen aus der Kutsche. Ich ging Narian entgegen, der von seinem imposanten Grauschimmel abgestiegen und in ein paar Schritten Entfernung stehen geblieben war. Sein Blick schweifte ununterbrochen über die Wachmänner, die mich begleiteten.
Obwohl ich wusste, dass ich nach dem, was ich ein paar Stunden zuvor mit angesehen hatte, vor ihm hätte auf der Hut sein müssen, reagierte ich tatsächlich ganz anders. Seine Gegenwart bescherte mir ein sehr angenehmes Gefühl von prickelnder Leichtigkeit.
»Wollen wir ein wenig spazieren gehen?«, lud Narian mich ein und hielt dabei sein Pferd am Zügel. Offenbar wollte er in Anwesenheit meiner Wachen nicht reden.
»Ja«, antwortete ich leise und wandte mich an Destari. »Bringst du mir eine von den Laternen?«
Ich deutete auf die Öllampen, die vorne an der Kutsche hingen, und er brachte mir die, die uns am nächsten war.
»Wir sind gleich zurück«, versprach ich und gab ihm damit zu verstehen, dass ich keine Begleitung wünschte.
Er schien nichts dagegen zu haben, was ich auf das Vertrauen zurückführte, das Cannan Narian erwiesen hatte, als er versprach, ihm sogar seine Waffen zurückzugeben.
»Ich vermute, unsere Treffen und deine Unterrichtsstunden sind beendet«, sagte Narian, als wir außer Hörweite waren.
»Meine Erlaubnis dazu wurde widerrufen«, sagte ich und konnte meine Enttäuschung darüber nicht verbergen. Allerdings hatte Narian ebenso bedauernd geklungen.
Er lachte laut auf und blieb stehen, wobei sein Pferd unruhig tänzelte. »Ich vergaß, dass du ja für alles eine Erlaubnis brauchst.«
Ich drehte mich zu ihm um und war mir nicht sicher, wie ich darauf reagieren sollte, weil ich seine Stimmung nicht einzuschätzen wusste. Also hob ich die Laterne an sein Gesicht, doch seine Miene war undurchdringlich.
»Ich weiß, dass dir die Art Waffen, die ich trage, unbekannt sind«, fuhr er fort und man merkte, wie unangenehm ihm dieses Thema war. »Einmal habe ich dich gefragt, ob du Angst vor Steldor hättest. Vielleicht sollte ich dich jetzt fragen, ob du dich vor mir fürchtest.«
Ich brauchte nicht lange zu überlegen. »Mein Verstand sagt mir, dass ich das sollte, aber ich tue es nicht.«
»Ich würde dir nie ein Leid zufügen, Alera.«
Seine hypnotisierenden blauen Augen hielten meine fest, dann schaute er weg, als hätte er etwas Ungehöriges gesagt.
»Abgesehen davon, dass du mich vom Pferd reißt«, scherzte ich.
In seinen Augen blitzte ein Lächeln auf, und sein Pferd schnaubte, als wäre es gekränkt. Er tätschelte ihm den Hals, bevor er mit einer Handbewegung andeutete, wir sollten besser zur Kutsche zurückkehren.
»Und wie steht es zwischen dir und deinem Vater?«, fragte ich zögernd, nachdem wir ein paar Schritte gegangen waren.
»Koranis fürchtet seinen eigenen Sohn«, sagte Narian verächtlich. »Er möchte, dass der Gardehauptmann mich in die Militärakademie steckt. Bis dahin soll ich in seiner Stadtvilla wohnen. Noch heute Abend soll ich mit Cannan aufbrechen. Koranis hat mir höchstpersönlich beim Packen zugesehen, um sicherzugehen, dass ich nichts mitnehme, was mir nicht gehört.« Er sah mich von der Seite an und wirkte nicht mehr ganz so gefasst. »Das bedeutet natürlich, näher am Palast zu wohnen.«
Ich antwortete nicht darauf, weil ich mir nicht sicher war, was er damit meinte, obwohl mein Herzschlag sich beschleunigte. Ich hoffte, er würde das noch näher ausführen, aber stattdessen wechselte er das Thema.
»Du schienst Steldors Gesellschaft heute Abend nicht zu genießen.«
Ich dachte nicht lange darüber nach, wie er mich mit ihm gesehen und noch dazu meine Gefühle dabei wahrgenommen haben konnte. Langsam gewöhnte ich mich offenbar an seine scharfe Beobachtungsgabe.
»Ich genieße Steldors Gesellschaft nie«, sagte ich lachend.
»Warum erträgst du ihn dann überhaupt?«, erwiderte Narian und schien von meiner Lockerheit verwirrt und enttäuscht.
»Mir bleibt nicht wirklich eine Wahl«, sagte ich und vertraute darauf, dass er meine komplizierte Situation verstünde.
»Du hast immer eine Wahl.«
Seine Worte klangen unverblümt und mitleidlos. Ich starrte ihn nur an, während wir uns wieder der Kutsche näherten, und hatte nicht die leiseste Ahnung, was er damit meinte.
»Ich bin mir sicher, dass Steldor meine Abwesenheit inzwischen bemerkt hat. Daher sollte ich mich besser beeilen, bevor er mir nacheilt.«
»Das dürfte ihm schwerfallen, nachdem ich mir sein Pferd geliehen habe.«
»Geliehen?« Ich schüttelte ungläubig den Kopf und sah zu, wie er das prächtige Tier bestieg.
»Gute Nacht, Prinzessin«, sagte Narian grinsend und galoppierte in Richtung von Koranis’ Anwesen in die Dunkelheit.