Siebtes Kapitel
Lassen Sie ihn niemals glauben, dass Ihnen vornehmlich an einer Bindung durch Heirat gelegen ist, sonst verschrecken Sie ihn leicht, und er flieht in die entgegengesetzte Richtung!
Eine anonyme Dame, Ratgeber …
 
Mehrere Herzschläge lang lag Eleanor regungslos da und war nicht sicher, ob sie Damon richtig verstanden hatte.
»Du scherzt«, entfuhr ihr letztlich in einer unangenehm piepsigen, unsicheren Stimme.
»Ganz im Gegenteil. Es ist mir recht ernst. Ich denke wirklich, dass du mich heiraten solltest, Elle.«
Zum zweiten Mal in dieser Nacht sprang Eleanor aus dem Bett und starrte Damon zunächst ungläubig, dann misstrauisch an.
»Was für ein Spiel treibst du mit mir, Damon?«, fragte sie streng.
»Ich versichere dir, es ist kein Spiel.«
Womit er Eleanors Misstrauen bestärkte. Sie versuchte, zu erahnen, was er vorhatte – bis sie bemerkte, dass sein Blick von ihrem Gesicht auf ihren noch immer schamlos entblößten Busen gewandert war.
»Falls du auch nur eine Minute lang annimmst, ich würde jemals zustimmen, dich zu heiraten«, erklärte sie, während sie hastig ihr Nachtkleid zuknöpfte, »musst du unter bedenklichen Halluzinationen leiden.«
Damon zog eine übertriebene Grimasse. »Deine Einschätzung meiner geistigen Fähigkeiten verletzt mich tief, mein Liebes.«
»Nicht tief genug, würde ich meinen!«
Er blickte zur Tür. »Ich rate dir, leiser zu sprechen, sofern du nicht willst, dass eure Bediensteten nachsehen kommen und entdecken, dass du heimlich einen Gentleman in deinem Schlafgemach versteckt hast.«
»Ich habe dich nicht heimlich versteckt«, entgegnete Eleanor, wenn auch mit gesenkter Stimme. »Du hast dich hier hereingeschlichen, und ich wünschte, du würdest gehen.«
Als er keinerlei Anstalten machte, ihrem Wunsch zu folgen, ging sie zu ihrem Kleiderschrank, nahm sich ihren Morgenmantel heraus und zog ihn geschwind über. Wenigstens konnte sie sich Damon nun mit etwas mehr Fassung stellen, weil sie etwas anständiger gekleidet war.
Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Du musst von Sinnen sein, Damon, denn ich könnte mir nicht anders erklären, warum du deinen Antrag erneuern solltest. Nicht nach dem, was geschehen ist.«
Seine rätselhafte, beinahe erschütterte Miene war wenig geeignet, sie in dem Glauben zu bestärken, dass er seinen Antrag ernst meinte. Vielmehr überzeugte sie Eleanor erst recht davon, dass er sie eigentlich nicht heiraten wollte.
»Du hast keinerlei Wunsch, mich zu ehelichen, ebenso wenig wie ich dich heiraten möchte«, sagte sie ruhig. Sie musste vernünftig klingen, um Damon die Befriedigung zu nehmen, er hätte sie aufgebracht.
Nun setzte er sich hin. »Das ist nicht wahr. Ich möchte dich zur Frau nehmen.«
»Warum?«
»Aus vielerlei Gründen. Einer wäre, dass wir uns gut ergänzen und eine gute Ehe führen würden.«
Diese unerwartete Antwort fühlte sich wie ein Stich in Eleanors Herz an. »Dasselbe dachte ich auch einmal, aber ich denke es heute nicht mehr. Du bist kein Mann, der eine Ehe wünscht, Damon. Das vermutete ich bereits, als wir uns zum ersten Mal begegneten, nur war ich so dumm, mir etwas anderes einzureden. Nein, was die Ehe betrifft, ergänzen wir uns keineswegs.«
»Du kannst nicht leugnen, dass wir physisch hervorragend harmonieren.«
»Mag sein. Aber außer diesem ärgerlichen Sehnen nach lustvollen Erlebnissen verbindet uns wenig.«
Er lächelte verbittert. »Lust kann ein sehr mächtiges Empfinden sein.« Seine Hand berührte kurz die Wölbung in seinen seidenen Kniebundhosen, die eindeutig bestätigte, dass er noch hochgradig erregt war.
»Was nur beweist, dass ich Recht habe«, sagte Eleanor. »Du handelst aus der Hitze des Augenblicks heraus, genau wie das letzte Mal, als du um meine Hand angehalten hast. Du lässt dich von Leidenschaft übermannen, die deine grundsätzliche Abneigung gegen die Ehe für Momente besiegt, und wir beide wissen, wie es endet. Unsere Verlobung hast du fast sofort bereut.«
Damon erwiderte nichts darauf, sondern sagte: »Ich wünsche mir dich in meinem Bett, Elle. Aber der einzig ehrbare Weg, dich zu bekommen, ist die Eheschließung.«
Sie musste einige Beherrschung aufwenden, um nicht vor Schmerz zusammenzufahren. Ihr war durchaus klar, dass Männer sie wegen ihres Aussehens, ihrer Herkunft und ihres Vermögens begehrten, nur wollte sie dasselbe nicht von Damon hören. Es war lachhaft, wie sicher er jene empfindliche Wunde in ihr ansprach. Denn leider bedeutete der Umstand, dass sie so gut wie jeden Gentleman mit ihren Reizen locken konnte, nicht, dass sie in ihnen erregen konnte, was sie sich am meisten wünschte: Liebe. Sie befürchtete längst, dass sie niemals einen Mann fände, der sie um ihrer selbst willen liebte, und seitdem Damon ihr vor zwei Jahren deutlich machte, wie wenig sie bei ihm bekäme, wonach sie sich sehnte, war ihre Angst noch größer.
Sie biss sich auf die Unterlippe. »Ich glaube immer noch, dass du ein grausames Spiel mit mir treibst.«
Sogleich wurde sein Gesichtsausdruck merklich weicher. »Ich verspreche dir, es ist kein Spiel, Eleanor.«
»Und warum schlägst du dann etwas dergestalt Absurdes vor? Ich würde meinen, du versuchst, mich von Prinz Lazzara abzulenken, aber mir allein zu diesem Zweck einen Antrag zu machen, scheint mir eine unverhältnismäßig drastische Maßnahme.«
»Ist sie nicht. Ich möchte dich vor ihm schützen, auch wenn mir offenbar nicht gelingt, dich zur Vernunft zu bringen.«
Sie runzelte die Stirn. »Du machst mir also einen Antrag, weil du dich verpflichtet fühlst, mich zu schützen?«
»Größtenteils. Ich möchte nicht, dass du Lazzara heiratest. Er ist nicht annähernd gut genug für dich.«
»Darüber zu entscheiden, steht dir nicht zu.«
»Er wird dich verletzen«, sagte Damon und sah sie prüfend an. »Wenn du so erpicht auf eine Heirat bist, dann heirate mich. Ich bin eine viel bessere Wahl als dein Prinz.«
In Eleanors Kopf überschlugen sich die Gedanken zu einem solchen Chaos, dass sie eine Hand an ihre Schläfe hob. Vielleicht wollte Damon sie wirklich vor Unglück bewahren, und falls ja, musste sie zugeben, dass es bewundernswert war. Indes würde ihn zu heiraten, sie viel zu verwundbar machen. Sie würde sich bloß aufs Neue in ihn verlieben, und er könnte sie noch übler verletzen als zuvor.
»Danke für deine Sorge«, entgegnete sie schließlich. »Aber ich bedarf deiner Ritterlichkeit nicht. Ich wünsche nicht, dass du dich um meinetwillen opferst.«
»Es wäre kein Opfer, Elle.« Als sie nichts erwiderte, lehnte er sich an das Kopfteil ihres Bettes. »Dein Romeo wird dich nicht glücklich machen.«
»Und du würdest?«
»Ich würde es gern versuchen.«
Seine Worte waren überaus verlockend, aber sie sollte es besser wissen, als Damons Schmeicheleien zu vertrauen.
»Du hast dein Recht vor zwei Jahren verwirkt.«
Sein Blick wurde noch finsterer. »Was ich nicht leugne, nur dass mein Vergehen nicht bedeutet, der Prinz würde dich besser behandeln.« Damon sah sie prüfend an. »Glaubst du, Lazzara wird sich auch nur im Geringsten darum scheren, ob du glücklich bist? Um dein Vergnügen? Dass er sich fragen wird, ob du zufrieden bist? Ich würde meinen, dass du das Ehebett mit mir weit mehr genießen könntest. Ja, ich denke sogar, wir haben es soeben bewiesen – und das war lediglich ein Vorgeschmack auf das, was du von unserem Liebesakt erwarten darfst, wenn wir erst verheiratet sind.«
Eleanor errötete bei der Erwähnung dessen, was Damon sie eben hatte erleben lassen. Auch wenn sie schon vor zwei Jahren angenommen hatte, dass er ihr ungekannte Wonnen bereiten könnte, war überraschend, in welchem Maße sich ihre kühnsten Träume bewahrheiteten.
»Wie auch immer, der Umstand, dass du ein erstaunlicher Liebhaber bist, bedeutet nicht, dass du ein guter Ehemann sein kannst. Die Ehe sollte auf mehr als fleischliche Gelüste gründen.«
»Unsere täte es.«
»Sie wäre nichts als eine Vernunftehe.«
»Was ist daran falsch? Viele Angehörige unseres Standes heiraten, um ihre Linien fortzuführen.«
Hier hielt Eleanor inne. »Liegt dir so viel daran, deine Linie fortzuführen? Ich entsinne mich nicht, dass du jemals ein solches Interesse bewiesen hast, deinen Titel weiterzureichen.«
Zu ihrer Überraschung nahm sie einen Anflug von Traurigkeit in Damons Augen wahr, ehe er sehr ernst antwortete: »Ich habe meine Pflicht stets akzeptiert, meinen Titel zu vererben. Und die Jahre vergehen. Es ist an der Zeit, dass ich darüber nachdenke, meiner Verpflichtung nachzukommen.«
Sie kniff den Mund zusammen. »Falls du ernsthaft erwägst, dich der Erbfolge halber zu vermählen, steht dir eine große Anzahl junger Damen hohen Ranges zur freien Verfügung.«
»Ich will dich, Elle, und keine andere.«
Zu gern würde sie ihm glauben, aber das durfte sie nicht wagen.
»Nun, ich möchte keine Vernunftehe«, sagte sie. »Wollte ich die, hätte ich schon mehrfach heiraten können. Ich hatte über ein Dutzend Anträge, die ich zumeist ablehnte.«
»Zumeist?«, fragte Damon interessiert nach. »Ich wusste, dass du ein zweites Mal verlobt warst, aber gab es noch andere?«
Eleanor zögerte. Ihre zweite, spontane Verlobung war impulsiv gewesen und von Trotz motiviert, nachdem Damon sie so schändlich beleidigt hatte. Er hatte sie öffentlich erniedrigt, sich vor allen mit seiner Mätresse gezeigt, und Eleanor wollte sich dringend wieder begehrt und gemocht fühlen. Aber sie war schnell wieder zur Vernunft gekommen und hatte Baron Morleys Antrag abgewiesen.
Ihre dritte, noch kürzere Verlobung mit einem Adligen war eine List gewesen. Sie hatte niemals beabsichtigt, den betreffenden Gentleman zu ehelichen, was in dessen Sinne war.
»Ich war für wenige Stunden im letzten Sommer mit Lord Claybourne verlobt«, gestand Eleanor zerknirscht.
Damons Augenbrauen schossen nach oben. »Mit Claybourne? Für wenige Stunden? Dazu würde ich gern Näheres hören.«
Eleanor winkte ab. »Es ist eine lange Geschichte. Belassen wir es dabei, dass Heath mich bat, ihm zu helfen, Lily Loring zu gewinnen, und ich erklärte mich bereit. Unsere Verlobung zählte nicht, denn sie war nur vorgetäuscht, und die wenigsten Leute glaubten es. Was indes nicht heißt, dass ich noch mehr gelöste Verlobungen riskieren möchte. Falls ich einwillige, dich zu heiraten, wer kann mir sagen, dass es dieses Mal zu einer Hochzeit kommt? Ich wäre ernsthaft in Gefahr, zu einem Witz zu werden.«
»Wir würden dieses Mal heiraten«, versicherte Damon ihr.
Doch Eleanor schaffte es, gleichgültig mit der Schulter zu zucken, obwohl sie alles andere als gleichgültig war. »Nun, jedes Spekulieren ist überflüssig, denn ich beabsichtige nicht, dich zu heiraten.«
»Warum nicht?«
Eleanor wandte das Gesicht ab, um die Verwundbarkeit zu verbergen, von der sie sicher war, dass sie in ihren Augen zu erkennen war. Die Wahrheit war, dass Damon sie nie lieben könnte, wie sie geliebt werden wollte – musste. Und eine Ehe, in der die Zuneigung so einseitig war, wäre noch um ein Vielfaches schmerzhafter als eine kühle Vernunftverbindung.
»Weil ich im Herzen eine Romantikerin bin«, antwortete sie. »Das ist der große Unterschied zwischen uns, Damon, der Grund, aus dem wir nie ein wirkliches Paar werden könnten. Ich wünsche mir wahre Liebe in der Ehe. Ich wünsche mir, dass mein Gemahl mich liebt.«
Es verging einige Zeit, ehe Damon antwortete, und als er es tat, klang er recht schroff. »Du erwartest dir zu viel von wahrer Liebe, Eleanor.«
»Ja, vielleicht, aber ich weiß, dass sie möglich ist. Marcus fand eine solche Liebe mit Arabella. Und ich will mich nicht mit weniger zufriedengeben.« Sie trat einen Schritt auf Damon zu und streckte ihm unwillkürlich die Hände entgegen, als wollte sie ihn anflehen. »Du weißt, wie meine Kindheit vor dem Tod meiner Eltern verlief. Wie einsam ich damals und hinterher war, als ich bei meiner verwitweten Tante leben musste, die sich wahrlich nicht gewünscht hatte, mit einem Kind belastet zu sein.«
Sie fuhr leiser fort: »Ich möchte diese Einsamkeit nicht in meiner Ehe, Damon. Ich wünsche mir, dass ich meinem Gemahl wirklich etwas bedeute, dass ich meiner Familie etwas bedeute. Ich möchte meinen Kindern die Liebe zuteilwerden lassen, die ich von meinen Eltern nicht erfuhr, die Art Liebe, wie Marcus und ich sie uns als Kinder entgegenbrachten. Ich denke nicht, dass du gewillt bist, mir das zu geben.«
Damons Züge wirkten umwölkt, genau wie an jenem Tag im Rosengarten, als sie so dumm gewesen war, ihm ihre Seele zu entblößen. Allein daran zu denken, beschämte sie bis heute. Wie hoffnungsvoll und glücklich sie damals gewesen war!
»Ich bezweifle, dass Lazzara dir sein Herz schenkt«, sagte er schließlich.
»Wie kann ich es wissen, wenn ich es gar nicht versuche? Ich möchte versuchen, seine Liebe zu gewinnen, Damon.«
Sie sah, wie sein Wangenmuskel zuckte, weil er mit seiner Geduld rang. »Lazzara ist nicht der richtige Gemahl für dich«, wiederholte er. »Ich wäre dir ein besserer.«
Wieder regte sich der Schmerz in ihrem Herzen. Ein verwundbarer Teil in ihr konnte nicht umhin, von seinem Antrag hin und her gerissen zu sein. Doch die kribbelnde Aufregung, die sie einst ob der Aussicht empfunden hatte, Damons Frau zu werden, war heute von der Furcht getrübt, noch weit tiefer verletzt zu werden. Nie wieder wollte sie sich so verraten fühlen.
»Ich glaube nicht, dass du mir ein besserer Ehemann wärst, Damon«, sagte sie ruhig. »Denn du liebst mich nicht. Das war schon vorher das Problem, dass du mich nie liebtest. Hättest du es getan, wärst du nicht zu deiner Mätresse zurückgegangen.«
Statt den Blick abzuwenden, sah Damon ihr ins Gesicht, als er sagte: »Ich bereue, dir wehgetan zu haben, Elle. Und ich versichere dir, dass es nicht wieder geschehen wird.«
»Nein, wird es nicht, denn ich bin nicht so dumm, mich abermals in solch eine Lage zu bringen.«
Damon fuhr sich mit der Hand durchs Haar, als hätte er Mühe, die Fassung zu wahren. »Ich habe keine Mätresse, schon lange nicht mehr.«
»Was zweifellos dem Umstand geschuldet sein dürfte, dass du noch nicht lange genug wieder in England bist, um dir eine auszusuchen.«
»Ich hatte reichlich Gelegenheiten, glaube mir. Aber ich wünsche keine Mätresse. Ich möchte dich – als meine Ehefrau.«
Eleanor schüttelte den Kopf. »Und was wird, nachdem wir verheiratet sind? Als ich unsere Verlobung löste, erzähltest du mir, dass du mir keine Treue versprechen kannst.«
»Ich könnte es heute. Falls du es willst, lege ich einen Zölibatseid ab.«
»Für wie lange?«, fragte sie ungläubig.
»Solange, wie es dauert, dich von einer Vermählung mit mir zu überzeugen.«
»Du würdest es keinen Monat durchhalten.«
»Ich würde, Elle.«
So ernst wie er sie ansah, wollte sie ihm glauben. Aber wäre sie nicht eine Närrin, Damons Worten zu vertrauen?
Eleanor machte sich gerade und wies zum Fenster, durch das er hineingeklettert war. »Nein, ich könnte dir kein zweites Mal vertrauen, Damon. Wenn du jetzt bitte gehen würdest. Dieses Gespräch ist sinnlos.«
Er zögerte. »Nun gut, aber unsere Unterhaltung ist noch nicht vorbei.«
»Ist sie wohl.«
»Dem würde ich energisch widersprechen.«
Er stieg aus dem Bett, ging jedoch nicht zum Fenster, sondern auf Eleanor zu. Dass sie nicht zurückwich, erwies sich als Fehler, denn ehe sie ahnte, was er vorhatte, nahm Damon sie in seine Arme und drückte sie fest an sich.
»Ich lasse nicht zu, dass du Lazzara heiratest, Elle.«
»Du kannst mich nicht daran hindern«, entgegnete sie trotzig.
Seine Augen funkelten sie an. »Dann bleibt mir keine andere Wahl«, sagte er in dieser verführerisch tiefen Stimme. »Ich werde dich Kuss für Kuss umstimmen müssen.«
Sie war viel zu gebannt, als dass sie protestieren oder sich auch nur rühren konnte, während Damon seine Hände auf ihre Wangen legte und ihre Lippen mit seinen einnahm.
Ihr Puls raste, und neue Hitze loderte in ihr, bis er sie schließlich wieder freigab. Eleanor war benommen und erregt, was ganz eindeutig Damons Absicht gewesen war. Nichts schien ihn mehr zu befriedigen, als sie aus dem Gleichgewicht zu bringen; zumindest seiner Miene nach zu urteilen.
»Es ist hinterlistig und schamlos von dir, mich mittels Verführung umstimmen zu wollen«, beschwerte sie sich mit einem Anflug von Bitterkeit. »Du weißt, dass ich dem nur sehr schwer widerstehen kann.«
»Worauf ich sogar fest zähle. Du solltest meine Entschlossenheit nicht unterschätzen, Elle.«
Er beugte sich zu ihr, um sie abermals zu küssen, aber nun nahm Eleanor ihre gesamte Willenskraft zusammen und trat einen Schritt zurück. »Gütiger Himmel, Damon, bleib weg von mir! Andernfalls übernehme ich keine Verantwortung für die Konsequenzen.«
Seine Mundwinkel zuckten. »Dein Wunsch ist mir Befehl, Mylady«, antwortete er, verneigte sich und schritt ans offene Fenster.
Dort drehte er sich noch einmal zu ihr um. »Versprich mir, auf der Hut zu sein, wenn du mit Lazzara zusammen bist, Eleanor. Seine fortgesetzten Missgeschicke könnten dich in Gefahr bringen.«
»Gegenwärtig sehe ich mich bei dir in größerer Gefahr«, sagte sie verärgert.
»Versprich mir, auf dich achtzugeben, Elle«, wiederholte Damon streng.
»Na schön, ich verspreche es! Gehst du jetzt endlich?«
Er setzte sich auf das Fensterbrett und schwang sich von dort auf einen Ast der Eiche. Gleichzeitig beschloss Eleanor, die Gärtner ihrer Tante sofort morgen früh anzuweisen, den Baum zu stutzen. Damon sollte kein zweites Mal in ihr Schlafgemach gelangen.
Sie schaute ihm nach, bis er in der Dunkelheit verschwunden war, schloss das Fenster und zog die Vorhänge zu. Dann stieg sie wieder ins Bett und sank in die Kissen – kreuzunglücklich über die jüngsten Ereignisse.
Sie hatte sich inakzeptabel verhalten. Wie konnte sie Damon erlauben, sich solch skandalöse Freiheiten bei ihr herauszunehmen? Nachdenklich berührte sie ihre noch geschwollenen Lippen und erinnerte sich an die unglaublichen Genüsse, in die er sie eingeweiht hatte: Genüsse, von denen er behauptete, sie wären lediglich eine kleine Kostprobe dessen, was sie in ihrem Ehebett erwartete.
Nicht bloß hatte er ihren Widerstand gebrochen, er besaß überdies die Frechheit, ihr einen Antrag zu machen, um sie von ihrem Interesse an Prinz Lazzara abzubringen!
Was für eine Unverfrorenheit! Nicht dass sie ihm seine Sorge um ihre Sicherheit verübelte, aber seinen Antrag konnte sie unmöglich ernst nehmen. Sobald der Prinz aufhörte, ihr den Hof zu machen, würde Damon ganz sicher einen Weg finden, die Heirat mit ihr zu umgehen.
Und wenn sein Antrag doch keine reine List war?
Nein, Eleanor würde ihn ganz gewiss nicht heiraten! Sie wollte die Vergangenheit endgültig hinter sich lassen. Was natürlich bedeutete, dass sie zunächst einmal die unangenehme Faszination überwinden musste, die Damon auf sie ausübte. Der ärgerliche Schurke provozierte sie, erzürnte sie, nahm sie gefangen – und machte ihr Angst.
Damon war es stets gelungen, alles zu bekommen, was er wollte. Und wie er sagte, wollte er sie.
Eleanor biss sich auf die Unterlippe. Sie wollte fluchen und beten zugleich – Damon verfluchen und für ihre Rettung beten.
Stöhnend vergrub sie das Gesicht in den Kissen.
Er wollte sie nicht zur Frau, egal was er behauptete. Und selbst wenn doch, würde er sie nicht bekommen!
 
Wollte er Eleanor wirklich zur Frau?, fragte Damon sich, als er vorsichtig die Eiche hinunterkletterte. Denn er musste zugeben, dass sein Entschluss nicht so felsenfest gestanden hatte, wie er ihr gegenüber vorgab. Vielmehr hatte er sich selbst ebenso überrascht wie Elle.
Gewiss, er wollte sie vor Lazzara beschützen, und er war höllisch verärgert, weil Eleanor sich partout weiter vom Prinzen den Hof machen lassen wollte; fast so verärgert wie über ihre romantisch überzogenen Ideale von Liebe und Ehe.
Und Damon konnte nicht leugnen, dass eine ihrer Anschuldigungen der Wahrheit bedenklich nahe gekommen war. Wieder einmal hatte er aus der Hitze des Augenblicks heraus gehandelt. Sein Verlangen nach Eleanor benebelte ihm die Sinne. In ihrer Gegenwart bestimmten einzig seine Lenden, was er tat, und alles, was ihn seine Erfahrung vor zwei Jahren gelehrt hatte, war wie weggeblasen. Mit dem Resultat, dass er noch jetzt eine Erektion hatte, die ihm den Abstieg reichlich schmerzhaft machte.
»Was du auch verdienst dafür, dass du sie beinahe in ihrem eigenen Bett verführt hättest, du erbärmlicher Tropf«, murmelte Damon.
Derselbe Wahn, der ihn vor zwei Jahren packte, hatte ihn aufs Neue befallen, kaum dass er Eleanor wiederbegegnet war. Er kletterte in tiefster Finsternis Bäume hinauf, riskierte einen Skandal, indem er eine junge Dame spätnachts in ihrem Schlafgemach aufsuchte, und überlegte, wie er sie von ihrem Verehrer wegbringen könnte.
Aber wenigstens wurde sein ödes Leben dadurch entschieden interessanter. Vor allem die Rastlosigkeit, die ihn in den letzten Monaten geplagt hatte, verschwand.
Damon ließ sich auf die Erde fallen, klopfte sich die Kleidung ab und ging zu seiner Kutsche, die um die Ecke vom Portman Place auf ihn wartete.
Es gab einen triftigen Grund für seinen unvernünftigen Antrag, sinnierte Damon, und der war nicht etwa rein männliches Besitzdenken.
Er konnte nicht zulassen, dass sie unwiderruflich fort war, denn eine Welt ohne Elle darin mochte er sich gar nicht ausmalen.
Dass er eines Tages heiraten musste, hatte er immer gewusst. Allerdings war sein Plan, eine für den britischen Adel typische Verbindung zu einer Adligen einzugehen, bei der sein Herz unbeteiligt blieb. Sollte Eleanor jedoch den Prinzen heiraten, hätte er sie endgültig verloren. Und das konnte er nicht hinnehmen.
Trotz ihrer Einwände wäre eine Vernunftehe zwischen ihnen beiden gar nicht so unmöglich, und wenn er ohnehin heiraten musste, wäre Eleanor seine bei weitem beste Wahl. Er würde niemals eine andere Frau finden, die so gut zu ihm passte.
Desgleichen gäbe es keinen anderen, der besser zu ihr passte als er. Weder der Prinz noch sonst jemand könnte ihr ein solch guter Ehemann sein wie er.
Nie wieder würde er sie absichtlich verletzen, was er bei seinem Leben zu schwören bereit war. Eleanors Glück war ihm wichtig. Er würde dafür sorgen, dass sie alles hatte, was sie begehrte … mit Ausnahme von Liebe natürlich.
Und das war der eigentliche Haken bei der Sache …
Entsprechend war Damon froh, dass seine Gedanken unterbrochen wurden, weil er nun seine Kutsche erreicht hatte.
»Nach Hause, Mylord?«, fragte sein Kutscher höflich.
»Ja, Cavendish Square«, antwortete er und stieg ein.
Als der Wagen anfuhr, gingen ihm Eleanors Worte durch den Kopf. Ich wünsche mir wahre Liebe in einer Ehe. Ich wünsche mir, dass mein Gemahl mich liebt.
Die Liebe, die Eleanor sich wünschte, konnte er ihr nicht geben. Das würde er sich niemals gestatten. Schließlich wusste er, in welch tiefe Verzweiflung man stürzte, wenn man einen geliebten Menschen verlor.
Zwölf Jahre war es her, und bis heute spürte er den schmerzlichen Verlust seines Zwillingsbruders, erinnerte sich an die entsetzliche Hilflosigkeit, mit der er zusehen musste, wie sein lebensfroher Bruder an der Schwindsucht dahinsiechte, die seinen vitalen Körper grausam zerstörte.
Die letzten, herzzerreißenden Bilder hatten sich Damons Gedächtnis auf immer eingebrannt: Joshuas graue, scheckige Haut; sein vom Fieber nass geschwitzter und von Hustenkrämpfen gebeutelter Leib; sein Keuchen, wenn er an dem Blut, das er spuckte, zu ersticken drohte.
Damon biss die Zähne zusammen, so angestrengt mühte er sich, die furchtbaren Erinnerungen zu vertreiben. In den letzten Stadien der Krankheit konnte kaum noch etwas getan werden, um das Leiden zu mindern, außer Joshua hohe Dosen Laudanum zu geben, das ihm wenige Stunden tauben Schlafes bescherte.
Als das Ende gnädigerweise gekommen war und Damons Bruder viel zu jung in der kalten Erde vergraben wurde, blieb Damon mit rasendem Zorn und einem betäubenden Gefühl der Leere und Einsamkeit zurück. Kurze Zeit später verlor er beide Eltern.
Seine Trauer hatte ihn hart gemacht, und Damon täte alles, um einen solchen Schmerz nicht noch einmal erleben zu müssen. Deshalb hatte er sein Herz willentlich zu Stein werden lassen.
Folglich barg eine Vermählung mit Elle nicht unerhebliche Gefahren. Vor zwei Jahren hatte Damon zugelassen, dass sie eine wichtige Rolle in seinem Leben einnahm. Er war von ihr bezaubert gewesen – von ihrem Charme, ihrer Lebendigkeit, ihrem Ungestüm.
Andererseits war er heute älter und weiser, sagte Damon sich. Er konnte emotionale Distanz zu Eleanor wahren, denn er war vorgewarnt. In ihrer Ehe gäbe es Leidenschaft ohne echte Nähe oder Intimität. Sie hätten eine vernünftige, standesgemäße Verbindung, mehr nicht.
Freundschaft könnte er ihr durchaus anbieten. Als seine Gemahlin wäre sie nie einsam, das konnte er ihr versprechen.
Und er könnte und würde ihr Treue schwören. Eleanors Anschuldigung, er wäre außerstande, seine Gelüste zu beherrschen und ihr treu zu bleiben, war vollkommen abwegig. Schon eine ganze Weile lebte er im Zölibat, hatte es schon vor seiner Rückkehr nach England getan.
Und eine Mätresse unterhielt er ebenso wenig, seit er sich von seiner früheren, Mrs Lydia Newling, in dem Moment trennte, als er Eleanor kennenlernte.
Die schöne Witwe fehlte ihm nicht, obgleich ihre Liaison über drei Jahre währte. Zwischen ihnen hatte es keinerlei Vertrautheit gegeben, weil Damon darauf achtete, dass es eine rein geschäftliche Beziehung blieb. In dieser Hinsicht war Lydia die ideale Mätresse für ihn gewesen. Ihre Vereinbarung hatte beide Parteien zufriedengestellt. Damon zahlte ihr einen beträchtlichen Unterhalt, und Lydia war ihm eine begabte Geliebte, wann immer er Zerstreuung in der körperlichen Liebe suchte.
Nachdem er sie benutzt hatte, um die Auflösung seiner Verlobung mit Eleanor herbeizuführen, hatte er Lydia nicht mehr gesehen, wusste indes, dass sie einen neuen Gönner hatte. Otto Geary erwähnte es kürzlich. Lydias Schwester war krank, und Lydia hatte Otto um seinen ärztlichen Rat gebeten.
Was für eine Ironie, dachte Damon, dass die Beziehung, die er Elle antrug, eine solche Ähnlichkeit zu der aufwies, die er mit Lydia gepflegt hatte! Wen wunderte, dass Eleanor nicht eben begeistert von der Idee war?
Er verstand außerdem, warum sie sich weigerte, ihm zu vertrauen, nachdem er sie vor zwei Jahren so schrecklich behandelt hatte.
Folglich müsste er sich ihres Vertrauens würdig erweisen, und mit ein wenig Geduld brachte er sie am Ende dazu, seinen Antrag anzunehmen.
Doch selbst wenn er sie nicht überzeugen könnte, ihn zu heiraten, würde er alle Mittel einsetzen, um sie von einer Hochzeit mit dem Prinzen abzuhalten.
Joshua hatte er nicht retten können, aber er wollte unbedingt für Eleanors Sicherheit sorgen.