Kapitel 6

Jeff Harper wurde in einen prächtig ausstaffierten Baderaum geführt.

Die Marmorwanne war in den Boden eingelassen und besaß eine ovale Form. Kacheln bedeckten die Wände, und der Terrazzo-Boden stellte als Mosaik eine nackte Frau dar.

Aus einem Nebenraum wurde heißes Wasser herbeigeschleppt. Dies erledigten zwei Frauen. Das Wasser – mit Essenzen und Kräutern angereichert, schwappte in Holzkübeln. Es schien den Trägerinnen nichts auszumachen, die schweren Gefäße zu schleppen – im Gegenteil, Jeff wurde mit strahlendem Lächeln begrüßt.

Die Wanne war schon zur Hälfte gefüllt. Das Wasser schimmerte blaugrün. Dunstschwaden stiegen empor. Ihr Aroma kitzelte Jeffs Nasenschleimhäute. Es war jedoch kein unangenehmer Geruch, und Jeff freute sich auf das Bad.

Die beiden Frauen – Jeff hatte sie noch nicht unten in der Halle gesehen – trugen lange weiße Gewänder, die sie mehrmals um den Körper geschlungen hatten. Die Haare hatten sie hochgesteckt, und auf ihren Gesichtern schien das Lächeln festgefroren zu sein.

Jeff kam sich vor wie in einem Traum. Diese Pracht im Burginnern erinnerte ihn an ein Märchen aus Tausendundeine Nacht.

Und doch blieb ein kleiner Rest von Mißtrauen in ihm. Etwas hatten diese Frauen bestimmt zu verheimlichen. Ihr Lächeln war zu glatt, ihr Gehabe zu unnatürlich.

Der Baderaum besaß kein Fenster. Jeff entdeckte aber einen Luftschacht unter der Decke. Vier gedrehte Wachskerzen, deren Flammen durch zylinderförmige Glasbehälter geschützt wurden, spendeten Licht.

»Möchtest du, daß dich jemand wäscht?« fragte Serena und sah Jeff dabei tief in die Augen.

Obwohl der Gedanke daran verlockend war, wehrte Jeff ab.

»Nein, ich werde schon allein fertig.«

»Ist auch gut.« Serena lächelte. Dann klatschte sie in die Hände, und die beiden Helferinnen verschwanden. Die Wanne war inzwischen gefüllt.

Auch Serena ging zur Tür. Bevor sie diese jedoch erreicht hatte, sagte sie: »Ich erwarte dich nach dem Bad unten in der Halle. Wir werden festlich speisen.«

»Ich komme.«

Jeff wartete, bis Serena verschwunden war und zog sich dann aus. Seinen Magnetstab hatte er zusammengeschoben. Er steckte in der Innentasche des Jacketts.

Die Frauen hatten ihm sogar frische Unterwäsche bereitgelegt und einen Hausmantel aus dünner knisternder Seide. Auf den wollte Jeff jedoch verzichten. Er fühlte sich in seiner normalen Kleidung wohler.

Aufatmend legte sich Jeff Harper in die Wanne. Er lag fast unter dem Luftschacht. Ein kühler Windzug streichelte sein Haar.

Jeff machte die Beine lang und entspannte sich. Das mit Essenzen angereicherte Wasser tat ihm sehr gut. Er fühlte, wie sein Blutkreislauf in Wallung geriet. Dabei überzog ein angenehmes Prickeln seine Haut. Aber Jeff spürte auch die Müdigkeit, die sich in seinen Gliedern ausbreitete. Am liebsten hätte er geschlafen. Es bereitete ihm Mühe, die Augen offenzuhalten.

Und plötzlich hörte er Stimmen.

Frauenstimmen.

Jeff setzte sich auf. Im ersten Augenblick war ihm nicht klar, woher die Stimmen kamen, dann fiel ihm der Luftschacht ein. Er mußte wie ein Trichter wirken und die Stimmen noch verstärken.

Jeff lauschte jetzt konzentriert.

»Was er wohl dazu sagt?« hörte er eine kichernde Stimme.

»Gar nichts. Er ist Gönner.«

»Glaubst du?«

»Sicher.«

»Dann lassen wir uns überraschen.«

Jeff furchte die Stirn. Von wem hatten die Frauen gesprochen? Wen meinten sie mit »er«? Gab es hier außer ihm und Gonny noch andere Männer im Haus?

Jeff hatte plötzlich keine Lust mehr, in der Wanne sitzen zu bleiben. Er stieg aus dem Wasser und griff nach dem flauschigen Badetuch. Er hüllte sich darin ein und trocknete seinen Körper ab. Anschließend schlüpfte er wieder in seine Kleidung und ging zurück in die große Halle, wo die Frauen bereits auf ihn warteten.

Gonny konnte er nirgendwo entdecken. Dafür kam ihm Serena entgegen.

»Komm«, sagte sie, »es ist schon alles vorbereitet.«

Das war es tatsächlich. Der lange Tisch war gedeckt. Er bog sich beinahe unter der Last der Speisen. Der Duft von gebratenem Geflügel kitzelte Jeffs Nase. Er sah gefüllte Obstschalen, Terrinen mit Gemüse, und in den Gläsern funkelte der erlesenste Wein.

Erst jetzt spürte Jeff, wie hungrig er war. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, und als ihm Serena einen Stuhl zurechtrückte, ließ Jeff sich lächelnd darauf nieder.

Er nahm einige mit Zwiebeln garnierte Lachsscheiben als Vorspeise, danach aß er zwei Hähnchenkeulen und paßte beim Dessert. Süßspeisen vertrugen sich nicht allzugut mit seiner Figur. Dafür aß er etwas Obst.

Draußen fielen bereits die ersten langen Schatten der Dämmerung ins Tal, als Jeff Harper sich behaglich und gesättigt zurücklehnte. Er war zufrieden. Serena bot Jeff noch einen Mokka an, und der Urlauber sagte nicht nein.

Er und vier Frauen – darunter auch Serena und Carmen zogen sich in einen Extraraum zurück. Er war als Salon eingerichtet und besaß zwei kleine Sitzecken mit runden zierlichen Tischen. Auch hier brannten Kerzen, die ein anheimelndes Licht verbreiteten. Eine Frau zog die langen Vorhänge vor die Fenster.

Der Mokka dampfte bereits in den kleinen hauchdünnen Porzellantassen. Jeff trank ihn in langsamen Schlucken. Er schmeckte ihm ausgezeichnet.

Die jungen Frauen sahen ihn an. Links neben ihm saß Carmen, den rechten Platz hatte Serena eingenommen. Jeff spürte ihren Oberschenkel, der gegen den seinen drückte.

Er gönnte sich eine Zigarette. Mit einer brennenden Kerze gab man ihm Feuer.

Jeff lehnte sich zurück und stieß den Rauch durch die Nasenlöcher aus. Die Frauen betrachteten ihn mit unverhohlenem Interesse. Hin und wieder lachten sie oder flüsterten sich etwas zu. Dann wieder warfen sie Jeff verstohlene Blicke zu, und der Hahn im Korb wußte bald nicht mehr, woran er war.

Entschlossen drückte er seine Zigarette aus. Dann fragte er: »Was wird hier eigentlich gespielt? Ich meine, es ist zumindest etwas außergewöhnlich, daß eine Burg nur von hübschen Frauen bewohnt wird. So etwas gibt es höchstens mal im Märchen.«

Serena war es, die auf Jeffs Frage antwortete. Sie legte ihre Hand auf sein Knie und bewegte langsam ihre Finger. »Solange wir zurückdenken können, wurde die Burg nur von Frauen bewohnt. Männer haben immer einen Bogen um dieses Gemäuer gemacht. Warum – das weiß ich auch nicht. Und dabei sehen wir doch wirklich ganz passabel aus – oder?«

Serena reckte sich vor, so daß die Brüste den Stoff ihres Kleides spannten. Die anderen Frauen begannen wieder zu lachen. »Ich würde vor euch nicht davonlaufen«, sagte Jeff nickend, »aber es muß doch einen Grund geben, warum es die anderen Männer getan haben.«

»Das wissen wir auch nicht«, erwiderte Carmen an Serenas Stelle. »Es ist nun mal so.«

»Wie viele Frauen wohnen auf der Burg?« wollte Jeff wissen.

»Über zwanzig.«

Harper pfiff durch die Zähne. »Das ist allerhand. Und woher kommen sie?«

»Von überall.«

Jeff schüttelte den Kopf. »Ich meine, welchen Grund hattet ihr, diese verlassene Burg auszusuchen? Gibt es hier etwas Besonderes?«

»Kaum«, antwortete Serena. »Viele von uns wollen nichts mit Männern zu tun haben.«

»Dann sind mein Freund und ich die einzigen Männer auf der Burg?«

Die Frauen nickten und lachten. Sie schienen sich köstlich zu amüsieren.

Jeff schüttelte den Kopf. »Ich verstehe das alles nicht. Ich sehe auch nur junge Frauen hier. Wie alt seid ihr?«

»Das ist verschieden«, sagte Serena. »Hier haben schon viele gewohnt. Einige haben auch regelrecht Tagebücher geschrieben, aber von den meisten haben wir Aufzeichnungen gemacht. So etwas wie Lebensläufe.«

»Und wo befinden sie sich?« fragte Jeff. Er ahnte, daß jede Frau viel älter war als er. Trotzdem sahen sie so jung aus.

»In der Bibliothek. Wir haben alles nach Jahrgängen geordnet. Man findet sich sofort dort zurecht.«

Jeff lehnte sich zurück und griff nach der Zigarettenschachtel. »Diese Bibliothek ist ja interessant. Und ihr sagt, die einzelnen Daten gehen lange zurück?«

»Ja.«

Wieder bekam Jeff Harper Feuer gereicht.

»Könnte es dann unter Umständen sein, daß ihr Aufzeichnungen über eine gewisse Vanessa habt?«

»Kann sein«, meinte Serena, und auch Carmen nickte, während die anderen beiden Frauen zu lachen anfingen.

Jeff Harper war mit der Antwort nicht zufrieden. »Washeißt vielleicht? Habt ihr die Aufzeichnungen oder nicht?«

»Dazu müßten wir in der Bibliothek nachsehen.«

»Das kann ich auch erledigen.«

Serena hob bedauernd die Schultern. »Tut mir leid, Jeff, aber das ist unmöglich.«

»Und warum?«

»Wir haben …« Und jetzt mußte sogar Serena lachen. »Wir haben den Schlüssel verloren. Wir müssen ihn erst suchen. Morgen vielleicht, da könnte es gehen.«

»Ja, morgen«, sagte eine der Frauen und begann wieder zu lachen.

»Ihr seid vielleicht ein komischer Verein«, sagte Jeff Harper und schüttelte den Kopf. »Ich dachte immer, bei Frauen würde Ordnung herrschen, doch dem ist anscheinend nicht so. Na ja, dann eben morgen.« Jeff stand auf und hatte Mühe, ein Gähnen zu unterdrücken.

Serena merkte das wohl. Sie erhob sich ebenfalls und hakte sich bei Jeff unter. »Komm, ich zeige dir dein Zimmer.«

Jeff rief den anderen Frauen noch einen Gutenachtgruß zu und verließ mit Serena den Salon. Er hörte noch, wie Carmen sagte: »Ein sehr schöner Mann.«

Jeff maß dieser Bemerkung keinerlei Bedeutung zu. Erfragte sich nur die ganze Zeit, wo Gonny geblieben war. Hoffentlich machte er keinen Unsinn. Jeff kannte seine Späße schließlich. Ob er damit bei den Frauen auf Gegenliebe stoßen würde, war zumindest fraglich.