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Donnerstag, 10. Juni 2010
Zurück in seiner Welt
Megan 23, Ken 30, Jake 27
Megan zog sich für die Arbeit an. Nachdem sie geduscht hatte, war Jake ins Badezimmer gegangen, er hatte sie nicht gedrängt und keinen Kommentar von sich hören lassen. Er hatte einfach nur gewartet, bis sie fertig war und war dann ganz ruhig nach ihr unter die Dusche gegangen.
Sollte es von jetzt an immer so reibungslos laufen?
Megan traute all dem noch nicht, es kam ihr vor wie die Ruhe vor dem Sturm.
Als sie Make Up aufgetragen und sich umgezogen hatte, wollte sie gerade das Haus verlassen, als Jake ebenfalls die Treppe herunter gelaufen kam.
Er blieb in der Auffahrt neben ihr stehen, als wartete er ebenfalls auf ein Auto, das ihn abholen würde.
Sie stellte ihm keine Frage, das würde sie sich wahrscheinlich niemals trauen, nicht in diesem Leben. Sie verschränkte die Arme vor der Brust um sich nicht nackt vorzukommen.
Ständig waren ihr die Bilder ihrer gemeinsamen Nacht im Kopf. Es schien ihr so unrealistisch, fast so, als hätte sie nur einen Film gesehen in dieser Nacht, aber sie spürte noch immer seinen Atem an ihrem Hals, seine Hände auf ihrem Körper und die Hitze stieg in ihr auf, wenn sie nur daran dachte.
Dachte er auch ab und zu daran? Hatte er die gleichen Bilder in seinem Kopf? Zumindest stieg ihm nicht ständig die Röte ins Gesicht, so wie ihr.
Sie war sich unklar darüber, was Jake vorhatte. Am Tag nach der Nacht, in der sie sich geliebt hatten, war er wieder ganz der Alte gewesen, hatte sie schikaniert und erniedrigt wo es nur ging. Anschließend war er ihr beim Grillen aus dem Weg gegangen und zwei Tage später war er morgens plötzlich neben ihr her gejoggt als gäbe es nichts Normaleres auf der Welt, so wie er es seitdem an zwei weiteren Morgenden getan hatte. Kein einziges Mal hatte er ein Wort mit ihr gesprochen, hatte getan als würde er sie gar nicht bemerken.
Sie hatte keine Ahnung was in ihm vorging, sie hätte alles gegeben um einmal seine Gedanken lesen zu können, um zu wissen was in diesem Kopf vorging.
Die ganze Zeit, seit sie ihn als kleines Kind zum ersten Mal gesehen hatte, war sie der festen Überzeugung gewesen, dass er sie hasste und jetzt, achtzehn Jahre später, hatte er plötzlich die unglaublichste Nacht mit ihr verbracht, die man sich nur vorstellen konnte.
War sie achtzehn Jahre lang falsch gelegen? Aber man versuchte doch nicht, jemanden umzubringen, den man mochte? Sie nahm an, dass die Jungs als Kinder einfach Spaß daran gehabt hatten, sie zu ärgern und zu sehen, wie weit sie damit gehen konnten. Aber hatte es irgendwann einen Wendepunkt gegeben?
Man schlief ja nicht einfach mit jemandem, den man so sehr hasste, wie sie angenommen hatte, dass er es tat. Und sie war sich sicher, dass er nicht nur mit ihr geschlafen hatte um sie zu erniedrigen. Dafür war zu viel Gefühl in seinen sonst so wilden Augen gewesen, zu viel Sehnsucht in seinen Küssen.
Als Charlie und Hank mit Charlies Buick in die Straße bogen und vor dem Haus hielten, folgte Jake ihr mit leichtem Abstand zum Auto der Männer.
„Hey Jungs“ begrüßte er die beiden und sie begrüßten ihn, ohne verwundert zu sein, also nahm Megan an, dass sie telefoniert hatten und Jake seinen Job auf Hinsley's Ranch wieder bekommen hatte.
Sie brauchten dort jeden verfügbaren Mann, in den letzten Monaten hatte auch sie selbst oft mit angepackt und hatte dafür eine beträchtliche Sonderzahlung erhalten, weil sie bei allem geholfen hatte, zu dem sie laut Hinsley nicht verpflichtet gewesen wäre und er ihr dankbar war, dass sie genauso gearbeitet hatte wie die Männer, wenn sie im Büro nicht viel zu tun hatte und man sie auf dem Feld brauchte.
Jake rutschte neben sie auf die Rückbank des Buick.
Er starrte aus seinem Fenster, Megan starrte aus ihrem. So verharrten sie, bis sie den Hof erreichten.
Jake konnte nicht schnell genug aus dem Auto kommen. Als hätte er während der Fahrt die Luft angehalten, weil er ihre Nähe nicht ertrug. Er öffnete die Türe als das Auto noch in voller Fahrt war und war bereits mit seiner typischen Lässigkeit aus dem Auto gesprungen, bevor Charlie hatte bremsen können.
Hinsley trat aus den Stallungen ins Freie und entblößte seine Zähne zu einem zufrieden Lächeln.
„Jake Daniels! Wie schön dich zu sehen! Du glaubst nicht, wie dringend wir hier deine Hilfe gebrauchen können!“
Jake kam ihm lachend entgegen. Auf halbem Wege trafen sie aufeinander, umarmten sich herzlich.
„Wie geht’s dir, mein Guter?“ fragte Hinsley und klopfte ihm auf die Schulter. Seine Lachfalten schienen tiefer denn je.
„Bestens. Ich hatte ein Jahr Zeit mich auszuruhen, ich bin voller Energie, also, wo kann ich anfangen?“
Hinsley lachte schallend auf. „So kenn ich meinen besten Mann!“
Megan lächelte.
Auch wenn Jake sie oft heruntermachte und sie ständig auf dem Kicker hatte, so hatte sie dennoch immer mit ihm mitgefühlt. Hier war einer der wenigen Orte, an dem er mit freundschaftlichem Respekt und mit Freude erwartete wurde, hier konnte er ganz er selbst sein.
Natürlich konnte er das auch im Kreise seiner Freunde, aber hier lebte er erst richtig auf. Er liebte es sich zu verausgaben, er liebte es wie wahnsinnig mit einem der Pferde über die Felder zu preschen und wenn er versuchte dem zahmen Bullen Rodeo beizubringen und auf dessen Rücken herumzuhüpfen und „wooohooo!“ zu grölen, lachte Megan hinter den Gardinen des Büros bis ihr der Bauch schmerzte.
Zuhause wirkte er oft abwesend, vor allem seit er aus dem Knast zurückgekommen war.
Während er jedoch keine Probleme damit hatte mit den Jungs über diese Zeit große Töne zu spucken („Du kommst nirgends leichter an Drogen, als im Knast!“ oder „Wir hatten Tittenhefte ohne Ende, aber wenn du ein Jahr nur Bilder hast, ist es doch besser du ignorierst die Sache komplett.“ oder „Wir haben den ganzen Tag Gewichte gehoben und Fußball gespielt. Ich bin fit wie nie, Leute!“), schwieg er eisern über den Vorfall wie er überhaupt erst hinein gekommen war und was genau passiert war.
Wenn die Jungs ihn darauf ansprachen, warf er Ken einen schnellen Blick zu, welcher dem seinen wiederum völlig auswich und behauptete schulterzuckend, er könne sich an rein gar nichts mehr erinnern. Megan spürte, dass da etwas im Gange war zwischen ihm und Ken. Ken reagierte so seltsam auf dieses Thema, dass sie sich sicher war, dass er ebenfalls etwas damit zu tun hatte.
Aber mit ihm war Jake sowieso schon seit Jahren im Clinch. Es war eine Seltenheit, dass sie sich unterhielten, sich verstanden. Megan fragte sich ohnehin, wie sie es die letzten Tage im gleichen Haus miteinander aushielten. Das war ungewöhnlich. Es kam ihr vor, als versuche Ken irgendetwas wieder gut zu machen und sie brannte darauf zu wissen, ob es mit dem Vorfall zu tun hatte, der Jake ein Jahr Knast beschert hatte.
Vor seinen Eltern konnte Jake sowieso nie er selbst sein. Sobald sie sich im selben Raum befanden, wurde er angespannt, durfte sich Vorwürfe und Anschuldigungen anhören und – auch wenn es einiges gab, das man Jake vorwerfen hätte können, das musste sie selbst ja wohl am besten wissen – die meisten davon waren übertrieben, wenn nicht sogar ungerechtfertigt.
Sie hatte ihm diese Freiheit nirgends so angesehen wie hier auf der Ranch. Und kaum betrat er heute die Ställe, erkannte sie dieses Lächeln auf seinem Gesicht, entspannt und glücklich und freute sich darüber, dass es ihm endlich wieder gut ging und er sich wohl fühlte.
Insgeheim war sie so glücklich darüber, dass er wieder hier war. Er hatte bei der Arbeit noch nie ein einziges Wort mit ihr gewechselt, aber sie liebte es, ihn hier zu beobachten. Er arbeitete wie alle anderen Männer, nur mit noch mehr Energie und wenn es ein Problem gab, war er sofort zur Stelle, löste es und sah dabei so männlich aus und dann wiederum hatte er nur Blödsinn im Kopf, hatte die verrücktesten Ideen wie er jemandem eins auswischen oder etwas anstellen konnte und freute sich darüber mit einem frechen Grinsen wie ein kleiner Junge.
Megan liebte beide Seiten an ihm.
Sie liebte alles an ihm.
Eines Tages würde sie es ihm sagen.
Eines Tages, wenn sie ihre Koffer gepackt und abfahrtbereit vor ihrem Taxi stehen würde um Ken zu verlassen, dann würde sie Jake sagen, was sie für ihn empfand. Sie würde ihm keine Vorwürfe machen, was er ihr als Kind und auch in den letzten Jahren mit seinen Sticheleien angetan hatte. Niemals.
Sie würde ihm nur sagen, dass sie ihn liebte seit sie für solche Gedanken fähig war, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlte seit sie etwa dreizehn Jahre alt war und dass sie bei jedem einzelnen Mal, dass sie mit Ken im Bett verbracht hatte, eigentlich an Jake dachte.
Sie würde ihm das Beste dieser Welt wünschen, würde ihm raten sich endlich von der Familie, die ihn zerstörte, loszusagen und seinen eigenen Weg zu gehen.
Und dann würde sie gehen. Für immer.
Sie sah nach draußen und lächelte über diesen Gedanken, weil sie wusste, dass sie das eh nicht bringen würde. Aber wenn doch, wie würde er reagieren? Würde er sie sogar begleiten? Oder sie auslachen? Sie angreifen?
Nein, angreifen würde er sie nicht, das wusste sie. Er war vor etwa sieben Jahren zuletzt handgreiflich geworden, als sie sich weigerte den Hummer zuzubereiten. Natürlich war man bei ihm nie sicher, aber manchmal hatte Megan das Gefühl, dass er sie nur noch aufzog, weil die Jungs es von ihm erwarteten, weil er es einfach schon immer getan hatte.
Sie machte sich an die Arbeit im Büro. Es gab hier selten viel zu tun. Hin und wieder riefen andere Bewohner der Gemeinde an und fragten, wann es wieder Erdbeeren und Rhababer gäbe, ob sie sich einen Traktor ausleihen könnten oder sie gaben eine Bestellung für Gemüse, Milch und andere Dinge auf, die hier verkauft wurden.
Megan stellte dann die Rechnungen dafür zusammen.
Außerdem notierte sie die Arbeitsstunden der Männer und stellte am Ende des Monats eine Gehaltsabrechnung auf, nach denen Hinsley den Männern ihr Gehalt auszahlte.
Sie berechnete auch, was für die Tiere besorgt werden musste, ging regelmäßig mit einer Liste durch die Ställe und sah nach, welche Vorräte aufgefüllt werden mussten. Sie bestellte wenn nötig den Hufschmied für die Pferde oder einen Tierarzt, wenn sich eines der Tiere verletzte oder an einer Kolik litt.
Am meisten zu tun hatte sie mit den Arbeitern selbst, die ebenfalls versorgt werden mussten.
Hin und wieder nahm sie sich ein Pferd um den Männern ein paar Flaschen Wasser aufs Feld zu bringen, sie war auch für das Essen zuständig, kochte meist abends warm und legte mittags Schnitten bereit oder umgekehrt. Dafür musste sie ebenfalls einkaufen. Und für diverse Verletzungen der Männer war sie ebenfalls zuständig, da sie einen Kurs für Ersthelfer absolviert hatte und sich der Notfallkasten in ihrem Büro befand.
Jake hatte sich einmal fast den ganzen Finger abgeschnitten und hätte ihn damals lieber verloren, als sich von ihr behandeln zu lassen. Er war nicht einmal in ihr Büro gekommen, egal wie sehr die anderen Männer ihn zur Vernunft hatten bringen wollen. Er hatte darauf bestanden, dass Charlie ihn in die nächste Klinik fuhr und hatte sich den Finger selbst abgebunden, mit einem Verband, den Hank ihm aus Megans Büro holte. Megan selbst hatte er wütend angebrüllt, sie solle verschwinden, als sie angerannt kam um ihm zu helfen. Sie war zum damaligen Zeitpunkt völlig entgeistert gewesen, dass Jake nicht einmal in einer ernsten Lage über seinen Schatten springen konnte.
Heute war die Schnittwunde kaum noch zu sehen, er war damals Anfang zwanzig gewesen, das war einige Jahre her.
Sie beobachtete durch ihr Bürofenster, wie er sich mit den anderen Männern Heugabeln besorgte und auf die Ställe zusteuerte. Verträumt folgte sie seinen Bewegungen, lächelte vor sich hin.
„Er ist also wieder hier. Ich denke das geht klar für dich, oder?“
Megan fuhr erschrocken herum, Hinsley stand gebrechlich und dünn wie eh und je in der Bürotüre und hatte sie dabei erwischt, wie sie Jake verträumt nachgesehen hatte. Er zwinkerte ihr wissend zu und ging weiter.
Peinlich berührt schloss Megan für einen Moment die Augen.
Dann machte sie sich an die Einkaufsliste für diese Woche.