ZEHNTES KAPITEL

Ich wachte auf, weil Rodenstock vorsichtig die Tür öffnete und das Funktelefon aus der Halterung nehmen wollte.

»Wieviel Uhr ist es?« fragte ich.

»Drei«, sagte er leise. »Drei Uhr nachmittags.«

»Wieso weckt ihr mich nicht eher?«

»Weil Sie müde sind. Wir sind alle müde.«

»Irgend etwas Neues? Hat man diese Heroin-Boys gefunden?«

»Sie sind nicht in der Szene. Weder in Frankfurt noch in einer anderen Großstadt. Aber es stimmt, sie sind seit ungefähr einer Stunde vor dem Klau des Geldtransporters spurlos verschwunden.«

»Was macht Marker?«

»Er hat die Sonderkommission verständigt und jeden persönlich vergattert, nichts, aber auch gar nichts durchblicken zu lassen.«

»Hat die Prüfung dieser Zeitungen irgend etwas ergeben?«

»Nicht die Spur. Raffiniert gemacht: Es handelt sich um Bogen des Trierischen Volksfreundes und des hiesigen Wochenspiegels. Mit anderen Worten: Sie können aus nahezu jedem Haushalt stammen. Keine sonstigen Hinweise, nicht einmal Fingerabdrücke.«

»Das hatten wir schon mal. Es ist immer alles ganz normal. Aber diese Bundestagsabgeordneten plus die Kreisverwaltung werden uns das Genick brechen.«

»Wieso das?«

»Das ist doch ganz einfach. Wenn das Bundeskriminalamt darauf besteht, diesen Geldraub aufzuklären, muß es gleichzeitig damit einverstanden sein, daß die ganze Bundesrepublik über die Täter lacht. Eine Kreisverwaltung vorzuführen und den hiesigen Bundestagsabgeordneten einen Zusatzkurs in praktischer Landwirtschaft zu finanzieren, heißt doch, die gesamte Vulkaneifel lächerlich zu machen.«

»Das ist richtig«, meinte er betroffen.

»Es wird weitergehen«, versicherte ich ihm. »Ist mein Badezimmer ausnahmsweise auch für mich geöffnet?«

»Soweit ich weiß, ja«, sagte er. »Ich bringe Ihnen einen Kaffee.«

»Danke, Papa«, murmelte ich, und er hielt einen Moment inne, bedachte meine Worte und lächelte dann erfreut, ehe er verschwand.

Ich wickelte mich aus der Decke und sah, daß der Tag so heiß war wie der gestrige. Das Ozonloch schlug zu. Man mußte nicht mehr nach Fuerteventura fliegen, es reichte, in die Vulkaneifel zu trampen.

Marker kam in mein Arbeitszimmer und brummte: »Das mit diesen Bundestagsabgeordneten zieht uns die Schuhe aus.«

»Es werden weitere schlimme Botschaften kommen«, vermutete ich.

»Gemessen an den Geldgeschenken, haben wir es mit einem hochintelligenten Kopf zu tun. Ich hasse intelligente Verbrecher.«

»Ja, aber es macht mehr Spaß als mit einem drittklassigen Eierdieb, oder?«

Er grinste breit. »Mir macht nichts mehr Spaß.«

»Was sagt denn der Herr Landrat?«

»Hm«, kam es zurück. »Der Herr Landrat ist ein tüchtiger Mann und tut, was alle Menschen in dieser Lage tun würden, die tüchtig sind: Er läßt mir ausrichten, daß er mir das Zeitungspapier, in das das Geld gewickelt war, zuschicken wird, und ansonsten weiß er nichts und legt Wert auf die Feststellung, daß irgendwelche Abteilungen des Landratsamtes mit dieser Sache nicht befaßt sind.«

Rodenstock brachte meinen Kaffee und brummelte: »Etwas macht mir wirklich Kopfzerbrechen. Nehmen wir an, es ist jemand von hier. Einer als Solist kann es nicht geschafft haben, also eine Gruppe. Wo, verdammt noch mal, haben die den Geldtransporter verschwinden lassen?«

»Der Bundesgrenzschutz hat keine Spur gefunden«, sinnierte Marker. »Soll ich sämtliche Bauernhöfe und Scheunen der Umgebung absuchen lassen?«

»Das würde ich tun«, nickte ich. »Ist eigentlich noch eine Banane im Haus?«

»Nichts mehr«, sagte Rodenstock betrübt. »Wir sind kahlgefressen. Unger und seine angebetete Bettina sind beim EXTRA und kaufen alles für eine Belagerung. Da haben übrigens sechs Redaktionen angerufen. Sie wollen wissen, wie weit der Fall gediehen ist. Ich habe Ihnen das aufgeschrieben.«

»Und wo ist Elsa?«

»Unsere liebe Elsa liegt in der Sonne, und ich habe ihr vergebens erklärt, daß das wegen des Ozonlochs Mist ist«, gab Marker Auskunft. »Vielleicht sagen Sie es ihr noch mal.«

»Dann wird sie bissig. Was macht Frau Schuhmacher? Hat sie was gesagt? Hat sie ihren Mann getötet?«

»Einer der behandelnden Psychiater meint, ja«, berichtete Marker. »Aber ein Geständnis liegt nicht vor. Ich gehe jetzt eine Runde schlafen.«

»Wir suchen einen Geldräuber, der Geld raubt, um es zu verschenken«, überlegte Rodenstock. »Ist der nun verrückt oder nur gut?«

Ich ging hinauf ins Badezimmer, rasierte mich und aalte mich genußvoll unter kaltem Wasser. Dann machte ich mich landfein.

Elsa klopfte und fragte: »Bist du nackt?«

»Nein, würde es dir etwas ausmachen?«

»Nackt wäre mir lieber«, erklärte sie. Sie kam herein. »Was machen wir jetzt?«

»Ich würde mich gern um die Heroin-Brüder kümmern.«

»Aber die scheiden doch aus. Solche Leute kommen doch nicht in Betracht.«

»Als Täter? Als Täter stelle ich sie mir gar nicht vor. Aber da gibt es eine andere Frage. Sie waren in der Kneipe neben der Bank. Ungefähr eine Stunde vor der Tat. Dann tuckerten sie mit ihrem Trecker in Richtung Wiesbaum. Wir wissen von Wassi, daß unmittelbar nach dem Geldraub irgendwo in der Gegend ein kleiner Trecker tuckerte. Und seitdem sind die Treckerfahrer spurlos verschwunden. So irre das auch klingen mag: Aber vielleicht sind die beiden volles Rohr in diesen Coup hineingefahren?«

»Das ist aber eine sehr verzweifelte Konstruktion«, meinte sie rücksichtslos.

»Das gebe ich zu. Aber erst einmal besuchen wir die Frau in der grünen Tonne!«

Sie sah mich an, als zweifelte sie an meinem Verstand. »Wen, bitte?«

»Die Frau in der grünen Tonne.«

»Und wer, bitte, ist das?«

»Eine sehr nette, eine sehr feine und außerdem eine sehr kluge Frau.«

»Soviel Lob würde mir angst machen. Im Ernst, wer ist das?«

»Sie ist jemand, der viel hört, viel erfährt. Sie ist jemand, der niemals einen anderen verraten würde, selbst dann nicht, wenn er neuerdings achtzehn Millionen im Keller verstecken würde.«

»Was soll das mit der grünen Tonne?«

»Na ja, sie ist aus Köln, und sie frönt dem gesunden Leben. Das brachte es mit sich, daß sie hinter ihrem Haus eine riesige Plastiktonne aufgestellt hat, um das Regenwasser zu sammeln. Und jetzt kommt's: Vornehmlich in kalten Jahreszeiten steigt sie morgens splitterfasernackt in diese grüne Tonne.«

»Und sie lebt noch?«

»Sehr sogar.«

»Dann will ich sie kennenlernen.«

Wir fuhren also langsam in Richtung Schloßthal. »Es ist einfach schön hier!« seufzte Elsa.

Ich nickte. »Das sagt auch unser Oberförster, wenn er traumverloren seinen Dackel leckt.«

Sie lachte, reckte sich und zündete sich eine Zigarette an.

Die Frau in der grünen Tonne hieß eigentlich Conny. Sie war zu Hause und bastelte an ihrem frischgebauten Teich herum. Sie drehte sich herum, sah uns kommen und sagte: »Ich habe keinen Kuchen zu Hause. Grüßt euch, Spätzelein.«

Sie sagt immer Spätzelein oder Liebchen. Ich stellte Elsa vor und erklärte: »Wir kommen vorbei, um mit dir über das geklaute Geld zu reden. Weißt du irgend etwas?«

»Wollt ihr einen Saft oder so was? Nein? Na gut. Also, ich weiß nichts von dem Kies, außer daß ich ihn gut gebrauchen könnte. In meinem Teich ist übrigens schon ein Molch, nein, halt, zwei Molche. Und eine Kröte, buffo buffo, im Regenerationszustand. Sie hat ein Bein verloren, aber sie scheint sich wohl zu fühlen. Nein, Liebelein, ich weiß wenig, und ihr wißt sicher viel, viel mehr.«

»Das ist es eben. Eigentlich wissen wir auch nichts. Was sagen deine Flüstertüten?«

»Sie malen sich dauernd aus, was sie mit achtzehn Komma sechs Millionen alles anfangen würden. – Hast du den Kommentar von dem Bundestagsabgeordneten gelesen? Titel: Meine Landsleute sind redlich! Hast du das?«

»Nein. Das Fernsehen ist voll, die Tageszeitungen sind voll. Ich kann nicht alles lesen. Was sagt der Mann?«

»Er sagt, die Menschen in der Vulkaneifel sind redlich, ehrlich, hart arbeitende Menschen. Sie überlegen nicht einmal, wie sie dem Staat ans Bein pinkeln können. Der Arsch behauptet, sie kämen nicht einmal auf die Idee zu überlegen, wie man soviel Geld klaut.«

»Der Arsch lügt.« Elsa lächelte feinsinnig. »Irgendeiner ist auf die Idee gekommen.«

»Ja, ja, aber der Abgeordnete schreibt, es seien garantiert internationale Gangster, die die Naivität der Provinz benutzt hätten, dieses gewaltige Ding durchzuziehen.«

»Und was glaubst du?« fragte ich.

Sie hockte sich auf den Rand eines Blumenkübels, in dem Geranien wucherten. »Mir ist ehrlich gestanden das Geschrei zu laut. Immer nur hört man organisiertes Verbrechen, Gangstertum, Mafiamethoden. Na sicher, sie müssen ja brüllen, sie müssen ja betonen, daß ein Eifler auf so eine Idee nicht kommt. Gerade deshalb frage ich: Warum soll er denn nicht drauf kommen?«

»So denke ich auch«, murmelte Elsa.

»Das ist selbstverständlich«, sagte Conny. »Die Menschen hier waren Jahrhunderte hindurch Ausgenutzte, sie waren arm. Die Eifler Kuh war nicht größer als ein Bernhardiner, was alles sagt. Kann es denn nicht sein, daß jemand wütend wurde und sich dachte: Was andere können, kann ich auch!?«

»Es waren mindestens drei«, gab ich zu bedenken.

»Dann eben drei. Glaubst du, hier ist nur einer wütend?«

»Tauchen Sie wirklich im Winter in diese grüne Tonne da?«

Conny lachte. »Ja. Deshalb bin ich auch nie erkältet.«

»Kommen da nicht die Kerle vorbei, um zuzugucken?«

»Wenn sie klatschen, habe ich nichts dagegen«, meinte Conny.

»Und, klatschen sie?«

»Nein, sie stehen hinterm Busch und werden rot.«

Elsa lachte laut.

Conny wandte sich wieder mir zu: »Du solltest nach Leuten suchen, die wütend sind.«

»Aber das ist schwer zu erkennen«, sagte ich.

»Richtig«, nickte sie. »Hier läuft sogar die Wut verdeckt.«

»Was würdest du mit dem Zaster machen?« fragte ich.

»Ein paar Leute unterstützen«, sagte sie knapp und ohne zu überlegen.

»Wen zum Beispiel?«

»Zum Beispiel Schorsch. Der will sich unabhängig machen, der will keinen teuren Strom mehr vom RWE beziehen. Der braucht sechshunderttausend Mark, um einen Windgenerator aufzustellen. Natürlich kriegt er die nicht.«

»Sollen wir Schorsch besuchen?« schlug Elsa langsam vor.

»Durchaus«, nickte ich. »Wer weiß denn, daß Schorsch so ein Ding möchte?«

»Jeder«, entgegnete Conny. »Er hat schließlich alle gefragt, ob sie mitmachen. Aber da die meisten kein Geld haben, war das umsonst.«

»Ich danke dir, Mutter der Molche. Wir ziehen unseres Weges.«

Schorsch bewirtschaftete den Ahr-Hof. Er war nicht auf dem Hof, er war beim Silo.

Also fuhren wir ihm entgegen, und als er stoppte, grinste ich und fragte: »War das Bare in Zeitungspapier eingewickelt?«

Er sah mich an und wurde blaß. Dann stellte er die Zugmaschine ab und kletterte hinunter. »Sag das noch mal«, forderte er. Er achtete nicht auf Elsa.

»Ich habe gefragt, ob das Bare in Zeitungspapier gewickelt war. In alte Zeitungen.«

»Ach du heilige Scheiße«, stieß er aus. Dann nahm er den uralten Filzhut vom Kopf und kratzte sich ausgiebig. Er blieb stumm.

»Heb das Geld auf, gib nichts aus«, riet ich. »Tut mir leid, aber was hast du gedacht?«

»An einen stillen Gönner«, murmelte er. »So was habe ich in der Verwandtschaft.«

»Wann hast du es gekriegt?«

»Heute nacht muß das gewesen sein. Es lag auf dem Sitz von der Zugmaschine hier.«

»Wo ist es jetzt?«

»Ich habe es meiner Frau gegeben, ich war so perplex.«

»Und die?«

»Die hat es unter die Wäsche gestopft. Wir rätseln rum, was das soll. Ist es Geld von ... na ja, aus dem Transporter?«

»Sieht so aus«, nickte ich. »Kein Wort zu irgendwem. Deine Frau muß den Mund halten, unbedingt. Es wird jemand zu dir kommen. Gib es ihm, und gib ihm Auskunft.«

»Dann stehe ich in der Zeitung«, stöhnte er.

»Das garantiert nicht«, versprach Elsa freundlich.

»Oh, mein Gott«, seufzte er. Dann lächelte er mager. »Danke dir.«

»Nichts zu danken. Und mach dir keinen Kopf. Du hast es ja nicht geklaut.«

»Schade«, murmelte er. »War verdammt viel Geld.« Er kniff die Lippen zusammen. »War ein Traum, war nur ein Traum.«

»Mach's gut«, verabschiedete ich mich.

Als wir weiterrollten, schlug ich vor: »Vielleicht sollten wir nach Leuten suchen, die Pläne haben und nichts geschenkt bekamen.«

Elsa sah mich erstaunt an, sagte aber nichts.

Ich fuhr nach Hillesheim in die kleine Kneipe. Wir bestellten Cola und fragten munter drauflos. »Sag mal, Jonny, da waren doch am Samstag, als das Geld geklaut wurde, diese Heroin-Brüder hier, oder?«

»Na sicher«, gab Jonny bereitwillig Auskunft. Er war dick, gemütlich und hatte einen entschieden zu hohen Blutdruck, den er durch einen Vollbart kaschierte.

»Waren die allein hier? Und haben die hier mit jemandem gesprochen?«

»Nein. Die hockten da hinten an dem Zweiertisch. Allein. Außer denen war kein Mensch hier.«

»Sie hatten den Trecker vor der Tür?« fragte Elsa.

Er nickte etwas irritiert, weil er sich wohl nicht vorstellen konnte, daß eine Frau so etwas fragen durfte.

»Wie lange waren sie hier?«

»Höchstens zwanzig Minuten, würde ich mal sagen.«

»Waren sie zittrig?«

»Ja, sehr. Und der eine, der Ältere, wollte auch gar nichts essen. Aber der Jüngere sagte: Du ißt jetzt was, sonst kippst du gleich um!«

»Sie aßen also etwas.«

»Essen kann man das nicht nennen. Sie haben das in sich reingestopft, als kriegten sie es bezahlt. Dann sagte der Ältere, sie müßten los, sie hätten eine Verabredung.«

»Gut. Sie gingen also raus. Wohin fuhren sie?«

»Das habe ich den Bullen schon erzählt. Sie fuhren nach rechts, also die Kölner Straße entlang. Sie haben ja hinten bei ED noch getankt. Das sagten die Bullen jedenfalls.«

»Meinst du, die wollten wirklich jemanden treffen?«

»Ja, und zwar jemanden, der ihnen Drogen gibt. Sie hechelten irgendwie. Sind doch arme Schweine.«

»Also getankt haben sie bei ED. Haben die Bullen was gesagt, wohin sie weiterfuhren?«

»Richtung Wiesbaum, also weiter geradeaus.«

»Danke.« Wir rollten die Kölner Straße entlang.

»Kann es denn sein, daß sie hier irgendwo Stoff bekommen?« fragte Elsa.

»Du meinst, weil hier nur brave Bürgerhäuser stehen? Sie bekommen das Zeug im Blitzverfahren. Die Deals laufen wie eine schnelle Stipvisite ab. Du kommst mit deinem Auto einem anderen Auto entgegen. Du hältst, jeder steigt für dreißig Sekunden aus und fährt weiter. Damit ist alles gelaufen und nichts beweisbar. Nehmen wir einmal an, sie haben kurz nach den letzten Häusern ihren Deal gemacht. Sie hatten Geld von ihrer Mutter geklaut. Sie werden also entweder nach rechts oder links abgebogen sein ... Nach links! Auf keinen Fall nach rechts.«

»Wieso nicht nach rechts?«

»Weil da der Golfplatz ist, schlaues Mädchen. Wenn sie hier irgendwo links abbiegen, kommen sie in eine Gegend, die vollkommen still und abgelegen ist.«

»Und wie weit ist es von hier zum Tatort?«

»Zwei- bis dreitausend Meter, nicht mehr. Es kommt darauf an, wie weit sie in den Wald hineingefahren sind. Es kommt darauf an, wie gut sie sich hier auskennen. Fahren wir also nach links.« Ich zog nach links in einen sehr glatten Waldweg.

»Kennst du dich hier aus?« fragte Elsa.

»Ja, ziemlich gut.«

Der Weg teilte sich. Vor uns lag eine dichte Schonung mit drei Meter hohen Weißtannen. Ich wußte, daß in der Mitte der rechten Tangente eine schmale Schneise in dieses Dickicht führte, ich nahm also den rechten Weg. Ich fuhr Schrittempo, und als die Schneise kam, bog ich ein und fuhr noch etwa zehn Meter weiter.

Als wir ausstiegen, rochen wir es sofort.

»Oh nein«, stöhnte Elsa erstickt.

»Warte hier«, sagte ich schnell. Ich lief etwa dreißig Meter, bis ich den Trecker sah. Die Heroin-Brüder konnte ich nicht erblicken, also ging ich weiter und versuchte, nicht zu atmen. Dann sah ich sie.

Sie lagen nebeneinander. Ich riskierte einen langen Blick auf ihre Körper und Arme, dann kehrte ich um.

»Es hat sie erwischt. Sie haben wohl H gespritzt und sind krepiert. Goldener Schuß oder so.« Ich nahm die Kamera und kehrte noch einmal um. Am Ende der Strecke mußte ich mich übergeben, fotografierte aber trotzdem. Elsa rief hinter mir: »Sie werden nichts gespürt haben.«

»Nein, sicher nicht.«

»Und jetzt?«

»Marker Bescheid geben.«

Unterwegs hielten wir an, und ich berichtete Rodenstock von unserem schrecklichen Fund.

»Nicht auch das noch«, hauchte er. Dann erzählte er das Neueste: »Marker hat vom Generalbundesanwalt einen Nachrichtenstop verpaßt bekommen. Denen geht der Arsch auf Grundeis.«

Wir fuhren nach Gerolstein. Weil wir trotz allem hungrig waren, gingen wir in das Chinarestaurant und aßen Glasnudeln. Elsa ließ sich darüber aus, wie schön es wäre, in dieser Gegend ein Blockhaus in den Wald zu setzen und langsam alt zu werden.

»Das würdest du nicht durchhalten. In der ersten Nacht hättest du einen Herzinfarkt wegen undefinierbarer Geräusche.«

»Dann müßtest du Wache schieben und mir die Unheimlichkeiten erläutern«, schlug sie vor. »Kannst du mir genauer erklären, was deine Bauern hier so wütend macht?«

»Das ist ein weites Feld. Tatsächlich hat die deutsche Politik im Rahmen der EG unseren gesamten bäuerlichen Mittelstand vernichtet, nebenbei unter reger Beteiligung von Führern des so hehren Deutschen Bauernverbandes. Zum Beispiel wurden Bauern, um die Butterpreise halten zu können, kaum subventioniert. Dagegen wurden die Hallen mit den riesigen Kältemaschinen, in denen die Butterberge aufgetürmt wurden, voll subventioniert. Das alles führte im Laufe der Zeit zu regelrechten Agrarfabriken auf Kosten des Mittelstandes. Dem Bauern wird vorgeschrieben, wie gut seine Milch sein darf. Ist sie besser als erlaubt, gießt er jeden Tag eimerweise die Sahne in den Gully. Das ist ein mieser Alltag, der ihm da zugemutet wird.«

»Wie kommen die Bauern da klar?«

»Es passiert, daß der Bauernsohn mit dem meisten Landbesitz im Dorf tagtäglich zur Bundespost nach Köln fährt, um dort Schichtdienst in der Paketabfertigung zu machen. Das ist normal geworden. Vor zwanzig Jahren haben die Bauern es als unter ihrer Würde betrachtet, daß die eigene Frau putzen ging oder die Tochter eine Stelle in Trier annahm. Heute ist auch das normal.«

»Was machen die ganz jungen Leute, die um die Zwanzig?«

»Sie sehen in der Regel zu, daß sie zunächst studieren oder eine Arbeit in der Stadt kriegen. Aber dann, nach drei, vier Jahren haben sie oft nur noch eins im Kopf: Wie schaffe ich es, einen guten Job in der Eifel zu bekommen? Sie kehren wieder heim, sie bauen hier ihre Häuser, und ihre Kinder kommen hier zur Welt.«

»Du magst sie sehr, nicht wahr?«

»O ja, ich mag sie.«

»Hat dein Vulkaneifel-Mensch auch Fehler?« Sie lächelte.

»Sicher hat er die. Er kriegt zum Beispiel Fremden gegen über so lange die Zähne nicht auseinander, bis der Fremde beleidigt abhaut.«

»Ich habe versprochen, bis Samstag ein Manuskript zu liefern«, kam Elsa zum Punkt.

»Du wirst es haben.«

»Ich soll dir sagen, daß wir dir ein anständiges Honorar zahlen, wenn du mich unterstützt.«

»Das freut meine Katze«, sagte ich. »Laß uns fahren.«

Marker hockte im Garten in der Laube, die der Haselbusch und der Weißdorn gebildet hatten. Rodenstock hatte sich zwanzig Meter abseits an die Natursteinmauer gehockt, unter den Birken aalten sich auf einer Decke Unger und Bettina.

Wir gingen zu Rodenstock, weil der den friedlichsten Eindruck machte.

»Man hat die beiden Herointoten sehr leise entfernt«, erzählte er. »Marker hat nun ein zweites Problem. Er hat nicht nur Nachrichtensperre verhängen müssen, er erwartet einen Oberstaatsanwalt des Generalbundesanwaltes. Damit wird seine Arbeitsmöglichkeit auf etwa zwei Quadratzentimeter eingeengt, ich kenne das.«

Mit einem lauten Seufzer stand Marker auf und kam heran. »Wir sollten vielleicht überlegen, wo wir stehen. In zwei Stunden ist meine Freiheit gleich Null.«

Unger erhob sich und näherte sich uns ebenfalls, langsam und nachdenklich. Er fragte mich: »Hast du diese Herointoten fotografiert?«

»Selbstverständlich, und du kriegst die Fotos.«

Er hatte vermutlich geglaubt, darum kämpfen zu müssen, und er lächelte flüchtig. »War es ein schlimmer Anblick?«

»Das kann man sagen«, murmelte Elsa. »Vier Tage in dieser Hitze.«

»Da gibt es noch zwei Merkwürdigkeiten«, vervollständigte ich den Bericht. »In einem Reisebüro erschien ein Landwirt, um seiner Frau eine Dreißigtausend-Mark-Reise nach Hawaii zu buchen. Ein paar Stunden später versuchte er, diese Reise dem Reisebüro zurückzugeben. Zum zweiten: Man hat mir erzählt, daß zwei Gemeinden ein neues Geläut für ihre Kirche bekommen, urplötzlich. Ich habe diese Punkte noch nicht angetastet, noch nicht nachgefragt. Ich erwähne das nur, um nichts zu vergessen.«

»Der Alptraum wächst«, flüsterte Marker.

»Womit begründet denn die Bundesanwaltschaft die Nachrichtensperre?« fragte nun Unger.

»Gute Frage«, sagte ich.

Marker überlegte. Er saß in der Klemme. Er hatte seine Kommission unermüdlich auf Tatortspuren und mögliche Zeugen gehetzt, er hatte mein Haus als Ruhepunkt benutzt, er hatte kaum geschlafen und war eigentlich keinen Schritt weitergekommen. Er mußte vorsichtig sein. »Keine Indiskretionen«, bat er matt. »Der Mann der Bundesanwaltschaft begründet das so: Wir haben keine Verdächtigen, aber wir brauchen Erfolge. Der Geldraub beunruhigt die Öffentlichkeit, sie verlangt einen schnellen Erfolg. Also machen wir erst einmal dicht, total dicht.«

»Das ist eine Begründung für Nachrichtensperre?« rief Unger etwas fassungslos.

»Es ist eine sehr herkömmliche Begründung«, stellte ich fest. »Dadurch erweckt die Verfolgungsbehörde den Anschein, als sei sie auf einer oder mehreren wichtigen Spuren.«

Rodenstock räusperte sich. »Kann es sein, Herr Kollege, daß dieser anreisende Oberstaatsanwalt die Ermittlungen an sich ziehen will und zunächst einmal jedes Loch dichtmacht, bis er hier ist?«

»Das kann sein«, nickte Marker.

»Weiß der Staatsanwalt eigentlich, daß hier Geld verschenkt wird?« fragte Elsa.

»Das weiß er, das habe ich ihm gesagt.« Marker kratzte sich an der Stirn.

»Dann fürchtet er politischen Verdruß.« Rodenstock stellte das fest, als gebe es keine andere Möglichkeit.

»Moment mal«, widersprach Unger heftig, »das läuft nicht, das kann nicht laufen.«

»Das kann laufen«, sagte Rodenstock. »Die Täter sind offensichtlich an dem Geld nicht interessiert, sie verschenken es. Und sie verschenken es so, daß gleichzeitig hohe politische Funktionsträger blamiert werden.«

»Ach du lieber Gott«, stöhnte Unger. Seine Zunge spielte über die Lippen, er war betroffen. »Man kann aber doch nicht achtzehn Komma sechs Millionen klauen lassen und hinterher so tun, als wäre nichts passiert.«

»Es ist sogar mal ein Ministerpräsident in einer Badewanne gefunden worden, und alle Welt behauptete, er hätte Selbstmord verübt, obwohl er so viel Gift im Körper hatte, daß er ohne Hilfe nicht einmal mehr in die Badewanne hätte steigen können«, erklärte ich.

»Es ist auch passiert«, sagte Elsa, »daß unser Bundeskanzler vor einem Bundestagsuntersuchungsausschuß behauptet hat, er könne sich an diese oder jene höchstwichtige Kleinigkeit nicht erinnern, obwohl ihm das niemand glaubte. Kann mir jemand erklären, wieso die Bundesanwaltschaft das Verfahren so schnell übernehmen kann?«

»Ziemlich einfach«, antwortete ich. »Der Generalbundesanwalt hat in bestimmten Fällen das Recht, das Verfahren an sich zu ziehen. Es gibt Gesetze und Verordnungen, die das ermöglichen. Wenn wie in Mölln oder Solingen Türken ermordet werden, wenn also erkennbar ist, daß eine Tat einen stark politischen Hintergrund hat, dann darf er das. In diesem Fall ist es so, daß das organisierte Verbrechen in Frage kommt, es ist also ein nationales Problem. Deshalb.«

In diesem Moment begann das Telefon zu klingeln, und Elsa lachte: »Die Witwe Bolte.« Unger rannte los, um den Apparat zu holen.

Es war nicht in Sachen Witwe Bolte, es war eine Nachricht für Marker: Der Oberstaatsanwalt hielt Einzug. Marker trollte sich.

»Wie können wir herausfinden, ob diese Kirchengeläute Geschenke sind?« erkundigte sich Rodenstock.

»Ich plädiere für den Bürgermeister«, sagte ich. »Der wird es wissen, der weiß meistens alles.«

»Können wir nicht die Pfarrer fragen?«

»Die werden nicht antworten. Die werden erst ihren Bischof anrufen, und der wird ihnen befehlen, nichts zu sagen. Können Sie sich vorstellen, wie ein Pfarrer sich fühlt, dem man hunderttausend Mark für die neuen Glocken über die Gartenmauer wirft? Der ahnt sofort, woher der Zaster stammt. Er wird die Augen zumachen und beten, bis es vorbei ist.«

»Ich bin mir da nicht sicher«, meinte Rodenstock leise. »Aber sei's drum: Wollen wir Ihren Bürgermeister holen?«

»Das ist nicht gut«, entschied ich. »Wir schlendern hin und fragen ihn einfach.«

Wir spazierten also in das Dorf hinunter zum Haus meines Bürgermeisters. Er hockte mit dem halben Gemeinderat auf der Terrasse, und sie tranken Flaschenbier. Sie sahen uns so an, als könnten wir für sie alle Rätsel der Welt lösen.

Ich flüsterte Rodenstock zu: »Kein Wort!«

»Gut, daß ihr kommt. Wir unterhalten uns gerade darüber, welche Sorte Mafia wohl das Geld geklaut hat«, begrüßte uns mein Bürgermeister.

Es war eine Botschaft, es war die deutliche Botschaft: Sagt um Gottes willen keinen Ton, die anderen wissen nichts!

»Wir wollten nur einen schönen Abend wünschen und nach den Neuigkeiten des Tages fragen!« Rodenstock lächelte, wie nur alte Männer lächeln können.

Alfred, der auch im Gemeinderat saß, entgegnete: »Wir wissen nix, wir müssen tagsüber arbeiten.«

»Hör dir den an«, sagte ich, »hör dir dieses Monster an!« So fing die Flachserei an, und jede Gefahr war gebannt, bis wir zehn Minuten später erklärten, nun wollten wir aber weiter.

»Ich komme vorbei«, raunte Willi leise.

»Bis demnächst«, röhrte ich.

Wir gingen noch eine Weile in Richtung Hillesheim, bogen dann ab, machten die Runde und kehrten nach Hause zurück.

»Er hat etwas Neues«, orakelte ich. »Er kommt vorbei.«

Rodenstock schien gar nicht zuzuhören. »Wissen Sie, was ich befürchte?«

»Was befürchten Sie?«

»Daß wir eine fertige Lösung serviert kriegen, gegen die wir nichts machen können.«

»Was soll das?«

»So genau weiß ich das noch nicht, ich ahne nur so etwas.«

»Du lieber Gott, Papa, ich kann dunkle Andeutungen nicht ausstehen.«

»Wissen Sie, Baumeister«, murmelte er und strich sich mit der rechten Hand über die Stirn, als säße dort eine Fliege, »da erleben wir den dicksten Geldraub seit mindestens fünfzig Jahren. Und wir leben, als seien wir in Aspik erstarrt. Ich sehe alles, ich höre alles, aber bewegen kann ich mich nicht. Ich kann nichts tun, Sie können nichts tun, niemand kann irgend etwas tun.«

»Haben Sie das oft erlebt?«

»O ja. Selbst bei mehrfachen Morden. Zunächst ein Chaos, ein wildes Geschrei, und dann nichts als Stille, in der man nicht einmal ahnt, wen man verdächtigen wird.«

So standen wir auf dem Hof und debattierten einigermaßen ratlos vor uns hin, als Willi langsam in seinem Wagen vorbeizog, nach rechts fuhr, anhielt und die Scheibe runterkurbelte.

Ich war mit wenigen Schritten bei ihm. »Was ist, was gibt's Neues?«

»Ich habe nicht viel Zeit. Was wollt ihr wissen?«

Rodenstock war hinter mir. »Wir wollten wissen, wer diese Kirchengeläute finanziert hat. Waren es wieder Geschenke in Zeitungspapier?«

»Ich glaube, ja. Die Pfarrer sind alle vollkommen durcheinander. Aber das ist nicht das Schlimmste. Wir haben im Golfclub einen Mann, der ist Präsident eines riesigen Wirtschaftsclubs. Er hat hier bei uns eine alte Mühle gekauft. Das Ding stand unter Denkmalschutz. Der Mann hat die Mühle umgebaut mit irren Stahlkonstruktionen, aber die Denkmalschutzbehörde hat sich überhaupt nicht daran gestoßen. Schön sieht es nicht aus, und es paßt auch nicht, aber was geschehen ist, ist geschehen. Nun hat der Kerl per Post ein Paket mit sechzigtausend Mark gekriegt. In dem Paket lag ein Zettel. Wieder einer mit zusammengeklebten Buchstaben. Da stand, daß der Geldgeber dem reichen Industriemanager gern die sechzigtausend schenkt, wenn er statt der Stahlkonstruktion die alten Rundbögen in rotem Sandstein wieder einfügt. Da stand auch, daß der Wirtschaftsmensch dem Chef der Denkmalschutzbehörde zwanzigtausend als Hilfe zum Leben geschenkt hat. Die könne er zurückfordern und auf die sechzigtausend draufsatteln. Das sind dann achtzigtausend. Diese achtzigtausend würden genau ausreichen, die Rundbögen zu schneiden und einzupassen.«

»Wann hat der Kerl das Paket gekriegt?«

»Heute. Hier im Golf-Club.«

»Wieso weißt du das?« fragte ich.

»Er hat der Clubleitung gesagt, er will kein Aufsehen. Er hat denen die achtzigtausend gegeben und tut nun so, als habe er nichts damit zu tun. Der Vorstand wiederum hat mich informiert.«

»Wo ist das Paket aufgegeben worden?« hakte ich nach.

»In Köln«, erwiderte er.

»Wo sitzt die Denkmalschutzbehörde?« wollte Rodenstock wissen.

»In Mainz bei der Landesregierung.«

»Dann wollen wir mal gucken, was da juristisch drin ist: Einmal der Umbau einer alten Mühle gegen Denkmalschutzverordnungen. Dann die Bestechung eines Behördenleiters, dann das Sichbestechenlassen des Behördenleiters. Kommen alle die hinzu, die es wußten, nichts sagten und nichts taten. Mit anderen Worten: Ein Skandal«, faßte er zusammen.

»Aber möglicherweise auch ein Fehler der Täter. Denn die Frage lautet: Woher können die Täter das gewußt haben?«

»Das ist ein Kinderspiel«, sagte Willi mit abgewandtem Gesicht. »Darüber wird seit Wochen überall geflüstert.«

»Auch davon, daß der Behördenleiter zwanzigtausend bekam?« fragte Rodenstock.

»Davon auch«, nickte mein Bürgermeister.

»Gibt's sonst noch was?« bohrte ich weiter.

»Ja. Ein Altenheim hinter Daun hat hunderttausend Mark bekommen, um zwei Nachtschwestern zu finanzieren. In dem beigefügten Zettel steht, sie sollten den alten Leutchen nicht so viele Beruhigungstabletten geben.« Er schüttelte den Kopf angesichts des Chaos. »Nichts für ungut, ich muß weiter.« Und fort war er.

»Die Täter werden zu einem echten Problem«, murmelte Rodenstock. »Und wie kommen wir jetzt an Marker heran? Er sollte das wissen. Unbedingt.«

»Ziemlich einfach«, erklärte ich. »Ich fahr Sie rüber ins Hotel. Ich gehe derweil einen Reisebürobesitzer besuchen.«

»Aha, wegen Hawaii.«

»Richtig«, bestätigte ich.

So standen wir auf dem Hof, und wir hatten Angst. Aber Indianer geben so etwas nicht zu.

Elsa kam heraus und gesellte sich zu uns. »Mir ist unbehaglich«, meinte auch sie.

»Du kannst mitfahren. Rodenstock muß zu Marker und ich zu einem Reisebüro. Dann brauchen wir uns nicht zu langweilen.« Wir erzählten ihr, was Willi erzählt hatte.

Wir fuhren los und setzten Rodenstock an Markers Hotel ab.

Das Glück war mit uns. Der Reisebürobesitzer mit dem schönen Namen H. H. und seine Frau Marion hockten im Garten und tranken irgend etwas sehr Rotes aus sehr hohen, vornehm wirkenden Gläsern.

»Oh, nein!« wimmerte H. H. »Der schon wieder. Das bedeutet Unheil.«

»Aber es ist spannend«, strahlte seine Frau.

Ich stellte Elsa vor, und wir hockten uns hin. Elsa bekam auch ein vornehmes Glas mit rotem Gift und ich einen Kaffee.

»Ich weiß, H. H.«, eröffnete ich den Abend, »daß du dich gleich auf deine Verschwiegenheit berufen wirst. Ich weiß auch, daß es gegen deine Mannesehre geht. Aber ich brauche den Namen des Bauern, der für seine Frau sechs Wochen Hawaii buchen wollte.«

»Ist nicht in der Tüte«, wehrte er sich wild. »Ich ahnte es, ich habe es geahnt.«

»Sie kennen den Hintergrund nicht«, sagte Elsa. »Hören Sie doch erst einmal zu.«

»Also zuhören kannst du wirklich!« forderte seine Frau.

»Nicht die Bohne«, sagte er. Dann stockte er, beugte sich vor und fragte: »Hat das etwa mit dem gestohlenen Moos zu tun?«

»Hat es«, sagten Elsa und ich.

Er sah uns an, als seien wir nicht recht bei Trost. »Der Mann, der bei mir Hawaii buchte, war es aber garantiert nicht«, prustete er. Dabei schlug er sich vor Vergnügen auf die Schenkel, wobei nicht klar wurde, ob der Grund die gute Laune oder die rote Flüssigkeit war.

»Warum war er es denn garantiert nicht?« fragte ich ruhig.

»Weil das unvorstellbar ist«, rief H. H. belustigt. »Das ist einfach irre, verstehst du?«

»Die ganze Geschichte ist irre«, meinte Elsa.

Marion seufzte, ohne irgendeinen anzusehen: »Man hört ja so einiges.«

»Was hört man?« fragte ich schnell.

»So einiges«, wiederholte sie vage. »Aber ich weiß ja nichts, ich habe ja nichts damit zu tun.«

»Der Mann hatte Bares. Und wenn ein Bauer Bares hat, dann hat er entweder in den Sparstrumpf gelangt, oder aber er hat sein Sparbuch auf der Bank geplündert. Und mein Kunde, das garantiere ich, war am Sparbuch«, erklärte nun H.H.

»Woher weißt du das so genau?«

»Ziemlich einfach. Er kam her, ich sagte ihm den Preis mit allem Drum und Dran, er griff in die Tasche und holte das Geld raus. Er hatte es vorn in der Brusttasche in seinem Blaumann. Aber das war es nicht allein. Das Geld war ordentlich gebündelt. Zusammen mit den Bündeln zog er seine Papiere raus, also eine dünne Brieftasche. Auch das Sparbuch! Kein Bauer fährt sein Sparbuch spazieren, wenn er nicht vorher bei der Bank war. Leuchtet das ein?«

Ich überlegte und nickte dann: »Okay, das ist wohl so.«

»Hast du etwas von Klara Schuhmacher gehört?« fragte Marion.

»Nicht viel. Ich denke, sie ist in guten Händen und muß erst einmal zur Ruhe kommen. Wir wissen nicht, was los war, wir wissen nicht, ob sie den Mörder sah oder den Mord selbst beging. Wie auch immer, sie ist krank. Sag mal, H. H., hast du dich mit dem Bauern geeinigt? Kauft er jetzt Hawaii oder kauft er es nicht?«

»Er kauft es nicht, aber er trägt meine Kosten und einen geringen Prozentsatz der Reisekosten. Ich sehe gut aus, er sieht gut aus – wie das in der Eifel so ist.« Er wurde wieder von unbändiger Heiterkeit gepackt und kicherte vor sich hin.

»Also hat er den Zaster wieder auf das Sparbuch zurückgetragen?«

»Na sicher. Denke ich jedenfalls. Ist denn die Polizei weiter?«

»Nicht die Spur«, antwortete Elsa gutgelaunt. »Das wird auch noch eine Weile dauern. Sagen Sie, Marion, was hören Sie denn so?«

»Na ja, irgend jemand soll herumgehen und Geld verschenken«, erwiderte sie leise und zündete sich eine Zigarette an, um die Beliebigkeit der Auskunft zu unterstreichen.

»Wie bitte?« H.H. hatte sehr große, sehr runde Augen. »Woher hast du das denn? Das weiß noch nicht einmal ich.«

»Aber es wird erzählt«, sagte sie spröde.

»Wer erzählt das?« fragte ich.

»Naja, die Hausfrauen beim Einkaufen.«

»Und wer kriegt es geschenkt?« bohrte Elsa.

»Was weiß ich.« Sie wandte den Kopf zur Seite und betrachtete angelegentlich die Steinplatten der Terrasse.

»Marion, so geht das nicht«, eröffnete ich meinen Vortrag. »Du kannst dich nicht in dunklen Andeutungen ergehen. Also, sag mir, wer dir was gesagt hat.«

»Es sind doch aber Gerüchte«, verteidigte sie sich. »Keiner weiß etwas Genaues. Jeder redet, keiner weiß was.«

»Die Gerüchte kommen zu den Beamten des Bundeskriminalamtes, und die tauchen dann hier auf«, mahnte Elsa lächelnd. Es war das Lächeln, bei dem ich den Eindruck hatte, es könne ein Glas zum Zerspringen bringen.

»Also sag es schon«, murrte ihr Ehemann. »Die kriegen es ja doch raus, und dann haben wir hier die Bullen.«

»Es wird gesagt, daß die neue Küche vom Altenheim ein Geschenk ist. Also, daß irgendwer Mater Maria das Geld auf den Küchentisch gelegt hat.«

»In Zeitungspapier eingewickelt«, säuselte Elsa.

»Woher wissen Sie das?« fragte Marion erschrocken.

»Das meiste wissen wir«, erklärte ich beiläufig. »Wann soll denn das passiert sein?«

»Sonntag«, sagte sie.

»Noch etwas?« fragte Elsa.

»Nicht, daß ich wüßte«, sagte Marion leicht beleidigt.

»Ich glaube dir nicht«, sagte ich freundlich.

»Na ja, es wird gemunkelt, daß die Jungens von der Freiwilligen Feuerwehr ganz plötzlich dieses Allzweckfahrzeug kaufen können, was sie schon immer haben wollten.«

»Oh Gott!« hauchte ihr Mann. »Das Ding kostet zweihunderttausend.«

»Wie schön!« strahlte Elsa. »Und weiter?«

»Sonst wirklich nichts«, behauptete sie hastig und nahm einen tiefen Zug von der roten Flüssigkeit. H. H. sah seine Ehefrau sehr lange und sehr nachdenklich an, und ich schloß daraus, daß er ihr nicht traute. Also machte ich weiter: »Möglicherweise hast du gehört, daß bestimmte Kirchen neue Glocken kaufen können, nicht wahr?«

Sie nickte.

»Kannst du denn sagen, wer?«

»Na ja, jedenfalls Walsdorf. Und dann noch eure.«

»Wie bitte?«

»Na ja, euer Angelusgeläut soll gesichert sein. Seit heute morgen.«

»Bei wem lag das Geld auf dem Küchentisch?«

»Bei irgendeinem Pfarrgemeinderat.«

»Ach Marion«, ich wurde wirklich wütend, »bei irgendeinem doch wohl nicht. Bei wem?«

»Na ja, beim Vorsitzenden, beim Peter Blankenheim.«

»Oh, lä lä«, summte Elsa.

Ich registrierte, wie H. H. zusammenzuckte, und plötzlich hatte ich den Mut, ihn anzuschauen und festzustellen: »Du brauchst nicht abzustreiten, daß es Peter Blankenheim war, der Hawaii buchte.«

»Wenn du es schon wußtest, was quälst du mich so?« rief er wild.