FÜNFTES KAPITEL
Es herrschte ein verbissenes Schweigen. Schließlich fuhr sie in einen Waldweg, stoppte, sah auf ihrer Seite aus dem Fenster und sagte: »Ich steige aus der Geschichte aus, Baumeister. Ich ertrage diese sinnlose, fürchterliche Gewalt nicht. Das erinnert mich an das furchtbare Geschwätz meines Vaters über die wunderbare Kameradschaft an der Ostfront. Und außerdem bescheißt du mich, und das macht mir am meisten zu schaffen.«
»Ich bin abgehauen, um Alfred zu helfen.«
»Ja. Und das wird sich wiederholen. Du wirst zwar anschließend immer so gnädig sein, mich darüber zu informieren, was vorgefallen ist, aber zuerst wirst du mich übers Ohr hauen. Du wirst sagen, du gehst an die frische Luft, und du wirst verschwinden und verprügelt werden oder jemanden verprügeln. Das ist nichts für mich.«
Sie stieg aus, ging ein paar Schritte, reckte sich, pflückte einen langen Grashalm und weinte ganz still wie ein kleiner Clown, dem die Pointe vermiest wurde.
»Ich möchte von hier aus zu Fuß gehen«, sagte sie endlich. »Ich möchte allein sein.«
Ich fühlte mich elend, rutschte hinter das Steuer und fuhr langsam nach Hause.
Ich erledigte Post, rief ein paar Leute an, die um Rückruf gebeten hatten, aber ich war unkonzentriert und muffig und war auch nicht an ihnen interessiert. Als Elsa kam, trödelte sie wortlos hinauf in das Zimmer, das ich für Gäste bereithalte, und packte ihre Koffer. Es war schmerzlich, es war so, als lebten wir in zwei Welten. Ich hörte, wie sie langsam und wohl antriebslos umherging. Dann kam sie herunter, stand mit ihren Siebensachen in der Tür und sagte lapidar: »Ich haue jetzt ab.«
»Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich bin ein schlimmer Eigenbrötler.«
»Ich habe dich nur besucht, ich bin nur in die Geschichte reingeschliddert, ich habe nichts gewollt. Ich wollte nur etwas für mich herausfinden.«
Auf dem Dach sang die Amsel. Sie hockt an jedem Sommerabend seit drei Jahren auf dem verrosteten Antennenmast und erzählt dem Dorf, wie schön der Tag war.
»Du kannst doch bleiben«, sagte ich. »Es wird nicht wieder passieren.«
Sie stellte die Reisetasche neben sich. »Sieh mal, Baumeister, ich mag dich einfach. Ich bin doch hierhergekommen, um dir das zu sagen. Und dann ist da diese eklige Bundeswehrsache, und du benutzt die erste Gelegenheit, mich übers Ohr zu hauen. Ohne Grund, Baumeister, ohne Grund. Na klar, ich bin nur eine Frau und habe nicht soviel Erfahrung in diesen Sachen. Und eine Frau haut man bedenkenloser übers Ohr, so ganz nebenbei.« Sie nahm die Reisetasche hoch und ging hinaus. Ich hörte, wie sie alles in ihr Auto kramte und dann vom Hof fuhr.
Ich hatte plötzlich die unangenehme Vorstellung, Messner würde kommen und mich verprügeln. Ich war vollkommen hilflos, ich würde nicht einmal schnell genug die Arme hochkriegen. Ich rappelte mich also auf und krauchte behutsam in den ersten Stock ins Badezimmer und ließ mir Wasser einlaufen. Ich hatte Schwierigkeiten, die Pflaster abzulösen und durch neue zu ersetzen. Als ich wieder auf dem Sofa anlangte, war ich erschöpft. Ich hatte mich so gefreut auf ein paar einsame Sommerwochen voller Arbeit, und nun war dies geschehen.
Krümel sprang zu mir hoch und legte sich auf meinem Bauch zurecht. »Das ist alles nicht schön«, sagte ich, »das geht uns alles gegen den Strich. Jeder anständige Deutsche hat ein Recht auf Urlaub.« Ich stopfte mir die Valsesia von Lorenzo, schmauchte vor mich hin und beobachtete das letzte Licht des Abends. Mir war elend, und ich dachte nicht an diesen verzwickten Fall, sondern nur an Elsa, die ich verscheucht hatte. Es war merkwürdig und bedrohlich: Sie kam mir älter, klüger, alles in allem viel erwachsener vor, als ich jemals sein konnte. In diesen Sekunden wäre ich fähig gewesen, ihr das zu sagen, und auch, wie leid es mir tat. Aber sie war nicht da, fuhr sicherlich wütend und verkrampft nach Norden und fluchte auf den Baumeister.
Ich brauchte zehn Minuten, um mir das Radio an das Sofa zu schaffen. Ich schob Warm Valley mit dem Art-Farmer-Quartett ein. Das Flügelhorn besänftigte mich, und der wirklich kolossale Bassist Ray Drummond löste den kalten Ball in meinem Bauch auf. Krümel kam und versuchte, meine Nase zu lecken, aber da war ein Pflaster, und sie zuckte zurück. »Wir armen, alten Krieger«, seufzte ich. Dann gönnte ich mir noch eine Aufnahme von 1927: Duke Ellington im Cotton Club mit Misty Morning. Es gibt Dinge, bei denen Aspirin nicht hilft ...
Es gab eine Frage, die ich dem toten Leutnant Lorenz Monning gern gestellt hätte: Wieso haben Sie dienstfrei und werden an Ihrer Arbeitsstelle bei strömendem Regen neben einem Jeep erschossen? Wie sind Sie dahin gekommen, und wie kamen Sie an den Jeep?
Es machte keinen Sinn, Theorien darüber zu erstellen. Es gab tausend Möglichkeiten, und sie alle würden letztlich der Wirklichkeit nicht gerecht werden. Und wir wußten nicht einmal, wo dieser Lorenz gewohnt hatte. Wir kannten nicht einmal sein Gesicht.
Ich hörte mich selbst seufzen.
Die biblische Patricia hatte die ungeheuren Mengen Abendessen in den Eisschrank gestellt. Ich machte mir etwas davon warm, als Dr. Naumann hereinkam, auf einen Stuhl plumpste, scharf ausatmete und erklärte: »Ich möchte Ihren Beruf nicht haben. Das ist ja ekelhaft.«
»Das habe ich mir nicht ausgesucht«, sagte ich. »Die meisten Geschichten verlaufen sehr friedlich. Wie geht es Alfred?«
»Ich habe ihn nach Hause fahren können. Es geht ihm, wie es Ihnen ging. Er flucht und ist sauer auf Sie, weil Sie ihm gesagt haben, Sie hätten die Fotos von einem Bundeswehrsoldaten gekauft.«
»Das war sehr richtig, und ich habe das sehr überlegt getan. Auf diese Weise schütze ich Informanten.«
»Das dachte ich mir. Ich habe ihm gesagt, daß ich die Fotos gemacht habe. Er ist einfach sauer, weil er glaubt, daß Sie ihm nicht vertrauen. Er wollte also gerade nach Hause fahren, als sechs Bundeswehrsoldaten aus dem Wald kamen. Anfangs waren sie noch friedlich und stichelten nur. Sie sagten, Sie und Alfred seien ja dicke Freunde, und sicher hätte Alfred Ihnen alles gesagt, was er von den Vorfällen am Depot wüßte. Und außerdem sei es ja schon soweit, daß Alfred Ihrer Freundin sein Auto pumpe, damit die recherchieren kann. Alfred hat geantwortet, daß er Ihnen nichts gesagt hätte, was Sie nicht schon wußten. Er glaubt, daß mindestens drei der Soldaten ziemlich betrunken waren. Ein Wort gab das andere, und plötzlich gab es Stunk, weil die Soldaten ihm vorwarfen, er habe die Bundeswehr verraten, obwohl er doch selbst einmal bei der Bundeswehr gewesen sei. Alfred verlor die Nerven und schrie, ein verdammter Kamerad von ihnen habe Bilder von den Tatorten an Sie verkauft, und die Bundeswehr solle gefälligst vor der eigenen Tür kehren. Dann haben sie ihn verprügelt und ihm gesagt, er solle in Zukunft den Mund halten. Er ist so wütend, daß er sich am liebsten auf den Trecker setzen würde, um das Depot plattzuwalzen.«
»Ich werde ihm das mit den Fotos erklären, ich hoffe, daß er mich versteht. Wollen Sie Wildschwein?«
»Ein wenig. Wäre es nicht besser, ganz aus der Geschichte auszusteigen? Ich meine, Recherchen sind bei dieser gewalttätigen Horde doch Selbstmord. Wo ist denn eigentlich Ihre Bekannte?«
»Abgefahren. Sie hat die Gewalt nicht ausgehalten, und sie war sauer auf mich.«
»Komisch, das habe ich erwartet.« Er lächelte etwas bitter. »Hier, ich habe Ihnen Vitamine mitgebracht. Futtern Sie davon, bis es Ihnen zu den Ohren heraushängt. Was werden Sie jetzt unternehmen?«
»Das weiß ich nicht. Erfahrungsgemäß ist man nach einer gewissen Zeit so sehr Bestandteil einer Geschichte, daß man von anderen Beteiligten eingeweiht wird. Aussteigen kann ich nicht und will ich nicht, nachdem ich von Ihnen weiß, daß die zweite Frau keine Selbstmörderin war, nicht getrunken hatte und sich auch nicht mit Tabletten abgab. Wie kommt eine Prostituierte aus Köln nachts in die Eifel? Das ist eine der vielen Fragen. Es ist kaum zwei Tage her, wir haben drei Leichen, zwei halb totgeschlagene Männer, und eigentlich wissen wir nichts, absolut nichts. Sie sollten mir schnell die Rechnung machen.«
»Warum schnell? Glauben Sie, Sie werden keine Zeit mehr haben, mich zu bezahlen?« Er grinste.
»Nein, das ist es nicht. Nehmen Sie bitte einen Satz der Bilder mit und deponieren Sie ihn an einem sicheren Ort.«
Wir aßen etwas, dann verabschiedete er sich und nahm die Bilder mit. Den zweiten Satz verpackte ich in einen Aktenordner, den ich dick mit mehreren Lagen Tesafilm umwickelte. Dann nahm ich eine Taschenlampe und kletterte in der Garage durch die Dachluke in das Stroh, das Alfred dort lagerte. Ich kroch flachliegend bis zur Stirnwand und legte den Ordner mit den Bildern auf einen Balken.
Zwei Bilder hatte ich zurückgehalten und offen auf meinen Schreibtisch gelegt: eine Gesamtansicht des Tatortes Nummer eins mit den zwei schemenhaft erkennbaren Leichen im Jeep sowie eine Aufnahme des Tatortes Nummer zwei mit der zweiten Frauenleiche und einigen Bundeswehrsoldaten des Depots als Zuschauern. Die Tatwaffe war auf diesem Bild nicht zu sehen.
Ich hörte durch die dicke Mauer das Telefon läuten, aber es war sinnlos zu versuchen, es rechtzeitig zu erreichen. Es war heiß und muffig im Stroh, und ich legte mich eine Weile auf den Rücken und schloß die Augen. Der Geruch erinnerte mich an meine Kinderzeit. Süße Träume.
Krümel kam die Leiter heraufgeklettert und keckerte laut, weil sie mich suchte. »Ich bin hier, meine Schöne, ich gehe dir nicht verloren.«
Beim Hinunterklettern hockte sie auf meiner Schulter, und als wir im Wohnzimmer ankamen, schellte das Telefon erneut. Es war Elsa: »Ich will dir nur Glück wünschen und dir sagen, daß ich dich ein bißchen verstehe.«
»Danke. Mir tut es wirklich leid, daß du gegangen bist.« Sie hatte schon wieder eingehängt. Ich legte mich auf das Sofa, draußen war es jetzt dunkle Nacht. Im Fernsehen zeigten sie noch einmal de Sicas Fahrraddiebe, und ich schaltete hastig aus, als sei der Film eine Bedrohung. Er war eine Bedrohung.
»Verdammt, meine Schöne, wir müssen resolut sein, wir müssen morgen aufstehen und arbeiten, und deshalb nehmen wir Pillen.« Ich nahm zwei Schlaftabletten, und Krümel benahm sich so, als sei sie beleidigt, daß ich nicht mit ihr teilte.
Als sie an die Haustür donnerten, weil meine Klingel selten funktioniert, dachte ich anfangs, es sei Elsa, reumütig zurückgekehrt oder so ähnlich. Es war zwei Uhr morgens.
»Ja, ja«, schrie ich und stand auf.
Sie donnerten wieder an die Tür, und ich schrie erneut. Mir fiel auf, daß ich nackt war, aber ich sagte laut »Wurscht« und schlurfte durch den Flur zur Tür. Ich schaltete sämtliche Lichter ein, auch die draußen auf dem Hof. Dann öffnete ich.
Der Mann war klein und kugelrund und trug trotz der warmen Witterung einen ekelhaft kackbraunen Trenchcoat. Er war so der Typ Papa, der mit offenen und ehrlichen Augen und gutgelaunt, immer guten Willens und alles verstehend sein Gegenüber ansieht und dann sagt: »In dieser Woche gibt es kein Taschengeld.«
Hinter ihm stand Messner und lächelte bescheiden. Hinter Messner stand ein Jeep, und vorne saßen zwei Bundeswehrler drin.
»Es ist so«, sagte der kleine Kugelrunde gemütlich lächelnd, »daß ich Sie kurz sprechen muß. Mein Name ist Doktor Falk Herrmann mit zwei >r< und zwei >n<. Bundesanwaltschaft. Kann ich zu Ihnen hereinkommen?«
»Mir hat schon einmal jemand gesagt, er heiße Doktor Sowieso, und anschließend hat er mich durch die Mangel gedreht.«
»Sie erkälten sich, Herr Baumeister«, sagte der kleine Kugelrunde freundlich.
»Sie werden schon einmal einen Pimmel gesehen haben«, sagte ich. »Sie können rein, aber dieser Schläger hinter Ihnen nicht.«
»Ich möchte aber zwischen den Kontrahenten vermitteln«, bat er, »Streit ist nicht nötig.«
»Ich will mich ja entschuldigen«, sagte Messner.
»Sie allein, der Schläger hinter Ihnen nicht.«
»Ich könnte aber einen Durchsuchungsbefehl für dieses Haus haben«, murmelte er.
»Wie goldig!« sagte ich. »Aber dann dürften Sie diesen Vogel hinter Ihnen auch nicht mit reinnehmen. Es ist ohnehin merkwürdig und verstößt gegen alle möglichen guten Sitten, daß Sie ausgerechnet mit einem Bundeswehrjeep und diesem Affen da anrücken.«
»Das ist, abgesehen von dem Affen, richtig«, gab er zu. Er drehte erstaunlich schnell seinen kugelrunden Kopf und seufzte: »Wie Sie sehen, Messner, weiß der Mann genau, was er will.« Dann schlüpfte er an mir vorbei in den Flur.
»Rauchen Sie inzwischen eine«, sagte ich in Messners Gesicht und machte die Tür zu.
»Sie sind schlimm zugerichtet«, murmelte der Kugelrunde. Er war etwa fünfzig Jahre alt.
»Messner ist eben gründlich«, sagte ich.
»Er behauptet, sich an nichts mehr zu erinnern. Er weiß gar nicht mehr, was passiert ist.«
Ich antwortete nicht.
Erst jetzt sah ich, daß er dünne Lederhandschuhe trug. Er zog sie bedächtig aus und legte sie sorgsam gefaltet über sein rechtes Knie. »Was ist mit den Bildern?«
»Sie liegen dort auf dem Schreibtisch«, sagte ich. »Ich habe Sie erwartet.«
Er stand auf und ging an den Tisch. Er sah die Bilder sehr aufmerksam an. »Soweit ich informiert bin, hat die ein Bundeswehrsoldat gemacht und Ihnen verkauft.«
»Das ist richtig. Das habe ich gesagt. Und der, zu dem ich es sagte, wurde heute abend auf seinem Acker fast zu Tode geprügelt.«
»Alfred Melzer, ich weiß. Peinlich die Sache. Sie sagten gerade, Sie hätten den Bilderkauf nur behauptet. Also ist es nicht so, also haben Sie die Bilder von einer anderen Person?«
»O nein, ein Soldat hat sie mir verkauft.«
»Wie hieß der Soldat?«
»Keine Antwort. Informantenschutz.«
»Was haben Sie dafür bezahlt?«
»Keine Antwort. Ebenfalls mit Hinweis auf den Schutz, den ein Informant zu Recht erwarten kann.«
»Dies ist aber eine Sache, die Sicherheitsbelange des Staates berührt.« Er sprach jetzt nicht mehr sanft, er war auch nicht mehr klein und kugelig und gemütlich.
»Sicherheitsbelange des Staates? Das kann nicht Ihr Ernst sein. Der Minister hat mitgeteilt, daß es eine miese Eifersuchtstragödie war.«
»Darf ich die Bilder haben? Und war es ein ganzer Film oder nur diese beiden Aufnahmen?«
»Nur diese zwei Bilder. So, wie Sie sie in der Hand halten.«
»Und Sie haben bereits weitere Kopien gezogen und die Negative irgendwo deponiert?« Er kam zu dem Sessel zurück.
»Richtig. Aber ich sage nicht, wo.«
»Ich hätte die Möglichkeit, Sie durch gewisse Maßnahmen auf Ihre Pflichten als Staatsbürger aufmerksam zu machen.«
»Das haben Sie. Nur zu. Im Knast kann ich mich endlich ausruhen. Ich treffe keine hirnlosen Idioten wie Messner mehr, und andere Leute schreiben die Geschichte.«
»Sie sind wütend, nicht wahr?«
»O ja, ich bin wütend. Und ich werde nichts sagen. Nicht ein Wort. Es ist ein mieses Eifersuchtsdrama gewesen und aus damit.«
»Sie können sich aber doch denken, daß die Mitteilung des Ministers nur dazu diente, den Behörden die Möglichkeit zu geben, in Ruhe weiterzuermitteln.«
»Sicher weiß ich das. Und ich bin auch wütend, weil ich für dumm verkauft werde, weil man mich für dämlich genug hält, dem Geschwätz des Ministers zu glauben. Ich bin aber auch wütend, weil dieser Staat Typen wie Messner die Rente zahlt. Also ist es eine Spionageaffäre?«
»Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Zunächst untersage ich Ihnen kraft meiner Befugnis, in dieser Sache weitere Recherchen anzustellen, in dieser Sache journalistisch weiter zu ermitteln und die Ermittlungen zu veröffentlichen.«
»Machen Sie man«, sagte ich obenhin.
»Ich werde das der Redaktion mitteilen, und Sie bekommen ein Protokoll.«
»Welcher Redaktion? Ich arbeite für mindestens vier Blätter. Und wenn Sie denen Bescheid geben, kommen andere und bieten viel Geld, um die Geschichte zu bekommen.«
»Aber heute nachmittag hatten Sie doch Besuch von einem Chefredakteur.«
»Das ist richtig, das haben Messners Spürhunde richtig erkannt. Aber er war nicht in dieser Sache hier, er weiß absolut nichts davon.«
»Ich untersage Ihnen also noch einmal, in dieser Sache gegen die Bundesrepublik Deutschland tätig zu werden. Und ich hoffe, bei Gott, Sie halten sich dran. Sonst werde ich Sie einsperren.«
»Ich nehme es zur Kenntnis. Würden Sie so nett sein und mir Ihre Adresse, Ihren Namen und Ihren Titel auf ein Blatt Papier schreiben?«
»Natürlich«, murmelte er und schrieb es auf. Dann nickte er mir kurz und ernst zu und ging. Irgendwie tat er mir leid, denn er ging als jemand, der absolut sicher wußte, daß ich ihm nicht folgen würde.
Ich konnte nicht mehr einschlafen und überlegte herum. Als gegen fünf Uhr morgens Elsa auf den Hof fuhr und todmüde, blaß und wütend sagte: »Ich bin auf halbem Weg umgekehrt, ich kann dich doch nicht allein lassen in all dem Wirrwarr«, war ich richtig glücklich und nahm sie in den Arm. Ich war eingeschlafen, als sie aus dem Bad kam.
Wir wurden erst gegen Mittag wach, ich konnte mich bereits besser bewegen und hatte kaum noch Schmerzen. Alfred rief an und wußte natürlich längst, daß ich nächtlichen Besuch gehabt hatte.
»Kannst du mich mal besuchen?«
»Später, gegen Abend.«
»Hat sich etwas Neues getan?«
»Noch nicht viel. Aber wir werden etwas tun, und dann wird sich etwas tun.«
»Wenn ich die Bundeswehrler erwische, mische ich die auf. Noch besser wäre es, man würde mit den Jungens von der Freiwilligen Feuerwehr ausschwärmen.«
»Laß das sein. Und sei am Telefon nicht so gesprächig.«
»Ach so«, sagte er.
»Aber ich habe noch eine Bitte: Du mußt unbedingt die ganze Sache aufschreiben. Versuchst du das mal?«
Er sicherte zu, er würde das versuchen, und hängte ein.
Elsa rannte im Bikini im Garten herum. Es war ein sehr knapper Bikini.
»An der Mauer, da wohnen Fritz und Fritzi und Friedbert und Friedrich. Frösche und Kröten. Wenn du dich langsam bewegst, hauen sie nicht ab, bestaunen dich nur. Und wenn du dich vorgestellt hast, zieh dir etwas an. Wir fahren spazieren.«
»Bin ich zu nackt für dein Dorf?«
»Das ist das Problem meiner Nachbarn, meines nicht. Komm jetzt und nimm die Kamera mit. Vor allem das vierhunderter Rohr. Und heute abend sprechen wir die ersten Recherchenergebnisse auf Band und schicken sie dem Chef.«
»Hast du noch Schmerzen?«
»Nein, keine mehr. Aber mein linkes Knie ist kaputt. Wenn ich es zu stark belaste, trägt es mich nicht.«
»Das ist das Alter«, sagte sie. »Komm, wir machen dich schön.«
Ich mußte mich still auf den Küchenstuhl hocken, und sie bearbeitete mich kichernd mit Make-up, bis ich halbwegs menschlich aussah. Ihre Hände waren sehr sanft und erinnerten mich an die meiner Mutter, oder vielleicht ist das auch übertrieben, vielleicht erinnerten sie mich nur an die sanften Hände der Elsa.
Ehe wir losfuhren, kam Mutter Melzer mit dem Moped. Mit ihrem strahlenden, von tausend Falten durchzogenen Gesicht lächelte sie scheu und sagte: »Es ist ja so, Herr Baumeister, daß ein Gefallen einen anderen wert ist.
Ich habe Ihnen hier ein paar Pfund Butter mitgebracht.« Etwas linkisch, aber sehr feierlich überreichte sie mir einen mindestens fünf Pfund schweren, in Pergament eingehüllten Klumpen Butter, und ich stotterte: »Danke, aber das kriege ich nicht aufgegessen.«
»Dann frieren wir es eben ein«, sagte Elsa schnell. Sie strahlte Mutter Melzer an. »Ich bin Elsa, eine Kollegin von dem. Ihren Sohn kenne ich schon.«
»Sie sind zum erstenmal hier, oder?« stellte Mutter Melzer leicht spitz fest. »Und dann wollte ich noch fragen, wieviel Benzingeld ich zahlen muß, Sie haben doch Alfred ins Krankenhaus gefahren.«
»Sie kriegen auf Ihre alten Tage noch mal Prügel von mir«, sagte ich.
Sie lachte und murmelte: »Prügel gibt's ja viel in letzter Zeit.« Dann zog sie knatternd mit ihrem Moped ab.
»Es ist sonst so still hier im Dorf. Jetzt ist alle Ruhe dahin«, knötterte ich.
Wir fuhren nach Hohbach. Ich zeigte Elsa das Depot, indem ich sehr langsam daran vorbeifuhr. Wir sahen, wie die Soldaten auf ihren Wachtürmen die Ferngläser auf uns richteten. Dann blieb ich vor einer der zahlreichen Tafeln stehen, auf denen zu lesen steht, daß Fotografieren verboten ist, daß man sich dem Zaun nicht nähern darf, daß man offenes Feuer in mindestens 50 Metern Abstand vom Zaun halten muß, daß man nicht campen darf, daß das militärischer Schutzbereich ist und daß scharf geschossen wird.
»Sie geben jetzt Alarm«, sagte ich. »Aber ich weiß nicht genau, was dann passiert.«
Dann sahen wir uns den Waldweg an, auf dem es geschehen war. Es war ein schöner Weg mit sehr vielen Wildblumen, und das Verbrechen war nicht vorstellbar, weil böse Träume nicht in einen Sommerwald passen.
In der nächsten Kurve war hinter uns ein Jeep. Elsa wurde nervös und sagte: »Ich habe keine Papiere bei mir.«
»Macht nichts. Sie werden nicht riskieren, uns anzuhalten, weil sie wissen, wer wir sind, und daß wir wissen, daß sie keinerlei Vollmacht haben.«
Der Jeep folgte uns in einem Abstand von einhundert Metern und verließ uns nach einem Kilometer.
»Wir fahren jetzt nach Hohbach, ich gehe in die Kneipe. Du steigst aus. Du gehst auf diesem Feldweg da entlang bis zu einer Stelle, die hoch über dem Dorf liegt. Da stehen wilde Rosen, die Stelle ist nicht zu verfehlen. Du siehst genau auf den Eingang der Kneipe. Wenn ich aus der Kneipe herauskomme, mußt du fotografieren, mit dem vierhunderter Rohr draufhalten, klar? Und falls dich jemand beobachtet, pfeifst du, guckst in die Luft oder fotografierst Blumen, oder irgend so etwas.«
»Und wenn sie dich verprügeln?«
»So dumm sind die nicht. Das werden sie nicht tun, nachdem der Bundesanwalt da war. Und noch etwas: Nimm jeden belichteten Film aus der Kamera und versteck ihn im Büstenhalter.«
»Ich trage aber keinen.«
»Dann sonstwo. Und jetzt mach es gut.«
Ich sah ihr nach, wie sie den Feldweg zwischen blühendem Mohn und Raps entlangging und dabei tänzelnde Schritte machte.
Dann ließ ich den Wagen ins Dorf hinunterrollen und hielt vor der Kneipe. Messner stand in der Tür, was mich nicht im geringsten verwunderte. Er hatte wohl Funkkontakt zum Depot.
Ich sah ihn nicht an und ging dicht an ihm vorbei. Drinnen war es dämmrig und angenehm kühl, und außer mir war niemand da. Der Wirt kam aus der Schiebetür hinter dem Tresen, sah mich und zuckte zusammen und wußte nicht, was er sagen sollte. In der Verlegenheit fingen seine Hände zu flattern an.
»Ich will nur eine Cola«, sagte ich. »Und Sie brauchen nicht zu versuchen, irgend etwas zu erklären.«
Er hüstelte und sagte: »Ein Cola, jawohl«, und sah mich nicht an, während er versuchte, die Flasche Cola mit einem Kugelschreiber zu öffnen. Dabei hatte er ein sehr verbissenes Gesicht.
Messner kam herein und baute sich zwei Meter entfernt auf. »Ich hoffe, wir vertragen uns wieder.«
»Warum nicht?« sagte ich leichthin. »Ich mache Urlaub. Im Urlaub bin ich friedlich.«
Elsa mußte jetzt den Punkt erreicht haben.
»Das ist schön«, sagte Messner. Er wirkte sehr angespannt.
»Ich bin hier, um das Zimmer zu bezahlen.«
Der Wirt geriet ins Stottern. »Oh, o nein, das ist schon erledigt, ist das.«
»Es waren dreißig Mark«, sagte ich. »Ich brauche eine Quittung.«
»Nicht doch«, sagte Messner sanft.
»Eine Quittung, bitte«, sagte ich.
»Mach ihm eine«, murmelte Messner. Es war deutlich, daß er daran herumkaute, was ich damit bezweckte.
»Für die Steuer«, erklärte ich freundlich. Ich nahm die Quittung und legte das Geld für das Zimmer und die Cola auf den Tresen. »Habe die Ehre. Beißen denn die Fische auch gut?«
»Ich kann nicht klagen«, sagte Messner fast eifrig. »Wollen Sie mitgehen? Morgens um sechs, wenn noch Nebel über dem Wasser ist?«
»Warum nicht?« sagte ich, und ich achtete darauf, daß ich mich sehr langsam und selbstverständlich auf die Tür zubewegte. Schritt und Schritt. In der Tür blieb ich stehen und sah einen Augenblick lang, wie sich die Sonne in der Linse von Elsas Nikon brach.
»Wann würde es denn passen?« Ein, zwei Schritte, ich stand draußen.
Messner kam sehr schnell heran und stellte sich neben mich. »Sie wollen mich jetzt verscheißern, nicht wahr?«
»Nicht unbedingt«, sagte ich. »Der Bundesanwalt hat mir untersagt zu recherchieren, und ich mache jetzt wirklich Urlaub.« Noch zwei Schritte aus dem Schatten des Eingangs hinaus in die Sonne. Sonne ist besser für Elsa. Dann noch ein Schritt in Richtung Auto. »Sie können mich ja anrufen.«
»Das tue ich«, sagte er und machte drei Schritte auf mich zu. »Warum nicht gleich einen Termin machen? Morgen früh? Übermorgen früh?«
»Morgen früh. Um sechs Uhr hier vor der Kneipe.«
»Das ist ein Wort«, sagte er. »Sie können mir glauben, daß es mir wirklich leid tut.«
»Das glaube ich Ihnen sogar«, sagte ich und nickte ihm zu.
Ich fuhr sehr schnell, bog auf den Feldweg ab und nahm Elsa auf. Diese Feldwege in der Eifel sind praktisch: Niemand von den Städtern traut sich, sie zu benutzen, obwohl sie ausgezeichnet sind und immer zur nächsten Straße führen.
»Alles in Ordnung?«
»Blendend. Das ist also Messner. Und jetzt?«
»Nimm den Film raus.«
»Aber wieso? Hier ist doch kein Mensch.«
»Bitte, nimm ihn raus!«
Sie erwarteten uns hinter einer jungen Lärchenschonung, und sie sagten nichts. Sie standen einfach mit ihrem Jeep quer auf unserem Weg. Zwei standen an den Jeep gelehnt, die anderen saßen hintendrin.
»Machen Sie bitte Platz?« Ich fand meinen Ton widerwärtig devot, aber unsere Chancen waren gleich Null. Sie waren jung, und sie waren unsicher, aber sie wußten genau, was sie wollten. Sie hatten einen von ihnen zum Sprecher gemacht, und es war klar, daß niemand ihnen einen Befehl gegeben hatte.
Es wirkte so lächerlich wie in jedem amerikanischen B-Film, wie in all den kreischenden, rumpelnden, polternden und schrillenden Streifen, die die Privatsender in nicht enden wollender Freundlichkeit über ihren Zuschauern auskippen: Der Anführer hatte sich drei Schritte vor den anderen in der Mitte des Weges aufgestellt. Er war fast zwei Meter groß, stand leicht breitbeinig in Kampfstiefeln und einem Tarnanzug mit hochgerollten Ärmeln in der Sonne und hielt den Kopf starr gegen uns gerichtet. Er hatte kurzes rotes Haar wie einen Heiligenschein über abstehenden Ohren und ein sehr rundes, rotes, gutmütiges Gesicht. Der Mund war schmal über einem sehr massiven, eckigen Kinn, der Mund wischte alle Gutmütigkeit hinweg. Es war schwer herauszufinden, weshalb er so gefährlich aussah. Wahrscheinlich lag es an den tiefliegenden Augen hinter weit vorspringenden Jochbögen, unter dichten, wulstigen Augenbrauen. Er hatte nicht vor, eine Diskussion zu führen, er hatte die Aufgabe, etwas festzustellen, etwas zu fordern. Irgend jemand mußte ihm gesagt haben: Laß dich auf keine Diskussion ein!
»Sie sind Journalisten. Sie haben von der Sache bei uns erfahren. Das geht nur unsere Einheit an, wir wollen nicht, daß darüber geschrieben wird. Sie haben fotografiert.«
»Haben wir nicht«, sagte ich. Wenn sie Elsa beobachtet hatten, war alles für die Katz. »Wir sind aus der Geschichte ausgestiegen. Wir haben eine Mitteilung vom Verteidigungsministerium bekommen, daß es ein Eifersuchtsdrama war. Es ist uns auch von der Bundesanwaltschaft verboten worden, zu recherchieren. Wir haben nicht fotografiert.« Ich stieg aus, nachdem ich den Motor ausgeschaltet hatte. »Mein Name ist Baumeister, aber das wissen Sie wohl schon.« Reden, Junge, du mußt reden. Reden stoppt sie, Reden hält sie auf, Reden macht sie unsicher. Rede, Junge, rede! »Der Name der Frau da ist Elsa Meinecke, und sie ist meine Freundin. Elsa, sei so lieb und steig aus.«
Sie stieg aus und blieb sehr verkrampft stehen. Es war zu sehen, daß sie vor Angst zitterte.
»Ich habe das nicht nötig, aber ich will Ihnen beweisen, daß wir nicht fotografiert haben. Wir haben drei Nikon hier. Schauen Sie her.« Ich nahm die Tasche aus dem Wagen und stellte sie auf die Motorhaube. »Wir haben die Apparate immer bei uns, aber die Kameras enthalten keine Filme, sie sind leer.« Ich wirbelte alle drei Nikons auf und legte sie offen auf die Motorhaube. »Und falls Sie das nicht glauben, falls Sie immer noch mißtrauisch sind, dürfen Sie den Wagen durchsuchen. Sie haben zwar keinerlei polizeiliche Befugnis, aber ich erlaube es Ihnen. Und dann möchte ich nicht, daß das noch mal passiert.«
Bis zu diesem Punkt war es offensichtlich nach ihren Vorstellungen gelaufen, aber das alles war nur ein Vorspiel gewesen. Jetzt kam der Punkt, er sammelte Kraft. »Da ist eine andere Sache«, sagte er irgendwie tonlos. »Wir haben erfahren, daß ein Kamerad von uns ... daß einer von der Bundeswehr Ihnen Bilder verkauft hat.«
Links von mir stand eine wilde, samtrosafarbene Malve, an der drei Hummeln hingen. Sie summten sehr laut.
»Das ist richtig«, sagte ich. »Das habe ich auch dem Bundesanwalt gesagt und ihm die Fotos gegeben. Es war aber nicht viel drauf zu sehen. Die Leichen im Jeep sehr unscharf und ein paar Soldaten.«
Er räusperte sich. »Der Bundesanwalt hat aber nur Abzüge gekriegt, nicht die Negative. Und die wollen wir unbedingt haben.«
»Die bekommen Sie nicht. Es ist ein Grundrecht unserer Demokratie ...«
»Wir wollen die Negative, damit das klar ist.«
»Ich habe die Negative nicht in der Tasche ...«
Er lächelte schmal. »Wir glauben Ihnen schon, wenn Sie sagen, daß wir sie kriegen. Und wir wollen den Namen des Soldaten, der Ihnen die Bilder verkauft hat.«
Die Szenerie blieb. Der Jeep, die zwei Soldaten drin, die sich so lümmelten, als seien sie Statisten in einem Wildwestfilm. Der dritte Soldat, ein kleiner, hagerer schwarzer Typ an der Motorhaube, und der Sprecher mit leicht gespreizten Beinen.
»Den Namen gebe ich nicht preis, die Negative bekommen Sie nicht.«
Elsa atmete scharf ein. Ich wußte, daß sie sagen wollte: »Gib ihnen doch die Negative, wir haben genug Bilder, wir können sie neu machen«, aber sie sagte nichts. Ich griff an, weil mir nichts anderes blieb. »Was wollen Sie jetzt machen? Wollen Sie uns totschlagen, wie der Doktor Messner das bei mir versucht hat?«
»Wer ist das? Ich kenne keinen Doktor Messner.«
»Es ist doch sehr einfach«, sagte ich. »Die Kameradschaft bei der Bundeswehr ist lebenswichtig. In meinem Beruf ist lebenswichtig, daß ich Menschen, die mir Informationen geben, niemals verrate. Ich denke, Sie verstehen das sehr genau.«
»Einer hat Ihnen Bilder verkauft und uns verpfiffen.« Er hatte jetzt ein Problem und wurde nicht damit fertig.
»Das ist doch ein leichtes. Sie können doch herausfinden, wer fotografiert hat. Soviel können das doch nicht gewesen sein.«
»Achtundzwanzig«, sagte er schnell.
Die Sonne war sehr intensiv, ein paar Vögel machten netten Lärm, die Hummeln an der wilden Malve arbeiteten weiter, Elsa bewegte sich unruhig.
»Wir fahren jetzt«, sagte ich. »Sie wissen, wo ich wohne. Wir können in Ruhe darüber reden, wenn Sie wollen.« Er nickte langsam und vollkommen in sich gekehrt. »Wir kommen demnächst mal vorbei. Los, fahr die Karre zur Seite.«
»Wie heißen Sie?«
»Norbert Lenz«, sagte er mehr zu sich selbst. »Gute Fahrt.« Er drehte sich ab und ging in einem merkwürdig weiten Bogen um den eigenen Jeep herum. Er ging wie ein Mensch, der in zwei Teile gespalten ist. Die langen, starken Beine staksten kräftig mit nach innen gerichteten Füßen vorwärts. Das wirkte so, als wolle er jemanden angreifen. Von der Hüfte an aber war er nach vorn geneigt, sein Rücken war gekrümmt, und sein Nacken verstärkte die Krümmung, und es schien, als sei ihm sein Kopf zu schwer. Er hielt inne, wandte sie langsam nach links, drehte sich, richtete sich auf, sah uns an, machte eine sehr linkische Verbeugung und sagte scharf: »Fahr die Scheißkarre aus dem Weg!« Dann stand er stocksteif, und sein Kopf knickte ein wenig nach vorn.
Wir stiegen ein, ich fuhr ganz langsam an ihnen vorbei.
»Du lieber Himmel!« Elsa hatte ein schneeweißes Gesicht. »Jetzt verstehe ich, warum ich den Film rausnehmen sollte. Der kneift ja furchtbar.« Sie holte ihn aus der Tiefe ihrer Jeans. »Das war knapp, oder? Du siehst aus wie Frankfurter Handkäs.«
»Ich rieche aber besser. Sie waren stocknüchtern, und sie wollten die Sache schnell und mit Gewalt ausmachen. Das war gefährlicher als zehn Messners zusammen, sie hatten so einen messianischen Blick. Du hast uns gerettet. Du bist eine Frau, und das hat sie gestoppt. Nur das.«
Wir fuhren durch das Tal hinunter zur Bundesstraße und bogen nach Blankenheim ab, das sich mit uralten Fachwerkhäusern aus einem Talkessel die Hänge hochwindet. Wir ließen den Wagen auf einem der großen Parkplätze stehen und stiegen dann die engen Gassen hinauf. Elsa lief neben mir her, starrte auf das Kopfsteinpflaster, überlegte etwas und murmelte dann und griff dabei nach meiner Hand: »Wenn ich diese jungen Soldaten so sehe und die Aggressivität in ihren Augen, dann möchte ich rennen, dann ist das nicht mein Land. Und als wir weiterfahren konnten, hatte ich nur einen Wunsch.« Sie hielt inne, blieb stehen und tippte mit dem rechten Zeigefinger gegen eine Schaufensterscheibe. Dahinter war nichts, nur ein Schild, auf dem zu lesen stand, daß das Sarglager Schmitz jede Art von Bestattung schnell und diskret und zu günstigsten Preisen erledige.
»Ich hatte nur den einen Wunsch«, murmelte sie, »mit dir auf eine Waldlichtung zu fahren und nackt zu sein und zu schlafen und deinen Samen in mir zu spüren.« Sie lächelte. »Das ist blöd, nicht wahr?«
»Das ist gut«, sagte ich.
Es gab vier Boutiquen, aber nur eine war wirklich gut, und nur in einer arbeitete eine blonde Frau, die so aussah, als könne sie Mannequin gewesen sein. Die Boutique hieß Maritas Laden.
Elsa sagte aufgeregt: »Das ist ein Witz! Ich suche seit Monaten so ein Kleidchen, wie die es hat. Ausgerechnet in der Eifel.«
Wir gingen hinein. »Sind Sie die Chefin, sind Sie Marita?«
Die Blonde drehte sich herum und lächelte mit einer Batterie schneeweißer Zähne wie eine große Modebrosche.
»Allerdings«, sagte sie.
»Meine Frau hat da ein Kleid in der Auslage gesehen.«
Sie roch sehr aufdringlich nach etwas, was auf Anhieb Der große Aufriß oder Hasch mich heißen konnte, und sie hatte beachtlich lange Beine. Sie stelzte an mir vorbei, lächelte Elsa bezaubernd an und fragte: »Zeigen Sie mir, was ich holen soll?«
Elsa sagte resolut: »Das da!«, und deutete auf einen superkurzen Rock aus Strippen oder Schnüren. Eigentlich war es kein Rock, eigentlich war es so etwas wie ein Rundumvorhang mit der Möglichkeit, hindurchzuschauen.
»Kurz, hübsch und gewagt«, sagte Marita lobend. »Wollen Sie es anprobieren?«
»O ja«, hauchte Elsa genießerisch, nahm den Fummel und verschwand damit in einer Kabine. Nach einer Weile kam sie heraus und drehte sich und kicherte und war nicht einmal verlegen.
»Billig ist es aber nicht«, sagte Marita. »Dreihundert.«
»Dreihundert für diese gefärbten Wäscheleinen?«
»Ja, mein Herr. Dazu ein schwarzer Slip. Das wäre mörderisch gut.«
»Oh, bitte, Liebling«, hauchte Elsa.
Ich bezahlte langsam, betulich und reuig und sagte: »Ich brauche eine Quittung. Und wir müssen mit Ihnen sprechen. Über Lorenz Monning.«
Sie stand gebückt über dem Quittungsblock und schluckte es. Sie schaute nicht einmal auf, sie zuckte nicht zusammen, ihre Stimme veränderte sich kaum. »Irgendwann mußte das ja kommen. Ich habe damit gerechnet. Aber Sie brauchen doch nicht das Kleid zu kaufen, nur um mit mir zu sprechen. Staatsanwaltschaft? Oder MAD? Oder BND? Oder Verfassungsschutz? Ich kenne mich da nicht aus.« Sie schaute noch immer auf den Quittungsblock.
»Das mit dem Kleid geht schon in Ordnung«, sagte ich.
»Können Sie sich hier vertreten lassen?«
»Ja, ich kann nebenan ein Mädchen rufen. Ich wohne hier über dem Laden.«
»Wie praktisch«, sagte Elsa.