Kapitel 13

Jeff Harper hatte beschlossen, vorerst auf Vanessas Spiel einzugehen. Er wollte wissen, was sie genau mit ihm vorhatte, um zu gegebener Zeit zurückschlagen zu können.

Jeff sah, daß Gonny verzweifelte Grimassen schnitt, als er mit Vanessa das Zimmer verlassen wollte. Wahrscheinlich hatte Gonny vor, ihn zu warnen, doch Jeff kümmerte sich nicht darum.

»Ich werde dir jetzt die Burg zeigen«, sagte Vanessa mit einschmeichelnder Stimme, »und auch den Platz, wo ich schlafe. Du wirst überrascht sein.«

Jeff blickte Vanessa schräg von der Seite her an. Er konnte sich denken, wo sie ihr Ruhelager hatte. In einem Sarg, das liebten Vampire so.

Sie gingen nicht zur Treppe, sondern liefen in die andere Richtung auf eine schmale Tür zu.

Währenddessen berichtete Vanessa Wissenswertes über die Burg. Daß sie schon achthundert Jahre alt sei und allen Stürmen der Geschichte getrotzt habe. Dabei vergaß sie aber nie zu erwähnen, wie sehr sie sich freue, Jeff begegnet zu sein.

Sie gelangten in einen Rittersaal. Die hohe Decke zierte ein Schlachtengemälde aus der Kreuzritterzeit. Unter den Rundbogenfenstern standen entlang der Wände hölzerne Bänke. Die Dielen des Bodens waren blank geputzt. Manchmal bog sich das Holz auch unter der Last der Schritte.

»Ich hätte doch gern einmal den Burgkeller kennengelernt«, sagte Jeff. »Du hast mir bisher immer nur von Diablo Negro erzählt. Bitte, zeig ihn mir, und was bedeutet er eigentlich für dich?«

»Alles der Reihe nach«, erwiderte Vanessa. »Du bekommst den Meister schon früh genug zu sehen.«

Jeff blieb stehen. »Den Meister?«

»Ja, so nennen wir ihn. Er ist ein phantastischer Mann. Auch er hat den Wunsch geäußert, dich zu sehen. Ich werde dich ihm noch heute vorstellen.«

Vanessa führte Jeff durch das Schloß. Der Urlauber wurde langsam ungeduldig. Er konnte es kaum erwarten, auf Diablo Negro zu treffen.

Vanessa merkte ihm die Ungeduld an. Ihr machte es Spaß, Jeff Harper noch weiter auf die Folter zu spannen und ihr Spiel mit ihm zu treiben.

Einmal zog sie ihn sogar in eine dunkle Ecke und wollteihn küssen. Jeff gelang es nur mit Mühe, sie abzuwehren, ohne sie dabei zu verletzen. Er spielte ihr weiterhin den Überraschten und Vertrauensseligen vor.

Dann endlich war der Zeitpunkt gekommen, wo Jeff Diablo Negro kennenlernen sollte.

»Wir müssen nach unten in die Halle gehen«, sagte Vanessa. »Dort wartet er auf uns.«

Jeff nickte.

Vanessa hatte sich wieder bei ihm eingehakt, und wie ein Hochzeitspaar schritten sie die breite Treppe hinab.

Unten in der Halle brannten nur wenige Lichter. Die schwarzen Kerzen verbreiteten ein schauriges, dämonisches Licht, das sich wie ein Schleier über die anwesenden Gestalten legte.

Diablo Negro wartete mitten in der Halle auf Jeff Harper.

Er hockte wie ein Pascha auf einem hohen hölzernen Thron, dessen Rückenlehne spitzbogenförmig zulief. Darauf saß eine holzgeschnitzte Fledermaus. Sie überragte ihn ebenso wie das rote Wappen mit den Initialen D.N. Diablo Negro trug wieder seinen schwarzen Umhang mit dem hohen steifen Kragen, und auch das goldene Amulett glänzte im Widerschein der Kerzen.

Zu dem Thron führten drei Stufen hoch, und Vanessa, die Diablo Negro mit einem hörigen Blick ansah, löste sich plötzlich von Jeff und ließ sich zu Füßen des Vampirs auf der untersten Stufe nieder.

Zwei andere, blaß wirkende Frauen hatten den Thron zu beiden Seiten flankiert und dabei ihre Zähne gefletscht. Obwohl Jeff noch auf der Treppe stand, konnte er deutlich die hervorstehenden langen Vampirzähne erkennen.

Diablo Negro hatte ein Händchen für Schaueffekte, das mußte man ihm lassen.

An dem langen Tisch, der etwas in den Hintergrund geschoben worden war, saßen vierundzwanzig Frauen und präsentierten grausam lächelnd ihre Zähne.

Tief atmete Jeff Harper ein.

Er hätte es sich ja denken können. Die Frauen waren durch die Bank Blutsaugerinnen. Schon am gestrigen Tag, als er die Burg erreicht hatte, war dieser Verdacht in ihm aufgekeimt, obwohl die Frauen sich da noch gesittet benommen hatten. Und als er in der Nacht bis zum frühen Morgen hindurch Vanessas Tagebuch gelesen hatte, war sein Verdacht zur Gewißheit geworden.

Und jetzt hatte Jeff die Bestätigung.

Diablo Negro hob den rechten Arm und machte eine einladende Handbewegung.

»Warum kommen Sie nicht näher, Señor?« fragte er. »Ich beiße nicht. Noch nicht«, fügte er grinsend hinzu.

Das würde dir auch schlecht bekommen, dachte Jeff. Doch ihm war unwohl bei dem Gedanken.

Er ging die letzten Stufen der Treppe hinunter. Die Blicke der Vampirinnen verfolgten ihn dabei. Jeff las die Gier nach Blut in ihren Augen, und er fragte sich, wie er diesen Bestien entkommen konnte.

Es würde schwer werden, wenn nicht sogar unmöglich.

Ab und zu kicherten die Vampirinnen. Jeff sah Serena am Ende der langen Reihe sitzen. Auch sie besaß jetzt ein gräßliches Vampirgebiß. »Es ist schade, daß er mir nicht gehört«, hörte er sie flüstern. »Sein Blut hätte mir besonders geschmeckt.«

»Mir auch«, sagte eine andere und kicherte.

Jeff ließ sich davon nicht beeindrucken. Drei Schritte vor Diablo Negros Thron blieb er mit verschränkten Armen stehen.

Diablo Negro blickte ihn lächelnd an. »Sie scheinen sehr mutig zu sein, Señor«, sagte er. »Vanessa hat nicht übertrieben, als sie mir von ihrem Jeff berichtete.«

»Ich bin nicht ihr Jeff«, sagte Harper wütend.

»Das habe ich mir denken können«, entgegnete der Vampir mit falscher Freundlichkeit.

Jeff lächelte spöttisch. »Sie enttäuschen mich, Diablo Negro. Ihren Gespielinnen können Sie vielleicht mit diesem Mummenschanz hier imponieren, mir nicht.«

Jeff hatte bewußt provozierend gesprochen. Und er hatte Erfolg damit.

Das Gesicht des Hausherrn verzerrte sich vor Wut.

An den Tischen sprangen einige Vampirinnen auf. Auch Vanessas Haltung versteifte sich.

»Sie wagen es, so mit mir zu reden?« kreischte der Vampir. »Ich werde Sie zur Ader lassen!« Der Hausherr beugte sich vor. »Erst wird sich Vanessa mit dir beschäftigen.« Er war in seiner rasenden Wut zum Du übergegangen. »Und wenn Vanessa mit dir fertig ist, bekommen dich die anderen Frauen. Sie gieren schon nach deinem Blut.«

Die Vampirinnen kreischten bei den letzten Worten ihres Paschas zustimmend. Sie waren jetzt alle aufgesprungen und hatten Jeff gegenüber eine drohende Haltung eingenommen.

Auch Vanessa fletschte ihre Zähne. Die blutgierigen Hauer verwandelten ihr Gesicht zu einer Fratze.

Jeff war etwas zurückgegangen. Seine rechte Hand hielt er in der Innentasche der Jacke zur Faust geballt. Er war auch bereit, seine Pistole zu ziehen, wenn es nötig war. Aber er hatte keine Silberkugeln im Magazin, und so vertraute er mehr auf sein Kreuz, das er um den Hals trug.

Noch brauchte er es nicht.

Diablo Negro sprang plötzlich auf. Seine Arme schnellten in die Höhe, und augenblicklich trat Ruhe ein. Der Pascha-Vampir hatte seine Gespielinnen gut im Griff, das mußte Jeffihm zugestehen.

»Aber noch haben Sie eine Gnadenfrist, Señor. Ich erwarte einen Besuch. Eine liebe Freundin von mir wird hier eintreffen. Sie soll sich dieses Schauspiel nicht entgehen lassen. Ein besseres Zeichen meiner Macht hätte ich ihr gar nicht bieten können.«

Jeff Harper, der die unmittelbare Gefahr gebannt sah, bekam wieder Oberwasser.

»Darf man fragen, wie Ihr Besuch heißt?« erkundigte er sich mit lauernder Stimme.

»Ja«, rief der Vampir. »Es ist Rebecca, die Königin der Vampire. Sie kommt, um mich zu bitten, in ihren Bund einzutreten!«

Jeff durchschoß es siedendheiß.

Rebecca! Sie hatte es also doch geschafft. Und sie war schon weiter, als Jeff gelesen hatte. Er hatte plötzlich das Gefühl, daß diese Frau überhaupt nicht sterben würde.

Jeff spann den Faden nicht mehr weiter, denn plötzlich wurde die Tür geöffnet, und eine von Diablo Negros Gespielinnen brachte eine Frau in die Halle.

Ein blondhaariges, junges Ding. Es trug einen Jeansanzug. Etwas verwundert blickte sich die Frau um. Dann sagte sie mit leiser, aber nicht zu überhörender Stimme: »Mein Name ist Jutta König! «