Kapitel 2

Niemand hätte unter dem Haus in der belebten Wiener Geschäftsstraße ein weitverzweigtes unterirdisches Tunnelnetz vermutet. In den zahlreichen Gängen, Winkeln und Nischen konnte sich ein Unkundiger verlaufen. Filmregisseure hätten sicherlich Spaß an diesem Gewölbe gehabt, doch daß keine Fremden dieses Reich betraten, dafür sorgte schon Rebecca, die Herrin des Hauses.

Die Frau hatte sich in Wien gut zurechtgefunden. Von hier aus steuerte sie ihre Pläne, hier war die Schaltzentrale ihres Reiches. Sie hatten Boten ausgesandt, die andere große Vampirsippen auf dem europäischen Kontinent mobil machen sollten. Rebecca wollte die Allianz der Vampire.

BLOOD IS BEAUTY!

Mehr denn je stand dieser Wahlspruch auf ihrem Programm. Jahrhundertelang waren die Vampire unterdrückt, waren von anderen Dämonensippen ins Abseits gestellt worden, doch das sollte nun anders werden.

Rebecca wollte zurückschlagen. Unter ihrer Herrschaft sollten die Vampire eine neue Blütezeit erleben.

Wien befand sich in den Händen der Blutsauger. Alle anderen Dämonen waren panikartig geflüchtet, und wenn sie nicht von selbst verschwanden, hatten Rebecca und ihre Freundinnen nachgeholfen. Wie Nora es in der vergangenen Nacht getan hatte.

Alles lief nach Plan.

Rebecca konnte zufrieden sein.

Sie war eine außergewöhnliche Erscheinung. Für eine Frau überdurchschnittlich groß, mit pechschwarzen, in der Mitte gescheitelten Haaren. Die dunkle Haarflut fiel bis über die Schultern und ließ das schmale bleiche Gesicht noch blasser erscheinen. In diesem Gesicht fielen besonders die großen dunklen Augen auf, die den Betrachter an tiefe Kohlenschächte denken ließen. Die Figur der Frau war tadellos. Rebecca trug ein langes weißes Kleid, dessen Schnitt die gut geformten Brüste besonders betonte.

Rebecca war nicht allein. Nora, ihre Vertraute, hielt sich noch im Raum auf. Die beiden Frauen saßen sich gegenüber und tranken aus wertvollen Pokalen blutroten Wein. Nora hatte soeben die Erfolgsmeldung gebracht, daß sich in Wien keine anderen Dämonen mehr aufhielten, außer den Vampiren.

Wien war praktisch gereinigt.

»Auf unseren Erfolg«, sagte Rebecca und hob ihr Glas. Nora tat es ihr nach.

Die beiden Frauen tranken. Zwischen ihnen herrschte ein seltsames Verhältnis. Rebecca hatte Nora aus Rumänien mitgebracht. Sie hatte dort auf einem Bauernhof gearbeitet und war nebenbei noch Sklavin eines alternden Vampirs gewesen.

Rebecca hatte ihn getötet und Nora dann zu sich genommen.

Nora war unendlich dankbar, daß Rebecca sie von ihrem schrecklichen Los befreit hatte.

»Nun herrschen wir«, sagte Nora und stellte ihr Glas weg. Sie trug ein buntbesticktes Kleid im Bauern-Look. Das etwas breite Gesicht mit den hochstehenden Wangenknochen drückte Zufriedenheit aus.

»Wir haben es geschafft«, sagte sie. »Endlich!«

Nora hob wieder ihr Glas und trank einen Schluck. Auch Rebecca trank. Sie hatte sich in dem Haus des ehemaligen Dämonenschiedsrichters Skarabäus Toth gut eingelebt. Sie hatte daraus eine Vampirzentrale gemacht und steuerte von hier aus ihre Unternehmen.

Eine Botin unterbrach die traute Zweisamkeit der beiden Frauen.

Das Mädchen, es war blond und hatte ein kindliches Gesicht, in dem die Vampirzähne besonders auffielen, blieb abwartend an der Tür stehen.

»Was bringst du uns für Neuigkeiten, Marisa?« fragte Rebecca.

»Emilio Terruzzi, ein Sippenchef aus Neapel, hat uns Unterstützung zugesagt.«

Rebecca lachte.

»Siehst du«, sagte sie triumphierend zu Nora. »Es klappt immer besser.« Dann zu Marisa gewandt: »Hast du noch mehr Neuigkeiten?«

»Ja.«

»Rede schon.«

»Eike Maikonen, Herr der finnischen Wälder, hat sich ebenfalls unserem Bund angeschlossen. Er hat in seiner Heimat sogar schon die Werwölfe vertrieben.«

Rebecca klatschte vor Begeisterung in die Hände.

»Phantastisch!« rief sie aus. »Wunderbar!« Sie sprang auf. »Ich sehe es schon vor mir: Europa unter der Herrschaft der Vampire. Luguri wird toben. Seine Macht beginnt zu bröckeln. Ich bin gespannt, was er noch unternimmt.«

»Du solltest ihn nicht zu sehr unterschätzen«, warnte Nora.

Rebecca machte eine wegwerfende Handbewegung. »Was will er uns denn schon antun? Gegen einzelne von uns kann er wohl ankämpfen, aber gegen die geballte Macht der Vampire steht er auf verlorenem Posten. Hast du noch mehr Nachrichten, Marisa?«

»Die englischen Vampire werden auch bald auf unserer Seite stehen, Rebecca, aber eine genaue Information muß ich noch abwarten.«

Rebecca nickte. »Gut, dann geh jetzt!«

Die Dienerin verschwand lautlos.

Rebecca hob ihr Glas. Sie sah Nora an. »Na, was habe ich dir gesagt? Wir schaffen es!«

Nora nickte. Wieder einmal war sie froh, bei Rebecca leben zu dürfen.

In den nächsten Stunden trafen weitere Erfolgsmeldungen ein, doch dann fiel ein Wermutstropfen in die euphorische Freude der Vampirinnen. Ein Besucher hatte sich angemeldet.

Es war Zakum, Luguris Archivar.

Rebeccas Gesicht verfinsterte sich. Sie mochte Zakum nicht. Er war ein Intrigant, dazu eiskalt und berechnend. Zakum stammte aus einem uralten Dämonengeschlecht. Er hatte von Luguri die Aufgabe bekommen, das Dämonenarchiv neu zu ordnen. Es hatte schon einmal ein Archiv gegeben, aber bei den Machtkämpfen zwischen den einzelnen Führern der Schwarzen Familie war es abhanden gekommen. Die Daten befanden sich in verschiedenen Händen. Luguri besaß nur einen Teil davon, und er wollte sich wichtige Informationen bei dem ehemaligen Oberhaupt der Schwarzen Familie besorgen.

Zakum sollte die neuen Informationen zur Archivierung erhalten.

»Laß ihn hereinkommen«, sagte Rebecca.

Aber Zakum war schon da. Er schob die Botin einfach zur Seite, was Rebecca mit einer wütenden Bemerkung quittierte, und schloß die Tür.

»Ich freue mich, dich zu sehen, Rebecca«, sagte Zakum, und seine Stimme triefte vor Hohn.

Er hatte das Gesicht mit der verrunzelten Haut zu einem widerlichen Grinsen verzogen. Dabei rieb er sich die dünnen, spinnengleichen Finger, und in seinen Augen stand ein böses Leuchten.

Zakum war die Bösartigkeit und Verschlagenheit in Person. Niemand kannte seine genaue Herkunft, aber man munkelte, daß er Verbindungen zu den Dämonen aus dem centro Terrae hatte. Zakums Macht war groß, und er stand unter Luguris persönlichem Schutz. Er war ein Chamäleon, konnte sich einerseits phantastisch anpassen, andererseits wieder spielte er die Dämonen untereinander aus.

Rebecca bot Zakum keinen Platz an. Ihre gute Laune war im Nu verflogen.

»Was willst du?« fragte sie ihn.

Zakum behielt sein böses Lächeln bei. Er sah sich im Raum um und nickte anerkennend. »Du hast dich hier sehr gut eingelebt, liebe Rebecca. Kompliment!«

»Du bist doch nicht gekommen, um mit mir über das Haus zu reden«, sagte Rebecca.

»Warum denn so eilig? Ich habe das Gefühl, du bist sehr undankbar, liebe Rebecca.«

»Ich bin nicht deine liebe Rebecca. Sag endlich, was du willst! Und dann geh wieder.«

Das Grinsen verschwand aus dem Gesicht des Dämons und machte einer bösartigen Fratze Platz. Die langen Spinnenfinger gegeneinandergelegt, sagte der Archivar: »Ich hoffe, du hast nicht vergessen, wem du das alles hier zu verdanken hast?«

»Worauf willst du hinaus?«

»Das weißt du ganz genau, Rebecca. Ich meine, du solltest Luguri gegenüber dankbarer sein. Schließlich ist er es gewesen, der dir dies hier alles ermöglicht hat.«

Jetzt begann Rebecca zu lachen. »Sag mal, spinnst du?«

Zakum trat einen Schritt zurück. Ein böses Leuchten lag in seinen Augen. »Bisher hast du es nur der Güte und Großmut Luguris zu verdanken, daß du hier schalten und walten kannst. Aber auch seine Geduld ist mal erschöpft. Ich warne dich, Rebecca. Treib es nicht zu toll. Gib deinen Plan auf, oder mit dir und deinen primitiven Blutsaugern wird etwas Schreckliches passieren.«

Wenn Zakum gedacht hatte, Rebecca würde aus der Haut fahren, dann hatte er sich getäuscht. Die Vampirin begann plötzlich zu lachen. »Sieh an, der große Luguri läßt mich warnen. Er stellt mir ein Ultimatum. Daß ich nicht lache! Früher hat er doch immer sofort zugeschlagen, warum auf einmal dieser Umweg? Hat er etwa Angst? Ist seine Macht gebrochen? Ich fürchte mich nicht vor ihm, das kannst du ihm bestellen, Zakum. Für mich hängt Luguris Macht nur noch an einem seidenen Faden, der jede Stunde zerschnitten werden kann. Geh zu ihm zurück, Zakum, und bestelle ihm von mir, er soll sich zurückziehen. Noch ist es Zeit. Denn bald wird ein anderer die Herrschaft der Schwarzen Familie übernehmen.«

»Wer sollte das denn sein?« fragte Zakum lauernd. »Etwa du?«

»Darauf gebe ich dir keine Antwort.«

»Du hast also nichts mehr zu sagen?«

Rebecca schüttelte den Kopf, so daß ihre Haare wie ein Vorhang über das Gesicht wischten. »Nein, ich habe alles gesagt. Und jetzt verschwinde!«

Zakum lächelte wieder falsch. »Gut, ich werde es Luguri bestellen. Aber hüte dich, Rebecca. Luguri ist bisher mit jedem fertig geworden. Auch dich wird er vernichten. Er wird dich zu einem Freak machen, und dann wirst du bis in alle Ewigkeiten …«

»Hinaus!« schrie Rebecca.

Zakum begann zu lachen, warf Rebecca und Nora noch einen wilden Blick zu und verließ das Zimmer. Hart schlug er die Tür hinter sich zu.

Nora, die sich an dem Dialog zwischen Zakum und der Vampir-Königin nicht beteiligt hatte, sah Rebecca fragend an. »Hast du keine Furcht?«

»Nein!« erwiderte Rebecca hart. »Luguri soll nur kommen. Ich nehme es auch mit ihm auf. Bald werden wir mächtig genug sein, um ihm die Stirn bieten zu können. Und das weiß er genau. Wie ich ihn kenne, wird er Verbündete suchen, denn so fest steht sein Thron auch nicht mehr.«

Rebecca nahm das Weinglas und trank es mit einem Schluck leer.