ERSTES KAPITEL

Es war Samstagmorgen, der Sommer war heiß. Alle wichtigen Geschäfte vor dem Wochenende hatte ich erledigt: Brot gekauft, Margarine, Kaffee, zwei tellergroße Schnitzel, ein Glas Essiggurken, zwei Tafeln bittere Schokolade, eine Tüte Kekse. Ich lag im Garten unter der Birke und unterhielt mich mit meiner Katze Krümel, die dicht am Stamm auf dem Rücken lag und müde nach einer Fliege haschte, die ihr auf der Nase tanzen wollte. »Wir werden heute mit dem Wagen zum Steinbruch fahren und dort auf den Uhu warten. Er hat zwei Meter zwanzig Spannweite, und er braucht eine zehntel Sekunde, um dich fertigzumachen.«

Krümel drehte sich auf den Bauch, starrte gelangweilt in eine winzige Glockenblume, wandte sich ab und stellte sich mühsam auf die Beine wie eine Rentnerin am Ende ihrer Tage.

»Du könntest wenigstens Begeisterung zeigen. Oder so etwas wie Dankbarkeit, daß ich dich durchfüttere. Sie säen nicht, sie ernten nicht; ich finde dich mies.«

Sie schlich um die Ecke und war verschwunden, wahrscheinlich wartete irgendwo einer ihrer räudigen Lover auf sie. Ich stopfte mir die Ulivo von Morena und paffte in den heißen Himmel.

Ich mußte eingedöst sein, denn ich wurde wach, weil Krümel dicht neben meinem Ohr einen zärtlichen Heulton vom Stapel ließ.

»Es ist Wochenende, ich habe frei!« schnauzte ich.

Sie tänzelte ein paar Schritte ins tiefere Gras hinein, fuhrwerkte dort wild brummend herum, schüttelte irgend etwas sehr Blutiges wütend hin und her, kam dann erneut angelaufen und maunzte laut um Hilfe.

»Friß deine Maus gefälligst selbst«, erklärte ich. »Dauernd schleppst du die Leichen an, und ich soll sie auch noch mit dir teilen.«

Sie bewegte sich mit starren Katzenaugen rückwärts auf die Beute zu, sprang dann elegant auf sie drauf und legte mit hocherhobenem Maul eines meiner beiden Schnitzel dicht neben meinen Kopf.

»Bist du verrückt?« schrie ich empört. Empörung machte keinen Sinn, weil wir eine Absprache haben: Ich teile mit ihr meine Käsebrote. Also war es vollkommen logisch, daß sie mein Schnitzel mit mir teilte.

»Mach dich vom Acker. Ich kann betrügerische Katzen nicht leiden!« Ich döste wieder ein.

Als sie mich dann zum zweiten Mal wachmiaute, schon wieder eng neben meinem unschuldigen Ohr, hatte sie das zweite Schnitzel im Maul.

Das gab mir zu denken: Warum hatte ich die Schnitzel auf den Eisschrank gelegt, anstatt sie ordentlich in der Kälte zu deponieren?

Das Klingeln des Telefons riß mich aus meinen Gedanken. Lange überlegte ich, ob ich mich bewegen sollte. Schließlich stand ich doch auf, trottete ins Haus und nahm den Hörer ab: »Sie sprechen mit dem automatischen Siggi Baumeister. Ich bin zur Zeit in Hollywood, nähere Auskunft erteilt Philip Marlowe. Wenn Sie allerdings ...«

»Jetzt hör schon mit dem Scheiß auf«, schimpfte jemand außer Atem. »Nimm deinen Fotoapparat und fahr mit Vollgas nach Wiesbaum. Von Wiesbaum aus nach Flesten rüber. Mitten auf der Waldstrecke, dicht an der Straße hat irgendwer zwei Männer an zwei Bäume gebunden, Sack überm Kopf...«

»Wer ist denn da?«

»Spielt doch keine Rolle«, erwiderte der Anrufer gutmütig und hängte ein.

In solchen Fällen bleibt nichts anderes, als sich auf die Ehrlichkeit der Menschen zu verlassen. Natürlich konnte es sein, daß irgendeiner der meist jugendlich gutgelaunten Gäste bei Ben im Teller mich leimen oder irgendein grinsender Bauer mich in den April schicken wollte.

Doch ich hatte die Ahnung, daß diese Nachricht echt sein könnte. Folgerichtig geriet ich in Hektik. Ich nahm die Nikon-Automatic aus der Schreibtischschublade heraus und schob dabei die Schublade eher wieder zu, als die Hand mit dem Apparat sie verlassen hatte. Ich fluchte, krümmte mich vor Schmerzen, trat auf meine Katze Krümel und stieß den Schreibtischstuhl um, der gegen mein Schienbein knallte. Es war nicht mein Tag.

Ich setzte mich in den Jeep und gab Vollgas. Zwei Männer an Bäumen festgebunden? Ich wich mit Mühe meinem Bürgermeister aus, der langsam um eine Ecke schlich.

Mit Säcken über den Köpfen? Ich wollte auf die Bremse treten und aufgeben. Das roch eigentlich doch nach massiver Verulkung. Wessen Stimme war das gewesen? Ich kannte die Stimme, aber ich konnte sie niemandem zuordnen.

Am Golfplatz war viel Betrieb. Die Leute schlenderten mit ihren Schlägerwagen durch meine Eifel, als hätten sie vor, alles zwischen dem Nürburgring und dem Kylltal aufzukaufen. Aus dem Ruhrgebiet wälzten sich die Kurzurlauber heran, Menschen in Dosen, die sich irgendwann fragen würden, was sie eigentlich hier wollten, und die todsicher muffig irgendwelche Bedienungen anmachen würden, weil das Jägerschnitzel in Köln in drei Minuten auf dem Tisch war und nicht erst in zwanzig.

Lieber Himmel, wem gehörte diese Stimme?

Ich bog links nach Wiesbaum ab, fuhr schnell durch das Dorf am anderen Ende hinaus in Richtung Flesten, durch das Neubaugebiet, dann auf die Waldstrecke. Zuerst kam die breite Trasse, die der Sturm mit dem schönen Namen Wiebke gerissen hatte. Es folgte der Hochwald zur Rechten mit wunderschön gewachsenen Buchen über moosigen Teppichen.

Zwei Kilometer hinter Wiesbaum sah ich die Szene. Sie wirkte grotesk und völlig unglaublich, so, als habe ein vollkommen nervenkranker Regisseur einen vollkommen neurotischen Film zu drehen.

Der sehr verehrte Leser möge sich vorstellen, auf einer ziemlich breiten, hervorragend asphaltierten Straße durch sonnendurchfluteten deutschen Hochwald zu gleiten. Teilen wir dann den Blick voraus in drei Sektionen. Sektion eins zur Linken: Da war, außer Sonne und flirrender Hitze, nichts zu sehen. Sektion geradeaus: Die Straße. Darauf kam ein Streifenwagen der Dauner Polizei herangerollt. Die beiden Beamten sahen mich nicht, weil sie von keines Gedankens Blässe gestreift auf Sektor drei, also nach rechts starrten. Ich muß betonen: Intelligenter als die beiden Uniformierten sah ich auf keinen Fall aus.

Ich bremste und blieb regungslos sitzen.

Da waren zwei umfangreiche Kartoffelsäcke an zwei wunderschön gewachsene Buchen mittleren Alters gebunden. Beide Säcke bewegten sich heftig, als bestehe ihr Inhalt aus Anakondas oder Ähnlichem. Aus beiden Säcken ragte unten je ein Beinpaar. Erkennbar waren dunkelgraue, sehr ordentliche Hosen sowie blitzblank gewienerte schwarze Halbschuhe.

Beide Säcke waren jeweils in Brusthöhe mit kräftigen Paketschnüren an die Bäume gebunden, eine zweite Schnur hielt sie in Höhe der Waden eng am deutschen Holz.

Die Polizisten stiegen aus und machten ein paar sehr hilflos wirkende Schritte auf die Säcke zu. Dann stoppten sie, weil ein Beamter etwas Bedrohendes niemals direkt und schnell angeht.

Der, der den Streifenwagen gesteuert hatte, nahm die Mütze vom Kopf und kratzte sich ausgiebig. Endlich sagte er entschlossen: »Das glaubt uns kein Mensch, das fotografiere ich erst mal.« Der andere Beamte antwortete: »Hm.«

Der Mutigere von beiden ging zum Streifenwagen und kam mit einer Kamera wieder zum Vorschein. Er richtete das Objektiv auf die beiden Säcke, die immer noch sehr heftig zuckten. Zwischendurch war aus den Säcken eine Folge unbeschreiblicher Laute zu vernehmen. Nun stieg ich aus und begann ebenfalls zu fotografieren.

Während der eine Polizist in die Knie ging, um die Szene besser mit der Kamera festhalten zu können, wandte sich der andere blitzschnell zum Streifenwagen um, tauchte in dessen Inneres, und augenblicklich begann sich das Blaulicht zu drehen. Dann fragte er kummervoll: »Sag mal, sollen wir die nicht langsam losbinden? Die kriegen doch einen Herzschlag, oder was?«

»Sofort, sofort«, antwortete der andere. »Ich wußte, daß irgendwas passiert, mein Kaffee heute morgen war schon nicht in Ordnung.«

Ich ging knipsend in die Szene hinein, und der Blaulicht-Polizist seufzte: »Der schon wieder! Sie können doch nicht einfach so fotografieren!«

»Wieso denn nicht?« fragte ich. »Was sind das für Säcke?«

Der Fotograf-Polizist stöhnte: »Das wissen wir noch nicht.« Er machte den Eindruck, als wolle er übergangslos einen Nervenzusammenbruch hinlegen. Er brachte die Kamera zum Streifenwagen zurück und sagte dann gönnerhaft: »Du kannst sie jetzt losschneiden. Sonst kriegen die echt noch 'nen Herzinfarkt.« Dann wandte er sich mir zu: »Wer hat Sie bestellt?«

»Ein anonymer Anrufer.«

»Wollen Sie uns verarschen?«

»Es war so«, versicherte ich.

»Wann war das?«

»Vor fünf Minuten, schätze ich. Und Sie?«

»Wir sind zufällig hier, obwohl uns das kein Mensch glauben wird. Wirklich zufällig. Mensch, Karl, steh nicht rum, schneid die los.« Der, der Karl hieß, ging auf den linken Sack zu und durchtrennte zuerst die Beinfessel.

Der Sack gab eine wirre Serie von Lauten von sich.

Dann die Brustfessel. Schließlich faßte der Polizist den Sack unten und zog ihn nach oben. Heraus kam eine merkwürdige Erscheinung. Dunkelgraue Tuchhose, blaue, uniformähnliche Jacke, dunkelblaues Hemd, schwarze Krawatte. Ein puterrotes Gesicht, dessen Mund mit Paketband verschlossen war. Um den Kopf, auf den Ohren, ein paar Schallschützer. Knallrot, was sehr lustig aussah.

Der eben noch Eingepackte griff sich an den Mund, zog das Paketband ab und jaulte. Dann nahm er die Schallschützer vom Kopf und schrie: »Wo ist unsere Karre?«

»Wo ist was?« fragte der Polizist, der ihn losgebunden hatte.

»Die Karre!« schrie der Mann wieder. »Der Wagen, der Transporter! Wir sind ein Geldtransporter!«

»Das sehe ich nicht so«, murmelte der Polizist. »Oder sehen Sie hier irgendwo einen Transporter?«

»Emil«, regte sich der Mann auf, »unser Transporter ist geklaut!« Der zweite Kartoffelsack reagierte nicht.

»Nun schneide den endlich los!« schnauzte der Polizist neben mir seinen Kollegen an.

Es herrschte eine angespannte Stille, während der Mann, der Emil hieß, von seinem Kostüm befreit wurde.

»Wieviel Uhr ist es jetzt?« rief Emil dann.

»Genau elf Uhr vierzig«, antwortete ich.

»Dann sind wir ungefähr eine halbe Stunde angebunden gewesen!« schrie er. »Du lieber Himmel, Ringfahndung! Ringfahndung!«

»Wieso denn das?« fragte der Polizist neben mir.

»Das darf nicht wahr sein«, hauchte der erste Wachmann. Dann brüllte er: »Wir fahren einen Geldtransporter! Wir kamen aus Hillesheim. Wir kamen hier strikt nach Fahrzeit um zehn nach elf durch. Hier war ein Unfall. Viel Blut. Wir stiegen aus, wir hatten plötzlich diese Scheißsäcke überm Kopf. Kapieren Sie? Unser Geldtransporter ist weg.«

»Wieviel war denn da drin?« erkundigte sich der Polizist neben mir gemütlich.

Es herrschte wieder Stille.

»Genau wissen wir das nicht«, erkärte Emil dann. »Es waren zweiundzwanzig Geldsäcke. Nicht besonders viel, ganz normal. Irgendwas um zehn bis zwölf Millionen Mark würde ich mal sagen.«

Darauf war es sehr still, und niemand moserte, weil ich dauernd fotografierte.

»Ringfahndung«, krächzte der Polizist, der die Wachmänner losgebunden hatte. »Los, gib es durch. Ringfahndung. Verdammt schnell, Mann. Zwölf Millionen? Ich werd wahnsinnig. Wieso bin ich eigentlich Polizist geworden?«

Der neben mir bewegte sich und hastete zum Streifenwagen. Er hockte sich hinein, nahm den Hörer und begann wie wild zu sprechen. Wir konnten ihn nicht verstehen, er sah aus wie ein Karpfen, der verzweifelt nach Sauerstoff giert.

»Jonny, Junge, ich wußte, heute geht was schief«, sagte Emil. Er sagte das ganz ruhig und hockte sich auf einen Moosfleck.

Jonny setzte sich neben ihn. »Gib mir eine Zigarette! Hast du was mitgekriegt?«

»Nicht die Bohne«, murmelte Emil.

Ich gesellte mich zu ihnen. »Sie haben nichts mitgekriegt?« fragte ich nach. »Gar nichts?«

»Wie denn?« entgegnete Emil.

»Nicht schlecht«, meinte ich. »Was ist denn eigentlich genau passiert?«

»Sind Sie von der Presse?« erkundigte sich nun Emil.

»Ja, so ähnlich«, gab ich zu.

»Also, es war so: Wir holen jeden Samstagmorgen Bargeld in Hillesheim ab. Wird da gesammelt von den umliegenden Banken, also von Gillenfeld, Daun, Wittlich, Gerolstein, Kylltal und so. Wir holen es immer um elf Uhr samstags und fahren es in die Landeszentralbank nach Düsseldorf. Ruhiger Job, nichts Besonderes, wird gut bezahlt, weil Samstag ist. Und jetzt das!«

Sie schwiegen.

»Ja, was? Was ist passiert?«

Jonny rauchte und flüsterte: »Paß auf, ich wette, irgendein Bulle kommt auf die Idee und behauptet, wir wären es gewesen!« Er zitterte.

Emil stimmte ihm mit einem müden Nicken zu.

»Also, was war los?« versuchte ich es erneut.

»Wir fuhren normal nach Plan los. Als wir hier ankamen, lagen drei auf der Straße, also drei Menschen. Ziemlich viel Blut. Normalerweise dürfen wir nicht anhalten, egal, was passiert. Aber wir hielten an, weil hier in der Eifel sowieso nie was los ist. Da lagen die drei, und da lag das total kaputte Motorrad.«

»Moment mal, drei Mann und ein Motorrad?« fragte ich.

»Ja, ja, später ist mir das auch aufgefallen, aber zuerst denkst du ja nichts Schlechtes. Ich bremse, ich ziehe die Handbremse und sage zu Emil: Laß uns helfen. Wir steigen also aus und bücken uns, und schon ist es passiert, schon hatten wir die Säcke über den Köpfen und ...«

»Hat denn keiner von den dreien etwas gesagt?«

Jonny schüttelte den Kopf. »Kein Wort, nicht einen Muckser. Außerdem brauchten sie ja auch nicht zu reden. Weil, na ja, es war ja alles klar. Sie griffen sich unsere Colts. Was braucht man da zu reden? Halt, wo sind denn eigentlich unsere Colts?« Er stand auf und rannte zu den Bäumen, an denen sie festgebunden worden waren. »Sie haben sie hier ins Gras gelegt. Na, gründlich waren sie ja. Komisch, ich hätte die Dinger mitgenommen. Tja, also, wir kriegten Paketband aufs Maul und die Ohrenschützer, dann die Säcke und an die Bäume. Das war es.«

»Und es waren wirklich zwölf Millionen im Wagen?«

Emil antwortete: »Ja, ja, so um den Dreh. Genau wissen wir das ja nicht, wir zählen das Scheißzeug nicht, ist ja nicht unsere Aufgabe. Aber da kann keiner ran. Der Wagen ist wie ein Panzerschrank. Mit Zeitschloß, verstehst du? Das Ding kriegen die erst nach achtzehn Uhr auf, keine Minute eher. Moment mal, haben die unsere Schlüssel?«

Jonny nickte. »Na sicher, die waren gründlich. Ich weiß nicht, wie ich das meiner Frau sagen soll. Der Job ist weg.«

»Wer weiß von diesem Geldtransport?« fragte ich weiter.

»Also, ich würde mal sagen, der, der in der Bank in Hillesheim dafür verantwortlich ist. Dann unser Einsatzleiter in Düsseldorf und wir. Sonst? Sonst glaube ich niemand.«

»Und das ist jeden Samstag das gleiche?«

»So isses«, nickte Emil.

»Wie lange schon?«

»Die Tour läuft seit Januar«, sagte Jonny. »War eine gute Tour, richtig gemütlich.«

»Mit anderen Worten: Es muß Leute gegeben haben, die das genau wußten. Und die danach geplant haben.«

»Das sehe ich auch so«, stimmte Emil zu. »Das können nur Profis gewesen sein. Das mußt du dir mal vorstellen! Sie reden kein Wort, sie schlagen uns nicht einmal nieder, sie binden uns einfach an einen Baum, und das war es dann.« Seine Stimme schwankte. »Und wir sind unseren Job los.«

»Scheiße!« sagte Jonny. »Die kannten unsere Route, die wußten alles. Zu dritt, unglaublich!«

»Sie konnten es auch zu acht machen, oder mit zwanzig Leuten«, murmelte ich.

»Wieso das?« fragte Emil.

»Ganz einfach«, entgegnete ich. »Seht euch da auf der anderen Straßenseite den Wall an. Dahinter konnten sie eine ganze Kompanie verstecken.«

»Das ist richtig«, nickte Jonny, »aber das ist jetzt egal.«

»War es ein richtig zerdeppertes Motorrad? Neu oder alt?«

»Weiß ich nicht. Doch stop, ich weiß es wieder. Es war ziemlich neu, es war eine ...«

»Ich habe erst eine Honda gesehen«, fiel ihm Emil ins Wort, »aber es kann auch eine Suzuki gewesen sein. Es war eine Suzuki.«

»Richtig gut«, fand ich. »Wer immer diese Truppe war, sie war richtig gut.«

Die beiden Polizisten saßen im Wagen, reichten sich immer noch abwechselnd den Hörer, sprachen, sahen sehr kränklich aus und waren nicht im Weg.

Ich versuchte es sicherheitshalber noch einmal: »Sie sagen, es waren ungefähr zwölf Millionen Mark im Wagen?«

Emil erwiderte beschwichtigend wie ein Irrenwärter: »So ernst solltest du das nicht nehmen, wir kriegen es ja, wie gesagt, nicht zum Zählen. Wenn ich sage zwölf Millionen, können es achtzehn Millionen sein oder zweiundzwanzig. Ihr Pressefritzen wollt es wohl immer genau.«

»Und zu siezen brauchst du uns auch nicht«, meinte Jonny mürrisch.

»Also, noch einmal: Ihr ladet also in Hillesheim das Geld. Wo da genau?«

»Kreissparkasse.«

»Wie geht das vor sich? Geht ihr da rein?«

Emil nickte. »Na sicher. Wir fahren hinters Haus. Dann kommen wir hinten durch eine Tür in das Treppenhaus. Da steht jemand von der Bank, und der geht...«

»Wer war das heute?«

»Eine Frau, eine junge Frau. Den Namen kennen wir nicht. Ich würde mal sagen, dreißig oder so. Ganz schnuckelig. Sie geht mit uns runter in den Tresorraum. Dann schließt sie auf, denn der Kies liegt in Säcken im Tresor. Wir nehmen die Säcke und schleppen sie in den Wagen. Das ist alles.«

»Sonst war kein Mensch dabei?«

Er schüttelte den Kopf, Jonny schüttelte den Kopf.

»Kann man das beobachten?«

»Na ja«, gab Jonny zurück, »warum soll man das nicht beobachten können?«

»Weil man daraus lernen kann«, erwiderte ich. »Ihr seid dann also losgefahren. Hier war der Unfall, der keiner war, und dann schlug das Schicksal zu. Diese Straßenszene, könnt ihr die noch einmal beschreiben?«

Emil nickte, er war offensichtlich dankbar, daß jemand ihn davon abhielt, nachzudenken. »Also wir kommen da hinten von Wiesbaum her. Wir sehen drei Mann auf der Straße liegen, mittendrin ein Motorrad, ein kaputtes Motorrad.«

»Wie lagen die? Kannst du mir das zeigen?«

»Na schön«, sagte er ergeben und marschierte die fünf Schritte auf die Straße. »Einer lag hier, also parallel zur Straße. Die beiden anderen lagen rechts von ihm quer auf der Straße. Das Motorrad lag hinter den dreien. Wir bremsen, halten an, steigen aus und laufen hin ...«

»Wie weit entfernt habt ihr gehalten?«

»Höchstens vier oder fünf Meter.«

»Ihr habt also Blut gesehen?«

»Ja, eindeutig«, bestätigte Jonny von seinem Ruheplatz im Moos aus. »Wir sind zu denen hin und haben uns über die gebeugt.«

»Ihr beugt euch über die und habt sie also erkannt?!«

»Nein. Die trugen Motorradhauben ...«

»Handschuhe? «

»Handschuhe auch«, sagte Jonny. »Weiß ich noch genau. Der, über den ich mich beugte, griff sofort nach meiner Waffe, nach dem Colt und hielt ihn mir an den Bauch. Da sehe ich die Handschuhe ... Arbeitshandschuhe.«

»Bei mir war das genauso«, murmelte Emil.

»Und die sagten kein Wort?«

»Kein Wort«, nickte Emil. »Nicht mal >Hände hoch< oder so was. Wir hoben die Hände, weil wir das eingetrichtert bekommen haben auf der Schulung. Wir sollen zu unserem Schutz sofort die Hände hochheben.«

»Und dann?«

Es war einen Augenblick lang still. Die Polizisten saßen im Streifenwagen, die Vögel zwitscherten, die Sonne stand steil und heiß, und ein Pärchen Eichelhäher jagte sich wild schimpfend durch die Bäume.

»Na ja, der, der mich bedrohte, stülpte mir erst die Kopfhörer über, also diese Schallschützer, dann den Sack. Dann ein paar Schritte, dann rückwärts an die Eiche da, dann ...«

»Buche«, verbesserte ich.

»Von mir aus Buche«, sagte er mürrisch. »Dann waren wir auch schon festgebunden. Das war es wirklich.«

»Sie sprachen also kein Wort, richtig?«

»Richtig«, antwortete Emil. Er sah zu Jonny hinüber: »Ich wette mit dir, wir sind dran.«

»Schnell deinen Namen und Anschrift. Schreib es auf, hier, oder nein, sprech es schnell ins Mikro. Es gibt Zoff.« Ich hielt ihm das Aufnahmegerät vor das Gesicht. Er nickte, war plötzlich ganz kühl, als er sagte: »Ruf unsere Frauen an und treib irgendeinen Anwalt auf, machst du das? Und ... also Emil Kratkowiak, Köln-Ehrenfeld, Lange Straße 16. Telefonnummer, Telefonnummer auch? Ja, also, null, zwo, zwo, eins, sechs, sieben, vier, drei, sechs, zwei, acht. – Na Jungens, macht ihr die Ringfahndung?«

»Die Ringfahndung steht schon«, entgegnete der, der sie fotografiert hatte. »Sie kommen mit einem Hubschrauber. Wir haben die Weisung, daß Sie am Tatort bleiben sollen. Alle drei.«

Der zweite Polizist fragte betulich und nebenbei: »Könnte ich die beiden Colts haben?« Er versuchte ein Lächeln. »Jetzt braucht ihr sie ja nicht mehr.« Er kam zu Emil und ließ sich die Waffe geben, dann ging er hinüber zu Jonny, der die Waffe wortlos und ohne aufzustehen am gespreizten Daumen baumeln ließ.

Auf einmal kam Jupp des Weges. Er lärmte mit seinem uralten Lanz heran – ich mußte nicht einmal den Kopf drehen, um zu wissen, daß er es war. Jupp ist ein Unikum, Jupp hat keine Landwirtschaft mehr, aber immer noch den Trecker und einen kleinen Hänger. Er hat nichts zu tun, aber er rumpelt fröhlich durch die Vulkaneifel und bekennt grinsend, das sei besser, als still auf die Rente zu warten. Er ist ein lauter, freundlicher alter Mann im hellblauen Drillich, immer bereit zu helfen, immer bereit, mit den Augen zu zwinkern und seine Standardfrage zu stellen: »Meinst du das ernst, oder willst du mich verarschen?«

Langsam und quietschend bremste er, sah auf die Szene und fragte: »Irgendwas passiert?«

»Nichts passiert«, log einer der Beamten. »Nur Routinekram. Sie können weiterfahren.«

»Die beiden da sehen aus wie die aus dem Geldtransporter«, stellte Jupp fest. »Haben ja auch so Uniformen an. Sind die das?«

»Wir sind das«, bestätigte Emil freundlich.

»Keine Aussage«, sagte der Blaulicht-Polizist scharf.

Jupp nickte und stellte den Motor seines Treckers ab. »Ich habe drauf gewartet«, meinte er ungerührt. »Einmal mußte das kommen. Sieh an, der Siggi ist natürlich auch schon da.«

»Wieso hast du darauf gewartet?« fragte ich.

»Seit Januar fahren die hier jeden Samstag durch. Jeden Samstag zwischen fünf nach elf und zehn nach elf. Immer mit dem Geld aus Hillesheim. Irgendwann mußte das mal so kommen. Wieviel?«

»Zwölf Millionen. – Wer weiß das außer dir?«

Er sah mich an und ließ die Zunge in seinem halbgeöffneten Mund spielen. »Also, wenn du mich so fragst: Ich kenne keinen hier, der das nicht weiß.«

»Das hätte mich auch gewundert«, murmelte ich. »Also weiß es wie üblich jeder.«

Jupp grinste. »Du weißt doch wie das ist: Ein Eifler Junge macht erst mit sechs Monaten die Augen auf, aber dann sieht er alles.«

»Wieso eigentlich diese Strecke?« überlegte ich laut. »Wieso erst Richtung Ahrhütte? Wieso nicht direkt zur Autobahn?«

»Wir nehmen in Ahrhütte auch noch Geld auf«, erklärte Jonny. »Nicht viel, aber wir haben es auf dem Plan.«

»Wir haben Anweisung, daß nicht gesprochen werden soll«, griff der Polizist unglücklich ein.

»Das ist doch lächerlich«, platzte ich. »Und Sie wissen das!«

Er sah mich an und nickte. »Da machste was mit.«

»Wie schwer ist eigentlich dieser Transporter?« fragte ich.

»Er wiegt genau dreieinhalb Tonnen, also siebzig Zentner. Das Kennzeichen ist K-BZ 6000«, wußte Emil.

»Wie schnell ist das Ding, wenn man Vollgas fährt?«

»Ziemlich schnell«, sagte Jonny. »Du kannst mühelos hundertvierzig fahren.«

»Dann könnten die theoretisch schon fast in Köln sein«, rechnete ich.

»Mindestens«, bestätigte Jonny, »wenn nicht weiter.«

»Die Autobahn ist aber dicht«, belehrte uns der ältere Polizist. »Die haben jede Straße abgesperrt.«

Ich ging die Straße entlang, sehr langsam, sehr genau den Straßenbelag beobachtend. »War das hier? Lagen hier die Männer?«

Jonny nickte.

»Wenn sie blutig waren, muß das Blut Farbe gewesen sein. Hier ist nicht ein Tupfer Farbe.«

»Fiel mir auch schon auf«, sagte Emil trübe. »Es roch nach Tomaten.«

»Hm«, murmelte Jonny. »Als die drei da lagen und ich an sie ranging, bin ich auf was getreten. Ich glaube, es war eine Plane oder so was.«

»Sieh mal an«, sagte ich.

Ich ging weiter die Straße hinauf, fand nichts, entdeckte im Asphalt nicht einmal einen Kratzer neuesten Datums. Also bewegte ich mich im rechten Straßengraben weiter und erreichte den ersten Waldweg. Er war zerfurcht, einige Spuren waren neu, andere uralt. Auf der gegenüberliegenden Seite das gleiche. Etwa sechzig Meter weiter mündete ein weiterer Weg. Auch hier Reifen aller Breiten, neue Spuren, alte Spuren. Vermutlich rührte das daher, daß sie immer noch ohne Unterlaß die Reste der 40.000 Kubikmeter Holz abtransportierten, die »Wiebke« hier umgelegt hatte. Selbst für indianische Scouts schien das aussichtslos.

»Hauen Sie bloß nicht ab«, rief der ältere Polizist. Ich antwortete nicht, sondern hockte mich auf einen Buchenkloben und starrte in den Wald.

Ich stopfte mir die Valsesia von Lorenzo und schmauchte vor mich hin. Du lieber Himmel, zwölf Millionen Mark!

Die beiden Polizisten waren jetzt bemüht, eine rotweiße Plastikleine erst quer über die Straße und dann mindestens zwanzig Meter tief zwischen die Bäume zu spannen. Nach einigen Minuten stellte der Jüngere fest: »Die Strippe reicht nicht, es ist zuwenig.«

»Ach leck mich doch am Arsch«, schimpfte der Ältere.

Jupp kam her angeschlendert. »Schreibst du drüber?«

»Weiß ich noch nicht.«

»Mußt du aber doch, ist doch dein Beruf.«

»Muß ich nicht, muß ich überhaupt nicht.«

Er legte den Kopf schief wie ein Dackel und grinste. »Ha, ha, ha, zwölf Millionen. Du bist als erster hier und schreibst kein Wort. Ha, ha, ha.«

»Ach Jupp, sag die Wahrheit. Meintest du das eben ernst, als du behauptet hast, jeder weiß von den Geldtransporten?«

Er kniff die Augen zusammen und lächelte strahlend. »Natürlich. Du weißt doch, wie das hier ist. Du kannst nicht im Januar anfangen, jeden Samstag die Strecke Hillesheim, Wiesbaum, Flesten, Ahrhütte, Ahrtal und so weiter zu fahren, ohne daß es auffällt. Jeder hier kriegt das mit, jedenfalls jeder, der abends irgendwo sein Bier trinkt. Heimlichtuerei funktioniert hier doch nicht mal im Beichtstuhl. Oh, Junge, das waren richtige Gangster. Schreibst du nun drüber?«

»Weiß ich nicht, weiß ich wirklich nicht. Hast du niemanden gesehen? Kein Auto, das wie ein Geldtransporter aussieht?«

»Die Strecke bis Flesten rüber kein Auto. Junge, das ist ein Ding!« Seine Stimme war vor lauter Hochachtung heiser.

»Was würdest du mit zwölf Millionen machen?« fragte ich.

»Weiß ich nicht. Vielleicht mal nach Lourdes oder vielleicht nach Köln, einen draufmachen. Da kenne ich eine Kneipe, in der ... na ja, die gibt es nicht mehr. Und du, was würdest du machen?«

»Das ist mir zu dämlich, das überlege ich nicht.«

»Glaubst du, die beiden Wachmänner haben damit zu tun?«

»Haben sie nicht, aber sie werden heute abend arbeitslos sein. Diese Typen aus dem Revier kenne ich, die waren es nicht.«

»Bei zwölf Millionen wäre ich nicht sicher«, argwöhnte Jupp. »Du kannst bei so 'nem Wetter so einen Transporter überallhin fahren. Irgendwo in den Wald, zwanzig, dreißig Kilometer nur durch den Wald. Du räumst ihn aus und läßt ihn stehen. Ehe die den finden, ist es Weihnachten.« Er hob seinen knolligen, dreckigen Zeigefinger: »Von hier bis Adenau und weiter über den Nürburgring ist nix als Wald. Wer will dich da finden?«

Ich antwortete nicht, weil ich wußte, daß er recht hatte. Ich nahm den Film heraus, spannte einen neuen ein, fotografierte sicherheitshalber alles noch einmal und schlenderte herum.

»Das war Spitzenarbeit«, verkündete ich laut.

»Das bewundern Sie, nicht wahr?« fragte der jüngere Polizist aggressiv.

»Irgendwie schon«, gestand ich. »Einfach so und schwuppdiwupp sind zwölf Millionen verschwunden. Da muß irgendwer Köpfchen haben.«

»Die Bullen werden meinen Kohlenkeller filzen, in dem keine Kohlen sind«, klagte Emil müde. »Eigentlich bin ich ja dankbar, daß die mir keine Beule geschlagen haben. Aber alle werden sagen: Na klar, Komplizen schlagen sich nicht die Köpfe ein. Ich wette, das genau werden alle sagen.«

»Also, ich nicht«, versprach der ältere Polizist.

»Kann ich das schriftlich haben?« fragte Jonny.

»Wie lange dauert das denn, bis die Spezialisten hier sind?« erkundigte ich mich.

»Wissen wir nicht«, entgegnete der jüngere Polizist. »Warum?«

»Ganz einfach«, erklärte ich. »Ihr habt nicht einmal genügend Plastikstrippe, um diesen sogenannten Tatort abzusperren. Ich wette, daß jetzt, um sechs Minuten vor zwölf, mindestens dreihundert Leute bereits wissen, daß hier zwölf Millionen geklaut wurden. Sie werden gleich aus den Wäldern kommen. Scharenweise.«

Sie kamen fünf Minuten später, und sie kamen wirklich scharenweise, mit allem Denkbaren, was vier Räder hat: Sportlich getunte Golfs, Mantas, niedrig wie Flundern, uralte Unimogs, Trecker, Jeeps. Sie schoben sich etwa auf einhundert Meter heran, stiegen dann aus und schlenderten unendlich langsam auf uns zu. Hätten sie alle in die Luft geguckt und ein Liedchen gepfiffen, hätte es mich auch nicht gewundert.

»Heh, Leute«, klärte der jüngere Polizist sie jovial auf, »bis hierher, bis zu dieser Linie. Nicht weiter. Das ist ein Tatort!«

Sie blieben alle an dieser nicht existierenden Linie stehen, und Gabi fragte laut: »Siggi, stimmt das, daß der ganze Zaster futsch ist?«

»Ja«, nickte ich, »alles verschwunden.«

Traurig klang ich nicht. Alle lachten mit frischgewaschenen Samstagsgesichtern. Ein paar rückten weiter nach vorn, und der jüngere Polizist bat inständig: »Leute, denkt an die Linie.«

Ich schlenderte zu ihnen hin und winkte Gabi zu. Sie war gerade über zwanzig und hatte den Vorzug, vor fast nichts Angst zu haben. »Tu mir einen Gefallen. Nimm die Filme, die ich dir gebe. Laß sie entwickeln. Sofort und egal, was es kostet. Geht das klar?«

»Was ist denn hier passiert?« wollte sie wissen.

»Bitte, ich erzähl dir später alles. Mach dich erst einmal auf die Socken.«

»Ich brettere durch die Äcker«, versprach sie und verschwand. Es war sicher, daß sie tatsächlich brettern würde. Langsam ging ich zu der Stelle zurück, die sie den Tatort nannten. Ich legte mich neben Emil und Jonny in das Gras und paffte vor mich hin.

Um Punkt ein Uhr kam der Hubschrauber. Es war eine Riesenbiene aus den Beständen des Bundesgrenzschutzes, und sie ging etwa zweihundert Meter entfernt auf einer großen Lichtung nieder. Zwanzig Männer und eine Frau kletterten heraus, die alle wie eine etwas zögerliche Prozession auf uns zukamen, als bestehe die Gefahr, daß wir wie eine Erscheinung wieder verschwinden könnten.

Vorneweg ging ein Mann in meinem Alter, mit Schnäuzer und einer lächerlich hellblauen, irisierenden Krawatte auf einem dunkelblau gestreiften Hemd. Er redete ununterbrochen mit weit ausholender Gestik, und die Leute um ihn herum sagten dauernd: »Jawohl, Herr Oberstaatsanwalt« oder »Natürlich, Herr Oberstaatsanwalt.«

Als er uns erreicht hatte, machte er drei schnelle Schritte nach vorn, wandte sich zu den Polizisten und rief: »Rapport, meine Herren, Rapport!«

Der Oberstaatsanwalt bewegte sich mit den beiden Polizisten ein paar Schritte zur Seite und hörte angestrengt zu. Das dauerte ein paar Minuten. Dann drehte er sich abrupt herum und sagte in unsere Richtung: »Ich brauche Sie erst später, meine Herren, also warten Sie.«

»Das geht nicht«, widersprach ich.

Er war irritiert, und einige aus seinem Troß waren es auch. Er räusperte sich: »Am Tatort hier tanzen Sie nach meiner Pfeife, ist das klar? Sie sind der Pressemensch?«

»Richtig.«

»Sie werden warten müssen.«

»Muß ich nicht«, erklärte ich. »Ich wohne zweitausend Meter weg, und ich habe zu arbeiten.« Ich mochte ihn nicht.

»Sie warten. Sie haben Fotos gemacht?! Ich sperre diese Fotos!«

»Sie sperren gar nichts«, gab ich zurück. Den zehnten Film hatte ich längst in der Tasche. »Ich schenke Ihnen meine Kamera.« Ich hielt sie ihm hin.

Er nahm und öffnete sie; er kannte sich aus und schaffte es auf Anhieb. »Wo ist der Film?« fragte er.

Ich reichte ihm das Gewünschte. »Kann ich jetzt gehen?«

»Nein.« Er nahm den Film und steckte ihn in die Tasche. Dann rief er: »Fräulein Eggendorf, Fräulein Eggendorf!«

Die, die Eggendorf hieß, kam heran und sagte: »Ja, bitte?«

»Ihr Fall. Ein Mann der Lokalpresse. Ein bißchen aufmüpfig.«

Sie nahm mich am Ellenbogen: »Nun kommen Sie schon, Herr Kollege. Das hier ist sowieso eine Nummer zu groß für Sie.« Sie zerrte an mir.

»Ich bin nicht Ihr Kollege«, schimpfte ich. »Wieso zerren Sie an meinem Hemd herum? In sechs Stunden habt ihr den Fall doch sowieso nicht mehr! Was soll der ganze Aufstand?«

Es war still.

»Darf ich fragen, was das schon wieder heißen soll?« bellte der Oberstaatsanwalt.

»Sicher dürfen Sie das. Hier wurden rund zwölf Millionen Mark samt Transporter geklaut. Soweit ich weiß, ist das der schnellste, sauberste und größte Geldraub seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Bundesanwaltschaft winkt, Herr Oberstaatsanwalt.«

»Sie sind ja verrückt«, sagte die, die Eggendorf hieß und immer noch mein Hemd zwischen Daumen und Zeigefinger hatte.

»Also verrückt ist der wirklich nicht«, widersprach der ältere Polizist und zuckte zusammen, weil der Oberstaatsanwalt ihn so ansah, als wolle er ihn als Nachspeise bestellen.

»Sie arbeiten lokal?« fragte der Oberstaatsanwalt.

»Nie«, gab ich Auskunft.

Das irritierte ihn, das irritierte auch die Eggendorf, die mein Hemd losließ.

»Zunächst schnell die Lage. Meine Herren, kurze Besprechung!« wandte sich der Oberermittler unvermittelt von mir ab und versammelte alle um sich. Etwa dreißig Schritt abseits dozierte er irgend etwas.

Dann schwärmten sie aus. Sie öffneten ihre Koffer, fotografierten, maßen, nahmen Emil und Jonny beiseite und begannen, sie auszufragen. Ein paar Männer blieben untätig abseits stehen und sahen gelangweilt aus. Das waren die wirklich Wichtigen, und sie gehörten sicher nicht zum Troß des Oberstaatsanwaltes.

Nun sah ich, wie der ältere Streifenbeamte sich mit dem Oberstaatsanwalt unterhielt und dabei mit dem Kopf zu mir hindeutete.

Der Oberstaatsanwalt winkte daraufhin die Eggendorf zu sich und sagte ihr irgend etwas. Die Frau atmete tief durch und kam sehr langsam auf mich zu. »Wir verhängen eine Nachrichtensperre«, teilte sie mir mit.

»Kennen Sie die rechtlichen Grundzüge einer Nachrichtensperre?« fragte ich grinsend.

»Ich denke, ja«, sagte sie spitz.

»Ich denke, nein«, erwiderte ich. »Ich war vor Ihnen hier. Alles, was bis dato zu meiner Kenntnis gelangt ist, darf ich verwenden. Sie können mir das nicht verbieten. Die Nachrichtensperre bedeutet, daß Sie sich bemühen müssen, den Mund zu halten.«

»Ich möchte Sie aber bitten ...«

»Bitten Sie mich nicht, das hat keinen Sinn. In spätestens drei Stunden muß Ihr Herr und Meister sowieso eine Pressekonferenz einberufen. Es bleibt ihm gar nichts anderes übrig. Meine Kollegen werden aus allen Himmelsrichtungen einfallen. Wollen Sie denen etwa zu verschweigen versuchen, daß Ihnen zwölf Millionen abhanden gekommen sind?«

»Sie arbeiten doch manchmal auch für ... na ja, für ...«Es wollte ihr nicht über die Lippen.

»Für das Magazin in Hamburg«, half ich aus. »Das tue ich nicht nur manchmal. Natürlich werde ich Sie lobend erwähnen.«

»Wie bitte?« fragte sie schrill.

Plötzlich kam Bewegung in die Szene. Die beiden Uniformierten rannten zu ihrem Streifenwagen, der Ältere nahm den Hörer und hörte eine Weile zu. Dann rief er aufgeregt: »Herr Oberstaatsanwalt, Herr Oberstaatsanwalt!«

Der Oberstaatsanwalt ließ sich Zeit, solche Leute lassen sich immer Zeit. Er nahm den Hörer mit ganz spitzen Fingern.

»Sie sind aus dem Rennen«, gluckste ich die an, die Eggendorf hieß.

»Quatsch«, widersprach sie heftig.

»Wollen wir wetten?« fragte ich. »Ein Pfeffersteak im Teller?«

Der Oberstaatsanwalt beugte sich weit nach vorn, es sah beängstigend nach einem Sturz auf den Waldboden aus. Dann straffte er sich, schluckte den Schlag und winkte den vier Männern zu, die schweigend abseits standen, weil sie das Ganze bisher nichts anging. Die vier setzten sich in Bewegung und bildeten einen engen Kreis um den Oberstaatsanwalt, der sie informierte: »Wir gehen raus aus dem Fall. Das war das Innenministerium in Mainz.«

»Na also«, sagte ich.

»Wir sehen uns noch«, versprach er mir giftig.

»Ich verkehre nicht in Ihren Kreisen«, gab ich muffig zurück.

Einer der vier kam zu mir und sagte höflich: »Sie können selbstverständlich nach Hause gehen, Herr Baumeister. Irgendwann schicke ich einen Beamten vorbei.« Er machte eine kurze Pause. »Besser, ich komme selbst. Mal ehrlich: Haben Sie schon einmal einen so perfekt abgeräumten Tatort gesehen?«

»Noch nie«, gab ich zu.

Er seufzte: »Scheißprofis« und ging von uns weg. Dann drehte er sich unvermittelt um. »Ich werde die beiden Wachmänner nicht festnehmen.«

»Das finde ich gut«, sagte ich. Ich fand das wirklich gut. »Darf ich fragen, welcher Organisation Sie angehören? Bundesnachrichtendienst oder Bundeskriminalamt?«

Er lächelte leicht. »Bundeskriminalamt.«

»Noch etwas: Wissen Sie, ob es schon mal einen vergleichbaren Fall gegeben hat?«

»Nein, ich habe noch nie von einem Fall dieser Art gehört. Aber vielleicht steht die Karre mit den Millionen ja drei Waldstücke weiter?«

»Wohl kaum«, murmelte ich. »Und wenn sie da steht, ist sie leer, und drin liegt ein Zettel: Schönen Dank!«

»Das glaube ich nicht«, sagte er. »Das Ding ist mit einem Zeitschloß versehen, quarzgesteuert. Man kann es vor achtzehn Uhr nicht aufmachen, ganz unmöglich. Nicht einmal mit einem panzerbrechenden Geschoß. Wir haben also noch mehr als sechs Stunden.«

»Gott mit Ihnen«, flüsterte Jupp ganz fromm.