Zweiunddreißig

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Wasch dir die Hände!, befahl G. B. sich. Wasch dir einfach deine verdammten Hände. Alles wird gut.

Wie er da so über das Waschbecken im Keller des Palace Theatre gebeugt stand, war sein Puls bei mindestens zweihundert. Doch wenigstens konnte er wieder klar sehen und den Industriewasserhahn vor sich erkennen sowie das tiefe Becken und die nackte Glühbirne, die an einer Kette über seinem Kopf baumelte.

»Wasch … deine … Hände.«

Die dicken Handschuhe, die er getragen hatte, hatte er ausgezogen, aber das Gefühl, sich säubern zu müssen, war trotzdem nicht verschwunden.

Die Augen zu schließen war keine gute Idee. Weder für sein Gehirn noch für sein Gleichgewicht. Als er sie wieder öffnete, konnte er gerade noch verhindern, dass er zur Seite wegkippte. Die Bilder in seinem Kopf jedoch blieben in ihrer krassen Form bestehen, begleitet von Geruch und Geräuschen.

Während er die seifigen Handflächen aneinanderrieb, suchte er verzweifelt nach irgendetwas, mit dem er sie noch weiter säubern könnte, obwohl sie nicht wirklich schmutzig waren.

Bleiche. Unter dem Waschbecken stand eine verstaubte Flasche Bleichmittel neben einigen anderen Chemikalien.

Das Clorox brannte, als er es zuerst über die linke, dann über die rechte Hand kippte. Auch der Gestank war entsetzlich, aber in diesem Teil des riesigen Kellerareals unter dem Theater duftete es ohnehin nicht gerade nach Veilchen – was gut war.

Es kamen auch nicht viele Leute hier vorbei.

»Reiß dich einfach zusammen«, knurrte er. »Du musst dich zusammenreißen.«

Mit dem Ellbogen stellte er das Wasser ab und wollte sich gerade die Hände am – o Scheiße. Sein Hemd.

Rasch zog er es aus, ballte es zusammen und stopfte das Knäuel in den schmalen Schlitz zwischen Waschbecken und verbeultem Schrank. Er würde es später holen müssen, aber jetzt hatte er gerade andere Sorgen. Wenigstens steckte in seinem Rucksack ein frisches Hemd.

Als Nächstes wusch er sein Gesicht, den Hals, die Brust. Und goss ebenfalls überall Chlorbleiche drüber.

Als er endlich fertig war, sagte ihm ein Blick auf die Uhr, dass er abgesehen vom Reinigungspersonal wahrscheinlich inzwischen allein im Gebäude war.

Wie er so in dem vollgestellten Raum hin und her ging, musste er immer wieder Spinnweben beseitigen, aber eigentlich war er ganz dankbar, dass es sie gab. Denn zusammen mit der dicken Staubschicht auf den Oberflächen und den Siebzigerjahreetiketten auf den Sachen im Regal wiesen sie darauf hin, dass in letzter Zeit niemand hier unten gewesen war.

Außer ihm und Jennifer natürlich. Und sie war draußen im Flur geblieben.

Sie würde nirgendwo mehr hingehen.

»Scheiße, Scheiße, Scheiße.«

Schluss damit. Er musste sich jetzt verdammt noch mal konzentrieren – mein Gott, er hasste es, wenn er so wurde. So zerstreut und seltsam im Kopf.

»Hallo.«

G. B. gab ein Bellen von sich und fuhr erschrocken herum. Im Türrahmen stand diese atemberaubende dunkelhaarige Frau, die ihn schon vorgestern Abend besucht hatte.

»Wie schön, dass ich Sie gefunden habe«, schnurrte sie mit ihrer verführerischen Stimme.

»Woher wussten Sie, dass ich hier unten bin?«

Hatte sie womöglich etwas gesehen?

Die Frau wischte seine Frage mit ihrer manikürten Hand einfach beiseite. »Oben hat mir jemand gesagt, ich würde Sie hier finden. Es hieß, Sie wären mit einer Frau hier unten – ich hoffe, ich störe nicht?«

Wie aus dem Nichts meldete sich wieder der Selbsterhaltungstrieb, der ihn bisher immer gerettet hatte, und übernahm die Kontrolle.

»Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, wo sie hin ist.« Er merkte, wie er lächelte. »Was kann ich für Sie tun?«

Die Frau spazierte in den verwahrlosten Kellerraum hinein und ihr Parfüm überdeckte sowohl den beißenden Gestank des Bleichmittels als auch den Modergeruch der feuchten Wände.

»Ich habe an Sie gedacht«, murmelte sie.

»Haben Sie das?« Er schnappte sich einen alten Lappen, wischte sich damit die Hände ab und wünschte sich, er wäre sauber. »Da habe ich ja Glück.«

Sie blickte sich um. »Was machen Sie eigentlich hier unten? Halb nackt?«

»Ich habe nach einigen alten Requisiten gesucht. Irgendwann waren meine Hände voller Farbe – und mein Hemd auch.«

»Ganz schön schmutzig. Aber Sie haben das Problem aus der Welt geschafft, nicht wahr?«

Irgendetwas in ihrem Tonfall ließ ihn misstrauisch werden. Den Bruchteil einer Sekunde lang hätte er schwören können, dass etwas Wissendes in ihrem Blick lag.

»Hat das Bleichmittel geholfen?« Sie schnüffelte. »Ich kann es riechen. Saubere Hände sind ja so wichtig.«

Was zum Teufel sollte das?

»Um ehrlich zu sein, habe ich auch an Sie gedacht«, sagte er, um wieder die Kontrolle über die Unterhaltung zu gewinnen. »Über das, was Sie neulich Abend gesagt haben.«

»Deshalb bin ich hier. Ich bin der Meinung, manche Dinge sollten besser persönlich besprochen werden.«

»Dann haben Sie sich meine Demo-CD angehört?«

»Ja, das habe ich.« Sie trat einen Schritt vor.

»Und?«

Als sie noch ein Stück näher kam, blieb er stehen und ließ zu, dass sie die Distanz zwischen ihnen ganz überwand. Er war sich sehr bewusst, dass es am Ende dieses dunklen Ganges mehr als genug gab, was weder sie noch sonst jemand sehen durfte, deshalb musste er sie irgendwie hier rausbugsieren – und zwar so schnell wie möglich.

»Ich bin total hin und weg.«

»Wirklich?« Ganz bewusst ließ er den Blick zu ihren beeindruckenden Brüsten hinunterwandern. »Das bedeutet mir sehr viel.«

Der Vizepräsidentin des Plattenlabels RCA gefiel seine Demoaufnahme? Scheiße, das machte die Tatsache, dass sie außerdem noch megaheiß war, ausnahmsweise mal zweitrangig. »Dann lassen Sie uns am besten nach oben gehen und darüber …«

Die Frau schnitt ihm das Wort ab. »Mir gefällt es hier unten. Düster und nackt.«

Das Licht über dem Waschbecken flackerte.

»Das überrascht mich«, wandte er ein, »so wie Sie angezogen sind.«

Das Zeug, das sie trug, hatte er das letzte Mal im Schaufenster der Edelboutiquen gesehen, als er mit dem Taxi die Madison Avenue entlanggefahren war.

Sie befeuchtete sich mit der Zunge die kirschroten Lippen. »Ich bin ein großer Fan von Kostproben – der Arbeit, meine ich.«

»Aha.« Scheiße. Schlechtes Timing. »Nun, Sie haben ja meine Songs gehört.«

»Sie sind Ihr ganz eigenes Produkt. Sie schreiben und spielen Ihre eigenen Lieder. Das ist ziemlich ungewöhnlich heutzutage.« Sie beugte sich vor und strich über seine nackte Brust. »Etwas ganz Besonderes.«

Weder die richtige Zeit noch der richtige Ort.

G. B. umfasste sanft ihr Handgelenk und entfernte ihre Finger von seiner Brust. »Ich fühle mich geschmeichelt.«

Ihr linkes Auge zuckte ein wenig. Aber dann lächelte sie strahlend. »Das sollten Sie auch. Ich interessiere mich nicht für jeden Sänger.«

»Dann ziehen Sie also in Betracht, mich unter Vertrag zu nehmen?«

»Vielleicht.« Schweigen. »Dazu muss ich erst die Ware testen.«

Aus und vorbei die Verführung – jetzt ging es um einen Befehl, und die Gleichung war ziemlich eindeutig: Entweder bumste er sie hier und jetzt, oder er konnte sämtliche Gespräche über seine Zukunft in die Tonne kloppen. Und sie war tatsächlich die, die sie behauptete zu sein, denn er hatte im Internet nach ihr gesucht.

Devina D’Angelo.

Wenn Timing alles war, dann hatte er echt keine Ahnung, welches Schicksal ihn erwartete. Die Gelegenheit, auf die er schon sein ganzes Erwachsenenleben lang hingearbeitet hatte, war endlich gekommen, und zwar genau im falschen Moment.

»Ich teste gerne zuerst die Ware«, wiederholte sie ein drittes Mal und legte die Hand wieder auf seinen Brustmuskel. »Anschließend können wir vielleicht ein sauberes Hemd für Sie auftreiben.«

Wieder schienen ihre schwarzen Augen wissend zu flackern. Aber vermutlich bildete er sich das nur ein.

Einen Augenblick später spürte er, wie er nickte. »Okay … in Ordnung. Klingt gut.«

Die Versuchung
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