22
Donnerstag, 01.Juli 2010
Twister
Megan 23, Ken 30, Jake 27
Schon seit Tagen war von den Radio- und Fernsehstationen aus gewarnt worden, dass ein Twister auf sie zukäme. Nun war er da.
Es gab oft Wirbelstürme in dieser Gegend, aber selten schon so früh in dieser Jahreszeit. Die meisten traten im Herbst auf, frühestens im Spätsommer.
Jake weckte Megan, indem er an die Schlafzimmertüre klopfte.
„Wir müssen in den Schutzkeller.“ Sagte er ohne sie anzusehen, als sie die Türe öffnete.
Sie folgte ihm nach unten. Verschlafen fragte sie sich, warum sie nicht von Ken geweckt wurde.
Dann fiel ihr ein, dass er heute arbeiten musste. Nachtschicht.
Natürlich, bei dem Wetter wurden alle Einsatzkräfte benötigt. Es war vorgekommen, dass einige Banden in Häuser eingebrochen waren, deren Bewohner sich in ihrem Schutzkeller befunden hatten oder dass geplündert wurde, weil der Sturm Fensterscheiben von Häusern und Geschäften einschlug.
Sie selbst hatte sich einmal mit all den anderen Jungs in einem Supermarkt in Sicherheit gebracht, als sie nach dem Angeln von einem Hurrikane überrascht wurden und hatten dort die halbe Nacht verbracht. Sie hatten sich mit Liegestühlen vor die Gefrierschränke gesetzt und Eis und Pudding gegessen, Chips und Schokolade, hatten Bier getrunken und eine Schlacht mit Sektflaschen begonnen, die sie sich gegenseitig ins Gesicht gespritzt hatten.
Gleich nach dem Sturm waren sie betrunken und völlig übersättigt nach Hause geflüchtet und kein Mensch hatte je erfahren, wer das Desaster angerichtete hatte.
„Bereit?“ Jakes Hand lag am Griff der Eingangstüre.
Als er sie öffnete, schlug ihr fast ein Blumentopf ins Gesicht. Jake konnte es gerade noch abwähren indem er dagegen schlug. Der Keramiktopf zersprang auf den Steinstufen vor dem Haus. Es musste ihm wehtun, aber er verzogkeine Miene.
Erst als er die Türe hinter ihnen zuzog und abschloss, entdeckte sie, dass er bereits alle Fenster mit den dafür vorgesehenen Holzbrettern beschlagen hatte.
Endlich ein Mann im Haus, dachte sie bei sich.
Auf dem Weg in Richtung Falltüre, die sich im Boden hinter ihrem Zucchinibeet befand, hielt sie sich an Jakes Gürtel fest. Sie hatte Angst wegzufliegen, wenn sie losließe, der Wind war stärker als sie befürchtet hatte.
Sie hoffte, dass er es in dieser Situation zuließ, dass sie sich an ihm festhielt und glücklicherweise unternahm er nichts dagegen und rief ihr auch keinen blöden Spruch zu, was sie aufgrund des tosenden Sturmes wohl ohnehin nicht verstanden hätte.
Die Gießkanne und eine Schaufel kamen ihnen entgegen geflogen, zum Glück bekam Ken das nicht mit, er wäre sauer geworden.
Denn gerade aus diesem Grund wurden abends all diese Dinge in die Garage eingeschlossen.
Sie konnten zu tödlichen Geschossen werden und sie musste das eigentlich am besten wissen, denn so war vor einigen Jahren ihre Mutter ums Leben gekommen. Von einer Harke am Kopf getroffen, ohnmächtig geworden, auf die eisernen Stufen des Wohnwagens geknallt, woran sie schließlich starb.
Als Jake sich bückte um die Luke aufzuziehen, ließ sie ihn nur für einen Moment los und wurde sofort einige Schritte davon gewirbelt. Er war augenblicklich bei ihr, nahm sie an der Hand, so wie ein Freund es bei einem Spaziergang tun würde – nur etwas fester um sie nicht zu verlieren – und zog sie zurück.
Er ließ sie hinab steigen, dann folgte er selbst und ließ die Luke über ihnen zufallen. Sofort herrschte eine angenehme Stille, das Tosen des Sturms wurde zu einem leisen Heulen.
Megan knipste das Licht an, Jake blieb erstaunt stehen.
Sie hatten den wohl luxuriösesten Schutzkeller in dieser Gemeinde.
Da Megan sich vor Spinnen und anderen Insekten ekelte, war es für sie immer eine Tortour gewesen in den Keller zu gehen. Da hatten die Jungs ihr im letzten Jahr den Gefallen getan ihn auszubetonieren und die Wände zu verkleiden. So lange die Strommasten intakt waren, hatten sie hier unten sogar elektrisches Licht.
Megan hatte für die Einrichtung gesorgt; ein alter Teppich, ein kleines Sofa, das gerade so durch die Luke gepasst hatte, Sitzkissen und Stoffdecken, falls es kalt wurde, alles in allem sah der Keller aus wie ein unglaublich gemütliches Zimmer, dessen Decke ein wenig zu niedrig geraten war. Ein bisschen hatte der Raum etwas von einer liebevoll gestalteten Höhle.
Sie ging regelmäßig nach unten um die Decken und Kissen zu waschen und den Keller sauber zu machen.
„Wow“, sagt Jake. „Hat Ken das alles gemacht?“
„Die anderen Jungs, letztes Frühjahr, gleich nachdem du…weg warst.“
„Unglaublich, das ist der wahrscheinlich schönste Schutzkeller im ganzen Land! Wenn ich euch mal nerve, habe ich nichts dagegen hier runter zu ziehen.“ Er lachte.
„Du nervst nicht.“
Sie spürte seinen Blick, sah aber nicht hin.
Sie setzten sich, Megan stelltedie Öllampe und Streichhölzer bereit, nur für den Fall der Fälle.
Sie trug eine Leggings, die sie gerne anhatte, wenn sie einen gemütlichen Filmeabend machten und ein langes T-Shirt, das sich zart und weich um ihren Körper schmiegte. Sie war am Abend so müde gewesen, dass sie sich damit ins Bett gelegt hatte und sofort eingeschlafen war. Sie hatte nicht einmal mitbekommen, wie Jake die Fenster zugehämmert hatte, so fest hatte sie geschlafen.
„Was ist in der Luke?“
„Essen.“
„Ich sterbe vor Hunger.“
Er ging hinüber, mit geducktem Kopf um nicht an der Decke anzustoßen. Er fand Kekse, Limo, Wasser, Zuckerkringel.
„Ich glaube die sind abgelaufen“ sagte Megan. „Ist der erste Sturm in diesem Jahr. Ich kam noch nicht dazu…“
Er zuckte die Schultern, nahm sich einen. „Schmeckt noch.“
Er holte eine abgedeckte Schüssel aus der Kammer.
„Nudelsalat“ sagte sie. „Von gestern.“
In dieser Kammer war es fast genauso kalt wie im Kühlschrank, wenn nach Partys oder nach einem Grillabend zuviel übrig war, sodass nicht alles in den Kühlschrank passte, stellte sie die Schüsseln hier herunter, damit sie sie noch am nächsten Tag essen konnten.
Er freute sich sichtlich, nahm sich eine Plastikgabel, hielt ihr auch eine hin. Sie schüttelte den Kopf.
Es schnürte ihr noch immer den Magen zu, weil diese Stürme die Bilder vom Tod ihrer Mutter hervorriefen.
Er warf ihr einen Blick zu, als könne er es ihr ansehen.
Ohne ein Wort setzte er sich neben sie auf die Matratze, die Schüssel in der einen Hand, die Gabel in der anderen. Während er aß, lehnten sie sich beide gegen die Wand, Megan achtete darauf, dass sie seinen Arm nicht mit ihrem berührte.
Nach ein paar Minuten hielt er ihr wortlos eine Gabel mit Nudelsalat vor den Mund. Sie ließ sich von ihm füttern.
Weitere Minuten vergingen, in denen sie für jede Gabel, die er ihr hinhielt den Mund öffnet und ihm anschließend ein Lächeln schenkte. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf.
„Danke ich kann nicht mehr.“
„Das mit deiner Mutter geht dir immer noch sehr nah, hab ich Recht?“
Erstaunt sah sie auf. Er unterhielt sich mit ihr? So richtig gefühlvoll?
Zu gerne hätte sie gewusst, was in seinem Kopf vorging.
„Ja“ antwortete sie zögernd. „Ich muss ständig daran denken, wenn ein Sturm tobt. Da kommen all diese Gedanken wieder hoch.“
Sie hielt einen Moment inne, dann brach es aus ihr hervor ohne dass sie ihren Redefluss stoppen konnte.
„Ich wusste gar nicht was ich machen sollte ohne sie. Ich wollte nicht einsehen, dass sie tot ist, ich wollte sie einfach aufwecken und mit ihr nachhause gehen, als ich sie im Sarg habe liegen sehen. Es war meine Schuld, ich hatte die Harke draußen liegen lassen, bevor Kenny mich zum Tanztraining gefahren hat.“
Jake sah sie lange an, sah die Traurigkeit, zurückgehaltene Tränen.
„Hast du je darüber gesprochen?“
„Nein.“ Erst jetzt fiel ihr auf, dass sie nicht einmal mit Ken darüber gesprochen hatte. Er hatte nie Interesse an einem Gespräch gezeigt und sie wollte ihn nicht noch mehr nerven, als sie es mit ihrer bloßen Anwesenheit ohnehin schon tat.
Sie schwiegen einen Moment. Es tat ihr gut, dass Jake ihr nicht einredete es wäre nicht ihre Schuld gewesen. Sie konnte es nicht ausstehen, wenn die Leute das sagten. Das würde es nicht besser machen und es würde auch nicht ihr Meinung ändern. Es war ihre Schuld gewesen und sie würde sich das ein Leben lang vorhalten.
Die Stille tat gut. Für eine Weile hingen sie beiden ihren Gedanken nach.
„Warum warst du damals im Tanzsaal?“ fragte sie dann.
Sie dachte daran zurück, an die Nacht des Hurrikanes, wie Ken ihr die Nachricht am Telefon übermittelt und Jake ihr Gesellschaft geleistet hatte. Noch immer hatte sie das Gefühl seine Berührung spüren zu können, wenn sie nur daran zurückdachte, seine Hand auf ihrem Arm, als hätte sie sich festgebrannt.
„Warum wohl. Ken war bei der Arbeit und hat dich dort alleine zurückgelassen.“
„Du warst wegen mir dort?“
„Natürlich, Dummerchen.“ Er lächelte leicht, doch ganz langsam verschwand sein Lächeln wieder.
„Was?“ Megan sah ihn fragend an, versuchte seinen Gesichtsausdruck zu deuten.
„Ich musste einfach wissen, dass du in Sicherheit bist, dass dir niemand etwas antut. Du weißt ja, wie Menschen sein können, die in Panik geraten oder die Hilflosigkeit ausnutzen. Oft ist das schlimmer als die Unwetter selbst.“
Ja, das wusste sie. So oft schon hatte man von Übergriffen und Überfällen während einem schlimmen Sturm gehört, bei dem man annahm die Menschen würden sich zusammentun, sich gemeinsam helfen.
Sein Blick verdunktelte sich noch mehr. Einen Moment schwieg er, unsicher ob er aussprechen sollte, woran er gerade dachte.
Sie sah ihn weiterhin fragend an.
„Ich konnte nicht fassen, dass er dir die Nachricht vom Tod deiner Mutter am Telefon überbrachte. Ich meine, natürlich solltest du die Erste sein, die es erfährt, aber doch nicht so. Er hat es dir am Telefon gesagt, obwohl er annahm, dass du ganz allein dort warst. Und wie du dich warscheinlich erinnern kannst, hast du völlig geschockt reagiert und beinahe eine riesige Dummheit begangen.“
Sie erinnerte sich. Beschämt senkte sie den Blick.
„Die wenigsten Menschen hätten in diesem Moment rational denken und ruhig bleiben können. Er sollte das wissen, gerade er als Polizist. Ich war so wütend auf ihn. So unfassbar wütend. Es hätte doch ausgereicht es dir am nächsten Tag zu sagen, als du wieder zuhause warst. Du hättest ja ohnehin nichts tun können.“
Sie starrte nachdenklich vor sich hin, dachte zurück an die furchtbare Nacht, als Jake ihr einziger Lichtblick gewesen war. Das erste und das einzige Mal, dass sie sich von ihm beschützt und sich durch seine Gegenwart sicherer gefühlt hatte.
Sie war ergriffen von seinem Geständnis. Er war nur wegen ihr dort gewesen, hatte sich selbst in Gefahr gebracht, indem er durch den bereits tobenden Sturm zu ihr gefahren war. Nur wegen ihr. Und Ken hatte sich nicht weiter für sie interessiert, wie immer.
Megan stellte er die Schüssel mit dem Nudelsalat zurück in die kleine Kammer und machte es sich mit einer Packung Kekse und einer Flasche Limo auf der gegenüberliegenden Matratze bequem.
Als sie sich sicher war, dass er heute Nacht nicht mehr ihre Nähe suchen würde, legte sie sich hin und wickelte sich in eine der Decken, die nach frischem Waschpulver roch.
Seit ihrer letzten Konversation war bestimmt eine halbe Stunde vergangen. Es gab da etwas, über das sie unbedingt mit ihm sprechen wollte. Sie nahm all ihren Mut zusammen.
„Kann ich dich was fragen?“
„Klar.“
„Ich meine, wenn ich nicht an die Bar gegangen wäre, dann hätte dieser Typ mir keine K.O.-Tropfen in den Wein schmuggeln können und hätte nicht versucht mich zu vergewaltigen und du hättest ihm nicht ins Bein geschossen und wärst nicht verhaftet worden…“
„Wo bleibt die Frage…“ Jakes tiefe Stimme klang plötzlich schroff.
„Gibst du mir die Schuld dafür, dass du in den Knast musstest?“
„Ja.“ Sagte er ohne nachzudenken.
Sie schluckte. „Tut mir leid. Alles was an diesem Abend passiert ist.“
„Das bringt mir das Jahr auch nicht zurück.“
Sie konnte nicht fassen, dass er wieder so eiskalt wurde. Sie waren doch allein, es war niemand hier, der ihn deshalb verurteilte.
„Weißt du noch, als wir nach dem Angeln von dem Hurrikane überrascht wurden und uns im Supermarkt verschanzt haben?“ versuchte sie das Thema zu einem leichter verdaulichen zu wechseln.
„Das war ein Tornado. Kein Hurrikane.“ Sagte er kurz angebunden.
Sie ignorierte es. „Das war ein Spaß, wie wir uns alle gegenseitig mit dem Sekt durch die Gänge gejagt und vollgespritzt haben…“
„Kannst du mir einen Gefallen tun?“
„Klar.“
„Halt die Fresse.“ Er drehte sich zur Wand.
In ihr stieg eine Wut auf, die sie so selbst nicht von sich kannte. Egal was sie tat oder sagte, ständig musste sie genau darauf achten, dass es das Richtige war. Und selbst dann konnte sie nie darauf wetten, dass er nicht doch ausflippte.
„Ach fick dich doch.“ Murmelte sie vor sich hin.
Eine ganze Weile starrte sie ihm auf den Rücken. Wie konnte er plötzlich so launenhaft sein? Im einen Moment fütterte er sie noch mit Nudeln, fragte nach dem schlimmsten Ereignis ihres Lebens, als wolle er sie trösten und dann so was?
Was machte sie denn falsch? Sie versuchte so sehr sich mit ihm zu verstehen, wenigstens mit ihm auszukommen.
Mal verbrachte er die Nacht mit ihr, schlief mit ihr, dann versuchte er sie wieder fertig zu machen und zu erniedrigen, dann gestand er ihr das, was sie nie zu hoffen gewagt hatte und strich ihr am nächsten Morgen beim Frühstück noch zärtlich über den Rücken, hielt in Hanks Auto ihre Hand, nur um sie dann kurze Zeit später bei der Arbeit zu ignorieren, genau wie an den anschließenden Tagen.
Er hatte sich seit Tagen so verhalten, als wäre sie einfach nicht dagewesen. Nur ein einziges Mal hatte sie ihn abends am Lagerfeuer im Garten dabei ertappt, wie er sie ansah, daraufhin hatte er seinen Blick schnell abgewendet.
Sie war müde. Nach einigen Minuten, die sie Jake auf den bewegungslosen Rücken gestarrt hatte, drehte sie sich ebenfalls an die Wand.
Nach wenigen weiteren Minuten war sie eingeschlafen.
Als das Licht in der Glühbirne zu flackern begann und bald darauf ausging, wurde sie wieder wach.
Sie setzte sich auf, suchte nach den Streichhölzern und zündete die Öllampe an. Ein warmes, angenehmes Licht erfüllte den kleinen Raum.
Jake schien schon eine ganze Weile wieder wach zu sein, er saß aufrecht auf seiner Matratze und sah vor sich auf den Boden. Wahrscheinlich hatte er gar nicht geschlafen, sondern hatte sich nur schlafend gestellt damit sie still war.
Das Licht warf flackernde Schatten auf sein Gesicht und seinen Körper.
Sie saßen sich eine ganze Weile gegenüber ohne sich zu Rühren.
An Schlaf war nicht mehr zu denken, Megan war hellwach.
Sie betrachtete sein wunderschönes Gesicht, das sie so oft wütend und abfällig gesehen hatte.
In den letzten Wochen sah sie ihn erstmals so nachdenklich, wie er auch jetzt gerade drein schaute. Sein Körper war angespannt, er hatte seine Beine aufgestellt, die Säume seiner Jeans waren schmutzig, genau wie seine Sneakers, aber er hatte darauf geachtet, dass er damit nicht die Matratze berührte. Er strich sich ein paar Mal die Haare nach hinten, war so in Gedanken versunken, dass er fast zusammenzuckte, als Megan zu ihm sprach.
„Ich dachte, es hätte sich alles geändert…nachdem du das in der Bar gesagt hast…letzte Woche.“ Sagte sie zögernd nach einer halben Ewigkeit, in der sie beide in die Flamme der Öllampe gestarrt hatten.
Er antwortete nicht.
„Willst du mir nicht erzählen was an dem Abend passiert ist, als du auf ihn geschossen hast? Ich habe überhaupt nichts mitbekommen und…“
„Wenn du nicht augenblicklich still bist, gehe ich zurück ins Haus.“ Sein Gesichtsausdruck hatte sich schlagartig verändert.
Sie war es ja gewohnt, dass er ihr drohte, aber seit sich alles zwischen ihnen verändert hatte, wusste sie gar nicht mehr, wie sie sich ihm gegenüber verhalten und mit dieser ihr altbekannten Art umgehen sollte. Sie war durcheinander, jedes Mal wenn er mit ihr sprach und wusste selten was sie erwidern sollte, unabhängig davon ob er sich liebevoll oder abweisend verhielt. Alles war so viel komplizierter als zuvor.
Seufzend legte sie sich auf ihre Matratze zurück.
Ganz plötzlich fühlte sie sich energiegeladen, fast hyperaktiv. Sie hatte bereits früh am Abend einige Stunden geschlafen, jetzt da sie wach geworden war, hatte sie das Gefühl irgendetwas tun zu müssen. Der Sturm trug seinen Teil dazu bei, dass sie adrenalingeladen war, das war jedes Mal so, wenn sie die Gefahr draußen toben hörte.
Sie krabbelte langsam zur Kammer, holte sich die Tüte mit den Zuckerkringeln, die tatsächlich noch haltbar waren und krabbelte damit zu ihrer Matratze zurück.
Sie musste Jake zeigen, dass sie seine Art ihr gegenüber nicht mehr ernst nahm, dass er sie nicht mehr einschüchtern konnte.
Auch wenn er es immer noch schaffte, sie einzuschüchtern, aber sie hatte diese andere Seite an ihm kennengelernt und er hätte dieses Geständnis vor Molly nicht gemacht, wenn Megan ihm nichts bedeuten würde und er wäre nicht mit ihr ins Bett gegangen, wenn er sie eigentlich hasste.
Sie biss in ihren Zuckerkringel, zog so lange daran, bis er riss und dabei ein schnalzendes Geräusch machte.
Sie wiederholte das ein zweites und dann ein drittes Mal.
Sie nahm einen Frischen aus der Tüte, hielt ihn vor sich wie eine Steinschleuder und schnalzte ihn zu Jake hinüber, dem der Kringel gegen die Brust schnalzte und auf den Boden fiel.
Er hatte sie eine ganze Weile beobachtet, sie fragte sich, wie er so ernst bleiben konnte, sie lachte sich innerlich tot.
Als Jake aufstand und entschlossen zur Luke ging, bekam sie es schlagartig mit der Angst zu tun.
Sie sprang auf und war sofort bei ihm. „Hör auf! Bleib hier! Das war nur Spaß, ich wollte dich nur zum Lachen bringen! Bitte bleib hier!“ flehte sie ängstlich. Jake schüttelte sie von sich, öffnete die Luke. Plötzlich war das laute Toben des Sturmes wieder da, erfüllte den kleinen Kellerraum mit Lärm.
„Jake!“ schrie sie, ihre Stimme überschlug sich panisch. „Oh Gott, Jake, hör auf! Ich sage kein Wort mehr! Bitte!“ Sie schlang ihre Arme um Jakes Bauch und hielt ihn fest.
Als er sich jedoch von ihr losmachte und hinaufstieg, wurde sie wütend. „Na schön, kannst du haben! Ich komme mit!“ rief sie aufgebracht. „Du willst mich ja nicht zum ersten Mal umbringen, vielleicht hast du diesmal Erfolg!“ Es war das erste Mal, dass sie einen dieser Vorfälle erwähnte und sie meinte ein Zucken, ein kurzes Zögern in seiner Bewegung zu erkennen, mehr ließ er sich nicht anmerken.
Er stieg nach draußen und Megan folgte ihm. Eine Wand des Widerstands stieß ihnen entgegen. Jake kam eindeutig besser damit klar als Megan, die es kaum schaffte sich aufzurichten. Als sie gegen einen Baum geworfen wurde, bereute sie, dass sie ihm nachgegangen war.
Für ihn war es einfacher, er würde es schaffen bis zum Haus zurückzukehren, sie hatte keine Chance. Die Chance, dass das Haus stehen blieb und er unbeschadet davon kam, war ebenfalls groß. Um sie würde er sich nicht kümmern.
Sie sah ihm nach, bis sie sich sicher war, dass er die Haustüre erreicht hatte. Dann kämpfte sie sich zurück zum Schutzkeller und war froh, dass sie wenigstens das noch geschafft hatte.
Sie warf die Luke hinter sich zu, sie fiel laut ins Schloss und verschluckte die heulenden und scheppernden Geräusche des Windes.
23
Donnerstag, 05. Februar 2009
Ken’s 29. Geburtstag
Megan 22, Ken 29, Jake 26
Er war so kurz davor gewesen sie zu küssen. In dem Augenblick in dem sich ihre Lippen fast vereint hatten, hatte er Ken um die Ecke biegen sehen. Megan hatte Ken nicht entdeckt und Ken hatte nicht mitbekommen, dass Jake ihn gesehen hatte und so hatte er die folgenden Worte nur aus diesem Grund ausgesprochen.
„Nicht mal wenn du der letzte Mensch auf Erden wärst.“ Hatte er ihr ins Gesicht gehetzt und sie hatte erschrocken und verletzt die Augen geöffnet und war zur Seite gewichen, als hätte sie ihm direkt ins Gesicht geschlagen. Er hatte ihren Blick kaum ertragen können.
Ken schien es nur für eine weitere bösartige Intrige seines Bruders zu halten, denn er erwähnte es nicht, als Jake sich anschließend wieder zu ihm an den Stammtisch setzte und mit ihm anstieß, er schien es nicht für wichtig zu halten.
Megan war ihm schon zuvor komisch vorgekommen, schwankend, seltsam abwesend, als klappe sie jeden Moment zusammen. Er hatte es auf den Alkohol geschoben. Doch als sie dann mit diesem Cowboy nach draußen verschwand und dabei kaum noch gehen konnte, war er alarmiert.
Er stand auf, ging ihnen so unauffällig wie möglich hinterher.
Der Kerl schaffte es nicht einmal seinen Gürtel aufzumachen. Jake rannte auf die beiden zu und trat dem Kerl mit seinen Stiefeln mitten ins Gesicht. Wahrscheinlich hätte allein der Tritt schon ausgereicht um ihn fertig zu machen, aber Jake zerrte ihn von Megan herunter, die fast ohnmächtig auf dem Boden lag. Er schlug ihn hart ins Gesicht, beim zweiten Schlag spritzte das Blut aus seiner Nase, beim dritten ging er endgültig zu Boden.
„Jake.“ Flüsterte Megan mit letzter Kraft.
Ken kam angelaufen, er musste mitbekommen haben, dass Jake den beiden nach draußen gefolgt war.
Ken zog seine Waffe unter dem T-Shirt hervor und drückte sie seinem Bruder in die Hand. „Halt ihn in Schach, ich ruf die Kollegen an.“ Sagte er und zog sein Handy hervor.
Jake hielt die Waffe auf den Cowboy gerichtet. Und genau in diesem Moment, in dem er seinen Bruder hinter sich telefonierend glaubte, griff Ken um Jakes Hand herum und drückte ab.
Jake war so schockiert, dass er einen Moment nicht reagieren konnte. Er hatte die Hand im letzten Augenblick so absenken können, dass der Schuss ins Bein des Kerls gefeuert wurde, der sofort wieder bei Bewusstsein war und vor Schmerzen brüllte.
Jake blieb unter Schock stehen, sah seinen Bruder an, verstand nicht, warum der auf einen Kerl schoss, der bewusstlos am Boden lag, auch wenn Jake selbst am liebsten abgedrückt hätte, wenn er daran dachte, was er vorgehabt hatte Megan anzutun.
Dann verstand er, was Sache war.
Ken hatte ihn mit Megan gesehen, hatte vielleicht doch genau das hinein interpretiert, was da vor sich gegangen war. Und jetzt, da die Lage optimal war, hatte er seinem Bruder die Waffe in die Hand gedrückt um seine Fingerabdrücke auf der Waffe zu hinterlassen, hatte so um seine Hand herum gegriffen, dass man nachher an Jakes Hand Schmauchspuren finden würde und nicht an seinen und an Kens zufriedenen Gesichtsausdruck sah er, dass er sich sicher war seinen Bruder so eine Weile aus dem Weg geschafft zu haben.
„…auf einen Kerl geschossen. Nicht weit von Hinsley’s Scheune entfernt, an dem Weg wo der Wald beginnt…“ sagte Ken in sein Telefon.
Jake sah ihn fassungslos an. „Warum tust du das! Du bist verdammt noch mal mein Bruder!“
„Denkst du ich sehe nicht, wie sie dich anschmachtet? Wie sie dich ansieht? Es wird höchste Zeit, dass du aus unserem Leben verschwindest.“ Sagte Ken, als er aufgelegt hatte.
Jake reagierte wie in Trance. Er hatte immer noch die Waffe, immer noch die Gewalt.
„Geh da rüber.“ Befahl er Ken und zeigte zu dem Cowboy, der immer noch vor Schmerzen brüllte. „Binde ihm das Bein ab. Mach schon!“
Ken ließ sich Zeit. Als er den Kerl erreicht hatte, lief Jake zu Megan. Es kostete ihn einiges an Kraft ihren leblosen Körper aufzurichten und über seine Schulter zu werfen, ohne dabei seinen Bruder aus den Augen zu lassen.
Er stolperte den Weg zurück zu den Parkplätzen, die letzten Meter versteckte er die Waffe unter seinem T-Shirt, aber es war nur ein Pärchen auf dem Parkplatz, das so mit sich selbst beschäftigt war, dass Jake ungesehen mit Megan auf dem Arm zu seinem Auto laufen konnte und die Waffe nicht erst hätte verstecken müssen.
Jake setzte sie auf dem Beifahrersitz ab, nahm sich die Zeit sie anzuschnallen, obwohl er wusste, dass er sich beeilen sollte, weil die Polizei gleich auftauchte.
Im Autoradio spielten sie Sufjan Stevens‘ Song Come Thou Fount Of Every Blessing. Jake wusste, dass es gleich zuende war für ihn. Es ging ihm gar nicht darum zu fliehen, er wusste, dass das Schwachsinn war. Sein einziger Wunsch war, die letzten Minuten mit Megan zu verbringen, bevor er festgenommen wurde und die nächsten Jahre hinter Gittern verbringen musste.
Er fuhr schneller als er durfte, aber weit und breit war kein Auto auf der Landstraße zu sehen. Er kannte die Strecke auswendig, da er sie täglich zweimal fuhr, zur Arbeit und zurück, aber er war so tief in seine Gedanken versunken, dass er das Gefühl hatte geweckt zu werden, als er bemerkte, dass Megan sich bewegte.
Sie schnallte sich ab, er sah, dass es sie alle Mühe kostete, weil sie kaum fähig war sich zu bewegen. Erst wollte er protestieren, ihr klar machen, dass sie angeschnallt bleiben musste, doch als Megan sich mit dem Oberkörper über seine Beine legte, ließ er es zu.
Er strich ihr die Haare aus ihrem wunderschönen Gesicht, sie starrte nach draußen, beobachtete die vorbeiziehenden Lichter der Straßenlaternen oder den Regen.
Das Lied stimmte ihn noch sentimentaler. Es war das letzte Lied für mehrere Jahre, das er gemeinsam mit Megan hören würde. Es war ein religiöser Text, kein Liebeslied, aber die Melodie war so unfassbar melancholisch, gerade in diesem Moment, dass er völlig darin verloren ging.
„Es wird alles gut, Kleines. Wir sind gleich zuhause…“ sagte er leise und ließ seine Hand an ihrer Schulter liegen. Megan wirkte so schmal und hilflos.
Zuhause angekommen war sie wieder ohnmächtig geworden.
Jake trug sie aus seinem Auto zum Haus, suchte nach dem Ersatzschlüssel, fand ihn unter einem Blumentopf. Er ließ die Haustüre hinter sich ins Schloss fallen. Vorsichtig darauf bedacht nirgends ihren Kopf anzustoßen trug er sie nach oben in ihr Schlafzimmer und legte sie auf ihrem Bett ab.
Er hätte sich in diesem Moment für eine Weile aus dem Staub machen können, aber was hätte das gebracht? Er hätte es ja doch nicht lange ausgehalten ohne Megan.
Er setzte sich neben sie.
Natürlich würde Ken ihn verraten, das stellte er gar nicht infrage. Bald würde die Polizei hier eintreffen, doch alles was er wollte, war in seinen letzten Minuten in Freiheit Megan anzusehen.
Sie sah so friedlich aus, so makellos schön. Ihre langen Wimpern warfen lange Schatten auf ihre Wangen, ihre Lippen waren nur leicht geöffnet, als warteten sie darauf von ihm geküsst zu werden.
Er strich ihr über die Wange, verharrte dort mit seiner Hand, an ihrer zarten Haut. Er wollte sie küssen, gerade jetzt, wo sie sich ihm nicht verweigern konnte, alles was er tun musste, war sich herabzubeugen und das zu tun, wonach er sich seit Jahren sehnte. Vor allem dann, wenn er sah wie sie Ken küsste (und es nicht verstand wie Ken sie hin und wieder abwies) oder wenn sie ihre Lippen zu einem kleinen Schmollmund verzog, wenn sie angestrengt nachdachte.
Aber er brachte es nicht übers Herz es in diesem Moment zu tun.
Sie würde sich nicht daran erinnern können, sie war völlig weggetreten. Und er wollte sich bestimmt nicht auf das Niveau dieses Kerls herablassen, der heute Abend Hand an sie gelegt hatte.
Noch immer hallte das Lied in seinen Gedanken nach, das sie gerade im Auto gehört hatten. Für den Rest seines Lebens würde dieser Song ihn verfolgen, würde ihn an diesen einen Moment erinnern.
Sanft strich er mit seinen Fingerspitzen an ihrem Arm entlang, konnte den Blick nicht von ihr abwenden und als Ken mit seinen Kollegen eintraf, kam er ihnen entgegen, mit erhobenen Armen, zeigte ihnen mit einem Kopfnicken in Richtung des Wohnzimmertisches, dass dort die Waffe lag und ließ sich bereitwillig festnehmen, das Bild von Megans Gesicht fest in seine Erinnerungen eingebrannt.
24
Donnerstag, 01.Juli 2010
Annäherungen im Schutzkeller
Megan 23, Ken 30, Jake 27
Ken sah sonst nie während seinen Schichten zuhause vorbei. Wahrscheinlich wollte er sehen, ob das Haus noch stand.
Jake sah dabei zu, wie sein Bruder sich von seinem Streifenwagen zur Haustüre durchkämpfte.
Es war noch immer stürmisch, hatte gerade für einen Moment nachgelassen, war nicht mehr so schlimm wie noch vor zwei Stunden, aber man konnte sich nie sicher sein, ob der Twister schon vorbei war.
Der Morgen dämmerte bereits.
Er fragte sich, was Megan machte, ob sie sehr aufgewühlt war, wegen ihm, weil er sie allein zurück gelassen hatte.
An der Türe hatte er so lange gewartet, bis sie es mit eigener Kraft zurück in den Schutzkeller geschafft hatte und die Klappe hinter ihr zugefallen war, dann hatte er erleichtert ausgeatmet und sich seinen eigenen Gedanken hingegeben.
So sehr er es auch versuchte, er konnte sich nicht so verhalten, wie er es gerne wollte. Sie hatte angefangen Fragen zu stellen über die Nacht, in der der Schuss gefallen war, in der Nacht in der sie betäubt worden war und dieser Cowboy vorgehabt hatte sich an ihr zu vergehen. In der Nacht, in der er sie zum ersten Mal küssen wollte.
Er wusste, dass sie keine Ruhe geben würde, wenn er ihr nicht ausdrücklich klar machte, dass er nicht mit ihr reden wollte, sie würde nachhaken, so lange bis er schwach wurde und er seinen Bruder verriet.
Und sie würde es ihm ja doch nicht glauben! Für sie würde die Situation eindeutig sein: er stand auf sie, das hatte er ihr nicht nur gezeigt, sondern vor ein paar Tagen auch gestanden und würde nun seinen eigenen Bruder schlecht machen, nur um sie rumzukriegen. Genau so würde das in ihren Augen aussehen. Sie würde Jake kein Wort glauben und sie würde ihn nicht einmal mehr ansehen, nachdem er Ken diese furchtbaren Dinge vorgeworfen hatte.
Was blieb ihm also anderes übrig?
Er sehnte sich nach ihr. Er war ein ganzes Jahr von ihr getrennt gewesen. Ein Jahr und drei Monate, um genau zu sein. Und es war die Hölle für ihn gewesen, sie nicht wenigstens ansehen zu können. Er hatte sich geschworen, dass alles anders werden würde, wenn er zurückkam und endlich wieder in ihrer Nähe sein konnte. Und nun, da er die Möglichkeit hatte, ließ er sie alleine im Schutzkeller zurück und machte ihr weiterhin das Leben schwer.
Nur weil Charlie ihm ohne Punkt und Komma klargemacht hatte, dass sie sich niemals gegen Ken entscheiden würde.
Jake wollte nicht nur ihr Liebhaber sein oder ihre Affäre, er wollte sie ganz für sich gewinnen und es machte ihn innerlich fertig nicht zu wissen, wie er das tun sollte.
Und er hasste sich dafür, was er ihr antat.
„Was für ne Nacht.“ Ken zog sich seine Windjacke aus und warf sie auf die Couch.
Mit seinen schmutzigen Polizeistiefeln latschte er in die Küche und sah in den Kühlschrank. „Stromausfall…da werden die Leute zu nervenden Kleinkindern.“
Er nahm sich ein Bier und ging zurück zur Türe.
„Willst du nicht wissen wie es deiner Freundin geht?“ wollte Jake fragen, doch er unterließ es. Zu offensichtlich, er setzte sich niemals für Megan ein.
„Hast du jemals mit dem Gedanken gespielt die Wahrheit zu sagen?“ fragte Jake stattdessen. Ken war bereits wieder auf dem Weg nach draußen.
„Ich weiß nicht wovon du redest.“ Er grinste schief.
„In dem ganzen Jahr nicht?“ Jake blieb ernst.
„Nicht wirklich.“ Ken lachte gehässig auf und zog die Türe hinter sich zu.
Jake wartete, bis Ken und sein Kollege sich mit dem Polizeiwagen entfernt hatten, dann ließ er sich auf die Couch sinken. Eine halbe Ewigkeit saß er dort, den Kopf in die Hände gestützt, nachdenkend.
Die Sonne ging noch nicht auf, aber es war bereits heller als vor vier Stunden, als sie sich auf den Weg in den Schutzkeller gemacht hatten.
Jake kämpfte sich durch den heulenden Wind, hielt sich schützend die Unterarme vor die Augen, weil ihm der aufgewirbelte Sand und kleine Zweige oder Blätter entgegen geweht wurden.
Es wurde langsam ruhiger, aber er musste sich immer noch mit aller Kraft gegen den Wind stemmen um die Luke zu erreichen.
Er zog die Holzplatte am Griff nach oben und stieg die Stufen hinab. Über sich ließ er die Platte zufallen.
Er sah Megan an, dass sie sich nicht entscheiden konnte, ob sie wütend sein oder ihn versöhnlich ansehen sollte, sie blickte nicht auf, als er den Keller betrat, sondern starrte vor sich auf den Boden.
Sie saß da, ein Kartenspiel in der Hand und hatte augenscheinlich gegen sich selbst gespielt.
„Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist…“ sagte sie so leise, dass es fast ein Flüstern war, den Blick weiterhin nach unten gerichtet.
Er ließ sich vor ihr auf die Knie sinken, wartete so lange ab, bis er sich sicher war, dass sie nicht zurückweichen würde, dann näherte er sich ihr langsam und küsste sie so zärtlich, wie noch nie zuvor eine Frau in seinem Leben.
Sie schmeckte nach Zuckerkringeln und er musste beim Gedanken daran lächeln, wie überdreht sie vor wenigen Stunden gewesen war und wie sehr er sich hatte zusammenreißen müssen um nicht in lautes Gelächter auszubrechen, als sie begann mit den Dingern umher zu schnalzen.
Er wollte ihr zeigen, dass er sie nicht nur deshalb ins Bett kriegen wollte, weil er scharf gewesen war, sondern dass sie ihm wirklich etwas bedeutete und er ihr nah sein wollte. Es fiel ihm schwer diesen Schritt zu gehen. Es war nicht leicht einem Menschen, den man sein Leben lang fertiggemacht und erniedrigt hatte, nun seine wahren Gefühle zu offenbaren.
Nie zuvor war es ihm wichtiger gewesen, was eine Frau von ihm hielt, mit welchen Augen sie ihn sah, was für ein Bild sie von ihm hatte.
Sie schloss die Augen, gab sich ihm hin, küsste ihn ebenfalls, erst zaghaft, dann wurde sie stürmischer. Mit beiden Händen hielt er ihr Gesicht fest, er hörte sein Herz rasen und ihres ebenfalls.
Sie ließ die Karten fallen, stützte sich mit einer Hand an seinem Oberschenkel ab, mit der anderen strich sie ihm über die Wange, durchs Haar, verharrte an seinem Hals, ihre Hand fühlte sich kühl an an seiner Haut.
Sie setzte sich auf, dirigierte ihn zu der Matratze hinüber, auf der sie vorhin gemeinsam gesessen waren.
Sanft, aber mit Nachdruck drückte sie ihn in eine liegende Position, setzte sich auf ihn, ohne dabei von seinen Lippen zu lassen.
Er lächelte. Er war augenblicklich heiß auf sie.
Schon seine Gedanken reichten für gewöhnlich, um fast zu explodieren. Sie aber in Wirklichkeit auf sich zu spüren, brachte ihn fast um den Verstand.
„Hey, immer langsam.“ Flüsterte er, als sie ihm das T-Shirt über den Kopf ziehen wollte.
Ihre Irritation belustigte ihn, aber er wollte ihr zeigen, wie ernst seine Absichten waren. So schwer es ihm auch fiel, er bestand darauf, dass sie an dieser Stelle innehielten.
Er küsste sie fast ununterbrochen. Lange und innig, zärtlich, aber nicht so wild, dass es zu mehr führte. Sie schmiegte sich zwischendurch an ihn, legte ihren Kopf auf seine Brust, gemeinsam träumten sie, starrten vor sich hin und fühlten sich federleicht und miteinander verbunden.
Es musste über eine Stunde vergangen sein, als Jake sich aufsetzte. Er stand auf und zog sie mit sich.
„Ich denke wir können wieder zurück.“
Tatsächlich hatte der Sturm aufgehört.
Nebeneinander gingen sie zurück zum Haus, ohne sich jedoch dabei zu berühren, nur für den Fall dass Ken zurück gekommen war und in den Garten sah. Ein paar Regentropfen kühlten sie angenehm ab, die Sonne war mittlerweile aufgegangen, versteckte sich jedoch hinter dunklen Wolken. Es war einer dieser Tage an dem es nicht richtig hell werden würde.
Megan hatte nur Augen für Jake, sah nicht einmal was der Sturm mit ihrem geliebten Garten angerichtet hatte.
Sie war an seiner Seite, er hatte sie geküsst, sie lange Zeit einfach nur angesehen, so wie Verliebte es taten. Fast so, wie Ken es vor so vielen Jahren getan hatte – nur dass Jakes Blicke viel intensiver waren.
Jake ließ ihr den Vortritt ins Haus und sie stellte erleichtert fest, dass auf den ersten Blick alles am Haus noch in Ordnung war. Meist machten die Nachrichtensprecher mehr Panik als es am Ende schlimm war, aber vorher konnte eben niemand mit Sicherheit sagen, wie so ein Sturm verlief.
„Frühstück?“
„Ich mache Kaffee.“ Jake lächelte, weil es sich anfühlte wie eine Beziehung. Und es fühlte sich so gut an wie nie zuvor.
Gemeinsam standen sie in der Küche. Megan bereitete den Obstsalat mit Früchten aus dem Garten vor und backte Brötchen auf, Jake kümmerte sich um den Kaffee, machte Milch heiß für Megans morgendliche heiße Schokolade und richtete das Frühstück auf dem Wohnzimmertisch.
Er konnte kaum die Finger von ihr lassen. Immer wieder küsste er ihren Nacken, strich ihr durch das lange Haar oder sah sie einfach nur an.
Dann setzten sie sich mit ihren Tellern und Tassen auf die Couch im Wohnzimmer, die Jake in den letzten Nächten als Bett gedient hatte und augenblicklich fuhr Megan ein Schauer über den Rücken, weil sie das Gefühl hatte tatsächlich auf Jakes Bett zu sitzen, obwohl es ihre eigene Couch war.
„Verdammt kalt.“ Bemerkte Megan in ihrem Obstsalat herumstochernd.
Jake wickelte seine warme Decke um Megan, küsste zärtlich ihre Stirn, bevor er sich seinem Brötchen widmete.
„Du weißt, ich werde nicht locker lassen.“ fing Megan fast schüchtern erneut das Thema auf, wegen dem sie sich vor Stunden in die Haare bekommen hatten.
Jake hielt inne, legte sein Brötchen auf den Teller zurück. Einen Moment lang fürchtete sie, er würde erneut wütend werden. Doch wieder reagierte er anders, als sie angenommen hatte.
„Ich kann dir nicht sagen, was passiert ist…Wirklich nicht. Bitte frag mich nicht mehr danach.“ Seine Stimme klang versöhnlich, entschuldigend, aber dennoch bestimmt.
Sie sah auf. „Nur eine einzige Frage.“ Sie holte tief Luft. „Hast du geschossen?“
Er schluckte, wich ihrem Blick jedoch nicht aus. „Die Spurensicherung hat Schmauchspuren an meiner Hand gefunden oder? Und meine Fingerabdrücke auf der Waffe.“
„Das beantwortet meine Frage nicht.“ Jake sah ihr an, dass sie ahnte, dass etwas nicht stimmte. Er fragte sich, wie sie darauf kam, sie konnte doch nicht wirklich nur durch ihre Intuition am Tathergang zweifeln?
„Ich werde dir darauf nicht antworten.“
„Warum nicht? Was ist so schlimm daran mir zu sagen was passiert ist? Was springt für dich dabei raus? Du hast deine Zeit im Gefängnis abgesessen, was könntest du denn schon verlieren?“
Er hielt ihrem Blick immer noch stand, auch wenn es ihm schwer fiel.
„Dich.“ Antwortete er mit brüchiger Stimme.
Sie starrte ihn an, ihr Mund öffnete sich wie zum Protest und klappte wieder zu. Ihre Stirn zog sich in Falten, er sah wie sie mit sich kämpfte, wie innerhalb einer Sekunde tausend Fragen in ihrem Kopf aufgekommen waren. Wie ihr klar wurde, dass er ihretwegen etwas verschwiegen hatte und ihretwegen die Zeit im Gefängnis abgesessen hatte, anstatt die Wahrheit zu offenbaren.
Er war so kurz davor, ihr doch alles zu erzählen, auch auf die Gefahr hin, dass sie wütend wurde und er sie endgültig von sich und somit in Kens Arme stieß. Aber vielleicht glaubte sie ihm auch und er gewann sie für sich.
Und genau in diesem Moment öffnete sich die Haustüre.
Megans Augen wurden groß, sahen ihn erschrocken an. Sie sprang auf, rannte mit ihrer heißen Schokolade in die Küche so schnell sie konnte, während Jake sitzen blieb, sich zurück lehnte, als wäre er soeben erst aufgewacht und hätte allein im Wohnzimmer gefrühstückt. Mittlerweile kam er mit seinen Gewissensbissen besser zurecht, vor allem nachdem er die Reaktion seines eigenen Bruders, diese Gleichgültigkeit heute Nacht erlebt hatte.
Fast wünschte Jake sich von Ken erwischt zu werden.
„Morgen.“ Ken kam ins Wohnzimmer gelaufen. „Schon wach?“
Er tat als wäre nichts weiter vorgefallen. Die Fragen seines Bruders vor wenigen Stunden schien er völlig vergessen zu haben.
„Ja. Bei dem Sturm kann man nicht wirklich schlafen.“ Jake spielte mit. Es war besser so. Klar hätte er Ken gern seine Meinung gegeigt, aber die Gefahr, dass er ihn aus Megans Haus warf war zu groß und er war sich nicht sicher ob Megan eingreifen und hinter ihm stehen würde. Diese neue Art zwischen ihnen, was auch immer es war, begann gerade erst sich zu entwickeln, da konnte er sich ihrer noch nicht sicher sein.
„Is' Megan da?“ er klang nicht wirklich interessiert, aber immerhin fragte er.
„In der Küche.“
Er ging zum Wohnzimmertisch, nahm sich ein Brötchen mit und verschwand damit nach oben. Er sah Megan nicht einmal an.
Sie blieb im Türrahmen stehen, mit gesenktem Kopf, so lange bis er verschwunden war.
Sie hatten noch eine Stunde Zeit vor der Arbeit. Megan traute sich nicht mehr in Jakes Nähe aus Angst Ken könne noch einmal nach unten kommen. Sie begann sich fertig zu machen für die Arbeit und wartete anschließend schweigend am Esszimmertisch sitzend bis Hank und Charlie draußen hupten.
25
Freitag, 02. Juli 2010
Die Hitze der Gefühle
Megan 23, Ken 30, Jake 27
Während die Männer sich über Kartoffeln, Fleisch und Gemüse hermachten, welches sie in der letzten Stunde zubereitet hatte, sah Megan sich nach Jake um. Er war nicht mit den anderen erschienen.
Sie ging unbemerkt nach draußen, die Männer waren zu beschäftigt zu essen. Megan sah hinüber zu den Feldern, fragte sich, ob ihm etwas passiert sein könnte, aber andererseits war sie sich sicher, dass das nicht der Fall war, die Männer achteten ständig aufeinander und vor allem Hank und Charlie hatten immer ein Auge auf Jake. Manchmal hatte sie das Gefühl die beiden wären so etwas wie Ersatzväter für ihn, auch wenn sie wie gute Kumpels miteinander umgingen.
Megan schlenderte über den Hof hinüber zu den Stallungen.
Ob er nicht zum Essen kam, weil er ihr aus dem Weg gehen wollte? Wegen gestern?
Nachdem sie die Nacht im Schutzkeller verbracht und sich am nächsten Morgen so innig geküsst hatten, war er ihr bei der Arbeit wieder den ganzen Tag aus dem Weg gegangen. Als sie nach Feierabend nachhause fahren wollten, hatte er beschlossen zu Fuß zu gehen. Hank und Charlie hatten ihn zwar mit großen Augen angesehen, aber nichts dagegen eingewendet.
Er war so unglaublich nachdenklich seit dem Sturm.
Megan hatte auf der Heimfahrt die Blicke von beiden im Rückspiegel gespürt, aber sie wusste ja selbst nicht, was mit Jake los war. Im einen Moment war sie sich seiner so sicher, im nächsten zweifelte sie fast daran, dass all das wirklich passiert war und hielt es eher für einen Tagtraum. Real fühlte es sich jedenfalls nicht an.
Die Türe der Scheune stand halb offen, sie ging hinein und sofort trat ihr der intensive Geruch von frischem Heu in die Nase.
Ihre Augen mussten sich erst an das Halbdunkel gewöhnen. Hier in der Scheune war es angenehm kühl, so kühl, dass ihr sofort die feinen Härchen an ihren Armen abstanden. Ein weiterer wohliger Schauer ergriff ihren Körper als sie ihn entdeckte, seine Shilouette im schummrigen Licht, das nur durch ein paar Risse in der Holzwand fiel und die Scheune gespenstig erscheinen ließ.
Jake saß mit gesenktem Kopf auf einem der Heuballen und sah nachdenklich aus.
„Keinen Hunger?“ fragte sie, langsam auf ihn zugehend. Das Kribbeln tief in ihrem Magen begann, wie immer in letzter Zeit, wenn sie ihm näher war als gewohnt.
Er schüttelte den Kopf.
„Gehst du mir aus dem Weg?“ Sie erreichte ihn, blieb nah an seiner Seite stehen. Sie erwartete eine Abfuhr von ihm, eine Reaktion wie sie sie nur allzu gut von ihm kannte, doch stattdessen schob er seine Hand um ihre Hüfte und zog sie an sich, ohne aufzusehen.
Er legte seinen weißen Cowboyhut zur Seite und lehnte seinen Kopf an ihre Brust.
Megan strich ihm durchs Haar, wartete einen Moment, genoss die feste Umarmung seines starken Armes. In ihrem Innern tobte es jedes Mal wenn er sie berührte.
Er konnte bestimmt ihr Herz klopfen hören. Sie war garantiert ganz leicht zu durchschauen. Sie begann zu zittern, wenn er sie küsste, wurde sogar schon unsicher, wenn er in ihre Richtung sah, fragte sich ununterbrochen, was er von ihr hielt.
Er dagegen war nicht so leicht durchschaubar. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was er dachte, was er als nächstes tun oder sagen würde. Meist tat er genau das Gegenteil von dem, was sie erwartete. Jedenfalls in letzter Zeit.
Langsam ließ sie sich rittlings auf seinen Schoß gleiten, er öffnete bereitwillig seine Arme und zog sie an sich.
Sie war seit den gestrigen Vorkommnissen noch heißer auf ihn als ohnehin schon. Sie hatte sehr wohl gemerkt, dass er zurückgerudert hatte um alles langsam anzugehen, um ihr zu zeigen, dass er mehr wollte als eine Affäre.
Und es hatte ihr gefallen. Er hatte sich nicht abweisend verhalten, so wie Ken manchmal, sondern versuchte seine Erregung zu unterdrücken. Und oh, war er erregt gewesen! Sie hatte es gespürt, aber versucht zu ignorieren. Er hatte sich nur ihr gewidmet, hatte sie umarmt, gestreichelt, geküsst, angesehen.
Dennoch… nach dem gestrigen Sturm, nach der Gefahr die um sie herum geherrscht hatte, war sie immer noch so voller Adrenalin und sehnte sich noch stärker nach ihm als sonst.
Seine starken Hände fuhren über ihren Rücken, verursachten wohlige Schauer bei ihr. Wenn sie heute in sein nachdenkliches Gesicht sah, fiel ihr eine Veränderung auf. So hatte er sie noch nie angesehen. Seine sonst so wilden Augen, versprühten heute nicht so viel Lebensfreude wie sonst, sondern strahlten eine Melancholie aus, die sie weich werden ließ. Sie strich ihm die Haare zurück, er erwiderte ihren Blick, erkannte die Leidenschaft darin und war sofort zurück, erwachte augenblicklich aus seiner Starre.
Sie hatte ihn schon zuvor begehrend angesehen, aber noch nie so leidenschaftlich und sehnsüchtig wie jetzt.
Sie ließ einen Augenblick verstreichen, zögerte den Moment heraus, in dem sich ihre Lippen treffen würden, bis er es kaum noch erwarten konnte, dass sie ihn endlich küsste.
Mit einer Hand griff er in ihren Nacken und zog sie ungeduldig an seine Lippen.
Sie küssten sich wild, wie Verhungernde, die sich ihr Leben lang nichts anderes gewünscht hatten. Sie presste sich an ihn, er fuhr mit seinen Händen an ihren Oberschenkeln entlang, unter ihr Kleid, sie machte sich an seiner ausgeblichenen Jeans zu schaffen.
Als sie es nicht sofort schaffte sie zu öffnen, stand er auf, trug sie zu einem der hüfthohen Schränke, in denen das Werkzeug aufbewahrt wurde und setzte sie eilig darauf ab, ohne von ihren Lippen zu lassen. Er öffnete seine Hose in Windeseile, sah ihr tief in die Augen, als er ihr Höschen zur Seite schob und fest in sie eindrang. Ohne die Augen dabei von ihren abzuwenden. Sein Blick, als könne er etwas in ihr lesen, wenn er sie nur tief genug ansah, als hätte sie eine Antwort auf seine Traurigkeit.
Sie wollte seinem Blick standhalten, doch als sie ihn in sich spürte, schloss sie die Augen und biss sich auf die Unterlippe. Niemals zuvor hatte sie sich anziehender gefühlt als mit Jake, nie zuvor erotischere Momente erlebt.
Als er begann sich langsam in ihr zu bewegen, ließ sie den Kopf zurück fallen und genoss seine Küsse, die ihre Brüste bedeckten.
In diesen Momenten mit ihm, hatte sie das Gefühl sich fallen lassen zu können wie sonst nie. Sie versuchte immer die Kontrolle zu behalten, immer und überall einen guten Eindruck zu hinterlassen, alles richtig zu machen... Doch wenn Jake auch nur einen Hauch Interesse an ihr zeigte, war sie sofort scharf auf ihn und wollte augenblicklich über ihn herfallen.
Und es war eindeutig, dass diese Anziehungskraft nicht nur von ihr aus ging.
Charlie und Hank sahen ihnen entgegen, als einige Zeit später erst Megan, dann Jake die Scheune verließen, mit erhitzten Gesichtern und zerwühltem Haar. Hank schmunzelte, Charlie schüttelte verärgert den Kopf.
Doch beide, sowohl Megan als auch Jake, waren so aufgewühlt und überglücklich, dass sie keinen von beiden wahrnahmen.
26
Montag, 05. Juli 2010
Unsicherheiten
Megan 23, Ken 30, Jake 27
Über das Wochenende verteilt hatte sie hin und wieder Kens Blicke aufgefasst. Seine Wut war mittlerweile verraucht, seine Blicke waren fast reuevoll.
Gestern Abend war er zum ersten Mal seit einer halben Ewigkeit wieder früher zu ihr ins Bett gestiegen, mit der Absicht, sich zu versöhnen, das hatte er durch sein nervöses Räuspern gezeigt.
Sie hatte sich schlafend gestellt, als er sie an sich zog und umarmte.
Erst als seine Atemzüge regelmäßig wurden und sie sich sicher war, dass er schlief, hatte sie sich aus seiner Umarmung befreit. Sonst hätte sie unmöglich schlafen können.
Jetzt stand sie mit Jake hinter der Garage im Garten, sah ihm in die Augen und konnte die Schuld in ihren eigenen Augen nicht verstecken. Er spielte mit einer ihrer Strähnen, wickelte sie um seinen Finger und sah dabei zu, wie sie sich wieder abrollte, wenn er los ließ.
„Was ist los mit dir?“ fragte er heißer.
Als sie nicht gleich antwortete, sondern seinem Blick auswich, ließ er von ihr ab.
Er trat einen Schritt zurück, wartete ab, was sie zu sagen hatte.
„Ich kann ihm das nicht antun. Ich bin so nicht. Ich erkenne mich gar nicht wieder.“ Sie begann zu zittern, weil sie wusste, wie schnell Jake die Fassung verlieren konnte.
Sie wartete regelrecht auf den Moment in dem er ausrasten würde. Oder dass er brüllte „Und das fällt dir jetzt erst ein?!“ Oder würde er einfach gehen und sie wieder ignorieren? Sie wusste nicht, was davon schlimmer sein würde.
„Ich weiß.“ Flüsterte er stattdessen. Er trat wieder an sie heran und nahm sie in den Arm.
Wie lange konnte man einen Menschen kennen, ohne wirklich zu wissen wie er sich verhielt? Sie konnte nicht fassen, wie falsch sie ihn ständig einschätzte. Er war so viel liebenswerter als alle anderen annahmen, so viel fürsorglicher, als er selbst bisher zugegeben hatte.
Er war als Aufreißer und Weiberheld bekannt, hatte er diese andere Seite an sich je einer anderen gegenüber gezeigt?
Es war nicht fair, wie sie sich ihm gegenüber verhielt, dass sie sich bei ihm über ihre Beziehung mit Ken ausließ, dass sie ihn an sie heran ließ, nur um ihn tags darauf wieder von sich zu stoßen, weil sie mit ihrem Gewissen kämpfte. Ihm ging es doch auch nicht besser.
„Es tut mir so leid, Jake. Ich wollte niemals eine von denen sein… Ich war immer stolz darauf, dass ich eine treue Freundin war. Es tut mir leid, dass ich dich da mit rein gezogen habe…“ Jake ließ sie los, ließ es jedoch zu, dass sie seine Hand nahm, verkeilte seine Finger mit ihren.
„Wie kommst du darauf, dass du mich dazu gebracht hast?“ er lachte leise auf. „Ich war derjenige der über dich hergefallen ist. Schon vergessen? Unsere erste Nacht?“ Zärtlich strich er ihr die Strähne aus dem Gesicht, mit der er zuvor gespielt hatte.
Sie schwieg.
„Sag mir was ich tun soll. Wenn du willst, dass ich dich in Ruhe lasse und ausziehe, dann tue ich das. Wenn du willst, dass ich bleibe, dann bleibe ich.“ Er holte tief Luft, so als wäre ihm bewusst, dass er ihr jetzt seine Seele offenbahren musste oder sie verlieren würde, dann fuhr er fort.
„Ich weiß, ich habe nicht den besten Ruf was Treue und Beziehungen betrifft, aber glaub mir, das ist nur der Fall, weil es immer nur du warst. Ich habe mich immer nach dir gesehnt. Ich wollte keine andere, aber irgendwann fangen die Leute an zu reden…“ Er stockte kurz und sie erinnerte sich an die Zeit, als ein Mädchen aus dem Dorf ihn als schwul beschimpfte, weil er sie hatte abblitzen lassen. Zwei Tage später war er bereits mit ihrer besten Freundin ausgegangen. Wahrscheinlich nur um es dem Mädchen heimzuzahlen. Und natürlich um die Gerüchte im Keim zu ersticken.
Megan sah ihm an, wie schwer es ihm fiel sich so zu öffnen. Er strich sich verzweifelt die Haare aus dem Gesicht und sofort fielen sie ihm zurück in die Augen. Gab es etwas, dass ihn nicht unwiderstehlich wirken ließ?
„Ich habe immer nur dich gesehen, Megan, deshalb hat nie eine Beziehung lange gehalten. Ich habe mich nicht genug darum gekümmert, weil mich keine andere wirklich interessiert hat.
„Ich will nur, dass du das weißt… dass du weißt, dass ich immer bei dir bleiben würde, wenn du dich nur für mich entscheidest. Weißt du, was ich geben würde, um dich an meiner Seite zu haben? Um mein Leben mit dir zu verbringen und dich nicht teilen zu müssen?“ Er klang tatsächlich verzweifelt.
Sie schluckte.
„Tut mir leid.“ Sagte er sofort. “Ich will dir kein schlechtes Gewissen machen. Wenn du dich für ihn entscheidest, dann halte ich mich zurück und du brauchst dich auch nicht vor mir zu fürchten. Ich würde es verstehen. Ich meine, ihr seid schon ewig zusammen… Sag mir nur, ob es dir lieber ist, dass ich gehe.“ Wieder wurde sein Blick melancholisch, so wie schon oft in den letzten Wochen, er sah sie intensiv an, seine grauen Augen dunkler als sonst.
Megan musste den Blick abwenden um nicht in Tränen auszubrechen. Sie lehnte sich neben ihm gegen die hüfthohe Backsteinmauer, die ihr Grundstück von den umliegenden Feldern abgrenzte. Eine Weile sagten sie gar nichts, standen nur nebeneinander und ließen ihren Gedanken freien Lauf, lauschten den Geräuschen des Waldes, waren sich ihrer beider Anwesenheit nur allzu bewusst.
Als Megan schließlich begann zu sprechen, zuckte Jake dennoch fast umerklich zusammen, als wäre er aus einer Trance erwacht.
„Ich will nicht, dass du gehst, du kannst bleiben so lange du willst. Aber das zwischen uns muss aufhören.“ Sagte sie so bestimmt, als wolle sie sich selbst überzeugen.
Sie sah vor sich auf den Boden, strich mit den Fußzehen über die bemoosten Stellen, die den Steinweg bedeckten, der zum Haus zurück führte. Früher hatte sie versucht das Moos zu entfernen, doch nach einer Weile hatte es ihr gefallen. Sie ging ständig barfuß durch den Garten und liebte das zarte Streicheln des Mooses an ihren Füßen. Außerdem sah ihr Garten verwunschen aus, je mehr sie ihn sich selbst überließ. Ken hatte aufgelacht, als sie ihm das erzählt hatte, aber er war ohnehin nicht so naturverbunden wie sie, er sah solche Dinge einfach nicht.
„Okay.“ Sagte Jake heißer. Sie sah ihm an, dass es alles andere als okay war. Er sah geknickt aus, schluckte schwer.
„Es tut mir leid.“ Flüsterte sie.
Er zwang sich ein letztes Mal zu einem Lächeln. Er nahm ihr Gesicht in beide Hände, beugte sich zu ihr und küsste sie sanft auf die Stirn. Dann drehte er sich um und ging.
27
Mittwoch, 07. Juli 2010
Im Pool
Megan 23, Ken 30, Jake 27
Sie saß auf der zweiten Stufe von oben im Pool, das Wasser reichte ihr nur bis zur Hüfte.
„Los komm rein, ist doch nicht zu kalt, oder?“
„Nein, schon okay.“ Sie lächelte, aber als er näher geschwommen kam, verschwand ihr Lächeln, sie stand augenblicklich auf und stieg eine Stufe höher.
Mit zittrigen Händen hielt sie sich am Geländer fest.
„Ich tu dir schon nichts!“ lachte er auf. Und erst in diesem Moment wurde ihm klar, wie sehr sie sich noch immer vor dem Wasser fürchtete und dass das allein seine Schuld war. Die Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag ins Gesicht.
„Du kannst nicht schwimmen, oder?“ fragte er vorsichtig.
Sie zögerte, dann schüttelte sie den Kopf.
„Komm her, ist nicht schwer. Ich werde es dir beibringen.“ Sagte er zärtlich.
„Nein, schon gut.“ Sie lachte unsicher, versuchte die Peinlichkeit zu überspielen.
Er ließ sie in Ruhe, schwamm eine weitere Bahn, beobachtete, wie sie langsam wieder eine Stufe tiefer stieg und sich im Wasser niederließ, kleine Welle an ihre Oberschenkel schwappend.
Er schwamm noch eine Bahn, und dann noch eine, sie sah ihm zu, sah genau hin, wie er seine Arme abwechselnd rechts und links von seinem Körper ins Wasser tauchte und bei jedem zweiten Mal nach rechts atmete.
Nach der dritten Bahn kam er langsam auf sie zu.
Sofort spannte sich ihr Körper an. Bereit aufzuspringen, beobachtete sie jede seiner Bewegungen. Er tat als würde er das nicht bemerken, ignorierte ihre Anspannung und ihren alarmierten Gesichtsausdruck. Langsam schwamm er an den Rand, etwa einen Meter entfernt von ihr und schüttelte sich das Wasser aus dem Haar, sodass auch sie ein paar Spritzer abbekam.
Er sah, dass ihre Knöchel weiß hervorstanden, an der Hand, die den Rand des Beckens umklammert hielt.
Ihm war bewusst, dass sie komplett dicht machen würde, wenn er weiter versuchte sie zu überreden, also ließ er es sein.
„Wie läuft es bei der Arbeit?“ fragte er beiläufig.
Sofort stand sie auf. „Oh wirklich? Ist das dein Ernst?“
Er sah sie irritiert an, obwohl er wusste was sie meinte. Natürlich hatte sie ihn durchschaut. Nicht nur, weil sie den gleichen Arbeitsplatz hatten und er genau wusste, wie es bei der Arbeit lief. Aber er hatte keinen blassen Schimmer, über was er mit der Frau reden sollte, mit dem er sein ganzes Leben lang nicht gesprochen hatte. Sie hatten gemeinsam so viel erlebt, aber sich dabei dennoch ignoriert.
„Du denkst allen Ernstes, ich gehe mit dir ins Wasser, wenn du mich mit belanglosem Zeug zuquatschst und so Vertrauen zu mir aufbaust? Denkst du allen Ernstes ich könnte dir jemals vertrauen? Nach allem…? Vergiss es!“
Kaum hatte sie es gesagt, bereute sie es. Er sah es ihr an. Sie wollte ihm nichts von den Dingen vorhalten, die er ihr angetan hatte.
Er sah den Stress, den das Wasser ihr verursachte, sah die Angst in ihren Augen.
Er hob entschuldigend die Hände und schwamm langsam davon.
Jetzt war es Megan, die irritiert schaute.