WARME KÜHLERHAUBE

Ich bin Marcus – ein kleiner dummer Anhänger, der einfach dorthin fährt, wohin der weiße Fahrer sein Lenkrad dreht. Für mich ist das Leben ein Gefängnis, eine Unterdrückung. Die Leute sollten sich wünschen, dass ein Mensch unabhängig wird, aber diese Schweden treten für die Sklaverei ein. Ich muss nur ruhig und gelassen bleiben und diese heuchlerische Maske tragen, dem Reglement dieser Narren folgen und den Befehlen gehorchen, bis ich so weit bin, dass ich auf eigenen Füßen stehen kann.

Am nächsten Morgen klingelt mein Wecker früh, und ich kann meinen kleinen Mädchen beim Aufstehen helfen. Ich gehe ins Haus und sehe Jonas auf dem Sofa im Wohnzimmer schlafen. Ich wecke die Mädchen, gehe in die Küche, hole Juice aus dem Kühlschrank und röste ein paar Toasts. Die Tür zur Veranda klappt, ich schaue aus dem Fenster. Es ist Katriina im Morgenmantel. Sie geht zum Land Cruiser und legt eine Hand auf die Kühlerhaube. Die Botschaft ihres Gesichts ist deutlich: Der Kühler ist noch immer lauwarm – nach der Pumperei ist er gestern Abend erst sehr spät nach Hause gekommen.

Aber Sia ist tüchtig, sie arbeitet gut, und ich muss mich nicht mehr allein um alles im Haus und am West-Kilimandscharo kümmern. Sie kommt an meine Tür.

»Marcus, ich bin auf der Polizeischule angenommen worden«, sagt sie lächelnd.

»Ohhh, herzlichen Glückwunsch«, sage ich – sehr betrübt, aber auch glücklich über ihre wunderbare Zukunft. Polizeibeamtin, vielleicht bei der Verkehrspolizei, jede Menge Schmiergeld, das ein Leben im Wohlstand ermöglicht. Hat sie nicht Glück? Schluss mit dem Scheißjob als Haushilfe, Schluss mit dem Wahnsinn der wazungu. Sia hat den Job als Haushilfe bloß zur Sicherheit angenommen, sollte ihre Bewerbung an der Polizeischule nicht berücksichtigt werden. Jetzt ist es meine Aufgabe, ein neues Hausmädchen zu finden.

Sia bekommt von Katriina ihren Lohn und geht. Sofort geht Katriina im Haus herum, sucht sämtliches Geld zusammen und setzt Rebekka in das verschrammte Auto. »Ich hole Solja von der Schule ab und ziehe ins Hotel Tanzanite«, sagt sie und fährt.

EXODUS, SCHWEDEN

Gösta ist zufrieden mit meiner Arbeit für das Projekt und hält mich für ein würdiges Bindeglied zwischen den Schwarzen und den Weißen – ich verstehe beide Welten und bin in jegliche Richtung beweglich.

»Marcus, ich werde dafür sorgen, dass du beim nächsten Mal auf einen Kurs nach Schweden kommst«, sagt er.

»Wirklich!?« Ich schreie fast und greife nach seiner Hand: »Das macht mich sehr glücklich. Ich werde immer gute Arbeit für Sie leisten.«

»Ich weiß, Marcus. Du hast es verdient, nach Schweden zu kommen.«

»Aber was ist mit Jonas?«

»Jonas hat dich viel zu lange warten lassen. Es ist meine Entscheidung, und ich habe sie ihm bereits mitgeteilt.«

»Danke. Danke. Wann soll ich fliegen?«

»Zunächst muss alles organisiert und genehmigt werden, aber in ein paar Monaten dürfte es Platz geben«, sagt Gösta.

Ohhh, wunderbare Wunder. Ich träume mit offenen Augen. Schweden. Ich werde die westliche Welt sehen – absolut fantastisch. Glaubst du, ich werde in Schweden auf einer Schulbank sitzen? Ja, vielleicht ein bisschen. Aber ich werde mich bewegen, und ich werde mit allen Schweden reden wie ein farbenprächtiger Papagei. Obwohl die Haut am Hintern fast weg ist, werde ich diesen Hintern für die schwedischen Mädchen schwingen; vielleicht kann ich sogar eine heiraten und muss nie wieder in dieses babylonische Tansania zurückkehren. Sie werden die wundersame Liebe des schwarzen Mannes kennenlernen, absolut wahnsinnig.

ZUSAMMENSTOSS

Katriina kommt mit den Kindern vom Hotel Tanzania zurück, als es dunkel wird. Sie steigen aus dem Auto, außer Katriina, die vom Fahrersitz aus ruft: »Marcus, würdest du ihnen etwas zu essen machen?«

»Wo willst du denn hin, Mama?«, fragt Rebekka.

»Ich komme bald zurück«, antwortet sie und fährt davon. Ich gehe in die Küche, setze Reis auf und brate ein Hühnchen in Erdnuss-Öl. Von draußen ertönt ein gewaltiger Knall aus Metall und Glas. Ich renne zum Loch im Zaun und über das Maisfeld auf die Straße hinter dem Haus. Katriina klettert aus dem roten Peugeot, der sich in das Heck des Land Cruisers gefaltet hat.

Jonas brüllt aus der Fahrertür: »Du wahnsinniges Weibsstück …«, und noch mehr in der Art. Die Hure liegt hinten im Land Cruiser. Sie hat sich bei dem Zusammenstoß wehgetan und Angst herauszukrabbeln. Katriina guckt weder Jonas noch mich an. Sie geht einfach an mir vorbei, in das Maisfeld, zum Loch im Zaun. Ich folge ihr.

»Marcus!«, brüllt Jonas. Ich bleibe stehen.

»Was?«, sage ich, ohne mich umzudrehen.

»Fahr den Wagen nach Hause.« Ich zucke die Achseln und setze mich in den Peugeot. Ein kreischendes Geräusch von Metall, als ich vom Heck des Land Cruisers zurücksetze. Die Scheinwerfer sind tot. Ich fahre das Auto nach Hause. Katriina schluchzt im Badezimmer. Rebekka hat große Angst. Ich gehe in die Küche. Solja steht am Herd, wendet die Hühnchenstücke im heißen Öl.

»Bleib ruhig«, sagt sie. »Sie sind nicht angebrannt.«

FEUERSBRUNST

Ich habe jetzt einen vertrauenswürdigen Jungen gefunden, der meinen Kiosk betreiben kann, und ich habe mit Claire gesprochen. Sie sagt: »Wenn du ein Haus für uns findest, dann werde ich mit dir zusammenziehen.« Ich sage ihr, es wäre gut – wir können unser Leben einrichten und uns gegenseitig im Bett wärmen. Aber, tsk, sie will erst heiraten. Auch Gott soll mit im Bett liegen – zwischen uns.

Alle haben ihre Probleme. Zwei Tage, bevor die Evaluierungskommission aus Schweden das ganze Projekt inspizieren will: Die Arbeiter der Imara Möbelfabrik haben ausgerechnet heute freibekommen. Jonas arbeitet im Büro der Fabrik. Der Wachmann sitzt vor der Tür auf einem Stuhl im Schatten. Jonas kommt heraus und redet mit ihm, bietet ihm eine Zigarette an und gibt ihm Feuer; das ist in der gesamten Weltgeschichte noch nicht vorgekommen. Sie unterhalten sich gemütlich über die Familie und die Felder des Wachmannes. Aber was ist das? Rauch? Etwa ein Feuer? Ohhh, es brennt in der Fabrikhalle und direkt beim Büro, die Maschinen werden beschädigt, und alles Papier verbrennt; die Ordner mit den Abrechnungen und Aufstellungen über Fällungen, Transport, Produktion, Verkauf, allem – eine brennende Flamme in der Luft und fort. Wie kannst du zu mir sagen, die Maschinen wären schon an dem Tag schlecht gewesen, an dem sie gekauft wurden? Sie sind schlecht wegen des Brands, und das war Schicksal. Und die Abrechnungen beweisen es: Wir hatten große Ausgaben für den Straßenbau am West-Kilimandscharo, um überhaupt in die Nähe der Bäume zu gelangen. Das stand in den Rechnungsbüchern, die verbrannt sind.

»Wie konnte das passieren?«, fragt der Polizeibeamte.

»Manchmal halten die Fabrikarbeiter sich nicht an unsere Vorschriften, dass in der Halle nicht geraucht werden darf«, sagt Jonas.

»Aber die Fabrikarbeiter waren doch bereits nach Hause gegangen«, sagt der Polizeibeamte.

»Ja, aber eine Glut kann sich in den Sägespänen entwickeln und lange glimmen, ohne dass man es sieht, und plötzlich sind die Flammen da«, sagt Jonas.

»Aber die Sägespäne sind doch vom gesamten Boden aufgefegt worden, bevor die Arbeiter gingen«, sagt der Polizeibeamte und weist in die Halle.

»Ich glaube, es lag noch ein Haufen vor dem Büro«, sagt Jonas und zeigt auf den nassen, abgebrannten Teil der Fabrikhalle, wo man überhaupt nicht mehr erkennen kann, wie sie vorher mal ausgesehen hatte.

»Vielleicht sollte ich die Arbeiter mit aufs Revier nehmen, sie können mir sicherlich erzählen, ob dort Sägespäne lagen«, sagt der Polizeibeamte. Und dieser kleine Tanz setzt sich fort, bis Jonas bezahlt hat. Die Fabrikhalle steht noch, also kann mit einer barbarischen Sexualität vor der schwedischen Evaluierungskommission getanzt werden.

»Ein Glück, dass ich hier war, als es passierte«, sagt Jonas zu ihnen. »Sonst wäre alles verloren gewesen.«

Doch wie hört sich die Bewertung der verbrannten Rechnungsbücher an? Jonas sagt nichts – auch meine Reise nach Schweden wird mit keinem Wort erwähnt. Ist sie gefährdet? Vielleicht weiß er nichts davon. Ich fahre zu Göstas neuem Haus.

»SIDA hat noch nicht entschieden«, sagt Gösta.

»Aber du hast gesagt, dass ich nach Schweden komme.«

»Es sieht nicht gut aus, Marcus«, sagt Gösta und schüttelt den Kopf.

BUMERANG

Tsk, dieses Chaos. SIDA weigert sich, dem Projekt weiteres Geld zu geben; schließlich war das Ziel, dass es sich selbst trägt. Die wazungu haben Möglichkeiten; wenn sie wollen, können sie sich mit ihrem eigenen Geld in die Firma einkaufen – es wäre ein Joint Venture. Nach fünfundzwanzig Jahren inkompetenter Hölle begreift die tansanische Regierung, dass sie nicht in der Lage ist, irgendein Geschäft zu führen. Jetzt will sie einige Gesellschaften privatisieren, und TanScan soll ein Pilotversuch sein. Nun liegt es an Jonas und Gösta: Können sie so viel Holz und so viele Möbel produzieren, um sich selbst einen guten Lohn auszuzahlen?

»Wir kaufen uns ein. Wir können nicht nach Hause nach Schweden«, sagt Katriina. Aber Jonas hat das Geld der SIDA benutzt, um Scheißmaschinen und ein privates Segelboot zu kaufen. Nun wird ihm klar, dass das Messer, das den Kuchen zu seinem Vorteil geschnitten hat, für ihn auch zu einem Bumerang werden kann. Er hat die ganze Zeit über beschissen. Die in den Büchern aufgeführten Ausgaben für die Maschinen waren keine realen Ausgaben, er hat alte Sägewerke in Schweden gekauft. Wenn sie sich nun einkaufen wollen, sind sie gezwungen, sich an die Werte zu halten, die sie der SIDA in ihren falschen Dokumentationen geliefert haben. Und das will Jonas nicht akzeptieren. In den Papieren steht, es handele sich um neue Ausrüstung, aber er weiß, wie alt sie ist. Erst wurde sie in Schweden eingesetzt, bis sie abgenutzt war, und seither in Tansania. Die Ausrüstung steht mit einem Bein im Grab, sie stirbt bald. Eine Menge Betrug und Lügen. Gösta kommt vorbei und redet aufgeregt mit Jonas.

»Wieso sollen wir so viel für das Scheißzeug bezahlen?«

»Das können wir nicht«, sagt Jonas. »Ich habe mich auf den Job in Nicaragua beworben.«

Gösta hat Angst; bekommt er noch einen Job, wenn der ganze Schmu aufgedeckt wird? Er hat eine Chagga-Frau geheiratet, die aus einer Familie von Händlern stammt. Hier in Tansania hat diese Frau eine Funktion, sollte Gösta aber zurück nach Schweden gehen, wäre sie nur ein lästiger Passagier. Auch er selbst wäre verloren, denn er hat sich inzwischen an die Lebensweise eines Herrenmenschen in Tansania gewöhnt.

»Ich mache ihnen ein Angebot«, sagt Gösta. »Bist du dabei?«

»Nein«, sagt Jonas.

Zwei Wochen später kommt die Antwort. Die Regierung begreift Göstas Angebot nicht – die Unterlagen sagen, dass die Maschinen selbst mit den Abschreibungen wegen des Verschleißes zehnmal so viel wert sind. Aber die Ausrüstung ist einfach Mist. Jetzt sitzen die Schweden als Beifahrer auf dem Rücksitz ihrer eigenen Idiotie und ihrer Gier. Und ich sitze neben ihnen, bereit, vollkommen falsch zu fahren, wobei ich Schweden Lebewohl sage. Aber ich lächele – ich bin auch froh, ihre furchtbare Verwirrung zu sehen.

Gleichzeitig kommt bwana Knudsen nachmittags häufiger vorbei, wenn Jonas zur Bar des Clubs aufgebrochen ist. Solja ist bei Freunden, und Rebekka wird meiner Aufsicht überlassen.

»Ich möchte heute Nachmittag nicht gestört werden«, sagt Katriina zu mir. Glaubt sie, ich kenne diese Mathematik nicht? Ich muss auch sehen, wie ich zurechtkomme, und Katriina benimmt sich nicht sonderlich vorsichtig. Sie meint, das Geräusch eines Autos oder eines Motorrads würde sie jederzeit vor der Entdeckung warnen. Aber ich schleiche mit Rebekka im Arm auf meinen nackten Negerfüßen umher, denn mein kleines Mädchen schläft in der Nachmittagshitze immer eine Stunde. Am Haus bin ich vorsichtig und verursache keinen Lärm beim Öffnen der Tür. Ich bewege mich durch die Küche zum Wohnzimmer, Rebekkas schwere Atemzüge an meinem Hals. Und im Wohnzimmer habe ich meinen Anblick: Katriina hockt mit herausgestrecktem Hinterteil auf dem Sofa, und unter ihr hat bwana Knudsen seine Händen an ihren titi. Sie tauschen eine Menge Spucke aus. Knudsen hat seine Frau verloren, jetzt versucht er, eine neue zu fangen, und er mag am liebsten weiße Blumen.

»Öhhh«, sagt Knudsen. Katriina dreht sich um.

»Du sollst nicht hierherkommen«, sagt sie, wobei sie hastig ihre Bluse zusammenzieht und einen knallroten Kopf bekommt.

»Es sind ganz viele Mücken in meinem Zimmer. Sie fressen Rebekka auf, während sie schläft«, flüstere ich, während Katriina sich von bwana Knudsen löst und aufsteht. In meinem Zimmer sind natürlich keine Mücken.

»Marcus, du darfst …«, fängt Knudsen an, hält aber inne.

»Du sagst nichts, oder?«, flüstert Katriina. Ich gehe durchs Wohnzimmer zum Zimmer der Mädchen und sage: »Alle Menschen haben die gleichen Rechte. Was der eine darf, darf der andere auch.«

»Versprich es mir«, sagt Katriina leise, weil Rebekka anfängt, im Schlaf zu murmeln. Ich flüstere meine Antwort: »Glaubst du, ich würde deinem wahnsinnigen Mann irgendetwas sagen, was dazu führen könnte, dass ich den Kontakt zu meinen kleinen Mädchen verliere?«

Katriina lächelt.

DER TAUBE ISSA

Sia kommt mit einem alten Mann zum Kiosk, Issa.

»Er ist ein guter Koch«, sagt sie.

»Welche Art von Essen kannst du zubereiten, mzee Issa?«, frage ich – zweimal, denn Issas Ohren sind von seinem langen Leben abgenutzt, fast nichts geht mehr hinein. Er antwortet: »Arabisch, Indisch, Englisch.«

»Du bist angestellt«, sage ich und gebe Issa und Sia eine Limonade. Ich vereinbare mit Issa, wann er zum Kiosk kommen soll, damit wir seine Sachen holen und er mein tauber Nachbar werden kann.

»Wo hat er bisher gearbeitet?«, frage ich Sia.

»Bei wahindi. Aber die meinen, er sei zu alt, weil er es nicht schafft, für eine große Familie gleichzeitig zu kochen, zu waschen, zu bügeln und sauber zu machen.«

Es sind die gleichen Aufgaben wie bei den Larssons, aber die Inder fordern Perfektion vom frühen Morgen bis zum späten Abend. Wenn Issa gutes Essen kochen kann, wird es ihm mit seinen tauben Ohren bei den Larssons gut gehen, denn er muss sich nicht immer den ganzen Mist anhören.

»Kannst du dich an den Doktor erinnern, von dem du mir erzählt hast? Der verrückt nach mzungu-Frauen ist?«, fragt Sia.

»Doktor Freeman?«

»Ja«, sagt Sia und lächelt. »Jetzt treibt er’s mit deiner alten Freundin Vicky.«

»Was? Ich dachte, der Mann hätte Angst vor der Dunkelheit.«

Sia schmunzelt: »Ja, aber er hatte einen merkwürdigen Job an der Polizeischule, und dabei hat er die dunklen Gärten gesehen.« Sie erzählt, Doktor Freeman wäre bestellt worden, um einen Gesundheitscheck bei allen Schülern der Polizeischule durchzuführen. Das Problem ist, dass die Pumpen tropfen, weil die billigen Bar-Mädchen der Gegend bestialische Krankheiten in ihren Papayas mit sich schleppen. Und die Jungen der Polizeischule holen sich die Krankheiten und geben sie an die Mädchen der Schule weiter.

»Musste er auch die Mädchen untersuchen?«

»Ja, alle Schüler«, sagt Sia.

Ich zeige darauf: »Hat er sich auch die Blume in diesem Garten angesehen?«

Sia hält sich die Hand vor den Mund, kichert – und nickt.

»Eeehhh«, sage ich. »Aber Vicky ist keine Schülerin.«

»Nein, aber der Rektor hat den Doktor nach der großen Gartensafari zum Abendessen eingeladen. Und da hatte er bereits viele schwarze Schlangen und rote Blüten in gekräuseltem Gebüsch gesehen; er ist hungrig nach Vicky, und sie vollbringt Wunder an ihm.«

»Ja«, sage ich. »Ich kenne ihre Wunder.«

Ich komme zurück zum Larsson-Haus, und sofort droht die Lebenskrise. Jonas sitzt auf der Veranda und winkt mich zu sich.

»Du kannst hier nicht länger bleiben«, sagt er. »Du kannst ebenso gut gleich anfangen, dir einen neuen Platz zum Wohnen zu suchen.«

Was ist das? Ich war mit dem Gösta-Ticket auf dem Weg nach Schweden. Ich habe gerade einen wunderbar tauben Koch gefunden. Und jetzt droht der Despot mir mit einem Leben auf der Straße.

Christian

Flambierte Pfannkuchen zum Nachtisch und Irish Coffee. Larssons neuer Koch ist ein genialer alter Mann. Sie feiern Vaters fünfzigsten Geburtstag. Ich glaube, er tut Katriina leid, weil er allein ist. Ich hole mir heimlich einen Irish Coffee, bevor sie ins Esszimmer gebracht werden. Gehe hinaus und trinke ihn dort, rauche eine Zigarette. Ich bin wahnsinnig müde; auf Wochenendurlaub von meinem Status als Internatsschüler. Absurd – Vater wohnt in einem großen Haus anderthalb Kilometer von der Schule entfernt, und ich bin gezwungen, in der ISM unter einem Gefängnisregime zu leben. Ich esse elende Mahlzeiten, andere bestimmen, was ich zu tun und zu lassen habe, es gibt keine Freiheit.

»Christian!«, ruft Katriina von der Veranda. »Willst du nicht mit in die Sauna?« Ich gehe um die Ecke des Hauses.

»Nein!«, rufe ich zurück. Sehe meinen Vater zusammen mit Katriina.

»Er mag es nicht, nackte alte Menschen zu sehen«, sagt Vater.

»Du bist doch nicht alt«, erwidert Katriina und umarmt ihn. Er legt die Arme um sie. Ein wenig zu lange vielleicht. Außerdem stimmt es nicht ganz. Katriina sehe ich gern nackt – ihre Brüste hängen ein wenig, aber sie sind sehr schön. Ich glaube, der Alte ist ein bisschen scharf auf sie – wahrscheinlich nach all den Versuchen, Jonas davon zu überzeugen, seine schwarzen Damen aufzugeben. Ich gehe in die Küche und frage Marcus, ob ich nach unten gehen und mich ein bisschen auf sein Bett legen kann.

»Bist du müde vom Whisky?« Er grinst.

»Ja, ich bin tatsächlich ein wenig müde«, sage ich. Er gibt mir den Schlüssel. Ich gehe hinunter. Der alte bwana Issa sitzt draußen und raucht. Ich wünsche ihm eine Gute Nacht, während aus der Sauna lautes Lachen dringt. Gehe hinein und lege mich auf Marcus’ Bett. Schlafe ein.

Marcus

BLUTIGE HAND

Es ist spät. Doktor Freeman und bwana D’Souza und andere Gäste haben das Fest bereits verlassen.

Ich wasche ab, während die Weißen am Saunaschuppen trinken, denn bwana Issa ist schon zu Bett gegangen, er schafft so viel Arbeit nicht mehr. Katriina kommt durch die Hintertür herein, ihr Blick flackert.

»Marcus, du musst mir helfen.«

»Was ist denn?«

»Jonas ist in der Sauna gefallen«, sagt sie.

»Hat er sich wehgetan?«

»Nein, nein, nein«, sagt Katriina sehr schnell und wischt etwas aus ihrem Auge. »Er schläft. Er ist betrunken.« Sie geht über den Rasen zur Sauna. Ich kann bwana Knudsen nirgendwo sehen, aber sein Land Rover steht noch hier. Katriina öffnet die Tür zur Sauna. Es gibt nur das schwache Licht der Ritzen des Ofens, in dem das Feuer bullert – sehr heiß. Auf dem Boden erkenne ich eine Gestalt, Jonas.

»Gibt es hier Licht? Ich kann eine Lampe holen«, sage ich.

»Nein«, sagt Katriina scharf. »Keine Lampe.«

»Soll er ins Haus?«

»Nein, auf die Bank«, sagt Katriina, ihre Stimme klingt sehr eigenartig.

»Wir können ihn ins Haus tragen.«

»Nein, die Mädchen sollen ihn nicht sehen … in diesem Zustand.«

»Okay.« Ich fasse am Kopfende zu, und bei der Berührung spüre ich – ja, er atmet. Der Despot ist am Leben. Er grunzt. Katriina greift nach den Beinen. Jonas ist schweißnass, er rutscht mir beinahe aus den Händen. Wir wuchten ihn auf die Bank wie einen Sack Reis. Katriina schluchzt.

»Ist irgendwas nicht in Ordnung?«, frage ich.

»Ich bin es leid, so zu leben.«

»Ja«, sage ich und gehe hinaus, halte Katriina die Tür auf, lasse sie so stehen.

»Schließ die Tür«, sagt sie.

»Aber es ist sehr heiß.«

»Es tut ihm gut zu schwitzen«, sagt sie. Und ich denke, wenn du nach einem Besäufnis viel schwitzt, trocknet der Körper aus, und die Kopfschmerzen verdoppeln sich. Ich mache die Tür fest zu.

»Ich schließe die Küchentür ab«, sage ich und gehe über den Rasen zurück zum Kücheneingang.

»Danke, Marcus«, sagt Katriina.

Ich gehe hinein, um mich zu versichern, dass der Herd abgestellt, die Kühlschranktür geschlossen und die Küchentür abgeschlossen ist, damit der Wachmann sich nachts nicht ins Haus schleicht und klaut. Ich höre Katriina im Wohnzimmer reden.

»Niels, du musst jetzt fahren«, sagt sie – bwana Knudsens Vornamen.

»Wo ist Christian?«, fragt er.

»Ich glaube, er schläft in der Dienstbotenwohnung, aber ihr solltet nicht hierbleiben«, sagt Katriina.

»Okay«, sagt bwana Knudsen, und ich höre, wie die Verandatür aufgemacht wird. Und ich, ich strecke meinen Arm aus, um die Kühlschranktür zu öffnen und ein Carlsberg als Schlaftablette zu trinken. Eeehhh, meine Hand ist rot. Blut? Ich schnüffele, fühle – ja, es ist Blut. Woher kommt es? Vielleicht ist Jonas nicht besoffen gestolpert, sondern jemand hat ihn mit einem Stück Holz bewusstlos geschlagen? Oder einem Stein? Soll ich nach ihm sehen? Nein, ich lasse den Despoten leiden. Ich gucke durch die Küchentür, bwana Knudsen geht auf betrunkenen Beinen zu meinem Ghetto, um seinen Sohn zu holen. Ich schrubbe meine Hände, um den Dreck zu entfernen.

Christian

Werde geschüttelt. Was? Mein Vater.

»Christian, Christian.«

»Mmmm.«

»Wir müssen jetzt fahren.«

»Wieso denn?«

»Das Fest ist vorbei, wir müssen nach Hause.« Ich beginne aufzuwachen; rieche den Geruch von Zigarren in seinen Sachen und die Bierfahne aus seinem Mund.

»Warum legst du dich nicht einfach aufs Sofa?«, frage ich schlaftrunken.

»Nein, wir müssen heim. Ich will morgen früh nicht hier sein.«

»Was meinst du?«

»Ich will hier nicht aufwachen.«

»Du bist zu betrunken, um zu fahren«, sage ich und kneife die Augen zusammen, um meine Armbanduhr zu erkennen. Es ist kurz nach fünf, es wird bald hell.

»Ich kann fahren«, behauptet er. Ich schwinge die Beine über die Bettkante, stehe auf. Sehe ihn an. Seine Haut ist fahl – erschöpft.

»Okay«, sage ich und überlege, wo Marcus wohl sein könnte? Ich nehme seinen Schlüssel, und wir verlassen die Dienstbotenwohnung; ich schließe das Vorhängeschloss an Marcus’ Tür, bevor ich dem Alten um die Hausecke folge. Er geht ein wenig unsicher, wirkt aber sehr nüchtern.

»Sind alle schon schlafen gegangen?«, erkundige ich mich.

»Ich glaub schon«, sagt er und geht auf den Land Rover zu.

»Hast du Marcus gesehen? Ich muss ihm seinen Schlüssel zurückgeben.«

»Ich weiß es nicht«, sagt der Alte. Ich laufe zur Veranda, die Tür steht offen. Gehe ins Wohnzimmer, in dem Licht brennt, aber hier ist niemand. Gehe in den Flur und schaue ins Schlafzimmer, in dem Solja und Rebekka im Doppelbett schlafen. Katriina und Jonas sind nirgendwo zu sehen. Schaue ins Kinderzimmer. Niemand. Höre, wie der Land Rover angelassen wird, als ich in die entgegengesetzte Richtung gehe, zur Küche. Dort trinkt Marcus ein Carlsberg. Das Gesicht wie aus Ebenholz geschnitzt, kalte Augen.

»Hej«, sage ich. »Na?« Er antwortet nicht. Trinkt noch einen Schluck. Betrachtet mich. Ich reiche ihm seinen Schlüssel. »Gut, dass ich dich gefunden habe. Hier, dein Schlüssel.« Er nimmt ihn. »Was, äh … Ist irgendwas passiert?« Er zuckt die Achseln.

»Ich bin müde«, sagt er.

»Verdammt, wo sind eigentlich Jonas und Katriina?«

»Ich glaube …«, beginnt er, bricht dann aber ab und sieht mich lange an. »Ich glaube, er schläft in der Sauna«, fährt Marcus nach einer Weile fort. Draußen höre ich das Getriebe des Land Rovers kreischen – Vater ist zu besoffen.

»Ich muss jetzt los«, sage ich. Marcus nickt. »Bis bald«, sage ich. »Gute Nacht.«

»Gute Nacht«, erwidert er. Ich laufe hinaus. Der Alte hat offenbar den Rückwärtsgang gefunden und setzt so abrupt zurück, dass das Heck des Land Rovers direkt am Haus zwei kleine Bäume fällt, bevor er bremsen kann.

»Vater!«, rufe ich und laufe auf den Wagen zu.

»Hoppla«, sagt er.

»Lass mich fahren. Ich kann mein Motorrad morgen holen.«

»Okay.« Er rutscht auf den Beifahrersitz. Ich setze mich ans Steuer. Der Wachmann öffnet das Tor, steht daneben und wartet. Wir fahren in das fahle Licht des Morgengrauens. Der Alte ist nicht sonderlich gesprächig.

»Tja, fünfzig Jahre«, sage ich. »Wie war das Fest?«

»Ausgezeichnet.« Mehr nicht.

»Ausgezeichnet«, wiederhole ich. Er dreht mir den Kopf zu und sieht mich an.

»Ich habe zu viel getrunken. Ich bin auf dem Sofa eingeschlafen.«

»Das kann passieren«, sage ich.

Marcus

KÜHLE HAUT

Es klopft an meiner Tür, früher Morgen. Vor der Tür höre ich Rebekkas Weinen und Soljas Stimme.

»Marcus, Marcus, irgendwas ist mit Mutter!«, schreit sie. Ich springe aus dem Bett und reiße die Tür auf.

»Was?«

»Vater ist in der Sauna ohnmächtig geworden«, sagt Solja – ganz blass und ängstlich, während Rebekka heult wie ein Krankenwagen. Ich nehme sie auf den Arm und laufe durch die Küchentür ins Haus. Issa steht an der Spüle und wäscht sich die Hände. Bereit für Pfannkuchen und frisch gepressten Juice. Im Wohnzimmer sitzt Katriina auf dem Sofa und schaukelt wie eine Verrückte, wobei sie sich mit geballten Fäusten auf die Schenkel schlägt.

»Was ist?«, sage ich mit fester Stimme.

»Jonas«, sagt sie, ohne mir in die Augen zu gucken.

»Wo ist er?« Sie antwortet nicht. »Ist er in der Sauna?« Sie antwortet nicht. Solja steht wie ein weißer Strich im Zimmer, Rebekka in meinen Armen ist hysterisch. Ich schlage einen sehr scharfen Ton an. »Solja, komm her!«, sage ich und gehe mit Rebekka in die Küche. Dort bleibe ich stehen und stelle Rebekka auf den Boden. »Du bleibst mit deiner Schwester hier«, sage ich zu Solja. Sie schluckt und nickt mit einem Zittern ihres Kinns. Ich laufe ins Wohnzimmer, durch die Hintertür, zur Sauna.

Der Mann liegt auf der Bank wie ein totes Schwein beim Schlachter. Ich fasse ihn an, kein Puls und kühle Haut. Ich renne zurück zum Haus, fasse Katriina an die Schultern, schaue ihr ins Gesicht. »Du musst Gösta anrufen, und dann musst du die Polizei anrufen – sag, dass du hier einen toten Mann hast.«

»Kannst du das nicht machen?«, murmelt sie.

»Nein«, sage ich und greife nach dem Telefon, um zu wählen und ihr dann den Hörer ans Ohr zu drücken. Es gibt keine Verbindung. »Die Leitung ist tot«, sage ich. »Ich fahre jetzt zu Gösta und schicke ihn her, dann fahre ich zur Polizei und gebe Bescheid. Hörst du mich?« Katriina nickt. Ich baue mich vor ihr auf. »Du musst jetzt aufstehen und stark sein, allein schon wegen deiner kleinen Mädchen.« Sie guckt mich an.

»Es war nicht meine Schuld, Marcus.«

»Steh auf und frühstücke mit deinen Mädchen«, sage ich, und Katriina steht auf. Ich laufe zum Motorrad, dröhne zu Gösta und erkläre ihm die Situation; er springt ins Auto und fährt zu Katriina, während ich zur Polizei fahre.

»Die weiße mama fand ihren Mann tot, als sie heute Morgen aufgewacht ist.«

»Du musst uns den Weg zeigen«, sagen sie, und zwei Mann folgen mir im Polizeiwagen zum Haus. Solja und Rebekka sind fort, Gösta hat sie in sein Haus gebracht.

»Ich fand ihn tot, nachdem ich aufgestanden bin«, sagt Katriina und zeigt auf den Saunaschuppen. Der alte Issa war klug genug, um sich aus dem Staub zu machen. Die beiden Polizisten sind sehr verwirrt. Sofort fährt einer los, um einen Vorgesetzten zu holen.

»Soll ich irgendetwas tun?«, frage ich den anderen Polizisten.

»Du sollst den Mund halten«, sagt er. Wir warten. Ich schwitze furchtbar aus Furcht vor der Polizei – wenn ein Mord geschieht, braucht man einen Mörder. Wen werden sie auswählen? Katriina raucht Zigaretten und starrt leer in die Luft. Dann kommt ein neuer Polizeibeamter mit mehr Zierrat an der Uniform.

»Verhaftet ihn«, sagt er und zeigt auf mich.

»Ich war’s nicht«, quieke ich, als sie mir Handschellen anlegen und mich direkt zum Polizeirevier schleppen. Die Logik ist schwarz/weiß. Der Tote ist weiß, der schwarze Mann hat es getan.

Sie werfen mich in eine Zelle. Ich werde mit einem Gartenschlauch geschlagen – eeehhh.

»Was hast du getan? Was hast du gesehen?«

»Ich habe nichts gesehen.« PAH.

»Wie kannst du nichts gesehen haben? Du wohnst doch da – du weißt alles über sie. Du wolltest ihre Sachen stehlen.«

»Ich habe nichts gestohlen.« PAH.

»Wir haben einen großen Stereorekorder in deinem Zimmer gefunden – du hast ihn gestohlen.«

Furcht wie Satan in der Hölle, denn ich habe von ihren Methoden gehört: das kalte Bad, Ertränken, Schläge auf die Fußsohlen, so dass man nie wieder richtig laufen kann.

»Den habe ich geschenkt bekommen, ihr könnt die mama im Haus fragen.« PAH. Jetzt bringen sie mich ins Wasserbad. Ein Raum mit einer Art Badewanne aus Beton. Voll mit kaltem Wasser. Ich habe von der Methode gehört: Du musst hinein und darin liegen bleiben. Sie lassen dich liegen. Du darfst nicht aufstehen. Den ganzen Tag musst du liegen bleiben und die ganze Nacht. Du wirst krank wie ein Hund, zitterst, kannst weder gehen noch stehen oder denken. Du wirst alles gestehen, was du nicht getan hast.

Sie stoßen mich hinein, sie ertränken mich fast.

»Du wolltest die weiße mama haben. Sie hat dich bezahlt. Ihr Liebhaber hat dich bezahlt, um den Mord auszuführen.«

Ich quake wie ein Frosch über Doktor Freeman – er ist es, der die weiße mama haben will.

»Du sollst keine Unschuldigen anschwärzen«, sagt der Polizist und taucht mich wieder unter. Er zieht mich an den Ohren hoch, die fast vom Kopf reißen. »Du hast es getan«, sagt er. Meine ganze Haut sieht bereits wie eine Rosine aus. Sie lassen mich zwei Stunden liegen, bis meine Haut anfängt zu sterben – jetzt ist sie bleich, beinahe grau. Dann kommen sie wieder und prügeln.

Christian

Der Alte schläft noch, als ich aufwache. Ich gehe in die Küche. Sonntag, Juliaz hat frei. Röste Brot, brate Bacon und Eier, setze Wasser für den Kaffee auf. Ich will alles. Frühstücke und lese dabei Ian Flemings Thunderball. Die Bibliothek in der ISM ist voll mit solchem Zeug. Wenn die Schüler nach Hause fahren, nehmen sie all ihre seriösen Bücher mit. Aber Übergepäck ist teuer, also werden die Schundromane der Schulbibliothek vermacht. Ich koche mir noch eine Tasse Kaffee. Setze mich draußen in den Schatten, ein wenig schwer im Kopf – es wird der Irish Coffee gewesen sein, den ich bei Larssons getrunken habe.

Ich höre ein Auto. Es ist Gösta. Er ist auch auf dem Fest gewesen und wirkt angespannt, als er aussteigt.

»Ist dein Vater wach?«, fragt er.

»Noch nicht. Willst du etwas von ihm?«

»Ich werde ihn wecken müssen«, sagt Gösta und kommt aufs Haus zu.

»Ist irgendwas passiert?«

Er bleibt mit der Hand auf der Klinke stehen.

»Jonas ist tot«, sagt er und geht hinein.

»Tot?« Ich folge ihm. »Wieso?« Gösta geht über den Flur zum Schlafzimmer.

»Katriina fand ihn heute Morgen in der Sauna. Tot.«

»Aber wie?«

»Ich weiß es nicht.« Gösta öffnet die Tür zum Schlafzimmer. Ich folge ihm, aber er legt mir die Hand auf die Brust.

»Geh nach draußen, Christian. Ich sage es ihm.« Dann schließt er die Tür. Ich bleibe zwei Sekunden stehen, überlege, ob ich horchen soll, entscheide mich aber dagegen. Gehe nach draußen, zünde mir eine Zigarette an. Es vergeht eine gewisse Zeit, dann höre ich den Alten im Badezimmer; Gösta geht in die Küche und hantiert mit dem Elektrokocher. Ich rauche zu Ende und drücke die Zigarette aus, als ich höre, wie der Alte in die Küche kommt. Ich gehe zu ihnen. Vater sitzt mit einer Tasse Kaffee am Küchentisch, grau im Gesicht.

»Du musst etwas essen«, sagt Gösta. Der Alte kaut ein wenig auf einem Stück Toast. Isst eine Banane. Sieht mich an.

»Wir fahren jetzt zu Katriina und sehen, ob wir ihr irgendwie helfen können«, sagt er.

»Ich komme mit.«

»Nein.«

»Aber mein Motorrad steht dort.«

»Das kannst du später abholen.»

»Ich brauch’s aber.«

»Später«, erklärt er und bedenkt mich mit einem Blick, der mich still sein lässt. Soll ich ihm den Schlüssel geben und darum bitten, dass Marcus es hierherbringt, damit ich erfahre, was dort vor sich geht? Aber der Alte stellt die Kaffeetasse ab, erhebt sich schwerfällig und geht auf die Toilette. Ich höre, wie er sich erbricht. Gösta trinkt seinen Kaffee. Sieht mich an und hebt ein einziges Mal die Augenbrauen. Als der Alte zurückkommt, riecht er nach Zahnpasta. Er zeigt auf mich.

»Du bleibst hier, bis ich zurück bin«, sagt er. Ich nicke. »Ich meine es ernst.«

»Okay, okay«, sage ich.

Marcus

DAS GUTE BÖSE

PAH, PAH, PAH … Die Schläge regnen über die vernarbte Haut meines Rückens, wo Vater mich meine ganze Kindheit mit seinem Gürtel geschlachtet hat. Sie regnen über meine wiedervereinigten Beine, meinen abgeernteten Hintern. Die Polizei hat mich aus der Badewanne mit Wasser gehoben, damit sie nicht nass werden, wenn sie mich verprügeln. Die Furcht vor dem Tod öffnet mein Arschloch total, Scheiße läuft heraus.

»Du kleine Drecksau«, sagt ein Polizist und tritt mir in den Rücken. Ich versuche, von meinen Peinigern wegzurollen – der Betonfußboden ist nass von meiner Pisse, meinem Blut und meiner Scheiße. Die Polizisten lachen bloß. Wenn einer müde geworden ist, macht er eine Pause und raucht eine Zigarette, sie wechseln sich ab, damit die Kräfte frisch bleiben. Sie packen mich und schmeißen mich wieder in die Wanne mit dem kalten Wasser.

»Bald holen wir unser Werkzeug, und dann wirst du singen wie ein Papagei«, sagt einer von ihnen. Sogar ein Leben im Karanga Prison ist besser als diese Todeszelle. Ich heule wie ein Baby: »Hört ihr auf, wenn ich sage, dass ich es war?«

Meine Rettung ist der Polizeibeamte, der jetzt hereinkommt. Er hat viele Streifen an der Uniform – wichtig.

»Wieso verprügelt ihr diesen Mann?«, fragt er.

»Vielleicht hat er den mzungu in der warmen Hütte getötet, oder er weiß möglicherweise etwas. Aber er will es nicht sagen.«

»Geht raus. Ich werde mit ihm sprechen.«

»Jawohl«, sagen sie und gehen.

»Nun, dieser Mörder-mzungu ist tot, hmmm.« Eeehhh, es ist der Polizeibeamte von dem Unfall am West-Kilimandscharo – die zerquetschte mama zwischen den Baumstämmen.

»Shikamoo mzee«, quieke ich. Er bietet mir eine Zigarette an. Ich hebe meinen Arm aus dem Wasser, um sie zu nehmen, aber meine Hand zittert total. »Warte«, sagt er und zündet die Zigarette an, steckt sie mir zwischen die Lippen. Die beste Zigarette meines Lebens.

»Warst du es?«, fragt er.

»Nein, nein, mzee. Er ist in dieser sonderbaren schwedischen Schwitzhütte gestorben. Sauna heißt das. Er lag dort die ganze Nacht bei sehr großer Hitze. Und morgens war er tot.«

»Wieso lag er da drin?«

»Er hat viel pombe getrunken, er ist wahrscheinlich eingeschlafen.«

»Ja, pombe hat diesem mzungu gut gefallen, außerdem haben ihm malaya gut gefallen und der Lebensstil eines Kolonialisten in Tansania«, sagt der Polizeibeamte.

»Ja, mzee

»Und die mama?«, fragt er.

»Die mama ist in Ordnung. Sie ist jetzt allein mit zwei Kindern.«

»Sie muss wieder nach Hause in ihr eigenes Land. Und du? Arbeitest du noch immer für das Sägewerksprojekt?«

»Ja, jetzt bin ich aber meist in der Möbelfabrik Imara.«

»Eeehhh«, sagt er. »Ich werde einen Wagen besorgen, der dich nach Hause fährt.«

»Danke, mzee«, sage ich. Er geht hinaus. Ich werde aus dem Wasser gehoben, denn mein Körper kann es nicht allein. Sie wickeln mich in eine Decke und fahren mich heim. Es sind dieselben Männer, die mich geschlagen haben. Am Eingangstor kann ich nicht aus dem Auto steigen, sie ziehen mich hinaus – und schmeißen mich wie Aas an den Straßenrand.

TODESFLIEGER

Der Wachmann hilft mir bis zur Veranda und sagt, Katriina und die Mädchen seien in Göstas Haus. Die Leiche wurde ins Kühlhaus des KCMC gebracht. In meinem Ghetto ziehe ich mir trockene Sachen an und nehme meine Decken mit, so dass ich wie ein alter verfrorener Chagga in einem Sessel auf der Veranda sitze. Der alte Issa ist zurückgekommen, er bringt mir einen großen Teller gutes biriyani. Ich esse und komme wieder ein wenig zu Kräften.

Ein Lächeln breitet sich über meinem Gesicht aus. Warum? Man hatte mich wegen Mordes verhaftet, und alle wazungu sind fort. Trotzdem komme ich lebend nach Hause, und meine Boombox steht auch noch an ihrem Platz im Ghetto – nicht einmal gestohlen. Ist es die Zeit der Wunder?

Schon bald kommt mein Retter von der Polizei, und hinter ihm fahren bwana Knudsen und Gösta in einem Land Rover.

»Shikamoo mzee«, sage ich zu dem Polizisten. Er will nicht mit mir reden. Mit Papieren in der Hand geht er zur Schwitzhütte. Bwana Knudsen und Gösta folgen ihm, und ich stelle mich auf meine zittrigen Beine, damit ich weiß, wie das Schicksal sich entwickelt.

»Er ist hier drin gefallen«, sagt Gösta und weist in die Schwitzhütte. Der Polizist schaut in seine Papiere.

»Hier steht, bwana Larsson lag auf der Bank?«, sagt er wie ein Fragezeichen.

»Also, ich war nicht hier. Gefunden hat ihn seine Frau«, sagt Gösta.

»Aber Sie sind bei dem Fest gewesen … vorher?«

»Ja, aber ich bin nach Hause gefahren.« Der Polizeibeamte wendet sich von Gösta an bwana Knudsen.

»Aber Sie waren hier.«

Bwana Knudsen räuspert sich: »Ja, ich bin bei dem Fest gewesen, aber am späteren Abend habe ich ihn nicht mehr gesehen. Ich dachte, er wäre ins Bett gegangen.«

»War er betrunken?«, fragt der Polizist.

»Ja«, sagt bwana Knudsen.

»Er wurde geschlagen«, sagt der Polizist.

»Was?«, sagt bwana Knudsen.

»Er ist gefallen«, sagt Gösta. »Er war betrunken und ist gefallen, und dabei hat er sich den Kopf am Ofen gestoßen.«

»Sie haben gesagt, Sie wären nach Hause gefahren. Ich habe nichts vom Kopf gesagt«, sagt der Polizeibeamte mit erhobenen Augenbrauen.

»Nein«, antwortet Gösta. »Aber seine Frau hat mir erzählt, er hätte eine Wunde am Kopf und Blut in den Haaren gehabt, also muss er gestürzt sein.«

»Ich bin nicht sicher, dass er gefallen ist«, sagt der Polizist.

»Wieso nicht?«, fragt Gösta.

»Wie kann er fallen und auf einer Bank in einem Schuppen landen?«

»Was meinen Sie?«, fragt bwana Knudsen. Der Polizeibeamte schaut in den Bericht, den er in der Hand hält.

»Hier steht, er lag auf der Bank. Aber man fällt nur nach unten. Sogar ein weißer Mann ist keine Flugmaschine, wenn er tot ist.«

»Vielleicht hat er geschwankt und sich auf die Bank gelegt, nachdem er sich den Kopf gestoßen hat«, sagt Gösta. »Oder seine Frau hat ihn hinaufgehoben, als sie ihn fand.«

»Sie hat erklärt, die Leiche nicht berührt zu haben«, sagt der Polizist.

Gösta schaut verwirrt zu bwana Knudsen.

»Haben sie Fotos gemacht?«, fragt Knudsen rasch in einem merkwürdigen Schwedisch.

»Nein«, antwortet Gösta auf Schwedisch.

»Dann können sie nicht beweisen, dass er auf der Bank lag«, sagt Knudsen zu Gösta.

»Ein schwarzer Polizist erzählt das im Gerichtssaal«, sagt Gösta zu Knudsen.

»Dann behaupten wir einfach, die Polizei hätte die Leiche hinaufgelegt, um uns hinterher zu erpressen.«

»Dann wird der Richter von uns sein Bakschisch fordern«, sagt Gösta. »Ich glaube, es ist billiger, ihn gleich hier zu bezahlen.«

Der Polizeibeamte lacht: »Der tote Mann wird auch zu keiner Flugmaschine, wenn Sie sich in einer merkwürdigen Sprache unterhalten.«

»Wer hätte etwas davon, ihn zu ermorden?«, fragt Gösta, nun wieder auf Englisch. Der Polizist zuckt die Achseln: »Vielleicht kann ein anderer Mann die Frau gut leiden und will ihren Mann aus dem Weg haben – das ist normal.«

Gösta schüttelt den Kopf: »Jetzt hat die Frau zwei Kinder und keinen Mann. Sie muss zurück nach Europa, und sie hat nicht einmal ein Haus.«

»Aber ich muss in meinem Bericht schreiben, dass ich nicht sicher bin, ob der Mann gefallen ist. Vielleicht wurde er geschlagen«, sagt der Polizeibeamte. Knudsen schwitzt, sein Hemd ist klatschnass. Ja, spür die Furcht des Lebens.

»Und was passiert dann?«, fragt Gösta.

»Dann wird der Richter zu den Beweisen Stellung nehmen«, sagt der Polizeibeamte. Der Tanz hat angefangen.

»Seine Frau ist jetzt Witwe, mit zwei Kindern. Es wird ihr in Europa eine Menge Probleme einbringen, wenn jemand glaubt, ihr Mann sei ermordet worden«, sagt Gösta. Der Polizist zuckt wieder die Achseln. »Wie können wir Ihnen helfen, den Fall zu klären?«

»Das Leben ist hart in Tansania«, sagt der Polizist. »Lassen Sie uns in den Schatten gehen.» Sie gehen ums Haus zur Verandatür. »Stör uns jetzt nicht«, sagt der Polizist zu mir. Ich humpele auf meinen Rosinen-Beinen zu meinem Ghetto und behalte die Veranda im Auge. Sie kommen wieder heraus. Der Polizist geht zu seinem Auto. Ich gehe wieder auf die Veranda. Als bwana Knudsen mich kommen sieht, fällt er wieder in sein merkwürdiges Schwedisch.

»Was hast du ihm gegeben?«, fragt er Gösta.

Gösta nennt eine Zahl so groß wie ein Jahreslohn.

»Hattest du so viel bei dir?«

»Ja, meine Frau hat es mir erklärt.«

»Du bekommst es zurück, ich gebe es dir wieder«, sagt bwana Knudsen.

»Das ist nicht nötig.«

»Doch, du sollst doch nicht …«, beginnt bwana Knudsen. Gösta unterbricht ihn: »Du kannst mir die Hälfte geben.«

»Hauptsache, Katriina erfährt nichts davon.«

»Genau«, sagt Gösta. »Es ist schon schlimm genug.«

Und ich, ich denke nur an Schweden. Ist dieser Tod ein Plus oder ein Minus für meine schwedische Pilgerfahrt?

Christian

Am späten Nachmittag kommt der Alte nach Hause.

»Was ist da unten passiert?«, will ich von ihm wissen.

»Du kannst jetzt runtergehen und es abholen, aber stör niemanden.«

»Was abholen?«

»Das Motorrad.«

»Aber was ist mit Katriina und den Kindern?«

»Die …« Der Alte bricht ab, zuckt resignierend die Achseln.

»Was ist mit Jonas?«

»Nun ja, die Polizei ist den ganzen Nachmittag dort gewesen. Jonas’ Leiche liegt im KCMC, bis die Polizei sie freigibt und Katriina sie nach Hause bringen kann.«

»Will sie nach Hause?«

»Ja. Sie will ihn zu Hause begraben.«

»Kommt sie zurück?«

»Ich weiß es nicht.«

»Und was sagt die Polizei?«

»Du weißt doch …«, der Alte seufzt. »Sie hatten Marcus verhaftet.« Er sieht mich an.

»Marcus!?«

»Ja. Er ist wieder frei. Na ja, es ist einfach … Sie wollen gern den Eindruck hinterlassen, als täten sie etwas.«

»Aber … es war doch ein Unfall, oder?«

»Sie müssen ›investigate‹, sagen sie.«

»Das ist doch bescheuert.«

»Wie auch immer … wenn du willst, kannst du das Motorrad jetzt holen. Oder hol es später. Ich fahre zu Gösta, um ihm zu helfen … die Dinge zu organisieren.«

Als ich bei den Larssons ankomme, sitzt Marcus vor dem Ghetto auf einem Stuhl. Er ist grau unter der Haut und hat blaue Flecken im Gesicht.

»Was ist mit Jonas passiert?«, frage ich ihn.

»Weiß ich nicht«, antwortet Marcus.

»Aber du warst doch hier.«

»Ich war im Haus. Ich weiß nicht, was in der Sauna passiert ist.«

»Und was passiert jetzt?«

»Ich weiß es nicht«, erwidert Marcus erneut. Ich setze mich, wir rauchen Zigaretten. Marcus lehnt seinen Kopf zurück und schließt die Augen.

»Ich muss wieder los«, sage ich. »Die Internatsschüler müssen jetzt zurück sein.«

»Okay«, antwortet er, ohne die Augen zu öffnen.

»Okay, bis dann.« Ich fahre nach Hause und parke das Motorrad. Vater sitzt im Sofa und starrt leer in die Luft. »Du musst mich zur Schule fahren«, sage ich. »Die wollen mich auf dem Motorrad nicht sehen.«

»Okay«, sagt er. »Du fährst.«

»Ich glaube, das wollen die auch nicht sehen«, erwidere ich. Vater seufzt.

»Das werden sie schon überleben«, brummt er. Im Auto sagt er kein Wort und starrt aus dem Fenster.

»Es ist total lächerlich, dass du in einem Haus wohnst und ich gleich um die Ecke auf ein Internat gehe.«

»An dieser Situation bist du selbst schuld«, sagt er.

Marcus

LEICHENFLEDDERER

Ich fahre mit meinem zerschlagenen Körper auf dem Motorrad umher und suche nach Schreinern. Ich bezahle sie mit Göstas Geld, damit sie die Nacht über für den toten Boss einen feinen Sarg aus Holz vom West-Kilimandscharo zimmern. Und ich überwache auch eine Nacht lang die Konstruktion der letzten Wohnung von Jonas. Und ich denke: Was geschah bei dem Fest? Ich war damit beschäftigt, die Küche aufzuräumen und abzuwaschen, als alle wazungu in die Sauna im Garten gegangen sind. Katriina hat mich geholt, um Jonas hochzuheben; Jonas blutete am Kopf, und bwana Knudsen ist auch noch da gewesen – er war im Wohnzimmer. Wir haben Jonas hochgehoben. Er atmete. Ich bekam Blut an meine Hand. Aber was war vorausgegangen? Die Frage bleibt: Ist es ein Mord?

Ich frage Katriina direkt: »Was ist mit Jonas passiert?«

»Afrika hat ihn wahnsinnig werden lassen«, sagt sie.

»Aber was ist mit ihm in der Nacht passiert?«

»Ich weiß es nicht.«

»Er hatte sich am Kopf verletzt«, sage ich. Katriina sieht schockiert aus, gewinnt aber ihre Fassung wieder.

»Er muss gestürzt sein und sich am Ofen gestoßen haben.« Sie wendet den Blick ab und schluchzt. »Wir haben das in der Dunkelheit nicht gesehen, als wir ihn hochgehoben haben.«

An den kommenden Tagen kommt bwana Knudsen, um Katriina zu helfen. Auch Doktor Freeman kommt. Ich sehe diesen Zirkus, als wären es Löwen in der Serengeti: Jonas ist tot, und die anderen schlagen sich um die Rechte an der Löwin, die wiederum an ihre Jungen denkt. Wie soll sie deren Zukunft sichern?

Auch D’Souza kommt, um Misstrauen zu säen.

»Vielleicht hast du ihn ja ermordet«, sagt er zu mir.

»Und wo ist mein Motiv?«

»Er wollte dich rausschmeißen«, sagt D’Souza. Katriina ist überrascht: »Wollte er?«

»Ja«, sagt D’Souza. »Jonas hatte Marcus im Verdacht, Mittel des Projekts zu stehlen.«

»Glaubst du, ich bringe einen Mann um, weil ich in diesem Ghetto wohnen darf?«, frage ich und zeige auf meine Unterkunft.

»Ich werde mich mit der Polizei über dich unterhalten«, sagt D’Souza.

»Hör mit diesem Quatsch auf«, sagt Katriina. »Marcus hat nichts verbrochen.«

Ich hole den Sarg und fahre mit bwana Knudsen zum KCMC. Aber wir bekommen die Leiche nicht, denn erst muss ein Haufen Arbeit mit Papieren und Telefonaten mit der Botschaft, der Fluggesellschaft und allem Möglichen erledigt werden. Am nächsten Tag gibt es keinen Flug, also wird die Leiche erst am übernächsten Tag eingesargt – ein fürchterliches Erlebnis. Ich fahre sie persönlich zum Flughafen, sie liegt hinten im Land Cruiser, wo die Leiche malaya gepumpt hat, als sie noch lebte. Gösta und Knudsen fahren mit Katriina und den Kindern voraus.

»Wir kommen in ein paar Wochen zurück«, sagt Katriina zu mir.

»Und was passiert dann?«

»Ich weiß es nicht«, sagt Katriina. Solja mault, während Rebekka sich an meine Beine klammert und schreit, als sie von ihrer Mutter weggezogen wird.

Ich winke dem Flugzeug hinterher, das den toten mzungu zur schwedischen Erde bringen soll. Und fahre dann direkt zur Rombo Avenue, renne ins Haus – und beginne die große Hausdurchsuchung. Rasch finde ich den Revolver. Soll ich ihn verkaufen? Nein, es ist Teufelswerk. Aber es muss einen Ort geben … dieser paranoide Mann hat immer Sachen versteckt. Ich finde bhangi in drei Verstecken. Das Foto des Bootes hängt an der Wand, hinter Glas und in einem Rahmen. Ich nehme es herunter, zerlege es. Hinter dem Foto stecken zwei Lagen steifer Pappe und dazwischen – eeehhh, Geld genug für einen Neustart, Dollar. Ich baue den Rahmen wieder sorgfältig zusammen und hänge das Foto an die Wand. Leichenfledderer, ja.

Issa kommt schlurfend ins Wohnzimmer.

»Eeehhh, was soll ich jetzt machen? Der bwana ist tot, und die mama ist nach Europa geflogen.«

»Sie kommt zurück, du bleibst also am besten bei deiner Arbeit«, sage ich. »Du wirst deinen Lohn schon bekommen.«

»Möchtest du etwas zu essen haben?«, fragt mich Issa. Ich sage Ja, danke, und er geht in die Küche. Das Essen aus seiner Hand ist immer perfekt.

»Marcus?« Die Stimme kommt von draußen, es ist Christian. Ich gehe auf die Veranda. »Sind sie unterwegs?«

»Ja. Uhhh, dieser Jonas hat vielleicht gestunken.«

»Gestunken?«

»Ja. Im KCMC ist die Gefrieranlage total zusammengebrochen. Normalerweise begraben wir in Tansania Leichen sehr schnell. Aber Jonas, er liegt drei Tage im Leichenschauhaus und kocht. Er stank wie Aas am Straßenrand – verfault.«

»Was ist mit Katriina und den Mädchen?«

»Sie kommen in ein oder zwei Wochen zurück. Um hier die Dinge zu klären. Darüber hinaus weiß ich nichts. Sie werden wohl zurück nach Schweden gehen müssen. Katriina hat keinen Job und auch kein Geld, um hier wohnen zu bleiben.« Ich lächele.

»Wieso lächelst du?«, will Christian von mir wissen. Ich will ihm nicht erzählen, dass die Dollar in meiner Tasche der Grund dafür sind.

»Ich freue mich, weil der wahnsinnige mzungu tot ist.«

»Aber was geschieht mit dir?«

»Ich lebe. Ich habe meinen Job.«

»Glaubst du, du kannst hier wohnen bleiben?«

»Ich weiß nicht. Vielleicht werde ich rausgeschmissen«, sage ich.

Jonas hat eines richtig gemacht: den Zeitpunkt seines Todes. Das Jahr ist bald vorüber, und meine weißen Mädchen können mit seiner Leiche nach Schweden fliegen und Weihnachten im Schnee feiern, so wie sie es sich gewünscht haben.

AASFRESSER

Wazungu-Frauen kommen vorbei, um sich nach Katriina zu erkundigen. Doktor Freeman kommt vorbei, er fährt nach Hause und will sich verabschieden. Im Flugzeug nach Australien nimmt er Vicky mit. Bwana Knudsen kommt nicht vorbei. Vielleicht hat er Angst vor mir. Was passiert jetzt? Katriina sagt, sie kommt zurück, um zu packen und ihre Angelegenheiten zu klären. Und Solja soll das Schuljahr beenden. Aber was passiert dann?

Eine hübsche Frau kommt auf das Haus zu. Ich sitze auf der Veranda.

»Wo ist bwana Larsson?«, fragt sie.

»Er ist tot.«

»Tot?« Sie sieht schockiert aus. »Er hatte mir versprochen …«, fängt sie an und hält inne, geht wieder. Er hatte ihr Geld für die Miete und ein Ticket nach Schweden versprochen – alles Lügen, die ich kenne.

Der Mann, der einige von den Sachen der Larsson-Familie gekauft hat, muss noch immer sechs Raten zahlen. Seine Geschäfte laufen nicht gut, und er darf die Bezahlung ein paar Monate aufschieben. Nun ist er in der Zeitung und im Gefängnis, er hat Übles getrieben, auf direkte Empfehlung des Hexendoktors in seinem Heimatdorf.

»Du brauchst neue Kräfte, um dein Geschäft wieder in Schwung zu bringen – du musst sofort nach Hause gehen und deine Tochter pumpen. Wenn sie noch Jungfrau ist, wird die Kraft ihrer Jungfräulichkeit dir großen Erfolg bescheren.«

Aber der Frau des Mannes gefällt dieser Aberglaube nicht – sie geht direkt zur Polizei, und er landet im Gefängnis. Die Frau kommt nun mit ihren Brüdern zum Larsson-Haus und fordert die Sachen, gleich nachdem Jonas tot, verfault und auf dem Weg in die schwedische Erde ist.

»Es gehört euch nicht, bevor nicht alle Raten bezahlt sind«, sage ich.

»Wir haben genug bezahlt«, sagt einer der Brüder. »Wir nehmen unsere Sachen jetzt mit.«

»Das ist nicht möglich. Die Sachen müssen dem Mann gegeben werden, der die Raten bezahlt hat. Wo ist er?«

»Ihn gibt es nicht mehr«, sagt ein Bruder.

»Wenn ich die Sachen nicht bekomme, will ich die gezahlten Raten zurück«, sagt die mama.

»Wo ist das Papier? Der Vertrag, der zeigt, wie viel dein Mann bezahlt hat, bevor er ins Gefängnis kam«, frage ich.

»Tsk«, sagt einer der Brüder. »Wo ist die Frau des toten mzungu, damit wir uns mit ihr unterhalten können?«

»Sie kommt in vierzehn Tagen zurück. Ihr müsst wiederkommen. Ich bin nur der Wachmann des Hauses.«

»Du bist ein kleiner Mann. Wir können uns die Sachen auch selbst nehmen. Mal sehen, ob du uns stoppen kannst.«

Ich schreie sofort dem Gärtner zu: »Lauf zur Polizeischule und sag, wir hätten hier Probleme mit ein paar Dieben.«

Der ältere Bruder zeigt auf mich: »Wenn wir dir im Dunkeln begegnen, bist du fertig.«

Sie gehen. Ich fahre eilig zu meinem rettenden Engel, dem Polizeibeamten, der mich aus dem kalten Bad geholt hat. Mit gestohlenen Dollar mache ich den Weg frei, damit er mit der Frau und ihren Brüdern redet und sie Ruhe geben. Mein Polizist lächelt: »Sogar im Tod lohnt die Bekanntschaft dieses mzungu