Achtzehntes Kapitel
Es kann sein, dass Sie Besitzansprüche
erheben oder Eifersucht empfinden, aber zeigen Sie es nicht.
Gentlemen wollen sich frei fühlen, von Blüte zu Blüte fliegen, ganz
wie die Honigbienen.
Eine anonyme Dame, Ratgeber …
Damon beabsichtigte, den ganzen Nachmittag wie
auch den Abend mit Eleanor zu verbringen. Als er ihr sagte, sie
würde die Nacht in seinem Bett schlafen, widersprach sie nicht.
Doch kaum kehrten sie nach Rosemont zurück, verschworen sich die
Ereignisse gegen ihn und seine Pläne, seine Gemahlin zu
umwerben.
Nachdem er Elle an ihrer Schlafzimmertür
verabschiedete, damit sie die Reitkleidung ablegen konnte, ging
Damon in sein Zimmer, wo er einen sehr verärgerten Cornby
vorfand.
»Dies hier wurde vor einer Stunde von einem Boten
abgegeben, Mylord«, sagte sein Diener steif und reichte ihm einen
gefalteten, lavendelparfümierten Brief, auf dem »Lord Wrexham«
stand.
Damon runzelte die Stirn, denn sowohl Handschrift
als auch Briefpapier kannte er.
Was zum Teufel sollte das? Warum schrieb Lydia
Newling ihm ausgerechnet jetzt? Und weshalb drängte sich seine
frühere Mätresse in sein Leben zurück, wenn er eben beschlossen
hatte, eine Zukunft mit Eleanor aufzubauen?
Mein teuerster Wrexham, stand in dem Brief.
Bitte glaube mir, dass ich höchst ungern deine Hausgesellschaft
störe, aber ich brauche dringend deine Hilfe. Ich flehe dich an,
mir eine halbe Stunde deiner Zeit zu schenken und mich im Boar’s
Head Inn in Brighton zu treffen. Gewiss wirst du mir dort eher eine
Unterredung gewähren, zudem möchte ich mich nicht der
distinguierten Gesellschaft Lady Beldons aufdrängen.
Deine ergebene Lydia.
Damons Magen krampfte sich zusammen. War Lydias
letzter Satz eine verschleierte Drohung, ihn hier aufzusuchen,
sollte er sich weigern, ihrer Bitte nachzukommen? Oder schlicht ihr
Versuch, ihm zu sagen, dass sie sich der gesellschaftlichen
Konsequenzen gewahr war? Eine Mätresse, die an die Tür eines
Herrenhauses klopfte und ihren früheren Gönner zu sprechen
wünschte, würde allgemeines Entsetzen hervorrufen.
Schlimmer aber noch war, was es für Elle bedeuten
würde. Sie wäre entsetzlich beschämt und verletzt, sollte seine
ehemalige Geliebte hier erscheinen.
Eigentlich hielt er Lydia nicht für fähig, ihn zu
erpressen, denn sie war eine freundliche, gutherzige Frau, keine
Intrigantin. Dennoch durfte er Eleanors fragiles Vertrauen nicht
gefährden, nachdem er sich eben erst vorgenommen hatte, es zu
gewinnen.
Cornby war eindeutig nicht begeistert, als Damon
verkündete, er würde für eine Stunde ausgehen und sich bei seiner
Rückkehr umkleiden.
»Sind Sie sicher, dass Sie diesen Schritt
unternehmen wollen, Mylord?«, fragte er unglücklich.
»Welchen Schritt?«
»Sich mit Mrs Newling zu treffen. Ist es nicht das,
was Sie beabsichtigen? Falls ja, sehe ich mich genötigt, zu
bemerken, dass Lady Wrexham es als Beleidigung
auffassen wird. Mir würde missfallen, sollte sich wiederholen, was
vor zwei Jahren geschah, als sie die Verlobung wegen Mrs Newling
löste.«
»Mir ebenfalls«, sagte Damon.
Die Falten auf Cornbys Stirn vertieften sich. »Und
warum riskieren Sie, den Zorn ihrer Ladyschaft auf sich zu ziehen?
Sie haben seit Ihrer Rückkehr aus Italien keinerlei Berührung mehr
mit den leichten Damen gehabt.«
Cornby war selbstverständlich nicht entgangen, dass
Damon seine Abende zu Hause verbracht hatte, allein. Er wusste
außerdem, dass Lydia vor zwei Jahren der Anlass für Eleanor gewesen
war, die Verlobung zu lösen. Und offenbar sorgte er sich, dass es
genauso ausginge, wenn Damon nun seine frühere Mätresse
besuchte.
Nur fehlte Damon die Zeit, sich mit seinem
Kammerdiener über den Zustand seiner Ehe zu unterhalten. »Sie
benehmen sich, als müssten Sie auf mich aufpassen, Cornby.«
»Mag sein, Mylord, doch ich betrachte es als meine
Pflicht, Lady Wrexhams Interessen zu vertreten. Überdies gestehe
ich, dass es mir äußerst zuwider wäre, sollte sie verletzt werden
oder ihr Kummer verursacht.«
»Mir nicht minder. Deshalb treffe ich Mrs Newling
lieber andernorts, als dass sie ungeladen hierherkommt.«
»Natürlich, Mylord.«
Im Grunde war Damon sehr erfreut, dass sein
langjähriger Kammerdiener sich zu Eleanors Schutz berufen fühlte.
Trotzdem musste er Lydia treffen, um einem Besuch hier vorzubeugen.
Zudem konnte
er ihre Bitte um Hilfe nicht einfach ablehnen. Nach ihrer
langjährigen Beziehung schuldete er ihr wohl, sich wenigstens
anzuhören, was sie von ihm wollte.
»Richten Sie Lady Wrexham aus, dass ich mich
verspäte, weil ich mich um eine geschäftliche Angelegenheit kümmern
muss.«
»Sehr wohl, obgleich es wohl kaum eine
geschäftliche Angelegenheit sein dürfte«, erwiderte Cornby
spitz.
»Wird es«, versicherte Damon ihm. »Dafür sorge
ich.«
Ein klein wenig beruhigter, schwieg Cornby, während
Damon hinausging und zurück zu den Stallungen eilte.
Bei seiner Ankunft dort traf er auf den Earl of
Haviland.
»Gut, dass ich dich treffe, Wrexham«, sagte
Haviland sofort. »Du ersparst mir die Suche nach dir. Wir müssen
dich kurz sprechen.«
Haviland war in Begleitung von Horace Linch, einem
der Bow Street Runners, die zu Prinz Lazzaras Schutz engagiert
waren, und beide Männer wirkten sehr ernst.
»Ja, natürlich«, antwortete Damon.
»Es gab eine interessante Entwicklung in dem Fall«,
sagte Haviland ruhig, der Damon seitlich neben einen der Ställe
führte. »Mr Linch glaubt, dass er den möglichen Verursacher der
Unfälle gefunden hat, die den Prinzen heimsuchten. Ich lasse ihn am
besten selbst erklären.«
Als sie am Ende des Stalles angekommen waren, sah
Damon den Runner fragend an.
Linch sprach sehr leise. »Mylord, Sie baten mich,
auf jeden zu achten, der sich verdächtig macht. Ich glaube, ich
habe jemanden gefunden. Sehen Sie den jungen Italiener dort
drüben?« Verstohlen zeigte er um die Ecke des Gebäudes, wo ein
schwarzhaariger Bursche mit dunklem Teint ein Paar Kutschpferde
striegelte.
Damon schaute genau hin. Ja, er war fast sicher,
dass er den Mann vorher schon gesehen hatte: auf einer belebten
Straße vor dem Pantheon Bazaar. Rasch zog er den Kopf wieder hinter
die Ecke zurück, bevor der Italiener ihn ebenfalls
wiedererkannte.
»Der Bursche heißt Paolo Giacomo«, murmelte der
Runner. »Heute Morgen ertappte ich ihn, wie er auf dem Anwesen
herumschlich. Als ich ihn fragte, was er wollte, verlangte er,
Signor Vecchi zu sprechen, und behauptete, in seinen Diensten zu
stehen. Es war offensichtlich, dass der Signor wenig erfreut war,
ihn zu sehen. Ich kam nicht nahe genug heran, um ihr Gespräch zu
belauschen, weil sie mich wegschickten, aber sie schienen zu
streiten. Daher wunderte mich, dass Signor Vecchi unmittelbar nach
dem Streit veranlasste, Giacomo in den Bedienstetenunterkünften
hier über den Stallungen unterzubringen.«
Giacomo könnte sehr gut der Taschendieb sein, der
Lazzara angriff und auf die Straße stieß, bevor er floh, was Damon
auch den anderen mitteilte.
»Ich bezweifle, dass Giacomo allein agiert«, sagte
Haviland.
Damon nickte nachdenklich. »Wahrscheinlich steckt
Vecchi hinter allem. Ich hatte mich schon vorher gefragt, ob er der
Schuldige sein könnte. Er
war dem Prinzen am nächsten, als der die Treppe in der Oper
hinunterstürzte. Und er war an dem Abend anwesend, als der Punsch
des Prinzen mit einem Brechmittel versetzt wurde. Vecchi könnte
seinen Diener beauftragt haben, die anderen Unfälle zu arrangieren,
wie das lockere Rad an Lazzaras Kutsche.«
»Man bräuchte allerdings Beweise für seine Schuld«,
sagte Haviland. »Es wäre unhöflich, einen hochrangigen Diplomaten
ohne Beweise niederträchtiger Taten zu bezichtigen, von versuchtem
Mord an seinem Cousin ganz zu schweigen.«
Dem konnte Damon nicht widersprechen. Im Moment war
es pure Spekulation, Vecchi als Kopf hinter den Unfällen zu
vermuten. Trotzdem sagte Damon sein Instinkt, dass er sich nicht
irrte.
»Hast du einen Vorschlag, wie wir Beweise finden?«,
fragte er Haviland.
»Zunächst einmal auf die naheliegende Art, indem
wir sein Zimmer durchsuchen.«
»Ich bitte um Verzeihung, Mylords«, mischte Linch
sich ein, »aber ich möchte ungern eine solche Durchsuchung
vornehmen. Sollte ich entdeckt werden, könnte es übel für mich
ausgehen. Man hielte mich womöglich für einen Dieb und würde mich
ins Gefängnis sperren oder Schlimmeres.«
»Ich übernehme es mit Freuden«, meldete Haviland
sich freiwillig.
Damon dachte kurz über sein Angebot nach, ehe er
ablehnte. »Danke, mir wäre ebenso wenig recht, wenn man dich
entdeckte. Ich werde dich nicht bitten, dich an finsteren
Machenschaften zu beteiligen.«
»Die mir keineswegs fremd sind«, entgegnete
Haviland grinsend. »Und ich freue mich über jede Abwechslung, die
es mir ermöglicht, den Salonintrigen zu entgehen.«
Damon war amüsiert. Nach Jahren, in denen er
Spionagenetzwerke und internationale politische Intrigen für den
britischen Geheimdienst leitete, musste Haviland es unsagbar öde
finden, über so lange Zeit bei einer Hausgesellschaft festzusitzen,
nur um seiner Großmutter einen Gefallen zu tun.
»So ungern ich dich enttäusche, Haviland, wäre es
mir lieber, ich würde Vecchis Zimmer selbst durchsuchen. Falls ich
entdeckt werde, wird Lady Beldon mich weniger leicht verbannen
können, weil ich mit ihrer Nichte verheiratet bin.«
In dem Moment fiel Damon wieder ein, wohin er
wollte, als er aufgehalten wurde. »Leider wird es noch warten
müssen, denn zunächst habe ich eine andere dringende Angelegenheit
zu regeln. Sie wird allerdings höchstens eine Stunde in Anspruch
nehmen, und danach schaue ich mich in Vecchis Zimmern um …
vielleicht während des Mittagessens.«
»Ja, das sollte gehen«, stimmte Haviland ihm zu.
»Ich sorge dafür, dass Vecchi beschäftigt ist, während du seine
Zimmer durchsuchst.«
»Und ich halte Giacomo auf Abstand«, versprach
Linch.
Nachdem ihre Pläne feststanden, trennte sich Damon
von seinen neuen Komplizen, ließ sein Pferd satteln und machte sich
auf den Weg zum Treffen mit seiner früheren Mätresse. Schon beim
Aufbruch konnte er kaum erwarten, wieder zurückzukommen und das
Rätsel um Prinz Lazzaras »Unfälle« zu lösen.
Noch ungeduldiger aber war er, seine Gemahlin weiter zu
umwerben.
Zu Damons Überraschung traf er im Boar’s Head Inn
auf den Prinzen. Lazzara verließ den Schankraum mit einer hübschen
blonden Bardame im Arm. Seine freie Hand betatschte ihren üppigen
Busen, während er ihr etwas ins Ohr flüsterte, das sie zum Kichern
brachte.
Als er Damon sah, blieb der Prinz schwankend stehen
und blinzelte verdutzt. Wie es schien, hatte Lazzara etwas zu tief
in den Bierkrug geschaut. Anscheinend war er der erhabenen
Gesellschaft in Rosemont überdrüssig und in die Taverne gekommen,
um sich zu vergnügen.
Der andere Bow Street Runner war auch nicht weit,
wie Damon bemerkte. Er sah zu Damon und rollte die Augen, als
wollte er um Verzeihung bitten, weil er zuließ, dass sich sein
Schutzbefohlener betrank. Dabei hätte er es wohl kaum verhindern
können.
Im selben Augenblick wurde Damons Aufmerksamkeit
von einer zarten Frauenstimme abgelenkt, die ihn rief. Lydia
Newling musste nach ihm Ausschau gehalten haben, denn sie kam ihm
entgegengeeilt. Ein erleichtertes Lächeln umspielte ihre schönen
Lippen.
»Mylord, ich war nicht sicher, ob Sie kommen
würden. Ich danke Ihnen vielmals. Ah … Hoheit … Ich hätte
nie erwartet, Sie hier zu sehen.«
Lazzara und Lydia waren also miteinander bekannt,
stellte Damon fest, während der Prinz die Augen weit aufriss. Und
Lazzaras Grinsen nach zu
urteilen wusste er von Damons früherer Beziehung zu der hübschen
rothaarigen Freudendame.
»Was sind Sie doch für ein durchtriebener Bursche,
Mylord«, lallte der Prinz. »Aber meine Lippen sind
versiegelt.«
Er ließ den Busen des Barmädchens los, vollführte
eine wacklige Verbeugung und schlenderte zur Tür hinaus, gefolgt
von seinem Leibwächter.
Damon verfluchte im Stillen sein Pech, auch wenn er
nicht annahm, dass Lazzara von dem Treffen erzählen würde, weil er
in dem Zuge erklären müsste, weshalb er in der Taverne gewesen
war.
Damon wandte sich an seine ehemalige Mätresse, auf
dass er dieses Gespräch so rasch wie möglich hinter sich brachte
und nach Rosemont zurückkehren konnte.
»Lydia, was kann ich für dich tun? Deine Nachricht
klang dringlich.«
»Es ist dringlich, Damon. Ich brauche deine Hilfe.
Bitte, können wir unter vier Augen reden? Oben wäre es am
günstigsten. Ich habe einen Salon reserviert.«
Mit Lydia allein zu sein, gefiel Damon nicht.
»Woher wusstest du, wo du mich findest?«
»Es ist allgemein bekannt, dass du zu Lady Beldons
Hausgesellschaft gereist bist. Die Nachrichten sind überall auf den
Gesellschaftsseiten, zusammen mit der von deiner unerwarteten
Heirat. Aber da Mr Geary sich weigerte, dir zu schreiben und deine
Flitterwochen zu stören, wollte ich herkommen und dich selbst
ansprechen. Du musst wissen, die Tage meiner Schwester sind
gezählt.«
Eleanor war tief enttäuscht, als Damon ihr
Nachricht schickte, dass er sich verspäten würde. Aber sie tröstete
sich mit der Aussicht, ihn die Nacht ganz für sich zu haben. Und so
gesellte sie sich zu den anderen Gästen, die lebhaft diskutierten,
welches Laientheaterspiel nächste Woche aufgeführt werden
sollte.
Nach einer Weile trat Prinz Lazzara zu ihr und bat
sie, mit ihm durch den Park zu spazieren. Zwar ging sie gern durch
den Park, doch vor allem nahm sie seine Einladung aus einem
Pflichtgefühl heraus an. Seit ihrer überhasteten Vermählung hatte
sie wenig Zeit in seiner Gesellschaft verbracht, und sie fühlte
sich ein bisschen schuldig, weil sie ihm über Wochen Hoffnung
gemacht, seine Avancen befürwortet und auf einen Antrag von ihm
gezielt hatte, bevor sie plötzlich Damon heiratete.
Erst als sie die Kieswege entlang durch die schönen
Gartenanlagen spazierten, fing Eleanor an, sich zu fragen, ob der
Prinz angetrunken war. Seine sorgfältig gewählten Worte klangen
schleppend, bisweilen fast gelallt.
Dann, sie waren außer Sichtweite des Herrenhauses,
ergriff Prinz Lazzara unvermittelt ihre Hand und drückte ihr einen
inbrünstigen Kuss auf.
»Hoheit!«, rief Eleanor schockiert und riss ihre
Hand zurück. »Sie vergessen sich. Ich bin eine verheiratete
Frau.«
»Ich habe nichts vergessen, mia signorina«,
antwortete er leise. »Ich war sehr geduldig, aber jetzt sehe ich
keinen Grund mehr, länger zu warten. Werden Sie meine
Geliebte!«
Eleanor unterdrückte die scharfe Erwiderung,
die ihr in den Sinn kam. Offensichtlich hatte der Prinz ihre
fortgesetzte Freundlichkeit missverstanden. »Ich werde tun, als
hätte ich es nie gehört, Hoheit.«
Er runzelte die Stirn. »Warum sollten Sie etwas
vortäuschen? Mir ist es vollkommen ernst.«
»Ich würde Ihre Worte deshalb gern vergessen, weil
es eine Beleidigung von Ihnen ist, mir eine Affäre
vorzuschlagen.«
Lazzara wirkte völlig konsterniert. »Aber was
könnte an meinem Angebot beleidigend sein? Ich würde meinen, dass
Sie sich geehrt fühlen.«
»Nun, Sie irren«, erwiderte Eleanor mit einem
gezwungenen Lächeln, während sie ihre liebe Not hatte, ihren Ekel
zu zähmen. »Ich fühle mich keineswegs geehrt, dass Sie mir Ehebruch
vorschlagen.«
Hiermit erntete sie lediglich ein Achselzucken.
»Wie ich bisher feststellen konnte, scheint es in England Brauch zu
sein. Hier sind viele adlige Eheschließungen nichts als
Vernunftverbindungen, in denen Gemahl wie Gemahlin frei sind, sich
Mätressen oder Liebhaber zu nehmen, solange die edle Dame Erben
gebärt und diskret ist.«
»Für manche adligen Ehen mag es zutreffen, aber
nicht für meine.« Sie wandte sich ab und ging weiter den
Kiesweg entlang, so dass es dem Prinzen überlassen war, ihr zu
folgen.
»Warum nicht? Was ist an Ihrer Ehe anders?«, fragte
er und klang tatsächlich neugierig.
Was war anders an ihrer Ehe, fragte nun auch
Eleanor sich, solange Damon selbst von einer Vernunftbindung
sprach? Deshalb vermied sie eine direkte Antwort. »Ich würde meinen
Gemahl nie auf
diese Weise hintergehen. Nicht den Mann, den ich liebe.«
»Liebe?«, wiederholte Lazzara verwundert. »Ist es
das, was Sie für Ihren Gemahl empfinden?«
»Oh ja.« Sie hatte nie aufgehört, Damon zu lieben,
auch nicht nach der gelösten Verlobung. Als er sich vor wenigen
Wochen zurück in ihr Leben drängte und sie halb in den Wahn trieb
mit seinen ärgerlichen Einmischungen, hatte sie vergeblich
versucht, gegen ihre Gefühle für ihn zu kämpfen. In Wahrheit hatte
sie niemals eine Chance gegen die Sehnsucht in ihrem Herzen
gehabt.
Lazzara betrachtete sie skeptisch, offenbar nicht
überzeugt, dass sie sein dreistes Angebot wirklich ablehnen wollte.
»Also ist das Ihre Antwort. Donna Eleanora?«
»Ja, Hoheit. Und ich möchte nicht weiter darüber
sprechen. Bitte, können wir über anderes reden?«
»Wie Sie wünschen«, murmelte der Prinz. »Obgleich
Wrexham nicht dieselben Skrupel zu haben scheint wie Sie.«
Sie sah ihn an. »Wie bitte?«
»Erst heute Nachmittag war ich in Brighton und sah
ihn mit Mrs Newling.«
Mrs Newling? Mrs Lydia Newling?
Eleanor blieb stehen, so dass der Prinz gleichfalls
anhalten musste. »Was haben Sie gesagt?«, fragte sie.
»Ich sah Lord Wrexham mit seiner Inamorata.
Mrs Newling war einmal seine Geliebte, nicht wahr? Oder sollte ich
nicht über solche Dinge sprechen?«
Eleanor starrte ihn an und wollte nicht glauben,
was sie gehört hatte. »Sie müssen sich irren«, hauchte sie.
»Ich versichere Ihnen, ich irre nicht.« Der Prinz
lächelte matt. »Ich gestehe, dass ich bisweilen das Englische nicht
sehr gut verstehe. Und ich begreife nicht, warum Wrexham sich sein
Vergnügen andernorts sucht, wenn er Sie in seinem Bett hat.«
Nur hatte Damon sie bis letzte Nacht nicht in
seinem Bett gehabt. Sie hatte willentlich Distanz gewahrt, ihn
hingehalten, auf dass er sie umso mehr begehrte.
Angst regte sich in ihr. Gütiger Himmel, konnte es
wahr sein? Hatte Damon sich seiner früheren Mätresse zugewandt, um
seine Bedürfnisse zu stillen, während er ihr immerfort Treue
schwur? Nein, das konnte nicht sein …
»Falls Sie mir nicht glauben, Donna, sollten Sie
sich selbst überzeugen. Sie finden ihn im Boar’s Head in Brighton.
Wrexham ist in diesem Moment dort. Ich verabschiedete mich erst
kürzlich von ihm.«
Sie kannte das Boar’s Head Inn und wusste, dass es
eine geschäftige Poststation auf der Hauptstrecke nach London
war.
Ihre Hand wanderte von selbst zu ihrem Herzen, in
dem sich ein stechender Schmerz bemerkbar machte. Betrog Damon sie,
noch ehe ihrer beider Unterschriften auf dem Ehevertrag getrocknet
waren? Guter Gott!
Ihre Knie fühlten sich auf einmal wie Pudding an,
und in ihrem Kopf drehte sich alles, als würde sie
ohnmächtig.
»Ist Ihnen nicht wohl, Donna Eleanora?«, fragte der
Prinz nun überflüssigerweise. »Sie sind sehr blass.«
Natürlich war sie kreidebleich vor Schreck und vor
Schmerz. Sie schüttelte stumm den Kopf, denn ihr Hals war zu eng,
als dass sie einen Ton herausgebracht hätte. Sie musste weg von dem
Prinzen, bevor sie endgültig zusammenbrach.
Mit größter Anstrengung schaffte Eleanor es, zu
leugnen. »Nein, mir ist recht wohl, Hoheit. Aber ich glaube, ich
möchte ins Haus zurückkehren. Wenn Sie mich bitte entschuldigen
wollen.«
Eilig wandte sie sich ab und lief den Weg zurück,
ja, sie rannte fast. Die Geschichte wiederholte sich. Damon betrog
sie wieder mit derselben wunderschönen Kurtisane, die über Jahre
seine Mätresse gewesen war.
Eleanor ballte die Hände über ihrer Brust, um den
entsetzlichen Schmerz darin einzudämmen.
Liebte er Lydia Newling? Kehrte er deshalb immer
wieder zu ihr zurück? Der Gedanke allein war unerträglich
schmerzhaft.
Eleanor betrat das Herrenhaus durch die Seitentür
und blieb drinnen stehen, um sich zu orientieren. Plötzlich fühlte
sie sich wie gelähmt und krümmte sich in dem Versuch, Atem zu
holen, weil sie zu ersticken glaubte.
Sich vorzustellen, dass Damon sie während dieser
Woche, womöglich während der ganzen Zeit seit seiner Rückkehr nach
England betrogen hatte!
Wie konnte er? Nach all seiner Zärtlichkeit
und Leidenschaft heute Morgen, hatte sie angefangen zu glauben,
dass sie doch noch eine richtige, von Liebe
erfüllte Ehe führen könnten. Was für eine dumme Närrin sie gewesen
war!
Die kalte Verzweiflung, die ihr das Herz in der
Brust zusammendrückte, wurde von einer aufkeimenden Wut gemildert.
Wie konnte er es wagen? Damon hatte den Liebesakt mit ihr vollzogen
und war ihr dann bei erster Gelegenheit untreu geworden, als
scherten ihn ihre Gefühle nicht.
Nun, das würde sie nicht hinnehmen! Aber welche
Wahl hatte sie? Ihre Ehe konnte Eleanor nicht so beenden wie ihre
Verlobung vor zwei Jahren, denn dazu war es zu spät. Aber sie
wollte Damon nie wiedersehen, nie wieder mit ihm reden.
Ihr einziger Weg war der, ihn aus ihrem Leben zu
verbannen. Er wollte eine Vernunftehe, dann sollte er sie haben!
Sie würde unabhängig von ihm leben, sobald sie wieder in London
waren.
Bis dahin würde sie für sich behalten, dass sie von
seiner Mätresse wusste. Schließlich besaß sie auch noch einen Rest
Stolz.
Nein, dachte sie mit einem Anflug von Panik, das
würde nicht gehen. Sie konnte Damon nicht gegenübertreten. Nicht
jetzt, mit diesem entsetzlichen Schmerz. Sie musste umgehend nach
London zurückkehren.
Eleanor richtete sich auf und zwang sich, den
Korridor entlangzugehen und die hintere Dienstbotentreppe
hinaufzusteigen. Sie war fast bei ihrem Schlafgemach, als zu ihrer
Verzweiflung ihre Tante am anderen Ende des Flurs erschien.
Rasch drehte sie sich um und wollte in die andere
Richtung davoneilen, denn sie war nicht in der Verfassung, mit
ihrer Tante zu sprechen.
Zuerst gab sie vor, Beatrix nicht zu hören, die ihr
nachrief. Aber als die Viscountess sie streng mit Namen ansprach,
musste sie wohl oder übel innehalten.
»Ich gestehe, dass ich enttäuscht bin«, sagte
Beatrix, als Eleanor näher kam, »dich hier, statt unter unseren
Gästen vorzufinden.«
»Ich bedaure, Tante«, murmelte Eleanor, »aber ich
bitte dich, mich zu entschuldigen. Ich möchte noch heute Abend nach
London zurückreisen, und deshalb sollte ich jetzt packen.«
»Gütiger Himmel, was ist denn nur?«, rief Beatrix,
die Eleanor ein bisschen zu aufmerksam ansah.
»Nichts, Tante«, antwortete sie ruhig, obwohl ihr
das Herz brach. »Ich möchte nur nicht länger hierbleiben.«
»Ich begreife nicht, warum in aller Welt nicht.
Meine liebe Eleanor, ich bestehe darauf, dass du mir auf der Stelle
erzählst, was dich bedrückt!«
Eleanor zögerte zunächst, bevor sie leise gestand:
»Es ist Damon. Prinz Lazzara sah ihn heute Nachmittag in einer
Poststation. Er traf sich mit derselben Mätresse, die er vor zwei
Jahren hatte.«
Eine Weile sah Beatrix sie schweigend an, während
sich ein Vielzahl von Empfindungen in ihrer Miene spiegelten: Wut,
Ekel, Mitleid und schließlich Strenge.
»Nun, davon geht die Welt nicht unter«, sagte sie
brüsk. »Herren halten sich oft Mätressen. Wichtig ist allein, dass
eure Verbindung besiegelt ist und du immer Lady Wrexham sein wirst.
Wenn du mich fragst, schluck deinen Stolz hinunter, meine Liebe,
und ignoriere seine kleinen Amüsements.«
Eleanor konnte nicht glauben, was sie hörte. »Du
denkst, ich sollte die Tatsache ignorieren, dass Damon sich eine
Mätresse hält?«
»Ja, durchaus. Die meisten adligen Ehefrauen tun
es, mich eingeschlossen, bevor ich Witwe wurde. Es ist bedauerlich,
dass Wrexham sich Damen dieser Couleur zuwendet, aber meiner
Erfahrung nach ist es das Klügste, über die Verfehlungen deines
Gatten hinwegzusehen.«
Sie wollte nicht über die Verfehlungen ihres Gatten
hinwegsehen! Aber jeder Widerspruch wäre sinnlos, denn ihre Tante
kümmerte lediglich, dass sie verheiratet waren.
Als sie schwieg, legte Beatrix ihr eine Hand auf
die Schulter. »Vertrau mir, Eleanor, du solltest es dir nicht zu
Herzen nehmen. Ehefrauen arrangieren sich von jeher mit dieser
unerfreulichen Geschichte. Möchtest du dich nicht ein wenig
hinlegen? Du fühlst dich besser, wenn du erst in Ruhe über alles
nachgedacht hast. Lass dir von Jenny einen feuchten Umschlag für
die Stirn geben.«
Tausend feuchte Umschläge könnten ihr nicht helfen,
aber sie tat, was ihre Tante sagte und ging in ihr Zimmer. Dort
läutete sie allerdings nach Jenny, damit sie ihr beim Packen
half.
Doch plötzlich fühlte sie sich schrecklich matt, so
dass sie sich aufs Bett legte und ins Nichts starrte.
Der strahlende Sonnenschein, der ins Zimmer fiel,
erinnerte sie daran, wie hoffnungsvoll sie noch heute Morgen
gewesen war. Nun schwankte sie zwischen Leere, Schmerz und
Zorn.
Sie war so furchtbar verletzt, dass sie sterben
wollte.
Nein, sie wollte jemanden ermorden. Sie wollte schreien, weinen,
hysterisch mit den Füßen aufstampfen, und sie wollte sich
zusammenrollen und nichts mehr von der Welt wissen.
Das Schlimmste aber war, dass sie zu Damon gehen
und ihn anflehen wollte, seine Mätresse aufzugeben.
Wütend wischte sie sich die Augen. Sie würde nicht
wegen dieses schrecklichen Wüstlings weinen! Schließlich hatte sie
gewusst, dass Damon ein herzloser Schurke war, und er hatte es
abermals bewiesen. Also musste sie sich mit der schmerzlichen
Wahrheit abfinden und sich ein eigenes Leben einrichten, ohne
ihn.
Nur leider wollte sie ihn nicht verlassen. Ohne
Damon wäre ihr Leben leer. Er erfüllte sie mit kribbelnder
Erregung, entflammte sie mit seiner Leidenschaft, vertrieb ihre
Einsamkeit.
Ohne ihn war sie nicht komplett.
Eleanor schluckte. Hatte sie nicht geschworen,
Damon von seiner Untreue abzubringen? Warum lag sie dann so
erbärmlich hier herum?
Nahm sie etwa hin, dass Damon eine andere Frau mehr
begehrte als sie? Nein, das akzeptierte sie nicht.
Sie liebte ihn und würde um ihn kämpfen.
Abrupt setzte sie sich auf, entschlossen, alles zu
tun, was nötig war, um ihn aus den Klauen der anderen zu
befreien.
Wuttränen brannten in ihren Augen, doch sie
weigerte sich, sie zu vergießen. Stattdessen sprang sie auf und
marschierte aus dem Zimmer, um die Kutsche anspannen zu
lassen.
Sie wollte zum Boar’s Head Inn fahren und Damon zur
Rede stellen!