Neunundzwanzig

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Cait verbrachte den Nachmittag damit, die Stunden zu zählen.

Nach ihrem Date mit G. B. fuhr sie nach Hause, setzte sich an ihren Maltisch … und sah etwa alle zwanzig Minuten auf die Uhr. Sie kam ein Stückchen voran, wenn auch eher im Schneckentempo als mit hundert Sachen.

Aber ein bisschen war besser als gar nichts.

Duke und sie würden sich um sechs treffen, und nachdem sie eine Zeitlang hart mit ihrem schlechten Gewissen verhandelt hatte, beschloss sie, sich eine Stunde zu geben, um sich herzurichten – was natürlich völlig übertrieben war, aber irgendwie notwendig schien. Und da sie für die Fahrt in die Stadt eine Viertelstunde brauchen würde, durfte sie ihren Arbeitsplatz um Viertel vor fünf verlassen.

Zieh keinen BH an.

Cait musste den Bleistift beiseitelegen, so heftig reagierte ihr Körper.

In diesem Moment klingelte plötzlich das Handy neben ihr; der Ton schrillte laut durchs stille Haus. Mit klopfendem Herzen griff sie danach. Bitte, bitte, lass es nicht Duke sein, der absagt …

Unbekannte Nummer. »Ja, hallo?«

»Cait?«

Als sie die Männerstimme am anderen Ende vernahm, setzte sie sich verwirrt auf. »Thom?«

»Hallo.« Ihr Ex aus Collegetagen räusperte sich, nachdem seine Begrüßung eher wie ein Quaken geklungen hatte. »Sorry, hi.«

»Ja, äh, hi. Wie geht es dir?« Nebenher rechnete sie nach. Das letzte Mal, als sie mit ihm gesprochen hatte, war vor ungefähr sechs Monaten gewesen. Und da war er sich ziemlich sicher gewesen, dass seine Freundin schwanger war. Drei plus sechs gleich neun.

»Gut, danke. Und dir?«

Sie schwiegen beide, was aber auch kein Wunder war. Immerhin waren sie kurz davor gewesen, sich zu verloben – bis er Cait betrogen hatte. Und jetzt bekamen er und diese Frau ein Kind, beziehungsweise hatten vermutlich vor Kurzem einen gesunden, bezaubernden Jungen oder ein ebenso gesundes, bezauberndes Mädchen bekommen.

»Gut, gut, vielen Dank.«

Während der Stille, die darauf folgte, musste Cait aus irgendeinem Grund daran denken, wo sie gesessen hatte, als er sie vergangenen November das letzte Mal angerufen hatte. Sie war gerade oben in ihrem Schlafzimmer beim Bügeln gewesen und hatte während der fünf- oder sechsminütigen Unterhaltung einfach weitergemacht. Sie war damals wirklich froh gewesen, dass er es ihr persönlich erzählt und sie die Neuigkeiten nicht über ihr Netzwerk aus gemeinsamen Bekannten erfahren hatte.

Doch nachdem das Gespräch beendet gewesen war, hatte sie das Licht ausgeschaltet, war ins Bett gekrochen und hatte ungefähr sechs Stunden lang geheult.

Am nächsten Tag hatte sie sich im McFit-Studio angemeldet.

»Ich wollte nur, dass du weißt … dass das Baby da ist. Seit gestern am frühen Abend.«

Als sie die Augen wieder schloss, war ihr erster Gedanke, wie sehr sie sich darauf freute, Duke in eineinhalb Stunden wiederzusehen. Hätte sie dieses Date nicht in Aussicht, würde sie angesichts dieser tollen Neuigkeiten vermutlich wieder einen Tag lang unter der Bettdecke verschwinden.

Und ihr zweiter Gedanke? Bestand darin, dass er auch diesmal nicht den Eindruck erweckte, als wollte er mit seinem Glück vor ihr angeben. Nein, Thom wirkte beinahe, als wolle er sich entschuldigen, genau wie damals, als er ihr von der Schwangerschaft erzählt hatte. Offensichtlich versuchte er, in einer schwierigen Situation das Richtige zu tun.

»Ich freu mich sehr für euch.« Sie brachte es nicht fertig, den Namen der anderen Frau auszusprechen. Daran hatte sich auch durch Dukes Auftauchen nichts geändert. »Ganz ehrlich.«

»Ich wollte nur, dass du es von mir erfährst, bevor … also vor allen anderen.«

»Wie heißt er oder sie denn?«

»Wir haben ihn Thomas genannt, nach mir.«

»Das ist toll. Ihr seid sicher total aus dem Häuschen.«

»Ja, bin ich. Ich meine, das war nicht geplant, aber … manchmal läuft das Leben einfach so, wenn du weißt, was ich meine?«

Wem sagst du das, Thom. »Ja, ich weiß. Wann ist die Hochzeit?«

Denn jetzt würde er die Frau doch sicher heiraten.

»Nicht so bald. Wir müssen erst mal die ersten paar Monate mit ihm überstehen. Also, Margot muss das. Ich arbeite ja rund um die Uhr.«

»Das ist wohl so an der Wall Street.«

»In der Tat.« Pause. »Geht’s dir gut?«

Was sollte diese Frage? Glaubte er etwa, sie würde ewig hier rumsitzen und ihm hinterherheulen?

Na gut, eine Zeit lang mochte das gestimmt haben. »Um ehrlich zu sein, ja. Sehr sogar. Mir geht’s prima, die Arbeit läuft super und auch sonst ist mein Leben …« Sie wollte diesbezüglich keine Details verraten, denn es kam ihr so vor, als würde dadurch der Eindruck entstehen, sie müsste etwas beweisen. »… sehr erfüllt.«

Die Erleichterung am anderen Ende der Leitung war deutlich spürbar. »Oh, das freut mich zu hören.«

Es war schon komisch, aber sie nahm ihm das sogar ab. In diesem Moment, als sie mit dem Telefon am Ohr dasaß und die Verlegenheit auf beiden Seiten in ihr den Wunsch weckte, das Gespräch möglichst schnell zu beenden, wurde ihr auf einmal klar, dass Thom ein feiner Kerl war.

»Darf ich dich was fragen?«, platzte sie heraus.

»Alles. Und das mein ich ernst, Cait.«

»Als du damals …« Okay, Zeit, über ihren Schatten zu springen. Schließlich waren die beiden inzwischen länger zusammen, als sie und Thom es gewesen waren. »Als du Margot kennengelernt hast, war das Liebe auf den ersten Blick? So eine Art überwältigender freier Fall ohne doppelten Boden?«

Natürlich dachte sie dabei an Duke. Obwohl das vermutlich keinen richtigen Sinn ergab. Sie kannte den Typen ja nicht mal richtig.

Thom räusperte sich. »Bist du sicher, dass du meine Antwort hören willst?«

»Ja, bin ich. Obwohl das jetzt vielleicht kein günstiger Zeitpunkt ist. Du bist wahrscheinlich immer noch im Krankenhaus, oder?«

»Nein, nein, ist schon okay. Die beiden schlafen, und unsere Eltern sind nach Hause gefahren, um zu duschen.«

Sie konnte sich gut vorstellen, wie er sich in irgendeinem weißen Flur an die Wand lehnte.

Thom atmete hörbar aus. »Ich hab sie in der Bibliothek gesehen, aus der Ferne … und ich kann es gar nicht richtig erklären. Ich bin wie angewurzelt stehen geblieben. So was war mir bis dahin noch nie passiert und seither auch nicht mehr. Und nur damit wir uns richtig verstehen: Ich bin weitergegangen. Ich habe nicht mit ihr geredet, ich hab niemanden nach ihr gefragt, ich habe mich nicht hingesetzt und sie stundenlang angestarrt. Ich habe auf dem Absatz kehrtgemacht und bin gegangen.«

Er hatte recht: Diese Art von heftiger Reaktion war nicht gerade typisch für ihn. Thom war immer wie sie gewesen: gemäßigt, vorsichtig, mehr aufs Studium konzentriert als auf Menschen.

Ihre Freunde hatten immer gesagt, sie wären das perfekte Paar, und als sie sich getrennt hatten, hatte das ordentlich Gesprächsstoff geliefert. Jetzt im Nachhinein ging Cait davon aus, dass es vermutlich für sie, die Verlassene, sozusagen das Opfer, in mancherlei Hinsicht einfacher gewesen sein musste, obwohl das ganz bestimmt kein Spaß gewesen war. Aber zumindest hatte ihr Freundeskreis sie bemitleidet, statt ihr gegenüber plötzlich bissige Bemerkungen zu machen.

»Das muss ziemlich überraschend für dich gewesen sein«, sagte sie.

»Ich habe das nicht gewollt. Ehrlich.«

»Und wann ist das dann passiert, mit euch beiden?«

Was für ein verrückter Zeitpunkt, um endlich diese Fragen zu stellen. Als er ihr eröffnet hatte, dass er eine andere kennengelernt hatte, hatte sie keine Details gewollt – bloß einen Karton, um seine Sachen einzupacken, die noch bei ihr im Wohnheimzimmer herumlagen.

»Ein Jahr später.«

Cait zuckte zusammen. »Ihr zwei hattet ein Jahr lang was miteinander?«

»Nein. Es war ein Jahr oder vielleicht auch eineinhalb her, dass ich sie gesehen habe, bevor ich … du weißt schon. Es war im Herbst unseres zweiten College-Jahres. Cait, ich wollte dich heiraten. Es war mir ernst mit uns. Ich wollte mit dir zusammen sein. Das Letzte, womit ich je gerechnet hätte, war, dass jemand anderes dazwischenkommen würde. Nachdem ich sie gesehen hatte, hab ich aufgehört, in der Bibliothek zu lernen. Ich hab mich von Partys verdrückt, wenn sie dort auftauchte. Weißt du noch die Super-Bowl-Party bei Rich? Die, wo er hinterher verhaftet wurde? Ich habe behauptet, ich wäre krank – aber es lag daran, dass sie dort war. Ich wollte nicht in ihrer Nähe sein.«

Cait ließ sich in ihren Stuhl sinken. »Mein Gott …«

»Du hast immer gearbeitet, Cait, vor allem im letzten Jahr. Ich will dir damit keine Schuld zuschieben. So waren wir einfach. Es war nur so … du warst immer so beschäftigt und ich auch, und dann war da dieser eine Abend … Du bist übers Wochenende zu deinen Eltern gefahren, weil sie endlich mal kurz zu Hause waren. Ich saß im Wohnheim, Teresa war unterwegs, Greg auch … und ich weiß nicht, wie … oder was es genau war, aber ich bin aufgestanden, hab meinen Mantel angezogen und bin abends um zehn quer über den Campus spaziert. An diesem Abend bin ich in die Bibliothek gegangen, und da war sie. Und dann … ist es passiert. Ungefähr zwei Wochen später habe ich es dir gesagt. Margot und ich waren damals noch nicht zusammen, aber ich wusste, worauf es hinauslaufen würde, ich wusste, dass … Ach, Cait, das Letzte, was ich je wollte, war, dich zu verletzen!«

»Das weiß ich«, krächzte sie. »Wirklich.«

»Und weißt du, weshalb ich dich angerufen habe, bevor wir das mit dem Baby bekannt gegeben haben, und weshalb ich dich jetzt anrufe? Ich hab dich schon genug in Verlegenheit gebracht. Ich will nicht, dass du je wieder Opfer unerwarteter Neuigkeiten wirst – zumindest nicht solcher, die mit mir zu tun haben. Obwohl es jetzt schon viele Jahre her ist, hab ich das mit uns nie ganz verwunden. Es war ein Segen, Margot kennenzulernen, aber gleichzeitig auch ein Fluch. Sie ist meine Seelenverwandte, aber dafür musste ich dir wehtun.«

Die Tränen, die ihr in den Augen standen, hatten nichts mit Trauer zu tun. Eher mit der Einsicht, dass sie sich in Wirklichkeit gegenseitig verletzt hatten, jeder auf seine Weise. Und obwohl sie ihm nie wirklich Übles gewünscht hatte, gab ihr das Wissen, dass er sich nicht frei und unbeschwert in die Arme einer neuen heißen Liebe gestürzt hatte, das Gefühl, als wären sie jetzt quitt.

»Ich bin wirklich froh, dass du angerufen hast«, sagte sie. »Ehrlich.«

Thom atmete tief durch. »Das wollte ich dir eigentlich schon lange sagen. Aber nicht, um mir selbst einen Gefallen zu tun, sondern weil du mir immer noch wichtig bist. Und es immer sein wirst.«

Cait lächelte traurig bei der Erinnerung daran, wie sie beide Stunden damit hatten verbringen können, nebeneinander zu lernen. Sie waren die perfekten Gefährten gewesen. Sie selbst hatte damals nach Stabilität gesucht, aber war das wahre Liebe?

Nicht so wie die, die er mit Margot teilte.

»Pass gut auf dich auf, Thom.«

»Du auch.«

Nachdem sie das Gespräch beendet hatten, starrte Cait lange das Telefon an.

Es war gut zu wissen, dass er wirklich so ein anständiger Kerl war, wie sie angenommen hatte. Er hatte seine Gefühle ein Jahr lang vor sich selbst verleugnet … dann war vermutlich einfach seine Zeit gekommen. Und ja, die Geschichte hatte ihr das Herz gebrochen. Es war traumatisch gewesen, alles zu verlieren, worauf sie ihr Leben aufgebaut hatte, dieses künstliche, selbst errichtete Gerüst, das sie Schicksal genannt hatte. Doch sie hatte sich im Nachhinein immer gefragt, ob Thom wirklich der Mann war, für den sie ihn gehalten hatte.

Er war es.

Das Einzige, was noch schlimmer gewesen wäre: Wenn sie herausgefunden hätte, dass sie beide – während der ganzen Zeit ihrer Beziehung – eine Lüge gelebt hatten.

Und jetzt, wo sie Duke begegnet war, verstand sie, was Thom meinte. Manchmal lief man einfach jemandem über den Weg, dem man nicht widerstehen konnte. Und je nachdem, in was für Lebensumständen man sich befand, konnte das verheerende Folgen haben.

Was sie selbst betraf, nun, sie war solo, und das war auch gut so. Wie wäre es ihr wohl ergangen, wenn sie jemandem wie Duke begegnet wäre, solange sie in einer Beziehung steckte?

Dieser Gedanke veranlasste Cait zu einem Blick auf die Uhr. Sechzehn Uhr neununddreißig.

Den Großteil ihres bisherigen Lebens hätte sie sich gezwungen, die verbleibenden sechs Minuten brav sitzen zu bleiben. Aber jetzt? Drauf gepfiffen.

Es war an der Zeit, sich hübsch zu machen.

Also schloss sie mit ihrer Arbeit ab und ging nach oben. In dem Moment, als sie die Dusche anstellte und ihre Klamotten auf den Badezimmerfußboden fallen ließ, wurde ihr auf einmal klar, dass sie gerade vermutlich genau dasselbe erlebte wie Thom damals.

Über Jahre hinweg war sie nicht bereit gewesen, nachsichtig mit ihm zu sein. Und als er angerufen hatte, um ihr zu erzählen, dass er und Margot ein Baby bekamen, hatte sie ihre Ernährung umgestellt und war ins Fitnessstudio gerannt, um die Gefühle zu unterdrücken, die dadurch aufgewühlt worden waren.

Doch nach dem Telefonat gerade eben?

Da kam es ihr vor, als wäre eine Last von ihren Schultern gefallen, und die Erleichterung, die sie in so vielen anderen Dingen vergeblich gesucht hatte, breitete sich endlich in ihr aus – wie ein Balsam, der auf einmal die Art von Frieden brachte, die zuvor unerreichbar zu sein schien.

Interessant. Ihre Eltern und sie waren bei vielen Dingen unterschiedlicher Meinung gewesen. Aber wenn es sich hierbei um die Vergebung handelte, die sie stets predigten, dann brachte sie tatsächlich eine Befreiung vom eigenen Schmerz mit sich.

Und das war sehr, sehr gut.

Cait gab sich Mühe, unpünktlich zu sein. Leider ließen sich alte Gewohnheiten jedoch nur schwer ablegen, daher kam sie drei Minuten zu früh am vereinbarten Treffpunkt an. Nachdem sie einen Blick auf den Parkplatz des Riverside Diner geworfen hatte, beschloss sie, erst mal weiterzufahren und ein paar Runden um den Block zu drehen.

Zehn nach sechs. Genau richtig. Nicht zu früh und nicht zu spät.

In diesem dafür vorgesehenen historischen Moment – nicht dass sie dem Ganzen übermäßige Bedeutung zumessen würde, nein! – bog sie wieder auf den Parkplatz ein und stellte ihren Wagen ab. Irgendwie überraschte es sie, dass sie derart nervös war, während sie nach seinem Truck Ausschau hielt.

Fehlanzeige. Soweit sie dank der Straßenbeleuchtung und den letzten, verglühenden Sonnenstrahlen erkennen konnte, standen nur zehn oder zwölf weitere Autos und ein paar Motorräder herum. Keine Trucks.

Vielleicht kam er ja auch absichtlich etwas zu spät.

Auf dem Weg zum Eingang hatte sie auf einmal diese Schmetterlinge im Bauch, von denen sie natürlich schon gehört, sie aber noch nie selbst erlebt hatte. Und als wollte ihr Gehirn von dieser Flatterpartie nicht ausgeschlossen sein, schossen jede Menge unsinnige Gedanken durch ihren Kopf, als wäre ihr Schädel eine Hüpfburg voller Pingpongbälle.

Cait öffnete die Tür zu einem traditionellen Fünfzigerjahre-Diner mit roten Kunstledersitzbänken auf der einen Seite, einem Tresen mit Barhockern auf der anderen. Dahinter befanden sich Arbeitsfläche und Schwingtüren in die Küche.

Duke saß in keiner der Nischen, obwohl bei ihrem Eintreten einige Männer aufblickten und sie interessiert musterten – etwas, das heute auch auf dem Campus passiert war. Ja, Blondinen erhielten eindeutig mehr Aufmerksamkeit, aber Cait war sich nicht sicher, ob sie wirklich auch mehr sprichwörtlichen Spaß hatten, vor allem falls ihr heutiges Date platzen sollte. Was dann zwei Abende in Folge wären. Obwohl hier zumindest die Chancen recht gut standen, nicht in einen Aufzug gejagt zu werden.

Da saß er!

Hinter dem Durchgang, der in einen weiteren Raum des Diners führte, an einem Tisch neben dem Hinterausgang. Er hatte ihr das Gesicht zugewandt und starrte sie an.

Er lächelte nicht. Oder winkte. Oder setzte sich ein bisschen aufrechter hin.

Und doch verschlang er sie mit den Augen. Durch die Intensität seines Blicks löste sich alles in Luft auf, was zwischen ihnen lag: die Tische, die Kellnerinnen, die anderen Gäste, die Distanz des mit rotem Teppich ausgelegten Fußbodens.

Es war genau wie bei ihrer ersten Begegnung auf dem Parkplatz des Cafés, als sie sich in die Augen gesehen hatten.

Während Cait zu ihm hinüberging, spürte sie, dass ihr Körper sich anders bewegte als sonst: ein sinnliches Gefühl, das ihre Beine und Hüften und Brüste mit glühender Hitze füllte, die sie gerne noch weiter steigern würde.

»Hallo.« Ihre Stimme klang tiefer als sonst.

»Du siehst gut aus.« Sein Blick wanderte an ihr hinab. »Richtig gut.«

»Danke, du auch.« Obwohl sie ihn vermutlich selbst dann noch sabbernd angehimmelt hätte, wenn er einen Polyesteranzug im Stil der Siebziger getragen hätte.

Sie nahm auf der Bank ihm gegenüber Platz und zog ihren Mantel aus, wobei sie sich plötzlich sehr bewusst wurde, wie der dünne Stoff ihrer Bluse dabei über ihren Brüsten spannte, was auch Duke nicht entgangen war. Prompt rutschte er unruhig auf seinem Sitz hin und her, als wäre er mit einem Mal ungeduldig.

Oder als hätte er eine … hm, nun ja.

Was ja schon recht sexy war.

Ohne ein weiteres Wort streckte er ihr die geöffnete Hand über den Tisch entgegen, und als Antwort legte Cait augenblicklich ihre darauf.

Mein Gott, er war wirklich … außergewöhnlich. Harte Schale. Attraktiv, aber mit Ecken und Kanten. Und in seinem schwarzen T-Shirt noch genauso muskulös wie zuvor. Seine dunklen Haare waren ein bisschen kürzer als in ihrer Erinnerung, als ob er sie heute hätte schneiden lassen – vielleicht wegen ihres Dates? Auf seinem markanten Kinn lag kein Bartschatten, was nahelegte, dass er sich für sie frisch geduscht und rasiert hatte.

Das war doch eine Art Kompliment, oder?

Wie sie ihn so über den Tisch hinweg anstarrte, verglich sie ihn automatisch mit G. B. Ja, von ihm war sie auch fasziniert gewesen, vor allem von seiner Bühnenpräsenz. Es gab da eine gewisse Verbindung zwischen ihnen. Gleichzeitig erschien ihr diese Erfahrung seltsam unwirklich, fast als würde sie etwas zum ersten Mal betrachten, das aus der Nähe irgendwie exotisch erschien.

Duke hingegen war einfach total sexy, angefangen bei seinen Augen mit den schweren Lidern, über die vollen Lippen bis hin zu seinen breiten Schultern.

»Ich habe den ganzen Tag auf diesen Moment gewartet.« Seine Stimme klang rau.

Cait wurde von Kopf bis Fuß heiß. »Ich auch.«

Wie ein Echo aus einer weit entfernten Welt, die nichts mit ihr oder ihm zu tun hatte, hörte sie leise ein Handy klingeln. Vielleicht handelte es sich um ihr eigenes, aber es war ihr egal. Selbst wenn eine wilde Horde mitten durch den Diner gestürmt wäre, hätte sie es wahrscheinlich kaum bemerkt oder sich darum gekümmert.

Mein Gott, sie wollte ihn so sehr. Hier. Jetzt.

»Ich möchte etwas von dir erfahren«, sagte er.

»Was denn?«

»Deinen Namen. Ich weiß immer noch nicht, wie du heißt.«

Cait senkte lächelnd den Blick. Das hatte sie wohl vergessen zu erwähnen. »Cait. Wie in Caitlyn.«

»Das ist hübsch.«

»Danke.«

Und zurück zum gegenseitigen Anstarren.

So saßen sie immer noch da, sahen sich in die Augen und hielten sich an den Händen, als die Bedienung mit der Speisekarte kam. Keiner von beiden beachtete sie oder reagierte richtig auf die Frage nach ihrem Getränkewunsch.

»Ich bin nicht wirklich hungrig«, meinte er, »zumindest nicht auf Essen. Wie sieht’s bei dir aus?«

Cait schüttelte den Kopf. Damit war die Sache geklärt.

Sie erhoben sich von ihren Plätzen, legten einen Fünfdollarschein als Trinkgeld auf den Tisch und verließen das Restaurant.

Der frische Wind draußen sorgte nicht wirklich für Abkühlung. Duke wies mit dem Kopf auf das viktorianische Bootshaus in ein paar Hundert Metern Entfernung, als würde er eine Frage stellen.

»Ja«, erwiderte Cait.

Mehr Privatsphäre als das war auf die Schnelle nicht zu haben. Um diese Jahreszeit spazierten nach Einbruch der Dunkelheit vermutlich kaum noch Leute am Fluss entlang, und bestimmt gab es dort drinnen ein ruhiges Eckchen. Jedenfalls hatte sie keine Lust, erst ewig albern herumzudiskutieren, wer wem in welchem Auto wohin folgte.

Selbst die kurze Strecke zum Bootshaus schien ewig zu dauern.

Was wohl bewies, dass in manchen Situationen Distanz genauso relativ sein konnte wie Zeit.

Die Versuchung
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