SECHSTES KAPITEL

Die kleine Wohnung war ein Alptraum aus steifem Brokat, sehr, sehr echten Teppichen und dem, was in deutschen Möbelhäusern als altdeutscher Stil, antik, echt Eiche, an die Familie gebracht wird. Nicht einmal die Betenden Hände des Albrecht Dürer fehlten, und sein Karnickel lümmelte sich an der Wand. An den schneeweißen Tüllgardinen konnte man sicherlich ein Streichholz anreiben.

»Kaffee, Tee, irgend etwas anderes?«

Wir schüttelten dankend die Köpfe.

»Ich brauche jetzt einen großen Schnaps«, sagte Marita. Und dann sehr selbstsicher: »Kann ich Ihre Legitimation sehen?«

Ich reichte ihr meinen internationalen Presseausweis und sagte: »Nicht Staatsanwaltschaft, nicht BND, nicht MAD, nicht Verfassungsschutz und so weiter.«

Sie gab mir den Ausweis zurück und sagte: »Ich habe aber was dagegen, durch die Presse gezogen zu werden.«

»Ich auch«, murmelte ich, »aber sehen Sie mich an. Ich bin verprügelt worden, nur weil ich mich erkundigen wollte, was am Depot in Hohbach geschehen ist. Die ganze Eifel spricht leise darüber, aber wenn man danach fragt, wird man verprügelt. Der Minister hat erklärt, das Ganze sei nix als eine miese Eifersuchtstragödie gewesen.«

Sie verzog den Mund. »Das war es natürlich nicht.«

Sie trank von dem Schnaps und zündete sich eine Zigarette an, nachdem sie Elsa eine angeboten hatte. Ich stopfte mir die Neuilly von Jeantet. Es war sehr still, nur eine Fliege summte verzweifelt im Tüll.

»Können wir uns einigen, daß Sie nur antworten, wenn Sie wollen?« fragte Elsa freundlich.

»Ich weiß nicht, was Sie bisher herausgefunden haben«, sagte sie. »Aber es scheint ja wohl unvermeidlich, daß mein Privatleben durch den Dreck gezogen wird, oder?«

»Das ist vermeidbar«, sagte ich und lehnte mich zurück. »Sie scheinen vorauszusetzen, daß es uns Spaß macht, Dreck anzurühren. Das ist nicht so. Das einzig Unvermeidbare bei der Angelegenheit ist wohl die Tatsache, daß wir in den nächsten Tagen alles über diese Affäre herausfinden werden, auch dann, wenn einige Beteiligte schweigen.«

»Sie sind also nicht auf irgend etwas Knalliges aus? Wer schlief mit wem? Oder wer bezahlte wen?«

»Das interessiert mich überhaupt nicht, es sei denn, es ist tatauslösend.«

»Was wissen Sie denn schon?«

»Zu wenig«, sagte ich. »Ich möchte Ihnen nur eine Frage stellen. Wenn Sie die beantworten können, besitzen Sie den Schlüssel zu dem Verbrechen. Wieso meldet sich ein Soldat aus dem Münsterland, hier in der Eifel stationiert, zu einem Heimaturlaub ab und wird Stunden später hundert Meter vor dem Depot bei strömendem Regen in einem offenen Jeep erschossen? Das ist die Frage. Und ich sage Ihnen, warum wir eigentlich hier sind: Wir bekamen von einem Freund die Information, daß Sie eine Frau sind, die den toten Lorenz Monning gut kannte. Aber wir wissen nicht, wie gut.«

Sie sah aus dem Fenster, und ihre Augen wurden schmal.

»Was wird mir das bringen?« fragte sie.

»Sie meinen Geld?«

»Ich meine Geld.«

»Ich bezahle nichts«, sagte ich. »Ich bezahle meine Informanten nie, es sei denn, sie haben kein Geld, sich das Mittagessen zu kaufen.«

»Geld versüßt das Leben, nicht wahr?« fragte Elsa.

Sehr klar und eiskalt kam die Geschäftsfrau. »Liebe Frau, ich lebe hier sehr isoliert. Mit Geld kann ich der Isolation etwas ausweichen. Ich sehe das ganz cool.«

»Wenn Sie Geld zur Bedingung machen, gehen wir«, sagte ich. »Dann bin ich hier falsch.«

»Das ist aber seltsam«, sagte Marita. »Ich habe Bekannte, die damit angeben, daß sie große Informationshonorare von Zeitungen bekommen haben.«

»Aber nicht von Baumeister«, sagte Elsa.

»Angenommen, ich gehe nicht darauf ein?«

»Dann gehen wir, aber es ist eine peinliche Frage«, sagte ich. »Sehen Sie, soweit ich weiß, hat Hohbach sechshundert Einwohner, das Depot verfügt über rund hundert Bundeswehrsoldaten, Lorenz Monning hat Verwandte im Münsterland. Glauben Sie denn im Ernst, daß die alle eisern schweigen? Was ist mit dem Soldaten Lenz, was ist mit dem Leutnant Wannenmacher?«

»Wannenmacher ist dumm, Lenz sagt niemals etwas gegen die Bundeswehr«, sagte sie schnell, aber sie wirkte jetzt unsicher.

»Sie werden letztlich alle reden«, sagte Elsa. »Sie sind doch sehr lebenspraktisch, Sie wissen das. Und die Verwandten von Monning sind sauer. Sie werden reden, wenn sie erfahren, daß der Mann nicht bei einem Unfall umkam, sondern erschossen wurde.«

»O ja«, lächelte Marita bitter. »Die werden reden, aber die wissen nichts.«

»Wir verschwenden Zeit«, sagte ich unwirsch. »Sie sind also nicht gewillt, uns etwas zu erzählen. Dann gehen wir besser.«

Ich erwartete, daß Elsa protestieren würde, aber sie durchschaute es und sagte beiläufig: »Ich denke, du hast recht. Tja, dann wollen wir mal.« Damit stand sie auf, führte den Angriff schnell und resolut. Ich lächelte Marita an und spielte den Trumpf sehr genießerisch aus. »Nichts für ungut, dürfen wir Ihnen denn das Manuskript zeigen, wenn es fertig ist? Vielleicht würden Sie uns bei den Korrekturen helfen?«

Marita war sehr verwundert, und sie bemühte sich, das nicht zu zeigen. Sie lächelte schief. »Natürlich dürfen Sie mir das zeigen. Tun Sie das immer?«

Ich stand auf, trat an das Fenster und schaute auf die malerische Gasse hinunter. Eine graugetigerte Katze strich um einen uralten Türstein und schloß in der grellen, steilen Sonne genießerisch die Augen. »Das tue ich immer«, sagte ich. »Ich gebe meinen Hauptinformanten gewöhnlich schriftlich, daß sie das Manuskript lesen können, bevor ich es einer Redaktion auf den Tisch lege.«

»In der Beziehung ist er ein bißchen meschugge«, lächelte Elsa. »Aber er hat den Vorteil, dadurch besser zu sein. Nur reich wird er dabei nicht.«

»Das geht dich nichts an«, sagte ich muffig.

»Irgendwie bewundere ich das ja«, murmelte Elsa, »aber es macht deine Arbeit so zäh und langwierig. Und wohlhabend wirst du dabei wirklich nicht.«

»Es dauert länger, aber es hat den Vorteil, präziser, subtiler und nicht so fehlerhaft zu sein wie das Geschmiere gewisser anderer Leute«, sagte ich wütend.

»Sie sehen, er ist unverbesserlich«, plauderte Elsa. »Tja, dann wollen wir mal. Und falls Ihnen etwas einfällt, was Sie uns erzählen könnten, dann rufen Sie uns einfach an. Wir wohnen ja ganz in der Nähe, zwanzig Minuten weg.«

»Ich denke, Sie kommen aus Hamburg.«

»Die Zentralredaktion ist in Hamburg«, sagte ich. »Ich wohne seit fünf Jahren hier in der Eifel. Ich lebe in einem alten Bauernhof, ich gebe Ihnen die Telefonnummer.«

Ich stand nach wie vor am Fenster, Elsa stand zwei Schritte vom Sofa entfernt auf dem Weg zur Treppe in den Laden. Marita stand ebenfalls, wirkte isoliert und ließ die Arme seltsam leblos hängen. Es war eine Pattsituation.

»Sie haben ja nicht einmal gefragt, wie ich zu Lorenz stand.« Sie klang enttäuscht und hilflos.

»Warum sollen wir das?« fragte ich. »Ich kaufe grundsätzlich nie Informationen. Der Informant muß mir vertrauen und darauf hoffen, daß irgend etwas an seiner Situation klarer wird und daß er die Chance hat, die Affäre mit eigenen Worten zu erklären, oder ...«

»Er war mein Geliebter, wir wollten heiraten«, sagte sie schnell.

Elsa drehte sich zu mir herum, ließ ihre Augen wie ein Leuchtfeuer blitzen, ging zurück zum Sofa und setzte sich. Ich drehte mich erneut zum Fenster und sah auf die Gasse hinaus. Die Katze war verschwunden.

»Er war aber doch verheiratet«, sagte ich.

»Ja, das war er«, sagte sie. »Aber er hatte die Scheidung eingereicht. Der Termin war in vier Wochen.«

Die Katze war wieder da, hatte sich auf den Stein gesetzt und beobachtete einen Papierfetzen, den der Wind langsam über das Kopfsteinpflaster trieb. Als sie zusprang, drehte ich mich herum und sagte: »Er hatte also am Freitag mittag gar nicht vor, ins Münsterland zu fahren?«

»Nein«, sagte sie. »Ich dachte, das wüßten Sie. Er machte Freitag mittag Schluß und kam hierher. Wie immer.« Dann begann sie zu weinen und sagte: »Verdammt, das ist alles so schlimm. Ich hab nicht mal sein Grab gesehen, ich konnte nicht mal zur Beerdigung.« Sie stand schnüffelnd auf und suchte irgend etwas.

»Ich habe sogar daran gedacht, heimlich ins Münsterland zu fahren und auf den Friedhof zu gehen und sein Grab zu suchen. Und dann stehe ich da und weiß nicht ... Was soll ich ihm sagen? ... Es ist ja nur sein Grab.«

»Hier ist ein Tempo«, murmelte Elsa matt.

»Ich kriege das nicht geregelt«, sagte sie und schniefte in das Tuch. »Ich bin so was von fertig, daß ich mich kaum noch auf den Beinen halten kann.«

»Haben Sie denn keine Freunde?« Elsa sah zu Boden.

»Doch, ein paar, nicht viele. Meine Freundinnen sind alle verheiratet und haben wenig Zeit. Das sagen sie immer. Das ist ein Scheißkaff, ist das hier. So verlogen und so bigott. Ich habe sogenannte Bekannte, die nur über den Hinterhof zu mir kommen. So ist das.«

Ich setzte mich und sagte: »Vielleicht ist es gut, wenn wir einen Kaffee trinken.«

Sie nickte und verschwand mit Elsa in der Küche. Ich starrte in das grelle Licht der Sonne, das sich in den Schlieren der Fensterscheibe bündelte. Ich hörte, wie sie in der Küche miteinander sprachen, einmal schluchzte Marita laut und brüllte: »Scheißbundeswehr!« Dann kam die beruhigende Stimme von Elsa und das Klappern von Geschirr. Ich stopfte mir die Commodore von Oldenkott und zündete sie bedachtsam an. Sie zog nicht. In Zeiten der Hektik werden die Pfeifen vernachlässigt. Sie kamen herein, deckten den Tisch, und Elsa sagte: »Stell dir vor, Baumeister, es gibt italienischen Kaffee.«

»Toll«, sagte ich höflich. »Marita, seien Sie mir nicht böse, aber gibt es Beweise dafür, daß Lorenz Monning Sie wirklich heiraten wollte?«

»Ja«, sagte sie. Sie stand auf und ging zu einem Schrank. Sie kam mit zwei kleinen grünen und einem kleinen blauen Heft zurück und legte sie vor mich hin. Es waren Sparbücher, ausgestellt zugunsten Marita Heims und Lorenz Monnings. Und die Gesamtsumme belief sich auf etwa dreißigtausend Mark.

»Das ist aber kein Beweis für eine Scheidung«, sagte ich freundlich.

»Ich habe noch etwas«, sagte sie eifrig und ging wieder zu dem Schrank. »Hier ist ein Schreiben von Lorenz an seine Frau. Eine Kopie. Da steht drin, daß er nichts von den Höfen haben will. Lorenz war Hoferbe. Seiner Frau gehört auch ein Hof.« Sie legte das Schreiben vor mich hin. Sie murmelte: »Und all seine Unterwäsche ist auch hier.«

»Das reicht aber doch«, murmelte Elsa. »Oder?«

»Das reicht«, sagte ich. »Haben Sie denn nun eine Ahnung, was in der Sonntagnacht beim Depot geschehen ist?«

»Nicht die geringste«, sagte sie, und sie begann wieder zu weinen.

Über die Tischdecke kroch eine Fliege, unten im Laden waren irgendwelche Kunden und sprachen murmelnd miteinander, eine Kirchturmuhr schlug, es war vier, ein Radio heulte auf und wurde abgedreht.

»Es muß mit dieser Frau zu tun haben, die in der Hohbacher Kneipe bediente. Ich meine diese Susanne Kleiber. Sie war schließlich eine Kollegin von Lorenz.«

»Eine was?« fragte Elsa scharf.

»Ich dachte, das wüßten Sie«, sagte Marita wieder. »Lorenz war Leutnant bei der Bundeswehr. Er war Trainer, Sportlehrer. Aber er war ein verdeckter MAD-Mann. Und die Susanne Kleiber war ebenfalls beim MAD. Ich dachte, Sie wüßten das. Übrigens: Lassen Sie ein Tonbandgerät mitlaufen?«

»Wir haben keins bei uns«, sagte ich. »War diese Frau aus Köln, die erst nach drei Tagen gefunden wurde, auch beim MAD?«

»Das weiß ich nicht. Ich weiß es nur von der Susanne.«

»Eine weitere Frage: War jemand von der Bundeswehr oder irgendeiner anderen Behörde nach den Todesfällen hier bei Ihnen?«

»Ja. Der Hartkopf. Er kam am Montag, nachdem Lorenz und Susanne erschossen worden waren. Ich hatte wie wahnsinnig telefoniert, aber nur Gerüchte gehört. Dann rief mittags jemand vom Depot an. Ich kannte seine Stimme nicht. Er sagte, Lorenz sei tödlich verunglückt. Gleichzeitig riefen Bekannte an und sagten, er sei erschossen worden. Hartkopf kam dann und sagte, Lorenz sei bei einem Verkehrsunfall umgekommen. Ich sagte ihm: Das glaube ich nicht, aber er beharrte darauf. Und er sagte, ich soll schweigen, dann könne er mich da raushalten. Ich sagte, ich wollte ja gar nicht rausgehalten werden. Der wollte nur, daß ich den Mund halte, sonst nichts.«

»Wer ist Hartkopf?«

»Auch ein MAD-Mann. Er ist zuständig für viele Depots in der Eifel. Wenn ich mit dem rede, kriege ich jedesmal Gänsehaut. Ich habe jedesmal das Gefühl, der will mir nur an die Wäsche.«

»Er ist ungefähr einen Kopf kleiner als ich, schmales asketisches Gesicht, dunkelbraune Augen wie Steine. Er wirkt arrogant.«

»Genau«, sagte sie, »das ist Hartkopf.«

»Wir kennen ihn als Doktor Messner«, sagte Elsa. »Macht ja nix.«

»Es gefällt mir hier nicht«, sagte ich. »Ich kann es nicht begründen. Mir wäre es lieber, wir könnten woanders weitersprechen. Spaziergang?«

»Frische Luft wäre gut«, sagte Marita.

Wir gingen also hinaus und nahmen ihren großen Mercedes und ließen sie fahren, wohin sie wollte. »Das ist ein Weg, den wir immer gegangen sind. Da ist nie ein Mensch.«

Sie parkte den Wagen in der Mündung eines Waldweges. Wir schlenderten los, zur Rechten einen sehr alten Eichen-Buchen-Bestand, zur Linken einen Bach in einer Wiese, den man im Dickicht von wildem Rhabarber nicht sehen konnte.

»Hier muß es Grasfrösche geben.«

»Er ist ein Froschfreak«, erklärte Elsa, »überhaupt ein Tierfreak. Sollte ein Grizzly durch die Eifel ziehen, wird er ihm Asyl anbieten.«

»Lorenz mochte Tiere auch gern. Das war ganz komisch. Er konnte sehr streng und ruppig sein, und dann kam ein kleiner Hund, und seine Stimme wurde sofort weich und verständnisvoll. Ja also, ich bin 29 Jahre alt. Abitur in einem Internat in Trier ...«

»Moment, Moment«, unterbrach ich. »Bevor wir zu den großen Lebenserinnerungen kommen, hätte ich gern gewußt, wie dieser Sonntag verlaufen ist, der Tag, an dem Lorenz Monning starb.«

»Eigentlich war nichts Besonderes. Oder doch. Na ja. Er hatte am Freitag abend Schluß und meldete sich ab und kam hierher. Die meisten wußten, er war im Münsterland zu Hause, und die meisten dachten wohl auch, er führe dorthin. Aber er fuhr schon seit Monaten nicht dorthin. Er kam zu mir, hier war sein Zuhause. Freitag abend gingen wir auf ein Bier in eine Kneipe. Wir schliefen lange am Samstag und fuhren dann nach Monschau zum Kaffeetrinken. Dann gammelten wir hier. Am Sonntag dasselbe. Er war gutgelaunt, er lief nach dem Aufstehen im Handstand die Treppe runter. So was konnte er mit links ...«

»Das geht mir zu schnell«, murmelte Elsa und biß sich auf die Lippen. »Erzählte er nichts aus dem Dienst?«

»Also anfangs an diesem Sonntag nichts. Dann mittags hatte er plötzlich Hunger ... also Hunger auf mich, und wir schliefen zusammen. Ist das wichtig? Vielleicht ist das wichtig ...«

»Das ist immer wichtig«, sagte Elsa. »Wir wollen ja nicht wissen, ob Sie die Missionarsstellung geprobt haben oder das, was prüde Deutsche französisch nennen. Da Männer aber beim Bumsen oder nachher gern reden, also die Frage: Hat er was gesagt?«

»Ich möchte so formulieren können wie Sie.« Marita lächelte. »Ja, er hat was gesagt, aber ich weiß nicht, ob ich überhaupt verstanden habe, um was es ging. Also, wir ... wir aalten uns im Bett und sprachen davon, daß wir Pfingsten nach Texel wollten. Plötzlich sagte er ganz leise: Ich glaube, ich werde mißbraucht. Das sagte er zwei- oder dreimal. Er sagte es nicht wütend, er war auch nicht traurig. Das klang so, als hätte er das jetzt erst begriffen und ...«

»Sie haben doch bestimmt nachgehakt«, sagte Elsa.

»Ich habe gefragt: Was soll denn das? Und er antwortete, er würde mir das später erzählen. Es sei so neu, daß er das noch gar nicht richtig begriffen habe. Aber: Er würde mißbraucht.«

»Von wem denn?« stieß ich nach.

»Das habe ich auch gefragt. Er sagte: Wahrscheinlich von zwei Menschen. Von meiner Frau und meinem Vorgesetzten.«

»Also auch von Hartkopf, den wir als Doktor Messner kennen?«

»Richtig. Aber ich habe bis heute nicht kapiert, was er meinte. Und bis Sie kamen, habe ich das auch nicht in Verbindung, in Verbindung, in ... mit seinem Tod gebracht.«

Sie tat ein paar Schritte in altes Laub und starrte in den Wald. »Wir haben dann aufgehört, davon zu sprechen. Ich ging in die Küche und machte Kaffee. Als ich zurückkam, saß er an seinem Schreibtisch und lachte leise. Er hatte sich etwas auf ein Blatt Papier geschrieben. Das Papier knüllte er zusammen und verbrannte es in einem Aschenbecher. In diesen Dingen war er pingelig: Nie blieb etwas Schriftliches zurück. Er sagte: Das Schwein hat die Aktenlage ausgenutzt. Das sagte er zweimal. Ich war fröhlich und fragte: Was sollen alle diese dunklen Andeutungen? Und er antwortete: Es geht nur um Macht für einzelne Menschen. Was anderes haben die nie gewollt. Aber er sagte nicht, wen er meinte, wer diese Macht wollte. Es war Spätnachmittag, als die Susanne Kleiber anrief. Das weiß ich genau, weil ich am Telefon war. Sie sagte: Gib mir mal den Lorenz ...«

»Mit welcher Stimme?« fragte Elsa schnell.

»Mit normaler Stimme. Lorenz ging ran, und sie redeten kurz miteinander. Dann legte er auf und sagte: Ich muß um neun rauf ins Depot. Wir wollen uns einen LKW-Fahrer aus der DDR ansehen ...«

»Moment mal«, sagte ich. »Genau das waren seine Worte?«

»Genau das«, sagte sie. »Aber weiter nichts. Nur: Wir wollen uns einen DDR-LKW-Fahrer ansehen. Um halb neun abends ist er dann raufgefahren. Dann nichts mehr.«

»Das habe ich jetzt verstanden«, sagte ich. »Nun weiter zu Ihnen. Sie waren also bis zum Abitur in einem Internat in Trier.«

»Dann wollte ich studieren, aber daraus wurde nichts, weil mein Aussehen dazwischenkam. Ich wurde Model, ich verdiente eine Menge Geld, aber ich war nicht diszipliniert genug. Ich fraß zuviel, und wahrscheinlich habe ich auch zuviel getrunken. Mit 24 war ich unten und bekam plötzlich Angebote für Pornofilme. Das machte ich nicht. Ich wollte zwar nicht zurück zu meiner Familie, aber ich mußte, weil ich pleite war. Dann kam ein Fabrikant daher, verheiratet und mit einem Stall voll Kinder. Der Mann hatte eine grauenhafte Angst vor Impotenz, was dazu führte, daß er impotent war. Der richtete mir den Laden hier ein, und ich befreite ihn von seiner Angst, so gut es ging. Zwei Jahre ging das so. Dann begriff ich, daß ganz Blankenheim Bescheid wußte und mich insgeheim verachtete. Also zahlte ich dem Fabrikanten Pfennig für Pfennig zurück. Harte Zeiten waren das. Der Laden gehört jetzt seit drei Jahren mir. Vor zwei Jahren lernte ich Lorenz Monning kennen. Das war bei einer Fete in Bad Münstereifel, dort war er stationiert. Wir, na ja ... es war Liebe auf den ersten Blick. Er sagte mir sofort, er sei unglücklich verheiratet, zwei Kinder seien da, und er wolle sich scheiden lassen.«

Sie lächelte in der Erinnerung. »Er sagte eigentlich das, was eine Bardame jede Nacht hört. Und ich dachte: Scheiße! Wieder so ein Typ, der sich bloß an meinen Titten festhalten will! Entschuldigung, aber ich bin so wütend. Mit Lorenz war das anders. Er war in seiner Ehe wirklich unglücklich und wollte da raus. Er bereitete also alles vor und reichte dann die Scheidung ein.« Sie sah Elsa um Hilfe bittend an. »Wir Frauen haben ja oft mit Männern zu tun, die behaupten, unglücklich zu sein, und die nur bumsen wollen. Na ja, Lorenz war ehrlich. Dann ließ er sich nach Hohbach versetzen, weil das auch näher zu mir war. Aber ich war nicht der wirkliche Grund. Lorenz ließ sich hierherversetzen, weil er zusammen mit Susanne Kleiber hinter einem dicken Fisch her war. Die sind seit zwei Jahren hinter irgend etwas hergewesen. Fragen Sie mich nicht, was das war. Das weiß ich nicht.«

»Was ist in Hohbach eigentlich gelagert?«

»Kampfgas«, sagte sie. »Die Leute reden immer von Atomsprengköpfen und solchen Sachen. Aber es ist Kampfgas. Susanne Kleiber war seit Jahren mit Lorenz zusammen. Erst waren sie zusammen in der Gegend von Bitburg, dann kamen sie für kurze Zeit nach Bad Münstereifel, dann hierher. Sie hat immer in einem Hotel bedient, es war immer dasselbe Schema wie hier in Hohbach.« Sie lächelte. »Es ist möglich, daß Sie Leute treffen, die behaupten, Lorenz und Susanne hätten etwas miteinander gehabt. Die waren auch dick befreundet. Aber sie hatten nichts miteinander, absolut nichts.«

Elsa kniete sich nieder und pflückte Zittergras. »Waren Sie glücklich mit Lorenz?«

»O ja, sehr glücklich. Es war schön mit ihm. Über die meisten Dinge waren wir gleicher Ansicht, und es gab Dinge, in denen wir verschiedener Ansicht waren. Aber Krach gab es nicht. Er hat mir beigebracht, den anderen und seine Meinung zu akzeptieren. Mir ist das zum erstenmal im Leben passiert.«

»Ist es wahr«, fragte ich, »daß Lorenz in diesem Dorf im Münsterland als Verkehrsopfer beerdigt wurde?«

»Das ist wahr. Ein Chefarzt von einer der Kliniken hier hat einen ausführlichen Bericht für die Eltern gefälscht. Und ein Polizeichef hat einen ebenso ausführlichen Unfallhergang erfunden und ebenfalls den Eltern zugeleitet. Das wußte ich zunächst durch Gerüchte, inzwischen weiß ich es sicher. Die Eltern und die Frau konnten ihn ja nicht mehr sehen, er hatte ja ... er hatte kein Gesicht mehr.« Sie trödelte ein wenig aus der Reihe, wahrscheinlich sah sie gar nichts, war ganz versunken in ihrem Gram. Dann stolperte sie in altem Laub und schreckte zusammen.

»Hat Ihnen Lorenz eigentlich viel von seinem Beruf erzählt?«

»Anfangs nicht, und ich war auch nicht neugierig. Irgendwann habe ich gemerkt, daß er kein normaler Soldat ist. Erstens konnte er sich gewissermaßen selbst versetzen, wenn es ihm notwendig schien. Zweitens konnte er sehr viel zwischen den Depots pendeln, und er selbst bestimmte das. Drittens hatte er niemals Wachdienst oder Bereitschaftsdienst. So etwas fällt mit der Zeit auf. Erst habe ich mich nicht getraut zu fragen, aber dann wollte ich es wissen. Er sagte, er wäre beim MAD. Einzelheiten allerdings sagte er mir nie. Ich weiß nur, daß er bestimmte Akten oder Teilakten niemals im Depot aufbewahrte, sondern immer in der Zentrale des MAD in Köln. Wenn er sich Notizen machte, lernte er sie auswendig und verbrannte die Zettel. Er war auch häufig im Ministerium in Bonn.«

»War er denn in der letzten Zeit anders? Aufgeregt? Gespannt?«

»Ja. In den Wochen vor seinem Tod war er unheimlich nervös. Und er sagte: Wenn das klappt, werde ich befördert. Susanne wird auch befördert. Und dann können wir noch mehr Geld sparen. Und dann, sagte er, mache ich dir das Geschenk deines Lebens.«

»Wissen Sie, was das sein sollte?«

»Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht.«

»Was wäre denn das Geschenk Ihres Lebens gewesen?«

»Daß er die Bundeswehr verläßt.«

»Wieso das?«

»Ich weiß nicht, ich denke, wir brauchen Frieden und keine Soldaten.«

»Hat er denn einen Hinweis darauf geliefert, weshalb er befördert werden würde?«

»Hartkopf wird es wissen, ich weiß es nicht.«

»War Hartkopf sein Vorgesetzter?«

»Ja, leider. Das war das, was ihn am meisten störte. Hartkopf ist ein mieser Typ. Lorenz sagte, daß hundert Hartkopfs die ganze Bundeswehr versauen könnten.«

»Wieso ließ er sich nicht versetzen, wenn Hartkopf so mies war?«

Sie lachte. »Weil ich da war. Lorenz war ein Geheimniskrämer. Es kann sein, daß seine Beförderung damit zu tun hatte, daß er selbst Hartkopfs Vorgesetzter wurde. Aber gesagt hat er das nicht. Hartkopf ist ein Typ, der auf Kameradschaft macht, der aber kein Kamerad ist.«

»In Hohbach hat Hartkopf eine Frau bei sich, die er als seine Frau ausgibt«, sagte ich.

»Das kann sein«, sagte sie matt und uninteressiert. »Hartkopf ist ledig, und wenn er sagt, sie ist seine Frau, bedeutet das nur, daß sie ebenfalls beim Dienst ist und mit ihm bumst. Sonst nichts. Hat Hartkopf Sie verprügelt?«

»Ja. Und er ließ mir keine Chance.«

»Das ist Hartkopf. Deshalb ist er bei der Truppe auch so beliebt. Er gibt sich als knallharter Einzelkämpfer, macht Karate und so. Er spielt sich als Beschützer der Bundeswehr auf.«

»Was mochte Lorenz am wenigsten an Hartkopf?«

»Lorenz sagte, Hartkopf wäre ein Schauspieler, man wisse nie, woran man bei ihm ist. Warum reiten wir dauernd auf Hartkopf herum?«

»Weil Hartkopf ihn verprügelt hat«, sagte Elsa. »Und seinen Freund hat er verprügeln lassen.«

»Und Sie haben wirklich keine Ahnung, wer die zweite Frauenleiche war?« fragte ich.

»Nicht die geringste. Ich weiß nicht einmal, wie sie hieß. Lorenz hat mir auch nie etwas von einer zweiten Frau erzählt. Und er hätte es bestimmt, wenn es sie gegeben hätte.«

»Eigentlich hat er Ihnen doch ziemlich viel erzählt«, sagte ich.

»Eigentlich schon. Aber eben keine Einzelheiten. Er war verschwiegen. Ich habe anfangs gedacht, sein Job wäre gefährlich, ich hatte Angst um ihn. Aber er sagte, Gefahr wäre kaum vorhanden. Seine Pistole zum Beispiel lag immer bei mir rum. Er mochte Waffen einfach nicht.«

»Aber er hatte eine Schrotflinte«, warf ich ein.

»Ja. Aber er hat nie damit geschossen. Sein Vater wollte, daß er ein Jäger wird. Er hat sie ihm geschenkt, aber Lorenz wollte mit Jagd nichts zu tun haben.«

In der Ferne kläffte ein Hund, ein sanfter Wind fuhr durch die Baumkronen.

»Er ist mit dieser Flinte erschossen worden«, murmelte ich.

Sie stand augenblicklich vollkommen starr. »Das ist ganz unmöglich«, sagte sie dann und drehte sich schnell mit erschreckten Augen zu mir herum.

»Doch, doch«, sagte Elsa. »Wir haben sogar ein Foto von dem Ding. Es lag bei Leiche Nummer drei.«

»Moment mal«, sagte sie erregt. »Ich muß sofort umkehren, lassen Sie uns umkehren. Das will ich wissen.« Sie ging mit großen Schritten voran zurück zum Wagen. Sie fuhr sehr schnell und verkrampft und sagte kein Wort. Sie stürmte die zwei Stufen zu ihrem Laden hoch, schaute nicht rechts noch links, nahm sehr schnell die Treppe nach oben.

Elsa und ich keuchten hinterher. Sie nahm einen Stock mit einem Metallhaken und zog eine Bodenklappe herunter. Als es nicht sofort funktionierte, fluchte sie: »Das Scheißding klemmt immer!« Endlich rollte die Bodentreppe aus, und sie stieg hoch. Sie kramte irgendwo außerhalb unseres Gesichtsfeldes herum, sagte dumpf triumphierend »Ha!« und reichte dann ein sehr langes, schweres Lederfutteral herunter.

Ich zog den Reißverschluß auf und nahm die Waffe heraus. Es war eine zweiläufige Schrotflinte mit sehr schönen Metallziselierungen.

Marita kam heruntergeklettert. »Ich wußte doch, daß er das Ding nicht wollte. Er war absolut nicht daran interessiert. Er sagte immer: Stell dir vor, ich müßte damit ein Reh abknallen. Da kriege ich doch das Zittern. Das sagte er immer. Sein Vater hat ihm das Ding geschenkt, er gab es mir, und seitdem liegt es da oben rum. Ich selbst habe es auf den Dachboden gebracht.«

»Das ist ja mehr als merkwürdig«, sagte ich. »Elsa, lauf bitte runter zum Wagen, wir brauchen eine Fotografie von dem Ding.«

»Aber das Ding läuft doch nicht weg«, murrte sie.

»Ich gehe selbst«, sagte ich.

»O nein, o nein, ich kann ja gehen.«

»Ist schon o. k.«, sagte ich.

Im Laden war ein junges Pärchen, das Mädchen flüsterte hastig: »Mama wird aber fragen, woher ich das Geld habe.«

»Dann sagst du: von mir«, erklärte der junge Mann.

»Als ob das geht«, antwortete das Mädchen empört.

Die Gassen lagen jetzt unter einem schrägen Sonnenlicht, das das Fachwerk der alten Häuser sehr deutlich akzentuierte. Ich schlenderte.

Als ich zurückkehrte, machte ich einen Film Aufnahmen von Marita mit der Schrotflinte im Arm. Dann fotografierte ich die Sparbücher und den Scheidungsbrief.

»Haben Sie Fotografien von Lorenz?«

»O ja, eine Menge.« Sie kicherte albern. »Sogar unanständige auch.« Sie blickte schnell zu Elsa, und Elsa lächelte. »Wir haben uns sogar im Bett fotografiert. Nur so zum Spaß.«

»Sicher ein sehr schöner intimer Spaß«, murmelte ich, »aber eigentlich suche ich Bilder, die ich veröffentlichen kann.«

»Ja, ich weiß«, murmelte sie verlegen. »Ich suche sie, etwas Geduld.«

»Können Sie sich vorstellen, daß es von der Susanne ein Foto gibt?« fragte Elsa.

»Das kann ich. Wir haben mal in der Kneipe in Hohbach fotografiert. Nicht die Susanne, aber sie ist draufgeraten.«

»Her damit«, sagte ich. »Ist Hartkopf auch drauf?«

»Nein. Der achtet wie ein Luchs darauf, daß er nicht fotografiert wird. Aber beim MAD tut das eigentlich jeder. Brauchen Sie Aufnahmen in Uniform oder Zivil?«

»Alles«, sagte Elsa schnell.

»Sehen Sie, hier ist auch Susanne. Da, mit dem Essenstablett im Hintergrund. Und hier von der Seite. Und da ganz groß. Sie war nett, sie war eine unheimlich starke Frau.«

»Wir gehen jetzt, aber wir kommen wieder. Wir müssen weiterreden.«

»Und Sie werden nicht sofort schreiben, und ich lese es irgendwo und habe keine Ahnung?«

»Ich gebe Ihnen mein Wort«, sagte ich. »Und rufen Sie uns an. Jederzeit, wenn Ihnen danach zumute ist.«

»Ich finde Sie sehr in Ordnung«, sagte Elsa, und Marita sagte verlegen: »Sie sind so nett.« Und dann weinte sie, brachte uns aber trotzdem auf die Gasse hinaus. Sie stand in der Sonne in der Ladentür, und Elsa fragte: »Es wird gesagt, daß die dritte Tote eine Freundin der Susanne Kleiber war. Sie hieß Marianne Rebeisen und war aus Köln. Was wissen Sie von dieser Freundschaft?«

»Lorenz hat mal erwähnt, daß Susanne eine Freundin hat, die immer am Wochenende herkommt. Lorenz hat sein Privatleben streng vom Dienst getrennt. Ich weiß nicht mehr. Es war wohl die übliche Freundschaft unter Frauen.«

»Ich habe auch noch eine Frage«, murmelte ich. »Wie ist das eigentlich in der Eifel mit Spionen?«

Ein Lächeln kam sehr schnell und war wieder verschwunden. »Das ist ja das, was wir ... also ich meine ... Zivilisten überhaupt nicht verstehen. Die jagen dauernd irgendwelche Agenten und Spione. Wenn man dann so nach ein paar Wochen oder Monaten nachfragt, dann erfährt man, daß es gar keine gab. Aber, das ist ja deren Beruf, nicht wahr?«

Als wir im Wagen saßen, bemerkte Elsa nachdenklich: »Ich gebe zu, ich hätte ihr Geld geboten.«

»Aber du hast sie unglaublich gut ganz ohne eine müde Mark zum Reden gebracht.«

»Ich bin gut, Baumeister, nicht wahr? Sag, daß ich gut bin.« Sie lehnte sich gegen meine Schulter, und ich sagte: »Ich muß mir so einen Knieschützer für Fußballtorwarte kaufen. Ich mißtraue dem Knie. Das ist im Eimer.«

»Du solltest das Naumann untersuchen lassen, vielleicht muß Messner dir eine Rente zahlen. Jetzt laß uns heimfahren.«

Als wir heimkamen, verschwand sie in der Küche und schloß mich aus. »Ich mache uns ein Essen.«

Ich legte mich auf das Sofa und schaute eine Weile der Werbung im Fernsehen zu und fragte mich, für wie dämlich Werbetexter deutsche Hausfrauen halten. Dann sah ich die Bilder durch, die Marita Heims uns mitgegeben hatte.

Eine unheimlich starke Frau hatte Marita Susanne Kleiber genannt. Sie hatte ein schmales, ernstes Gesicht, sehr dunkle Augen, einen sehr sanften, breiten, stark konturierten Mund. Ein energisches Gesicht unter einer dunklen, kurzen Pagenfrisur.

Lorenz Monning war ein strohblonder Typ, einer, der aus der hohlen Hand Werbung für Ostfriesland oder Sylt hätte machen können. Er hatte ein breites, gutmütiges Gesicht, und es gab kein Foto, auf dem er nicht lachte. Aber die Augen wirkten flach, als habe er Angst, jemand könne etwas in ihm entdecken. Ein ausgesprochen gutaussehender Mann, nicht mehr, nicht weniger.

Weil ich sichergehen wollte und immer noch die Befürchtung hatte, die Bundesanwaltschaft könne das Haus durchsuchen lassen, machte ich eine Aufnahme von jedem Foto, nahm den Film heraus und steckte ihn in eine Packtasche, in die ich die anderen Filme getan hatte. Das Material konnte an den Chef in Hamburg gehen.

Dann begann ich zu diktieren, was wir bis jetzt erfahren hatten. Es war sehr viel Material, aber es sah nicht so aus, als könne man daraus eine gute Reportage machen: Uns fehlte jeder Hauch einer Erklärung für alle diese Vorfälle.

Elsa hatte den Tisch liebevoll gedeckt. Kerzen brannten. »Ich habe die Wildsau aus dem Eisschrank veredelt«, sagte sie.

»Du mußt nach Köln«, sagte ich. »Ich brauche die Fotos von Messner oder Hartkopf, oder wie er auch immer heißen mag.«

»Was willst du heute nacht damit? Du siehst ihn doch morgen früh beim Angeln.«

»Du wirst es erleben«, sagte ich. »Wann kannst du fahren?«

»Ich bin todmüde. Wäre es nicht besser, das Laborzeugs hierherzuholen?«

»Das ist eine gute Idee«, sagte ich. »Wann fährst du?«

»Du bist ein Irrer. Schon gut, ich fahre gleich. Und was machst du?«

»Ich werde zu Alfred spazieren. Er wollte aufschreiben, was ihm widerfahren ist. Dann diktiere ich das Material zu Ende, mache die Sendung fertig und bringe sie zur Post.« So geschah es. Gegen elf Uhr fuhr ich durch die Nacht nach Adenau und warf die Umschläge mit den Filmen, den Tonbändern und Alfreds Bericht in den Briefkasten. Als ich zurückkehrte, war Elsa gerade dabei und schleppte keuchend den Vergrößerungsapparat ins Haus.

»Und wo können wir entwickeln?«

»Im Badezimmer. Das ist leicht zu verdunkeln. Bist du müde?«

»Todmüde«, sagte sie. »Ich habe deine Post mitgebracht. Glaubst du, daß wir irgendwann herausfinden, wer sie getötet hat?«

»Ich weiß nicht, ich hoffe es. Gib mir den Film mit den Aufnahmen von Messner. Ich will ihn noch entwickeln.«

»Du bist wahnsinnig. Du arbeitest nicht, du baggerst.«

»Laß mich, ich kann nicht anders.«

Sie legte mir die Arme um den Hals. »Gib einmal nach, mach einmal Pause. Nur für heute. Du mußt um fünf raus, um sechs triffst du Messner in Hohbach.«

»Gut«, sagte ich, aber ich fand es nicht gut.

Ich zog um auf meine geliebte Matratze im Obergeschoß und war schon eingeschlafen, als Elsa frisch gebadet und wohlriechend aus dem Bad kam.

Als das Telefon schrillte, war sie schneller hoch als ich und lief nackt auf bloßen Füßen hinunter in das Wohnzimmer. Ich hörte, wie sie laut »Nein!« sagte, dann verstand ich nichts mehr und döste schon wieder ein. Plötzlich war Licht, und Elsa stand vor dem Bett und sagte atemlos: »Aufstehen, Mensch, aufstehen. Marita ist verunglückt.«

»Wie bitte?«

»Erinnerst du dich an das Mädchen, das Marita im Laden vertreten hat, als wir mit ihr sprachen? Die war am Telefon. Marita ist spätabends irgendwohin gefahren. Sie ist auf einer schmalen Straße irgendwie abgekommen und wurde dann gefunden. Das Mädchen sagt, es wäre vor einer Stunde passiert. Wir müssen das sehen, wir müssen das angucken.«

»Zieh dich an und mach die Kameras klar«, sagte ich. Dann drehte ich mich auf den Bauch und schlug auf die Matratze ein. »Ich Arschloch hätte daran denken sollen. Ich Trottel! Und ich habe daran gedacht. Und ich habe die Schnauze gehalten, weil ich dachte, ich mache mich lächerlich.«

»Komm jetzt. Sei nicht traurig. Laß uns fahren«, sagte sie. »Vielleicht war es ja wirklich ein Unfall.«

»Wie heißt das Mädchen?«

»Ingrid«, sagte sie. »Ich habe ihr gesagt, sie soll mit niemandem sprechen, bis wir da sind.«

Draußen dämmerte schon die Ahnung eines neuen Tages und auf den Hügeln waren die ersten Lerchen schon in die Luft gestiegen.