ZEHNTES KAPITEL

Es war Mittag geworden, die Sonne schien intensiv. Elsa lag unter dem Pflaumenbaum in einer einzigen Winzigkeit, die man Tanga nennt, und dachte vor sich hin. Ich wollte nicht einmal wissen, was sie dachte. Ich war heilfroh, daß ich keine Kopfschmerzen hatte und die Wunden nicht brannten. Ich hatte mich vor meine geliebte Mauer gelegt und beobachtete Fritz. Fritz hockte in einer Steinspalte fünf Zentimeter über der Erde und betrachtete mich oder die Welt oder das Spinnennetz drei Zentimeter vor seinen lustigen trägen Glubschaugen. Sein Kehlsack pumpte regelmäßig und gelassen, und zuweilen sah er aus, als mache er sich über mich lustig. Vielleicht amüsierte ihn auch meine Sonnenbrille, die ich tragen mußte, weil mein Blick ständig flackerte. Naumann hatte gesagt, eine Sonnenbrille sei notwendig, damit das angeschlagene Auge geschont werde. Die Sonnenbrille gehörte Elsa, ich habe nie eine besessen. Das Telefon und einen Radioapparat hatte ich auf den Gartentisch gestellt. Ich hörte meinen Lieblingssender WDR 2, in dem man noch denken und das Gedachte sagen darf, wenn man einwandfrei meschugge ist. Irgendwer sprach mit irgendwem über die drohende Überalterung der Lehrer an den Schulen Nordrhein-Westfalens, und ich war von Herzen froh, daß ich nicht bei Greisen in die Schule gehen mußte. So tropfte der Tag unendlich langsam aus der Sonne, und Fritz war glücklich, weil er von all dem nichts wußte.

Krümel kam in wilder Lust herangefegt, sprang an den Stamm des großen Pflaumenbaums und kletterte blitzschnell in die oberste Spitze. Sie stand mit vier Pfoten schwankend auf vier bleistiftdünnen Ästen und sah arrogant zu mir herunter. Ich klatschte ihr Beifall, und sie schloß gelangweilt die Augen und putzte sich.

Fritz entschloß sich zu einem Bad und sprang kühn an meiner qualmenden Dunhill vorbei in das kleine Plastikbecken, das ich ihm eingerichtet hatte, um seine Wohnverhältnisse den meinen anzupassen.

»Hast du endlich entschieden, was wir jetzt machen?«

»Noch nicht ganz. Sag mal, glaubst du der Marita Heims, daß sie mit Lorenz Monning glücklich war?«

»O ja«, sagte Elsa. »Frauen lügen zwar besser als Männer, aber in dem Punkt hat sie die Wahrheit gesagt.«

»Dann möchte ich nach Köln und von dort ins Münsterland.«

»Köln kann ich begreifen, das Münsterland nicht. Die Verwandten von Monning haben doch keine Ahnung.«

»Das halte ich für schlicht ausgeschlossen. Außerdem müssen wir seine Heimat kennenlernen. Was willst du schreiben, wenn du Monning beschreibst? Daß er auf einem feudalen Bauernhof im Münsterland groß wurde?«

»Ich verstehe schon. Also ziehen wir uns an und fahren?«

»O nein. Nicht vor morgen in aller Frühe.«

»Es ist nicht zu fassen, Baumeister verringert die Geschwindigkeit. Hast du den Kriminalisten angerufen? Der wollte die Schrotflinte haben.«

»Ich habe es vergessen. Ruf ihn an.«

»Was machst du eigentlich, wenn wir die Sache geschrieben haben?«

»Urlaub, was sonst?«

Fritz schwamm mit langen Stößen durch seinen Pool und tauchte unter einen Stein.

»Glaubst du an Spionage oder an privates Drama?«

»An beides«, sagte ich.

»Es ist sehr logisch«, sagte sie.

»Was ist logisch?«

»Daß Monning so etwas wie ein Spion war, daß er ausgeschaltet wurde von diesem Brummifahrer aus Dresden. Weil ich eine Spießerin bin, ist das zwar undenkbar, aber ich kann es mir vorstellen.«

»Aber was ist mit den beiden Frauen?«

»Vielleicht waren sie Helferinnen von Monning, vielleicht sind sie auch nur als dekoratives Beiwerk gestorben.«

»Du vergißt, daß Monning Gegner hatte, daß er irgend etwas entdeckt hatte. Daß er sich ausgenutzt fühlte ...«

»Ja, eben. Vielleicht wurde er von seinen Auftraggebern aus der DDR ausgenutzt. Er hat auch gesagt, alles wäre nur eine Frage der Macht. Das paßt doch, oder?« Sie stand auf und rief Rodenstock an und sagte freundlich, sie habe etwas für ihn, das er sich abholen könne. Dann ging sie zurück auf ihre Decke und begann sich mit irgend etwas einzureiben, das stark nach Anis duftete. »Und Messner paßt als Mörder.«

»Niemals«, widersprach ich. »Der Mann ist viel zu intelligent für drei dermaßen brutale Hinrichtungen.«

Fritz ließ sich nun an die Oberfläche treiben, schnappte nach einer Fliege, erwischte sie, kroch auf einen Stein und sah sehr dekorativ aus.

Rodenstock stand neben mir und starrte Fritz an. »Reden Sie manchmal mit dem?«

»Das kommt vor.«

»Ein freundlicher Bursche.« Elsa hatte ihm das Gewehr gegeben, und er hielt es im Arm wie ein Baby. »Dieser Fall wird wahrscheinlich viele unserer Denkschablonen umstoßen, nicht wahr?« Er drehte sich herum und stapfte über die Wiese davon.

»Ja, ja«, sagte ich vage, ich hatte keine Ahnung, was er meinte.

Ich wünschte mir sehnlichst den Schäfer Meier mit seiner Klarinette. Vielleicht noch ein paar tanzende Elfen malerisch verstreut über meinen vom Mondlicht überfluteten Garten, nichts sonst. Ja, und Elsa, wohlriechend, sinnlich und voll Verlangen.

Als ich dachte, ich würde in der Sonne einschlafen, rief Naumann an und sagte widerlich lebendig: »Schwingen Sie sich ins Auto, ich habe durch Zufall etwas Merkwürdiges erfahren. Susanne Kleiber hat ein halbes Jahr vor ihrem Tod eine Kneipe gekauft. Und zwar eine alte Mühle Richtung Adenau in einem Seitental der Ahr. Sie hat bar bezahlt, angeblich vierhunderttausend bar auf den Tisch des Hauses. Sie müssen wissen, woher ich das weiß. Der jetzige Pächter hat die Kneipe zugrunde gerichtet, ist total verschuldet. Dieser Mann ist heute verunglückt, nicht allzu schwer. Seine Frau erzählte mir die ganze Geschichte, als ich ihn versorgte. Das ist nun wirklich komisch: eine Tote mit Kneipe ohne Erben. Sie können sich auf mich berufen.«

»Danke, wir fahren. Wie heißt das Ding?«

»Ausgerechnet „Zum Kühlen Grund.«

»Es gibt wieder Arbeit«, sagte ich.

»Das hat etwas mit dir zu tun«, sagte Elsa.

Ich fuhr sehr schnell durch die grellrote Sonne des Spätnachmittags, und Elsa jammerte: »Sonst fährst du langsam, sonst erklärst du Bäume und Blumen. Und was machst du jetzt? Du rast.«

»Mich hat die Hektik gepackt und damit die Blindheit. Ich bin fahrig und umtriebig, weil die Geschichte mich verrückt macht. Spionage? Bürgerliches Drama?«

»Kann es denn nicht wirklich sein, daß Messner irgendeinen Spionagering aufdeckte und dieser Brummifahrer aus Dresden kam, um alle totzuschießen?«

»Seit Barschel kann alles sein. Aber das ist nicht wichtig. Wichtig ist nur, daß wir es irgendwann erklären können.«

»Muß man Leichen erklären?«

»Hierzulande ja, hier werden nur ordentliche Leichen mit schriftlichem Werdegang akzeptiert.«

»Stell dir vor, wir könnten auf einer Lichtung in der Sonne hocken und etwas miteinander haben.«

»Was denn?«

»Körperliches, rein Körperliches.«

»Geh nicht in Details.«

»Du hast wieder Furcht.«

»Nein, das regt mich auf. Ich kenne nämlich eine Lichtung mit roten Lichtnelken, die jetzt noch blühen.«

Die alte Mühle war ein Traumhaus unter Eichen. Man fuhr von der schmalen Straße einen Weg rechts hinein, rumpelte über eine uralte Brücke, deren Schlußstein vor zweihundert Jahren gesetzt sein mochte, und konnte dann unter einer Eichen- und Kastaniengruppe parken. Das Haus war aus Bruchsteinmauern gefügt, und an seiner Westwand lief ein breiter Bach über ein verwittertes, verfaultes Holzrad. Es war eine Antiquität, wie es sie in der Eifel zuhauf gibt und von der alle Leute fürchten, daß andere Leute sie entdecken.

Die Schankstube war leer und sah trostlos und vergammelt aus, keine Spur von Gelächter und Fröhlichkeit.

»Hier ein kleines Hotel aufmachen, hier Gäste haben«, hauchte Elsa. »Ich würde denen Frühstück ans Bett anbieten und so zärtliche Sachen.«

»Hallo Wirtschaft«, schrie ich. »Du brauchst eine Million, um dieses Haus auszubauen, und sechzehn Stunden am Tag, um es in Schuß zu halten. Dein Traum hat in der Eifel mehr Pleiten verursacht, als die Amtsblättchen veröffentlichen können.«

Dann kam die Frau aus einer dunklen Tür hinter dem Tresen. Sie war jung, vielleicht zwanzig, vielleicht fünfundzwanzig, und sie war unförmig dick, sie watschelte und sie kaute auf etwas herum. Ihr Gesicht war groß und rund und rot und rosig und außen an den Wangen fast violett. Ihr Haar klebte unordentlich, strähnig hellblond um den Kopf, und vorn an der Stirn hatte sie einen Lockenwickler vergessen. Sie trug ein kurzärmliges Kleid, etwas, das meine Mutter wohl Kattunkleid genannt hätte, etwas Weißblaues. Darüber eine weiße Schürze, die vollkommen verschmiert war. Sie sah uns nicht an, sie griff nach einem Lappen und wischte unter den Bierhähnen durch. »Bier? Oder was? Essen gibt es erst abends. Nur Tiefgekühltes.«

»Zwei Kaffee. Doktor Naumann ist ein Freund von uns. Er hat uns von Ihrem Pech erzählt, vom Verkauf hier.«

Jetzt hob sie den Kopf, sie hatte wässrige blaue Augen. Sie griff in den Glasschrank hinter sich, riß einen Snack-Streifen auf und schob sich den Riegel in den Mund. »Das kannste sagen, daß wir hier Pech haben. Sind vor einem Jahr aus Euskirchen gekommen, mein Mann und ich. Anfangs lief es gut. Die Kollegen von der Freiwilligen Feuerwehr kamen, und Skatklubs und so. Aber dann? Ich weiß auch nicht. Am Arsch der Welt ist das hier. Eigentlich ist es ja ganz schön. Aber, mein Gott, ich gehe hier ein in dem Kaff. Nee, wir wollen weg. Wir haben verkauft.«

Ich bugsierte Elsa an das nächste Tischchen, wischte den Staub von der Platte, und wir setzten uns.

»Ich mach mal den Kaffee«, sagte sie und verschwand.

Ich stopfte mir die Straight Grain von Jeantet und paffte vor mich hin. Sie kehrte zurück, stellte die Tassen vor uns hin, goß aus einer uralten Kanne ein und setzte sich zu uns. »Haben Sie was mit Doktor Naumann zu tun?«

»Nein, nein. Er sagte bloß, Sie hätten Pech mit dem Verkauf hier, weil ja die neue Besitzerin nicht mehr lebt.«

»Ja, ja. Mit der is was. Irgendwie ein Unglück oder so. Erschossen, sagen die Leute. Na ja, sie hat bezahlt, ist mir egal. Wir gehen nach Dortmund, mein Mann hat eine Stelle als Fahrer. Bezahlt hat sie ja, diese Rebeisen.«

»Rebeisen?« Elsas Stimme war hoch.

»Na ja, sie hat beim Notar den Namen gegeben. Ich weiß ja nicht, wer das Geld hatte, diese Rebeisen oder diese Kleiber. Kann ja auch sein, der Mimmig oder Mommig, dieser Blonde von der Bundeswehr jedenfalls, mit dem sie mal hier waren.«

»Wer hat denn nun gekauft? Die Kleiber oder die Rebeisen?« fragte ich.

»Die Rebeisen war beim Notar mit. Die hat den Namen gegeben. Komische Frauen. Dieser Mommig war auch komisch. Wollte der vielleicht mit zwei Frauen ...?« Sie lachte. »Es gibt heute Sachen, die hältste nicht aus.« Sie hatte verfaulte Backenzähne.

»Aber bezahlt ist alles?« fragte Elsa.

»Ja, sicher. Also, die müssen viel an die Füße haben. Die haben unsere laufenden Konten übernommen und die Hypotheken. Und den Rest haben sie auf den Tisch gelegt. Bar. Richtig wie im Film.«

»Und wann wollten sie einziehen?«

»Die beiden Frauen? Ende des Jahres. Sie haben gesagt, sie machen eine richtig gemütliche Kneipe mit Hotel. Die hätten sich vielleicht gewundert. Und sie haben auch gesagt, sie legten keinen Wert auf die Bundeswehr. Ha! sage ich nur.«

»Ist viel Bundeswehr bei Ihnen?« fragte ich.

»Na ja, nicht allzuviel. Aber wenn Messner mit seiner Clique kommt, ist schon was geboten. Also im Sommer kommt der dauernd. Meistens am Wochenende, wenn die Jungens freihaben und auf Ritt gehen. Auf Ritt gehen, sagen sie immer. Messner ist ja vornehm und zurückhaltend und sitzt nur da und hat sie im Griff. Mann, das hältste nich aus, wie der die Kameradschaftsabende macht. Mit Kabarett im Saal, wir haben hinten einen kleinen Saal mit Bühne. Als Weiber sind die aufgetreten mit Damenwahl und so. Mann, haben wir gelacht. Und Messner immer schön ganz hinten und nur lächeln. Der hat die gut im Griff.«

Der Kaffee war umwerfend schlecht.

»Die Frauen sind tot, das Haus ist bezahlt. Was passiert denn jetzt?« Elsa sah mich an.

»Ich weiß es nicht, ich kenne die Rechtslage nicht.«

»Messner war schon hier«, sagte die Wirtin. »Er sagte, wir sollen uns keine Sorgen machen, das schaukelt er schon. Wir gehen jedenfalls raus und hauen ab. Nichts wie weg hier.«

Im Wagen sagte Elsa: »Laß mich zusammenfassen, was Monning tat: Er hat zwei Höfe im Münsterland, eine Frau und zwei Kinder. Das alles läßt er im Stich. Er hat hier eine Freundin namens Heims, mit der er dreißigtausend Mark spart und der er die Ehe verspricht. Er hat eine feste Verbindung zu seiner Kollegin Susanne Kleiber. Über diese Verbindung wissen wir nichts. Aber die Freundin der Kleiber, die Marianne Rebeisen, ist in Köln eine berufsmäßige Nutte. Und die kriegt ein Kind von eben diesem Monning. Es sieht so aus, als hätten wir es mit einem Monster zu tun.«

»Wir gehen jetzt nach Niederehe Forellen essen«, bestimmte ich. »Und du wirst mir erzählen, wie dein Leben in Hamburg aussieht und wen du haßt und wen du liebst und welche Kollegin dir auf die Nerven geht und welcher Macho dir in den Hintern kneift und dergleichen Sachen mehr.«

Wir aßen Forellen und unterhielten uns anderthalb Stunden darüber, ob Monning ein Schwein gewesen sei oder ein Heiliger oder beides oder nichts von allem. Dann kamen wir auf die Idee, daß Puffs besonders abends gut verdienen und daß dieser Abend eben erst angefangen habe. Also fuhren wir nach Köln.

Das Wetter über der Kölner Bucht war wie üblich stickig, die Luft enorm wasser- und dreckgeschwängert. Die Bruderstraße ist eine langweilige Straße, das Haus Nummer 23 ist das langweiligste von allen. Wir blieben eine Weile davor stehen und beobachteten, wie Männer vorbeischlenderten, sich kurz und intensiv mit Habichtsaugen umsahen und dann mit einem Satz im Haus verschwanden, als biete es Rettung vor einer gefräßigen Welt.

Der Besitzer, Verwalter und Puffvater war nicht da, aber eine ältere, ausgemergelte Frau, die den Fußboden im Erdgeschoß schrubbte, schickte uns zu Tania. Tania arbeite im ersten Stock, und wenn sie gerade keine Freier habe, dann könne sie uns bestimmt Auskunft geben, denn Tania sei die Beste von allen und wisse schlichtweg alles.

Wir warteten eine Weile mit anderen Männern, die auf Tania oder andere warteten, und ich bemerkte mit Unruhe, wie die meisten von ihnen Elsa mit schnellen erfahrenen Blicken abschätzten. Ich ärgerte mich, daß ich nicht lauthals verkünden konnte, wir seien eigentlich hier, um den Grund für ein Massaker in der Eifel aufzudecken.

Endlich war Tania frei, und als ich mit Elsa im Schlepptau zu ihr ins Zimmer ging, das so heimelig wirkte wie eine Bahnhofsmission, sagte sie schnell und rauh und endgültig: »Tut mir leid, für ein Trio mit Ehefrau bin ich nicht zuständig. Das macht Mady im dritten Stock. Und Mady ist wirklich Klasse.«

Elsa machte die Tür sehr energisch hinter sich zu und fragte: »Junge Frau, was kriegste denn für eine Nummer?«

»Na ja.« Sie war rothaarig und hatte ein großporiges Gesicht unter einer hennaroten Mähne. Sie trug ein schwarzes Kleidchen, das kaum ihren Hintern bedeckte. Ihre Augen waren kalt und gut. »Das kommt eben drauf an. Von fuffzig bis hundert.«

»Baumeister, wir mieten drei Luxusnummern. Gib ihr dreihundert.«

»Ich brauche aber eine Quittung«, sagte ich.

»Kannste haben. Was soll ich schreiben? Ihr wollt doch bloß reden, oder?«

»Schreib Getränke«, sagte ich.

»Die Mama macht doch alles«, sagte sie und sah mich an, als wolle sie fragen, was ich koste. »Also, erst die Piepen her, dann kommt die Quittung. Und dann sagt ihr mal, was wirklich Sache ist. Presse, häh?«

»Presse«, bestätigte Elsa. »Wieviel Zeit haben wir jetzt?«

»Fuffzehn Minuten, aber ich gebe fünf drauf. Dann wird wieder gelöhnt.«

»Es geht um Marianne Rebeisen«, sagte ich und wollte mich auf einen Sessel setzen. Aber ich war unsicher, und Tania kicherte und sagte: »Hier ist alles sauber, Junge. Kein Aids. Willste meinen Schein sehen? Also die Mari, gut. Was ist eigentlich mit der? Daß sie einfach abhaut, paßt eigentlich nicht zu der.«

»Wir suchen sie«, sagte ich schnell. »Deswegen sind wir hier. Es geht nicht darum, daß sie was ausgefressen hat, sondern darum, daß ihr jemand was schuldet und es nicht loswird, solange wir sie nicht auftreiben.«

»Der Alte hat mir gesagt, daß irgendwelche Leute von den Geheimbullen da waren und nach ihr gefragt haben. Aber gesagt haben die auch nichts, bloß ihre Wohnung oben durchsucht. Also sagen wir mal, die Mari ist ein Profi. So was merkt man ja. Nicht so hippelig wie die Hausfrauen, die sich mal was dazuverdienen wollen. Sie hat auch Abitur, das weiß ich, das hat sie mir mal gesagt. Aber viele, die anschaffen gehen, haben Abitur. Sie hat oben eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung neben mir. Sie hat dieselben Freunde wie ich, also Bimbo, Köln-Josef, Koks-Frenzi, Dom-Bomber und alles diese Macker. Sie hat aber keinen festen Draufgänger, das wüßte ich.«

»Wie ist sie denn so?« fragte Elsa.

»Nett. Sie ist ein wirklich starker Typ. Und soweit sie mal gesagt hat, hat sie auch keine Verwandten. Jedenfalls keine, mit denen sie was zu tun haben will.« Sie lachte. »Wer will schon was mit Verwandten zu tun haben?«

»Ist sie hier auf irgend etwas spezialisiert?«

»Nein. Nur Standards, aber die gut. Hin und wieder auch mal 'ne Gruppe, wenn zuviele Kunden da sind. Aber sie ist in Ordnung.«

Elsa seufzte. »Sie muß aber doch privaten Besuch gehabt haben. Ganz ohne geht doch nicht.«

»Nein, hatte sie nicht. Viele von uns sind im Privatleben ziemlich allein.«

»Aber sie muß doch einen Lui gehabt haben, einen Beschützer, einen, der abkassierte.«

»Hat sie auch. Das ist unser Chef. Der hat nur Prozente kassiert, glatt und kalt und nix sonst. Ja, und ehe ich es vergesse: Gespart hat sie, wie wild gespart.«

»Was kann man denn in diesem Beruf pro Monat sparen?« fragte ich.

»Wenn du nix am Kopp hast mit Saufen und anderen Sachen, dann können da locker drei bis vier Mille aufs Sparbuch gehen.«

Ich stopfte mir die Orly von Butz-Choquin. »Wenn ich das richtig kapiere, kann man im Jahr vierzigtausend auf die Seite schaffen.«

»Das ist richtig. Es gibt welche, die schaffen auch mehr. Aber dann kommt irgendwann ein Macker, und der fährt plötzlich einen Prachtwagen, und du bist pleite. Na ja, die Mari war so eine, die sagte: Ich schaffe an und spare, und dann habe ich alles und mach Schluß. Ja, ja und ein Kind wollte sie. Wir haben so gelacht, als die das erzählte. Damals sagte sie nämlich: Ich will ein Kind, aber nicht mit einem Kerl zusammen. Sie war schon ein Schätzchen, die Mari. Hat sie denn Zaster zu erwarten?«

»Vielleicht können wir ein Suchfoto veröffentlichen«, sagte ich. »Aber du hast wahrscheinlich keins, oder?«

»Na sicher habe ich eines«, sagte sie. »Wenn die Macker da sind und Mari ist dabei, dann wird auch schon mal fotografiert. Was bringt das?«

»Eine Nummer«, seufzte ich und legte einen Hundertmarkschein auf den Tisch. »Aber nicht ohne Quittung.«

»Für Getränke?« Sie lachte schallend und ging hinaus, um das Foto zu holen.

»Mir will das alles nicht in den Kopf«, sagte Elsa. »Sie würde doch etwas sagen, wenn sie etwas weiß.«

»Vielleicht weiß sie etwas, wenn wir richtig fragen.«

Tania kam zurück und gab mir ein Foto, sechs mal neun, schwarzweiß. Marianne Rebeisen war auf den ersten Blick ein unscheinbares Blondchen. Auf den zweiten Blick kurzes, blondes Haar, ein gelangweiltes Gesicht ohne erkennbare Besonderheiten. Wenn man es allerdings länger betrachtete, hatte man den Wunsch, mit ihr zu sprechen, sie kennenzulernen, einfach zu fragen: Wer sind Sie eigentlich? Das Kinn war ausgeprägt, die Nase klein und gerade, dazwischen ein empfindsamer Mund, dessen Winkel leicht herabhingen. Die Augen waren groß und dunkel und sagten nichts.

»Ist die denn nie in Urlaub gefahren?« fragte ich.

»Nicht daß ich wüßte«, sagte Tania. »Kann sein, daß sie im Urlaub war, wenn ich im Winter in Mallorca Rentner abgestaubt habe. Aber das hätte sie mir gesagt.«

Elsa steckte das Foto in ihre Handtasche und murmelte: »Ich verstehe das nicht, Baumeister. Sie muß doch irgendwelche Anbindungen gehabt haben. Jeder Mensch hat Anbindungen an Menschen. Wie hat sie gearbeitet?«

»Montag bis Freitag Doppelschicht, etwas mehr, als die Gewerkschaft erlaubt. Samstag, Sonntag Pause.«

»Was war samstags, sonntags? Ging sie nie aus?«

Tania überlegte und wollte es genau machen. »Sie gehörte irgendwie nicht zu unserer Clique, und sie war auch nicht der Typ, der ausgeht. Ich meine, mal ins Kino oder mal Kolleginnen besuchen oder mal essen beim Griechen und so. Jetzt, wo ihr fragt, fällt mir das besonders auf. Freitag nachmittags verschwand sie und kam Montag morgens wieder. Jedes Wochenende, obwohl am Wochenende wegen des stillen Ficks, wie ich das nenne, manchmal der große Reibach ist. Wir haben sie aufgezogen, wir haben gesagt, sie hätte irgendwo einen Macker. Sie lachte nur. Einmal hat sie mir gesagt, sie ging in der Eifel wandern.«

»Da lachen wir aber gar nicht«, sagte ich. »Und das war an jedem Wochenende?«

»Ja.«

»Und du hast keine Ahnung, wo sie war, ich meine, wo in der Eifel? Und wen sie traf?«

»Null Ahnung. Die zwanzig Minuten sind übrigens um, also entweder oder.« Sie grinste sehr sympathisch.

Elsa sagte hastig: »Das reicht, das reicht.«

»Noch eine Nummer«, bestimmte ich. »Wie kam sie in die Eifel? Bundesbahn, Bus, Auto?«

»Weiß ich nicht, weiß ich wirklich nicht. Ein Auto hat sie nicht, das ist jedenfalls sicher. Sie packte so eine große pinkfarbene Reisetasche und huschte aus dem Haus. Sie ging immer rechts runter, dann links rein in die Merowinger Straße, dann war sie weg. Das habe ich x-mal aus dem Fenster gesehen. Also, wenn ich abgeholt werden sollte, würde ich an der Ampel an der Volksgartenstraße zusteigen.«

»Seit wann arbeitete sie hier im Haus?« fragte Elsa.

»Seit drei Jahren. Das weiß ich genau, weil ich ein Jahr hier war, als sie kam.«

Elsa starrte aus dem Fenster. »Und woher kam sie?«

»Tja, woher kam sie?« Sie griff unter ihr Röckchen und schob sich den Slip zurecht, der nicht mehr Volumen hatte als ein Bindfaden. »Irgendwoher vom Land – aus der Provinz sozusagen. Warte mal, ich hab's. Sie sagte, sie hätte viel mit Amis zu tun gehabt. Aus Bitburg.«

»Paß auf«, sagte ich, »ich will mir nicht den Vorwurf machen, dich beschissen zu haben. Wir haben dich belogen. Die Mari ist tot, sie wurde erschossen. In der Eifel.«

»Scheiße!« sagte sie mit grotesk schrägem Mund. »Ich hab so was geahnt.« Sie sah uns an und setzte schnell hinzu: »Nicht daß ich was gewußt hätte, so meine ich das nicht. Warum habt ihr mir das nicht gleich gesagt?« Da war ein sanfter Vorwurf.

»Wenn jemand hört, die ist tot, denkt er darüber nach und kann nicht mehr antworten«, sagte ich. »Kannst du dir vorstellen, daß die Mari zu irgendeinem Geheimdienst gehörte?«

»Wenn ich das so überlege, muß ich sagen, daß ich mir das gut vorstellen kann. Schon deswegen, weil wir ja alle nichts von ihr gewußt haben. Sieh mal, ich weiß alles von den anderen und nix von Mari. Und das ist doch komisch, oder? Und wenn gesoffen wurde, soff sie nicht mit. Und wenn wir mal ein bißchen Koks probiert haben, dann ohne sie. Und wenn wir mit den Mackern Quatsch machten, ging sie rüber in ihre Wohnung. Ja, Geheimdienst kann ich mir vorstellen.«

»Kann ich mir die Wohnung von ihr ansehen?« fragte Elsa. »Nur mal so.«

»Sicher«, murmelte Tania und verlangte keine Nummer dafür. »Der Alte hat mir den Zweitschlüssel gegeben, weil es sein konnte, daß Mari ihren Schlüssel verloren hat. Nun taucht sie wohl nicht mehr auf. Kann ich das Grab sehen?«

Elsa nahm den Schlüssel. »Welche Wohnung ist es?« Tania beschrieb es ihr, und Elsa ging hinaus.

»Mari hat kein Grab«, sagte ich. »Sie ist noch in der Anatomie in Bonn. Sie hat ja wohl keine Verwandten.«

»Doch, doch«, murmelte Tania. »Sie hat ja ein bißchen uns. Ich mach ihr eine Beerdigung. Da kommen alle Loddel und alle aus dem Betrieb und die Taxifahrer und die Masseusen von nebenan und andere aus der Südstadt. Sie soll eine Beerdigung haben. Kannst du mir helfen, daß wir ihre ... also, daß wir sie kriegen? Und wie ist das passiert?«

»Wir wissen es eben nicht. Drei Leute wurden erschossen. Außer ihr ein Bundeswehrleutnant und eine Serviererin. Wir wissen nicht, was Mari mit denen zu tun hatte. Alle drei wurden mit einer Schrotflinte umgelegt. Einfach so. Und wir haben durch Zufall davon erfahren und wissen eigentlich noch wenig.«

»Vielleicht waren das die Leute, mit denen sie in der Eifel gewandert ist?«

»Das kann sein. Aber ein bißchen mehr als wandern wird gewesen sein. Was für Kundschaft hatte sie denn?«

»Normale, würde ich sagen. Aber die Kundschaft ist heilig. Wir wissen manchmal, wie die mit Vornamen heißen, aber mehr wissen wir nicht.«

»Was würde es kosten, wenn du versuchst, herauszufinden, was das für Kunden sind?«

»Einen satten Tausender«, sagte sie schnell. »Ich übernehme Maris Kundschaft und versuche es.«

»Tausend sind mir zuviel, sagen wir achthundert.«

»Gut. Achthundert. Bar und jetzt.«

»Vierhundert jetzt, den Rest, wenn du rüberkommst mit den Informationen.«

»Sechshundert jetzt, den Rest, wenn ich dich anrufe.«

»In Ordnung. Hier ist meine Telefonnummer in der Eifel. Und beeil dich.«

»Hör mal, ich glaube, du hast das nicht mitgekriegt. Ich will, daß wir die Mari kriegen, damit sie eine Beerdigung hat.«

»Ich glaube, du mußt einen Antrag bei der Staatsanwaltschaft stellen.«

»Mach du das für mich«, sage sie, und ich sagte Ja, weil sie anfing zu weinen.

Es gibt Fragen, die bei Frauen so erheblich sind, daß man sie erst dann stellt, wenn man einen Rauswurf riskieren kann, wenn man das Wichtigste schon weiß.

»Hör zu«, sagte ich. »Du hast selbst gesagt, daß die Mari gesagt hat, sie will irgendwann ein Kind. Tania, Mari war schwanger.«

Sie stand da, und ruckartig hörte das leise Weinen auf. Sie schniefte zweimal. Die Tränen hatten die schwarze, tintige Umrandung der Augen aufgelöst und in scharfen Strichen links und rechts auf die Mundwinkel zufließen lassen. »Nein«, sagte sie grell und ihr Clownsmund wurde größer. »Mach keinen Quatsch, verscheißer mich nicht. Sie war schwanger?«

»Ja. Im zweiten Monat. Hast du eine Ahnung, von wem?«

»Keine Ahnung.«

»Sie hat keinen Ton gesagt?«

»Nein. Aber warte mal, sie hat in der letzten Zeit davon geredet, daß sie fertig ist mit diesem Beruf und bald aufhört. Weißt du denn, wer der Vater ist? Sie hat es doch so sehr gewollt.«

»Ich weiß es nicht.«

Ich ging hinunter auf die Straße, setzte mich in den Wagen und hörte ein Band mit Haydn-Quartetten. Der Fall sah trostlos aus.

Nach einer Weile kam Elsa, setzte sich neben mich und sagte: »Laß uns fahren, das ist eine schäbige Welt. Irgendwer hat die Wohnung auf den Kopf gestellt. Das sieht grauenhaft aus. Sie hatte viele Plüschtiere, unheimlich viele Plüschtiere, einen ganzen Zoo.«

»Und sonst?«

»Nichts. Billigste Einheitsmöbel. Aber sechs Kugelschreiber und zwei Füllfederhalter. Keine Unterlagen, nichts. Nur die Plüschtiere. Wie wenig doch von einem Menschen bleibt.«

»Kleidung?«

»Normal. Nichts Besonderes. Eher bieder. Jeans und Blusen. Lieber Himmel, wir werden nie herausfinden, was da gelaufen ist.«

Ich sagte nichts darauf, weil ich dasselbe Gefühl hatte, weil ich enttäuscht und wütend war.

»Sie kam also aus Bitburg, sie kam daher, wo auch Lorenz Monning und die Susanne Kleiber herkamen. Sag mal, Baumeister, ist das nicht ein perfektes Spionage-Trio?«

»Perfekt ist das richtige Wort. Monning und die Kleiber arbeiten im Auftrag des MAD draußen an den Depots. Wenn sie bereit waren, und alles sieht so aus, etwas über die Lage der Depots und ihren Inhalt zu verraten, dann ist ein potentieller Feind in der Lage, allen Nachschub im Fall des Krieges abzuschneiden und zu zerstören. Sie liefern ... du lieber Himmel, ich bin kein Spion, aber es ist ja kinderleicht ... sie liefern ihre Erkenntnisse weiter an die Marianne Rebeisen. Die wird von irgendeinem Kunden besucht, dem sie das Material übergibt oder nur einfach weiterberichtet. Genau das hat Messner entdeckt, genau das hat er recherchiert, das ist der Spionagefall. Und die Leute in der DDR oder beim KGB haben begriffen, was da lief. Sie schickten den Lastwagenfahrer aus Dresden, und der räumte auf.«

»Aber der Schäfer Meier hat ihn nicht halten sehen. Er sagte, der LKW-Fahrer fuhr vorbei, er stoppte nicht.«

»Das ist die Frage, über die ich nachgedacht habe. Der Fahrer hat sehr leicht hinter der nächsten Kurve halten und zurücklaufen können. Vollkommen ohne Risiko. Ich will wissen, wie die Rebeisen an jedem Wochenende in die Eifel kam.«

»Marita Heims«, sagte Elsa schnell.

»Wir versuchen es«, entschied ich.

»Ich möchte jetzt ins Kino«, sagte sie träumerisch. »Oder Chick Corea hören oder die West Side Story von Bernstein. Erlebst du das oft bei Geschichten? Ich meine, daß man total den Mut verliert?«

»Das kommt vor.«

Wir fuhren in den Nachthimmel über der Eifel, unterhielten uns kaum. Nur einmal sagte sie: »Es muß doch, verdammt noch mal, den Menschen geben, der alles weiß.«

»Sicher, den Menschen gibt es. Er hieß Monning, oder Kleiber oder Rebeisen.«

»Ob Messner mehr weiß?«

»Gewiß, aber er wird nichts sagen. Wo liegt Marita eigentlich?«

»Zweiter Stock, privat. Chirurgie Frauen. Das kannst du aber doch telefonisch machen.«

»Sie werden ihre Leitung überwachen.«

»Eigentlich mache ich doch lieber Modethemen«, murmelte sie.

Dann lachten wir, und es war wie eine kleine Befreiung.

Die Klinik in Blankenheim lag am Hang und sah wie eine uneinnehmbare Festung aus. Ich rief aus einer Telefonzelle an und verlangte die Nachtschwester der Station. Ich sagte: »Ich bin ein alter Freund von Frau Heims. Ich weiß, sie darf keinen Besuch haben, ich weiß auch, daß sich da einer wichtig tut, der sie bewacht. Kann man denn eine Minute zu ihr?«

Die Schwester lachte und sagte: »Da müssen Sie aber durch die Küche kommen. Und nicht lange. Der Zerberus, der sie bewacht, kriegt gerade sein Essen im Schwesternzimmer.«

»Sie sind nicht ein Engel, sondern eine Engelschar.« Ich ging also durch den Eingang, über dem Lieferanten stand, und stieg ein trostloses Treppenhaus empor. Hinter einer Schwingtür lief ich einer drallen Krankenschwester in die Arme, die flüsterte: »Drittes Zimmer links. Und in zwei Minuten sind Sie wieder draußen. O.k.?«

Marita sah sehr gut und sehr gesund aus. Verbände sah ich nicht. Sie sagte erfreut: »Das ist aber eine Überraschung. Haben Sie schon gehört, daß irgendwer mein Auto geklaut hat?«

»Ich habe es schon wieder zurückgebracht.«

Sie kicherte und griff automatisch nach einem kleinen Spiegel, um sich zu schminken. »Das dachte ich mir. Ich habe gebremst und es funktionierte nicht. Der Bulle vor meiner Tür ist wohl bestechlich?«

»Der Bulle ist wohl MAD und weiß von nichts. Wir haben keine Zeit, also konzentrieren Sie sich. Wir wissen jetzt, daß Lorenz Monning erst in Bitburg stationiert war. Dort war auch Susanne Kleiber. Wir haben erfahren, daß die Marianne Rebeisen ebenfalls in Bitburg gewesen ist. Monning und Kleiber kamen dann nach Münstereifel. War die Rebeisen auch in Münstereifel?«

»Nein. Die war in Köln. Aber Münstereifel dauerte ja nur ein paar Monate. Dann kamen die nach Hohbach.«

»Zweite Frage: Marianne Rebeisen war eine Freundin der Susanne Kleiber und kam jedes Wochenende nach Hohbach. Wissen Sie, auf welchem Weg?«

»Aber ja. Lorenz hat erwähnt, daß Susanne die Marianne immer Freitagabend abholte. Und einmal waren wir in Köln und haben sie sogar mitgenommen zum Depot.«

»Wissen Sie, daß Marianne Rebeisen im zweiten Monat schwanger war? Und haben Sie eine Ahnung, wer der Vater sein könnte?«

»Das weiß ich nicht, keine Ahnung, wirklich nicht.«

»Wissen Sie, daß Marianne Rebeisen und die Susanne Kleiber hier in der Gegend für sich eine Kneipe, eine alte Mühle gekauft haben?«

»Lorenz hat das erwähnt, er war ja mit Susanne Kleiber befreundet. Ja, das weiß ich.«

»Marita«, sagte ich, »dann müßten Sie eigentlich auch wissen, daß die Susanne Kleiber beim MAD gekündigt hat, weil sie am Jahresende die Kneipe zusammen mit Marianne Rebeisen machen wollte.«

»Ja, das wußte ich.«

»Warum haben Sie das nicht gesagt?«

Sie zog den Kopf zwischen die Schultern. »Ich habe einfach nur an Lorenz gedacht. Das ist doch alles nicht wichtig, dieses Gerede über die anderen.«

»Das verstehe ich nicht. Nächste Frage: Sie haben erwähnt, Lorenz würde Ihnen das schönste Geschenk Ihres Lebens machen, wenn er bei der Bundeswehr kündigt.«

»Ja.«

Alter Mann, dachte ich, gib mir Erfolg bei diesem Gelüge, gib mir einen guten Bluff. Draußen ging einer über den Gang, und jemand rief: »Hallo, Schwester.«

»Marita. Sie wollen doch, daß wir den Fall aufklären, oder? Warum haben Sie mir denn nicht gesagt, daß Lorenz auch zum Jahresende gekündigt hat?«

Sie sah mich sehr starr an, schloß die Augen und begann zu weinen. »Das sollte doch geheim bleiben. Er wollte doch nicht, daß ich darüber spreche.«

»Und warum das Gerede von der beruflichen Beförderung vom Lorenz?«

»Die Leute sollten es nicht wissen. Ja, er hat zum Jahresende gekündigt.«

»Wann war das genau?«

»Das ist ein paar Wochen her.«

»Die letzte Frage: Sie liebten Lorenz Monning. Sie wollten ihn heiraten. Was wollte er beruflich machen?«

Sie schluchzte und lachte und konnte sich für keines entscheiden. »Wir wollten eine Kneipe und ein kleines Hotel machen. Wir haben in der Walsdorfer Gegend einen alten Bahnhof gekauft. Wir wollten im kommenden Frühjahr umbauen und anfangen.«

»Eine Kneipe und ein Hotel für Susanne und Marianne und eines für Lorenz und Marita. Erstens: Wie wurde das alles finanziert? Zweitens: Was hielt denn der Lorenz von der Friedensbewegung?«

»Wir haben alles aus Ersparnissen finanziert, die Susanne und Marianne auch. Wir wollten keine Kredite – wir verdienten ja alle gut. Von der Friedensbewegung hielt Lorenz viel. Sehr viel, möchte ich mal sagen. Er hat sie in Köln und in Bonn und in der Eifel kennengelernt. Er sagte immer, sie hätte ihm seine Angst vor dem Ostblock gründlich genommen. Er hatte manchmal Zoff mit Messner, weil der immer auf den bösen Russen rumritt und auf der Gefahr aus dem Osten. Lorenz sagte, die Russen hätten viel weniger Interesse an einem Krieg als alle im Westen zusammen.«

»Sah er denn eine Möglichkeit, diese Gefahr irgendwie einzudämmen?«

»Na sicher. Abrüstung und so. Er sagte, wenn die Großmächte alles Wissen über Waffen austauschten, die Waffen wegschafften, dann könne keiner mehr Krieg machen.«

»Machen Sie es gut, ich muß gehen. Wir sehen uns wieder.« Ich rannte den Flur entlang und erreichte das trostlose Treppenhaus, ohne daß jemand mich sah.

»Lorenz und Kleiber haben gekündigt, sie wollten die Bundeswehr verlassen, sie wollten Hotelier spielen. Monning mochte die Friedensbewegung, und es sieht so aus, als hätten wir einen klassischen Fall von Spionage. Es paßt, es paßt alles.«

»Hat Marita eine Ahnung?«

»Keine. Und sie soll auch vorläufig keine haben.« Ich berichtete genau, was Marita gesagt hatte.

»Das ist eigentlich eine sehr kleinliche Geschichte«, sagte Elsa mutlos. »Kleine Leute überwältigt die Idee des Friedens, sie verraten alles und jeden und werden getötet. Einfach so.«

»Es ist einleuchtend«, murmelte ich. »Es ist alles viel zu einleuchtend. Laß uns fahren.«

Wir fuhren auf den Hof, Krümel schwatzte um uns herum und wollte uns erzählen, wie der Tag war und was an Aufregung sie bewältigen mußte, aber wir hörten nicht zu. Ich ging unter die Dusche und legte mich auf die Matratze.

»Ich möchte mit dir schlafen«, sagte sie leise.

»Und ich mit dir«, sagte ich.

Krümel konnte sich später nicht entschließen, auf welchem Bauch sie schlafen wollte. Sie huschte und nörgelte zwischen uns her und maunzte zuweilen so laut, als sei das Leben grundsätzlich nicht zu ertragen.

Um sechs Uhr trafen wir uns vor dem Badezimmer.

»Wir müssen es irgendwie zu Ende bringen«, sagte ich.

»Ja«, sagte sie. »Laß uns auf den Bauernhof der Monnings fahren. Vielleicht fällt uns beim Anblick einer Münsterländer Kuh ein, was wir bisher übersehen haben. Glaubst du, daß wir an den Brummifahrer aus Dresden herankommen?« fragte sie.

»Ich weiß es nicht, ich glaube es nicht. Welcher Mörder gibt ein Interview?«

»Ob Messner etwas sagt?«

»Kein Wort. Er genießt die Macht des Wissens, er wird befördert, er wird für das Vaterland schweigen.«

»Du sagst so kluge Sachen«, murmelte sie.