Im Huxleys

 

Freitagabend, vor Toms Gig, nahmen wir gemeinsam ein enorm aufgeschäumtes Schaumbad und hörten dabei laut Musik. Finn erzählte, er habe wieder einen Artikel eingesandt, und diesmal habe er ihn sogar selber einigermaßen brauchbar gefunden. Außerdem wolle seine Agentin, dass er, so schnell es ging, nach New York zurückkomme … Bei dieser Nachricht durchzuckte mich ein Riesenschreck, aber Finn beruhigte mich, indem er gleich darauf verkündete, dass er auf seine ‚Drillseargent‘-Agentin noch nie gehört habe und es auch weiterhin nicht tun werde. Seine Theatertruppe allerdings, sagte er etwas betrübt, sei der Meinung, wenn er nicht mal wieder an einem Projekt teilnehme, könne er auch gleich aussteigen, langsam reiche es mit seiner Abwesenheit und man brauche Leute, die verlässlich seien und sich gern engagierten.

»Die haben schon recht«, sagte er. »Ich hätte es ihnen längst sagen müssen, dass sie mit mir nicht mehr rechnen brauchen. Meine Zeit beim Theater ist vorbei.«

»Bist du sicher?« Die Sorgenfalten auf seiner Stirn ließen mich zweifeln.

»Ja, auf jeden Fall! Ist schon in Ordnung«, antwortete er und tauchte im Badewasser ab.

Als er wieder hervorkam, lächelte er über das ganze Gesicht, shampoonierte sich die Haare ein und stellte sie anschließend Strähne für Strähne auf. Ich konnte nicht anders, als mich auf seinen Schoß setzen und ihn wild abzuküssen. Wir stiegen erst aus der Wanne, als wir schon ganz verschrumpelt waren.

 

An der Kasse vom Huxleys nannte ich meinen Namen und fragte nach den Freitickets. Finn stupste mich mehrmals von hinten an, während der Kassierer eine Art Gästeliste hervorkramte und nachsah.

»Wieso Freitickets?«, wollte er dringend wissen. Sein Blick verriet mir, dass er irritiert war. »Wieso kriegen wir Freitickets, Valerie?«

Ein flaues Bauchgefühl meldete sich, als ich überlegte, was ich antworten sollte. Ach was, dachte ich trotzig, was ist denn schon dabei?

»Tom hat sie uns spendiert«, antwortete ich schließlich wahrheitsgemäß. »Toll, oder?«

Ich wandte mich wieder dem Kassierer Typ zu, der ein enges Muscle-Shirt mit der Aufschrift ‚Mama‘s nasty Boy‘ trug, doch weder besonders nasty noch besonders muskulös aussah. »Okay, könnt rein, Stempel nicht vergessen!«, sagte er und winkte uns zu einer blonden, Kaugummi kauenden Frau durch, von der wir den besagten Stempel verpasst bekamen: ich auf die linke, Finn auf die rechte Hand.

Da ich die ganze Zeit einen Schritt vor Finn gelaufen war, bemerkte ich seinen grimmigen Blick erst, als ich wegen des Andrangs vor mir stehenbleiben musste und mich nach ihm umdrehte.

»Wer ist hier eigentlich der Hauptact?«, fragte er mich bei der Gelegenheit in einem, wie ich fand, unwirschen Tonfall, als würde er am liebsten auf dem Absatz kehrt machen wollen. Dabei fühlte ich mich gerade mega gut, war zur rechten Zeit am rechten Ort mit dem tollsten Typen des Planeten an meiner Seite. Okay, seine kleine Missstimmung durfte mich jetzt auf gar keinen Fall einschüchtern. Dennoch war ich trotz meiner bisherigen Erfahrungen extrem verblüfft darüber, wie schnell sich bei Finn der Wind drehen konnte. Vor fünf Minuten erst hatte er mit mir herum geshakert und gemeint, er habe richtig Lust auf einen Live-Gig und konnte dabei seine Hände nicht von mir lassen.

»Finn, ich glaub, das wird ein richtig schöner Abend«, sagte ich, bemühte mich um ein strahlendes, ansteckendes Lächeln. »Lass uns mal ein bisschen zur Bühne vorgehen.«

Ich dachte, so zu tun, als gäbe es nicht den geringsten Grund für Skepsis - was ja auch stimmte - wäre sicher das Beste. Ich nahm also seine Hand und zog ihn energisch hinter mir her. Nach und nach wurde sein anfangs schlaffer Griff fester und seine Gesichtszüge wieder weicher und freundlicher.

Irgendwann standen wir nur noch ein paar wenige Meter von der Bühne entfernt, inmitten eines dicht gedrängten Publikums, in dem die Anzahl der weiblichen Gäste ganz eindeutig überwog. Wo kamen all diese Frauen her? Es war erstaunlich! Irgendwo auf einem Plakat hatte ich gelesen, dass die Hauptband ‚Dutch Hunks from Outer Space‘ hieß und aus Holland stammte, hatte aber keine Idee, was für Musik sie machten.

Als Toms Band endlich die Bühne bestieg und sich an ihre Instrumente ranmachte, fehlte Tom.

Wo war er bloß? Er hatte mir doch hoffentlich keinen Quatsch erzählt, von wegen, er habe eine neue Band und spiele im Huxleys?

Und die Freikarten? Ach, Unsinn, Tom ist doch kein Spinner, dachte ich, und fast im selben Moment hüpfte er auf die Bühne, schnallte sich seine E-Gitarre um, ließ den Kopf zur Entspannung einmal herumkreisen und grinste anschließend zum Publikum herunter.

Alle sahen ungeduldig zur Bühne, schrien und johlten ununterbrochen und schienen gut mit Spannung aufgeladen zu sein.

Der Sänger, ein schmächtiger Typ mit einer Sturmfrisur, die der von Lenny stark ähnelte, trat ans Mikrofon und sagte: »Hi, ähm … wir sind ‚Chasing Bullit‘. Wir freuen uns hier zu sein, stimmt‘s Jungs?« Er drehte sich zu seinen Bandkollegen um, die alle übertrieben heftig nickten, sah dann zum Drummer, der wie auf Kommando mit »One, two, three …« den ersten Song anzählte und mit einem Trommelwirbel loslegte, woraufhin der Rest der Band mit einstieg.

Finn umfasste meine Taille und zog mich mit einem Ruck ganz dicht an sich.

»WILLST DU WAS TRINKEN?«, brüllte er in mein Ohr. Seine heißen Lippen berührten mein Ohrläppchen.

»GERN, `N BIER; WENN DU‘S HOLST …«, brüllte ich begeistert zurück. Sein verführerischer Blick hielt mich gefangen. Dann gab er mir einen kurzen, aber verdammt heißen Zungenkuss, den ich so nicht erwartet hatte, und tauchte in der Menge ab. Ich blickte - noch ein wenig benommen - wieder zur Bühne.

Der Sound der Band war einsame Spitze, die Musik klang insgesamt viel melodiöser als bei ‚TurkTrash‘. Und dieser kleine, drahtige Sänger machte sich echt gut, hatte eine klare, feste Baritonstimme, die mit Toms rauchiger Stimme sicher gut harmonierte. Toms Gitarre heulte und rockte und heulte und rockte, und als sein Solo dran war, sagte der Sänger: »Macht mal ordentlich Krach, ne, für unseren neuen Guitar-Man, Tom!« Daraufhin kreischten und schrien die ganzen Mädels im Publikum, klatschten mit hochgestreckten Armen in die Hände, und die Typen machten es nach, vielleicht, na ja, etwas weniger euphorisch.

Toms Läufe auf der Gitarre konnte man ohne Übertreibung als atemberaubend bezeichnen. Er war so gut, dass der ganze Saal abwechselnd in eine Art stille Faszination versank und einen Moment später in begeistertes Jubeln ausbrach.

Ich freute mich für ihn, klatschte wie wild mit und dachte … dachte nur kurz daran, dass ich mit ihm … Aber diese Tatsache fühlte sich schon beinah unwirklich an …

Tom trug ein hautenges, weißes Oberteil, dessen lange Ärmel mit schwarzen Ornamenten bedruckt waren, und darüber eine schwarze Lederweste. Seine Lederhose war dunkelrot und saß wie maßgeschneidert. Lange Rede, kurzer Sinn: Tom war mal wieder die reinste Augenweide, und das kichernde und kreischende weibliche Publikum ließ sich bei seinem Anblick wirklich und wahrhaftig dazu verleiten, anzügliche Gesten zu machen. Ich muss schon sagen, ich war ziemlich baff deswegen, traute zeitweise meinen Augen kaum, was ich um mich herum in dieser Hinsicht alles zu sehen bekam! So etwas hatte ich bisher noch nicht erlebt. Möglicherweise hatte es auch etwas mit der Hauptband zutun, dem dieses freche Publikum ja in erster Linie gehörte …

Der Gesang setzte wieder ein und ging in den Refrain über:

 

»So if you have to go, why don‘t you kill me first … `Cause without your Love I have pain all over …«

 

Eine Hand berührte meine Schulter. Reflexartig drehte ich mich um und schrie freudig überrascht auf. Colette stand grinsend vor mir und umarmte mich inmitten einer mitgebrachten Wolke aus teurem Parfüm. Sie sah umwerfend aus, hatte die Haare wild auftoupiert und steckte mit ihrem kurvigen Body in einem engen Minikleid mit orangegrünem Karomuster. Außerdem trug sie dazu passende grüne Lackstiefel, eine kurze, grüne Kunstlederjacke mit dickem, rotem Innenfutter und eine golden glitzernde Schultertasche.

»Wo iest dein Übschling, eh?«, fragte sie, gestikulierte dabei mit ihren Händen, für den Fall, dass ich sie akustisch nicht verstand, und wippte nebenbei zur Musik mit.

»Holt gerade was zu trinken«, ließ ich ihre Ohrmuschel wissen.

»Aha, und Vallrie, wo iest nun dieser Nowak? Oh, warte, ich schau mal selbst …«

Sie ließ den Blick zur Bühne wandern und musterte, neugierig schmunzelnd, die Band. Ich erkannte an ihrer eindeutigen Mimik, dass sie Tom entdeckt hatte und nicht enttäuscht worden war.

»Vallrie, du ast niescht die Wahrheit gesagt. Du ast niescht gesagt, dass er sooo sexy aussieht, du gemeines Biest!«

Ich lachte los und kriegte mich kaum ein. Colette war sichtlich beeindruckt. Ihr Mund war wie eine blühende Rose aufgeworfen, während sie Tom auf eine Art beobachtete, als gingen ihr unartige Gedanken durch den Kopf! Vermutlich entsprach das sogar den Tatsachen.

»Die Müsick ist aber schön …«, sagte sie zwischendurch mit ernster Miene in mein Ohr und küsste sich auf ihre zusammengeführten Fingerkuppen.

 

Kurz bevor ich anfing, mich zu fragen, wo Finn eigentlich so lange blieb, war er mit zwei Bechern Bier zurück. Er schien völlig überrascht, Colette zu sehen, begrüßte sie etwas reserviert und stellte sich links neben mich, während Colette rechts von mir stand und ihn nicht weiter beachtete. Möglicherweise war sie ein wenig eingeschnappt wegen der knappen Begrüßung.

Toms Band spielte insgesamt sechs Songs, die allesamt sehr eingängig waren und ihre hohe musikalische Professionalität unter Beweis stellten. Das Publikum hatten sie im Handumdrehen in der Tasche. Die Begeisterung, mit der sie spielten, ließ sich aus jeder Note und die Leidenschaft aus jeder Textzeile heraushören. Ich war doch sehr erstaunt, dass ich vor Toms Einstieg in die Band noch nie etwas von ‚Chasing Bullit‘ gehört hatte.

Der Saal erschrie sich laut applaudierend und pfeifend zwei Zugaben, bei denen Tom die Möglichkeit für genial improvisierte Gitarrensoli bekam. Der Wahnsinnsbeifall dafür war nur verständlich. ‚TurkTrash‘ zu verlassen, war zweifellos die richtige Entscheidung gewesen, denn endlich bekam Tom die Aufmerksamkeit, die er verdiente … wenn man sein Aussehen mal außen vor ließ.

»DIE SIND SCHON ZIEMLICH GUT, ODER?«, schrie ich so laut ich konnte zu Finn, denn der enthusiastische Beifall und die vielen ‚ZU-GA-BE‘ Rufe wollten nicht abebben.

Finn hatte wieder sein ernstes, melodramatisches Gesicht aufgesetzt. »GEHT SO, HAB SCHON BESSERE BANDS GESEHEN«, meinte er, mit einer dick hervorgetretenen Ader mitten auf der Stirn. Ich entgegnete dem nichts weiter.

Der Sänger trat ans Mikrofon und alle wurden still und lauschten, was er zu sagen hatte.

»Ihr seid klasse, ehrlich. Aber irgendwann ist nun mal Schluss, ne …« Das Publikum klatschte wieder laut und schrie erneut wie zum Trotz »ZU-GA-BE«.

»Okay, ihr kriegt einen Spezial-Bonus, ihr bösen, bösen Mädchen … und Jungs … Ähm, also, wir hatten super Glück, weil wir auf die Schnelle so einen abgefuckt guten Gitarristen gefunden haben, ne … Wir lassen euch jetzt allein mit ihm, dann seht ihr, was ich meine! … Tschüss … und bis bald.«

Außer Tom zogen alle Bandmitglieder von der Bühne und das Publikum klatschte und schrie, kreischte und pfiff, wurde nur allmählich ruhiger, erwartete mit Spannung Toms Soloauftritt. Außerdem würden bald schon diese ‚Dutch Hunks from Outer Space‘ spielen, was zu der allgemeinen Aufregung sicher ebenfalls beitrug.

Ich war nicht minder gespannt, was wir von Tom dargeboten bekommen würden, äußerte aber nichts dergleichen, jedenfalls nicht zu Finn …

Colette hakte sich bei mir unter und kroch mir beinah ins Ohr: »Oh, iesch bin jetzt neugierisch, err will singen, oh oh!«

»Er klingt toll, Colette, ich kenne seine Gesangsstimme«, sagte ich in einer Lautstärke, in der sie mich verstehen würde, nicht aber Finn … Mein ominöses Bauchgefühl hielt das für besser.

Ein Roadie platzierte einen Stuhl in der Mitte der Bühne, während Tom nun das Mikro auf die passende Höhe herunterschraubte und sich eine Akustikgitarre griff. Er setzte sich auf den Stuhl und wartete einen Moment ab, bis das Publikum ruhiger wurde, bevor er, angestrahlt von blauviolettem Licht aus vier von der Decke hängenden Bühnenleuchten, ins Mikro sprach.

»Hey! Ich spiel euch ein Stück vor, das viele bestimmt kennen«, sagte er, wirkte komischerweise zum ersten Mal ein wenig schüchtern, oder tat er nur so? Bei Tom Nowak konnte man da nicht so sicher sein …

»Hab nur ein wenig an den Lyrics herumgepfuscht …« Jetzt grinste er wieder schelmisch.

Lautes Johlen und Lachen aus dem Publikum …

»Aus gutem Grund!«, sagte er, während er an den Saiten der Gitarre fummelte. »Musste es schließlich ein wenig passend machen …«

Wieder johlende Zustimmung vom Publikum …

»Diesen Song widme ich einer guten Freundin, von der ich hoffe, dass sie heute Abend hier ist …«

Das Publikum klatschte und kreischte. Die Stimmung konnte nicht besser sein.

 

Doch dann ein kurzer skeptischer Stechblick von Finn zu mir …

Ich schluckte in banger Vorahnung …

 

Spüre plötzlich Unbehagen, schaue schnell weg und zur Bühne … In meinem Magen schnürt sich ein Knoten fest zu und brennt …

Er wird doch nicht …!? Tom?

Ich sehe ängstlich zu Colette, die aber nichts rafft und vergnügt auf Toms Song wartet.

Tom greift in seine Hosentasche und fingert etwas hervor. Ich denke erst, wahrscheinlich ein Plektron, ist es aber nicht, sondern ein Haargummi, denn jetzt bindet er sich die Haare hinten im Nacken zusammen, nimmt am Mikro eine letzte Feinpositionierung vor, räuspert sich und legt mit einer Akkordlawine und einem Wahnsinnsrhythmus los, der das Publikum sofort mitreißt … Nach nur wenigen Takten weiß jeder, um welchen Song es sich handelt …

Oh Gott! Es ist »Valerie« von ‚The Zutons‘ … Er covert den Song!

Ich kann Finn kaum ansehen, seh aus dem Augenwinkel, dass er stocksteif dasteht und sein argwöhnischer Blick starr zur Bühne gerichtet ist. Colette hingegen klatscht und pfeift, amüsiert sich sichtlich, und ich frag mich, ob sie immer noch nichts begreift und wie zum Teufel das geht?

 

Toms Stimme an diesem Abend ist kräftig und sitzt perfekt:

 

»Well, sometimes I go out by myself and I drink too much bee ee eeer.

And I think of all the girls I‘ve been seeing but in my head I have your picture.

Since I‘ve come home, my body‘s been a mess, and I miss your ginger hair and the way you like to dress.

Oh won‘t you come on over, stop making a fool out of me, why don‘t you come on over … Valerie …«

 

Das Publikum beginnt, beim Refrain sofort lautstark mitzusingen.

 

»Valerie … Valerie…ie…ie«

 

Ich bin wie versteinert.

Colette dreht sich nun mit aufgerissenen Augen und einem ungläubigen Blick zu mir, hält sich eine Hand vor den Mund, als müsste sie dadurch unbedingt verhindern, etwas Falsches zu sagen.

Und Finn?

Finn ist weg …

Meine Augen suchen vergeblich die Umgebung nach ihm ab … Nichts! Kann ihn nirgends entdecken, außerdem ist es inzwischen so voll, dass man sich kaum noch bewegen kann.

 

Und dann kommen noch diese Zeilen:

 

»I hope you‘re happy now and then, if you think you got the right man, who‘ll stay beside you.

Are you having fun with him, is he treating you alright, is he keeping you busy?

Have you ever told him why, you were burning like a fire, or did you just lie?

Since I‘ve come home, my body‘s been a mess, and I miss your ginger hair and the way you like to kiss.

Oh won‘t you come on over, stop making a fool out of me, so why don‘t you see me … Valerie …«

 

Es war einfach furchtbar: Mein Herz randalierte in meiner Brust, der Schweiß stand mir auf der Stirn, und ich wusste absolut nicht, ob ich vor, zurück, nach links oder nach rechts fliehen sollte.

Ich musste Finn möglichst schnell finden, ihm einiges erklären, reinen Wein einschenken und auch, verdammt, irgendwann mit Tom reden … Oh Gott, ich musste Finn klar machen, dass ich nichts für diese Show konnte … Aber, war das überhaupt die Wahrheit? Und was zum Teufel noch mal war mit Tom los? Hatte er sie nicht mehr alle?

Colette nahm meine Panik wahr und hakte sich diesmal richtig fest bei mir unter. »Allo!! Vallrie, bleib ruhisch! Du kippst ja gleisch um, so blass bist du auf einmal!«

Ich konnte ihr nicht antworten, auch als sie eine nicht gerade einfühlsame, überflüssige, ja sogar ärgerliche Bemerkung nachschob: »Vallrie, sag mal, derr meint diesch, oder?« Sie legte eine Hand auf ihre Brust und den Kopf schief. »Das ist soooo romantisch, mon dieu, c‘est si doux …«

Colette hatte offensichtlich keine Ahnung, dass für mich im Moment weniger Romantik, als vielmehr Drama angezeigt war. Meine Beine zitterten und hinter meinen Lidern spürte ich ein Brennen, Vorbote für Tränen, die kommen wollten, aber nicht durften.

Tom beendete den Song, indem er mit vollem Eifer vorführte, was er aus so einer Akustikgitarre herauszuholen imstande war. Dann erhob er sich, winkte dem jubelnden Publikum einmal breit lächelnd zu und schlurfte zufrieden von der Bühne.

»Colette!«, sagte ich, nachdem ich meine Stimme wiedergefunden hatte. »Lass uns zur Bar gehen. Vielleicht ist Finn dort.«

Colettes Mähne nickte mir zu. »Gehen wir, gehen wir.«

Wir schoben uns mit aller Kraft durch die Menge, ernteten einige unfreundliche Blicke, blieben trotzdem weiter untergehakt und kamen endlich in einen weniger gedrängten Bereich, wo wir Luft holen konnten.

 

Ich hatte richtig getippt. Finn stand an der Bar, hatte ein Getränk in der Hand und schaute so finster drein, dass ich erschrocken stehen blieb. Er hatte mich - uns - zum Glück noch nicht gesehen, blickte in Richtung Bühne, wo nun hektisch umgeräumt wurde.

Colette stupste mich genervt in die Rippen. »Vallrie, was iest ier los, eh?«

Ich zog sie ein wenig zur Seite, damit wir nicht auffielen. »Ich bin in großen Schwierigkeiten, Colette, was soll ich jetzt bloß tun? Er wird mir nichts mehr glauben, nicht nachdem, was Tom da gebracht hat …«

Ich blickte sorgenvoll zu Finn rüber.

Colette sah mich genervt an, die Arme vor der Brust verschränkt, die vollen Lippen zu einem vorwurfsvollen Schmollmund geformt. Der Zeigefinger ihrer rechten Hand tippte ungeduldig auf und ab.

Ich holte tief Luft und schnaufte sie durch die Nase wieder aus. »Es ist nämlich so, also, Finn hatte leider von Anfang an das Gefühl, dass zwischen Tom und mir mehr war, als ich zugegeben habe … Und, also, er ist manchmal so … so unsicher und flippt aus … irgendwie.«

Colette hob die Hände in die Luft und schüttelte den Kopf. »Moment, stopp mal, Cherie. Äh, was war genau zwischen dir und Tom?« In ihren großen, fragenden Augen blitzte auch deutlich ihre typische Neugier auf.

Sollte ich sie einweihen? Ich dachte nicht wirklich darüber nach, brauchte dringend eine Verbündete, eine Freundin, jemanden, der mich verstand …

»Also, ich hab … mit Tom Nowak … du weißt schon ...« Ich machte eine bewusst schuldvolle Miene. »Tja, weil ich … dumm und sauer und traurig und … und betrunken war, verstehst du jetzt? Es war blöderweise kurz nachdem ich mit Finn was angefangen hatte, aber … Finn weiß davon nichts«, ich seufzte. »Leider ist er trotzdem sehr misstrauisch und er reagiert ... ich weiß nicht, er hat ungewöhnlich starke Reaktionen! Ich kann es nicht besser beschreiben.«

Colette sah mich an, als fände sie meine ganze Aufregung reichlich übertrieben »Na und! Dann beruigst du ihn und alles ist güt. Er soll siesch mal nicht so aufführen wie ein verärgerter Gockel, oder?«

»Es ist nicht so einfach«, sagte ich frustriert.

Colette winkte ab. »Hör zu, Vallrie. Wenn du wirklisch einen Tiep aben willst, dann sag iesch, die Wahreit muss niescht jeder wissen, eh! Dein Fien ist Monsieur Jelaous Guy? Okay, dann alt deine süße Klappe über Nowak …! Oh, Vallrie, darf iesch sagen, iesch beneide diesch? Iesch würde ohne Zögern … Okay, guck niescht so sauer, iesch mach nur Spaß.«

»Colette, ich geh jetzt rüber und versuch, mit ihm zu reden. Wartest du?«

»Oh, natürliesch, iesch warte ier. Iesch ole mir einen Drink und beobachte eusch von ier aus, okay?«

Ich nickte erleichtert. Sie tätschelte noch kurz meine Wange und drehte sich zum Tresen, um den Barkeeper auf sich aufmerksam zu machen.

 

Ich tauchte wie aus dem Nichts vor Finn auf. »Da bist du ja!?«, flötete ich, als wäre ich überrascht. Meine vorgespielte Coolness erschien mir leicht durchschaubar. Er sah mich ausdruckslos an, kniff die Augen zusammen und antwortete mit monotoner Stimme: »Wollte etwas trinken. Willst du … soll ich dir auch was bestellen?«

Sein Angebot ließ mich sofort Hoffnung schöpfen, doch er lächelte kein bisschen … nicht mal im Ansatz …

»Gern ... Ein Bier, bitte.«

Ich war dennoch erleichtert darüber, dass er nicht gleich mit Vorwürfen oder irgendwelchen Anschuldigungen loslegte. Sie würden sicher noch kommen, ganz sicher, früher oder später. Meine Intuition, auf die ich mich meist verlassen konnte, schlug nämlich Daueralarm und ließ sich nicht abstellen.

Ich versuchte, in seinen schönen Augen Wärme und Zuneigung für mich zu finden, aber was ich fand, war ... nein, wollte es nicht wahrhaben, dass mir schon wieder eisige Kälte und Zorn entgegenfunkelten - seine Stirn war in einem permanent angespannten Zustand, die Adern an den Schläfen waren dick hervorgetreten - bildete ich mir allen Ernstes ein, ihn mit schönen Worten, vernünftigen Erklärungen und gutem Willen besänftigen und wieder auf meine Seite ziehen zu können, meinen Stolz und gesunden Menschenverstand mal beiseitegelassen …

Er reichte mir wortlos das Bier.

Eine fremdartige Stille entstand zwischen uns und mit jeder Sekunde, die verging, empfand ich sie als unerträglicher. Wir blickten beide zur Bühne, auf der sich noch nicht viel tat, standen regungslos und verkrampft nebeneinander. In meinem Hals bildete sich ein Kloß, der sich weder wegräuspern noch herunterschlucken ließ.

Oh Gott, die Situation fühlte sich furchtbar an. Finn schwieg verbissen, eine Hand in der Hosentasche, ein wenig gegen den Tresen gelehnt.

Ich würde etwas sagen müssen, um ihn aus der Reserve zu locken, traute mich aber nicht, wusste auch nicht, wie ich anfangen sollte, sah mich hilfesuchend nach Colette um, entdeckte sie da, wo ich sie zurückgelassen hatte: Sie unterhielt sich mit einem großen, bulligen Typen, der mit ihr zu flirten versuchte. Er hatte die Ärmel seines T-Shirts bis über die Schultern hochgeschoben, wollte Colette wohl mit seinem fleischigen Bizeps imponieren. Sein Objekt der Begierde wiederum wirkte nur mäßig beeindruckt, sah immer wieder an ihm vorbei zur Bühne oder checkte die Umgebung ab. Ich hoffte, sie würde mal in meine Richtung schauen, was sie aber nicht tat.

Vorsichtig spähte ich mit einem Seitenblick zu Finn. Er schien entschlossen, mir seinen geballten Unmut zu demonstrieren, indem er kein Wort mit mir sprach und mich nicht ansah. Langsam begann ich, sein Verhalten übertrieben und gemein zu finden, auch etwas albern und kindisch, wenn ich es mir recht überlegte.

Ich hielt unser Schweigen nicht mehr aus. »Finn, wie lange willst du mich so ignorieren?«, fragte ich nervös.

Sein Blick wanderte langsam zu mir, ohne dass er den Kopf dafür drehte.

»Wenn du es unbedingt wissen willst? Ich weiß nicht, was ich mit dir noch anfangen soll«, antwortete er so kalt und abgeklärt, als hätte er nicht das geringste bisschen Gefühl mehr für mich übrig.

Mir war, als hätte mich - vollkommen unerwartet - eine unsichtbare Abrissbirne von den Füßen gehauen. Sofort pochte es in meinen Ohren und ich musste mich am Tresen festhalten, um dem plötzlichen Schwindelgefühl standzuhalten. Ich versuchte zu begreifen, was ich da gerade aus seinem Mund vernommen hatte, und weshalb ich so erschüttert war, obwohl diese Worte nicht wahr sein konnten! Oder etwa doch? Nein, es war unmöglich, nichts ergab einen Sinn! So war das! Es gab keinen hinreichenden Grund, um so … Was hatte er gesagt? Er wisse nicht mehr, was er mit mir …? Kompletter Bullshit war das!

»Finn, hey, ich bin‘s, Valerie!«, sagte ich so eindringlich und aufgewühlt, dass er mich ansehen musste. Mein künstliches Lachen, Teil meiner fragilen Fassade, die so tat, als wäre ich Herrin der Lage, verhallte nutzlos in meinen eigenen Ohren wie ein Hilferuf in einem langen, schwarzen Tunnel.

»Lass uns doch bitte woanders hingehen und reden.«

Es klang wie ein Flehen und genau das war es auch.

Er zuckte mit dem Mundwinkel, schüttelte wie in Zeitlupe den Kopf und fixierte mich mit einem eisigen Blick, ohne blinzeln zu müssen. »Valerie, ich habe absolut keine Scheißlust mit dir irgendwohin zu gehen, kapiert?«

Ich war so schwer getroffen, dass ich ihn wie eine Durchgeknallte anstarrte. »Wies… wieso redest du so? Ich hab dir doch nichts getan, Finn! Kannst du mal, bitte, von deinem Trip runterkommen? Du schießt völlig über das Ziel hinaus. Du machst mir echt Angst.«

Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare und ließ den Blick rastlos umherstreifen, bis er mich wieder ansah.

»Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«, sagte er mit einem zwielichtigen Grinsen im Gesicht. »Ich tu dir nichts. Tja, im Grunde genommen bin ich fertig mit dir. Es wäre also gut, und nimm‘s mir nicht übel, dass ich das so direkt sage, also, wenn du … heute Nacht noch deine Sachen wieder einpacken und in deine Wohnung zurückkehren würdest. Falls du es heute Nacht noch nicht hinkriegst, habe ich Verständnis, ich bin kein Unmensch! Aber morgen, Valerie, morgen bist du weg. Alles klar?« Er senkte den Blick und tat so, als würde er seine Chucks betrachten.

Schockiert hörte ich mich die unmöglichste aller Fragen stellen und traute meinen eigenen Ohren kaum: »Finn, sag mal, machst du gerade Schluss mit mir?«

Er schnalzte mit der Zunge und neigte den Kopf zur Seite. »War das nicht deutlich?«

Ich konnte nicht anders, als ungläubig loszuprusten, aber mein Lachen blieb in meinen Eingeweiden stecken wie ein scharfes Messer. »Ja, aber weshalb denn? Es ist doch nichts passiert. Bitte lass uns woanders darüber reden. Das ist … echt, also, totaler Irrsinn gerade. Du … du erlaubst dir irgendeinen beknackten Scherz mit mir, stimmt‘s? Aber ich find‘s echt nicht lustig, Finn, glaub mir … Wenn das irgendeine Art von Humor sein soll, dann ist er großer Mist, der totale Bockmist. Was soll das also?«

Er rollte die Augen nach oben und schnaufte wie gelangweilt. »Valerie, geh und pack dein Zeug. Ich glaube, wenn ich dich noch weiter so reden höre, werde ich noch den letzten Funken an Respekt, den ich für dich noch übrig habe, verlieren, und das will ich nicht.«

Ich fühlte mich wie kurz vor einem bösen Knockout, wollte aber noch nicht aufgeben, ging nun näher an ihn heran und ließ meiner hilflosen Wut freien Lauf. »Ach, von welchem Respekt redest du, ha? Du musst dich mal hören! Außerdem gehe ich, wann ich will. Vielleicht will ich mir noch den nächsten Gig ansehen, was sagst du nun?«

»Ich kann mir schon denken, warum du noch bleiben willst«, sagte er herablassend. »Musst noch mit deinem Tom über seinen tollen Auftritt reden und dich bei ihm ausgiebig bedanken?«

»Finn, ich fasse es nicht, wie daneben du dich benimmst. Du bist wie ausgewechselt.«

Er zuckte mit den Schultern. »Nein, Valerie, nicht ich habe mich daneben benommen. Sei mal ehrlich, ja, sei einfach ehrlich! Sie es mal so, du hast eh nichts mehr zu verlieren, also sag einfach die abgefuckte Wahrheit, okay, Babe? Lass sie über deine süßen Lippen gleiten und befreie dich!«

Ich konnte kaum noch denken, so durcheinander war ich inzwischen. »Was meinst du? Ich weiß nicht, was du meinst?«

Ich war jetzt ganz eindeutig den Tränen nahe, ich würde ihnen bald nichts mehr entgegensetzen können, was mich entsetzlich zornig machte.

Sein Gesicht verzerrte sich zu einem heftigen Ausdruck von Abscheu. »Valerie! Sag mal, willst du mich verarschen? Sehe ich so dumm für dich aus, dass du glaubst, du kannst mich behandeln wie einen Vollidioten?«

»Was … wie?« Mein Augenlid begann zu zucken.

»Ach, Valerie, tu nicht so, als wüsstest du nicht, wovon ich rede …« Er sah mich fast mitleidsvoll an.

Ich bekam kein Wort mehr heraus, hatte angefangen, innerlich zu zittern.

Er kniff die Augen zusammen. »Gut, du willst was hören, hm? Ich will dir nichts schuldig bleiben. Ich denke aber, dass du genau weißt, worum es geht, richtig?« Er machte eine kurze, effekthascherische Pause, klemmte eine Haarsträhne, die ihm ins Gesicht fiel, hinters Ohr und fuhr fort: »Es geht ums Lügen! Es geht darum, dass du mich angelogen hast, Valerie! Und heute Abend hast du mich hierher geschleppt und mir die Beweise auch noch dummerweise vor die Füße geknallt. Also das ist respektlos, finde ich. Das ist so abgefuckt respektlos, dass ich … dir am liebsten dafür Eine knallen würde.«

Er setzte sein Bier an und trank es auf ex.

Ich war bedient, versuchte, nicht zusammenzufallen wie eine Marionette, die von ihrem Spieler verlassen worden war.

In diesem Moment hakte sich jemand von hinten bei mir unter, einen Augenblick, bevor ich sie sah, roch ich ihr Parfüm und spürte ihren festen, entschlossenen Griff an meinem Arm.

»Allo, Fien und Vallrie, ihr beiden streitet eusch doch niescht, oder etwa doch?« Sie sah zwischen uns hin und her und machte ein strenges, fragendes Gesicht. Finn wich ihren Blicken konsequent aus.

»Ähm, ach … nein, wieso … wieso sollten wir?«, stotterte ich, dachte mir natürlich gleich, dass Colette unsere Szene mitgekriegt haben musste, denn sonst wäre sie jetzt nicht so drastisch eingeschritten …

Und dann tauchte aus der Traube von Menschen vor uns auch noch Tom auf und stellte sich wie selbstverständlich zu uns dazu. Ich bemerkte, wie er und Colette sich todernst und wissend ansahen, und es überkam mich der Verdacht, dass sie sich möglicherweise abgesprochen hatten …

Ich hatte so was von keinen Bock auf diese Szene, oh, wirklich nicht! Als ob die Lage nicht schon beschissen genug war, wurde sie in dieser Konstellation ganz sicher nicht besser, eher das Gegenteil würde der Fall sein. Meine Intuition irrte sich bestimmt nicht! Die Vibes zwischen uns waren verheerend!

»Hey, Finn, schön, dass ihr gekommen seid …« Tom streckte die Hand zum Gruß aus. Finn betrachtete sie verächtlich, blickte dann spöttisch in die Runde und steckte die Hände demonstrativ in die Hosentaschen. »Ist gut, Mann, lass die dummen Spielchen«, sagte er hart.

Tom sah mit einem Grinsen zu Colette und dann zu mir, verschränkte die Arme vor der Brust und schob die Hände unter die Achseln.

»Was ist, Kumpel? Nicht gut drauf heute?«, entgegnete er in einem unmissverständlich provokanten Tonfall.

Finn ignorierte ihn, wandte sich mir zu und sagte trocken: »Valerie, ich werde dann mal gehen! Wünsche dir noch einen schönen Abend mit deinen tollen Freunden.« Er warf Tom einen abschätzigen Blick zu und griff nach seiner Jacke, die auf dem Tresen lag. »Oh, noch viel Spaß … NOWAK! War doch dein Name, oder?«

Ich wollte nicht, dass er ging. Meine innere Stimme schrie aus voller Kehle, dass er bleiben sollte, oder zumindest nicht ohne mich gehen durfte …

»Finn, ich würde gerne mitkommen, bitte, warte«, rief ich schnell.

Er zog unbeeindruckt seine Jacke an. »Lass mal gut sein, Valerie. Amüsier dich mit deinem Möchtegern-Rockstar hier. Du hast dir die Backstage Matratze sicher redlich verdient.«

Tom ließ sofort seine Brust anschwellen und machte eine bedrohliche Miene. »Hey, pass mal auf, wie du redest, Kumpel? Was hast `n du überhaupt für ein Problem, he? Du brauchst deinen Frust nicht an Valerie auslassen!«

Ich versuchte Tom - verärgert bis aufs Blut über sein Verhalten - aus dem Weg zu schieben, was schier unmöglich war. Er schien unbeweglich wie ein Fels, gab aber von sich aus meinem lächerlichen Druck nach und machte einen Schritt zur Seite.

Finn wandte sich noch mal zu Tom. »Schon komisch, dass gerade du das fragst, aber … ist alles nicht mehr wichtig, so what the fuck! Ich bin hier weg.«

Tom hob das Kinn und kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Was soll `n das schon wieder heißen? Wenn du mir was sagen willst, lass uns rausgehen, da können wir in Ruhe reden, wenn du genug Mumm in den Knochen hast!«

Oh Gott! Was sollte jetzt dieses überflüssige, schreckliche Testosteron-Gehabe. »Tom, halt bitte deine Klappe«, zischte ich ihn an. Colette machte sensationslüsterne große Augen, die ihr aus den Augenhöhlen zu springen drohten. Im nächsten Moment setzte ein Trommelwirbel ein und jemand sprach ins Mikro. Schlagartig wurde es so laut, dass man sein eigenes Wort kaum noch verstehen konnte. Das Publikum brüllte, kreischte und klatschte wie von Sinnen.

Als ich meinen Kopf wieder zu Finn drehen wollte, war er verschwunden und … oh Gott, der Albtraum nahm kein Ende! Denn Tom war ebenfalls weg …

Colette sah mich mit einer bangen Miene an, die ich so noch nie bei ihr gesehen hatte. »Vallrie, Cherie, die werden siesch doch offentliesch niescht prüggeln, oder was meinst du?«

Ich schloss die Augen. Alles drehte sich in meinem Kopf wie ein außer Kontrolle geratenes Karussell. Ich stützte mich am Tresen und im nächsten Moment beugte sich der Barkeeper zu mir vor und fragte mit einer wohltuend sanften Stimme, die beruhigend auf mich wirkte: »Glas Wasser?«

Ich nickte schwach, bekam mein Wasser, bevor ich »Piep« sagen konnte, und trank brav einen Schluck nach dem anderen, bis das Glas leer war.