ELFTES KAPITEL

Auf der Rückfahrt sagte Elsa träumerisch: »Das ist ein Ding! Peter Blankenheim ist doch einer der drei Musketiere, nicht wahr? Wenn er es gedreht hat ...? Wenn er seiner Frau etwas schenken wollte, wovon sie immer schon träumte?«

»Du kannst durchaus weiter spekulieren. Wenn es die drei Musketiere waren, dann ist das Ding so und so abgelaufen ... O nein, Geliebte, mein Hirn braucht Ruhe. Die haben achtzehn Komma sechs Millionen geklaut und bisher über zwei Millionen verschenkt. O nein, ich trete vorübergehend in den Streik. – Sieh mal da oben, da ist noch ein Pärchen Rote Milane unterwegs. Und da drüben an dem alten Gemäuer haust neuerdings ein Turmfalkenpaar. Großer Gott, ich drehe durch, ich drehe wirklich durch. Das ist diabolisch.«

Wir rollten auf den Hof, wahrscheinlich machten wir einen unheilschwangeren Eindruck.

Rodenstock hockte auf den Stufen vor der Tür, sah uns und schüttelte den Kopf: »Es geht also weiter.«

»Es geht weiter«, sagte ich. »Was Neues?«

»Nichts Besonderes«, entgegnete er. »In der Stube hockt der Bauer Peter Blankenheim. Er hat Ihnen achtzigtausend Mark ins Haus geschleppt. Das reicht nicht nur für eine Angelusglocke, das reicht für ein Geläut aus drei Glocken. Er sitzt da mit Marker, und sie versuchen herauszufinden, wer solche Geschenke macht.«

»Elsa, erzähl ihm bitte alles. Ich gehe in den Garten.«

Herbert Unger kam den Flur entlang und sagte voller Befriedigung: »Wenn ich richtig gezählt habe, sind anderthalb Millionen verschenkt.«

»Falsch«, beschied ich ihn. »Über zwei Millionen.«

»Oha«, murmelte er vage. »Du solltest dir den Bauern Blankenheim anhören. Wirklich eine gute Geschichte.«

»Ich höre niemanden an, ich gehe in meinen Garten.«

»Ich wette, da werden noch haarsträubende Dinge herauskommen«, meinte Unger gierig.

Das Licht war blau, keine Spur von Feuchtigkeit und Nebel. Ich überlegte, daß Blankenheim wahrscheinlich einiges auslassen würde. Hawaii zum Beispiel. Aber dann dachte ich wütend, daß das Markers Sache sei und eine Frage des Geschicks.

Ich war eingedöst, als Bettina mich sanft an der Schulter faßte und behutsam sagte: »Also, es ist so, daß wahrscheinlich irgend etwas mit Krümel passiert ist. Sie ist seit Stunden nicht dagewesen, und eine Nachbarin erzählte mir, sie hätte gesehen, wie ein Auto sehr schnell zur Schule hochfuhr. Das Auto hat eine Katze überfahren, jedenfalls wurde die Katze durch die Luft gewirbelt. Scheiße, Baumeister. Aber ich dachte, ich sage es dir gleich.«

»Wo ist die überfahrene Katze?«

»Das wissen wir nicht. Katzen verkriechen sich ja, wenn sie verletzt sind.«

»Krümel geht niemals auf die Straße«, beruhigte ich mich. »Krümel ist viel zu klug, um freiwillig die Rennbahn zu betreten.«

»Aber Krümel ist nicht da«, meinte sie unglücklich.

»Schon gut«, sagte ich paralysiert.

Es war dämmrig, aber noch hell genug, sie zu suchen. Ich entdeckte den ziemlich großen Blutfleck auf dem Asphalt, wo die Katze getroffen worden war. Ich kletterte auf den Boden von Alfreds Scheune und wühlte mich, »Krümel!« rufend, durch die Heuballen, ich kroch auf allen vieren durch die vollkommen verwachsene kleine Parkanlage, die mein Nachbar Albert angepflanzt hatte, ich suchte die Krone der Natursteinmauer ab, auf der sie im Sommer herumzudösen pflegte, ich stieg sogar meinem Nachbarn auf das Dach, weil sie zuweilen dort langgestreckt auf dem First lag und die Aussicht genoß. Sie war verschwunden. Ich hockte mich unter die Birke.

Marker kam und sagte: »Das mit Ihrer Katze tut mir leid.«

»So ist das Leben«, erwiderte ich.

»Blankenheim erzählt eine einfache Geschichte. Er fand das Geld für die Glocken auf dem Sitz eines seiner Trecker. Dabei lag einer der Zettel mit ausgeschnittenen Buchstaben. Darauf steht: Du weißt schon, wofür. Sonst nichts. Die Buchstaben sind immer aus dem Trierischen Volksfreund und dem hiesigen Wochenspiegel ausgeschnitten. Er hat auch gesagt, er habe seiner Frau die Reise nach Hawaii schenken wollen. Er hatte den Beleg der Auszahlung von seinem Sparbuch bei sich. Er hat fast eine Viertelmillion drauf, und er behauptet, er wäre es leid, das Geld zum Wohl der Bank dort zu belassen. Seine Frau hat abgelehnt, da hat er die Reise zurückgegeben.«

»Verdammt noch mal, sie ist doch nie auf die Straße gelaufen.«

»So etwas passiert«, sagte Marker. »Elsa erzählte etwas von einem Feuerwehrauto: Haben wir da eine Verbindung?«

»Haben wir. Aber das dürfte jetzt zu spät sein. Morgen früh. Ich stelle Ihnen die Verbindung her. Was sagt Ihr Oberstaatsanwalt? «

»Die haben einen konkreten Hinweis auf eine Gruppe der PKK in Frankfurt. Also Leute, die für die Freiheit der Kurden kämpfen.«

»Klingt das überzeugend?«

»Nicht sehr«, entgegnete er. »Aber sie glauben dran. Es hat Käufe gegeben. Merkwürdigerweise nicht Heroin gegen Waffen, sondern Bargeld gegen Waffen.« Er machte eine Pause. »Wenn es stimmt.«

»Und was sagt Ihr Oberstaatsanwalt zu den hiesigen Spuren, zu all den Geldgeschenken?«

»Er meint, das sei doch nur Pipifax. Pipifax ist sein Lieblingswort. Wir werden sehen.«

»Aber er kann an den hiesigen Spuren nicht vorbei«, rief ich zornig.

»Wieso kann er nicht?« fragte Marker aufreizend langsam. »Das ist doch das Schöne an diesen Leuten: Sie haben ein Amt, und sie nutzen es.«

»Scheiße!« sagte ich.

»Sie sagen es«, murmelte er und setzte sich Bewegung, um zu gehen. Doch er blieb noch einmal stehen, drehte sich herum und setzte nach: »Es ist wohl nicht mehr wichtig, aber Schuhmachers Frau hat gestanden. Sie hat ihm den Pflanzstock in den Mund gerammt. Seither geht es ihr besser. Arme Frau.« Er verschwand.

Dann kam Elsa und setzte sich neben mich mit den Worten: »Peter Blankenheims Geschichte klingt verdammt überzeugend.«

»Das ist mir wurscht«, sagte ich. »Krümel ist niemals auf die Straße gegangen.«

»Vielleicht war sie supernervös durch die vielen Besucher. Vielleicht war sie irritiert.«

Plötzlich fiel mir ein, daß sie möglicherweise im Jeep in der Garage lag. Weil sie Autos liebte, schlief sie zuweilen dort. Ich rannte um das Haus herum, aber auch dort fand ich sie nicht.

»Wir sorgen für eine neue Katze«, rief Elsa hinter mir.

»Du kannst doch Krümel nicht ersetzen durch irgendein Katzenvieh.«

»Warte ab«, sagte sie ruhig. »Vielleicht taucht sie irgendwann in der Nacht schwanzwedelnd auf.«

»Ich hasse Tröstungen.«

»Von den drei Musketieren als Täter können wir Abschied nehmen.«

»Ist mir wurscht«, wiederholte ich störrisch.

»Ich gehe schlafen«, seufzte sie.

»Moment, warum können wir von den drei Musketieren Abschied nehmen?«

»Na ja, weil Blankenheim das Hawaii-Geld vom Sparkonto nahm und das Geld für die Angelusglocken sofort herbrachte.«

»Und deshalb schließt du sie aus? Bist du naiv!«

Ich kramte mir einen alten Bundeswehrschlafsack aus meinen Schätzen und verzog mich unter meine Birke. Bevor ich mich hinlegte, suchte ich noch einmal die ganze Strecke ab und versuchte, den Blutspuren mit einer Taschenlampe zu folgen. Aber das ist schwer in mannshohem Gras, und nach etwa achtzig Metern verlor ich die Spuren, hockte da und fühlte mich elend. Schließlich war Krümel nicht irgendwer.

Ich linste auf die Uhr und blinzelte, weil die Sonne so grell war. Die Zeiger wiesen auf kurz nach sieben, und ich fluchte, weil es viel zu früh war. Einen Augenblick lang dachte ich, Krümel liege auf meinem Rücken. Aber es war nicht Krümel. Es waren die beiden jungen Damen Nora und Cosima, sehr hübsch, sehr lebendig und beide ganze zwölf Jahre alt. Sie sahen mich besorgt an.

»Hör mal, Siggi«, begann Nora sehr sanft. »Stimmt das, daß Krümel tot ist? Ich meine, ist sie überfahren worden?« »Das sieht so aus, das sieht wirklich so aus.« »Also, wir glauben das nicht«, sagte Cosima. »Mag ja sein, daß irgend so ein Scheusal Krümel angefahren hat. Aber dann hat sie sich verkrochen.«

»Dann müßte sie aber langsam hier sein«, entgegnete ich dumpf.

»Wir dachten, wir machen Zettel und hängen sie überall auf. An die Kirchentür und an die dicken Bäume im Dorf und an Scheunentore und so. Wir haben schon mal einen Zettel gemacht. Hier ist er.«

Sie hatten geschrieben:

Ich suche meine Katze »Krümel«. Es ist eine Tigerkatze, und sie hat ein weißes Schnäuzchen. Bitte, meldet Euch, wenn Ihr sie gefunden habt, bei: Siggi Baumeister. Telefon ...

»Das ist ja eine tolle Idee«, lobte ich hoffnungslos.

»Man kann es ja versuchen«, meinte Nora liebevoll.

»Man darf den Mut nicht aufgeben«, assistierte Cosima. »Und sonst fahren wir zu Tom. Wir wissen nämlich, daß Tom junge Katzen hat, und der verlangt bestimmt kein Geld.«

»Wenn ihr meint«, sagte ich lahm.

Elsa kam mit einem Tablett um die Ecke. Sie begrüßte mich: »Ich habe auch nicht geschlafen. Hier ist Kaffee ... Sieh an, Besuch.«

»Das sind Nora und Cosima. Sie wollen Zettel an die Bäume hängen, daß ich Krümel suche. Sie sagen, sie werden sie finden.«

»Hervorragend«, rief Elsa.

»Und wenn alles nicht hilft«, sagte Cosima, »kann man vielleicht ein neues Kätzchen für Siggi finden, weil...«

»Wir wissen auch schon, woher«, ergänzte Nora eifrig.

»Nicht böse sein, aber ihr geht mir im Moment auf den Hut. Ich muß weg.«

»Wohin denn?« fragte Elsa.

»Ich will Peter Blankenheim treffen«, antwortete ich.

»Aber der hat doch alles gesagt«, wandte sie ein.

»Ja, schon. Aber nicht mir.«

»Deine Perfektion macht dich noch unbeliebt«, warnte Elsa.

»Das liebe ich so an dir, du machst mir soviel Mut«, sagte ich.

Ich rasierte mich nicht, ich wusch mich nicht, ich hockte mich in den Wagen und fuhr zu Blankenheims Hof.

Er saß auf seiner schweren Zugmaschine und fuhr Silo platt. Er röhrte verloren hin und her und sah mich nicht, bis ich kräftig auf den Radkasten klopfte. Dann stellte er die Maschine ab und sah mich an. »Was ist?«

»Ich weiß, du hast achtzigtausend gekriegt. Und deine Hawaii-Nummer war ein Geschenk für deine Frau. Aber: Mir fehlt da etwas. Hast du zwei Minuten?«

Er seufzte und kletterte von seinem Ungetüm herunter. »Aber nicht länger. Was willst du wissen?«

Ich hockte mich auf die Betoneinfassung des Siloplatzes und fing an: »Die meisten, die hier die Untersuchung führen, haben keinen Schimmer von der Vulkaneifel. Die Pressefritzen sowieso nicht, die gehen nur allen auf den Wecker.«

»Ja, ja«, meinte er, »aber die bezahlen. Für alles und für jedes. Hier einen Blauen und da einen Blauen, jeder Satz nur gegen Bares.« Er grinste flüchtig.

»Wer wußte denn, daß das Angelusgeläut achtzigtausend kostet?«

»Jeder im Pfarrgemeinderat und jeder im Gemeinderat und jeder, der es wissen wollte. Stimmt das mit dem Feuerwehrauto für zweihunderttausend?«

»Ich weiß es nicht. Marker kümmert sich drum. Aber es scheint zu stimmen. Wieso ist das mit Hawaii so schiefgegangen?«

Er hockte sich neben mich und drehte sich eine Zigarette mit einem mörderisch starken Tabak. »Irgendwie war das eine Spinnerei«, sagte er nachdenklich. »Als ich meine Frau freite ... so was sagt man heute nicht. Also vor meiner Verlobung war sie in Koblenz im Orden. Sie war da in der Küche.« Er wedelte mit den Armen. »Junge, Junge, das waren Zeiten. Wir alle hier hatten nur Pferde, kein Mensch hatte einen Trecker. Ich hatte damals eine >Maria-hilf-und-Josef-schieb-nach<.« Er lachte laut. »Kennst du das noch? Das war eine achtundneunziger NSU, eine Klassemaschine. Meine war natürlich gebraucht, ich zahlte in Raten ab. Fünfzehn Mark im Monat, Jesus Maria, waren das Zeiten. Und das Ding war so alt, daß es mal fuhr und mal nicht, je nach Lust und Laune. Wenn ich Josefa in Koblenz besuchen wollte, dann mußte ich mich früh am Morgen nach dem Melken auf die Socken machen. Ich mußte es so drehen, daß ich gegen sechs Uhr abends zum Melken wieder zu Hause war. Um Sprit zu sparen, habe ich den Motor immer abgestellt, wenn es den Berg runterging. Dann sprang die Kiste nicht mehr an, und ich schob, bis sie irgendwie wieder lief. Manchmal bekam Josefa keine Erlaubnis von der Schwester Oberin, mit mir ein Bier trinken zu gehen oder eine Cola. Dann sah ich sie nur fünf Minuten lang an einem Fenster stehen. Aber wir konnten uns nichts sagen, weil das Fenster fünfzig Meter entfernt war, und schreien wollten wir doch nicht. Mein Gott, waren das Zeiten!« Er schüttelte den Kopf, als könne er das alles nicht begreifen. »Wir waren schon verlobt, sie war immer noch im Dienst im Kloster, als ich sie fragte: Wo möchtest du hinfahren, wenn du einen Wunsch frei hättest? Und sie antwortete: Hawaii!« Er lachte wieder, und es klang zärtlich. »Es war so: Sie hatten mal Ausgang und sahen im Kino einen Film über Hawaii. Und seitdem wollte sie nur nach Hawaii. Sonst nichts. Wir heirateten dann, die Kinder kamen, der Hof machte Schwierigkeiten, es war nicht einfach. Niemals waren wir im Urlaub, und sie sagte nie wieder etwas von Hawaii.«

»Und dann wurde das Geld geklaut«, stellte ich fest.

»Richtig«, sagte er. »Irgendwie dachte ich: Du hast genug gespart, du kannst nicht mehr tun, als drauf hockenbleiben, und letztlich ist das ja Mist. Und Christian macht sich gut auf seinem Hof, und sein Vater macht sich auch gut und braucht keine Hilfe. Und die kennen ja den Hawaii-Fimmel von Josefa auch. Sie sagten: Sei nicht dumm, schenk ihr das! Also ging ich hin und kaufte ihr Hawaii. Ich habe H. H. gebeten, mir das zu quittieren. Dann bin ich hierhergegangen. Als sie die Kälbchen gefüttert hat, habe ich ihr die Quittung in die Kiste mit dem Kraftfutter gelegt. Ich dachte: Gleich schreit sie und fällt mir um den Hals. Aber es kam ganz anders.«

»Sie wollte nicht.«

»Wenn es nur das gewesen wäre! Also, sie kommt bleich wie die Wand in den Stall, hält mir die Quittung hin und sagt: Blankenheim, du bist ein Arsch! Das hat sie noch nie gesagt. Na ja, sage ich, irgendwann mußt du ja mal für das Leben belohnt werden. So ein Scheiß! schreit sie. Dann nichts mehr. Ich komme ins Haus und setze mich an den Tisch, um zu essen, da meint sie: Das könnte dir so passen! Mich nach Hawaii schicken! Ganz allein! Das könnte dir so passen! Wieso? frage ich, ist doch eine feine Sache, ist doch ein Traum von dir. Na ja, das ging so weiter. Dann sagt sie wütend: Ich habe dich schließlich geheiratet, um mit dir zu leben, und nicht, um nach Hawaii zu fahren. Und außerdem: Was soll ich allein in Hawaii? Und wer versorgt die Kälber, die Schweine und das alles?«

»Sie liebt dich eben«, erklärte ich.

»Ja, ja«, sagte Blankenheim ganz unglücklich und schniefte dann. Er warf die Zigarette hinter sich und machte eine paar Schritte.

Ich gab ihm eine Weile Zeit und fragte dann: »Und wenn du die Reise für euch beide buchst?«

»Und wer versorgt den Hof?«

»Irgendwelche Nachwuchsleute. Und Christian Daun kann es überwachen.«

»Christian hat genug zu tun«, wehrte er ab.

»Christian und sein Vater würden es schaffen«, widersprach ich.

»Ach ja«, er stieß einen langen Atem aus. »War ja nur eine Idee. Ich habe dann plötzlich denken müssen: Das mußt du der Polizei sagen, sonst glaubt die am Ende noch, ich hätte den Geldwagen geklaut und würde jetzt Reisen verschenken.«

»Aber irgendwer verschenkt Geld«, sagte ich.

Er nickte. »Ich weiß.«

»Was habt ihr denn so gedacht, bevor das Geld geklaut wurde? Wieviel könnte in so einem Transporter sein?«

»Na ja, die meisten haben gedacht, so um die fünfhundert- bis achthunderttausend oder so. Aber doch nicht mehr. Da kutschieren die fast neunzehn Millionen durch die Wälder. Das bricht dir doch das Herz, so dumm ist das.«

»Was weißt du?«

»Was man so hört. Einige Pfarrer sollen plötzlich sehr reich sein. Aber der Bischof in Trier hat ihnen befohlen, das Geld zurückzugeben und die Schnauze zu halten. Der Landrat soll einiges bekommen haben. Übrigens, meine Frau ist im Landfrauenverband hier im Kreis. Die hat auch was läuten hören. Aber ich weiß nicht, was.«

»Ich gehe sie fragen«, sagte ich. »Vielleicht solltest du doch nach Hawaii fliegen. Vielleicht kommst du dann nach Hause und willst Ananas anbauen.«

Das gefiel ihm, er lachte schallend.

Seine Frau war hinten bei den Hühnern und mischte Futter. »Morgen, Josefa. Sag mal, Peter hat gesagt, du hättest im Landfrauenverband was läuten hören. Irgendwer hat Geld geschenkt bekommen.«

Sie lachte, sie beugte sich über den Eimer mit Hühnerfutter und lachte. »Das ist aber ein Gerücht«, warnte sie.

»Ich liebe Gerüchte«, sagte ich.

»Also, wir haben zwei Landtagsabgeordnete in Mainz«, erklärte sie. »Der eine ist der Bauer, die andere ist eine Frau. Sie ist Zahnärztin oder so was. Bei der Versammlung gestern abend ist erzählt worden, daß der Mann fünftausend Mark bekommen hat, in Zeitungspapier eingewickelt. Dabei lag ein Zettel. Auf dem stand: Weil Sie so schlecht lügen können, finanziere ich Ihnen einen Rhetorik-Kurs in Frankfurt. Gebühren anbei. Und die Frau hat viertausend Mark erhalten, auf ihrem Zettel stand: Sie haben versprochen, sich für die Belange der Frauen einzusetzen. Dann tun Sie das auch gefalligst. Kursbeginn über Frauenfragen im September an der Universität in Dortmund.« Sie strahlte mich an, und ihr Gesicht war schön und voll Belustigung. »Also, ich weiß nicht, ob das stimmt. Aber wenn es stimmt, ist es ein schönes starkes Stück.«

»Da sagst du was«, meinte ich und verabschiedete mich.

Doch sie hielt mich zurück: »Moment mal, Siggi. Hast du auch das gehört? Das von Pater Leppich?«

Ich wußte, es gab einen Pfarrer, der einige Gemeinden südlich von Gerolstein betreute und den Spitznamen Pater Leppich führte, weil er gelegentlich seine Sonntagspredigten dazu benutzte, die anwesende Gemeinde wüst zu beschimpfen.

»Was ist mit dem?«

»Der soll auch was geschenkt gekriegt haben«, erklärte sie. »Aber Näheres weiß ich nicht. Wirklich nicht.«

»Was soll er geschenkt bekommen haben?«

»Geld«, antwortete sie . »Anders war der auch nicht mehr zu retten!«

»Wieso war der nicht anders zu retten?«

»Das sage ich nicht, das müssen dir andere sagen. Er ist ja eigentlich ein netter Kerl.«

»Das ist er. Mach es gut.«

Ich sah auf das Dorf zu meinen Füßen, auf den Hof von Nikolaus Daun, der am Hang gegenüber lag, auf Christian Dauns altes Anwesen, dem Traumziel von Klärchen, der Witwe Bolte. Ich dachte resigniert: Das Ding knacken wir nie!

Aber dann reagierte ich wie ein braver Bürger: >Da sei die Arbeit vor!<, fuhr in das Altenheim, hockte mich auf die Armesünderbank im Erdgeschoß und bat Mater Maria um eine Audienz.

Nach einer Weile kam sie, ein Weib wie ein Schrank, bebend vor Energie. Das erste, was sie sagte, um mir den Wind aus den Segeln zu nehmen, war: »Es hat aber keinen Zweck, sich mit mir über gewisse, sagen wir, Spendengelder zu unterhalten. Da trage ich den bischöflichen Maulkorb.«

»Ehrlich gestanden, stören mich der Bischof und sein Wort nicht sehr. Es geht auch gar nicht um das freundliche, in Zeitungspapier gewickelte Paket, das Ihren Küchennöten Abhilfe schaffen sollte. Es geht um etwas ganz anderes.«

»Das freut mich aber«, strahlte sie. »Wissen Sie, kurz nach dem Geldraub kamen äußerst seriöse Herren ins Haus, die angeblich ihre Großmütter hier einmieten wollten. Dann stellte es sich heraus, daß sie von mir eine Art Psychogramm der Eifler Bevölkerung in Sachen Geldraub haben wollten. Wirklich, ganz reizende Leute. Und Sie? Was wollen Sie?«

»Über den Pfarrer reden, den man Pater Leppich nennt«, erklärte ich.

Sie formte einen Kußmund, sah tief in sich selbst hinein und schaufte dann: »Das werde ich auf keinen Fall tun.«

»Aber warum nicht?«

»Weil ich mir nicht anmaßen kann, über einen Priester zu urteilen, den ich zwar kenne, aber nicht gut kenne.«

»Sehen Sie, Schwester Maria, genau das ist mein Problem. Mit welchem Phänomen haben wir es denn hier zu tun? Jemand klaut viel Geld, hat aber offensichtlich kein allzu starkes persönliches Interesse daran. Statt dessen verschenkt er es. Unter anderem an Sie. Ich erinnere mich an ein Weihnachtsfest. Da wurden Sie gefragt, was Sie sich denn wünschen. Sie kicherten und sagten: Eine neue Küche! Alle haben gelacht, und alle haben Sie gemocht. Nun gibt es eine ganze Menge Leute, die ganz öffentlich gesagt haben, sie möchten gern dies oder das auf die Beine stellen. Sie haben ihr erforderliches Geld bekommen. Im Prinzip ist das bei einigen Empfängern gut, bei anderen weniger. Es stellt sie bloß, nicht wahr.« Ich lächelte sie an. »Nun müssen Sie mir nicht bestätigen, daß unser älterer Mitbürger mit dem Spitznamen Pater Leppich Geld bekommen hat. Daß er etwas bekommen hat, weiß ich bereits. Die Frage ist nur: Warum entzieht er sich der Befragung?«

»Entzieht er sich?« fragte sie entzückt. Gleich darauf räusperte sie sich. »Ich hörte davon«, gab sie zu.

»Ich bin hier, um mit Ihnen über dieses Phänomen zu sprechen. Daß Pfarrer ein neues Geläut bekamen oder andere Leute Feuerwehrautos, ist unter diesen merkwürdigen Umständen ja fast normal. Aber daß einem Pfarrer ein Haufen Geld zufließt und jedermann so tut, als sei es verboten, darüber zu sprechen, wofür denn das Geld bestimmt ist; das, verehrte Schwester Maria, verstört mich sehr. Ich darf Sie an etwas erinnern: Ich bin zwar ein Neubürger, aber durchaus ein Eifel-Freak, und ich verrate meine Leute nicht. Und da bekannt ist, daß Sie eine kluge Frau sind, bin ich hier. Uff, das war eine lange Rede.«

»Und eine durchaus spritzige«, sagte sie trocken. »Sie appellieren also an meine Klugheit und Intelligenz, auf daß ich den Pater Leppich in die Pfanne haue.«

»Wenn Sie so wollen, ja. Aber es wird nicht in der Zeitung stehen, oder wo auch immer.«

»Versprochen?«

Ich nickte.

Sie wiegte den Kopf hin und her. »Natürlich müssen alle Leute das Geld wieder abliefern. Schade, es wäre so schön gewesen. Bei Pater Leppich ist das freilich etwas anderes. Und Sie ahnen doch bestimmt schon, warum. Oder?«

»Ich ahne gar nichts«, gab ich zu.

»Also, das ist eine Frage der Bilanzen«, erläuterte sie feinsinnig. Sie sah mich dabei so an, als sei damit nun wirklich alles gesagt, jede weitere Bemerkung überflüssig.

»Es kann sein, daß der Fall mich lähmt. Ich verstehe nicht. Wieso Bilanzen?«

»Sehen Sie, Herr Baumeister, der Pater Leppich betreut doch sechs, nein, halt, sieben Gemeinden. Und einmal im Jahr ist Bilanz in jeder Gemeinde. Da zeigte sich nun, daß, na ja, einiges fehlte eben. Irgendein Mensch, der irgend etwas mit diesem Geldraub zu tun hatte, wußte davon, wollte den Pater Leppich schützen, der ja wirklich hinreißend predigen kann, und schenkte ihm das Geld. Pater Leppich glich aus, und vermutlich war er selig. Wie sagte der Heilige Vater? Auch Priester sind Menschen.«

»Nun ist er vermutlich nicht mehr so selig. Wo ist denn das Geld nun?«

»Soweit ich weiß, hat Pater Leppich es dem Bischof geschickt und gleichzeitig um seine Entlassung gebeten.«

»Lieber Himmel, welch ein Wirbel!« rief ich angewidert.

Sie lachte. »Das kann man so oder so sehen. Immerhin waren es hundertsechzigtausend Mark. Dafür muß eine alte Frau lange stricken.«

»Was hat der mit hundertsechzigtausend Mark angestellt?« Ich war aufrichtig fassungslos.

»Das weiß ich nun wirklich nicht. Und wenn ich es wüßte, müßte ich erröten«, sagte die erstaunliche Nonne, errötete aber nicht.

»Hat er denn auch ein Begleitschreiben bekommen?«

»Sicherlich. Zufällig weiß ich, daß nur zwei Worte draufstanden. Nicht aufgeben!«

»Wie ist das denn rausgekommen?«

»Soweit ich weiß, stand die Bilanzprüfung an. Da wurde es entdeckt. Dann wurde geredet, aber niemand wußte etwas. Dann war klar, daß irgend etwas nicht stimmte. Und das Minus war gerade ausgerechnet worden, als das Geschenk kam. Zu spät.«

»Was macht ein Landpfarrer mit einhundertsechzigtausend Mark?«

»Das müssen Sie den Pfarrer fragen. Übrigens hockt der zu Hause und ist keinesfalls verschwunden, Herr Baumeister. Keine Notlügen mehr, mein Lieber!«

Ich verabschiedete mich und ging. Sehr nachdenklich fuhr ich nach Hause und wußte nicht, an welchem Punkt ich neue Recherchen ansetzen konnte. Es sah nicht gut aus.

Elsa, Nora und Cosima hockten auf den Eingangsstufen und kicherten.

»Also«, hob Nora an, »du darfst nicht so wild in dein Arbeitszimmer stürmen, die Tür auflassen und so. Da ist jemand drin, der auf dich wartet. Aber dieser Jemand ist ein Marsmännchen, also sehr klein, also winzig klein, also ...«

»... so winzig«, sagte Cosima ernsthaft, »daß du es vielleicht gar nicht siehst.«

»Sooo winzig«, sagte jetzt Elsa lächelnd, »daß du es vielleicht schon in der Hosentasche hast und es gar nicht merkst.«

»Aha«, sagte ich und überlegte, ob es eine Möglichkeit gab, an diesen Pfarrer heranzukommen.

»Du mußt die Tür ganz vorsichtig aufmachen«, befahl Nora.

»Das mache ich«, versprach ich.

Ich machte die Tür wirklich sehr vorsichtig auf, und natürlich sah ich zunächst nichts Besonderes, nichts fiel mir auf. Ich nahm das Telefon, setzte mich an den Schreibtisch und bat: »Laßt mich bitte eben telefonieren, dann spiele ich mit euch.«

Es wurde nichts daraus. Zuerst sah ich ein fuchsrotes Köpfchen, vielleicht vier Zentimeter im Durchmesser. Das beschnupperte meinen rechten Schuh. Dann folgte ein durchaus gut gefülltes Bäuchlein. Dann ein Hinterleib, der in seiner erbärmlichen Dürre zusammen mit einem erbärmlichen Schwanz den Eindruck machte, als bestehe das halbe Tier aus einer halbverhungerten Kanalratte.

»Das ist Momo«, erklärte Nora feierlich.

»Wir haben sie Momo genannt. Sie ist fünf Wochen alt«, sagte Cosima.

»Und Toms Vater«, sagte Elsa, »hat festgestellt, daß es ein Mädchen ist.«

»Ihr seid verrückt«, murmelte ich gerührt. »Hat sich ... ich meine, keine Spur von Krümel?«

Elsa schüttelte den Kopf.

»Und Momo ist wirklich ein Mädchen?« fragte ich.

»Du kannst ja den Schwanz hochheben und nachgucken«, schlug Cosima vor.

»Ich bin im Moment nicht dazu aufgelegt, Katzen die Schwänze zu heben. Ihr seid richtig klasse!« Ich nahm diese Mischung aus Ratte und fuchsiger Katze und stellte sie auf den Schreibtisch.

Plötzlich nahm die Natur ihren Lauf. Das reizende Kätzchen namens Momo, genau in der Mitte der ledernen Schreibtischunterlage postiert, hob anmutig den Schwanz, stellte die Hinterläufe leicht auseinander und kackte traumverloren vor sich hin. Sie hatte Durchfall, es stank gewaltig.

»Sie braucht eine Wurmkur«, stellte ich fest.

»Och, mein Schätzchen«, jubelte Cosima.

»Kann man so etwas kaufen?« fragte Elsa.

»Kann man. Aber du kannst auch Dr. Schneider in Gerolstein anrufen. Kann sein, daß der hier in der Gegend ist. Er hat so etwas immer bei sich, die Telefonnummer ist in der Kartei. Und wer räumt die Scheiße weg?«

»Ich«, sagte Nora heldenhaft.

»Das ist toll. Ich freue mich, daß sie mir nicht auf das Telefon geschissen hat. Wo ist Marker?«

»Konferiert mit diesem Oberstaatsanwalt und der ganzen Kommission.«

»Und Rodenstock?«

»Im Garten. Wenn du Kaffee willst, es ist noch etwas in der Küche. Gibt es Neues?«

»Ja.«

Die Katze namens Momo fing jetzt an, ihrem Instinkt nachzukommen und versuchte, ihre Exkremente zuzukratzen, was auf dem Schreibtisch schlecht möglich war. Es entstand eine Art stinkendes Chaos, und ich flüchtete. Das heißt, ich wollte flüchten. Doch plötzlich schrie Elsa fassungslos: »Krümel!«, und besagte Krümel kam durch die Tür geschlichen, maunzte laut, war verdammt mager und trug ihren Schwanz wie ein U-Boot sein Sehrohr.

»Das fasse ich nicht«, rief ich. »Krümel-Liebling! Wo warst du denn?«

Sie kam und maunzte und rieb ihren Körper an meinen Beinen. Dann roch sie die Bescherung auf dem Schreibtisch, und zu allem Unglück linste Momo über den Tischrand.

Ich wollte aufspringen, aber das mißlang. Krümel stieß einen hohen spitzen Schrei aus und knurrte wie der Goldwyn-Löwe. Momo fiel ihr exakt und laut jaulend vor die Füße. Krümel schlug einmal kräftig zu, reckte den Schwanz hoch und ging tödlich beleidigt hinaus.

»Das darf nicht wahr sein«, hauchte Nora.

»Und jetzt?« fragte Cosima. »Müssen wir Momo zurückbringen?«

»Ach Quatsch!« entschied ich. »Momo bleibt hier.«

Alle schrien hurra, und ich hatte Gelegenheit, mich zurückzuziehen, während Elsa nach dem Tierarzt telefonierte.

Langsam war es so, als hätte ich eine große Familie, und ich konnte nicht sagen, daß es mir mißfiel. Rodenstock hockte zusammen mit Unger und Bettina unter der Birke. Ich berichtete ihnen, was geschehen war, und Unger sah endlich eine Chance. »Ich finde heraus, was dieser Pater Leppich mit hundertsechzigtausend Mark gemacht hat.«

»Gut«, sagte ich. »Aber bitte, Umwege gehen, nicht verschrecken, niemanden verprellen und nicht mit dem Presseausweis wedeln.«

»Kann ich mit?« fragte Bettina.

Ich betete insgeheim inständig um meiner Ruhe willen, er würde sie mitnehmen. Meine Gebete wurden erhört, er nickte, und sie machten sich auf den Weg.

»Was sagt Marker? Was meint sein Oberstaatsanwalt?«

Rodenstock neigte den Kopf. »Der glaubt, wir hätten es mit strikt logistisch arbeitender organisierter Kriminalität zu tun. Auf die Geldgeschenke will er nicht eingehen. Vielleicht kann er nicht? Der Landrat, Bundestagsabgeordnete, Landtagsabgeordnete, die Caritas, ein Wirtschaftsmagnat, der Golfclub, die katholische Kirche. Vielleicht einigt man sich.«

»Was soll das heißen: Man einigt sich?«

»Man löst den Fall nicht, man läßt ihn auslaufen.«

»Mann, in sieben Jahren haben wir das Jahr 2000.«

»Ja und?« lächelte er. »Glauben Sie im Ernst, die Menschheit hätte sich geändert?«

»Das kann nicht sein«, sagte ich. »Soviel kann man nicht übersehen.«

»Sie sind naiv«, stellte er trocken fest.

»Das macht mich so wertvoll«, nickte ich. »Was können wir noch tun? Hat dieser Täter, hat diese Tätergruppe Fehler gemacht? Paßt irgendeiner der Beschenkten nicht ins Programm? Vielleicht dieser sogenannte Pater Leppich?«

Cosima, Nora und Elsa tanzten heran und schleppten die neue Katze Momo durch meinen Garten. Krümel kam um die Ecke und wirkte vor Eifersucht rosarot. Dahinter erschien ein strahlender Veterinär aus Gerolstein namens Dr. Schneider und trompetete: »Die Katze ist kein Weibchen, die Katze ist ein Männchen.«

»Dann kann der Name bleiben. Herzlich willkommen, Momo«, sagte ich.

Wenig später hockte Rodenstock mit den beiden Mädchen im Gras und hatte Momo im Schoß. Sein Gesicht wirkte ganz sanft und gelassen, es war voll Freude.

Langsam fuhr ich zum Tatort, als könnte ich nachvollziehen, was sich ereignet hatte. Ich erreichte diesen Tatort, hielt an, hockte mich auf einen liegenden Baumstamm und stopfte bedächtig die Camargue von Butz Choquin. Ich rauchte und dachte darüber nach, was ich mit so einem Transporter tun würde. Und was mit dem Motorrad?

Moment: Markers Leute hatten alle Scheunen durchsucht. Was war dabei herausgekommen? Es konnte nicht viel sein, denn Marker hatte nichts erwähnt – also Fehlanzeige. Was tut ein international arbeitender Gangster mit einem Geldtransporter? Er versenkt ihn in einem Fluß, in einem Baggersee. Er denkt nicht daran, das Ding auf ewig verschwinden zu lassen, es reicht, wenn es ein paar Wochen, ein paar Monate vielleicht verschwunden ist. Was wird er mit dem Motorrad machen? Dasselbe vermutlich. Also vielleicht irgendwo zwischen hier und Köln oder hier und Trier einen Fluß suchen, ein großes Wasserloch.

Was tut ein Mann aus der Eifel, der aus irgendeinem Grund furchtbar wütend ist, einen Geldtransporter klaut, das Geld verschenkt ... was tut der mit diesem Transporter, mit diesem Motorrad?

Bleib auf dem Boden, Baumeister. Laß deine Phantasie nur in den Grenzen spielen, die der Alltag dieser Leute zieht. Nicht herumspinnen, einfach nachdenken. Dann wußte ich plötzlich, daß wir alle an einer sehr naheliegenden Idee vorbeigerannt waren, und ich mußte lachen. Es war wie eine Befreiung.

Ich stieg in den Jeep und fuhr gemächlich auf den Hof. Rodenstock schlug wieder Holz und fühlte sich offenkundig prächtig, die Mädchen hockten auf dem Holzstoß und kraulten Momo – sie ließen ihn nicht auf die Erde, sie ließen ihn nicht laufen. Elsa kam in die Sonne und brachte ein Tablett mit Kuchen und Kaffee. Sie sah mich, kam heran und sagte: »Ich machte mir Sorgen. Dir geht es nicht gut, oder?«

»Jetzt geht es mir wieder gut«, erklärte ich. »Papa Rodenstock, lassen Sie uns eine Weile reden. Ich habe eine Idee.«

Wir drei gingen also hinein, sperrten Kinder und Katzen aus, und ich erklärte: »Es war immer ein Rätsel, was die Täter mit dem Transporter und dem Motorrad gemacht haben. Ich habe vielleicht eine Idee. Die Eifel war immer ein armes Land. Besitz, gleich welcher Art, wurde ängstlich gehütet, niemals vernichtet. Da wir annehmen müssen, daß es Eifler waren, müssen wir also mit Eifler Augen sehen. Die Männer werden den Transporter zerlegen, nichts wegwerfen, den Motor in eine andere Karre umbauen, die Achsen für irgendein anderes Fahrzeug gebrauchen können. Ist das einleuchtend?«

»Sehr«, sagte Rodenstock sofort.

»Und wie!« nickte Elsa.

»Aber wie setzen wir das um?« fragte Rodenstock. »Sollen wir systematisch suchen?«

»Ja«, nickte ich. »Jeden Wasserwagen bei den Kühen auf den Wiesen prüfen, jeden Kuhstall, ob er vielleicht Panzerglasfenster hat.«

»Das geht doch gar nicht«, wandte Elsa ein. »Wieviel Dörfer kommen denn in Betracht?«

»Ich weiß es nicht«, sagte ich. »Wir fangen im engsten Umkreis an und tasten uns vor.«

»Das könnte etwas bringen«, nickte Rodenstock.

Plötzlich wurden wir unterbrochen, weil Marker vorfuhr. Er kam in einem äußerst feudalen BMW und hatte einen Mann im Schlepptau, von dem er sagte: »Das ist der Untersuchungsführer, Oberstaatsanwalt Dr. Brüning.«

Wir nannten unsere Namen und gaben ihm artig die Hand. Er war ein Mann Mitte Vierzig, und offensichtlich war er es gewohnt, Befehle zu erteilen. Er sagte: »Setzen wir uns kurz.«

Wir setzten uns also und sahen ihn freundlich an, weil uns nichts anderes übrigblieb.

Ganz deutlich war er ein Mann, der frühmorgens um sechs auf den Beinen war und joggte. Er sah ein wenig magenkrank aus, hatte aber gleichzeitig die Ausstrahlung eines Politikers, der dauernd fordert: Denkt doch mal positiv, Leute!

Mit merkwürdig gleichförmiger Stimme, nicht hoch, nicht tief, in einer ermüdenden Mittellage, sagte er: »Herr Marker hat mir berichtet, wie sehr und vor allem wie fair Sie sich um unser gemeinsames Problem in dieser abgelegenen Landschaft gekümmert haben. Ich danke Ihnen dafür ausdrücklich und denke, daß der Generalbundesanwalt mit mir einer Meinung ist, wenn ich ihm vorschlage, Sie als besonders verantwortungsbewußte Mitbürger auch schriftlich und öffentlich zu belobigen. Ich danke Ihnen und bin hier, um mich gleichzeitig zu verabschieden. Ich denke, wir haben unsere Aufgabe erfüllt.« Dann lächelte er uns offen und herzlich der Reihe nach an.

Marker unterbrach an dieser Stelle und wedelte mit einer Ausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. »Wir haben hier einen ersten, wirklich glaubwürdigen Hinweis, daß sich Spuren des gestohlenen Geldes in Frankfurt nachweisen lassen. Nach sorgfältiger Recherche hat ein Redakteur der FAZ herausgefunden, daß eine Gruppe Kurden in Frankfurt mit einer Unmasse an Geld Waffen ordert. Diese Gruppe war am Freitag, also dem Tag vor der Tat, erst in Trier, dann im benachbarten Wittlich. Das wiederum legt die Vermutung nahe, daß die Gruppe die Tat begangen hat. Am Samstag abend gegen neunzehn Uhr, also rund sieben Stunden nach der Tat und rund eine Stunde, nachdem das Zeitschloß des Fahrzeugs den Saferaum freigab, tauchte die Gruppe in Frankfurt in einer von Türken geleiteten Kfz-Werkstatt auf. Am Sonntag hat die Szene kurz gefiebert, als eben diese Kurden Waffen orderten und dabei mit Bargeld in unbegrenzter Höhe winkten.«

Er hörte auf zu dozieren und sah uns vollkommen unschuldig an. Das gelang ihm blendend.

»Darf ich eine Frage stellen?« fragte ich höflich.

»Aber selbstverständlich, Herr Baumeister«, erwiderte der Oberstaatsanwalt leutselig.

»Der Artikel der FAZ deutet also einwandfrei auf Kurden hin. Hier aber wurden keine Kurden gesichtet. Des weiteren wurde hier anonym Geld verschenkt. Es handelt sich, Moment bitte, ich habe einen Zettel, um genau zwei Millionen zweihundertfünfzigtausend Mark. Haben Sie dafür eine Erklärung?«

»Absolut nicht.« Der Mann lachte genüßlich. »Nichts, wirklich gar nichts zwingt zu der Annahme, daß das verschenkte Geld tatsächlich mit dem des Geldraubs identisch ist, nicht wahr?« Er legte die Fingerspitzen zusammen, das wirkte sehr fein. »Vielleicht haben wir es hier mit einem Irren zu tun, der sein Geld einfach verschenkt?«

»Werden Sie diese Geschenke im Auge behalten?« fragte Elsa.

»Selbstverständlich, meine Liebe. Wir lassen Herrn Marker noch ein paar Tage hier. Die restliche Truppe allerdings ziehen wir ab. Wir werden uns auf die Kurden konzentrieren.«

»Sind die Kurden einschlägig aufgefallen?« fragte sie weiter.

»Ja«, antwortete er knapp. »Allerdings in London, nicht bei uns in Frankfurt.«

»Was geschieht mit den Geldern?« bohrte ich. »Soweit ich weiß, hat Herr Marker den Segen eingesammelt. Wird er den Beschenkten zurückgegeben?«

»Da wir annehmen, daß es sich bei dem Geldgeber um einen – sagen wir – Verrückten handelt, behält die Staatsanwaltschaft sich das Recht vor, später zu entscheiden. Wir verwahren die Gelder und warten, was in diesem dubiosen Fall geschieht«, lächelte er.

»Was ist, wenn die Geschenke fortgesetzt werden?« fragte wieder Elsa.

»Wir sammeln sie ein«, sagte der Oberstaatsanwalt. »Glücklicherweise haben wir es hier mit hochanständigen, guten Bürgern zu tun, bei denen sich herumgesprochen hat, daß das Geld möglicherweise nicht koscher ist. Die Bevölkerung wird das melden, und Marker bleibt ja noch ein paar Tage hier.« Er war rundum mit sich zufrieden. Er stand auf und verbeugte sich kurz und mit sehr steifem Rücken. »Es hat mich gefreut«, sagte er aufrichtig.

Als er gegangen war, meinte Elsa: »Sagen Sie, Marker, was soll das Theater?«

»Stellen Sie mir nie mehr diese Frage«, erwiderte er müde und strich sich über das Gesicht. »Er bekam einen Anruf vom Innenministerium in Bonn. Man legte ihm nahe, das internationale Verbrechertum zu bekämpfen. Und jetzt kein Wort mehr. Ich schlafe erst einmal zwei Tage.« Dann sah er Rodenstock an: »Können Sie mich noch kurz über alles informieren, was hier zuletzt geschah?«

»Aber sicher«, nickte Rodenstock. »Ich erzähle es Ihnen. Gehen wir in den Garten?«

Als die beiden abgezogen waren, schrie Elsa zornig: »Die schmettern den Fall ab, Baumeister!«

»Rodenstock hat es gerochen, Marker hat es gerochen. Das ist nicht neu und nicht überraschend. Als sie merkten, daß die ganze politische Eifel bloßgestellt wird, legten sie los ...«

»Aber irgendwo sind noch mehr als fünfzehn Millionen!« rief sie wild.

»Richtig«, gab ich zu. »Aber wer will das hören, wenn Kurden in Frankfurt Waffen kaufen und bar bezahlen? Sie wollten das internationale Gangstertum.«

Wir schwiegen und hörten, wie Rodenstock und Marker im Garten miteinander sprachen, wie Marker sich verabschiedete, wie er sagte: »Ich gehe die paar tausend Meter zu Fuß, wird mir guttun.«

»Ich schlafe unter der Birke«, brach ich das Schweigen.

Aber ehe ich verschwinden konnte, kamen Unger und Bettina auf den Hof gefahren, und sie sahen sehr glücklich und erregt aus.

»Junge, Junge«, sagte Unger hoch, »das ist vielleicht ein Ding!«

»Laß es raus«, forderte ich. »Nein, halt, warte noch, bis Rodenstock kommt. Dann mußt du es nicht zweimal erzählen.«

Unger setzte sich auf die Bank vor dem Haus, und Bettina nahm neben ihm Platz. Er war jetzt ein Teil von ihr, und das wirkte sehr tröstlich.

Rodenstock kam. »Ist der Pfarrer durchleuchtet?«

»Und wie«, behauptete Unger. »Also, die Sache begann vor etwa einem Jahr. Da kam ein Student zu dem Pfarrer ins Haus. 25 Jahre alt, studierte Germanistik und Politologie. Er wollte eigentlich eine Examensarbeit schreiben, irgend etwas untersuchen: Die Stellung katholischer Priester in der Dorfgemeinschaft von heute. Irgend so etwas in der Art. Er blieb. Es war überhaupt nicht schwer herauszufinden, was da passiert ist. Also nehmt um Gottes willen nicht an, daß es eine schwule Liebe wurde oder so. Aber eine Liebe war es wirklich. Das ganze Dorf wußte Bescheid. Der Student ergriff Besitz von Pater Leppich. Stück um Stück sozusagen. Es war einfach für uns, das meiste erzählten die Verkäuferin in einem Tante-Emma-Laden, ein Kneipenwirt und ein Gemeindeangestellter. Der Pater Leppich kaufte dem Jungen erst einmal eine Einrichtung für zwei Zimmer, dann ein altes, gebrauchtes Auto, dann ein neues Auto. Dann fuhren sie zusammen in Urlaub, einmal, zweimal, dreimal. Immer teurer und immer weiter weg. Ein paarmal haben ältere Männer aus dem Dorf versucht, mit dem Jungen zu reden, ihn aus dem Dorf zu scheuchen, aber der Junge hat nur gelacht und gesagt: Besser werde ich es nie mehr im Leben haben! Irgendwie sind einhundertsechzigtausend Mark zusammengekommen. Ich habe einige Posten notiert, es ist kein Kunststück gewesen, so viel Geld auszugeben. Der Priester wurde depressiv, er sprach von Selbstmord. Und was passiert? Schwuppdiwupp ist der Student verschwunden. Aber ich habe seine Adresse, das wird eine verrückte Geschichte.«

»Das wird vermutlich keine«, widersprach Rodenstock und berichtete kurz vom Besuch des Oberstaatsanwaltes.

»Aber das ist Wahnsinn«, reagierte Unger, »das ist doch völlig verrückt.«

»Nein«, sagte ich, »das ist der Staat. Haben Sie den ... entschuldige, hast du mit dem Pfarrer sprechen können?«

Er schüttelte den Kopf. »Das wollte ich nicht, weißt du. Er ist wirklich krank, der Arzt kommt jeden Tag und spritzt ihm irgend etwas. Eine ältere Frau aus dem Dorf paßt auf ihn auf. Der Mann ist kaputt! Der ist sechzig, hatte einen Liebsten, der ihn ausnahm, und jetzt ist er kaputt.«

Es war seltsam, niemand sprach ein Wort, wir zerstreuten uns auf meinem Hof, als hätten wir nichts miteinander zu tun. Als Bettina ihre Hand an Ungers Gesicht legte, wehrte er sie ab wie ein Insekt, drehte sich um und schlenderte aus dem Lichtkreis der Lampe über der Haustür.

Elsa murmelte: »Ich gehe in dein Bett. Du nimmst ja wohl die Birke.«

Wenig später meinte auch Rodenstock: »Ich versuche mal, etwas zu schlafen.«

Ich schnappte mir das Telefon für alle Fälle, ging unter die Birke und legte mich auf den Schlafsack. Irgendwann kam Krümel, maunzte hocherfreut und gesellte sich neben mich, nachdem sie die Umgebung abgesucht und alles in Ordnung gefunden hatte.

Ich erinnerte mich an meine neue Katze Momo, sah aber nicht nach ihr. Junge Katzen bleiben gern im Haus, solange Wände eine Deckung für sie sind.

Es war drei Uhr, als einige Dinge gleichzeitig in mein Bewußtsein drangen. Das Telefon schrillte, und in der Ferne heulten Sirenen. Die Feuerwehr kam schnell näher. Ich tippte auf den Knopf im Hörer, und Willi, mein Bürgermeister, rief atemlos: »Es hat Christian Dauns Scheune erwischt. Diese doofe Witwe Bolte hat wahrscheinlich wieder mit Maria und dem Erzengel gesprochen.«

Eine zweite Feuerwehrsirene, höher als die erste, war zu hören, dann eine dritte.

»Wie groß ist das Feuer?«

»Weiß ich nicht genau. Der Brandmeister sagt, daß sie es nicht unter Kontrolle kriegen. Alles sei trocken wie Zunder. Kommst du?«

»Na sicher.«

Keiner meiner Besucher war ausgezogen, keiner hatte geschlafen. Sie standen im Flur und starrten mich an.

»Es ist Dauns Scheune. Die mit dem vielen Heu. Laßt uns fahren, nein, laufen, wir versperren ihnen nur den Weg.«