DREIZEHNTES KAPITEL

Rodenstock fuhr mich zu meinem Wagen, der bei der Dorfkneipe stand, und er moserte widerwillig herum. Er sagte Sätze wie: »Was wollen Sie denn nachts im Verteidigungsministerium? – Das können Sie auch morgen erledigen! – Entscheidungsträger sind doch nachts im Bett! – Sie sind doch erschöpft! – Warum sind Sie eigentlich so verbissen und schweigsam?«

Aber ich gab keine Auskunft, ich war einfach wütend auf mich selbst.

Das Wetter spielte mit, zumindest regnete es nicht, und der Wind ging sanft. Ich fuhr so schnell ich konnte und brauchte wenig mehr als drei Stunden.

Das Beeindruckendste am Verteidigungsministerium ist seine Fassade – soviel Macht und Herrlichkeit.

Ich sagte dem Mann in dem Glaskasten, wer ich sei und daß ich zu einem Mann namens Feller wolle, Hauptmann Feller. Er schloß sehr demonstrativ die Sprechluke und begann mit wichtigem Gesicht zu telefonieren. Danach öffnete er wieder und teilte mit, Hauptmann Feller werde mich persönlich abholen.

Es dauerte nicht lange, und er kam aus dem Hauptportal heraus gewieselt. Er war etwa fünfzig Jahre alt, klein und schmal und trug in seinem Sonnenbankgesicht einen richtig militärischen Schnauzer wie zu Willems Zeiten. Wenn er diesen Schnauzer zwirbelte – und er zwirbelte ihn andauernd –, tat er es mit der linken Hand und spreizte dabei den kleinen Finger weit ab. An dem Finger trug er einen Ring mit einem Wappenschnitt, ein zierliches goldiges Etwas.

Er eröffnete mit einem wieselflinken: »Das scheint mir aber eine ungewöhnliche Sache zu einer ungewöhnlichen Zeit. Ich weiß nicht, ob ich helfen kann. Sie sind mit unserem Kollegen Hartkopf nicht gerade zurückhaltend umgegangen, Sie haben wohl kein Verständnis für die Sicherheitsbelange des Landes, wie?«

»Nicht die Spur«, murmelte ich.

Er blieb stehen. »Und was, wenn ich fragen darf, war das mit der Massage von Hauptmann Hartkopf?«

»Mit was, bitte? Ach so. Nicht Massage, Sir, Massaker. Aber ich gebe zu, es ist fast identisch.«

»Ich verstehe nicht, ich ...«

»Tja, also doch nicht gerade hier, oder? Vielleicht könnten wir ...«

»Selbstverständlich. Darf ich vorgehen?« Er tanzte vor mir her und drehte sich ab und zu um und lächelte. Er ging zu einem Lift, dann zwei Geschosse in die Höhe, dann einen beängstigend endlosen Gang entlang, schließlich in einen gemütlich wirkenden Raum, in dem vor dem Schreibtisch ein Mann in Zivil in einem Sessel saß und uns entgegenblickte. Nur auf dem Schreibtisch brannte eine Lampe, es wirkte intim.

»Das ist mein Kollege Damrow«, sagte das Wiesel munter. »Sie verstehen, ich zog ihn zu. Er hat etwas mit der Sicherheitsseite zu tun, mit den Sicherheitsbelangen des Falles, wenn ich so sagen darf. Und noch etwas muß ich sagen: Dies ist sozusagen ein Vorabtreff. Morgen müssen wir den Leiter des Presseamtes zuziehen.«

»Selbstverständlich«, murmelte ich und setzte mich in den zweiten Sessel vor dem Schreibtisch. »Sie sind also beim MAD?« fragte ich den Mann namens Damrow.

Er nickte, aber er sagte nichts.

Das Wiesel setzte sich hinter den Schreibtisch und faltete betulich die Hände. »Wir müssen feststellen, Herr Baumeister, daß wir sehr befremdet sind. Sie als Journalist müssen doch von der Labilität der Sicherheitslage im Bereich der Bundeswehr wissen. Sie mußten doch wissen, daß Sie Hauptmann Hartkopf verbrennen, wenn Sie derartige Schriftstücke mit Fotos verschicken.«

»Er hat mich verprügelt, das kostet Geld, das Geld will ich vom Bund zurückhaben, deshalb schrieb ich.«

»Und was ist das Massaker, wenn ich fragen darf, das Massaker, das Herr Hauptmann Hartkopf angerichtet haben soll?« Er war sichtlich erheitert.

»Nun ja, die Sachlage ist die, daß Hartkopf/Messner, oder Herrmann-Josef Schmitz, wie er in der Geburtsurkunde stehen hat, drei Menschen mit einer Schrotflinte erschoß: den Leutnant Lorenz Monning, die Serviererin und Mitarbeiterin des MAD Susanne Kleiber sowie die Prostituierte Marianne Rebeisen aus Köln.«

»Beweise dafür?« fragte der Mann namens Damrow ruhig. Er hatte ein schmales, sanftes Gesicht unter einem dichten, schwarzen Haarschopf, er war ungefähr vierzig Jahre alt. Er saß sehr entspannt in seinem Sessel.

»Ja, die Beweise hätten wir gern«, gluckste das Wiesel. Aus irgendeinem Grund wurde er immer heiterer.

»Ich vermute, daß Sie beide jetzt mit Inbrunst an den Fahrer eines LKW aus Dresden denken«, murmelte ich. »Aber der war es nicht. Die Stasi in Ostberlin spielt gar nicht mit. Ich habe mich gefragt, weshalb denn dieser Fahrer nicht irgendwo zwischen hier und Herleshausen gestoppt wurde. Und damit begannen eigentlich meine Zweifel.«

»Wir wollten ihn nicht stoppen, das ist alltägliche Praxis«, sagte Damrow. »Sie können sicher sein, daß wir den Mann unter Beobachtung haben.«

»Ich habe eine Verlautbarung des Ministeriums bekommen, in der es heißt, die Prostituierte Rebeisen habe Monning und die Kleiber erschossen und sich dann selbst gerichtet. Ich denke, Sie wollen nicht daran festhalten, oder?«

»Offiziell wohl«, sagte Damrow.

»Geht aber nicht«, widersprach ich und legte ihm das Foto vor. »Sehen Sie, die Leiche der Rebeisen und das Gewehr liegen etwa zwei Meter fünfzig voneinander entfernt. Sie kann sich aber nicht den Kopf weggeblasen haben, um das Gewehr anschließend wegzuwerfen, oder?«

Damrow sah sich das Foto an und fragte: »Woher ist das?«

»Ein Bundeswehrangehöriger machte es. Weitere Informationen gebe ich nicht.«

»Worauf wollen Sie hinaus?« fragte Damrow.

»Nun, sehen Sie, das Ministerium hat über die drei Todesfälle keine Information an die Presse gegeben – nur an mich und nur, um meine Recherchen zu stoppen.«

»Richtig«, sagte Damrow. »Hauptmann Hartkopf hat das mit mir abgesprochen, die Pressemitteilung verfaßte er. Ich verstehe immer noch nicht genau: Sie wollen also behaupten, Hartkopf hat die drei erschossen.«

»Nicht nur das. Ich behaupte auch, daß es nie einen Spionagefall gab. Den Eltern des Monning wurde eine Unfallversion gegeben, mir wurde eine Spionageversion gegeben, offiziell war es eine miese Eifersuchtsgeschichte. Finden Sie nicht, daß das eine erstaunliche Geschichte ist, zumal keine der drei Versionen stimmt?« Ich stopfte mir die Valsesia von Lorenzo, diese Beschäftigung macht ruhig.

»Unter Hinweis auf strengste Geheimhaltung, Herr Baumeister, müssen wir darauf bestehen, daß diese Sache unter uns bleibt. Sie haben mit Ihrer Wahnsinns anfrage genug Wirbel gemacht.« Das Wiesel war streng.

»Na ja, Sie haben außerdem einen veritablen Unfallchirurgen dazu gebracht, einen Todesfall zu erfinden, und irgendein Polizeichef hat einen Unfall erfunden. Alles im Dienste des Vaterlandes und eines Massenmörders.«

»Wir haben Beweise für Spionage«, sagte Damrow.

Die Valsesia brannte nicht gut. Ich kratzte sie aus und stopfte sie neu. Ich fragte mich, ob ich auf der falschen Spur sei. Dann erinnerte ich mich daran, mit welcher Unverfrorenheit in dieser Stadt Politiker vom Wohl des Bürgers sprechen. Ich sagte: »Ich bin bereit, den Mund zu halten und nicht zu schreiben, wenn Sie mir einen einzigen Beweis vorlegen. Ich glaube, Sie haben keinen.«

Das Wiesel warf Damrow einen abbittenden Blick zu. »Sie sind aber sehr unverschämt«, murmelte er.

Damrow saß da und sagte nichts. Schließlich meinte er: »Was wissen Sie eigentlich?«

Ich sagte nichts.

»Kaffee?« fragte das Wiesel. Als wir nickten, stand er auf und verschwand im Nebenraum.

»Sie haben Ihren wirklichen Trumpf nicht rausgelassen«, murmelte Damrow.

»Sicher nicht«, bestätigte ich. »Ich frage mich, was geschehen wird, wenn diese Geschichte erscheint.«

»Ich kenne die Geschichte nicht.« Er war ein harter Mann.

»Weiß Ihr Minister davon?«

»Er wurde routinemäßig informiert.«

»Also im Sinne des Hauptmann Hartkopf?«

»Es gibt keinen anderen Sinn in diesem Fall.« Er zupfte an seiner Hose über dem rechten Knie, und wie ein Wasserfall kam das Wiesel hereingefegt. »Der Kaffee.«

Damrow ließ sich Zeit, trank einen Schluck und sah das Wiesel streng an, als sei der Kaffee schlecht. Er war schlecht. »Sehen Sie, Herr Baumeister, Monning war ein schwieriger Mann. Ursprünglich war er ein vielversprechender Offizier, bis er sich mit der Friedensbewegung einließ. Und dann wurde er leichtsinnig, leichtfertig, geradezu messianisch. Er fing an, geheime Dinge auszuplaudern. Es ist beweisbar: Er sammelte diese Dinge, er gab sie konzentriert an Susanne Kleiber weiter, die wiederum gab sie weiter an Marianne Rebeisen. Hauptmann Hartkopf begriff das und bekam den offiziellen Auftrag, zu ermitteln. Er ist ein blendender Mann, er hatte Erfolg. Leider kam die Gegenseite ihm zuvor: Das Trio wurde erschossen. Es ist richtig, wir haben sozusagen zivile Gründe für den Tod des Lorenz Monning vorgeschoben, aber im Sinne der Eltern war das sicher richtig. Sie hatten keine Ahnung von den Umtrieben des Sohnes, sie sind brave Menschen.«

»Also war Monning ein Spion für Ostberlin?«

»Diese Unterredung ist selbstverständlich vertraulich«, sagte das Wiesel schnell.

»Sicher«, sagte Damrow.

»Wo ist Hauptmann Hartkopf jetzt?«

»Hier im Hause. Wir sprechen seine Aussagen ab, er darf die Sicherheitsbelange nicht antasten. Wir haben gestattet, daß er dem Oberstaatsanwalt als Zeuge überstellt wird.«

»So ist das also«, sagte ich. »Und wie immer, wenn die Staatssicherheit mitspielt, braucht er nur auf die Fragen zu antworten, die ihm passen.«

»Keine Ideologie, bitte«, sagte Damrow. »Wie sieht Ihr Trumpf aus?«

»Moment bitte. Wie sah denn dieses Trio aus, diese Monning-Kleiber-Rebeisen-Connection?«

»Die Aktenlage sagt, daß Monning der Verführte war. Die Kleiber stammte aus Ostberlin, sie war eine Schläferin, wurde also erst aufgeweckt, nachdem sie am idealen Einsatzort war. Sie machte Monning abhängig, die Rebeisen half ihr dabei.«

»Also sehr einfach«, murmelte ich. Es gibt eine Zeit für Stoßgebete. Und meine Zeit war gekommen.

»Etwas an meinen Begegnungen mit Messner war merkwürdig«, begann ich. »Ich habe nie verstanden, woher er seine Sicherheit nahm. Er war immer so ... so unverschämt sicher, fast arrogant.«

Lieber Himmel, Baumeister, laß dir etwas einfallen. Alter Mann, du kannst doch nicht immer von Versprechungen leben. Tu ein Wunder! Tu es jetzt!

»Ich wußte, Messner war auf einem totalen Erfolgstrip. Er war wie jemand, der nach einer quälend langen Zeit endlich Land sieht ...«

Alter Mann, tu es jetzt, oder du siehst mich nie wieder!

»Phantastisch beschrieben!« sagte das Wiesel fast ehrfürchtig. »Genau, wie es in der Akte Eichhörnchen steht...«

Damrow beugte sich schnell weit nach vorn, und die Eleganz und Geschwindigkeit, mit der das geschah, waren erschreckend.

»Die Akte heißt also Eichhörnchen«, sagte ich kühl. »Ich kann überhaupt nicht begreifen, daß sowohl Messner wie Monning beim MAD waren. Das begreife ich nicht.«

Damrow legte den Kopf nach hinten. »Feller, gießen Sie mir noch einen Kaffee ein?«

»Aber ja doch, selbstverständlich«, sagte das Wiesel. Er war der perfekte Oberkellner, und Damrow hätte ihn am liebsten erwürgt. Aber er merkte nichts, er gehörte zu den Selbstgerechten dieser Erde.

»Wenn ich diesen Spionagefall richtig begreife, war das doch sicher ein sehr langer Vorgang mit langen Untersuchungen und Beobachtungen des Herrn Messner/Hartkopf?«

»Richtig«, sagte Damrow. »Sehr lange. Und wir wurden laufend informiert.«

»Und wenn ich es richtig begreife, dann kamen Lorenz Monning und Susanne Kleiber von Bitburg über Bad Münstereifel nach Hohbach, also langsam immer näher in den Einzugsbereich des Hauptmann Hartkopf?«

»Auch richtig. Das war beabsichtigt, sie sind von uns unmerklich genauso plaziert worden.«

»Was würde denn passieren, wenn ein Mann wie Monning oder die Susanne Kleiber merken würde, was geschieht?«

Damrow starrte durch das dunkle Fenster. »Vermutlich haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder sie setzen sich in einem solchen Fall blitzschnell ab, oder aber sie fallen in den Schlaf zurück, das heißt, sie rühren sich nicht mehr. Wo bleibt Ihr Trumpf?«

»Monning hat es gemerkt«, sagte ich.

Das Wiesel atmete heftig ein, und Damrows Kopf ruckte nach vorn. »Gibt es dafür einen Beweis?«

»Sicher. Marita Heims, die Freundin von Lorenz, wußte, daß Lorenz etwas wußte. Aber sie weiß nicht, was er wußte, sie weiß nur, daß das mit der Aktenlage zu tun hatte.«

»Sprach Monning wirklich von Aktenlage?«

»Ja, die Heims hat es so berichtet. Nun weiter: Monning wußte also, daß da ein Spielchen gegen ihn lief. Ob das Spiel zu Recht oder zu Unrecht gespielt wurde, sei dahingestellt, Tatsache ist, er wußte es. Anders formuliert: Er ist brav wie ein Schaf zur Schlachtbank gelatscht.« Ich ließ sie damit allein, zündete meine Pfeife an und paffte vor mich hin.

»Sprechen Sie bitte weiter«, murmelte Damrow.

Lieber alter Mann, hilf mir!

»Es kommt nicht nur hinzu, daß Monning und Rebeisen und Kleiber brav zu ihrer eigenen Hinrichtung marschieren, sondern der Staatssicherheitsdienst in Ostberlin oder der KGB so grandios dämlich ist, zur Erledigung eines eigenen kleinen Spionagenetzes einen Brummifahrer mit Schrotbüchse zu schicken. Und spätestens an diesem Punkt muß man aufmerksam werden. Das scheint zwar alles zu passen, aber tatsächlich paßt nichts.«

»Weiter«, sagte Damrow ungeduldig.

»Wußten Sie, daß Ihr Hauptmann Hartkopf der Geschäftspartner und wahrscheinlich auch Geliebte der Witwe Gabriele Monning ist?«

»Wie bitte?« fragte das Wiesel irritiert.

»Noch etwas am Rande: Gabriele Monning klaute ihrem Schwiegervater die Schrotbüchse, die angeblich Lorenz Monning gehörte. Monnings Gewehr lag die ganze Zeit unbenutzt auf dem Dachboden der Marita Heims. Die Monning brachte das Gewehr dem Messner/Hartkopf. Und der trat in Aktion.«

»Beweisbar?« fragte Damrow.

»Die Monning hat gestanden, also beweisbar. Sie wollte mit Messner/Hartkopf eine Bullenmast mit Wursterei aufmachen.«

»Beweisbar?« fragte Damrow.

»Beweisbar durch Zeugnis der Deutschen Bank.«

»Mit anderen Worten: Sie haben ... Sie glauben, recherchiert zu haben, daß weder Monning noch die Kleiber noch die Rebeisen Agenten waren.«

»Richtig. Und die Lösung des ganzen Komplexes liegt hier im Haus, in der Akte Eichhörnchen. Messner/Hartkopf hat Sie geleimt. Und Sie sollten darüber nachdenken, warum Sie so leicht zu leimen sind. Wer nahm denn eigentlich Hartkopfs Berichte hier entgegen?«

»Ich«, sagte das Wiesel, »deshalb sitze ich hier mit Ihnen.«

Damrow war verwirrt. »Was soll das jetzt?«

»Warten Sie bitte eine Weile«, sagte ich. »Ich denke nach, und ich bin müde und nicht mehr so schnell wie am Morgen.« Dann war es wieder still.

Damrow suchte in den Taschen seines dunkelblauen Anzugs herum, und das Wiesel kramte in einer Schublade, fand eine Schachtel Zigaretten, rannte um den Schreibtisch herum und bot Damrow eine an. Der verzog den Mund verächtlich und zündete sie an. Er paffte.

»Es ist wie beim Schach«, murmelte das Wiesel, wieder hinter seinen Schreibtisch zurückgekehrt. »Der Meister überlegt seinen nächsten Zug.«

»Es ist gar kein Spiel«, sagte ich. »Es ist so verdammt blutig. Sagen Sie, Hauptmann Feller, wie gut kannten Sie Lorenz Monning?«

»Oh, ich denke, einigermaßen. Er kam manchmal hier in das Büro.«

»Hatten Sie dienstlich viel mit ihm zu tun?«

»Nein. Er lief hier seine Dienststelle an, und normalerweise habe ich mit den Leuten nichts zu schaffen.«

»Als die geheimen Untersuchungen gegen Monning liefen, kam er da auch noch zu Ihnen? So auf eine Tasse Kaffee hier ins Büro?«

»Einmal, zweimal vielleicht. Dann nicht mehr. Wir waren ja nicht ... nicht intim, wir waren ja keine Freunde.«

»Können Sie klarmachen, auf was Sie hinauswollen?« fragte Damrow scharf. Er ahnte wohl, daß ich ihm Verdruß machen würde, und seine Schärfe war seine Art, es zu quittieren.

»Ich weiß noch nicht präzise, auf was ich hinauswill«, sagte ich ebenso scharf. »Drei Leute werden bestialisch mit einer Schrotflinte erschossen. Plötzlich ist alles das Verdienst eines Superagenten, eines Retters der Nation, eines Heiligen. Himmel, Arsch und Zwirn, das geht mir aufs Gemüt.«

»Starke Worte!« murmelte das Wiesel.

»Sie haben recherchiert und wußten nichts von der Akte Eichhörnchen«, sagte Damrow gelassen, als sei jede Gefahr vorbei.

Was hatte Marita Heims gesagt? Lorenz hat auf irgend etwas gewartet! Er war sehr aufgeregt! Er war sicher, daß er Erfolg haben würde!

»Hauptmann Feller, Sie verschweigen etwas. Sie verschweigen die zweite Akte.«

»Moment«, sagte Damrow scharf, »was meinen Sie mit der zweiten Akte?«

»Darf ich Hauptmann Feller dazu ein paar Fragen stellen?«

Feller wollte ablehnen, aber Damrow sagte scharf: »Nur zu!«

»Danke«, sagte ich. »Hauptmann Feller, mochten Sie Messner? Oder mögen Sie Hauptmann Hartkopf?«

»Na ja, nicht mehr als alle anderen auch. So ist das nun mal in einem so großen Haus. Und Messner, wie Sie ihn nennen, ist ja ein harter, erfolgreicher Mann. Wir alle wissen das und bewundern seine Art, Sachen knallhart durchzuziehen.«

»Er ist also ein Held. Sie sagten auch, daß Monning zuweilen herkam und mit Ihnen eine Tasse Kaffee trank.«

»Na ja, mein Kaffee ist berühmt. Ich mache ihn ohne Filter, ich gieße ihn richtig auf ...«

»Und Messner kam auch her, nicht wahr?«

»Ja, natürlich. Schließlich kegeln wir einmal im Monat zusammen. Hier in Bonn. Manchmal brachte er ein paar von seiner Truppe mit. Mann, waren das Sausewinds!«

»Was waren das?«

Er wurde verlegen, fing sich aber sofort. »Sausewinds. So sage ich manchmal.«

»Messner war also hier und trank ebenfalls von Ihrem Kaffee?«

»Na sicher. Er konnte wahnsinnig gut Witze erzählen. Richtig mit Pfeffer. Na ja, er hockte hier, trank einen Kaffee, einen guten Kognak dazu, dann zog er wieder in seine Wälder. Ich sagte immer zu ihm: Jetzt kehrt der Recke wieder in seine Wälder zurück.«

»O Gott!« flüsterte Damrow leise.

»Hauptmann Feller, kurz bevor Monning erschossen wurde, war er hier in diesem Büro?«

»Ich weiß nicht mehr, wann er zum letzten Mal hier war. Ich führe kein Tagebuch.«

»Aber Sie können das doch unmöglich vergessen haben! Er war kurz vor seiner Ermordung hier. Wieviel Tage vor seiner Ermordung?«

»Drei, vier Tage, ich weiß es nicht mehr genau.«

»Und Sie haben ihm selbstverständlich nichts davon gesagt, daß gegen ihn ermittelt wurde?«

»Kein Wort. Das ist geheim, streng geheim.«

»Gut.«

Lieber alter Mann, laß mich jetzt keinen Fehler machen.

Ich sah aus den Augenwinkeln, wie Damrows Schultern nach vorn kamen, als warte er auf den Dolchstoß.

»Sie sagten ihm kein Wort. Aber er sagte Ihnen etwas. Oder genauer: Er gab Ihnen etwas!«

»Nicht daß ich wüßte.« Da war ein Zögern in seiner Stimme, da flatterte er leicht.

»Herr Hauptmann Feller, er gab Ihnen etwas. Ich weiß das genau, ich kann das beweisen!«

Lieber alter Mann, verzeih mir den Bluff.

»Aber wieso denn das?« Seine Stimme wurde sehr schrill und quengelig.

»Weil er längst von der Akte Eichhörnchen gegen sich selbst wußte. Er hatte längst eine eigene Akte angelegt. Über miese Praktiken des Herrn Messner. Er ist hierhergekommen, er hat Ihnen diese Akte übergeben. So ist das.«

»O Scheiße«, sagte Damrow leise.

»Es war keine Akte, es war ein langer Brief. Es war Quatsch, reiner blödsinniger Quatsch, der reinste hysterische Irrsinn. Ich habe diesen Brief gar nicht beachtet.«

»Sie haben ihn aber gelesen«, sagte Damrow eisig.

»Ja«, sagte das Wiesel.

»Was stand drin?«

»Es war wirklich Irrsinn. Er hatte von den Ermittlungen Wind gekriegt und versuchte nun, das Ganze aus seiner Sicht darzustellen. Irgendwie kindlich, völlig hilflos.«

»Was stand drin?« wiederholte Damrow.

»Also es stand drin, daß er und die Kleiber und die Rebeisen genau wüßten, was Major Hartkopf seit zwei Jahren mit ihnen vorhabe. Daß Hartkopf ein mieses Schwein sei mit maßlosem Machtstreben, daß er unter Verfolgungswahn leide und vorgebe, Monning, die Kleiber und die Rebeisen seien ein Agentenring. Jetzt seien sie gewillt auszupacken. Hartkopf hätte eine Art Männerclique aufgemacht, die er hart und unmerklich und geschickt steuere. Mit Prügeleien und allem Drum und Dran. Hartkopf, stand in dem Wisch, mache Soldaten abhängig, sei faschistisch. Und er habe seine Laufbahn mit einem Agentenring krönen wollen, den es gar nicht gebe, und all solcher widerlicher Blödsinn. Achtzig Seiten, man stelle sich das vor, achtzig Seiten! Und unterschrieben von Monning und von der Kleiber und sogar von der Rebeisen, mit der wir doch hier im Amt rein gar nichts zu tun haben. Und dann noch die Kündigungen zum Jahresende von Monning und Kleiber. Nein, also wirklich, das war zu dick, das mochte ich auch nicht zu Ende lesen. Ich habe den Brief kopiert und nach Vorschrift behandelt. Zu den Akten.«

»O Gott, nein«, seufzte Damrow.

»Und dann kam Messner, nicht wahr?«

»Wie bitte?« Das Wiesel zuckte zusammen.

»Und dann, als Monning das abgeliefert hatte, kam Hartkopf/Messner hierher, nicht wahr? Oder riefen Sie ihn an und erzählten ihm von dem Brief?«

»Ich rief ihn an, natürlich rief ich ihn an. Solche Drecksudeleien kann man doch nicht so stehenlassen.«

»Und er kam?«

»Er wollte sich das Geschmeiß durchlesen.«

»Holen Sie Monnings Brief«, sagte Damrow tonlos.

»Er hat ihn nicht mehr«, sagte ich.

»Wie?«

»Er hat ihn nicht mehr«, sagte ich. »Hartkopf hat ihn sich unter den Nagel gerissen. Deshalb ist er so sicher.« »Hat er etwa die Kopie und das Original?« schrie Damrow.

Das Wiesel zuckte zusammen. »Ich kriege jede Woche derartige obszöne, widerliche Schreiben von irgendwelchen Verrückten.« Er wedelte hilflos mit den Armen. »Hartkopf hat die Kopie und das Original.«

»Na also«, sagte ich. Ich stand auf und ging hinaus, und sie merkten es nicht, weil sie sich anstarrten.

An meinem Wagen lehnte Elsa.

»Wie zum Teufel kommst du hierher?«

»Mit dem teuersten Taxi meines Lebens. Warum bist du heimlich abgehauen?«

»Bin ich nicht, du hast geschlafen. Du warst wirklich Klasse in diesem Fall, und du warst todmüde.«

»Weißt du jetzt alles?«

»Fast alles. Bist du fit, kannst du mich heimfahren?«

»Ich habe unsere Sachen mitgebracht, ich fahre dich.«

Sie nahm den Weg über die A 565 zum Autobahnkreuz Meckenheim und von dort nach Altenahr. Sie fuhr sehr langsam, steuerte mit einer Hand und war verkrampft.

»Es war eine miese, brutale Geschichte, die nur zu verstehen ist, wenn man bedenkt, daß die Menschen auf der Reise sind, nicht stillstehen, sich entwickeln. Monning begriff wohl die Idee des Friedens, konnte sich aber lange nicht entscheiden. Messner roch die Macht und wollte sie immer mehr. Die Gabriele Monning scheint noch die Stabilste: Sie wollte nach oben, möglichst hoch, und sie wollte das immer schon. Warum diese Spionagegeschichte sich in allen Köpfen festsetzen konnte, ist einfach zu begründen: Depots sind tatsächlich Ziele von Agenten, und die Bewacher dieser Lagerstätten leben ein endlos eintöniges Leben, in dem nichts geschieht. Wenn man die Geschichte verstehen will, muß man Messner zu verstehen suchen, alles andere ist nicht so wichtig. Messner war MAD-Mann, Außenmann, nicht sonderlich wichtig, aber von brennendem Ehrgeiz. Er sammelte junge Krieger um sich, beeinflußte sie unmerklich, aber so beeindruckend, daß sie ihm kaum widerstehen konnten. Der Soldat Lenz, der durch Sabotage am Auto fast die Marita Heims tötete, ist so ein Beispiel. Allmählich wurde das Wochenende mit Messner für diese Soldaten wichtiger als der Dienst, wichtiger wohl auch als ihre Privatsphäre. Messner gelang damit wohl ein Meisterstück: Er trieb ihnen den Frust aus. Periodisch tritt in der Eifel das Gerücht von Spionen auf, und meistens ist absolut nichts dran. Als das wieder einmal der Fall war, begriff Messner seine Chance. Im Zuge irgendwelcher Sicherheitsüberprüfungen fielen nun Monning und die Kleiber durch irgendeinen Umstand auf. Wahrscheinlich war es Monnings allmähliche Annäherung an die Friedensbewegung, wahrscheinlich war es die Tatsache, daß die Kleiber vor Jahren aus Ostberlin kam. Wie auch immer: Der MAD beschloß, sich dieses Duo anzusehen, und lancierte sie sehr langsam von Bitburg nach Bad Münstereifel und dann nach Hohbach. Diesen Auftrag bekam Messner, denn Messner war ein eiskalter Krieger, Messner war einfach gut. Man entdeckte die Freundin der Kleiber, die Nutte Rebeisen in Köln. Und siehe da, alles schien zu stimmen, die Bedingungen für Geheimnisverrat schienen bei dem Trio geradezu ideal zu sein...«

»Aber es war doch gar nichts dran«, sagte sie unwillig.

»Das soll dich nicht stören, das ist in Bonn und der Bundeswehr so. Wer unter einem so kontinuierlichen Zwang von Aggression lebt, denkt so etwas. Und er denkt es auch dann konsequent weiter, wenn nicht der geringste Verdacht besteht. Dinge machen sich selbständig.«

»Aber die Beweise ...«

»Vergiß die Beweise, wenn es um Spionage geht. Die sind nicht wichtig, wichtig ist nur, daß man Spionage voraussetzt. Messner fing also an, seine Untergebenen Monning und Kleiber auszuforschen, schrieb Berichte. Dabei benutzte er natürlich sowohl sein Amt wie sein Privatleben, denn er arbeitete mit den Verdächtigen zusammen und ließ sich vom Hauptverdächtigen, einem Bauernsohn aus dem Münsterland, sogar nach Hause einladen. Und dabei hat er sein Paradies gefunden, er entdeckte nämlich Gabriele Monning, die Ehefrau des Hauptverdächtigen. Er wußte: Die Ehe ist kaputt, nicht mehr zu reparieren. Er sah zwei Bauernhöfe und den Plan der Gabriele Monning, eine Industrie zu gründen. Und weil er sich zweifellos mit der Frau geradezu ideal verstand, war der Plan ziemlich simpel: die Stelle des Lorenz Monning einzunehmen. Aber Monnings Verhalten stiftete Unruhe, denn auf der einen Seite wollte er sich für immer aus dem Münsterland verabschieden, auf der anderen Seite aber wollte er noch ein letztes Mal seinem Vater helfen. Außerdem hatte er längst begriffen, daß Messner ein wirklicher kalter Krieger war, ein faschistisch denkender Mensch. Er hatte auch begriffen, daß Messner in sein Bett steigen wollte. Und weil er wohl um seine Kinder fürchtete, war das ein zusätzlicher Grund, noch einmal nach Hause zurückzukehren. Möglicherweise für kurze Zeit, möglicherweise aber auch mit Marita für immer. Und genau das war etwas, was Gabriele Monning nicht gebrauchen konnte, denn sie wäre neben ihrem ehemaligen Ehemann zur Bedeutungslosigkeit geschrumpft. Und Messner paßte das alles wunderbar in den Kram. Wir wissen noch nicht, ob er den Mord mit Gabriele Monning besprach oder ob er nur Andeutungen machte, aber das ist nicht wichtig. Sie wird gewußt haben, was er vorhatte, als sie ihm die Schrotflinte brachte. Messner entdeckte den DDR-Brummi aus Dresden am Mittwoch vor Pfingsten in Hohbach. Er sprach mit dem Fahrer, wie wir rekonstruieren werden. Er erfuhr, der Fahrer werde irgendwo laden und dann das Wochenende vor der Rückfahrt erneut in Hohbach verbringen. Erinnere dich, der Fahrer aus Dresden war immer in Hohbach, wenn er durch die Eifel fuhr. Messner wußte genau, was passiert. Er ließ sich also das Gewehr bringen. Am Sonntag abend ließ er durch die Kleiber Monning holen. Und zwar mit dem Auftrag, sich diesen Laster aus Dresden genau anzugucken, immer mit der wahnwitzigen Idee, da sitze ein Spion am Steuer. Ungefähr um die Zeit, als der Brummifahrer losfuhr, ging Messner mit Monning und der Kleiber in das Gelände vor dem Depot. Ich weiß nicht, mit welcher Begründung, aber das spielt keine Rolle. Er erschoß sie und klappte das Verdeck des Jeeps zurück und setzte die Toten hinein. Dann ging er zurück und holte unter irgendeinem Vorwand die Marianne Rebeisen, die in der Wohnung der Kleiber war wie an jedem Wochenende. Wahrscheinlich begriff die Rebeisen, was gespielt wurde, wahrscheinlich rannte sie noch weg, aber sie hatte keine Chance. Im Grunde war der Plan einfach, brutal und gut. Es war nur Pech, daß ich auftauchte. Und dann machte Messner Fehler, er verprügelte mich. Er ließ Alfred verprügeln, er ließ Marita Heims fast töten ...«

»Wenn du nicht in die Geschichte eingestiegen wärst, hätte also Messner nichts befürchten müssen?«

»Ich glaube, doch. Denn da waren der tote Monning, die Kleiber und die Rebeisen. Die haben etwas gerochen, die haben zunächst vage, dann immer klarer verstanden, um was es ging. Und sie haben begonnen, nun Messner zu beobachten. Dann, als sie begriffen, daß es eine Akte über sie als mögliche Spione gab, schrieben sie einen langen Brief, der alles erklärte. Ich bin ziemlich sicher, daß eines Tages ein Mensch diesen Brief sehr aufmerksam gelesen hätte. Ich glaube nicht, daß er davongekommen wäre.«

»Du bist ein Romantiker.«

»Nicht doch, ich glaube nur an die Neugierde im Menschen.«

Wir fuhren auf den Hof, und ich ging nicht einmal mehr unter die Dusche. Ich spürte noch, wie Krümel versuchte, es sich in meiner Armbeuge bequem zu machen, dann war ich schon eingeschlafen.

Als ich aufwachte, war die Sonne ein schmaler, greller Strich an einem blutroten Horizont. Elsa war schon aufgestanden, das Haus anheimelnd ruhig.

Sie hatte mir einen Zettel geschrieben und ihn auf den Küchentisch gelegt.

Liebster Baumeister!
Ich bin auf dem Weg nach Hamburg. Einer muß sich um das Bild- und Dokumentationsmaterial kümmern und die Produktion der Geschichte in Hamburg überwachen. Ach Scheiße, das ist es nicht. Ich habe Angst, mich in dir zu verlieren und bald verloren zu sein. Wahrscheinlich hast du recht, wahrscheinlich sind wir beschädigt. Auf jeden Fall sind wir mißtrauische alte Krähen.
Elsa.

»Wir sollten hinter ihr herfahren und ihr den Arsch versohlen«, sagte ich zu Krümel. Aber ich blieb und holte Zittergras für meine Mauer.