Toter Briefkasten

13. Oktober

15.33 Uhr

Es gibt so viel zu berichten und zu verarbeiten, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.

Nachdem ich heute Morgen aus dem Laster gestiegen war, zog ich weiter nach Süden und schaute mir das Schild an, das ich tags zuvor gesehen hatte. Besonders nahe brauchte ich nicht ranzugehen. Auch diesmal ließ mich das Fernglas Zeit und Kraft sparen. Auf dem Schild stand »Marshall 9 km«. Da ich von der texanischen Stadt Marshall schon gehört hatte, nahm ich an, dass allein diese Tatsache darauf hinwies, dass Marshall zu groß war, um mich dort ungestört umsehen zu können. Als ich zu meinem üblichen Highway-Nebenweg zurückkehrte, hörte ich wieder das Brummen. Der Himmel war klar, also richtete ich das Fernglas sofort nach oben und suchte ihn ab. Erfolglos. Ich ging nach Südosten weiter und kam vom Highway ab, so dass ich Marshall umrunden konnte, statt sein Zentrum zu durchqueren. Dies bürdete mir natürlich einen ansehnlichen Umweg auf. Nach etwa einer Stunde ertönte das lauteste Geräusch, das ich seit der Explosion gehört hatte.

Aus der Ferne erscholl der unmissverständliche Lärm von Klangködern. Ich erinnere mich an die deutlichen Töne, weil man sie am Anfang der Untoten- Plage eingesetzt hatte, um die Dinger dorthin zu locken, wo die Raketen einschlagen sollten. Mein spontaner Gedanke war: Werde auch ich bald im Dunkeln leuchten?

Offensichtlich leuchte ich (noch) nicht, denn sonst würde ich dies hier jetzt nicht schreiben. Der Lärm war deswegen nicht betäubend, weil er so weit von meinem Standort entfernt war. Er schien aus dem Osten zu kommen und war nicht mal annähernd so laut wie die Klangköder, die ich vor den Raketeneinschlägen gehört hatte.

Nervös und verwirrt schritt ich weiter nach Südosten aus, bis ich die unmissverständlichen Klänge sich herannahender Flugzeugmotoren hörte. Ich schaute zum östlichen Himmel hoch und sah den Umriss einer sehr niedrig auf mich zufliegenden Maschine. Ich griff sofort nach meinen Leuchtraketen, doch bevor ich den Raketenwerfer auf meine Knarre schrauben konnte, zog die Maschine hoch und setzte zu einem Steilflug an, bis sie mit Himmel verschmolz und unsichtbar wurde. Ich war drauf und dran zu heulen, doch dann wurde ich beinahe von einer großen Palette erschlagen, die an einem großen grünen Fallschirm zur Erde sank. Die Ladung landete sechs, sieben Meter neben mir auf dem Boden und warf mir Erde und Grasbüschel ins Gesicht. Der Fallschirm sank zu Boden, und ich lief schnell zu der Ladung hin und raffte ihn zusammen, bevor er den an ihm hängenden Scheiß über den ganzen Acker schleifte. Nachdem ich den Schirm von seiner Fracht gelöst hatte, faltete ich ihn planlos zusammen und bedeckte ihn mit einem dicken Stein. Die Ladung war in ziemlich dicke Kunststoffschichten verpackt und maß etwa 1,20 x 1,20 x 0,90 Meter.

Ich zückte mein Randall-Messer und zerschnitt die Plane. Auf eine Verpackung hatte jemand »OGA 2b« gesprüht. Ich entfernte sie, klickte Karabinerhaken auf und zog Gurte ab, die die Ladung zusammenhielt. Auf einer Kunststoffpalette waren zahlreiche verschieden große Hartplastikbehälter befestigt. Ganz oben befand sich ein hellgelber Behälter mit der schlichten Aufschrift 01. Ich prüfte die Umgebung, nahm den Behälter und schnippte Riegel auf. Als sich der Deckel öffnete, sah ich zuerst ein Mobiltelefon. Anhand der langen Antenne an der Seite des Geräts erkannte ich, dass es kein normales Handy war. Auf dem Gehäuse stand »Iridium«. Ich nahm das Gerät aus dem Behälter und drückte den Menü-Knopf. Es erwachte zum Leben, zeigte volle Batteriestärke an und meldete »Verschluss entriegeln«. Ich legte das Telefon beiseite und inspizierte den gelben Behälter in aller Gründlichkeit. Auf dem Deckel befand sich ein Diagramm, das zu besagen schien, Iridium- Satelliten- Orbitalpfade für diese Region müssten in diesem Monat mit 80 Prozent Satellitenausfällen rechnen. Laut Diagramm standen täglich nur zwei Stunden für Satellitenverbindungen zur Verfügung.

Diese Stunden waren, je nach atmosphärischer Lage, auf die Zeit zwischen 12.00 und 14.00 Uhr - plus minus siebzehn Minuten - festgelegt. Ein Sternchen warnte: Die Verfügungsbereitschaft bei gegenwärtiger Satellitenkonfiguration werde sich pro Jahr um zwei Minuten und zwölf Sekunden nach hinten verschieben. In dem Schaumstoff unter der Einbuchtung, in der das Telefon gelegen hatte, befand sich ein kleines Solarladegerät. Als ich mir den nächsten Behälter vornahm, um mir seinen Inhalt anzuschauen, klingelte das Telefon ...

Ich saß einige Sekunden wie vom Donner gerührt da, dann drückte ich auf den Sprechknopf und sagte »Hallo?« Das Rauschen veränderte sich zur soliden Verbindung eines Digitalmodemschrillens. Eine langsame mechanische Stimme wurde hörbar. »Dies ist eine Remote Six-Aufzeichnung. Bitte Textschirm beobachten.«

Ich las wie angewiesen den nun auf dem Schirm erscheinenden Text.

Ich gab Ja ein.

Der Schirm des Satellitentelefons leerte sich. Der Klangköder in der Ferne schien leiser zu werden, bis ich ihn kaum noch hörte. Nun schien er überall um mich herum zu ertönen ... aber eben kaum hörbar.

Auf dem Schirm erschien eine neue Frage:

Hören Sie einen hohen Rauschton?

Ja.

Das Geräusch verschwand aus meiner Wahrnehmung, bis ich es gar nicht mehr hörte. Dann wurde ich wieder gefragt:

Hören Sie einen hohen Ton?

Meine Antwort: Nein.

Text bitte wiederholen.

Nein.

Auf dem Bildschirm stand nun:

Projekt Hurrikan variable Lärmdämpfung dreidimensional aktiviert. Alle infizierten vari ‘unverständlich* werden aus Zentrum abfließen. Ihnen bleiben bei Batteriebetrieb noch zwan ‘unverständlich* Stunden variabler Dämpfung. Verschlechterung der Iridium-Satellitenübertragung bevorste Anscheinend war das Gerät, das man verwendete, um Untote in den nuklearen Untergang zu locken, auch zur Erschaffung eines sicheren Radius geeignet, indem es sie von dem geschützten Zentrum des jeweiligen Areals fort lockte. Passenderweise nannte man das Ganze, entsprechend der turbulenten Orkanmauer und dem ruhigen Auge eines echten Wirbelsturms, Projekt Hurrikan. Die Telefonstimme vor der Textübertragung hatte zwar mechanisch geklungen, aber das ganze Unternehmen kann unmöglich vollständig automatisiert sein. John muss den Hubschrauber bereits im Moment unserer Überfälligkeit als vermisst gemeldet haben.

Vor vielen Monaten hatten wir Funksprüche eines Mannes aufgefangen, der behauptete, ein Abgeordneter des Staates Louisiana zu sein. Abgesehen von seiner finsteren Meldung über die Auswirkungen der Strahlung auf die Untoten hatte er erwähnt, endlich Kurzwellen Funkkontakt zu einer Regierungsbasis aufgenommen zu haben, die über Drohnen- Prototypen und jede Menge Sprengstoff verfügte.

Zu der bei mir eingetroffenen Lieferung gehörten zahlreiche Kartons, die ich vor Sonnenuntergang inspizieren und inventarisieren musste.

Der erste Behälter war klein. Sein Deckel zeigte ein eingraviertes Laser-Symbol. Ich machte den Schnappverschluss auf, öffnete den Behälter und stieß auf ein rechteckiges schwarzes Instrument mit normalen Bodenmontageleisten. Dazu gehörten eine einseitig auf Kunststoff gedruckte Gebrauchsanweisung und eine Schachtel CR123- Lithiumbatterien. Die Gebrauchsanweisung bestätigte die Mitteilung des Satellitentelefons. Auch fand ich einen kleinen Aktendeckel mit Dokumenten sowie eine Satelliten- Hybridlandkarte von Texas mit eigenartig nummerierten Stellen, die auf verschiedene Orte hinwiesen. Ich gönnte mir eine schnelle Sekunde, um zu prüfen, ob das Laserteil mit der MP5 kompatibel war, jedoch ohne Erfolg.

Ich fand ebenfalls einen kleinen Hex- Schraubenschlüssel, mit dem man den Laser einstellen konnte, doch laut Gebrauchsanweisung war das Gerät innerhalb von eineinhalb Metern genau vorkalibriert, wenn es auf die T6- Leiste montiert wurde. Selbst wenn ich einen Justierungsversuch hätte machen wollen, hätte ich immer nur knapp fünf Sekunden zur Verfügung gehabt, bevor eine 500 Pfund LGB Detonation irgendetwas zerstört hätte. Ein winziges Signalfeuergerät aus Kunststoffwar mit Instruktionen, wie man es tragen sollte, am Behälterdeckel befestigt. Es hatte große Ähnlichkeit mit dem Leuchtfeuerreflektor auf meinem Ski-Anorak, der Rettungskräfte herbeirief, wenn ich einen Skiunfall hatte. Die Batterie des Reaper- Funkfeuers hielt angeblich sechs Monate; als dessen Zweck war Geleitschutz durch die Reaper- Drohne und Verhinderung von Selbstvernichtung angegeben. Es bumste also nicht, wenn man beim Wandern auf dem Land versehentlich den eigenen Fuß laserte.

Auf der Rückseite der Gebrauchsanweisung standen die grundlegenden Fähigkeiten und Einschränkungen der Drohne. Laut Satellitentext verfügte ich am Tag über zwölf Stunden Betriebszeit. Sie passte nicht zur ausgeschriebenen Ausdauer der Drohne, was mich glauben machte, dass Remote Six mehr als nur einige Kilometer entfernt war. Laut Instruktion würde meine Drohne bis heute um 18.00 Uhr und morgen wieder um 6.00 Uhr über mir in der Luft sein.

Im nächsten Behälter waren ein M4- Sturmgewehr mit Leuchtpunktvisier und Surefire- LED- Leuchte, 500 Schuss .223er Munition und fünf Magazine. An der Seite der Waffe, dem Laserlicht gegenüber, befand sich eine Vorrichtung für die Laseranzeige. Im Schaumstoff darunter lagen eine 19mm Glock mit 250 Schuss 9mm- Munition, drei Magazine und ein Schalldämpfer. Außerdem enthielt der Waffenbehälter zwei Splittergranaten. Sie waren der Grund dafür, dass ich mich entscheiden musste, was ich mitnehmen und liegen lassen sollte.

Im nächsten Behälter: Vakuumverpackte Trockennahrung. Zwanzig Proviantpäckchen a drei Essensportionen diverser Art. Zur Nahrung gehörte eine Plastikflasche mit hundert Wasserreinigungstabletten.

Ich baute den neuen Proviant am Boden auf und legte die Waffen daneben. Zwei Behälter blieben übrig. Im nächsten fand ich ein Fläschchen mit Treibstoffzusatz. Er war als »experimentell« bezeichnet, aber auf der Rückseite war ausdrücklich vermerkt: »1/4 Flasche auf 30 Liter. Vor Verbrennung eine Stunde warten. Überdosierung kann instabile und gefährliche Brennstofflüssigkeit ergeben.« In dem Behälter war auch eine Handsaugpumpe, die so leicht war, dass ich kein Problem darin sah, sie mitzunehmen. Mir schien, der Zweck dieses Teils der Ladung bestand darin, mich in die Lage zu versetzen, ein alternatives Transportmittel zu finden und für meine Zwecke zu nutzen.

Im letzten Behälter befand sich ein Verdichtungssack, in dem ein neutraler Mumienschlafsack mit sehr eigenartigem Tarnmuster steckte. Auf dem Sack waren ein Gore Tex- Etikett und ein Schildchen mit einer MSN- Nummer, laut dem er für null Grad Celsius geeignet und wasserdicht war. Statt mit Reißverschluss war er mit Druckknöpfen versehen. Ein Pistolenholster aus Leinwand war in Hüfthöhe an die Außenseite genäht: eben dort, wo man normalerweise eine Pistole trägt. Der Schlafsack war so konstruiert, dass man aus dem Schlaf heraus im Nu zum Kampfschreiten konnte.

Ich überprüfte die Umgebung. um sicher zu sein, dass hier keine Untoten aktiv waren, nahm den Rucksack ab und baute alles neben mir auf. Nun war es an der Zeit, die Gegenstände nach Wichtigkeit zu sortieren: angefangen bei denen, auf die ich keinesfalls verzichten konnte, bis hin zu denen, deren Besitz nichts als freudigen Luxus bedeutete. Die Sonne verblasste gerade am Horizont, als ich den Wecker meiner Armbanduhr stellte, damit er sich in zwei Stunden meldete.

Die MP5 zu behalten war nun mehr oder weniger sinnlos, da ich die M4 und die schallgedämpfte Glock als Ersatz hatte. Ich kann die MP5 aber erst ausrangieren, wenn ich die M4 im Einsatz getestet habe; andererseits kann ich bei dem ganzen mir zugelaufenen Zeug nicht über längere Zeit hinweg zwei Kanonen mit mir herumschleppen. Ich habe Platz, um meine alte G17 als Ersatz zu tragen, da sie kleiner ist und mit einem NSG und einem lösbaren Dämpfer ausgerüstet ist. Die Magazine der 17 passen auch zu der 19 - ein weiterer Gewinn.

Der Mumiensack muss mitkommen. Er kann die schwere Wolldecke ersetzen, die ich zum Poncho umgebaut habe und trage wie einst Pancho Villa. Fünfhundert Schuss .232er Munition wiegen schwer. Ich spiele mit dem Gedanken, morgen ein paar Kugeln zu verschießen, solange die mutmaßliche Projekt- Hurrikan-Dämpfung noch aktiv ist. Um ganz sicherzugehen, werde ich die Schüsse erst abgeben, wenn ich mich auf den Weg mache. Ich habe noch 210 Schuss 9mm- Patronen aus dem Hubschrauber übrig. Zusammen mit den 250 Schuss der Lieferung verfüge ich nun über 460 9mm Geschosse für die Pistolen.

Ich werde morgen auch einige Kugeln mit der 19 verschießen, um mich von ihrer Verlässlichkeit zu überzeugen, auch wenn ich die 17 wegen ihres hohen Kosten / Nutzen-Faktors als Gepäckgewicht behalten werde. Granaten sind, wie die Wasserreinigungstabletten und die Trockennahrung, ein wertvolles Geschenk. Ich brauche dringend ein paar neue Socken. Dann kann ich die alten als Granatenhalter verwenden, um sicherzugehen, dass sich der Splint, wenn ich nach Süden unterwegs bin, nicht versehentlich selbst abzieht.

16.10 Uhr

kurz vor Sonnenuntergang

Meiner Meinung nach ist das Beste, mir das PRC-90 Funkgerät wegen seines Gewichts vom Hals zu schaffen; zudem besitze ich keine funktionierenden Batterien. Die Wolldecke und die MP5 stehen (vorläufig) ebenfalls auf der Liste zu entsorgender Gegenstände. Ich habe vor, die Waffe und ein Magazin an einem sicheren Ort zu deponieren und diesen auf meiner neuen Landkarte zu markieren. Ich habe mein Zeug umgepackt. Die Munition ist der schwerste Teil des Gepäcks und erhöht das allgemeine Nettogewicht um mehrere Pfund. Ohne die MP5, die Wolldecke und das Handfunkgerät ist das Gewicht zwar leicht, aber nicht unbedingt merklich gestiegen.

Nicht fern von mir steht ein Wohnhaus. Nun, da mein Zeug verpackt ist, gehe ich in Stellung, um es zu beobachten, denn ich will wissen, ob es mir am Abend Unterkunft bieten kann. Die einzigen Dinge, die zurückbleiben, sind die Wolldecke, das so gut wie nutzlose PRC-90- Funkgerät und ein halber Fallschirm. Ein Stück Schirm und Fallschirmleine habe ich für den Fall abgetrennt, mal einen Unterstand zu brauchen. Es wird inzwischen immer schwieriger, Fallschirmleine von militärischer Qualität zu finden.

Ich werde mir die M4 umhängen und der bewährten (wenn auch qualitativ mittelmäßigen) MP5 eine letzte Patrouille gönnen, bevor sie eingelagert und auf eine kryptische Markierung auf einer Landkarte reduziert wird.

21.45 Uhr

Die Sonne hatte ein letztes Stückchen Himmel übrig gelassen, als ich den Rucksack schulterte und mich vorn Acker machte. Dass er etwas schwerer war als zuvor, spürte ich deutlich, denn das Gewehr, das ich schleppte, betonte das Gewicht. Ich ging nach Südwesten, zu dem Wohnhaus, das ich zuvor mit dem Fernglas beobachtet hatte. Es war zweistöckig, die Fensterscheiben waren noch heil. Sie waren zwar nicht mit Brettern vernagelt, aber zu weit vom Boden entfernt, um ohne weiteres ins Haus einsteigen zu können. Die Fensterbank lag ungefähr auf der Höhe meines Kopfes. Bei einigen Fenstern waren die Gardinen zurückgezogen, bei anderen geschlossen. Es erschien mir ziemlich typisch und nicht bedrohlich. Ich umkreiste das Gebäude vollständig und suchte es nach Anzeichen von Kämpfen oder Eiterschlieren ab, die belegten, dass es hier zu einer Begegnung mit Untoten gekommen war.

In der Garage stand kein Wagen. Das Gras war natürlich sehr hoch, doch die einzige Unregelmäßigkeit im Bewuchs deutete auf Kaninchen hin. Ich ging auf die Vorderveranda, stellte meinen Kram ab, lehnte das M4 an die Hauswand und überzeugte mich, dass die MP5 geladen war. Dann prüfte ich das Fliegengitter. Es war verschlossen, also zog ich mein Messer und zerschnitt die Leinwand, so dass ich hineingreifen und den Haken umlegen konnte, um sie zu öffnen. Als ich hineingriff, um die Tür zu öffnen, bewegte sich etwas an einem Fenster neben der Tür. Ich zog die Hand sofort zurück, zog mir dabei eine Schramme zu, sprang von der Veranda und verbiss mir einen Aufschrei ...

Es war nur ein vom Wind bewegter Vorhang, sonst nichts.

Ich nahm auf der Veranda Platz, konzentrierte mich und versuchte einen Grund zu erlauschen, der mich zwingen konnte, heute Nacht auf dem Dach statt im wärmeren Inneren des Hauses zu schlafen. Aus dem Haus hörte ich nichts, und draußen rührte sich auch nichts außer dem hohen Gras, welches das Gebäude umgab. Als ich den zweiten Versuch unternahm, strahlte die Sonne im orangeroten Leuchten ihres kurz bevorstehenden Untergangs. Ich hätte nie gedacht. dass es jedes Mal erheblichen Mut erforderte, einen Platz zum Schlafen, zur Reorganisation oder zum Nachdenken zu finden.

Ich ging einfach auf das leichte Fliegengitter zu und schob die Hand durch die Leinwand, um das erste Hindernis auf dem Weg ins Innere zu beseitigen. Ich brauchte kaum Kraft, um sie aufzuziehen. Staub und Dreck fielen mir auf den Kopf, bevor ich Zugang zum Haupteingang fand. Ich griff nach dem Messingknauf an der Tür und spürte sein kaltes Metall in der Hand. Ich hielt ihn eine ganze Weile fest und fragte mich dabei, in welche Richtung ich ihn drehen sollte. Vor einem Jahr hätte ich es natürlich gewusst, doch je länger ich unter den gegenwärtigen Umständen lebe, umso fremdartiger kommen mir die einfachsten und vertrautesten Dinge unserer Zivilisation vor. Ich drehte den Knauf vorsichtig nach rechts, und die Tür schwang mit einem Stoß meines Stiefels auf. Der Raum war vor langer Zeit verlassen worden und stark heruntergekommen. Hier war seit Monaten niemand mehr gewesen. Es sieht aus, als hätten sich die Menschen, die hier gewohnt haben, schon lange vor dem Ausbruch dieser Pest davongemacht.

Ich schaute mich im gesamten Parterre um und zog alle Vorhänge beiseite, damit das Haus in seinen dunklen Ecken keine Teufeleien vor mir verbergen konnte. Nach der Überprüfung des Erdgeschosses begab ich mich über die vermutlich am lautesten knarrende Treppe des Planeten Erde nach oben. Ich behielt Recht. Oben angekommen sah ich, dass das Haus sauber war. Nichts reagierte auf den Krach, den ich auf dem Weg nach oben veranstaltet hatte. Trotzdem. Ich war mehr als einmal in Todesgefahr geraten, weil ich die langsame Tödlichkeit der Ghoule unterschätzt hatte. Ich suchte das obere Stockwerk mit der gleichen Nervosität, Gründlichkeit und Angst ab, die ich seit Monaten in meinem Inneren bewahrte. Als ich von einem Zimmer zum anderen ging, trieb mein Geist in finstere Alpträume jener Art ab, die mich darüber spekulieren ließ, was ich im Falle einer Infektion tun würde. Ich dachte sofort an Selbstmord und daran, mit einer Kugel im Hirn zu enden. Vielleicht würde ich eine ominöse, aber witzige Botschaft hinterlassen, wie der junge Lagerarbeiter, den ich - wie mir schien - vor Jahren getötet hatte. Wie lange war es wirklich her?

Ich schreckte aus meinen morbiden Gedanken hoch, ging weiter von einem Raum zum anderen, überprüfte Wandschränke und schaute unter die Waschbecken im Badezimmer, denn ich wollte sichergehen.

Angenommen, jemand lag unter dem Bett? Angenommen, es war ein Kleinkind?

Ich musste innehalten. Hatte ich wirklich unter allen Betten nachgesehen? Sind wir nicht vielleicht doch ein bisschen zwanghaft? Ich durchsuchte oben alles noch einmal und tat unten das Gleiche, bevor ich mein Zeug reinholte und sämtliche Türen und Fenster im Hause verschloss. Ich bemerkte vier Zierkerzen an verschiedenen Stellen des Wohn- und Speisezimmers. Ich brachte sie zusammen mit meinem Zeug nach oben und suchte mir das Schlafzimmer der Hausherren als Basis meiner Schlafunternehmungen aus. Auf dem Bett waren keine Laken und unter der Matratze keine toten Kleinkinder.

Ich zündete die beiden längsten Kerzen an und stellte sie auf die leere Kommode am Fußende des Bettes. Mein Gepäck baute ich am Fenster auf, damit ich stiften gehen konnte, falls sich meine Lage in der Nacht verschlechterte. Ich schloss auch die Schlafzimmertür ab und schob eine Kommode davor, für den Fall, dass ich mir Zeit erkaufen musste. Dann überprüfte ich das Fenster, um zu erfahren, ob es sich im Notfall schnell öffnen ließ. Inzwischen war es so dunkel, dass ich das NSG dazu verwenden konnte, einen 180 Grad- Blick aus dem Fenster zu werfen und nach Anzeichen für wandelnde Leichname Ausschau zu halten. Ich sah keine.

Als ich im Finsteren saß und dem Knarren des Hauses im Nachtwind lauschte, dachte ich detaillierter über die Ereignisse dieses Tages nach. Es führte aber lediglich zu noch mehr Verwirrung.

Warum las mich die C-130- Frachtmaschine nicht auf irgendeinem Flugplatz in der Nähe oder an einem gesäuberten Landstreifen auf?

Wer oder was ist Remote Six?

Statt Schafe zu zählen, zähle ich unbeantwortete Fragen, bevor ich, vorn flackernden Licht mich glücklich stimmender Kerzen bewacht, in einen tiefen Schlaf versinke ...

Kerzen, die das Gegenteil dessen tun, wozu sie da sind.