Juli 1968, Australian Catholic Record

Pater W. Dunphy

Es wäre äußerst unklug zu bestreiten, dass viele Priester, vielleicht sogar die Mehrheit, jung und alt, zutiefst verstört sind, was ihre Stellung in der Kirche betrifft. Der Priester hat das Gefühl, keine Autorität mehr zu besitzen. Die einst überragende Bedeutung für seine Schäfchen hat einiges an Glanz eingebüßt.

Ich betrachtete den Umschlag genau, aber er sagte mir nichts. Ich fragte:

»Irgendeine Ahnung, wer es sein könnte?«

Sie schüttelte den Kopf. Ich war versucht zu sagen:

»Ich werde meinem Kollegen sagen, er soll es sich mal ansehen.«

Aber sie war zu aufgewühlt für leichtfertige Scherze. Ich wusste nicht, was ihrer Ansicht nach ein Exsäufer, frisch aus der Klapse, tun konnte. Auch dies sagte ich nicht, sondern:

»Wie wär’s, wenn ich Ihr Haus ein paar Tage lang im Auge behalte, mir ansehe, wer sich so zeigt?«

Sie sah mich an, fragte:

»So was haben Sie vor? Das ist wie eine Rückkehr in Ihren alten Job, und der hat ein schweres Trauma bei Ihnen bewirkt.«

Dagegen ließ sich nichts sagen, also versuchte ich es so:

»Ich werde ja nur kucken. Wenn ich eine Spur finde, die zu jemandem führt, sage ich’s Ihnen, und Sie machen dann weiter.«

»Worauf Sie sich verdammte Scheiße verlassen können.«

Die Wildheit verblüffte uns beide. Wellewulst, der Temperamentsausbrüche durchaus nicht unbekannt waren, gebrauchte selten obszöne Ausdrücke und legte die Hand vor den Mund, um einen weiteren Schwall zu verhindern, sagte:

»Ich lasse mir nicht gern Angst einjagen.«

Fast hätte ich gelacht, konnte mich aber beherrschen, fragte:

»Kommen Sie, Wellewulst, wer mag das schon?«

Sie hob die Kaffeekanne hoch, schüttelte sie, goss etwas in eine Tasse, schwenkte sie im Kreis, bis ein kleiner Kaffeestrudel entstand, und stellte die Tasse wieder auf den Tisch.

»Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie es für mich ist, eine Frau bei der Polizei? Da machen sie all diese positive PR, wir wären ein wesentlicher Bestandteil. In Wirklichkeit können die sich im Leben nicht vorstellen, dass wir mit einem Hurlingschläger und einem Verdächtigen in eine dunkle Gasse gehen, um den Fall ›auf altmodische Weise‹ zu lösen.«

Da ich mit Hurlingschlägerschlägen als Empfänger und Verteiler, in Gassen und anderswo, Erfahrung hatte, fragte ich:

»Ist es das, was Sie wollen? Einen Schuft in eine Einfahrt schubsen, ihn mit einem Knüppel bearbeiten?«

Sie machte sich nicht die Mühe zu antworten, fuhr fort:

»Und als Lesbe schon gar nicht. Jeden einzelnen Tag habe ich gegen diese Diskriminierung zu kämpfen – dass die Polizistinnen schlimmer sind als die Männer. Aber ich bin Polizistin und will Polizistin sein. Wenn mir von außen Angst eingejagt wird, werde ich nie fähig sein weiterzumachen.«

Ich hatte nicht den Eindruck, dass ein Kommentar zu ihrer Sexualität willkommen wäre, und fragte:

»Was macht Sie so sicher, dass die Drohungen von außen kommen?«

Sie sah mich voll Entsetzen an, sagte:

»Oh nein, damit käme ich nicht zurecht. Das muss von außerhalb kommen, hören Sie? Es kann kein Polizist sein.«

Ich ließ das so stehen, sagte mit einer Zuversicht, die nicht die meine war:

»Ich werde es überprüfen.«

Als sie mir gerade heftig dankbar zu werden drohte, fügte ich hinzu:

»Und sowieso, wen haben Sie sonst?«

Ich dachte mir, es könnte nicht schaden, meinerseits um eine kleine Gefälligkeit zu bitten, und holte den Zettel mit den drei Namen heraus, den Pater Malachy mir gegeben hatte, legte ihn auf den Tisch, fragte:

»Können Sie mir für diese Typen einen Hintergrund besorgen?«

Sie hob die Liste auf, Unglauben auf dem Gesicht, sagte:

»Sie können doch wohl nicht … Sie arbeiten an etwas.«

Ich hielt meinen Gesichtsausdruck neutral, beharrte:

»Nein, nein, ich habe einem Freund versprochen, dass ich Erkundigungen über sie einziehe, ist eine Versicherungskiste.«

Sie kaufte es nicht, sagte:

»Sie sind nicht in Form für so was.«

Ich streckte die Hand nach der Liste aus, schnappte:

»Schön, vergessen Sie’s.«

Sie faltete den Zettel zusammen, sagte:

»Ich werde sehen, was ich tun kann.«

Um über diesen Moment hinwegzukommen, berichtete ich ihr von Mrs Bailey, der Erbschaft, der Wohnung in der Merchant’s Road. Sie erlaubte sich ein kleines Lächeln, sagte:

»Ein bisschen Glück können Sie gut gebrauchen.«

Überraschte mich, so nah an Wärme dran war sie noch nie gewesen.

»Freut mich, dass Sie das freut.«

Sie stand auf, bereit zu gehen, und ich hatte den Eindruck, unser Verhältnis könnte sich endlich einen Zollbreit bewegt haben. Sie sagte:

»Ich habe nicht gesagt, dass es mich freut. Ich habe gesagt, Sie können es gut gebrauchen. Verdient haben Sie es weiß Gott nie.«

Wie ich sagte …, einen Zollbreit.

Wellewulst hatte ein Haus in Palmyra Park gemietet, auf dem Weg nach Salthill. Ich wusste nicht, wie ich unbemerkt die Bude beobachten sollte. Wenn ich in einem Auto saß, rief früher oder später jemand die Polizei. Auf die Straße stellen konnte ich mich schon gar nicht. Direkt gegenüber gab es ein Haus mit Bed & Breakfast-Schild. Beschloss, es drauf ankommen zu lassen, klingelte. Die Frau, die mir öffnete, war in den Sechzigern, freundlich und hausbacken. Ich hatte mich angezogen, um zu beeindrucken – Blazer, weißes Hemd, Schlips –, sagte, ich würde eine Woche lang in der Stadt sein, ob was frei wäre?

Sie sagte:

»Sie hat Gott gesandt.«

Was übertrieben schien, sich aber eindeutig zu meinen Gunsten auslegen ließ. Ich fragte:

»Viel zu tun?«

Sie rollte die Augen gen Himmel, sagte:

»Sobald die Pferderennen vorbei sind, sind wir in Scharwulitäten.«

Sie hätte auch Schwulitäten sagen können, aber Scharwulitäten ist eindeutig schöner und länger als Schwulitäten, und mit schwul hatte das alles sowieso nichts zu tun – es geschah einzig um des Wohlklangs willen, damit das Wort einen vollen und widerhallenden Geschmack bekam. Wir lieben es, unseren Wortschatz zu schmecken, ihn im Mund hin und her zu rollen, voll erblühen zu lassen.

Ich tat das Schlaue, zog mein Portemonnaie, legte ihr Scheine in die Hände, sagte:

»Wäre es möglich, ein Zimmer mit Blick auf die Straße zu bekommen?«

Sie starrte das Geld an, sagte:

»Sie können jedes Zimmer haben, das Sie wollen, seit Sonntag war kein Sünder mehr da.«

Jetzt kam der schwierige Teil. Ich versuchte es:

»Ich werde oft auf meinem Zimmer sein. Ich stelle für die Fremdenverkehrsbehörde einen Reiseführer zusammen und habe viel Papierkram zu erledigen. An manchen Tagen werde ich unterwegs sein, dann ist mein Assistent hier, ein junger Mann, sehr ansehnlich.«

Damit hatte sie kein Problem, fragte nach Mahlzeiten. Ich sagte, ein Teekessel, mehr brauchen wir nicht. Sie hieß Mrs Tyrell, sie war Witwe, und ihre Tochter half ihr, neben dem College, beim B&B. Dann verdrehte sie die Augen, sagte, Mary studiere Geisteswissenschaften, fuhr fort:

»Geisteswissenschaften … Ich wollte, dass sie Naturwissenschaften macht, das ganze Land weint sich die Augen nach Naturwissenschaftlern aus, aber da kann man sich ja den Mund fusselig reden. Jungs und Kneipen, dafür ist sie immer zu haben. Schade, dass Jungs und Kneipen kein Studienfach sind, dann hätte sie schon längst ihr Staatsexamen.«

Ich lächelte, und sie fragte:

»Wann kann ich Sie erwarten?«

»Montag, wie wäre das?«

Schön wäre das, stimmte sie bei. Wir gaben uns die Hand, und ich war wieder draußen. Jetzt befand ich mich in der surrealen Position, drei Wohnungen zu haben, wie irre wurde es denn noch? Man kommt aus dem Irrenhaus und wohnt an drei Orten –, hatte irgendwie einen Sinn, einen verrückten, oder?

Ich ging in Richtung Promenade, und durch die Bewegung wurde mein Hinke-Schmerz ein bisschen gelindert. Blieb kurz stehen, konnte nicht glauben, was ich sah. Zwei Polizisten auf Mountainbikes! Mit Sicherheitshelmen, Leggings, kompletten Draußensportartenklamotten. Eine ältere Frau war ebenfalls stehen geblieben, sagte:

»Wie die aussehen, das sieht ja gar nicht aus.«

Sie muss siebzig gewesen sein, mit dieser Dauerwelle, die man bei Erreichen des Rentenalters dazubekommt, und weit offenen blauen Augen, die das Alter in ihre Höhlen zurückgedrängt hatte. Ihr Akzent war das reine Galway, wie man es heute kaum noch hört. Eine Mischung aus Vernunft und Schalk, das Harte durch die Geschwindigkeit der Vokale aufgelockert – sehnte mich prompt nach einer Kindheit zurück, die ich nie gehabt hatte. Ich fragte, unter Beachtung der Lokalidiomatik:

»Wann sind sie mit dem Fez angefangen?«

Sie beobachtete, wie die beiden an der Grattan Road abbogen und in Richtung Claddagh schnurrten, sagte:

»Arragh, vor ein paar Monaten. Stand sogar in der Zeitung, dass sie damit das Verbrechen besser bekämpfen können.«

»Merkt man schon einen Unterschied?«

Es war keine ernst gemeinte Frage, nur das irische Öl, um das Gespräch am Kochen zu halten. Sie sah mich an, als wäre ich nicht recht gescheit, sagte:

»Damit sollen sie hinter einem gestohlenen Auto her, das ein Bürschlein steuert, vom Apfelwein schier um den Verstand gebracht, mit mehr als hundert Meilen pro Stunde, und diese Jahrhundertgenies nehmen die Verfolgung auf? Mit dem Radel?«

Ein schönes Bild. Sie fügte hinzu:

»Zu dumm zum Scheißen.«

Und schlimmer kann es nicht mehr kommen. Sie sah mich genauer an, fragte:

»Kenne ich Sie?«

Ich streckte die Hand aus, sagte:

»Jack Taylor.«

Sie nahm meine Hand in ihre beiden Hände, fragte:

»Ist Ihre Mutter nicht gerade gestorben?«

»Doch.«

»Ah, ruhe sie in Gott, sie war eine Heilige.«

Ich versuchte, nicht zu fluchen. Als heilig bezeichnet man für gewöhnlich Personen, von denen man ums Verrecken keine Ahnung hat, wer sie gewesen sein mochten. Sie brabbelte etwas, was ich nicht verstand. Einen entsetzlichen Augenblick lang dachte ich, sie hätte die vorgeschriebenen zehn Rosenkränze angestimmt, dann:

»Jetzt ist sie jedenfalls besser dran.«

Ich nickte, da ich keine schlüssige Erwiderung hatte. Sie sagte:

»Die Stadt ist geradewegs auf dem Weg zur Hölle. Dieser arme Priester, den Kopf haben sie ihm abgenommen.«

Ich sagte, es sei tatsächlich schrecklich, unglaublich, und verlor mich in einem Klischee über Gottes unerforschlichen Ratschluss. Das schien ihr einen Ruck zu versetzen. Sie wiederholte:

»Unerforschlich … Unerforschlich ist da gar nichts. Ich weiß, wer’s war.«

Vielleicht löste ich den Fall gleich hier an der Bushaltestelle. Ich stupste sie an:

»Sie wissen, wer’s war?«

»Diese Asylanten, bringen Voodoo und heidnische Rituale in ein anständiges Land.«

»Oh.«

Ein Bus näherte sich, sie gab dem Fahrer ein Zeichen, sagte:

»Denken Sie an meine Worte, wenn Sie erfahren, dass ein schwarzer Mann der Mörder war.«

Als sie in den Bus einstieg, setzte sie hinzu:

»Ich werde ein Gebet für Ihre Mutter sprechen, das arme Geschöpf. Man ist ja nicht mehr sicher in seinem Bett …«

Polizisten auf dem Fahrrad. In meiner Kindheit war Galway eher ein Dorf als eine Stadt. Auf jeden Fall mental. Da gab es einen Polizisten, Hannon, der bei uns Streife fuhr, und der hatte ein Fahrrad mit richtigem Korb dran. Er fuhr einkaufen, zog seine Runden durch die Straßen, hielt an und einen kleinen Schwatz. Dabei hockte er schräg auf dem Sattel, das eine Bein auf dem Bürgersteig als Anker, Fahrradklammer über dem Fußknöchel, damit ihm das Hosenbein nicht in die Kette geriet. Das Verbrechen kam sehr verhalten daher –, ein Mord machte wochenlang überregionale Schlagzeilen. Heute kommen die Zeitungen mit dem Zählen nicht mehr nach.

Auch der Priester hatte ein Fahrrad, damit fuhr er, wenn er die Gemeindegebühren kassierte. Sein Wort war Gesetz, er hatte mehr Macht als jeder Polizist. Wer hätte damals gedacht, dass die Kirche so massiv in Ungnade fällt?

Ich ging weiter nach Salthill, und es wurde immer heißer. Europa litt unter diesen unmöglich hohen Temperaturen, und wir bekamen das hintere Ende ab. Kam an einer jungen Frau vorbei, die Shorts und ärmelloses Trikot anhatte. Ihre Haut war krebsrot. Ich sah, wie sich bereits Bläschen bildeten. Ich wollte ihr vorschlagen, sich zu verhüllen, aber sie bemerkte meinen Blick, bleckte mich an. Ich sagte nichts.

Salthill war rammelvoll, Eisverkäufer machten dicken Profit. Die Krankenhäuser beschworen die Menschen, vorsichtig zu sein, die Sonnenstichpatienten rannten ihnen bereits die Bude ein. Den Leuten in Irland zu sagen, sie sollten sich vor der Sonne in Acht nehmen, war so exotisch wie Speck ohne Kohl. Viele Männer nach der irischen Sommermode gekleidet: kurze Schlabberhose, weiße Beine und Sandalen. Die Sandalen möglichst noch mit dicken Wollsocken.

Ich stand über dem Strand und sah hektarweise weißes und noch weißeres Fleisch, Haut, die keinerlei Erfahrung mit Sonne zu haben schien. Ich wollte plötzlich zwanghaft eine kalte pint Helles trinken, Feuchtigkeitsperlen, die sich an den Glasrand klammern, Kohlensäurebläschen, die nach oben tanzen, auch zwei, auch drei, und die folgenden zehn Minuten wären eine Erleichterung, die sich jedem Verständnis entzieht. Ich drehte mich um, ging zurück zur Stadt, Schweiß pappte an meinem Hemd.

Den Rest des Tages verbrachte ich in wütiger Aktivität. Kaufte Stühle, Tisch, Bücherregal, Heißwasserbereiter, Decken, Laken und ließ sie mir liefern. Kümmerte mich um Telefon und Strom. Traf einen der Nachbarn, der fragte:

»Ziehen Sie ein?«

Er sah aus, als könne er seinen Augen nicht trauen. Ich sagte:

»Ja.«

Er atmete tief und, ja, ärgerlich ein, sagte:

»Dies ist ein ruhiges Haus.«

Und war weg, bevor ich ihn hauen konnte. Was? Sah ich aus wie ein Partylöwe? Scheiß auf ihn.

Neun Uhr abends, ich war fast fertig mit Einziehen. Das Telefon war angeschlossen, ich hatte die Möbel, und, am allerbesten, ich hatte nichts zu trinken. Rief Cody an, verabredete mich für den nächsten Morgen. Ich verbrachte die Nacht im Kornspeicher, hielt mich vom Fenster fern –, diese Aussicht war fest in meiner Seele untergebracht, ich ertrug sie kein letztes Mal. Um zehn im Bett, kaputt wie sonst was, und in meinen Träumen kamen radelnde Pfaffen vor, die blonde Bierchen zischten.

Als ich aufwachte, packte ich meine paar Sachen, ging zur Tür hinaus und warf, in wahrer Macho-Pose, keinen Blick zurück, keinen einzigen.