Angefixt

 

Sobald Finn und ich aus dem Tor hinaus waren, liefen wir Arm in Arm fest aneinandergeschmiegt zur Bushaltestelle. Es war bereits stockdunkel und die Luft noch eisiger geworden. Wir mussten zusehen, dass wir so schnell wie möglich in meine kleine Wohnung zurückkehrten, wo wir uns für den Rest der Nacht ins warme Bett kuscheln und unartige Dinge tun konnten … Das war jedenfalls der vielversprechende grandiose Plan in meinem Kopf.

Unterwegs müssen wir unbedingt noch Kondome besorgen, dachte ich und hoffte, Finn würde sich auch daran erinnern.

»Deine Eltern sind beeindruckend«, sagte er. »So wie du!«

Ich drückte ihm einen euphorischen Kuss auf die Wange. »Nein, du, Finn! Du bist beeindruckend. Wie du mit ihnen umgegangen bist, war große Klasse. Du hast sie um den Finger gewickelt«, sagte ich und war tatsächlich sehr fasziniert davon, wie selbstsicher er mit meinen anspruchsvollen Eltern geplaudert hatte. Meine Eltern konnten auf manche Menschen ziemlich einschüchternd wirken.

Schade, dass wir uns nicht direkt ins Bett beamen können, dachte ich schon im nächsten Augenblick, voller Ungeduld auf den weiteren Verlauf des Abends.

 

Bevor wir Rathaus Steglitz in die U-Bahn umstiegen, suchten wir einen Tabak- und Getränkeladen unter der S-Bahn Überführung auf. Finn wollte Bier und Zigaretten besorgen. Augenzwinkernd sagte er: »Wir feiern doch, Babe, da brauchen wir was zu trinken ...«

Natürlich war ich vollauf begeistert, mal abgesehen von der Tatsache, dass ich durchaus eine Trinkpause vertragen konnte.

»Was feiern wir denn?«, grinste ich ihn an, während ich aufgeregt eine Haarsträhne zwirbelte.

Er beugte sich zu mir herunter und platzierte einen flüchtigen Kuss auf meinen Mund. »Na, 2010 ... neues Jahr, neues Glück, sagt man doch ...« Dann bat er mich kurz zu warten, er werde den Einkauf erledigen.

Was unsere Feierfreudigkeit anging, schienen wir uns in nichts nachzustehen.

 

Finn suchte die Regale ab, griff sich zwei Sixpacks und ging damit zur Verkaufstheke.

Ich stand neben einem Zeitschriftenständer und beobachtete von dort aus, wie er sich zu dem Verkäufer an der Kasse vorbeugte und ihm irgendetwas zuflüsterte. Der Verkäufer, ein spindeldürrer Karottenkopf mit Brille, nickte kaum merklich, bewegte seine wulstigen Lippen, hob den Zeigefinger, als würde er meinen »Wart mal eine Sekunde …« und griff unter die Ladentheke.

Ich ging nach draußen und wartete dort, weil ich einfach zu zappelig war.

Die kalte Nachtluft war durchdrungen von verschiedenen intensiven Gerüchen, die aus dicht aneinander gedrängten türkischen und asiatischen Imbiss Läden und von Blumenständen und Backshops wellenartig in meine Nase drangen …

So roch Berlin für mich … herrlich …

Ich holte ganz tief Luft, bis mein Brustkorb anschwoll, und atmete in einem langen, bewussten Pfeifton wieder aus.

Ich fühlte mich großartig, als wären mir Flügel gewachsen ...

Dies könnte wirklich ein besonderes Jahr werden, sagte meine innere Stimme, zum Bersten optimistisch. So wie dieses Jahr hat noch kein Jahr bisher begonnen.

Ein älterer Mann mit einem Dackel an der Leine ging dicht an mir vorbei und nickte mir mit einem breiten Lächeln geheimnisvoll zu. Ich wunderte mich über ihn, bis der Groschen fiel und ich kapierte, dass etwas an meiner Ausstrahlung sein Verhalten provoziert haben musste. Wahrscheinlich stand ich inmitten einer strahlenden, magischen Lichtquelle, in der nur frisch verliebte stehen können …

Mein Handy klingelte und ließ mich zusammenzucken.

Ich fummelte es aus der Innentasche meiner Jacke heraus und sah auf dem Display, dass der Anruf von Patrick kam.

»Hey, Paddy, dearest Pal of mine, hehe!«, trällerte ich fröhlich ins Handy.

»Wo steckst du?«, fragte er mit einer energischen Direktheit, die nur ihm so selbstverständlich zustand. »Was ist da los? Ist so laut im Hintergrund! Wo bist du überhaupt?«

»Bin grad in Steglitz. Wir haben meine Eltern besucht.«

»Wir?«

»Finn und ich«, gab ich glückbeseelt preis und stellte mir Patricks erstaunten Gesichtsausdruck vor.

»Ach, sag bloß!«

»Mhm.«

»Hab ich‘s mir doch gedacht, dass da was läuft«, sagte er mit einem Grinsen, das man sogar durchs Handy mitkriegte.

»Ich weiß nicht, was genau da zwischen uns läuft. Ich kann nur sagen, wir verbringen grad ein paar aufregende Stunden miteinander, und ich bin zu allen Schandtaten bereit!«

Ich blickte mich kurz um, um zu prüfen, wo Finn blieb und sah ihn genau in dem Moment aus dem Laden treten.

»Wir fahren jetzt zu mir nach Hause. Und was machst du so?«

»Nett, dass du fragst!«, grummelte er künstlich. »Hm, was mach ich so? Ich warte auf Lenny. Wir wollen einen Trip planen, da wir …«

Finn trat neben mich und fixierte mich aufmerksam. Ich lächelte ihm kurz zu, widmete mich dann wieder meinem Gespräch mit Patrick.

»Was echt? Ist ja `n Ding. Wir reden noch ausführlich, ja? Ich ruf dich später an. Bis dann!« Hektisch drückte ich ihn weg, ohne auf seine interessante Neuigkeit weiter einzugehen oder ihre Reichweite zu begreifen.

Ich strauchelte innerlich für einen winzigen Augenblick, einen Bruchteil einer Sekunde, weil ich mich fragte, wieso ich so abrupt, fast schroff, unser Gespräch beendet hatte. Konnte möglicherweise der aufmerksame Blick von Finn auf mir der Grund gewesen sein? Oder hatte ich außer für meinen charismatischen Begleiter keine Augen und Ohren für niemand, nicht mal für meinen besten Kumpel? Mein Trost war, dass ich genau wusste, Patrick würde mir mein Verhalten nicht krummnehmen und Verständnis zeigen. Außerdem würde ich ihn wirklich zurückrufen, sobald sich die nächste günstige Gelegenheit dazu bot.

Wir gingen los in Richtung U-Bahnhof. Finn trug die zwei Sixpacks unter dem linken Arm, in der rechten Hand hielt er ein kleines Likörfläschchen, das ich ihm abnahm, um das Etikett zu lesen. »First Kick?«

»Was Kleines zur Einstimmung …« Er blinzelte mich frech an. »Mach ruhig auf! Mit wem hast du gerade telefoniert?«

Hatte er es denn nicht mitgekriegt?

Ich öffnete den Verschluss des Fläschchens und nahm einen vorsichtigen Schluck. Das Zeug schmeckte sehr süß und sehr hochprozentig. Sofort verzog ich das Gesicht, schüttelte mich und gab ihm das Fläschchen zurück.

»Ach, das war Patrick«, antwortete ich schließlich.

»Aha, und wie geht‘s ihm so?« Er machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Prima, schätz ich mal!«

Finn trank das Fläschchen in einem Zug fast leer und bot mir den letzten Schluck an.

»Was hat er denn erzählt?«

Ich kippte den Rest von dem Likörzeugs hinunter und zog wieder eine Grimasse. Finn musste leicht grinsen, als er meinen zerknautschten Gesichtsausdruck sah.

»Ich glaube, er sagte so etwas wie, dass Lenny und er einen … einen Trip machen wollen«, sagte ich stockend, als würde mir erst jetzt einiges klar werden.

»Einen Trip? Mit Lenny? Wohin denn?«

»Weiß ich nicht, hat er nicht gesagt, na ja, ich hab auch nicht gefragt. Ich werde ihn später anrufen.«

Er blickte ohne eine weitere Bemerkung geradeaus auf die Kreuzung, griff dann nach meiner Hand und hielt sie mit einem leichten Druck fest. Seine Berührung löste freudige Wellen in mir mir aus. Ich spähte zu ihm hoch. Wieder sah er viel zu nachdenklich aus, doch mittlerweile liebte ich diesen Ausdruck an ihm, er wirkte damit so klug. Er ist ein tiefgründiger, intelligenter Mann, dachte ich voller Bewunderung, und das bei solch einem Aussehen!

Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her.

So mit ihm durch die Straßen zu laufen, gab mir ein erhabenes Gefühl, denn ich bemerkte voller Stolz, dass wir auffielen, nein, falsch … dass er auffiel. Es waren die verstohlenen Blicke mancher Frauen, die genau in dem Moment, wenn sie ihn erblickten, verschämt wegzusehen versuchten. Es gab aber auch einige, die ungeniert und meine Wenigkeit problemlos ignorierend weiterstierten.

Ich bin nicht die Einzige, die ihn heiß findet, stellte ich amüsiert fest. Finn jedoch schien nichts von all der Aufregung, die er versuchte, wahrzunehmen, zumindest zeigte er keinerlei Reaktionen, die darauf hingedeutet hätten. Ich fragte mich, ob ihm diese im Prinzip recht schmeichelhafte Art der Aufmerksamkeit möglicherweise gleichgültig war, weil er sich bereits daran gewöhnt hatte oder es für profan hielt?

Wir liefen an der Fußgängerampel über die Straße, vorbei an einem großen Billig-Friseurladen, auf dessen Fensterfassade eine mit Kamm und Schere bewaffnete Comic Superheldenfigur als Logo prangerte, und schlängelten uns weiter durch einen Haufen Leute, die an den Haltestellen auf ihren Bus warteten.

Nach etwa dreißig Metern stiegen wir in die U-Bahn hinab und fuhren endlich weiter. Die paar Stationen bis Friedrich-Wilhelm-Platz saßen wir auf unserer Sitzbank wie zwei zusammengeklebte Hälften eines Ganzen, küssten uns immer wieder und lauschten interessiert einem gutgelaunten Geigenspieler mit dichtem schwarzen Haar und zerschlissenem Anzug, der wahrscheinlich aus Osteuropa stammte und voller Elan ein nicht enden wollendes folkloristisches Stück zum Besten gab.

Als er, kurz bevor wir unsere Zielstation erreicht hatten, seine Vorstellung beendete und mit einer Blechtasse rumging, applaudierten wir begeistert und spendeten ein paar Münzen, für die er sich ausgiebig bedankte.

Auf dem Fußweg zu meiner Wohnung wurde es allerhöchste Zeit, dass ich Finn an die verflixten Kondome erinnerte, die wir unbedingt noch besorgen mussten. Ich wusste, dass in der Herrentoilette des italienischen Restaurants bei mir um die Ecke ein Kondomautomat stand. Krampfhaft überlegte ich, welche Formulierung und welche Betonung nicht allzu offensichtlich verraten würden, dass mir ständig nur das Eine durch den Kopf geisterte. Doch wie auch immer ich in Gedanken die Sätze drehte und wendete, es klang stets nach einer eindeutigen Absichtserklärung, was es im Grunde ja auch war: eine klipp und klare Absicht, eine tiefgreifende Sehnsucht und ein unwiderstehliches Verlangen nach ihm ...

Trotz der zweifelsfreien Einigkeit zwischen uns, dass wir es miteinander tun wollten, fürchtete ich, verzweifelt oder bedürftig zu klingen, sollte ich die Kondome ansprechen.

Nein, es ging einfach nicht. Himmel, war ich kompliziert und kam da beim besten Willen nicht raus.

Ich hatte scheinbar noch weniger Selbstbewusstsein, als ich mir zugetraut hätte. Schon wieder gelang es mir nicht, offen fordernd zu sein, die Dinge so zu steuern, wie ich sie mir wünschte, und ich hatte auch keinen Schimmer, wovor ich mich noch fürchtete. Resigniert gestand ich mir ein, das Kondomproblem - zumindest jetzt - noch nicht lösen zu können. Ein wenig enttäuscht über Finns Vergesslichkeit in dieser wichtigen Sache war ich natürlich auch.

Okay, mal abwarten, dachte ich, ich werd schon sehen, wie sich der Abend entwickelt.

Als wir meine Wohnung betraten, ging‘s mir wieder besser. Finn stapfte gleich in die Küche, um das ganze Bier im Tiefkühlfach zu deponieren. Nachdem ich meine Jacke abgelegt und meine Stiefeletten von den Füßen gestreift hatte, trippelte ich ihm hinterher, kramte in meiner Sammelsurium-Schublade nach Duftkerzen, fand lediglich eine Stumpenkerze, die so gut wie heruntergebrannt war, und seufzte enttäuscht. Es würde leider auch kein romantisches Kerzenlicht geben.

Meine Küche war unangenehm kühl und roch nach ... nichts ... was mir in diesem Augenblick eigenartigerweise negativ auffiel. Sie duftete nicht nach leckeren Lebensmitteln, nach frischem Obst und Gemüse, duftete weder nach Kräutern noch nach Gewürzen. Sie roch nicht sauber nund nicht schmutzig, und nicht mal mehr nach Zigarettenrauch, da es in dieser verdammten kleinen Wohnung schon immer zog wie Hechtsuppe.

Meine Küche war eigenartig geruchslos, weil kaum etwas herumstand und auch die Schränke leer waren, weil ich nur selten kochte und dann auch nur ein fades, einfaches Essen für meinen anspruchslosen Magen, und das an faden, einsamen Abenden, die ich alleine zuhause verbringen musste, wenn es weder mit Patrick oder sonst jemanden zu einer Verabredung gekommen war. Solche ungeliebten einsamen Abende gab es nun mal, wenn auch nicht sehr oft.

 

Doch nun lehnte Finn Flanagan gegen mein Küchenfenster …

 

Gibt es nicht diesen Ausdruck ‚wie dahingegossen‘?

Tja, so ungefähr, und steckt sich eine Zigarette zwischen diese … diese Killerlippen, in die man beißen möchte, funkelt mich aus seinen überirdisch schönen Augen einladend an und vermittelt mir das Gefühl, etwas Grundlegendes hätte sich in meinem Leben verändert. Ich konnte es nur noch nicht konkret benennen.

»Möchtest du eine?«, fragte er mich und hielt mir seine Zigarettenschachtel hin. Ich nickte, fingerte mir eine Fluppe heraus und stellte mich neben ihn. Mein Ellbogen berührte seinen Arm, ganz zart und so gar nicht zufällig.

Er legte die Zigarettenschachtel weg, tastete seine Jackentaschen ab, innen und außen, streifte sich die Jacke von den Schultern, legte sie über einen der beiden Küchenstühle, suchte weiter in seinen Gesäßtaschen und zog schließlich ein Feuerzeug hervor.

Wie er uns Feuer gab!

Mit geneigtem Kopf und einem verwegenen Ausdruck in den Augen. Oder bildete ich mir das alles nur ein?

Ich beäugte ihn heimlich unter gesenkten Lidern. Egal, was er tut, dachte ich, bei ihm sieht alles so sexy aus, dass es nicht normal ist, und schmunzelte unauffällig in mich hinein.

Er nahm einen tiefen Lungenzug und pustete den Rauch genüsslich in den Raum, dann schnalzte er mit der Zunge, so auf die lässige Art, zuckte mit den Augenbrauen und starrte mich eindringlich an, ohne ein Wort zu sagen.

»Was denn?«, fragte ich irritiert und doch entzückt über jede einzelne seiner Gesten.

 

Okay ...

Dann beugt er sich vor, sein Blick weiterhin in meinen Augen verankert, ich wie hypnotisiert, höre auf zu atmen … mercy on me, please … hebt seine Jacke an und kramt etwas aus der Innentasche hervor, das er mir schließlich vors Gesicht hält. Ich, durch die abrupte Unterbrechung unseres Blickkontakts aus meiner Träumerei gerissen, greife nach der flachen, schwarz glänzenden Packung in der Größe einer halben Schokoladentafel und lese laut: »Super Size Kondome, gefühlsecht ...«

 

»Hm!«, sagte ich, mit einem Pokerface zwar, aber erwartungsvoll glühenden Ohren. »Wann hast du die denn ergattert, etwa in dem Tabakladen?«

»Yep«, machte er und musterte mich selbstzufrieden. »Der rote Typ hat seinen - angeblich - eigenen Vorrat verkauft … für ein paar Cent mehr.«

Das war es also gewesen, was er mit dem Verkäufer so konspirativ austauschen musste. Ich war völlig aus dem Häuschen, versuchte aber weiterhin nicht allzu aufgeregt auszusehen.

»Für wie viel denn?«, fragte ich, nicht weil ich es wirklich wissen wollte, vielmehr um der ganzen Situation mit gespielter Gelassenheit standhalten zu können. Ich war erregt bis in die Eingeweide, so entsetzlich scharf auf ihn, dass ich kaum atmen konnte und durchdrungen von einem überwältigenden Gefühl der Hingezogenheit, obwohl er mir immer noch eher fremd als vertraut erschien oder vielleicht gerade deswegen.

»Ach, zwanzig Euro«, sagte er abwinkend, als handle es sich um einen unwesentlichen Aufpreis, und wandte sich dem Kühlschrank zu.

»Wie bitte? Was für ein Wucherpreis!«, entrüstete ich mich ganz ehrlich und zog hektisch an meiner Zigarette.

Er nahm zwei Bier aus dem Tiefkühlfach und stellte die übrigen in die oberen Fächer.

»Komm, lass uns ins Zimmer gehen«, sagte er mit einer auffordernden Kopfbewegung in Richtung Tür.

Was immer du willst, dachte ich überglücklich und lief leichtfüßig auf Zehenspitzen hinterher. Vielleicht … vielleicht schwebte ich auch … wie eine Fee …

 

Da saßen wir also wieder, Seite an Seite, auf meiner ramponierten Ledercouch, tranken unser mitgebrachtes Bier, das in der Tiefkühltruhe schön kalt geworden war … Ich fühlte mich wie auf Kohlen und Finn sicher auch … die Luft knisterte so laut, als säßen wir neben einem riesigen Lagerfeuer ...

Mein Zimmer war zwar spartanisch eingerichtet, hatte ja außer dem imposanten Bücherregal und meiner beachtlichen Film- und Musiksammlung wirklich nicht viel zu bieten, aber die Heizung lief auf Hochtouren und wärmte den Raum trotz der Zugluft auf eine wohlige Temperatur. Ich nahm mir vor, schon sehr bald für mehr Atmosphäre zu sorgen, wie auch immer das aussehen sollte. Patrick könnte mich beraten, wenn er von seinem Trip zurück war.

Im Hintergrund spielte ‚Moloko‘, das zweite Album ‚I‘m not a doctor‘, auf das wir uns recht schnell geeinigt hatten.

»Hm«, hatte Finn gemacht. »Cooles Album, ich liebe es«. Und ich dachte, wow, der Mann hat Geschmack. Schon wieder eine Gemeinsamkeit, die wir teilen ...

Wir sprachen ziemlich lange über Musik, tauschten angeregt unser Wissen aus, zählten verschiedene Bands und Musiker auf, alte und neue, zogen großspurige Vergleiche, wurden immer lockerer, offenbarten uns gegenseitig unsere peinlichsten Lieblingssongs, lachten uns dabei scheckig, erstellten mit großem Vergnügen eine Top- Ten-Liste ungeliebter Prominenter, stritten scherzend wegen der ultimativen Nummer Eins, verrieten uns gegenseitig unsere absoluten Musik-Geheimtipps, von denen der andere bisher nichts gehört hatte, spielten weitere meiner CDs ab, wurden zunehmend alberner, tranken die Biere komplett weg und waren irgendwann ganz schön angeschickert. Dann begannen wir, uns gegenseitig die Pullover auszuziehen, weil es ziemlich heiß wurde, fingen an, uns zu küssen, erst zaghaft und dann immer leidenschaftlicher und fielen schließlich und endlich übereinander her … fielen übereinander her, wie ich es bisher noch nie erlebt hatte.

Finn trug mich zum Bett - meine Beine um seine Hüften gewickelt, seine Hände fest in meine Pobacken gekrallt, meine Brustwarzen hart wie Olivenkerne, unsere Haare wild zerzaust - und schmiss mich rücklings auf die Matratze, sprang daraufhin mit einem Satz auf das Bett, das gefährlich ächzte und quietschte, und stand nun wie ein gnadenloser Jäger breitbeinig über mir. Aus schmalen Jägeraugen inspizierte er seine hilflose Beute und zuckte mit dem Mundwinkel, den Hauch eines vergnügten Lächelns andeutend.

Ich blickte, starr vor Erregung, zu ihm hoch, sah, wie er langsam seinen Gürtel öffnete, dann seine Jeans aufknöpfte … Mein Körper japste nach Luft, ich konnte nicht hinsehen, hielt mir die Augen zu und begann zu kichern, wusste aber, gleich wird‘s ernst …

»Oh, warte, die Kondome«, rief er plötzlich aus, »... Lauf nicht weg, Babe«, und sprang davon.

Diese verdammten Kondome, arrgh …

Ich streifte mir schnell die restlichen Klamotten vom Leib, schlüpfte mit fest zusammengekniffenen Augen unter die Bettdecke und wartete ungeduldig. Nach einer Weile steckte ich den Kopf heraus und lauschte, hörte ihn aber immer noch nicht. Mein Atem ging viel zu schnell.

Langsam fing ich an, mich zu wundern: Einmal Küche und zurück geht doch viel schneller ... hm ... vielleicht musste er noch auf die Toilette? Trotzdem hätte er längst …?

 

Als er endlich zu mir unter die Decke gekrochen kam, trug er nur noch Boxershorts und hatte Gänsehaut an den Armen. Seine Haut fühlte sich an wie kalte Seide. Er schmiegte sich eng an mich, umschlang meinen Körper so fest, wie er nur konnte, vergrub sein Gesicht zwischen meinen Brüsten und verharrte stumm in dieser Position. Sein Herz schlug so heftig, dass ich es an meiner Bauchdecke spüren konnte. I

Ich fuhr ganz sanft mit den Fingern durch sein Haar, sog seinen Duft tief in mich ein und spürte, dass etwas nicht stimmte.

»Finn?«, sagte ich leise und auch ratlos, denn ich hatte das Gefühl, dass mit ihm auf dem Weg zur Küche und zurück irgendetwas passiert war, das ihn wie ein verstörtes Kind in meinen Schoß kriechen ließ.

»Finn?«

Er gab meinem drängenden Ton endlich nach. »Mhm.«

»Was ist denn mit dir, du zitterst?«

»Ach, nichts, es ist nur …«

»Was?«

»Eine SMS …«, nuschelte er gerade noch hörbar.

Ich fragte mich, was das für eine verdammte SMS war, die ihn so aus der Bahn geworfen hatte … Verdammte, böse SMS! Mit einem lausigen Timing!

Dabei schrie mein Körper immer noch sehnsüchtig nach seinen Berührungen ... an den richtigen Stellen ...

»In London war ich mit jemandem zusammen …«, fing er auf einmal an. Sein warmer Atem kitzelte meine Haut.

Oh, und weiter? Ist das jetzt der Anfang der Geschichte, die unsere Nacht verderben könnte?

»Ich musste mich trennen, weil es absolut nicht mehr ging«, fuhr er fort. Seine Stimme vibrierte leise, als wäre die Erinnerung schmerzvoll.

»Dieses Auf und Ab war so zermürbend. Streitereien wegen völlig banalen Dingen. Die versteckten Gemeinheiten und Lügen. Und dann die lächerlichen Wiedergutmachungsversuche, die nur Täuschung waren, alles inszeniert, um mich erneut hinters Licht zu führen, mir eine reinzuwürgen, verstehst du?« Er machte eine kurze Pause und schnaufte. »Ich muss leider dazu sagen, dass ich da ziemlich oft drauf reingefallen bin …«

Nach einem tiefen Seufzer rutschte zu mir hoch, legte den Kopf aufs Kissen und sah mich mitgenommen an. Auf seiner Stirn hatte sich eine aufgebrachte, dicke Ader abgezeichnet, seine Lippen waren zu einem schmalen Strich zusammengepresst, wollten lächeln, schafften es aber nicht, und seine traurigen Augen versuchten es nicht einmal, schienen nach Halt zu suchen ...?

Welches Miststück hat dich so verletzt, dachte ich betroffen und fassungslos, vergiss sie, ich bin doch da.

»Ich hatte geglaubt, dass zwischen dieser Frau und mir etwas Besonderes, etwas Reines und Ehrliches sei, aber es war ein großer Irrtum, meine eigene Dummheit, die die Wahrheit nicht erkennen wollte. Ich hätte es wissen müssen: Versprechen, die nicht eingehalten wurden, Verabredungen, die nicht klappten, weil ihr ständig etwas Wichtigeres dazwischen kam, Verspätungen, die nicht erklärt wurden, ominöse SMS, die sie schnell zu löschen versuchte, während sie mit mir im Café saß und in ihren Tee blinzelte und mir das Blaue vom Himmel herunterlog …«

Er hielt inne und gab mir plötzlich einen zärtlichen Kuss auf die Lippen. Dann schlug er die Decke über unseren Köpfen auf.

»Willst du all diesen Mist überhaupt hören, Val? Tut mir echt leid, dass das so aus mir rausgequollen ist, das wollte ich nicht. Ich bin eigentlich kein Typ, der gern über vergangene Dinge spricht, vor allem dann nicht, wenn sie nichts weiter als unangenehme Erinnerungen sind. Und gerade mit dir fühl ich mich endlich wieder …« Er stockte auf ein Mal und kniff die Augen zu. Ich strich ihm mit dem Daumen über die Lippen, weil ich merkte, wie schwer es ihm fiel, über seine Gefühle zu reden. Finn blickte mich wieder an. »Also, ich will nach vorne blicken, verstehst du? Du bist für mich … ich … ich will dich nicht mit meinem alten Kram nerven.«

Ich schüttelte den Kopf, auch wenn ich zu gern noch gehört hätte, was ich denn für ihn sei. »Nein, ist schon okay. Ich bin froh, wenn du mir erzählst, was mit dir los ist, weil ich sonst verwirrt bin und einfach nicht weiß, ob dein Verhalten etwas mit mir zutun hat. Ich denke sonst, etwas Falsches gesagt oder getan zu haben. Das ist manchmal so ... Es verunsichert mich einfach ...«

Er seufzte leise. »Es hat absolut nichts mit dir zu tun, glaub mir, bitte«, sagte er nachdrücklich. »Val, du bist süß, und du bist auch ... wahnsinnig aufregend, du bringst mich auf ganz andere Gedanken, wow. Als ich dich auf der Silvesterparty sah, habe ich mir sofort den Kopf zerbrochen, wie ich dich ansprechen könnte, ohne wie ein Schwachkopf rüberzukommen, oder aufdringlich zu wirken. Ich bin nicht gut in solchen Dingen, wirklich gar nicht gut, aber ich hatte Glück, und Patrick hat uns vorgestellt. Ich habe vor lauter Aufregung sicher nur blödes Zeug gelabert, oder?«

Ich starrte ihn ungläubig an, wollte ihn auf der Stelle küssen, war aber zu erstaunt über seine grandiose Fehleinschätzung.

»Nein, gar nicht, also, ich hab unsere Unterhaltung sehr genossen.«

»Ich werde mir eine neue Handynummer zulegen«, sagte er ernst, »damit sie mich nicht mehr stalken kann, ich hätte das längst tun sollen, dann hätte ich mir … uns … diese ärgerliche Unterbrechung erspart.«

»Was will sie denn eigentlich?«, fragte ich neugierig. Die Frage war mir mehr oder weniger spontan entwischt, aber zum Glück schien sie Finn nicht zu stören.

»Well, wenn ich das wüsste. Sie kann nicht akzeptieren, dass Schluss ist, sie will es nicht wahr haben. Sie glaubt, sie könnte mich noch umstimmen. Ich soll mit ihr sprechen, was ich aber nicht tun werde, denn alles ist schon gesagt. Es ist vorbei, und ich bin froh, dass ich sie los bin, auch wenn sich das jetzt hart anhört, aber so ist es. Sie wollte mich völlig vereinnahmen, nur für sich haben, verstehst du, hat aber dauernd ihre Fühler nach anderen Typen ausgestreckt, kannst du dir so was vorstellen?«

Nein!

Ich konnte es mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass eine Frau mit Finn an ihrer Seite noch Augen für andere Männer haben sollte. Ich war baff.

»Hast du sie geliebt?«, fragte ich, unsicher, ob diese Frage nicht doch zu weit ging, aber ich konnte mich nicht zurückhalten.

Er antwortete nicht gleich, kaute auf der Unterlippe herum, rieb sich mit den Fingern über den Nasenrücken, als fühlte er sich unbehaglich.»Ich denke schon«

Er senkte den Blick.

»Hab aber schnell gemerkt, dass ich für sie nur irgendein Vollidiot bin, den sie schön ausnutzen und vor allem herumkommandieren und als ihr Eigentum ansehen kann. Ich bin fertig mit der, möchte absolut nichts mehr von ihr hören, geschweige denn sie sehen, deswegen hat mich die SMS auch so geärgert. Ich dachte, ihre Nachstellungen hätten aufgehört, und ich hätte endlich meine Ruhe, aber ausgerechnet heute Nacht musste wieder so ein Mist von ihr kommen.«

»Hast du ihr geantwortet?«

»Ja.«

Ich wartete darauf, dass er mir mehr verriet, aber er schwieg darüber, stattdessen sagte er: »Valerie, bitte, lass uns nicht mehr darüber reden, ja!? Ich will mit dir schlafen … jetzt.«

 

Und ich wollte mit ihm schlafen ... Erst recht, nachdem ich nun auch noch erfahren hatte, dass er offenbar tief verletzt worden war. Ich wollte Balsam für ihn sein, wollte ihn großzügig entschädigen, ihm zeigen, dass sich das Glück diesmal auf seine Seite geschlagen hatte …

Zweifellos war ich überzeugt, so verrückt, wie ich nach ihm war, würde mir das gut gelingen …

Finn drückte sich hart gegen meinen Oberschenkel und jetzt presste ich meinen Mund auf seinen, biss ihm leicht in die Oberlippe und ließ meine Zunge über seine Unterlippe fahren.

Ich hörte ein Knistern und wusste, dass er das mitgebrachte Kondom aus seiner Verpackung befreite. Ungeduldig streifte er es über, drehte mich sanft, aber bestimmt, auf den Bauch, schob meine Beine auseinander und hauchte zärtlich »Lass dich gehen, Babe« in meinen Nacken. Ein Prickeln wie Champagnerbläschen auf der Haut durchfuhr meinen Körpern. Ich spürte ihn tief in mir drin, in einem sinnlichen Rhythmus. Es war kein Traum oder meine sehnsuchtsvolle Fantasie, es passierte wirklich …

Ich war so erregt, dass ich am ganzen Körper zitterte.

Seine Finger glitten sanft über meine Arme bis zu meinen Händen, die er umschloss und festhielt. Ich hob mein Becken so weit ich konnte an und kam ihm damit bei jedem Stoß entgegen.

Finns Körper war stark, energisch und wusste genau, was er wollte …

Gerade als ich dachte, die wellenartigen Zuckungen würden mich überwältigen, glitt er aus mir heraus und drehte mich wieder auf den Rücken. Kniend schlang er meine Beine um seine Schultern, verlagerte sein Gewicht ein wenig vor und drang diesmal mit aller Wucht in mich ein, dass mir fast die Luft wegblieb. Er ließ mich laut aufstöhnen, beugte sich vor und küsste meine Brüste, streichelte mit den Händen meinen Bauch und fuhr mit den Fingern auf und ab. Dann wurde er noch härter, schneller, fing an zu keuchen und kam schließlich, während ich zusammenkrampfte und die letzten Zuckungen aus meinem Körper fuhren.

Zufrieden schnaufend ließ er sich neben mich fallen, lächelte mich schief an und streichelte in kreisenden Bewegungen ganz sanft meinen Bauch …

Ich drehte mich auf die Seite, stützte den Kopf ab und betrachtete seinen beneidenswert modellierten Körper, während er die Augen schloss und sein Atem langsam ruhiger wurde.

 

Selbst wenn ich gewusst hätte, dass ich »angefixt« werden würde - und ein besseres Wort fällt mir jetzt nicht ein - hätte ich es nicht verhindert.

Ich glaubte felsenfest, meinen Traumprinzen gefunden zu haben. Die Vorstellung gefiel mir zu sehr. Sie war berauschend. Ich wollte für den Rest meines Lebens auf diesem Gefühlslevel bleiben, mit Glückshormonen zugeschüttet bis an die Kante.

Finns Grübchenlächeln, seine sanfte, ruhige Stimme, seine beharrlichen Finger auf meiner Haut, die sachte auf und ab fuhren, die Wärme und Geborgenheit, die ich empfand, tatsächlich empfinden konnte, die Vertrautheit, die sich nun zwischen uns einstellte …

Wie hätte ich mich nicht verlieben können?