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Samstag, 24.Juli 2010

Jakes’ 28.Geburtstag

Megan 23, Ken 30, Jake 28

 

Jake hatte seit Tagen nicht mit ihr gesprochen. Eigentlich war er seit Tagen nicht mehr aufgetaucht, sie hatte ihn nur noch bei der Arbeit gesehen und dort ging er ihr aus dem Weg. Am Mittwoch war er gar nicht erst zur Arbeit erschienen, hatte Charlie nur kurz angerufen und etwas von einer Migräne gefaselt, von der Megan wusste, dass sie erfunden war. Charlie hatte sie im Rückspiegel seines Autos beobachtet, sah ihr genau an, dass etwas mit ihnen nicht stimmte.

Jake war nicht wirklich wütend, das hatte er ihr im Supermarkt ja gezeigt, aber Megan sah ihm an, dass er verletzt war und das ließ sie fast verrückt werden vor Schmerz. Er hatte sich ihr geöffnet, ihr seine Gefühle gestanden und sie trat all das mit Füßen. Im Supermarkt hatte er sie zum Lachen gebracht, als er gemerkt hatte, wie weh es ihr selbst tat. Weil er ihr ansah, dass sie gleich weinen würde. Selbst dann noch, nachdem er doch allen Grund gehabt hätte sie einfach stehen zu lassen.

Sie wusste nicht, was sie tun sollte, sie wusste nur, dass sie etwas falsch gemacht hatte.

Sie hätte ihn niemals so nah an sich ranlassen dürfen.

 

In der Nacht, in der er zum ersten Mal mit ihr geschlafen hatte, hätte sie ihn davon abhalten müssen, dann wäre all das nicht passiert.

Jedoch, wenn sie zurück dachte und wirklich ehrlich zu sich selbst war, bereute sie keine Sekunde davon. Alles hatte sich so natürlich angefühlt, als wäre es richtig, obwohl sie beide wussten, dass es eben nicht richtig gewesen war.

Sie hasste sich dafür, dass sie Ken hintergangen hatte. Sie hatte niemals eines dieser Mädchen sein wollen. Niemals. Sie war stolz darauf gewesen eine treue Seele zu sein, aber war sie das jemals gewesen?

Vielleicht was den physischen Teil betraf. Aber in Gedanken hatte sie sich immer schon nach Jake verzehrt.

 

Am Vormittag waren Jake, David, Thommy, Dan und Big John vorbei gekommen und hatten in Windeseile, aber dennoch gründlich, das Wohnzimmer, das Esszimmer und den Flur gestrichen. Jake war umher gelaufen und hatte Anweisungen gegeben, Megan hatte ihn mit Sehnsucht beobachtet, hatte sich gewünscht, er würde sie auch nur einmal ansehen. Er war so sexy, wenn er Befehle gab. Wie gerne hätte sie ihm durch sein vertraut verwuscheltes Haar gewühlt und sich an seine starke Brust gelehnt. Er war mit größter Sicherheit der Vater ihres Kindes. Sie verzehrte sich nach seinen Küssen, nach seinen starken Händen. Nach seiner tiefen Stimme, seinem Atem an ihrer Haut, seinen Lippen überall an ihrem Körper…

Jedenfalls…nun war die ganze erste Etage fertig tapeziert und in angenehmen Farbtönen gestrichen.

Megan hatte noch genügend Zeit gehabt um den Boden sauber zu wischen und alles schön herzurichten für den Abend. Megan liebte es, wenn die Jungs sich in ihrem Haus befanden, sie waren meist laut, oft betrunken und hatten nicht selten Blödsinn im Kopf, doch es gab stets viel zu lachen und sie konnte ungehindert Jake beobachten.

 

Pünktlich um sieben trafen die Jungs ein zweites Mal an diesem Tag ein. Dan brachte Tini mit und die überreichte Megan einen Salat, David und Thommy brachten jeder eine Nachspeise mit und als Patty und Dario eintrafen, war kaum noch Platz für ihre Schüsseln in der Küche.

Megan hatte am Tag zuvor Blätterteigtaschen zubereitet, einige mit Hackfleisch gefüllt, andere mit Schafskäse oder normalem Käse. Lauren hatte sich mit Big John im Supermarkt getroffen um Getränke einzukaufen, bevor sie zu Megan gefahren waren.

Megan hatte sich dazu entschieden, ein Essen zu kochen, von dem sie wusste, dass es Jake ganz besonders gut schmeckte. Es gab Hackbraten und Frikadellen, dazu verschiedene Gemüse und Saucen und als Beilagen Kartoffeln und Nudeln.

Sie passten nicht alle an den Esszimmertisch, die Jungs vergrößerten ihn, indem sie den großen Tisch aus dem Garten hereinholten und ebenfalls deckten.

Normalerweise waren sie nur zu fünft, wenn Patty und Dario sie etwa einmal im Monat besuchten, aber da heute Jakes Geburtstag war, hatten sie darauf bestanden, dass die anderen auch kommen sollten.

Megan, Tini und Lauren verteilten Salate und Blätterteigtaschen als Vorspeise, holten kaltes Bier für die Jungs, einen Rotwein für Tini und Lauren und eine Cola für Megan aus dem Kühlschrank und stießen mit allen auf Jakes Geburtstag an.

Sie erwartete nicht, dass Jake vor den anderen mit ihr anstoßen würde. Als er es doch tat und dabei an ihr vorbei sah, durchfuhr sie ein Moment der Reue.

Sie war sich nicht sicher, was genau sie bereute. Sie wusste nur, dass sie ihm nahe sein wollte.

 

Als es erneut an der Tür klingelte, sah Megan verwundert auf. Alle die vorgehabt hatten zu kommen, saßen am Tisch, hatten sie noch einen weiteren Gast?

Jake stand auf und lief zur Haustüre.

„Schön, dass du kommen konntest. Du siehst toll aus.“ Hörte sie ihn sagen. Eine Welle der Hitze erfasste ihren Körper. Wagte er es tatsächlich eine Frau in ihr Haus zu bringen? Auch die anderen Gespräche am Tisch waren verstummt, alle warteten gespannt, wer noch zu ihnen stoßen würde.

Als Jake Lydia ins Esszimmer schob und sie seinen Eltern vorstellte, spürte Megan wie sie erst rot und dann blass wurde.

Jake streifte sie mit einem Blick, um zu sehen, wie sie reagierte und sie ärgerte sich, dass er tatsächlich eine seiner Schlampen einlud und sie dann auch noch seinen Eltern vorstellte. Vor ihren Augen. In ihrem Haus. Bei dem Geburtstagsessen, dass sie größtenteils für ihn gekocht und vorbereitet hatte. Aber noch mehr ärgerte sie, dass ihre Gefühle immer so offensichtlich waren und sie sie nicht besser verbergen konnte.

Sie rang sich zu einem Lächeln durch. „Schatz, würdest du noch einen Stuhl holen?“ sagte sie mit einem Seitenblick auf Ken, der ihrer Bitte folgte und einen Stuhl aus dem Wohnzimmer holte. Auch Megan stand auf.

„Ist das deine Aktuelle, Jake?“ fragte sie mit einem so zuckersüßen Ton in der Stimme, dass er fast grinsen musste, aber er blieb ernst, um den Schein zu wahren und ignorierte ihre Frage.

„Setzt euch doch.“ Megan lächelte süßlich bevor sie in die Küche ging um ein zusätzliches Service aufzutischen.

Sie atmete tief durch, versuchte sich zu beruhigen, indem sie sich einredete, dass er genau das sehen wollte: dass sie innerlich ausflippte, dass sie sah, wie schnell er eine Neue haben konnte.

Lächelnd trat sie wieder ins Esszimmer, legte Lydia den Teller und das Besteck hin und forderte dazu auf sich zu bedienen.

 

Megan knabberte an einer Blätterteigtasche mit Käse und versuchte den Gesprächen um sich herum zu folgen, doch sie schweifte immer wieder ab.

„Wow, das schmeckt gut, wer hat das gekocht?“ fragte Lydia nach einer Weile.

„Megan.“ Sagten Dario und Patty gleichzeitig.

„Sie versucht es zumindest.“ Raunte Jake seiner neuen Freundin zu.

Megan platzte innerlich.

„Du bist ja so was von in mich verliebt.“ sagte sie so leichtfertig und ironisch wie möglich.

„Fuck off.“ Antwortet er.

Nur sie sah, dass er ein Schmunzeln unterdrücken musste, sie sah das Lachen in seinen Augen, mit denen er sie geradewegs ansah.

Alle anderen lachten darüber, wunderten sich höchstens wie frech sie ihm gegenüber plötzlich war und hörten nicht die Zärtlichkeit in seiner Stimme – auch wenn er sie beschimpfte.

 

Während des Essens versuchte er sich mit Lydia zu unterhalten, doch Megan erkannte mit Genugtuung, dass es nicht sonderlich viel Gesprächsstoff gab. Also beteiligte er sich nach kurzer Zeit bereits wieder an den Gesprächen der Jungs und ließ Lydia ihren eigenen Gedanken nachhängen, die selbstverständlich um Megans vorangegangenen Kommentar kreisten. Der irritierte Blick, der zwischen Jake und Megan hin und her flackerte war fragend und unsicher. Megan sah aus den Augenwinkeln, wie Lydia sie mehrmals von oben bis unten musterte. Und sie wusste, dass Lydia nicht mit ihr mithalten konnte. Megan war niemals eines dieser Mädchen gewesen, die besser sein wollten, als andere oder schöner. Und sie wollte schon gar nicht, dass man eifersüchtig auf sie war. Sie hatte sich doch nun für Ken entschieden, warum tat es nur so weh, Jake mit einer anderen zu sehen? Warum machte sie diese verbitterten Kommentare? War es vielleicht ihr Zustand?

 

Megan hatte einen solchen Hunger, seit Tagen schon. Hunger auf Dinge, die sie früher nie gemocht hatte, am liebsten Salziges vermischt mit Süßem. Und davon jede Menge. Es war kein Wunder, dass Ken sie mit hochgezogenen Augenbrauen beobachtete.

„Bist du schwanger?“ Ken lachte auf, als er sah, was Megan aß. Es sollte ein Witz sein.

Als sie den Mund verzog anstatt zu verneinen, sah er sie mit großen Augen an. Sie konnte regelrecht sehen, wie bei ihm der Vorhang viel.

„Du bist schwanger? Ist das dein Ernst?“

Die Gespräche am Tisch verstummten, alle sahen sie an.

Alle bis auf Jake, der ihr schräg gegenüber saß.

Er sah zwar kurz erschrocken auf, doch dann starrte vor sich auf den Tisch, als ahnte er, was Megan seit Tagen beschäftigte: Einer der Brüder war der Vater.

Nur welcher?

Megan durchfuhr es heiß und kalt. Sie hoffte Ken würde nicht nachzählen oder genauer nachhaken, wenn es soweit war.

Doch er nahm sie in den Arm, freute sich überschwänglich, wollte wissen, seit wann sie es wusste, ob sie sicher war, ob sie einen Test gemacht hatte oder beim Arzt gewesen sei. Sie beantwortete seine Fragen ruhig, emotionslos.

Patty und Dario schlossen sie überglücklich in die Arme „Du wirst uns ein Enkelkind schenken!“ sagte Dario gerührt, Patty liefen die Tränen über das Gesicht, sie war nicht fähig ein Wort herauszubringen.

Die anderen standen auf, alle gratulieren.

Alle außer Jake.

Jake saß immer noch unbewegt auf seinem Platz.

Ken blickte zu ihm hinüber. „Hey, freust du dich nicht wenigstens ein bisschen?“ er klang angespannt.

Stille.

„Wenn einer von uns Brüdern Vater wird, bedeutet das schließlich, dass der andere Onkel wird.“

Jake sah auf, traf Megans Blick, die schwer schlucken musste.

Ken hatte ja keine Ahnung wie richtig er damit lag.

Wenn einer von uns Brüdern Vater wird, wird der andere Onkel…

Nur hatte Jake nicht das Gefühl, dass er derjenige war der Onkel wurde und dass Ken der Vater war. Und genau das spiegelte sich in dem Blick wieder, den er Megan zuwarf.

Gerührt.

Gekränkt.

Fassungslos.