Marcus

EIN KLEINER SCHMERZ

Claire ist nach Kenia gefahren, um die Batikproduktion der unverheirateten jungen Mädchen zu verkaufen. Ich komme zu Hause meinen bäuerlichen Pflichten nach. Das Hühnerfutter ist vermischt mit pili-pili kichaa. Ich gehe ins Hühnerhaus und hole die Futternäpfe, die ich mit der kichaa-Mischung auffülle, bevor ich die Wassernäpfe leere und dawa ya kuku hineingebe. Ich höre ein Motorrad vor dem Haus halten. Das Hausmädchen sagt, dass ich bei meinen Hühnern bin. Ibrahim kommt in den Garten, ohne Christian.

»Marcus«, sagt Ibrahim. »Wenn du Christian Probleme machst, könntest du sterben.«

»Ist er jetzt dein mzungu

»Wir sind Freunde«, sagt Ibrahim. »Und du bleibst ihm vom Leib, sonst erledige ich dich.«

»Er wird auch dich bescheißen. Du wirst nicht reich. Er kann dich nicht nach Europa bringen.«

»Ich kann den mzungu lenken, ich bin nicht so weich wie du.«

»Wirklich?« Möglicherweise war Ibrahim neidisch auf mein Leben bei den Larssons, als wir zusammen zur Schule gegangen sind. Jetzt hat er sein eigenes weißes Spielzeug: Christian. Ibrahim wird lernen, dass weißes Spielzeug eine enttäuschende Unterhaltung ist.

»Die Rechnungsbücher«, sagt Ibrahim. »Ich will sie haben.«

»Du bekommst sie nicht.« Ibrahim geht mit erhobener Hand auf mich zu. »Du bist jetzt ein Sklave des weißen Mannes.« Er schlägt mir ins Gesicht. Bam. Und noch einmal, diesmal härter. PAH. Glaubt er, ich würde den kleinen Schmerz einer Ohrfeige spüren? Erst muss er mir ein Bein abhacken oder mir den Bauch aufschlitzen, bevor ich etwas empfinde. »Nein«, sage ich. »Wenn ich die Polizei rufe, möchten sie die Bücher vielleicht auch gern sehen. Und vielleicht kommen sie auf die Idee, Geld von dem mzungu zu erpressen.« Ibrahim stellt einen Fuß neben meinen und schubst mich, dass ich in die kichaa-Mischung und das Aloe-Vera-Wasser falle. Ich bleibe ruhig am Boden liegen. Das Hausmädchen sieht aus dem Küchenfenster zu.

»Du verdammter Hühnerfarmer«, sagt Ibrahim und geht. Ich rufe das Hausmädchen nicht, damit sie zur Polizei an der YMCA-Kreuzung läuft. Ibrahim ist mein Freund gewesen, er hat mich in seinen Armen getragen, als ich fast ohne Fuß war. Er schlägt mich nicht gern, aber er verfolgt seinen Traum.

Der Tag nimmt ein ganz schlechtes Ende. Claire kommt nur mit einer kleinen Portion kenianischer Luxuswaren für den Kiosk zurück, weil die Kenianer nicht gut für die Batik der unverheirateten Mädchen bezahlen wollten. Stilistisch sei sie ohne Spannung, und rein handwerksmäßig sitzen die Fäden zu locker. Tsk.

Christian

Das Golden Shower läuft okay, aber es kommt zu wenig Geld herein, obwohl ich den Eindruck habe, dass am Wochenende viele Leute kommen. Das Geld in der Kasse dividiert durch den Eintrittspreis sollte die Anzahl der Gäste ergeben, abzüglich meiner Leute und der des Besitzers. Aber es stimmt nicht. Natürlich kommt der eine oder andere umsonst herein: Leute, die uns einen Gefallen getan haben, sowie ein paar Freunde. Aber es stimmt trotzdem nicht. Ich fange an zu zählen. Mit wem soll ich reden? Abdullah ist der Rausschmeißer, Firestone bewacht den Parkplatz, und Khalid nimmt an der Tür das Eintrittsgeld entgegen, weil er rechnen kann. Wenn ich betrogen werde, könnten sie alle es sein. Ich kann nicht davon ausgehen, dass Khalid das Geld bei sich trägt, das in der Kasse fehlt. Er könnte es einem der anderen gegeben haben. Wem soll ich vertrauen? Ich rede mit Rogarth.

»Ich kümmere mich darum«, verspricht er.

»Wie? Mit wem willst du reden?«

»Mit niemandem. Ich werde ihn vom Anfang des Abends an der Tür beobachten.« Und Rogarth hält Wort. Er versteckt sich hinter einer Wand, behält Khalid im Auge und zählt gleichzeitig, wie viele Gäste Eintritt bezahlen. Alle halbe Stunde gehe ich zu Rogarth und frage ihn. Nach anderthalb Stunden haben wir Erfolg.

»Er ist ein Idiot«, sagt Rogarth. »Das Geld steckt in seinen Socken.«

»Okay, du übernimmst die Tür, wenn ich mit Abdullah komme.« Ich erkläre Abdullah die Situation. Er hebt Khalid aus dem Stuhl, zieht ihn draußen in eine Ecke und drückt ihn an die Wand, während ich eine Leibesvisitation vornehme. Khalid heult und liefert das komplette Entschuldigung-aber-meine-Mutter-ist-krank-ich-brauche-Geld-für-Medizin-es-wird-nie-wieder-vorkommen-Programm ab.

»Schaff ihn hier raus«, ordne ich an. Abdullah zerrt Khalid auf die Straße und gibt ihm einen Tritt in den Hintern, hinaus in die Dunkelheit. Firestone steht auf dem Parkplatz und grinst.

Khalid kommt am nächsten Morgen. Er bettelt, wieder einsteigen zu dürfen. Er sei ein guter Kerl. Es ginge doch ums Geschäft.

»Nein«, lautet meine Antwort.

»Komm her und setz dich«, fordert bwana Benson mich auf, als wir Freitagnachmittag im Golden Shower ankommen, um aufzubauen. Ich setze mich ihm gegenüber an den Tisch.

»Künftig bekomme ich vierzig Prozent des Eintrittsgeldes«, sagt er.

»Vereinbart waren dreißig.«

»Ja. Und jetzt sind es vierzig.«

»Und wieso?«

»Weil ich es sage.«

»Es ist jedes Wochenende voll. Sie verdienen eine Menge mit der Bar.«

Er zuckt die Achseln und lächelt. »Vierzig«, erklärt er, steht auf und geht. Es ist sein Laden. Wo können wir hin? Es kotzt mich an, aber ich fresse es in mich hinein. Was kann ich tun? Es funktioniert nach wie vor nur, wenn wir mit den kleinen Discos auf dem Berg weitermachen und hin und wieder mit der kleinen Anlage im Shukran Hotel spielen. Ich habe Ibrahim und Abdullah als Rausschmeißer zu bezahlen. Und Rogarth, der das Kassieren des Eintritts übernommen hat, seit Khalid rausgeflogen ist. Außerdem Firestone als Parkwächter. Ich bekomme mein Geld. Aber es reicht gerade für Essen, Benzin, Miete, Rachels Englischkurs, etwas Taschengeld und die allgemeinen Betriebskosten. Es bleibt nichts übrig, um weitere Geräte zu importieren, falls irgendetwas kaputtgeht, oder neue LPs zu kaufen. Es wird nie so viel Geld sein, um ein Auto zu kaufen, damit wir uns nicht ständig eins mieten müssen. Ich bekomme auch kein Stroboskoplicht in die Finger, um die Gehirne der Neger ein bisschen durcheinanderzubringen.

Auf dem Motorrad nach Swahilitown, um Abdullah abzuholen. Fühle mich benommen und dehydriert – todmüde. Fahre beinahe in den Straßengraben, wage nicht zu überholen. Bringe Abdullah zum Markt, er soll ein bisschen mirungi-Khat kaufen. Nach langem Suchen treiben wir etwas Diesel auf. Ich besorge ein Taxi, um die Anlage ins Golden Shower zu fahren. Dann dorthin, schleppen, fahren, schleppen, aufbauen, zwischendurch hastig etwas essen. Es ist zu spät, um mich noch hinzulegen. Wo sollte ich mich auch hinlegen? Fange an, die Blätter zu kauen – ich habe es schon ein paar Mal gegen Monster-Kopfschmerzen ausprobiert. Es schmeckt bitter und wirkt langsam, ein Prickeln im Mund. In der Nähe gibt es einen Kiosk, der Wrigley Juicyfruit Kaugummi führt; ich verknete das gezuckerte Kaugummi mit dem grünen Pflanzenklumpen. Fühle mich im Mund wie ein Kaninchen. Der Flash kommt allmählich. Langsames Amphetamin. Bekämpfe den Beigeschmack mit Gin Tonic. Im Golden Shower hat die Party begonnen. Ich kaue, bleibe frisch. Trinke wie ein Fisch im Wasser. Stehe hinter den Plattenspielern, lege die Scheiben auf, tanze, lache. Ich weiß es, ich habe es schon bei anderen gesehen: Meine Zähne schimmern grün in dem fluoreszierenden Licht der Diskothek. Bis zum nächsten Morgen geht’s mir gut. Wir bringen die Anlage zurück. Im Kopf habe ich eine ungeheure Lust zu lieben, aber als ich versuche, es in die Tat umzusetzen … kann ich nicht.

»Er kann nicht arbeiten«, meint Rachel, nachdem sie es eine Weile probiert hat. Sie ist nicht glücklich über das mirungi. Ihre Atemzüge werden gleichmäßig. Ich schaue auf ihren Rücken und an die Decke. Der Ventilator schnurrt. Ich fühle mich ausgelaugt. Mein Herz rast. Als ich gegen Mittag aufwache: brutale Kopfschmerzen. Was ist die Antwort?

»Ich kann nicht mehr als Rausschmeißer arbeiten«, teilt Big Man Ibrahim mit.

»Was? Warum nicht?«

»Die Discobranche wirft nur Kleingeld ab«, erwidert er. »Ich werde in Zaire in den Minen arbeiten.«

»Mann, Ibrahim, das ist doch lebensgefährlich.«

»Ich soll Aufseher werden – eine Schicht leiten, die Schlangen hineinschicken. Ich muss nicht selbst graben.«

»Was ist mit Freitag? Kommst du Freitag?«

»Ja.« Ibrahim lächelt. »Freitag ist der letzte Tag. Wir veranstalten eine Party, und danach bin ich weg – um ein Vermögen zu verdienen.«

»Ich werd dich vermissen, Mann.« Ibrahim lächelt mich an, wir stoßen mit den Fäusten gegeneinander. Freitag feiern wir, und Ibrahim geht fort.

Bereits Samstagabend gibt es Ärger. Schreierei. Die kleine harte Scola prügelt sich mit einem der jungen Mädchen aus Majengo – wüst. Haare werden ausgerissen, Klamotten zerfetzt, es wird gespuckt, geschrien und getreten. Abdullah kommt und schnappt sich Scola von hinten.

»Lass meinen Fisch in Ruhe«, schreit Scola dem jungen Mädchen zu.

»Du bist alt und verbraucht«, schreit das Mädchen zurück. »Du lutschst nicht an einer Pumpe wie an einem Bonbon, weil du glaubst, eine feine Dame zu sein, aber du bist nur eine alte malaya!« Das Mädchen gibt Scola eine Ohrfeige. Abdullah lässt sie los. Ich weiß nicht, warum, aber wir kennen Scola – sie war die ganze Zeit über hier, sie ist nett. Vielleicht mag Abdullah es nicht, wenn so ein dreckiges Miststück sie schlägt. Scola stürzt sich sofort auf das Mädchen und verpasst ihr eine aufgeplatzte Lippe, noch bevor ich bei den beiden bin und Abdullah über die Musik hinweg zurufe: »Schaff dieses Mädchen hier raus!«

Gleichzeitig packe ich Scola, und Rogarth, dieser Idiot, stoppt die Musik. Ich blicke zu ihm hinauf, aber es ist nicht Rogarth – bwana Benson steht bei den Plattenspielern und hat den Arm von der LP gehoben. Er schaut mich giftig an.

»Diese dreckigen Mädchen töten das Mysterium der Frau«, erklärt er auf Englisch mit seinem Arbeiterklasse-Akzent. »Daran müssen wir glauben – du und ich. Sonst bleibt uns nichts mehr.«

Scola hat sich wieder beruhigt, ich lasse sie los und gehe zu Benson. »Wo ist Ibrahim?«, will er wissen.

»Er hat aufgehört.«

»Komm mit an die Bar«, fordert Benson mich auf. Ich folge ihm, während Rogarth die Musik wieder laufen lässt, aber die Stimmung im Raum ist verdorben. Wir setzen uns auf zwei Barhocker. Benson schaut mich mit seinem erloschenen Blick an, in dem auch etwas Wildes lauert. Oder ist das wieder nur Einbildung, weil so viele mir erzählt haben, der Mann sei verrückt?

»Diese dreckigen Mädchen kommen und unterbieten unsere guten Huren direkt vor den Kunden – verstehst du das?«

»Sie sind … Nutten«, antworte ich. »Alle.«

»Das sind wir auch«, entgegnet Benson. »Du. Ich. Wir arbeiten auch für Geld. Meine Huren, die überreichen dir ein Geschenk für dein Geld. Sie sind tüchtig in ihrer Rolle, professionell. Aber die Hündinnen aus Majengo: Du bezahlst sie, damit sie dich krank machen, damit sie dir ein Gefühl des Schmutzes geben. Meine Kunden sollen dem nicht ausgesetzt werden. Ich will diese Art von Problemen nicht noch einmal erleben.« Er dreht sich um, stützt die Ellenbogen auf die Bar, zündet sich eine Zigarette an und trinkt sein Bier. Die Audienz ist beendet.

Wo hören Frauen auf? Wo fangen Huren an? Der Mann, der sie kauft – ist er nicht auch eine Hure? Und die Frau, die sich verkauft – sie versucht, sich ein besseres Dasein zu verschaffen mit dem Mittel, das sie hat: ihrer Möse. Ist das in Ordnung? Ist das ihr Recht? Das Geld, das die Hände wechselt, verändert es etwas? Die Möse ist das Mittel, das bessere Leben das Ziel. Alle Frauen benutzen sie. Und der Mann, der versucht, mit den Mitteln, die er hat, glücklicher zu werden, er erkauft sich den Zugang zu der Möse mit Geld. Wird er glücklich? Was sind die Alternativen?

In der Nacht wird eines der Mädchen, die immer an der Bar sitzen, auf dem Heimweg auf der Straße überfallen. Sie wird von zwei Männern geschlagen und vergewaltigt. Eine malaya verdient Geld und kann sich ein Taxi leisten, aber die Bar-Mädchen dienen nur zur Dekoration. Sie kommen umsonst herein, denn wenn hübsche Mädchen da sind, kommen auch die Männer in die Diskothek. Nun sind die Mädchen wütend. Zwei von ihnen halten mich in der Stadt auf der Straße an.

»Wir müssen eine Busfahrkarte bezahlen, um die Attraktion in deiner Diskothek zu sein«, sagt eine von ihnen, die ich schon oft gesehen habe. »Und wenn wir nach Hause wollen, dann werden wir überfallen. Wir werden nicht mehr ins Golden Shower kommen, weil es außerhalb des Zentrums liegt. Wir gehen wieder ins Moshi Hotel, denn in der Innenstadt gibt’s wenigstens Licht in den Straßen.«

Sie hat recht. Wir brauchen sie – sonst könnte das Moshi Hotel wieder attraktiver werden. Also muss ich mich auch noch darum kümmern, wie die Mädchen zur Diskothek transportiert werden, um sie am Leben zu erhalten. Und mir fehlen Khalid und Ibrahim, ich brauche einen neuen Mann.

Zu Hause hält ein Land Rover vor dem Haus. Vater. Er sitzt mit einem Gin Tonic auf dem Tisch auf der Veranda. In den Armen hält er Halima, die er hochhebt und ihr auf den Bauch prustet, bis sie vor Freude kreischt. Rachel kommt mit einer Schale Erdnüsse aus der Tür, sie sieht mich, lächelt und winkt. Wo habe ich dieses Bild schon einmal gesehen? Ja, normalerweise ist ein junges schwarzes Mädchen bei einem alten weißen Mann. Ich fahre vor die Veranda, stelle den Motor ab.

»Ristjan, Ristjan!«, ruft Halima.

»Hej, Christian«, sagt Vater.

»Hej. Was machst du hier?« Ich gehe hinauf und lasse mich in einen Stuhl fallen. Halima kämpft sich aus den Händen meines Vaters frei und krabbelt mir auf den Schoß.

»Uboll«, sagt sie. Sie versucht, auf Dänisch »Fußball« zu sagen. Vater lacht.

»Ich wollte deine Freundin und Halima besuchen, sie kennenlernen.«

»Wieso?«

»Na ja, weil ich mir denke, dass sie vielleicht mein Enkelkind zur Welt bringen wird«, antwortet er. Dazu sage ich nichts. Ich frage nach Shinyanga, der Arbeit. Er fragt nach der Diskothek, aber nicht nach problematischen Geschichten wie der Arbeitserlaubnis und solchen Dingen.

»Ich soll dich von deiner Mutter grüßen.«

»Ah ja. Du kannst gern zurückgrüßen.«

»Sie würde dich gern sehen.« Ich breite die Arme aus und lache.

»Na ja, aber ich gehe nirgendwohin.«

»Christian. Sie ist deine Mutter.«

»Das ist mir bewusst.«

»Du könntest zumindest ihre Briefe beantworten«, sagt er. Ich bekomme Briefe von ihr, ja. Aber es steht nie etwas Vernünftiges drin.

»Das könnte ich vielleicht tatsächlich.« Ich schaue auf meine Hände.

»Ich dachte, vielleicht gehen wir alle zusammen in das chinesische Restaurant«, schlägt Vater vor.

»Alle zusammen?«

»Ja. Ihr, ich, Katriina und die Mädchen.«

»Wenn wir ein Kindermädchen besorgen können.«

»Rachel hat sich bereits darum gekümmert«, sagt Vater. Er kann wirklich ein jovialer Motherfucker sein, wenn er den Menschen in seinem Leben gegenübersteht. Wenn wir so tun, als gäbe es keine Probleme, gibt es auch keine Probleme.

Die ganze Schar isst in dem chinesischen Restaurant. Solja unterhält sich mit Rachel. Ich unterhalte mich mit Rebekka. Katriina und Vater thronen über diesem vereinigten Chaos.

Bwana D’Souza betritt mit seiner kleinen pummeligen Frau und ihrem dicken Sohn das Lokal.

»Mr. Knudsen, Katriina«, sagt er mit einem breiten Lächeln und gibt meinem Vater die Hand, während die pummelige Frau Katriina begrüßt. Jedes Mal, wenn ich D’Souza begegne, sehe ich seine fette braune Fresse eingeklemmt zwischen den Hinterbacken von Chantelle vor mir, wie er sie mit der Zunge vögelt und sie ihm in den Mund pinkelt. Es ist bizarr, aber ich habe keinerlei Zweifel an der Wahrheit. Ich begrüße ihn nicht, er begrüßt mich nicht. Es gefällt ihm nicht, dass ich mich in dem Milieu bewege, in dem so viele indische mabwana makubwa verkehren, obwohl sie gleichzeitig die Neger verachten. Ich weiß zu viel.

Wir essen weiter. Vater spricht Swahili mit Rachel, fragt sie nach ihrem Dorf, erklärt ihr, was er in Shinyanga macht, sein Swahili ist ziemlich gut geworden. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie D’Souza aufsteht und zur Toilette geht. Als er zurückkommt, steuert er unseren Tisch an.

»Mr. Knudsen«, sagt er. »Viele von uns sind der Ansicht, dass es nicht gut ist, wenn Christian sich in dieser Weise in Moshi herumtreibt und so tut, als wäre er ein Einheimischer. Das sollten Sie wissen.«

»Wieso ist das nicht gut?«

»Er vermischt die Dinge. Es hat keinen Sinn, sich hier nachts mit dem Abschaum vom Markt herumzutreiben. Er sollte in Europa sein und eine Ausbildung, eine richtige Arbeit antreten.«

»Wie können Sie so etwas sagen?«, mischt Solja sich ein.

»Es ist doch die Wahrheit«, erwidert D’Souza.

»Das ist rassistisch«, erklärt Solja. Katriina sieht sie an – stolz, glaube ich. Rachel starrt mit leerem Blick vor sich hin. Ihr Englisch ist inzwischen ziemlich gut, sie kann der Unterhaltung folgen.

»Finden Sie es richtig, wenn Christian in Tansania wie ein dummer Eingeborener lebt?«, fragt D’Souza rhetorisch.

»Ziemlich eigenartig für einen Mann wie Sie, so etwas zu sagen«, mische ich mich ein.

»Wieso ist das eigenartig?«, fragt er und sieht mich an.

»Sie sind bei allen fetten waafrika-malaya in Moshi bekannt. Sie bezahlen dafür, dass Ihnen der Hintern versohlt wird, als seien Sie ein unartiges Baby.« Ich lasse es einfach so stehen – schaue ruhig zu D’Souza, der trotz seiner sonnengebräunten Haut einen feuerroten Kopf bekommt.

»Das ist Wahnsinn«, sagt er laut. »So etwas Unglaubliches habe ich noch nie gehört.« Er dreht sich um und marschiert zu seiner Familie, wirft Geld auf den Tisch und schiebt sie vor sich aus dem Restaurant.

»Ist das wahr?«, erkundigt sich Katriina auf Schwedisch.

»Ja«, antworte ich auf Dänisch.

»Ihgitt«, sagt Solja.

»Mein Vater will mit dir reden«, sagt David, als ich das nächste Mal im Golden Shower bin.

»Ist er an der Bar?«

»Nein, in Majengo. In der Bar, die Jacksons heißt.«

»Also kommt er später?«

»Nein, du sollst sofort hinfahren und mit ihm reden.« Oh, Mist, will er sich schon wieder über irgendetwas beschweren? Will er noch mehr Anteile?

»Worüber will er denn mit mir reden?«

»Da musst du ihn schon selbst fragen«, gibt David zur Antwort.

»Okay.«

Ich fahre nach Majengo, halte vor Jacksons Bar, gehe hinein. Bwana Benson sitzt an einem Tisch auf der Veranda. Durch die Tür sehe ich Chantelle an der Bar sitzen. Sie schaut in meine Richtung – irgendetwas ist nicht in Ordnung. Ich winke ihr. Sie winkt nicht zurück.

»Bwana Benson«, sage ich. »Was ist los?« Er gibt mir mit der Hand ein Zeichen, mich zu setzen. Ich setze mich und suche in der Tasche nach meinem Zigarettenpäckchen. PAH. Meine Wange brennt nach einer Ohrfeige von seiner Hand. Ich lasse die Zigaretten auf die Tischplatte fallen. Er sitzt ganz ruhig da. Nimmt sich mit seinen nikotingelben Fingern eine Zigarette, während er mich mit seinem pissgelben Blick anglotzt.

»Was zum Henker machen Sie da?« PAH – noch eine Ohrfeige. Er ist schnell. Ich rutsche mit dem Stuhl zurück, starre ihn fassungslos an.

»Du zerstörst ihr Leben, weil du Unfug treibst«, sagt Benson. »Wegen dir verliert sie ihre Einnahmen.« Verdammt, über wen redet er? Rachel? Benson fährt fort: »Er war ihr fester Kunde, und nun hat er sie verprügelt. Sie hat überall blaue Flecken, und sie hat die Einnahmequelle verloren, mit der sie die Schule ihrer Tochter in Arusha bezahlt.«

»Chantelle?«

»Ja, Chantelle«, zischt Benson. »Fünfzig Prozent.«

»Was?«

»Ich bekomme von jetzt an fünfzig Prozent der Eintrittsgelder.« Ich erwidere nichts. »So kann ich in deinem Chaos aufräumen und Chantelle und ihrer Tochter helfen«, erklärt Benson. Vielleicht ist es seine Tochter?

»Okay.«

»Verschwinde.« Ich stehe schwerfällig auf. Gehe zur Tür. Ich will mich bei ihr entschuldigen. »Lass sie in Ruhe«, sagt Benson hinter mir. »Sie schlägt sehr viel härter als ich.« Ich sehe durch die Tür Chantelles Rücken – die mollige, aber schmale Taille und den Hintern, der sich über den Barhocker wölbt. Sie schaut sich über die Schulter um.

»Tsk«, zischt sie. »Du kannst einfach nach Hause fahren. Aber ich muss hier leben.« Sie wendet das Gesicht ab.

»Entschuldige«, sage ich.

»Verschwinde«, sagt Chantelle.

Ein großer Tag, Ostern. Es wird eine gewaltige Nacht. Rogarth kommt bereits morgens gegen zehn in einem Taxi, um mich abzuholen, weil wahrscheinlich schon über Mittag Gäste im Golden Shower trinken werden. Wir müssen bereit sein, ein bisschen Hintergrundmusik zu liefern. Abdullah ist dabei, die Lautsprecher an den Haken aufzuhängen, die wir in die Dachsparren geschraubt haben. Wir stellen unser Licht auf, die Anlage wird am Pult eingeschaltet, die Kabel sind eingesteckt. Ich schalte ein. Der Effektverstärker … tot. Ich versuche es noch einmal. Kein Licht. Checke das Kabel, den Stecker.

»Was kann es sein?«, fragt Rogarth.

»Keine Ahnung.«

Ich löse die Schrauben der Metallverblendung und hebe sie ab, schalte ein und horche auf die eingebaute Stromversorgung – sie summt.

»Okay, Strom kommt also rein«, stelle ich fest.

»Aber er läuft nicht«, sagt David. Nein, kein Mucks.

»Da-da-da-da ist kein Licht«, sagt Firestone und zeigt auf das Dezibeldisplay vorn. Das Gerät bekommt Strom, nicht aber die Lichtdioden. Es ist einfach … Scheiße.

»Es ist noch immer früh am Tag«, sage ich. »Fahren wir in die Stadt und finden einen Elektriker.«

»Es kommen mindestens vierhundert Leute heute Abend.«

»Ich weiß.«

»Kannst du dir nicht … irgendwo etwas leihen?«

»Wo denn?«, frage ich zurück. Selbstverständlich nicht. Es gibt nur diese Anlage, und es gibt die Anlage, mit der Faizal im Moshi Hotel spielt. Im Liberty läuft nichts mehr – Alwyns Anlage ist mausetot.

»Arusha …?«, schlägt David vor.

»Auch in Arusha ist Ostern.«

»Ich muss mit meinem Vater reden.«

»David … Wir versuchen, das hinzukriegen. Kannst du nicht wenigstens ein bisschen warten, bevor du mit deinem Vater redest?«

Wir fahren zum NVTC, dem National Vocational Training Centre, einer Art Schule für Elektriker und solche Leute. Wir finden einen Burschen, der weiß, wo wir nach einem Experten für Elektronik suchen können. Rogarth fährt, um ihn zu holen. Anderthalb Stunden vergehen, bis er mit dem Mann zurückkommt. Er riecht nach Bier und fängt an, in dem Verstärker herumzufummeln, steckt Kontakte von verschiedenen Messgeräten in seine Eingeweide. Er lächelt.

»Was ist?«, frage ich.

»Ich habe den Fehler gefunden.«

»Kannst du ihn reparieren? Was ist es?« Ich stehe direkt neben ihm. Er hält ein kleines Glasding in der Hand.

»Eine Sicherung ist durchgebrannt.«

»Okay. Kannst du sie auswechseln? Hast du eine neue?« Er schüttelt lächelnd den Kopf.

»Solche Sicherungen haben wir hier nicht. Vielleicht in Arusha.«

»Was meinst du – wo in Arusha? Sind sie teuer?«, will ich wissen.

»Keine Ahnung«, erwidert er mit einem Achselzucken. »Vielleicht bekommst du für einen Dollar … zwei oder drei?«

Ein Dollar, drei Stück. Das ist … nichts.

»Man muss immer eine Reserve haben«, sagt er. Ich kommentiere es nicht. Reiche ihm ein paar Scheine.

»Verflucht, was machen wir?«, frage ich in die Runde. Abdullah trägt den Verstärker hinaus, ich gehe direkt hinter ihm – ein Leichenzug, totes Gerät. Rogarth geht in der Mittagssonne auf und ab, um ein Taxi anzuhalten. Vierhundert Menschen. Die alle zum Golden Shower fahren, in unsere Diskothek, Rebel Rock. Wir werden das gesamte Geld verlieren. Benson flippt total aus.

»Wir können gar nichts machen«, sagt Abdullah. Totaler Afrikaner.

»Faizal?«, sage ich.

»Faizal?«, wiederholt Abdullah. »Aber er soll heute Abend zum ersten Mal im Liberty spielen.« Das wusste ich nicht. Rogarth kommt mit einem Taxi und lässt uns einsteigen.

Wir fahren zu Faizal. Glücklicherweise ist er zu Hause und hat seine Anlage noch nicht ins Liberty transportiert. Phantom, der alte bhangi-Dealer ist bei ihm. Ich komme sofort zur Sache.

»Hör her. Unsere Ausrüstung ist fucked. Heute Abend kommt eine Riesenmenge Leute, und wir haben nicht einen Ton. Du hast die Ausrüstung. Du wirst an deinem ersten Abend im Liberty keine Leute haben. Vielleicht, wenn sie herausfinden, dass wir Probleme haben.«

Dann rede ich über Geld. Es ist ein guter Preis, den ich Faizal anbiete. Er schüttelt den Kopf.

»Ich würde es wirklich gern machen, aber, verstehst du, ich habe bereits eine Vereinbarung mit der Dame im Liberty.«

»Ist die Anlage bereits dort?«

»Ach, Scheiße, nein, ich will lieber das Geld.« Ich gebe ihm die Hälfte als Vorschuss, und wir nehmen den Effektverstärker im Taxi mit. Die Besitzerin des Liberty wird wütend sein.

»Den Rest bekommst du morgen«, sage ich. »Zusammen mit dem Verstärker.«

Faizal nickt lächelnd und steckt sich das Geld in die Tasche, und ich denke, es entspricht nur einem Bruchteil des Kindergeldes, das er im Laufe der Zeit Rachel hätte zahlen müssen.

Um fünf Uhr nachmittags sind wir zurück im Golden Shower. David ist nicht da. Niemand weiß, wo er ist. Na gut. Wir bauen auf – um sechs Uhr ist alles bereit. Die Anlage läuft, es klingt gut, es beginnt, dunkel zu werden.

»Trinken wir in aller Ruhe eine Cola an der Bar«, schlage ich mit einem Lächeln vor. Auf der Ziellinie gerettet. Wir grinsen uns ein bisschen blöde an. Ich gehe zuerst in die Bar. David steht hinter der Theke und macht einen eigenartigen Eindruck. Sein Vater sitzt auf einem Barhocker, mit dem Rücken zu uns.

»Jetzt funktioniert’s«, verkünde ich. »Wir sind bereit für die Party.« Bwana Benson dreht sich um. Seine Augen schimmern. Er muss versucht haben, seine Sorgen zu ersaufen, seit David ihm vormittags erzählt hat, dass wir keinen Ton hätten.

»Verschwindet«, sagt Benson. Die Augen sind gelb. Ich hebe die Hände, um ihn zu beruhigen.

»Es tut mir leid, dass es Probleme gegeben hat, aber wir sind jetzt bereit. Alles funktioniert.«

»Packt euren Scheiß zusammen. Nehmt eure Lautsprecher und verschwindet aus meinem Laden.«

»Aber mzee, wir sind jetzt ganz perfekt klar«, versucht es Abdullah. Ich packe seinen Arm mit einer Hand.

»Abdullah, sei still.« Auch ich halte den Mund. In diesem Zustand – besoffen – will ich mich nicht mit Benson streiten. Und David steht hinter der Bar, beugt sich vor und flüstert seinem Vater verzweifelt ins Ohr: »Ach, komm schon, Vater. Es ist alles in Ordnung.«

PAH – der Mann schlägt seinen Sohn, eine knallende Ohrfeige direkt ins Gesicht. Ich drehe mich um und gehe zur Anlage, die anderen folgen mir auf den Fersen.

»Okay«, sage ich zu ihnen. »Packen wir unsere Sachen und verschwinden.« Das ist das Ende im Golden Shower.

»Können wir nicht ins Liberty fahren?«, schlägt Rogarth vor.

»Nein.« Es ist zu spät. Faizal hat die Chefin verarscht, und inzwischen ist es so spät, dass sie ganz sicher Bescheid weiß. Es ist nichts zu machen. Der Tag ist verloren. Wir haben keine Spielstätte. Ich habe mein Geld vergeudet.

»Wir fahren zu mir nach Hause und veranstalten ein kleines Fest.« Zuerst fahren wir zu mama Androli. Warten, bis sie eine kleine Mahlzeit für uns zusammengerührt hat. Ich bin durcheinander, bezahle. Wir fahren zu mir nach Haus. Ich bezahle das Taxi. Viel Kleingeld habe ich nicht mehr. Rachel ist überrascht, uns zu sehen. Ich erkläre ihr kurz, was passiert ist. Sie sieht traurig aus. »Wir reden morgen darüber«, sage ich. »Heute Abend veranstalten wir ein kleines Osterfest und kümmern uns nicht um die Probleme des Lebens.«

Wir essen, trinken Bier. Es ist durchaus gemütlich, aber mein Kopf schmerzt. Ich rolle ein paar Joints, als Rogarth Rachel hilft, die Küche aufzuräumen und Tee und Kaffee zu kochen. Ich rauche. Stecke die Anlage zusammen und lege eine Bob-Marley-Scheibe auf. Die Kopfschmerzen legen sich. Ich hole eine Flasche Konyagi, schenke mir, Abdullah und Firestone kleine Gläser ein.

»Insh’allah«, proste ich Abdullah zu und hebe mein Glas.

»Shauri ya Mungu«, erwidert er. Soweit ich weiß, glaubt Firestone an keinen Gott, aber Konyagi ist ihm recht. Er leert sein Glas und schnalzt mit der Zunge. Es ist gemütlich. Wir trinken Tee und Kaffee, setzen uns auf die kleine Veranda und schauen uns die Sterne an, während Bob im Wohnzimmer singt. Rauchen noch einen Joint. Ich gehe hinaus in den dunklen Garten. Was ist passiert? Ich muss über die Dinge nachdenken, die Details, Gefahren lauern. Mir ging es hier zu gut, lange. Aber … viele Dinge laufen schief, unsicher, falsch. Wie kann ich …? Eine Sicherung wirft mich aus der Bahn. Eine Sicherung für vielleicht zweieinhalb dänische Kronen. Wahnsinn.

Ich gebe Faizal die andere Hälfte des Geldes, die ich ihm versprochen habe. Faizal ist mit einem Taxi gekommen – ich empfange ihn draußen, wir setzen uns auf die Veranda. Ich hole den Verstärker und Kaffee. Halima folgt mir und versteckt sich zwischen meinen Beinen; sie weiß nicht, dass der schwarze Mann ihr Vater ist. Rachel bleibt im Schlafzimmer hinter geschlossener Tür. Sie will den Mann nicht einmal sehen.

»Meine Tochter Halima«, sagt Faizal und nickt in Richtung des Mädchens.

»Ja?«

»Du musst sie mit nach Europa nehmen.«

»Ich muss nicht nach Europa.«

»Nein, jetzt noch nicht. Aber wenn du nach Europa gehst, musst du sie mitnehmen.«

»Okay.«

»Ich meine es ernst«, sagt er. »In dieser Scheiße hier zu leben, ist sehr gefährlich. Du musst sie mitnehmen.«

»Das habe ich mir auch gedacht.«

»Gut.« Faizal lächelt.

Als er gefahren ist, ist Rachel stinksauer. Stellt Fragen, was gestern Abend im Golden Shower vorgefallen ist, obwohl sie es bereits gehört hat.

»Und was willst du jetzt machen?«, fragt sie zum dritten Mal hintereinander. »Ist es nicht besser, nach Dänemark zu gehen?«

»Gut möglich, dass ich besser nach Dänemark gehen sollte.«

»Vielleicht kann deine Mutter uns helfen?«

»Du bist keine Dänin. Wenn du nach Dänemark kommst und dort wohnst, schmeißen sie dich raus. Du kannst dich dort lediglich ein paar Monate als Touristin aufhalten, das ist alles.«

»Aber … wir sind doch zusammen.«

»Ja, aber wir sind nicht verheiratet.«

»Nein, aber …«

»Und wieso? Weil du bereits verheiratet bist. Mit Faizal. Und warum hast du dich nicht scheiden lassen?«

»Du weißt, er … Ich habe Angst, weil er vielleicht vor Gericht sagen wird, ich … ich würde mit dir zusammenleben. Dann kann er das Kind fordern.«

»Er will das Kind doch gar nicht.«

»Nur aus Rache. Seine Mutter würde sich darum kümmern. Und die Behörden … dann gucken die Behörden auch auf dich: Wer bist du? Was machst du hier in Tansania? Stiehlst du die Frauen und Kinder des afrikanischen Manns? Hast du eine Aufenthaltserlaubnis? Eine Arbeitserlaubnis?«

»Rachel. Wenn es nach Faizal geht, soll das Kind bei uns bleiben, wir sollen Halima mit nach Europa nehmen. Er hat doch gar kein Geld, um seine Mutter zu bezahlen, damit sie sich um das Kind kümmern kann. Wir sorgen dafür, dass es Halima gut geht.«

»Ja, aber er kann auch Geld für die Scheidung fordern. Wenn er vor Gericht Krach schlägt und mich beschuldigt, hast du nichts davon. Und ich verliere mein Kind an seine Mutter. Aber wenn Faizal sich wie ein Lamm aufführen soll, will er Geld sehen.«

»Sagt er das?«

»Was? Bist du wahnsinnig? Glaubst du, ich rede mit diesem Betrüger? Vergiss es.«

Rachel kommt ins Wohnzimmer, sie hat sich angezogen, als wollte sie ausgehen.

Sie stellt sich vor mich hin.

»Fährst du mich zum Gericht?«

»Was willst du da?«

»Mich scheiden lassen«, erklärt Rachel. Ich lächele, schüttele den Kopf, lege die Arme um sie.

»Rachel, es ist Sonntag. Das Gericht hat geschlossen. Wir machen das morgen.« Sie entzieht sich meinem Griff – wie ich sehe, sind ihre Augen feucht.

»Okay«, sagt sie, geht wieder ins Schlafzimmer, schließt die Tür.

»Die Afrikaner haben das Dorf, den Klan und die Familie. Die Inder haben ihre Glaubensgemeinschaft und die Familie. Du hast die Familie«, sagt Mick zu mir. Wir sitzen in der Nähe seiner Autowerkstatt in einer Garküche, essen Pilaf und trinken Bier. Ich habe die Sicherungen gefunden und muss bald zurück nach Moshi. »Du musst deine Familie um Hilfe bitten.«

»Sie wollen mir nicht helfen.«

»Du musst sie enttäuscht haben.«

»Ich habe meine Freunde.«

»Welche Freunde?«, erkundigt sich Mick.

»Leute in Moshi.«

»Freundschaft ist ein Hobby für wohlhabende Leute.«

»Ich bin mit einer Menge Leute in Moshi befreundet.«

»Nein, bist du nicht«, widerspricht er.

»Du hast eine finstere Sicht auf die Menschen.«

»Nein. Ich sage dir, wie es ist. Tansania. Du bist nicht in Europa. Wenn du fällst, hilft niemand dir auf. Und es wird nur noch schlimmer, wenn man nicht darauf vorbereitet ist. Hast du ein Mädchen?«

»Ja, Rachel.«

»Ist sie deine Freundin?«

»Ja.«

»Fest?«

»Scheiße, ja! Wir wohnen zusammen. Ihre kleine Tochter lebt bei uns.«

»Aber hast du sie geheiratet? Willst du sie mitnehmen, wenn du zurück nach Dänemark fliegst?«

Ich bin drauf und dran, ihm zu erzählen, dass ich nicht nach Dänemark zurückkehre, aber ich weiß genau, es ist eine Lüge – es wird passieren –, und er weiß es auch. Ich zögere. Er fügt hinzu: »Man erlebt viele traurige Schicksale durch den Drang des weißen Mannes nach der schwarzen Möse.«

Ich würde ihm gern sagen, dass es nicht so ist. Aber ich halte den Mund.

Ich sitze mit Kaffee und Zigaretten auf der Veranda vor dem Haus. Halima sitzt neben mir auf einem Stuhl und imitiert meine Bewegungen – sie hat eine Tasse Milch und führt eine imaginäre Zigarette an den Mund, zieht und pustet. Ich lächele ihr zu und setze ihr meine Ray-Ban-Sonnenbrille auf. Sie sieht aus wie eine boshafte zweieinhalbjährige Voodoo-Priesterin. Ich gehe auf den Rasen und trete gegen einen Ball. Sie kommt zu mir, wir spielen Fußball. Geschickt hält sie den Ball an den Zehenspitzen, es ist unmöglich, ihr den Ball ohne ein unfaires Rempeln abzunehmen. Rachel kommt aus dem Wohnzimmer.

»Du sollst nicht mit ihr Fußball spielen.«

»Wieso nicht?«

»Sie ist ein Mädchen.«

»Na und?«

»Mädchen spielen kein Fußball.«

»Da kannst du mal sehen, sie spielt wie eine Göttin.«

»Das soll sie nicht.« Rachel nimmt Halima auf den Arm, die in ihrem Kleinkind-Dänisch »Uboll, Uboll, Uboll«, sagt. Sie fängt an zu schreien und zu weinen, als Rachel sie mit ins Haus nimmt. Kurz darauf kommt Rachel wieder heraus: »Musst du nicht arbeiten?«

»Beruhig dich«, sage ich. Sie geht wieder hinein. »Bekomme ich noch eine Tasse Kaffee?« Ohne ein Wort greift sie nach meiner Tasse und geht. Fuck. Ich folge ihr. Sie ist nervös, weil ich noch keinen Ersatz für das Golden Shower gefunden habe. Und ich bin gereizt. Halima sitzt im Wohnzimmer auf dem Boden, macht ein trotziges Gesicht und schlägt lautstark Legosteine gegeneinander. Rachel lehnt in der Küche gegen die Spüle und schaut mit leerem Blick aus dem Fenster. Ich umarme sie von hinten.

»Es wird schon gehen«, sage ich. »Wir finden einen neuen Ort.«

Sie dreht sich um und legt mir die Arme um den Hals. »Ich habe Angst, denn wie sollen wir zurechtkommen, wenn du nichts findest. Wo sollen wir dann wohnen?« Ich streichele ihren Rücken und puste ihr ins Ohr.

»Es wird schon gehen. Mach dir keine Sorgen.«

Es ist ein verdammt großes Problem, und im Augenblick kann ich es nicht lösen. Ich bin müde, brauche Veränderung. Rogarth ist auf den Berg gefahren, um seiner Mutter beim Bau ihres schäbigen Hauses zu helfen, denn der Vater sitzt noch immer im Karanga Prison. Ibrahim ist in Merelani und schlägt mit der Peitsche auf die Schlangen ein, damit sie sich in die Felsen winden und nach blauen Steinen suchen. Seit er einen Tritt bekommen hat, habe ich Khalid nicht wiedergesehen – es betrübt mich. Ich fahre in die Stadt und suche Firestone. Frage ihn nach Khalid.

»Kha-Kha-Khalid ist Trä-Trä-Trä-Träger geworden, auf dem B-B-Berg. Er geht auf die Schu-Schu-Schule, da-da-damit er b-b-b-bald als Guide arbeiten kann, für die wazungu, d-d-die zum Gi-Gi-Gipfel gehen.«

»Willst du eine Woche in meinem Haus wohnen?« Firestone nickt und setzt sich hinten aufs Motorrad. Er muss nichts mitnehmen. Er hat nichts. Ich fahre Rachel und Halima zur Busstation. Halima sitzt vor mir auf dem Tank, sicher zwischen meinen Schenkeln. Rachel sitzt hinten und hat die Arme um mich und Halima geschlungen. Ich setze sie in einen Bus nach Tanga. Bitte Rachel, Halima abzuliefern und sofort zurückzukommen – dann würden wir zusammen zu meinem Vater nach Shinyanga fahren. Aber noch bevor sie zurück ist, kommt Vater nach Moshi. Als Rachel heimkommt, sagt sie: »Du musst deinen Vater fragen, ob er helfen kann.«

Wäre mein Vater ein afrikanischer Vater und so reich, wie er ist, dann würde er helfen. Dann würde er in einen Ort für die Disco investieren. Daran habe ich auch schon gedacht, aber ich weiß, er würde ablehnen. Er will mich in Dänemark haben. Ich soll eine Ausbildung antreten. Etwas in dieser Richtung.

Wir werden zu Katriina und den Mädchen eingeladen. Großes Familienabendessen. Solja zeigt Rachel einen Fotoband aus Schweden, der Katriina gehört, damit sie den Leuten zeigen kann, wie ihr Heimatland aussieht: schneebedeckte Berge mit Felsen und romantischen Holzhäusern, sommergrüne Wälder mit wehenden Fahnen, Maibäume und Boote in den Schären, das alte hübsche Stockholm und Dörfer mit frisch gestrichenen Holzhäusern und lächelnden blonden Kindern – eine reine Touristenbroschüre. Ich sitze neben Rachel auf dem Sofa. Sie zeigt auf das Bild mit den Häusern: »Habt ihr in Dänemark auch so ein Haus in einem Dorf?«

»Ich habe kein Haus in Dänemark.«

»Nein, aber die Familie?«, fragt sie. Ich erkläre ihr, dass die Häuser in Dänemark anders aussehen und meine Eltern ihr Haus verkauft haben, bevor sie nach Afrika gingen. Mutter wohnt noch immer in Genf, und mein Vater muss sich ein neues Haus kaufen, wenn er zurückkehrt. Und dann bemerke ich den Blick meines Vaters – ist es Abscheu oder Entsetzen? Ich sage nichts. Verdammt, wieso will er, dass Rachel nichts davon weiß? Mist. Er geht in die Küche.

Wir essen. Solja flucht über Eltern, ihre eigenen und im Allgemeinen. Sie beschimpft sie, sie hat keinen Respekt vor ihnen. Sie will einfach weg; sobald sie die ISM beendet hat, will sie das Land verlassen, am liebsten in die USA. Sie möchte Biologie studieren, aber vor allem will sie weg, sie erträgt diese Umgebung nicht mehr. Sie könnte Samantha sein. Aber in einer klügeren und nachdenklicheren Ausgabe.

Nach dem Abendessen sitzen mein Vater und ich mit Drinks und Zigaretten auf der Veranda. Er hat zugenommen, aber das erwähne ich nicht. Frage ihn stattdessen, ob er mir ein bisschen Geld leihen kann.

»Christian, wenn du hier nicht zurechtkommst, solltest du nach Hause fahren, finde ich«, antwortet er.

»Wo ist das? Zu Hause?«

»Hör schon auf.«

»Nein. Ihr habt mich hierhergeschleppt. Ich habe kein Leben in Dänemark. Es sagt mir einen Scheiß.«

»Du sollst lediglich das Gymnasium beenden, dann kannst du sehen, wozu du Lust hast. Eine Ausbildung ist wichtig.«

»Und was wird aus Rachel und Halima?«

»Na ja …«, sagt er und hält inne. Er hat keine Antwort darauf.

»Ich habe dich gefragt, ob du mir ein bisschen Geld leihen kannst, bis ich wieder in Gang gekommen bin?«

»Du kannst dir etwas leihen, aber lass es nicht zur Gewohnheit werden.«

Am nächsten Tag mietet Vater einen großen Land Rover, und wir fahren alle zusammen zum Tarangire National Park. Unglaublich, aber wahr: Zum ersten Mal in ihrem Leben sieht Rachel die wilden Tiere ihres Vaterlands.

Rogarth besucht mich – lächelnd kommt er auf die Veranda zu, zusammen mit Rachel, die in der Stadt eingekauft hat, bevor ich aufgestanden bin. Ich würde sie gern trösten, mit ihr ins Bad gehen, zwischen kühlen Laken liegen und sie liebkosen, weil ihr unsere Situation solche Sorgen gemacht hat. Aber sie braucht keinen Trost, es tut ihr nicht leid. Zielbewusst. »Ich habe es beantragt«, erzählt sie. Was meint sie? »Die Scheidung. Und jetzt koche ich euch was.« Sie geht in die Küche. Rogarth lächelt noch immer.

»Ja?«, sage ich.

»Ich habe den Ort gefunden.«

»Okay – und wo?« Er schüttelt den Kopf.

»Du musst es dir ansehen.« Nach dem Essen lasse ich ihn das Motorrad fahren. Wir fahren zum YMCA-Kreisel, dann in Richtung Golden Shower. Er bremst an der Abzweigung rechts nach Majengo und biegt links ab – langsam –, durch einen Graben, über ein Feld bis zu einem Bauplatz. Mauerbrocken, Baumstümpfe und zerbrochene Ziegelsteine liegen herum. Royal Crown Hotel steht auf einem Schild. Eine weiße Mauer mit einem geschwungenen Eingangsbereich wie bei einer mexikanischen Hazienda. Ganz neu. Er hält an, wir steigen ab. Gehen hinein. Das Hotel ist vollkommen leer, funkelnagelneu, keinerlei Aktivität – merkwürdig, dass mir der Bau nie aufgefallen ist, ich fahre diesen Weg mehrmals in der Woche. Es ist ein vierflügeliges, einstöckiges Gebäude, mit einem Dach über dem gefliesten Hof. Dort stehen Stühle und Tische – der Speisebereich. Zwei Flügel enthalten die Zimmer. In dem Trakt gegenüber dem Eingang gibt es eine Bar, und in einem der Seitenflügel sind Küche und Gästetoiletten untergebracht. Keine Menschenseele ist hier.

»Hast du mit dem Besitzer gesprochen?«, frage ich gedämpft. Rogarth schüttelt den Kopf.

»Aber ich weiß, wer es ist«, sagt er. Die Location ist absolut perfekt. Schließlich taucht ein junges Mädchen auf.

»Was möchtet ihr?«, fragt sie, beinahe feindselig.

»Zwei Cola«, bestelle ich. »Draußen.« Wir gehen hinaus und setzen uns an einen Plastiktisch auf dem frisch angelegten Rasen zwischen dem Gebäude und der Mauer des Grundstücks. Sie kommt heraus. Rogarth erkundigt sich, wo der Besitzer ist. Sie weiß es nicht. Geht wieder.

»Es ist seit zwei Monaten geöffnet, aber es kommen keine Gäste«, sagt Rogarth. Klar, es liegt schlecht. Wenn du für diese Qualität bezahlst, willst du lieber im Zentrum wohnen, und wenn du eine arme Sau bist, wohnst du besser in Majengo. Dieser Laden hier … perfekt für Safari-Gesellschaften, wenn sie übernachten müssen, bevor sie den Berg besteigen, oder wenn sie herunterkommen. So ersparen sie sich die Fahrt bis Arusha. Aber dann hätte er einen Swimmingpool anlegen müssen. Ohne Swimmingpool fahren sie lieber bis zum Kibo Hotel direkt am Eingang zum Kilimanjaro National Park, denn das liegt hoch, ist hübsch und alt, authentisch aus der Zeit, als der Neger noch kolonialisiert war – das ist es, was die Touristen erleben wollen.

»Wer ist der Besitzer?«

»Ein pensionierter Polizist.« Wie viel Schmiergeld war wohl notwendig, um so etwas bauen zu können!

»Ein reicher Polizist?«, frage ich skeptisch.

»Nicht mehr. Er hat noch nicht einen Schilling mit dem Laden verdient.«

»Fuck. Wir müssten es kaufen.«

»Geld«, erwidert Rogarth.

»Ja«, sage ich. Und denke: Wenn ich mir vom Alten Geld leihen könnte – es wäre eine gute Investition. Rachel wird geschieden, ich heirate sie, bekomme eine ordentliche und beglaubigte Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, adoptiere Halima, und wir betreiben dieses Hotel. »Fahren wir«, sage ich. Ich rufe immer wieder in Shinyanga an, bis ich eine Verbindung bekomme.

»Nein«, sagt der Alte. »Du bist jetzt anderthalb Jahre hier. Du sagst, du hast die ganze Zeit gearbeitet, und trotzdem besitzt du nicht eine Krone. Ich werde mein Geld nicht aus dem Fenster werfen.«

»Verdammt, Vater. Ich hatte einfach ein paar Probleme. Es wird funktionieren, wenn der Laden mir gehört.«

»Du darfst in Tansania nichts kaufen. Hast du überhaupt eine Arbeitserlaubnis?« Ich habe nicht einmal eine Aufenthaltserlaubnis – ich lasse mein Touristenvisum alle drei Monate erneuern. Aber das erzähle ich ihm nicht.

»Ich darf es kaufen, wenn ich Rachel geheiratet habe.«

»Willst du sie denn heiraten?«

»Ja. Hast du ein Problem damit?«

»Nein, überhaupt nicht. Es ist dein Leben. Aber du solltest erst einmal nachdenken.«

»Was soll das heißen?«, frage ich.

»Wenn du in Tansania nicht klarkommst, wie willst du sie und die kleine Halima versorgen? Es könnte ja auch sein, dass ihr zusammen ein Kind bekommt. Das ist eine große Verantwortung, Christian. Wie willst du das schaffen? Ich denke, dir ist mehr damit gedient, dir eine Zukunft in Dänemark aufzubauen. Und Rachel will ja gern mit.«

Eine große Verantwortung, sagt er. Fuck – eine Verantwortung, die er selbst nicht sonderlich glänzend geregelt hat.

»Rachel ist dabei, sich scheiden zu lassen. Es wird eine Weile dauern, bis wir heiraten können. Ich kann doch dieses Hotel kaufen und betreiben, auch wenn wir in Dänemark sind.« Obwohl … das wird wohl kaum möglich sein.

»Wenn du Geld brauchst, um eine Weile zurechtzukommen, leihe ich es dir gern. Aber ich kaufe dir kein Hotel in Moshi. Fertig. Das will ich nicht«, erklärt er. »Und wie geht es sonst? Mit Rachel und der kleinen Halima? Kommt ihr mal wieder zu Besuch?« Erst tritt er mir in die Eier, und dann will er, dass wir ihn besuchen.

»Tschüss«, sage ich und lege auf. Idiot.

Okay. Rogarth bringt mich zum Besitzer des Royal Crown Hotel in Old Moshi. Wir reden über Prozente. Ich verhandele hart. Er verkauft Essen und Getränke, wir behalten das Eintrittsgeld.

»Das ist zu viel«, sagt er.

»Nein«, widerspreche ich. »Sie können auch dreißig oder vierzig Prozent des Eintritts haben, aber wir können nicht anfangen, bevor Sie nicht den Bauschutt weggeräumt, den Parkplatz entwässert und einen Zufahrtsweg von der Hauptstraße über den Graben angelegt haben.«

Er hat bereits eine gewaltige Summe für den Bau verbraucht und bisher keinen roten Heller verdient. »Wenn wir den gesamten Eintritt bekommen, erledigen wir das. Sie haben dann keinen Ärger damit.« Er ist umgänglich, es endet damit, dass wir achtzig Prozent bekommen, er zwanzig.

Ich denke nach und rufe die Jungs zusammen. Raus aus den gelben Hemden, jetzt wird gearbeitet. Zuerst wird die kleine Anlage an einen Inder verkauft – sonst haben wir kein Geld, um den Neustart zu finanzieren. Keine transportable Disco mehr für Geburtstage und Feste auf dem Berg. Aber das ist in Ordnung, wir bekommen einen guten Prozentsatz. Rachel nimmt den Bus nach Tanga, um ihren Vater zu besuchen und Halima abzuholen. Wir, das sind Rogarth, Firestone, Abdullah und ich.

Rebel Rock Sound System – alle kennen uns. Das letzte Geld geben wir im Moshi Computer Centre aus; der Eigentümer entwirft unsere Plakate und druckt sie. Wir verbreiten sie in der ganzen Stadt, hängen sie an die Bäume, Gebäude, in die Läden. Es findet gerade ein großes Volleyball-Turnier in der Stadt statt, die Mannschaften sind von überall hergekommen: Simbabwe, Sambia, Uganda, Kenia – Jungen und Mädchen und jede Menge Zuschauer. Das Turnier endet an dem Tag, an dem wir eröffnen. Wir schenken dem Turniersieger Karten für den Eröffnungsabend. Der erste Abend im Royal Crown Hotel. Alle kommen – das gesamte Volleyball-Turnier und sämtliche Zuschauer, die wissen, dass die Siegermannschaft bei uns feiert. Einhundert Menschen stehen draußen, aber es ist voll – sie feiern auch auf dem Parkplatz. Rebel Rock Sound System ist wieder im Spiel. Freitag. Samstag: der große Abend, bis fünf Uhr morgens. Und Sonntag, an dem die ältere Generation kommt. Für sie spielen wir ABBA, die Beatles und Donna Summer. Sie gehen um ein, zwei Uhr, dann feiern wir noch ein bisschen. Wir haben das ganze Wochenende gearbeitet. Montag ist unser freier Tag, an dem wir durchatmen.

Marcus

DER PREIS DER ELEKTRIZITÄT

Claire wird krank, eine schwere Malaria, und die Princess-Boutique in der Stadt läuft nicht gut, denn ihre Schwester Patricia kann nicht gut handeln. Tsk, ein ständiger Wahnsinn, hier zu leben. Die Hälfte der Hühner sterben an einer Infektion – wir verlieren ein Vermögen. Ich muss zu den Söhnen der mabwana makubwa in die Stadt fahren und meine wenigen guten Langspielplatten verkaufen. Jeden Schilling investiere ich in Stoffe, Farben, Wachs und Chemikalien, um Batik zu kochen. Es gibt keine Küken unter der Treppe, die den Holocaust erleben müssen – die Infektion hat sie bereits getötet. Die Chemikalien werden nur in die Lungen des alten Marcus dampfen, der in Sack und Asche gehen muss.

Ich fahre Claire zu ihrer Mutter in Pasua, die sie pflegen kann, bis die Malaria wieder verschwindet. Das Hausmädchen schicke ich heim. Sie wohnt in einem Dorf nicht weit von Moshi, und es ist besser, wenn sie sich nachts nicht hier aufhält, solange Claire nicht da ist – sonst fängt sofort das Gerede der Nachbarn mit fantastischen Geschichten über die Gottlosigkeit an. Der Kiosk wird geschlossen, der Junge, der sich darum kümmert, soll mir bei den Batikdämpfen helfen. Überall stehen die Türen auf, damit wir nicht krank werden.

Ich rauche drei Joints bhangi, bedecke die Tücher mit Wachs, spritze mit der Farbe, fixiere die Farbe mit Chemikalien, koche die überschüssige Farbe ab – eine lange Nacht der Chemie und des bhangi – und erwache in einem wahnsinnigen Muster. Bald werden wir diese Ladung in Kenia verkaufen.

Von Tanesco kommt die Stromrechnung, sie ist turmhoch. Unser Hausmädchen kommt aus der Lehmhütte: Sie kocht Maisgrütze für den Kioskjungen und sich und lässt den Herd an; sie hält es für ein Kohlebecken, das von allein ausgeht, während sie ins Bad geht und wäscht. Der Strom verdampft nutzlos in der Luft. Und wenn der Strom unterbrochen ist, legt sie die Kohle wie einen Berg ins Kohlebecken.

Ich kann die Elektrizität nicht bezahlen, ohne die Batik zu verkaufen. Und ich kann die Batik nicht verkaufen, bevor Claire wieder gesund ist, denn Claire weiß, welcher Preis in Kenia richtig ist – sie ist sehr hart bei den Verhandlungen. Aber Tanesco wird mich aus dem Haus schmeißen und mir die Unterhose wegnehmen, wenn ich ihnen mein Problem erkläre, denn in deren Augen bin ich nur ein kleiner Fisch. Ich muss Claire zwingen, aus dem Bett zu steigen und mit falschen Versprechungen über Schmiergelder ins Hauptbüro zu gehen, um die Zahlung aufzuschieben.

Wir warten zwei Tage, bis Claire beinahe gesund ist. Dann fahren wir. Schleichen uns bei Rongai über die Grenze; auf derselben Route wird Vieh für die kenianische Schlachterei in Oloitokitok geschmuggelt. Wir nehmen den Bus nach Nairobi, um einen besseren Preis zu erzielen. Und gehen dort in eine Diskothek. Eeehhh, die haben Sachen, die in Tansania bisher niemand gesehen hat. Was wir Disco nennen, sind lediglich eine Stereoanlage und ein paar Platten. Unser Discolicht ist gefährlich für deine Augen. In Nairobi ist das ein total feines Licht, das eine Menge Unterhaltung bietet und deine Augen nicht ständig nadelt, sondern schön ist. Die Diskothek in Nairobi ist eigentlich zu teuer für mich und Claire, aber manchmal muss man solche Dinge sehen, um zu verstehen, wie die Menschen versuchen, etwas zu bewegen. Ich brauche ein Vorbild, damit ich arbeiten kann, anstatt zu träumen. Jetzt bin ich glücklich – und nicht mehr so deprimiert darüber, dass ich das Discogeschäft in Moshi verloren habe. Das war nicht europäisch. Im Grunde weiß ich es ja: Es war ziemlich chaotisch. Es war Betrug. Christian hat sich den Großteil genommen. Ich war der Handlanger. Es war eine Kombination aus seinen und meinen Mitteln, und er hat mich ausgenutzt.

Der Kiosk wird laufen, die Hühner werden wieder groß für die Tische der Restaurants, und ich werde Claire meinen Samen einpflanzen, bis der Bauch sich wölbt. Das Geld ist knapp, aber wir sind keine Beifahrer mehr, die am Rockzipfel eines dummen weißen Jungen hängen.

Christian

Vom Motorrad aus sehe ich Khalid in die Stadt gehen. Nachdem ich ihn gefeuert habe, wurde er Träger auf dem Berg, aber jetzt sieht es so aus, als wäre er Guide geworden. Er trägt Scarpia-Bergstiefel, die deutlich besser sind als mein Schuhwerk. Man kann sie vermutlich in Kenia kaufen, aber sie dürften ihn ein paar Monatslöhne gekostet haben. Und er hat Levis-Jeans und ein T-Shirt an, auf dem Nagasaki Dreaming steht; Sachen, die er von Bergsteigern bekommen hat. Das bedeutet, dass er nicht stiehlt, denn einem Dieb schenkt man nichts. Und wenn er stiehlt und die Geschenke trotzdem bekommen hat, dann muss er äußerst charmant sein. Er sieht mich nicht, und ich halte nicht an, um mit ihm zu reden, obwohl ich seine Arbeitskraft und seine Gesellschaft vermisse. Ich bin froh, dass er zurechtkommt. Aber er hat gestohlen.

Das Royal Crown Hotel läuft gut. Ebenso gut wie das Golden Shower, aber wir bekommen einen höheren Anteil, der beinahe kompensiert, dass wir die kleine Anlage verkaufen mussten, um den Neustart zu finanzieren. Mir fehlt ein Mann, deshalb besuche ich Emmanuel von der TPC. Er ist einverstanden und arbeitet für mich an den Wochenenden.

Ich habe meiner Mutter geschrieben, wie ich es meinem Vater versprochen habe. Habe ein Foto von mir, Rachel und Halima mitgeschickt, das vor dem Haus aufgenommen wurde. Jetzt schreibt sie zurück, sie würde mir gern ein Flugticket bezahlen, wenn ich sie im Sommer besuchen wollte. »Es ist ja fast zwei Jahre her, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben«, schreibt sie. Sie arbeitet noch immer in Genf für Ärzte ohne Grenzen, kann aber im Sommer das Haus ihrer Schwester in Hasseris mieten. »Dann könntest du dich auch mit deinen Freunden vom Hasseris Gymnasium treffen.« Rachel und Halima erwähnt sie mit keinem Wort. Aber das Flugticket kann ich gut gebrauchen. Ich muss Rachel erklären, dass meine Mutter sich keine drei Tickets leisten kann, weil sie von meinem Vater geschieden ist und er eine neue Frau hat. Warum Vater mir nicht helfen will, das Royal Crown zu kaufen, versteht Rachel nicht. Wir könnten das Hotel betreiben. Wie soll ich ihr klarmachen, dass er hofft, ich würde dieses Leben aufgeben und nach Dänemark zurückkehren, um das Gymnasium zu beenden und mit einer Ausbildung zu beginnen? Rachel kümmert sich momentan um ihre Scheidung, aber sie sagt, es gäbe bei Gericht eine Wartezeit. Ich weiß nicht, wie sie sich die Zukunft vorstellt, und ich will sie im Augenblick auch nicht fragen. Zurzeit geht es uns gut. Sehr stabil. Die Woche über lege ich hier und da ein bisschen auf; mit einer kleinen Anlage, die ich mir von einem ziemlich ausgeflippten Lehrer der ISM borge – dafür überspiele ich ihm Kassetten und versorge ihn mit Arusha-bhangi. Manchmal veranstalten wir mit der großen Anlage auch eine Disco auf dem Berg, aber es muss schon an einem Werktag sein, und es muss sich wirklich lohnen, denn sonst würde ich keinen Pick-up mieten und diese miserablen Straßen fahren. Wenn die Anlage kaputtgeht, bin ich erledigt.

Ich muss die Situation besser in den Griff bekommen. Dass wir im Royal Crown ein gutes Geschäft machen, ist offensichtlich. Rogarth wird auf der Straße von ein paar Regierungsbeamten angehalten und gefragt, was der mzungu in Tansania treibt. »Ist das seine Disco-Veranstaltung?«, erkundigen sie sich bei ihm. »Nein, meine«, behauptet Rogarth. Ich formuliere eine schriftliche Erklärung, in der ich die Übertragung der Anlage auf Rogarth bestätige und festhalte, dass sie ihm gehört. Aber ich zeige ihm den Text nicht. Ich vertraue ihm nicht mehr. Aber ich bitte ihn um seinen Rat: »Wie komme ich an die Papiere?«

»Sie werden Geld haben wollen, schwarz. Und jedes Mal, wenn deine Papiere erneuert werden müssen, wirst du mehr bezahlen, weil du in keinem Projekt bist oder von irgendeiner Regierung geschickt wurdest. Sie sehen nur, dass du weiß bist, und wollen Geld.«

»Was soll ich deiner Ansicht nach tun?«

»Ich weiß es nicht.«

»Ich könnte Rachel heiraten«, schlage ich vor. Rogarth zuckt die Achseln.

»Willst du sie gern heiraten?«

»Was meinst du?«

»Ein Mädchen aus dem Dorf. Wird sie in Dänemark Eindruck machen?«

»Keine Ahnung. Ich wohne nicht in Dänemark.«

»Aber Rachel ist nicht geschieden«, wendet Rogarth ein. Ich schaue ihn an. Was zum Henker ist nur los mit ihm? Würde er mich gern untergehen sehen? Damit er wieder mit vier Mann in einem zwölf Quadratmeter großen Zimmer hausen muss? So wie damals, als ich ihn gefunden habe.

»Scheiße, wieso unternimmst sie nichts, damit das Ganze etwas schneller geht?«, will ich wissen.

»Faizal«, erwidert Rogarth. »Rachel traut sich nicht, sich scheiden zu lassen, weil sie Angst hat, dass das Gericht Faizal gestattet, Halima zu behalten und bei seiner Mutter unterzubringen. Denn offensichtlich hat doch Rachel die Ehe gebrochen, sie wohnt zusammen mit einem weißen Mann.«

»Das ist einfach nicht wahr, Rogarth. Ich soll Halima mit nach Europa nehmen, damit sie nicht in diesem … Dreck hier leben muss. Das ist Faizals ausdrücklicher Wunsch.«

Rogarth zuckt die Achseln: »Aber vielleicht verlangt Faizal trotzdem Geld, damit er keinen Ärger macht. Denn Faizal hat auch kein Geld.«

»Glaubst du, er erpresst Rachel?«

»Ich weiß es nicht«, antwortet er.

»Na ja. Ich danke dir jedenfalls für deine Hilfe.«

Verflucht, wie afrikanisch wird das noch werden?

Samstagabend. Es ist viel los im Royal Crown. Rogarth kümmert sich um die Plattenspieler, und ich stehe am Eingang und behalte Emmanuel im Auge, der an der Tür das Eintrittsgeld kassiert. Dort steht auch Abdullah und zeigt seine Muskeln, damit allen klar ist, dass Ärger eine Einladung zu einem Stelldichein mit seinen Fäusten bedeutet. Ein großer neuer Range Rover fährt auf den Parkplatz. Ibrahim und ein Flittchen steigen aus.

»Christian, mein Freund«, sagt er und umarmt mich. Big Man Ibrahim in ganz neuen Klamotten – auch das Flittchen ist teuer.

»Dein Auto?«, erkundige ich mich.

»Ja, ja, das ist meins. Ich habe auch eine große neue Yamaha. Wir hatten eine gute Ernte in der Mine.« Ich begleite ihn und das Mädchen hinein. Wir setzen uns an einen Tisch. Er bestellt Bier für uns. Das Flittchen geht auf die Toilette. Ibrahim blinzelt mir zu. »Saftig, was?«

»Ja, ziemlich.« Ibrahim schiebt den Stuhl ein Stück zurück und greift sich zwischen die Beine.

»Das Leben ist ein großes Fest«, erklärt er. »Ich habe die feinsten Damen von Arusha gepumpt.« Ich grinse. Er ist stolz darauf. Prahlt damit, dass er der Reihe nach Huren für Geld gevögelt hat – ich versteh es nicht. Aber ich mag Ibrahim, weil er immer sehr ruhig und selbstsicher gewesen ist, wenn er im Golden Shower Streit geschlichtet hat. Und er hat nie versucht, mich in Geldangelegenheiten übers Ohr zu hauen.

»Musst du zurück in die Minen?«

»Nein, ich will heiraten. Wir bauen ein großes Haus im Dorf meiner Freundin.«

»Willst du sie heiraten?« Ich zeige auf die Tür zu den Toiletten, aus denen das Flittchen zurück an den Tisch kommt. Ibrahim grinst, lehnt sich zu mir hinüber und legt mir eine Hand auf die Schulter.

»Nein, nein. Sie ist bloß eine kleine Abendunterhaltung. Meine Freundin kommt aus einer guten Familie. Ich habe sie bereits dick gepumpt, die Hochzeit findet nächste Woche statt.«

»Wovon willst du leben?«

»Ich baue eine Bar, und vielleicht kaufe ich ein paar matatus.« Ibrahim lächelt. Big Man Ibrahim. Er tanzt mit seinem Flittchen und gibt Rogarth, Firestone, Abdullah und mir Bier aus. Emmanuel versucht anzugeben. Ich hoffe, Ibrahim kommt zurecht. Ich hoffe, seine zukünftige Frau kennt sich in Gelddingen aus, denn Ibrahim kann am besten den Frauen hinterherlaufen, sich prügeln oder feiern.

Am späten Nachmittag schwimme ich im YMCA. Ich sehe Khalid auf die überdachte Terrasse kommen. Er winkt mir zu, ich winke zurück. Als ich geduscht und mich umgezogen habe, gehe ich auf die Terrasse.

»Setz dich, Christian«, fordert Khalid mich auf und bittet die Kellnerin, uns noch eine Tasse zu bringen, damit ich mir einen Tee aus der Thermoskanne einschenken kann.

»Wie geht’s dir?«, frage ich.

»Gut«, gibt er zur Antwort, ohne seine smarten Klamotten, die am Ausschnitt hängende Sonnenbrille und das Geld zu erwähnen, das notwendig ist, um im YMCA abzuhängen.

»Und der Berg?« Er grinst.

»Ich bin Hilfsbergführer geworden.«

»Ah ja, das ist doch gut. Da musst du nicht so viel schleppen.«

»Ich muss die weißen Menschen schleppen«, erwidert er und schüttelt lächelnd den Kopf. »Sie sind verrückt.«

»Wieso verrückt?«

»Letzte Woche: ein amerikanisches Mädchen, ich sollte ihr morgens helfen, zum Gipfel zu kommen. Aber wir sind zu langsam, die Sonne geht bereits auf. ›Wo ist dieser Scheißgipfel‹, sagt sie. ›Es ist arschkalt, ich friere mir meine Scheißfinger ab.‹ So redet sie. Doch ich, ich bin Moslem, ich bin nicht aufgewachsen mit diesem ganzen ›Scheiße hier und Scheiße da‹. Aber in der dünnen Luft, da ist alles Scheiße. Die Kräfte schwinden, und ein erwachsener Mann kann zum Baby werden. Dieses amerikanische Mädchen, sie nölt herum und setzt sich auf die Erde. ›Was soll das‹, sage ich. ›Stehen Sie auf, Sie sterben, wenn Sie dort sitzen bleiben.‹ Weil wir dafür bezahlt werden, die Leute zum Gipfel zu peitschen, selbst wenn die Kunden sagen, sie wollten wieder herunter, nach Hause oder keinen Schritt weitergehen. Wenn wir am nächsten Nachmittag wieder die Ebene erreichen, gibt es viel Trinkgeld, wenn wir sie zum Gipfel gezwungen haben und sie ihr Diplom bekommen. Dann wundern sie sich darüber, wie nahe sie am Aufgeben waren. Und finden ihren Guide fantastisch. Aber dieses Amerikanermädchen sagt: ›Ich will hier ein bisschen in der Sonne sitzen und die Wärme genießen, und dann will ich herunter von diesem Scheißberg.‹ Ich sage: ›Es ist nicht mehr weit bis zum Gipfel. Ihnen wird warm werden, wenn wir gehen.‹ Jetzt wird es lächerlich. Sie sagt: ›Ich kann meine Scheißfinger nicht spüren.‹ Ich schaue sie an und sage: ›Machen Sie so …‹ Ich zeige es ihr; ich ziehe meine Handschuhe aus und schiebe die Finger vorn in die Hose. Sie schaut vom Boden auf: ›Willst du, dass ich meine Finger zu deinem Schwanz stecke?‹ ›Nein‹, sage ich. ›Sie sollen Ihre Finger in die eigene Hose stecken.‹ Ich zerre sie von der Erde hoch und ziehe ihr die Handschuhe aus, und sie stopft langsam die Finger in ihre Hose, wobei sie mich total wütend anguckt. ›Ganz runter‹, sage ich, mit einem Gesicht wie aus Stein. »Willst du, dass ich sie mir in die Möse schiebe?‹, fragt sie, während sie mir in die Augen sieht und ich ihr in die Augen sehe. ›Ja‹, sage ich. ›In Ihre Scheißmöse. Es ist scheißwarm darin.‹ Sie tut es und fängt an zu weinen, weil die gefrorenen Hände langsam auftauen und es wehtut, wenn das Blut wieder zirkuliert. ›Ihre Scheißmöse wird Ihre Scheißfinger wieder scheißwarm machen‹, sage ich. Und sie grinst und weint und sagt: ›Du Arschloch, du Scheißarschloch.‹« Khalid klatscht in die Hände. »Die Weißen – sie sind verrückt.«

Ich grinse ihn an. Warte darauf, dass es kommt. Jetzt: »Aber es ist hart. So eine Tour auf den Berg. Hinterher tun einem alle Glieder weh.« Khalid erzählt von der Kälte, den Schmerzen im Brustkasten, dem schlechten Lohn, den Gefahren. »Christian«, sagt er und macht eine Pause, schaut eine Weile auf den Tisch und dann wieder mich an. »Wenn ich es zurückzahle, kann ich dann zu Rebel Rock zurückkommen?«

»Wenn du mich bezahlt hättest, ohne mich vorher zu fragen, ob ich dich dann wieder nehmen würde, vielleicht – aber nicht, wenn du Bedingungen stellst, bevor du mir das Geld zurückzahlst.«

»Was meinst du?«

»Wenn ich dir versprechen muss, dass du wieder einsteigen kannst, bevor du mir das Geld zurückzahlst, das du mir gestohlen hast, dann nicht. Aber wenn du mir einfach das Geld gegeben und Entschuldigung gesagt hättest, dann hätte ich dich wieder genommen, denke ich.«

»Das ist doch das Gleiche.«

»Nein.«

»Ich lade dich ein, biete dir Tee an, und dann beleidigst du mich«, sagt Khalid.

»Du bist ein Dieb«, halte ich ihm vor. Er steht mit geballten Fäusten auf.

»Du bist der Dieb«, erwidert er. »In meinem Land.« Ein Arm streift mich. Ich weiche zurück, der Stuhl schrammt über den Betonboden; ich entgehe der Faust, springe auf. Er kommt um den Couchtisch herum, seine Arme bewegen sich wie Windmühlenflügel, treffen mich am Schädel, an den Schultern, an der Brust, aber ohne richtige Kraft. Ich tauche mit dem Kopf ab, probiere einen langen Ausfallschritt unter den wirbelnden Schlägen hindurch und versetze ihm einen Schlag in die Magenkuhle. Und noch einen. Er krümmt sich zusammen.

»Du schuldest mir Geld«, sage ich, drehe mich um und gehe.

Eine Woche später stirbt Khalid am Berg. Er und zwei Europäer. Schlechtes Wetter. Und ich empfinde eine Scheißschuld. War ich zu hart – hätte ich ihn zurückholen sollen?

Ich treffe Marcus auf der Straße.

»Wie ich höre, schickst du deine Leute jetzt auf den Berg, damit sie dort sterben können. Das macht keine gute Stimmung«, sagt er.

»Er hat mich bestohlen.«

»Ja, natürlich. Er hat ein übles Leben in Swahilitown geführt, während du in einem Haus mit Hausmädchen, Wachmann und Motorrad wohnst und nachts ein Mädchen hast, das dich wärmt. Außerdem bezahlst du immer zu wenig.«

Marcus

DIE KRANKHEIT

Dickson ist krank geworden, ständig muss er scheißen und kotzen – er hat sich sogar erkältet. Er hat fast um die Hälfte abgenommen. Dicksons Schwester ist gekommen und pflegt ihn zu Hause. Sie sitzt auf der Veranda.

»Geht’s ihm besser?«, frage ich von meinem Garten aus.

»Hexerei«, sagt sie. »Schlechte Menschen haben Dickson mit dem bösen Blick bedacht, weil er Erfolg hat und schlimm war mit den Frauen anderer Männer.«

Aber das ist kein böser Blick, das ist reine Hysterie, Aberglaube, zu ausschweifende Fantasie; ein Schutz vor der Wahrheit.

»Was sagt der Arzt?«

»Das KCMC kann nicht herausfinden, was es ist. Wir haben ein Vermögen bezahlt für alle möglichen Untersuchungen.«

Claire hat die Unterhaltung gehört. Als ich hereinkomme, hat sie große Angst. »Glaubst du, es ist … die Krankheit?«, fragt sie. Die Krankheit heißt HIV/Aids – und niemand versteht sie. Es gibt nur wenige Informationen. Alle wissen nur, dass man ein dünner Mann wird und stirbt, wenn man eine Kranke gepumpt hat. Leute mit Geld schicken ihre kranken Familienmitglieder ins KCMC, wo sie jetzt ein riesiges Sterbezimmer haben. Wer kein Geld hat, versteckt die Kranken im Haus und lügt, wenn es um die Ursache geht. Es ist sehr beschämend, wenn die Wahrheit bekannt wird.

»Ich weiß nicht, was Dickson fehlt«, sage ich.

»Wenn das KCMC nichts herausfindet … das ist wie bei der kleinen Rebekka.«

»Ja, wenn die Ärzte den Fehler nicht erkennen können, weiß man nicht, was los ist.«

»Vielleicht ist es ja die Krankheit. Vielleicht war es auch die Krankheit bei der kleinen Rebekka, denn damals war sie so gut wie unbekannt bei allen Ärzten und Menschen.«

»Wenn es die Krankheit ist – HIV oder Aids –, dann kennen die Ärzte sie heute gut. Obwohl sie ihn nicht heilen können, können sie doch herausfinden, ob Dickson sie hat. Sie könnten sagen, ja, das ist es. Aber wenn sie nichts finden können, dann ist es nicht die Krankheit.« Eeehhh, Claire macht mir wahnsinnige Angst – ich könnte kotzen. Ja, die kleine Rebekka war auch dünn, nur Haut und Knochen. Und Claire ist dünn, weil sie der europäischen Mode nacheifert und zu wenig isst. Und ich bin dünn, weil mir der Magen und der Darm fehlen. Wir können blitzschnell sterben. Ich habe von der Krankheit im Economist gelesen, den ich in der Stadt gekauft habe. Sie kommt direkt durch die Pumpe, wenn man sie in eine kranke Papaya steckt. Und wenn man sie hat, steckt man alle Partner damit an.

Claire kann nachts nicht schlafen.

»Vielleicht will das Baby deshalb nicht in meinem Bauch bleiben«, sagt sie. »Vielleicht tragen wir die Krankheit in unserem Blut.«

»Nein«, sage ich. »Du hast Doktor Strangler doch gehört, das Babyproblem liegt an den Batik-Chemikalien.«

»Aber er hat uns nicht untersucht«, sagt Claire. »Es war nur eine Vermutung. Du weißt, dass es durchaus die Krankheit sein könnte.« Eeehhh – sie könnte es ebenso gut direkt aussprechen: »Du, Marcus, hast andere Frauen gepumpt, als wir zusammen waren. Vielleicht hast du dir die Krankheit ins Blut geholt und an mich weitergegeben.«

Wir sehen Dickson in Decken gewickelt auf seiner Veranda – er kann nicht mehr essen und ist nur noch ein Skelett mit Haut. Jeden Abend quält mich Claire. Heulerei und Hysterie, fast so wie damals, als die kleine Rebekka krank war. Nach kurzer Zeit stirbt Dickson. An der Beerdigung muss ich nicht teilnehmen. Er war ein Mistkerl – und jetzt ist er unterirdisch.

Ich nehme Claire mit ins KCMC und bettele einen Arzt an, unser Blut zu testen und uns eine ehrliche Antwort zu geben. Er übernimmt die Aufgabe. Wir sollen drei Wochen warten und uns dann die Antwort abholen. Claire hat Tag und Nacht Angst. Schließlich sitzen wir im Büro des Arztes.

»Nein, ihr habt kein Problem. Das Blut ist gut«, sagt er mit einem breiten Lächeln in seinem schwarzen Gesicht.

Lieber Gott im Himmel, werde ich in dieser Nacht gepumpt; ich blute beinahe.