Liebe und Tortillas
Dienstags stand ich fast immer an der Popcorn Theke mit Colette, die mir mit affektiertem, französischem Akzent in allen Einzelheiten von ihren Wochenenderoberungen erzählte: »Uh, derr Maan war olala, Vallrie, ein rüschtigär Big Spenndäärr, aber non, kein Maan für lang, Cherie, non, non!«
Sie ließ ein Popcorn in hohem Bogen in ihren Mund fliegen, stemmte die Hände in die üppigen, wohlgeformten Hüften und musterte mich skeptisch von oben bis unten.
»Du biest eute niescht wie Vallrie, was ist passiert, uh, raus mit der Sprache?«
Ich wusste, sie würde nicht locker lassen, also überlegte ich mir, wie ich beschreiben sollte, was ich selber nicht verstand.
»Iesch waaarte!«, trällerte sie kopfnickend.
Ich seufzte. »Okay, also … ich habe mich … ich ... da ist jemand, den ich wirklich sehr mag.«
Sie bekam Ohren so groß wie bei einem afrikanischen Elefanten und machte dazu riesige ‚Erzähl mir den ganzen Schweinekram‘- Augen, während sie Cola abfüllte und Nachos mit Dip vorbereite.
»Soso, wie sieht err aus? Kann err gut küssen? Du weißt, Küssen ist tres importante!«
»Hm, ich würde sagen, er küsst ganz ausgezeichnet.«
»Abt ihrr, du weißt … knick knack, uh?«
Ich sah sie perplex an, ihre direkte Art war einfach hinreißend.
»Und?«
»Colette, du bist unmöglich, du verdorbenes …«
Sie stieß mich mit dem Ellbogen an. »Iesch weiß, erzähl schon, los, sonst sage iesch, dass du unseren Chef ‚Äffschen‘ genannt ast, ohohoh, das mache iesch, Vallrie, also Details s‘il vous plais.«
Sie bekam ein paar Details, nicht alle, hätte natürlich gern viel mehr gehabt, gab sich aber vorerst zufrieden und erzählte wieder Anekdoten aus ihrem turbulenten Leben.
Das Kino war spärlich besucht an diesem Dienstag, selbst zur Nachmittagsvorstellung von ‚Avatar‘ gab es gut überschaubaren Andrang, der schnell versorgt war. Wir hatten nicht viel zu tun, quatschten eine Menge dummes Zeug, machten gemeine Witze über Sören, der an der Kasse saß und in jeder freien Minute in seinem Sport Magazin versank.
Ich konnte es kaum erwarten, bis Finn mich abholen würde. Er hatte mich am frühen Morgen angerufen und vorgeschlagen, dass wir nach meiner Arbeit essen gehen könnten.
Die Minuten wollten einfach nicht vergehen, obwohl Colette redete und redete und redete, als wäre es ab morgen verboten.
Als Finn pünktlich um 19.00 Uhr, zum Ende meiner Schicht, vor dem Servicetresen erschien, fiel Colette die Kinnlade herunter und zum ersten Mal, seit wir uns kannten, war sie sprachlos, nein, nicht ganz. Kaum hörbar formten ihre Lippen die Worte »Mon dieu«, und ihre französischen Wimpern klimperten mit den Eiswürfeln im Cola Becher, den sie gerade befüllt hatte, um die Wette.
Er sah zweifelsohne ziemlich schnittig aus mit seinen abgewetzten, hüfthohen Jeans, dem schwarzen Rollkragenpullover und seiner beigen Wildlederjacke, die Haare glatt gekämmt, akkurat gescheitelt und hinter die Ohren geklemmt. Seine von dichten Wimpern umrahmten Augen blitzten und funkelten, die unerhörten Grübchen taten das Übrige. Er sah aus, als käme er gerade vom Set eines coolen ‚Gus Van Saint Films‘.
Als wir gingen, starrte Colette uns grinsend hinterher und machte einen anzüglichen Schmollmund à la Angelina Jolie.
Ich hakte mich bei Finn unter, blubberte, dass wir bald diesen oder jenen Film im Programm haben würden, und küsste ihn immer wieder auf die Wange oder den Hals, je nachdem, was meine Lippen erwischten, wenn ich mich nach ihm streckte, und Finn schmunzelte zufrieden.
Wir gingen in ein nettes, kleines Tex-Mex Restaurant am Bayerischen Platz. Er bestand darauf, dass er von nun an für uns beide bezahlen würde, und zwar ausnahmslos jedes Mal, wenn es etwas zu bezahlen gäbe, wie er mit resolutem Blick hinzufügte, ohne es nach Ironie klingen zu lassen.
Ich dachte mir nichts dabei, höchstens, dass er möglicherweise altmodische Werte hochhielt, oder mein Portemonnaie schonen wollte oder zu viel Geld hatte oder … was auch immer …
»Verdienst du denn genug, dass du dir das leisten kannst, ich meine, mich immer und ständig einzuladen«, fragte ich etwas überheblich, aber hauptsächlich angetan, und biss verlegen in eins der knusprigen Tortilla Chips, die in einem Körbchen bereits auf dem Tisch standen.
Er sah mich nachdenklich an, lehnte sich ganz langsam vor und sagte mit einem fast gekränkt klingenden Unterton, der meine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog: »Warum machst du dir Gedanken darüber, Valerie? Aber, wenn du es unbedingt wissen willst … tja, Geld … Geld ist nicht wichtig für mich! Das habe ich, glaube ich, schon mal erwähnt, oder? Ganz bestimmt, also lass mir doch einfach die Freude, dich einzuladen, ja!«
Er lehnte sich wieder zurück warf mir einen Killerblick zu, bevor er sich nach einem Kellner umsah.
»Hm«, machte ich nur, überrascht darüber, wie wichtig ihm diese Regelung scheinbar war und über mich, dass es mich antörnte, wenn er so redete. Und da ich im Prinzip nichts dagegen hatte - so rein ökonomisch betrachtet - eingeladen zu werden, ließ ich ihm den Wunsch.
Nachdem einer der Kellner nickend auf sein Handzeichen reagiert hatte, wandte er sich wieder mir zu und strahlte mich an. Seine Wangen waren gerötet, die Lippen dunkelrot und einladend. Ich lächelte wie hypnotisiert zurück.
Finn bestellte so ziemlich alle Vorspeisen, die die Speisekarte zu bieten hatte: Avocadocreme, Quesadillas, Jalapeno Poppers, Empenadas und Maistortillas mit Hackfleischfüllung - oh Gott - wir würden niemals alles essen können! Dann fragte er mich: »Bier oder Wein?«, fügte aber schnell hinzu, dass bei Tex-Mex Bier zwar üblich sei, er jedoch lieber Wein trinken würde.
»Mexikanischen?«, fragte er mit hochgezogenen Augenbrauen.
»Gerne.«
Natürlich bestellte er gleich eine ganze Flasche, die von den aufmerksamen Kellnern in Windeseile herbeigebracht wurde.
Beeindruckt beobachteten wir, wie nach und nach alle Tische besetzt wurden. Der Laden war beliebt und auf die typische, ansprechende Art dekoriert: Wände und Boden in Erdfarben gehalten, fein gearbeitete Wandmalereien, die südamerikanische Motive wie Kakteen, Klapperschlangen oder bunte Indios zeigten, von der Decke hängende Maiskolben und Paprikaschoten aus Wachs und so fort.
Wir hatten einen gemütlichen kleinen Tisch in einer netten, schummrigen Ecke, wir hatten köstlichen Wein, dezente Hintergrundmusik, extrem gutgelaunte, südländisch aussehende, flinke Kellner, die eine Vorspeise nach der anderen auf unseren Tisch stellten und dabei vor sich hin sangen.
Ich strahlte Finn an und fühlte mich glücklich bis in die letzten Winkel meine Seele. Er hob sein Weinglas, stieß mit mir an und gab mir einen flüchtigen Kuss auf den Mund.
Wir ließen es uns schmecken, wischten ständig Soße von unserem Kinn oder den Fingern, bestellten noch zwei Hauptgerichte, obwohl wir schon pappsatt waren, küssten uns schmatzend auf geschürzte Lippen, und Finn flüsterte: »Du schmeckst scharf, Babe!«, worauf ich wahrscheinlich rot anlief und etwas verlegen antwortete, daran sei die pikante Füllung der Tortillas schuld, doch er schüttelte energisch den Kopf und ließ bedeutungsvoll den Zeigefinger hin und her wackeln.
Finn erzählte, dass Lenny wegen der geplanten Reise schon total aufgedreht sei und lieber gestern als heute losdüsen würde, und ja - jetzt lachte er aus voller Brust - Lenny habe bereits ein riesiges Plakat mit dem Gießplan für seine geliebten Pflanzen angefertigt und an die Küchentür gehängt.
»Man muss diesen Jungen mögen, ob man will oder nicht«, sagte er mit voller Überzeugung.
»Ich weiß, was du meinst«, stimmte ich ihm zu.
Ich wusste wirklich genau, was er meinte! Lenny!
»Er weigert sich, Geld von mir zu nehmen, obwohl er mir ein Zimmer auf unbestimmte Zeit zur Verfügung stellt, ich begreife das nicht. Ich werde mich allerdings gebührend bei ihm bedanken, wenn es so weit ist«, sagte er und strahlte mich mit seinen blaugrünen Augen an. Doch ich musste schnell wegsehen, denn ich spürte plötzlich feine, brennende Stiche in der Brust …
Da war sie wieder: diese subtile Andeutung auf das Ende seines Aufenthalts in Berlin, dieser böse Zeitfaktor, der mir den Boden unter den Füßen so rücksichtslos wegzog und mir die Kehle zuschnürte …
Okay, ich musste ihm die Frage endlich stellen, musste es wagen, musste … Ich holte tief Luft.
»Finn, sag mal … hast du vor, bald wieder in deine Heimat zurückzukehren?«
Er hörte auf zu kauen und sah mich überrascht an.
»Meine Heimat? Du meinst New York? New York ist nicht meine Heimat, Valerie, jedenfalls nicht ausschließlich, weil ich … ich fühl mich eigentlich überall zuhause … oder … na ja, ich könnte auch sagen, ich fühl mich nirgends zuhause, je nachdem, ist so bei mir, überall und nirgends, macht das Sinn für dich? Ich fühl mich hier in Berlin genauso heimisch wie in New York oder London oder Dublin, verstehst du?«
Ich nickte skeptisch.
Er steckte sich eines der Empenadas in den Mund und ließ den Blick durch das Lokal wandern, während er mit angespannter Stirn kaute.
Er hat viele Worte benutzt und dennoch auf die Frage nicht geantwortet, dachte ich mir, spürte Hitze aufsteigen und diese verhasste, in der Magengrube beginnende Unruhe. Nein, ich würde es jetzt nicht dabei belassen.
Ich wollte meine Frage gerade erneut stellen, als ich voller Schreck Tom, ja genau, Tom Nowak, in Begleitung einer deutlich älteren, elegant gekleideten Frau mit hochgesteckten, schwarzen Haaren in das Lokal treten sah.
Ich war völlig fassungslos, wollte meinen Augen nicht trauen, blinzelte wie verrückt, als hätte das, was ich sah, etwas mit meinem Sehvermögen zu tun. Das konnte doch nicht wahr sein, ausgerechnet hier und jetzt musste Tom auftauchen. Ich versuchte, mich hinter meinem Weinglas zu verstecken, drehte den Kopf zur Wand, was ein lächerlich nutzloser Versuch war, unentdeckt zu bleiben.
Finn merkte sofort, dass etwas nicht stimmte, und musterte mich irritiert.
»Valerie, was bist du auf einmal so nervös?«
Es hatte keinen Zweck, Tom hatte mich längst entdeckt und kam schon mit entschlossenen Schritten auf uns zu.
Er sah aus, wie er meistens aussah: draufgängerisch und selbstsicher und … viel zu gut … auf diese - wie Alice einmal treffend bemerkt hatte - exzessive Art, die andere vor den Kopf stößt. Seine Haare waren im Nacken zusammengebunden, und er war komplett in Schwarz gekleidet, natürlich mit einem Haufen Accessoires wie mehrerer Lederband Halskettchen mit geheimnisvollen Amuletten dran und Ringen an fast allen Fingern. Sein schwarzer Gürtel mit einer silbrig glänzenden Totenkopfschnalle war der absolute Hingucker.
»Hey, wer sagt‘s denn, was für ein Zufall! Hi, Valerie, Berlin ist doch ein Dorf, was?«
»Hi, Tom, äh ... was machst du denn hier?«, kam es mühevoll aus meinem Mund.
Ich war völlig aus dem Konzept, blickte angespannt zu Finn, der zwischen Tom und mir hin und her sah und den weiteren Verlauf unserer Begegnung mit großem Interesse verfolgte.
Toms außergewöhnliche Begleitung hatte sich derweil an den langen Tresen gesetzt und trank, nach dem bunten Papierschirmchen zu urteilen, einen Cocktail.
Sie ist deutlich älter, dachte ich verwundert, hätte nicht gedacht, dass Tom auch auf reife Frauen steht.
Die Frau beobachtete uns von ihrem Platz aus, während sie durch zwei Strohhalme ihren Drink schlürfte.
Ich wusste, ich hatte wenigstens die Etikette zu wahren.
»Finn, ähm, das ist Tom, ein Freund von Patrick und … auch Lenny.«
Finn nickte nur mit einem angedeuteten Lächeln und streckte Tom eine Hand entgegen. Tom schien zuerst etwas zögerlich, nahm aber den angebotenen Handschlag mit einem konsternierten Seitenblick zu mir an.
»Lass mich raten: Finn aus New York, richtig? Hey, freut mich, hab schon von dir gehört«, sagte er mit einem gespielt heiteren Tonfall, der viel zu übertrieben klang. »Seid ihr noch ein Weilchen hier?«
Ich räusperte mich, ohne auf seine Frage zu antworten und hob das Kinn.
»Wer ist die attraktive Dame, mit der du gekommen bist, Tom?«, fragte ich mit einem ungehaltenen Tonfall und hoffte, dass er den Wink verstehen und gehen würde.
»Die Hübsche da drüben?« Tom schnalzte frech mit der Zunge. »Oh ... das ist meine Mama! Sie hat heute Geburtstag, hab sie zur Feier des Tages zum Essen eingeladen, ganz der brave Sohn, der ich bin. Die machen hier übrigens die besten Enchiladas. Habt ihr etwa keine Enchiladas bestellt?«
Er deutete mit der Hand auf unsere Speisen, machte dann eine auffordernde Kopfbewegung. »Valerie, komm, ich stell dich meiner Mutter vor.«
Er sah mich mit seinen großen, kohlrabenschwarzen Augen auffordernd an. Ich war in der Bredouille: Ich musste der Höflichkeit wegen Toms Bitte nachkommen, obwohl ich Finn gegenüber gerne so tun wollte, als wären Tom und ich nur flüchtig miteinander bekannt.
Auf meine Bemerkung hin, dass ich gleich wieder zurück sein würde, sagte Finn nicht etwa »Ja, natürlich, kein Problem« oder etwas in der Art, sondern schwieg mit einer unbewegten Miene.
Tom stellte mich seiner Mutter als eine gute, alte Freundin vor und zwinkerte mir dabei ständig zu. Ich fühlte mich unbehaglich, war obendrein so nervös, dass ich einen trockenen Mund bekam. Schließlich wusste ich ja nicht, ob er seiner Mutter etwas über uns erzählt hatte, ärgerte mich über meine grenzenlose Blödheit, vor allem aber über ihn, obwohl er eigentlich nichts Falsches getan hatte, fand seine Mutter dennoch sehr nett und, ja, auch sehr schön! Sie musste als junge Frau der reinste Knockout gewesen sein. Tom kam offensichtlich ganz nach ihr.
Ich wagte einen kurzen Blick zu Finn, konnte jedoch in seinem Gesicht nichts lesen. Ich versuchte unbeschwert zu lächeln, hatte auf einmal Puddingbeine, fand die ganze Situation immer anstrengender und hatte furchtbaren Schiss, Finn könnte merken, dass zwischen Tom und mir etwas gelaufen war. Oh, wie ich wünschte, ich könnte auf der Stelle diesen Fehltritt ungeschehen machen, einfach löschen, wie im Computer: delete und weg …
Einer der Kellner trat an uns heran und teilte Tom mit, dass jetzt ein Tisch frei geworden sei und sie ihm bitte folgen wollten.
Ich wünschte beiden noch einen schönen Abend, sagte, dass ich mich sehr gefreut hätte, Toms Mutter kennenzulernen, wünschte ihr alles Gute zum Geburtstag, fragte nicht, wie alt sie geworden war, obwohl man ihr eigentlich nur Komplimente machen konnte, wunderte mich, warum Toms Vater nicht dabei war, sagte Tom, wir könnten mal telefonieren … Halt! Wie bitte? Sagte Tom, wir könnten mal telefonieren? Warum um Himmels willen sagte ich so etwas? Natürlich erntete ich daraufhin noch ein verwegenes Zwinkern und ein selbstgefälliges, breites Grinsen und begab mich schließlich mit meinen Puddingbeinen und angestrengter Miene an meinen Platz zurück.
Ich setzte alles daran, mir Finn gegenüber bloß nichts anmerken zu lassen.
»Mir ist eingefallen, wo ich ihn schon mal gesehen habe«, sagte er, als ich endlich wieder auf meinem Stuhl saß.
»Die Silvesterparty! Er war umringt von Babes, scheint ein echter Frauentyp zu sein.«
Er sah mich musternd an.
Ich zuckte mit den Schultern, nahm einen Schluck Wein, um die Trockenheit in meiner Kehle wegzuspülen. »Er ist eigentlich ganz nett«, sagte ich, um einen sachlichen Ton bemüht, der mir allerdings nicht perfekt gelang, denn meine Hochachtung für Toms musikalisches Talent war zu groß.
»Er hat eine Band, spielt Leadgitarre, ist ein wirklich guter Gitarrist, du musst ihn mal spielen hören, er hat‘s echt drauf, schreibt auch die meisten Songs, gute Songs! Trotzdem scheint seine Band leider keine Zukunft zu haben, weil der Sänger … also, der ist dummerweise sehr unzuverlässig, lässt Gigs platzen, erscheint nicht zu wichtigen Treffen und so, und der Drummer und der Bassist sind ständig bekifft, so dass alles an Tom hängen bleibt. Es ist schrecklich schade um sein Talent, aber so ist es wahrscheinlich bei hunderten von Kellerbands. Es reicht nicht, gut zu sein, man braucht, ich weiß nicht, viel Disziplin und noch mehr Glück, schätz ich.«
Finn sah mich nachdenklich an, klemmte dann mit einer schnellen Bewegung die vorgefallenen Haarsträhnen hinter die Ohren. »Wie gut kennt ihr euch, du und dieser Tom?«
Oh Gott, bitte nicht diese Frage!
Ich bildete mir ein, einen verdächtigen Unterton in seiner Stimme wahrgenommen zu haben und schluckte. »Och, nicht sehr gut. Wir kennen uns fast nur vom Sehen her, meist von irgendwelchen Partys, Gigs oder Kneipenbesuchen. Man könnte unsere Bekanntschaft als ziemlich oberflächlich bezeichnen. Diese Tortillas schmecken sensationell, findest du nicht auch?«
»Hm.« Er gab sich unbeeindruckt.
Es ist beides, versuchte ich mich zu beruhigen, die Wahrheit und eine glatte, deprimierende Lüge.
Aber was hätte ich sagen sollen? Dass ich erst vor wenigen Tagen mit Tom geschlafen hatte? Und weshalb hatte ich das getan? Weil mein Verstand ausgesetzt hatte, weil ich schwach geworden war, weil ich gedacht hatte, Finn hätte nur mit mir gespielt, weil ich eine chaotische, unsichere Person war, weil ich …?
Er legte sein Besteck hin und wischte sich mit der Serviette über den Mund. »Valerie?«
Ich zögerte mit meiner Antwort. »Ja?«
»Ich finde, du bist ein guter Grund in Berlin zu bleiben.«
Ich sah ihn unverwandt an, als hätte er vom Wetter gesprochen, meine Füße zappelten vor Aufregung, ich brauchte einige Sekunden, um zu verarbeiten, dass das seine verspätete Antwort auf meine dringlichste Frage gewesen war.
»Finn, heißt das, du und ich … sind wir jetzt … zusammen? So richtig, meine ich?«
Er sah mich eindringlich an und lehnte seinen Oberkörper so weit vor, dass sein Gesicht ganz nah an meinem war.
»Das ist jetzt keine ernste Frage oder, Val?«
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er mir ungläubig in meine flatternden Augen und fixierte meinen zusammengepressten Mund. Ich starrte aufgewühlt zurück, nickte heftig, legte meine Hände in seine und drückte ihm einen innigen Kuss auf den Mund, den er mit aller Zärtlichkeit erwiderte.
»Wollen wir gehen?«, fragte er, nachdem sich unsere Lippen voneinander gelöst hatten, und winkte nach einem Kellner.
Wir mussten an Toms Tisch vorbei.
Finn griff nach meiner Hand und schritt voran, während ich hinterher trippelte.
»Tschau, äh … Finn ... Tschau, Valerie! Ich hoffe, wir sehen uns bald wieder«, rief uns Tom laut zu.
Ich hätte ihm für seinen provokanten Tonfall am liebsten den Hals umgedreht.
»Tschau, Tom, und schönen Abend noch! Wiedersehen, Frau Nowak«, sagte ich schnell im Vorbeigehen, und Toms hübsche Mutter hob freundlich lächelnd ihr Glas und winkte uns mit der freien Hand zu.
Kaum dass wir nach draußen getreten waren, drückte mich Finn gegen die Häuserwand des Lokals, schob eine Hand unter meine Jacke, umfasste mit der anderen meinen Nacken und begann mich voller ungeduldiger Begierde zu küssen. Ich spürte seine Beine und sein Becken dicht an meinen Körper gepresst, roch seinen vom mexikanischen Essen und Wein leicht süßlich-säuerlichen Atem und dachte schon wieder, dass das alles nicht wahr sein konnte.
Bei mir zuhause hatten wir beträchtliche Mühe, unsere Gier aufeinander so weit zu bändigen, dass die Klamotten heil blieben und ein Kondom zum Einsatz kommen konnte.
Es ging diesmal alles sehr schnell.
So schnell, dass es für mich schon vorbei war, bevor es richtig angefangen hatte. Finn lag schwer atmend neben mir auf dem Bett, starrte zur Decke, und ich fühlte mich, als wäre ein Tornado über mich hinweggefegt.
Dann drehte er sich zu mir und stützte sich auf den Ellbogen. »Hey, sorry, Babe, ich bin … Es tut mir leid, aber du machst mich völlig, wie soll ich das sagen … Ich war so scharf auf dich, dass ich über dich hergefallen bin. Ich hoffe, du hältst mich jetzt nicht für so einen unsensiblen Machotypen, denn das bin ich ganz sicher nicht! Außerdem bin ich ziemlich verrückt nach dir!« Er schluckte verzweifelt. »So, jetzt weißt du‘s.«
In meinem Bauch schien plötzlich ein ganzer Schwarm Schmetterlinge umherzuflattern. Ich ließ ihn kommentarlos weiterreden.
»Bei dir fühl ich mich, als könnte ich einfach nur ich sein«, sagte er. »Ich muss dir nicht erzählen, was ich für coole Sachen mache und mich als tollen Typen darstellen, damit du mich gern hast.«
Er klang voller Leidenschaft und so überzeugend, dass ich mich auch auf die Seite drehte und schmunzelnd in seine Augen eintauchte.
»Nein, das musst du wirklich nicht. Gerade das mag ich ja an dir, dass du nicht so ein Aufschneider bist, ein Angeber, wie so viele Typen, die andere beeindrucken wollen«, sagte ich voller Bewunderung.
»Wirklich? Was magst du noch an mir, sag schon?« Auf einmal klang er aufgeregt und neugierig und sah mich gespannt an.
Er steckte sich eine Zigarette an und zog mit einer Coolness wie Steve McQueen höchstpersönlich daran, was mir gleich wieder ein Kribbeln durch den ganzen Körper jagte.
Also gut!
Ich tippte mir mit dem Zeigefinger aufs Kinn und sagte: »Na ja, da gibt es ganz viel, wo soll ich bloß anfangen? Also, ich mag es, wie du manchmal schaust, so ernst und nachdenklich, als würdest du nach dem Sinn des Lebens suchen, als hättest du da eine Theorie, die du überprüfen musst, dann, wie du durch deine Haare fährst und sie hinter deine Ohren klemmst, oder auch … wie sie herunterhängen, wenn du über mir liegst … und dann deine Grübchen, wenn du lächelst.«
Er grinste zufrieden. »Was noch?«
»Wie du tanzt, so losgelöst und … total unkoordiniert …«
»Total unkoordiniert? Heißt das, ich kann nicht tanzen?« Er verzog das Gesicht zu einem übertriebenen Schmollen und stupste mich mit dem Zeh an.
»Das habe ich nicht gesagt.« Ich konnte ein schuldvolles Gekicher nicht unterdrücken.
»Okay, ich kann nicht tanzen, ich geb‘s zu. Ich habe keine Kontrolle über meine Arme und Beine, die tun einfach, was sie wollen, wenn sie Musik hören und …«
»Und?«
»Und wenn ich getankt bin. Sagt man das so … nein … getankt habe?«
»Ja.«
»Musst du morgen wieder arbeiten?«
»Ja, die ganze restliche Woche:«
»Ich hole dich ab, ja? Ich koche für uns beide, was hältst du davon?«
»Finn …?«
»Ja?«
»Ich finde außerdem, dass du umwerfend aussiehst …«
»Es gibt viel besser aussehende Männer.«
»Nicht sehr viele.«
»Was ist mit diesem Tom?«
Ein Zucken ging durch meinen Körper. Ich hoffte betreten, dass Finn nichts bemerkt hatte.
»Hm, nicht mein Typ.«
Er schwieg für einen Moment und sagte dann: »Also, was sagst du zu meinem Exklusivangebot? Ich koche uns ein Drei-Gänge-Menü, den Nachtisch darfst du wählen!«
»Woher kannst du so was denn?«
»Habe ich von einem Fernsehkoch gelernt, ein Freund von mir.«
»Du schüchterst mich ein!« Ich biss mir klischeehaft auf die Unterlippe.
Finn drehte sich auf den Rücken, legte die Füße übereinander und starrte wieder zur Decke.
Dann flüsterte er auf einmal: »Val, ich mag dich ... und zwar sehr, viel zu sehr!«
Was? Was hast du gesagt?
Doch ohne ein weiteres Wort stand er abrupt auf und lief aus dem Zimmer. Ich sah ihm verdattert hinterher und fragte mich, ob er wirklich gerade das gesagt hatte, was ich glaubte, gehört zu haben? Oder ob ich mich grandios verhört hatte, und warum er so etwas sagte und dann aufsprang und weglief, ohne meine Reaktion abzuwarten?
Ich kroch komplett unter die Bettdecke, um in aller Heimlichkeit ins Kissen schreien und vor lauter Glück um mich treten zu können.
»Val?« Finn hob die Bettdecke, lugte in mein stickiges Versteck und fand mich zusammengerollt und selig schmunzelnd.
»Komm wieder ins Bett, Finn«, bettelte ich mit großen Kulleraugen.
»Es ist spät«, sagte er zärtlich.
»Na und, bitte!«
»Du musst morgen arbeiten, und ich habe Lenny versprochen, dass ich mit ihm seine komische ‚To-Do-Liste‘ durchgehe.«
»Seine was?«, stieß ich verständnislos hervor. «Willst du jetzt echt gehen? Ich dachte, wir machen noch etwas rum?« Ich wollte nicht, dass er jetzt ging, jetzt, wo er mein Leben auf den Kopf gestellt hatte.
»Wir sehen uns morgen! Ich habe dir ein Drei-Gänge-Menü versprochen, weißt du nicht mehr? Ich werde mit meinen Einkaufstüten um halb acht vor deiner Tür stehen! Valerie! Komm endlich hervor.«
Ich kroch hoch, setzte mich auf, bedeckte mit den Armen scheinbar eingeschnappt meine Brüste und sah Finn dabei zu, wie er seine Chucks zuschnürte und seine Jacke überzog …
Irgendwie ein wenig zu hektisch, fand ich. Ich seufzte. »Krieg ich denn wenigstens noch einen Kuss?«
Er setzte sich zu mir auf den Bettrand, nahm mein Gesicht in seine Hände und drückte mir einen warmen, weichen Kuss auf die Lippen.
»Schlaf gut, Babe«
»Bin noch gar nicht richtig müde! Grüß Lenny, ja?«
»Mach ich.«
Dann war er weg.