Achtes Kapitel
Indem Sie Interesse an einem anderen Gentleman vorgeben, wecken Sie seine Eifersucht, was recht nützlich sein kann. Aber seien Sie vorsichtig. Sie dürfen auf keinen Fall zu weit gehen, sonst wecken Sie einen schlummernden Teufel.
 
Eine anonyme Dame, Ratgeber …
 
 
Zu Eleanors Verdruss träumte sie in dieser Nacht von Damon. In ihrem Traum erregte er sie mit seinen atemberaubenden Küssen und seinen zärtlichen Händen, so dass sie von einer Vielzahl Empfindungen überwältigt wurde – bezaubernde Intimität, lodernde Hitze und unfassbare Wonne.
Ihr Körper löste sich unter seinen Berührungen auf … Doch plötzlich wechselte ihr Traum von einer sinnlichen Fantasie zu einer schmerzlichen Erinnerung.
Der Rosengarten war klein und abgeschieden, ihr ganz privates Refugium auf dem riesigen Landsitz ihrer Tante. Eleanor war noch schwindlig vor Glück, ihre Verlobung mit Damon eben erst vier Tage alt. Die Hausgesellschaft war gerade vorüber, und dies war ihre erste Gelegenheit, allein zu sein, nachdem alle Gäste abgereist waren.
Sie stahlen sich aus dem Herrenhaus, und Eleanor brachte Damon her, an jenen ganz besonderen Ort aus ihrer Vergangenheit, den sie noch mit niemandem geteilt hatte.
»Dieser Garten war Marcus’ Geschenk an mich, nachdem unsere Eltern starben, als ich zehn war«, erklärte Eleanor. »Er wollte an die Universität zurückkehren, und als ich ihn anflehte, mich nicht hierzulassen, pflanzte er einen Rosenstrauch für mich. Von da an kam an jedem meiner Geburtstage ein weiterer Strauch hinzu.«
Sie folgte dem Kiesweg, an dem sich zehn große Sträucher üppiger rosa Rosen in einem Spiralmuster wanden, und führte Damon in die Mitte der Spirale. Dort bückte Eleanor sich und strich liebevoll über eine samtige Blüte. »Diese Rose war die Erste«, erzählte sie. »Marcus sagte, er würde im Geiste bei mir sein, solange ich meine Rosen habe. Und ich hätte etwas, das mich an seine Liebe erinnerte. Wenn ich hierherkomme, fühle ich mich nie einsam.«
Ihr Herz von Freude erfüllt, blickte sie zu Damon auf. »Liebe besiegt die Einsamkeit, und nun, da ich deine Ehefrau werde, weiß ich, dass ich niemals wieder einsam sein werde.«
Zuerst fiel ihr gar nicht auf, wie still Damon geworden war. »Liebe?«, fragte er leise.
Scheu hatte sie zu ihm aufgelächelt. »Ja. Ich liebe dich, Damon. Mehr als ich je geglaubt hätte, jemanden lieben zu können.« Dann bückte sie sich wieder, pflückte eine Blüte ab und hielt sie an seine Lippen. »Ich weiß, dass du meine Liebe noch nicht erwiderst. Schließlich sind nicht einmal drei Wochen vergangen, seit wir uns begegneten. Aber ich hoffe, es wird sich bald ändern.«
Nach langem Zögern berührte er sanft ihre Wange. »Ich möchte dir nicht wehtun, Elle.«
Sie erschauderte und konnte die Schatten nicht deuten, die sich in seinen Augen zeigten. Sein Verhalten entsprach nicht dem, was sie sich gewünscht hatte, doch sie wollte die Hoffnung nicht aufgeben. »Du könntest mir nie wehtun, Damon. Du würdest niemals …«
Eleanor schrak aus dem Schlaf. In der Dunkelheit hörte sie noch das Echo ihrer naiven, vertrauensvollen Worte und erinnerte sich an ihre entsetzliche Verzweiflung eine Woche später, als sie wieder in London waren und sie Damon mit seiner schönen Mätresse sah.
Selbst nach zwei Jahren fühlte sie den Schmerz noch. Sie schloss die Augen und vergrub ihr Gesicht im Kissen, um die Tränen zurückzuhalten.
Als sie wieder aufwachte, war es Morgen. Der Schmerz war verklungen, aber es blieb eine tiefe Traurigkeit, gepaart mit einer noch größeren Unruhe. Nach Damons nächtlichem Besuch in ihrem Schlafzimmer war sie entschlossener denn je, bei ihrem Plan zu bleiben und Fannys Ratgeber für heiratswillige junge Damen zu nutzen, um Prinz Lazzara zu gewinnen.
Sie würde sich doppelt bemühen, seine Zuneigung zu wecken, schwor Eleanor sich, und ihm einen Antrag zu entlocken. Vor allem wollte sie sich nach Kräften anstrengen, sich in ihn zu verlieben. Was konnte eine bessere Methode sein, den anmaßenden Lord Wrexham zu vergessen, als die, einem anderen ihr Herz zu schenken?
Leider taten sich hier gewisse Hindernisse auf, denn ihr Verehrer blieb aus. Den ganzen Tag sah sie den Prinzen nicht, erhielt jedoch einen kurzen Brief von ihm, in dem er sich entschuldigte, sie nicht wie vereinbart zur nachmittäglichen Ausfahrt im Park abzuholen, weil er sein Knie schonen müsse.
Enttäuscht verbrachte Eleanor einen ruhigen Abend zu Hause mit ihrer Tante. Der einzige Lichtblick war ihre Unterhaltung beim Abendessen, wo sie über den Ball sprachen, den Beatrix’ enge Freundin, die verwitwete Countess of Haviland, am nächsten Abend gab.
»Mary hat seit über zehn Jahren nicht zum Ball geladen«, bemerkte Beatrix, »ihrer zarten Gesundheit wegen. Aber nun will sie dringend Haviland verheiraten und lässt nichts unversucht, ihm passende junge Damen vorzustellen.«
Lady Havilands Enkel, Rayne Kenyon, hatte nach dem Tod seines Vaters im letzten Jahr dessen Titel geerbt, wie Eleanor wusste. Im Frühsommer fiel im Zusammenhang mit seinem Namen häufiger der von Roslyn Loring, aber offenbar war es mit ihrer Romanze nicht weit her gewesen, denn Roslyn heiratete den Duke of Arden.
»Alles, was Rang und Namen hat, wird zu Marys Ball kommen, glaube mir«, fügte Beatrix hinzu, »und natürlich eine ganze Schar von Debütantinnen … Nun, zumindest alle, die während der Saison keinen Bräutigam fanden.«
Eleanor vermutete, dass ihre Tante Recht hatte. Vor dem Ende der napoleonischen Kriege war Haviland oft außer Landes gewesen, und bis vor kurzem hatte er um seinen Vater getrauert. Folglich war er erst jetzt wieder verfügbar, und weil ein wohlhabender, ungebundener Earl eine erstklassige Partie war, dürften sich morgen Abend zahlreiche junge Damen bemühen, Lord Haviland mit ihrem Charme zu überschütten – exakt die jungen Damen, für die Fanny ihren Ratgeber schrieb. Aber dieses amüsante Detail behielt sie für sich. Ihre Tante sollte auf keinen Fall denken, sie wäre an Haviland interessiert. Ein Adliger genügte ihr im Moment vollkommen.
Und Beatrix war gegenwärtig ohnehin viel zu sehr auf Prinz Lazzara konzentriert, als dass sie auf die Idee käme, Eleanor mit einem anderen Gentleman zusammenbringen zu wollen.
»Signor Vecchi sagte mir, dass er und der Prinz auf dem Ball sein werden«, kündigte Beatrix zufrieden an. »Es ist ein Jammer, dass seine Hoheit mit dem verletzten Knie nicht tanzen kann und sich darauf beschränken muss, den anderen zuzusehen. Wir sorgen dafür, dass wir gleich neben ihm sitzen, Eleanor, so dass du dich den Abend über mit ihm unterhalten kannst. Am Ende könnten sich die beklagenswerten Umstände noch als überaus günstig für dich erweisen.«
Eleanor blickte ihre Tante verwundert an. Für gewöhnlich zog sich Beatrix, die dem Tanzen nichts abgewinnen konnte, in den Kartensalon zurück, kaum dass das Orchester die ersten Takte anstimmte. »Beabsichtigst du, als meine Anstandsdame bei uns zu sitzen, Tante?«
»Nein, nein! Du brauchst wohl kaum eine Anstandsdame, und meine Anwesenheit könnte deine Fortschritte bei Prinz Lazzara behindern. Aber ich habe vor, im Ballsaal zu bleiben. Es ist lange her, seit ich einen Ball richtig genießen konnte, und Signor Vecchi bat mich um den ersten Tanz.«
»Ahh.« Der distinguierte italienische Diplomat hatte es also geschafft, ihre Tante von ihren lange gehegten Gewohnheiten abzubringen.
Beatrix wurde rot. »Gewiss mutet es absurd an, in meinem Alter herumzuspringen wie ein junges Mädchen, aber ich gestehe, dass ich mich wieder beinahe jung fühle.«
Eleanor lächelte. »Mir erscheint es überaus entzückend. Alter ist nicht unbedingt der beste Maßstab dafür, wie jung man im Herzen ist.«
»Es ist ein Glück, dass wir neue Kleider für meine Hausgesellschaft orderten. Eigentlich wollte ich das in lavendelfarbener Seide bis dahin aufheben, aber ich glaube, ich trage es lieber morgen. Und du solltest deine Garderobe gleichfalls sehr sorgfältig auswählen, meine Teure. Für den Prinzen musst du die Schönste im ganzen Saal sein.«
»Ich werde mir Mühe geben, Tante«, sagte Eleanor.
 
Wie ihre Tante, trug auch Eleanor am folgenden Abend eines ihrer neuen Ballkleider, eine modische Kreation aus zartrosa Seidenmusselin, deren Mieder im Empirestil mit winzigen Perlen bestickt war. Sie kleidete sich mit größter Sorgfalt und ließ sich das Haar von der Garderobiere ihrer Tante kunstvoll frisieren, die ihr rosa Bänder und Perlen in die kurzen pechschwarzen Locken wob.
Sie wollten nicht vornehm spät zum Ball kommen, wie es Lady Beldon sonst tat. Stattdessen würden sie pünktlich erscheinen, damit Beatrix, falls nötig, die Sitzordnung verändern und sich in Ruhe auf ihren Tanz mit dem Signor vorbereiten konnte.
Der Schlange nach zu urteilen, die sich vor dem Saal bildete, war der Ball ausgesprochen gut besucht, wie Eleanor feststellte. Ihre Tante und sie mussten annähernd zehn Minuten warten, ehe sie von der grauhaarigen Lady Haviland und dem großen, schwarzhaarigen Adligen neben ihr begrüßt wurden.
Lord Havilands Züge wirkten rauer, obgleich nicht ganz so intensiv wie Damons, dachte Eleanor, die beide Männer unwillkürlich verglich. Aber wie Damon strahlte auch Haviland etwas Gefährliches aus, das ihn reizvoll genug machte, um alle Damen sogleich ihre Fächer wedeln zu lassen.
Sein Lächeln war genauso entwaffnend wie Damons, und seine Augen gleichfalls von dichten schwarzen Wimpern gesäumt, allerdings blau, nicht dunkelbraun wie Damons.
Wie ihre Tante vorausgesagt hatte, wollte Lady Haviland eine geeignete Braut für ihren Enkel finden.
»Ich bin entzückt, dass Sie kommen konnten, Lady Eleanor«, sagte sie. »Sie werden eine ausgezeichnete Tanzpartnerin für Haviland sein … nicht wahr, mein Lieber?«
»Fürwahr«, bestätigte seine Lordschaft freundlich. »Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie mir einen Tanz reservieren könnten, Lady Eleanor.«
»Mit Vergnügen«, antwortete sie nicht minder freundlich. Haviland war offenbar bereit, die Ehestiftungsbemühungen seiner Verwandten mit Fassung zu erdulden, und das amüsierte Funkeln in seinen Augen machte ihn Eleanor auf Anhieb sympathisch.
Nach der Begrüßung jedoch blickte sie sich in der Menge um, auf der Suche nach einem ganz bestimmten Gast. Ihre Tante entdeckte Prinz Lazzara und dessen älteren Cousin als Erste – in der hinteren Ecke des Ballsaals, wo sie vor einer Reihe von Topfpflanzen saßen. Dort führte sie Eleanor hin.
Der Prinz erhob sich mit Hilfe eines Gehstocks, schenkte Eleanor ein liebenswürdiges Lächeln und verneigte sich. »Ich bedaure zutiefst, nicht mit der schönsten Dame im Saal tanzen zu können, Donna Eleanora«, murmelte er, sobald sie sich formell begrüßt hatten. »Aber Sie würden mir eine große Freude erweisen, wenn Sie mir für eine Weile Gesellschaft leisteten.«
»Selbstverständlich, Hoheit. Es ist mir ein Vergnügen«, antwortete Eleanor und setzte sich auf den Stuhl neben ihn, während ihre Tante sich stehend mit Signor Vecchi unterhielt. »Welch ein Verdruss, dass Ihre Verletzung so ernst ist.«
Prinz Lazzara zog eine unglückliche Miene. »Sie bereitet mir einigen Schmerz, doch nun, da Sie hier sind, spüre ich ihn gar nicht mehr. Und wo Sie schon so großzügig sind, sich meinetwegen zu opfern, erlauben Sie mir, Ihnen eine Erfrischung bringen zu lassen.«
Er winkte einen Diener herbei, der Eleanor ein Glas Punsch brachte. Der Prinz selbst hatte bereits eines. Eleanor nippte höflich an ihrem Getränk und plauderte mit dem Italiener, wobei ihre Gedanken immer wieder abschweiften, als sie sich im Saal umschaute. Glücklicherweise konnte sie Damon nirgends sehen und hoffte, dass er den heutigen Ball nicht besuchte.
Diese Hoffnung hielt nicht lange an.
Sie bemerkte ihn sofort, als er in den Saal kam, was bei einem Mann, der stets alle Aufmerksamkeit auf sich zog, nicht weiter wundernahm. In seiner vornehmen Abendgarderobe – dunkelgrauer Gehrock, silberne Brokatweste und weiße Seidenkniebundhose – schien er größer und eindrucksvoller als alle anderen Männer im Saal, mit Ausnahme vielleicht von Prinz Lazzara und Lord Haviland.
Sein Freund, der Arzt Mr Geary, begleitete ihn, wie Eleanor sah, und zusammen gaben sie ein seltsames Paar ab, denn Mr Geary war klein, untersetzt, schlichter gekleidet und hatte leuchtend rotes Haar sowie Sommersprossen im Gesicht.
Einen Moment später blickte Damon sich im Ballsaal um und erspähte Eleanor. Prompt machte sie sich gerade und fluchte im Stillen, weil ihr Herz schneller schlug, kaum dass er sie ansah.
Allerdings sah er sie heute Abend noch eindringlicher an. Sein Blick wanderte über ihr Kleid, verharrte auf dem Oberteil, und sie ahnte, dass er nicht bloß die aufgestickten Perlen bewunderte. Nein, er erinnerte sich, wie lustvoll sie zwei Nächte zuvor auf seine skandalösen Zärtlichkeiten reagierte. Zum Teufel mit ihm!
Eleanor wurde heiß, bevor er ihr ins Gesicht schaute und sich ihre Blicke begegneten. Natürlich erging es ihr wie jedes Mal, wenn er in ihrer Nähe war: Sie war überwältigt, atemlos, gebannt, verzaubert.
Für die Dauer mehrerer Herzschläge war der Trubel im Ballsaal gleichsam gedämpft, und ihr schien, als gäbe es nur noch Damon und sie im Saal, eingehüllt in ihre eigene Welt.
Der Zauber wurde gebrochen, sobald mehrere junge Damen zu ihm eilten. Leider konnte Eleanor nicht umhin, fasziniert zu beobachten, wie Damon sie alle auf seine umwerfend charmante Art begrüßte.
Und sie war nicht die Einzige, die hinschaute. Neben ihr murmelte der Prinz einen italienischen Fluch.
»Muss er jedes Mal erscheinen, wenn ich Sie für mich habe? Seine Allgegenwart ist enervierend.«
»Dem stimme ich zu«, flüsterte Eleanor.
Lazzara blickte finster zu Damon. »Er scheint Ihnen den Hof machen zu wollen, Donna Eleanora.«
»Falls dem so ist, geschieht es gegen meinen Wunsch.«
Nun sah der Prinz sie an. »Wrexham ist ein skrupelloser Bursche, keineswegs der ideale Verehrer für eine junge Dame wie Sie.«
Seine Bemerkung klang eher nach einer Frage als einer Feststellung. Als Eleanor »Gewiss nicht« antwortete, wirkte der Prinz zufrieden und wandte sich weniger heiklen Themen zu.
Ungefähr eine Viertelstunde verging, in der einige Bekannte kamen, um sie zu begrüßen und den Prinz wegen seiner Verletzung zu bedauern, dann stimmte das Orchester ein Eröffnungsmenuett an. Signor Vecchi führte Lady Beldon auf die Tanzfläche, worauf Eleanor mit Prinz Lazzara allein zurückblieb.
»Es ist recht warm hier, nicht wahr?«, fragte er nach einer kurzen Weile.
Zu Eleanors Verwunderung war sein Gesicht ungewöhnlich rot. Ihm standen sogar Schweißperlen auf der Stirn.
Tatsächlich sorgten die zahlreichen Kronleuchter und die vielen Menschen im Saal für Hitze, jedoch nicht mehr als sonst, wie Eleanor fand.
»Vielleicht möchten Sie mich ein wenig nach draußen begleiten, wo es kühler ist«, schlug der Prinz vor.
»Dürfen Sie denn gehen, Don Antonio?«
»Mit meinem Gehstock durchaus. Nur tanzen kann ich nicht. Und ich hätte Ihre Aufmerksamkeit sehr gern ganz für mich allein.«
Ihr Lächeln brauchte Eleanor nicht vorzutäuschen. Der Prinz wollte mit ihr allein sein, und sie würde die Gelegenheit nutzen, so gut sie konnte. »Ja, das würde ich auch gern, Hoheit.«
Er nahm ihr den Punsch ab und stellte ihn mit seinem eigenen, halbleeren, neben dem Stuhl auf den Boden. Dann stand er auf und führte sie an den Topfpflanzen vorbei durch eine Glasflügeltür.
»Hier ist es bedeutend besser«, sagte er, als sie auf dem Balkon waren, von dem aus man auf den Garten blickte. »Die Nachtluft ist angenehm kühl.«
Eleanor bestätigte, denn sie trug lange Handschuhe zu ihrem kurzärmeligen Kleid, und der Septemberabend war ungewöhnlich mild.
»In meinem Land ist es jungen Damen verboten, allein mit einem Mann zu sein«, erzählte Lazzara. »Was das Werben recht schwierig macht.«
Seine Stimme war eine Nuance tiefer geworden und hatte einen raueren Unterton angenommen, wie Eleanor bemerkte. Als sie aufsah, wurden seine hübschen Züge vom schwachen Mondlicht beschienen.
»In meinem Land sind die Regeln etwas weniger streng«, antwortete sie und fragte sich, ob er sie küssen wollte. Immerhin eilte ihm ein gewisser Ruf voraus. Aber sie würde ihm nicht alles allein überlassen, entschied Eleanor und ermunterte ihn, indem sie den Kopf leicht in den Nacken neigte.
Mehr Aufforderung bedurfte es offenbar nicht, denn schon presste Lazzara seinen Mund auf ihren.
Seine Lippen waren weich und unerklärlich … zahm, stellte Eleanor enttäuscht fest. Sie hatte erwartet, dass der Prinz selbstsicherer wäre. Stattdessen behandelte er sie wie eine zarte Blüte, ganz anders als Damon …
Verärgert, weil sie in diesem Moment an Damon dachte, und noch mehr, weil sie den Kuss nicht so genoss, wie sie es sollte, hob sie die Hände zu den Schultern des Prinzen, um ihm zu zeigen, dass er seine Bemühungen gern intensivieren dürfte …
In dem Moment vernahm sie ein Räuspern hinter sich. Sofort brach der Prinz den Kuss ab, während Eleanor ein Stück zurückwich.
Noch ehe er ein Wort gesprochen hatte, erkannte sie, dass es Damon war, der auf den Balkon getreten war. »Das also ist die neueste List, die Sie Ihrem Ratgeber zur Eroberung Ihres Bräutigams entnahmen, Lady Eleanor? In welchem Kapitel wird dieser romantische Spielzug beschrieben?«
Mit vor Scham glühenden Wangen drehte sie sich zu ihm um. Damon lehnte lässig in der offenen Balkontür.
»Aber, aber, Mylady, was würde Ihre gute Tante sagen?«
Ihre Tante wäre gewiss entzückt, lautete die Antwort, die Eleanor durch den Kopf ging, die sie jedoch nicht vor dem Prinzen aussprechen durfte.
Da ihr keine angemessenere Entgegnung einfallen wollte, beschränkte Eleanor sich auf einen erbosten Blick. Damon hingegen fuhr fort, als wüsste er gar nicht, dass seine Einmischung höchst unerwünscht war. »Welch ein Glück, dass ich Sie vorher entdeckte. Nicht auszudenken, jemand anders hätte Sie in dieser kompromittierenden Situation mit Prinz Lazzara ertappt. Sie wären genötigt, eine Verbindung einzugehen, die Sie beide bereuen würden.«
Ausnahmsweise erholte der Prinz sich rascher von seinem Schrecken als Eleanor und machte einen Schritt auf Damon zu. Dabei belastete er unabsichtlich sein verletztes Knie, so dass er das Gesicht verzog. Aber er richtete sich umgehend mit Hilfe seines Gehstocks zur vollen Höhe auf und blickte Damon hochnäsig an.
Leider war die Geste nicht ganz so erfolgreich, wie der Prinz es sich gewünscht haben dürfte, denn er war kleiner als der Engländer. »Ich bezweifle, dass ich eine solche Verbindung bereuen könnte. Es wäre wohl alles andere als unangenehm, mit einer reizenden Dame wie Donna Eleanora verheiratet zu sein.«
Damon sah erstmals zu dem Prinzen – herab. »Möglicherweise sind Sie sich nicht gewahr, dass ich bereits seit längerem um Lady Eleanor werbe, Hoheit.«
Eleanor hielt hörbar die Luft an, während Lazzaras Miene sich verfinsterte. »Die Signorina scheint dem zu widersprechen.«
»Oh ja, das tue ich«, sagte sie eilig. »Lord Wrexham hat keinerlei Ansprüche auf mich.« Dann wandte sie sich wütend zu Damon. »Wenn Sie dann bitte die Güte hätten, uns allein zu lassen, Mylord.«
Für einen Moment sah er sie nur vollkommen ungerührt an. »Nun gut, meine Liebe, aber bleiben Sie nicht zu lange hier. Sie wissen, wie schnell die Leute reden.«
Mit diesen Worten machte Damon auf dem Absatz kehrt und ging in den Ballsaal zurück. Eleanor war maßlos wütend und verlegen.
»Verzeihen Sie mir. Ich hätte die Situation nicht ausnützen dürfen, mich Ihnen aufzudrängen«, sagte der Prinz.
Aus unerfindlichen Gründen ärgerte seine Entschuldigung Eleanor noch mehr. Damon würde sich für eine derart scheue Zuneigungsbekundung niemals entschuldigen, geschweige denn behaupten, er hätte sich ihr aufgedrängt, obgleich sie seine Avancen bereitwillig zuließ. Andererseits war der Prinz auch ein wahrer Gentleman, und sie sollte ihren Zorn nicht gegen ihn wenden, denn er war nicht der eigentliche Schuldige.
Eleanor rang sich ein Lächeln ab. »Es gibt nichts zu entschuldigen, Hoheit. Aber vielleicht sollten wir wieder hineingehen, ehe man unsere Abwesenheit bemerkt.«
Prinz Lazzara nickte. »Ja. Gehen Sie doch bitte schon ohne mich vor, denn ich würde gern noch ein wenig bleiben und die kühle Abendluft genießen.«
Wie sie sah, wirkte er nach wie vor ungewöhnlich erhitzt.
Mit einem höflichen Knicks verabschiedete sie sich von ihm und trat durch die offene Tür in den Ballsaal. Kaum überraschend war, dass Damon sie drinnen im Schatten der großen Topfpalmen erwartete. Und sie war nicht einmal erbost, konnte sie es doch nicht erwarten, ihm zu sagen, was sie von seinem Betragen hielt.
»Was in aller Welt denkst du dir dabei, mich in eine so peinliche Lage zu bringen?«
Damon zeigte keinen Anflug von Reue. »Hattest du ernsthaft geglaubt, ich würde untätig dastehen, wohl wissend, dass du ihn mit deinen neu erworbenen Listen verführen willst?«
»Ich wollte ihn nicht verführen!«
»Aber du hast ihn geküsst.«
»Was nicht deine Angelegenheit ist! Du wirbst nicht um mich und hast folglich kein Recht, dich einzumischen.«
»Ich würde meinen, in dieser Angelegenheit könnte man unterschiedlicher Ansicht sein«, raunte Damon. »Aufgrund unserer gemeinsamen Vergangenheit hege ich sehr wohl den Wunsch, dich zu beschützen. Und du überschätzt meine Selbstbeherrschung, falls du denkst, ich könnte meine Eifersucht kontrollieren.«
Eleanor zog die Brauen zusammen. »Du hast überhaupt keinen Anlass, eifersüchtig zu sein!«
»Dann möchtest du mir eventuell danken, weil ich des Prinzen Eifersucht erregt habe. Was wäre besser geeignet, seine Begierde zu entfachen?«
»Ich werde dir ganz gewiss nicht danken«, zischte Eleanor. »Ich bin doch kein Knochen, um den sich zwei Hunde streiten!«
Zu ihrem Verdruss konnte ihr wütender Blick Damon nicht einschüchtern. Vielmehr sah er sie umso provozierender an.
Im selben Moment stimmte das Orchester einen Walzer an. Ehe sie begriff, wie ihr geschah, trat Damon auf sie zu und nahm sie in die Arme.
»Ich mag vielleicht kein Recht haben, deine Hand zu fordern, aber ich fordere diesen Tanz mit dir.«
Zwar wollte Eleanor sich ihm entwinden, aber Damon gab sie nicht frei. Funken sprühten zwischen ihnen, und dennoch hatte sie keine andere Wahl, als sich von ihm im Walzerschritt an den Pflanzen vorbei auf die Tanzfläche führen zu lassen.
»Ich wünschte, du würdest dich zum Teufel scheren«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen.
»So gern ich deine Wünsche auch respektiere, solltest du wissen, dass ich Abweisungen nicht gut aufnehme.«
Eleanor schwieg. Natürlich war es Damons Absicht, sie zu reizen, daher würde sie ihm nicht die Befriedigung gönnen, sie noch weiter zu provozieren.
Als sie nichts sagte, wurde sein Gesichtsausdruck milder. »Lächle, meine Liebe. Du willst doch nicht, dass die anderen Gäste unterstellen, wir hätten Streit.«
»Ich wünsche ebenso wenig, dass sie uns zusammen tanzen sehen.«
»Andererseits kannst du schlecht die Tanzfläche verlassen, ohne eine Szene zu riskieren.«
»Deine Frechheit ist grenzenlos«, flüsterte sie.
»Dem widerspreche ich nicht, denn vorerst möchte ich es genießen, mit der schönsten Frau im ganzen Saal zu tanzen.«
»Falls du vorhast, mich mit Schmeicheleien zu beschwichtigen, du ärgerlicher Filou, verspreche ich dir gleich, dass es nicht wirkt.«
Abermals verfiel sie in mürrisches Schweigen. Leider bemerkte sie, dass sie beide beobachtet wurden, so dass Eleanor sich lieber auf die Tanzschritte konzentrierte und nicht darauf achtete, mit welcher natürlichen Eleganz Damon sie im Rhythmus der Musik schwang.
»Gib es zu«, sagte er nach einer Weile. »Du genießt es, mit mir zu streiten.«
»Deine Wahrnehmung trügt dich, Mylord«, log Eleanor, denn nichts war aufregender als ein Wortgefecht mit Damon – nun, mit Ausnahme seiner Küsse.
Er sah sie an. »Ich wette, deine Konversationen mit dem Prinzen sind nicht annähernd so belebend wie unsere. Jedenfalls machtest du vorhin, als du mit ihm zusammen gesessen hast, keinen sehr begeisterten Eindruck. Man hätte beinahe denken können, du wärst gelangweilt.«
»Ich unterhielt mich bestens, bevor du kamst.«
»Ach ja?«, fragte Damon ungläubig. »Ich gestehe, dass ich nicht begreife, was dich an ihm reizt. Bisher lag mir nichts ferner als die Vermutung, dir könnte ein eitler Geck gefallen.«
»Prinz Lazzara ist alles andere als das«, beteuerte Eleanor streng, auch wenn sie begann, diesbezüglich Zweifel zu hegen.
»Und wie würdest du ihn beschreiben wollen?«
»Er ist charmant und intelligent, nicht im Geringsten langweilig. Zudem besitzt er exzellente Manieren, was ihn von anderen Adligen meiner Bekanntschaft unterscheidet«, führte sie mit strengem Blick aus.
»Fühlst du dich zu ihm hingezogen?«
»Ja, natürlich!«
»Warum?«
»Er ist recht gut aussehend.«
»Ein Schönling, keine Frage.«
»Er hat hübsche Augen.«
»Die habe ich auch.«
Obwohl er amüsiert klang, war da kein Hauch von Bescheidenheit, und leider konnte Eleanor ihm nicht widersprechen. Damons Augen hatten sie stets beeindruckt. Die des Prinzen wirkten weniger eindringlich, sanfter, nur konnten sie Eleanor nicht in dem Maße erhitzen, wie Damon es schon mit einem flüchtigen Blick vermochte.
Und was die Erscheinung insgesamt betraf, so war ein Vergleich der beiden unfair, denn Damon stach Lazzara mühelos aus. Seine Präsenz, seine pure Männlichkeit überwältigten sie, und der Klang seiner Stimme erregte sie, weil er sie an jene himmlischen Tage und Nächte erinnerte, als sie verlobt waren.
Trotzdem sah Eleanor ihn erstaunt an. »Du brauchst mich wohl kaum, um deine Eitelkeit zu beflügeln, Lord Wrexham.«
Er lächelte charmant. »Stimmt. Ich weiß nur zu gut, wie anziehend mein Charme auf dich wirkt.«
Ohne den verächtlichen Laut, den sie ausstieß, eines Kommentars zu würdigen, führte er sie gekonnt durch eine Gruppe anderer Paare. In dem Gedränge wurden sie für einen kurzen Augenblick genötigt, sehr eng zu tanzen, so dass Eleanor Damons festen, warmen Körper an ihrem spürte, worauf ihr Herz einen Schlag lang aussetzte und ihr ein wohliger Schauer über den Rücken lief.
Als wüsste er genau, was in ihr vorging, neigte er sich vor und flüsterte ihr zu: »Ich glaube nicht, dass dich der Prinz erregen kann, so wie ich es vermag.«
Unwillkürlich dachte Eleanor daran, wie Damon sie vor zwei Nächten in ihrem Schlafzimmer liebkoste und neckte. Allein bei der Erinnerung an seine Küsse auf ihrem nackten Busen bekam sie weiche Knie.
Eleanor fluchte im Stillen. Wie sie es hasste, dass er solche Gefühle in ihr weckte! Allen anderen Verehrern hatte sie sich überlegen gefühlt, aber Damon gegenüber war sie vollkommen wehrlos.
»Ich weiß, dass du mich absichtlich verwirren willst.«
»Und habe ich Erfolg? Bist du verwirrt, süße Elle?«
»Du bist gänzlich unmöglich!«
Mit einem verärgerten Seufzer blieb sie stehen und wollte sich ihm entwinden, doch Damon hielt sie nur fester und bewegte sie weiter zur Musik. »Denk daran, meine Liebe, du willst kein Aufsehen erregen.«
Eleanor zwang sich, ruhig zu bleiben, denn er hatte Recht. »Keine Sorge. Eine Dame fügt einem Gentleman in der Öffentlichkeit keinen körperlichen Schaden zu, ganz gleich wie unverschämt dessen Provokation sein mag.«
»Andererseits sind dir bisweilen andere Dinge wichtiger als eine vollendete Dame zu sein.«
Seine Bemerkung machte sie nachdenklich, und ihr kam eine Idee. Also sagte sie: »Du hast vielleicht Recht.«
»Womit?«
»Dass ich nicht immerzu eine vollendete Dame sein will.«
Damon sah sie fragend an, und Eleanor genoss es weidlich, ihn verwirrt zu haben.
Es war gut möglich, dass sie dieses ganze Dilemma bisher falsch angegangen war. Wann immer sie verwirrt oder zornig wurde, nutzte Damon ihre Schwäche zu seinem Vorteil. Aber sie war es leid, ihn fortwährend die Oberhand gewinnen zu lassen.
Sie sollte die Zügel endlich wieder an sich reißen, beschloss Eleanor.
»Wenn ich mich recht entsinne«, flüsterte sie, »ist Lady Havilands Bibliothek in der unteren Etage, am Ende des Hauses. Während des Balls dürfte sich dort niemand aufhalten.«
»Und?«, fragte Damon etwas misstrauisch, während der Walzer endete.
»Und ich denke, du solltest mich in zehn Minuten in der Bibliothek treffen.«