8
Die Luft schimmerte und verdichtete sich zu einem riesigen nackten Mann mit langem schwarzen Haar. Seine Gesichtszüge waren indianisch, obwohl ich nicht hätte sagen können, zu welchem Stamm er gehörte. Ich konnte Hopi, Havasupai und Apache auseinanderhalten und wusste, welche Stämme nicht aus dem Südwesten waren, aber ihn konnte ich nicht zuordnen.
»Fragen, Fragen, immer diese Fragen.« Seine Stimme war rau und heiser, ähnlich wie Micks, doch sein Körper war ungeschlachter, roher, irgendwie tierähnlicher.
»Ein Kojote verwandelt sich in einen Mann und beobachtet mich durch mein Fenster«, sagte ich. »Da werde ich schon neugierig.«
»Einen süßen Arsch hast du.«
»Danke«, erwiderte ich trocken. »Warum das Interesse?«
»Da fragst du noch?« Sein Grinsen war fast bösartig.
»Wer bist du?«
Er lächelte immer noch, aber er beobachtete mich mit Augen so dunkel wie Rauch. »Du kennst die Antwort.«
Einen »Herumtreiber« hatte Nash ihn genannt, einen, der in der Crossroads Bar mit den Motorradgangs abhing. »Du bist Coyote, der Gott?«
»So nennt man mich.«
»Meine Großmutter nennt dich eine ›Nervensäge‹ und gibt dir die Schuld an allem, was schiefläuft.«
»Deine Großmutter ist schon ein ganz besonderes Kaliber.«
Irgendwie fiel es mir nicht schwer zu glauben, dass Coyote meine Großmutter kannte oder zumindest von ihr wusste. Ich stellte sie mir vor, eine kleine Diné-Frau, die sich weigerte, etwas anderes zu tragen als ihre langen Röcke, wie sie einem jaulenden Kojoten mit dem Besen nachsetzte.
»Was willst du also?«, fragte ich. »Außer meinen Arsch begaffen?«
»Ach, das. Ich bin hier, um dich aufzuhalten.«
»Wobei? Amy McGuire zu finden?«
Coyote sah in die Wüste hinaus zu einem hellen Stern am Horizont. »Du weißt es doch besser. Du bist ein böses Omen, Janet Begay. Ein süßes zwar, aber trotzdem ein Omen.« Seine Stimme verlor jeden Humor. »Das ist eine gute Welt hier. Ich mag sie. Ich werde nicht zulassen, dass du sie zerstörst.«
Ich sah ihn verblüfft an. »Denkst du, das würde ich? Meinst du, ich bin zu so etwas überhaupt fähig?«
»Ich glaube nicht, dass es deine Absicht ist.« Coyotes Stimme klang grimmig.
Ich fuhr mir mit der Hand durchs Haar. »Ich habe überhaupt keine Absichten.«
»Ich weiß. Das ist auch der Grund, warum ich dir nicht sofort das Genick gebrochen und deine Knochen den Geiern vorgeworfen habe. Aber Menschen werden leiden. Das haben sie schon. Wenn du dem nachgibst, was in dir ist, wenn du sie gewinnen lässt, werde ich dich vernichten. Und auch dein großer böser Freund wird mich nicht davon abhalten können.«
»Ich würde nie jemandem wehtun«, wiederholte ich störrisch. »Ich mache mir größere Sorgen darüber, was du mir oder Mick antust.«
Coyote grinste. »Mick und ich sind früher schon mal aneinandergeraten.«
Diese interessante Tatsache hatte Mick nie erwähnt. »Warum habe ich bloß den Eindruck, dass ich die Einzige bin, der niemand was erzählt? Wer ist Mick? Und warum seid ihr aneinandergeraten?«
»Das wird er dir selbst sagen müssen. Er wird versuchen, dich aufzuhalten, genauso wie ich, doch vielleicht ohne dir zu schaden. Ich dagegen werde wohl nicht so zimperlich sein.«
»Mich wovon abhalten?
»Zu sein, wer du bist.«
Ich stieß einen entnervten Seufzer aus. »Dein kryptisches Göttergequatsche kannst du dir sparen. Denkst du, ich habe mir ausgesucht, wer ich bin? Unehelich geboren, ausgelacht und praktisch ausgestoßen von meinen eigenen Leuten?«
Coyote schüttelte den Kopf, sein hartes Gesicht wirkte in diesem Moment fast mitfühlend. »Leute wie wir suchen sich ihr Schicksal nicht aus. Diese Entscheidungen werden für uns getroffen, lange bevor wir existieren. Denkst du vielleicht, ich will ein allmächtiger Gott mit Knackarsch sein, den die Damenwelt liebt? Ist verdammt viel Arbeit.«
»Jetzt mal im Ernst. Ich habe versucht, von hier wegzulaufen, doch ich wusste immer, dass ich zurückkommen würde. Ich muss. Ich muss mich ihr stellen und sie aufhalten.«
»Wird auch allmählich Zeit. Ich hocke seit Jahren in diesem Nest herum und warte auf dich.«
Ich blinzelte. »Du hast gewusst, dass ich nach Magellan kommen würde?«
»Ich wusste, dass du irgendwann nicht mehr würdest wegbleiben können. Ich bin froh, dass es endlich so weit ist. Hast du eine Ahnung, wie langweilig es hier ist? Konntest du dir nicht einen Wirbel bei Las Vegas aussuchen?«
»Das sind nicht die gleichen.« Ich wusste nicht, in welches Reich die Wirbel am Fuß der Sierra Nevada führten, und wollte es auch gar nicht wissen. Die hier in der Gegend jagten mir schon genug Angst ein.
»Nein, aber ich mag Las Vegas«, sagte Coyote. »Da ist was los.«
Ich starrte ihn an, ein schrecklicher Verdacht war mir gekommen. »Du hast doch Amy nicht verschwinden lassen, bloß um mich hierher zu locken?«
»Damit hatte ich nichts zu tun. Und, nein, ich weiß nicht, was mit Amy passiert ist. Ich war zu der Zeit nicht da.«
»Danke. Du bist mir echt eine große Hilfe.«
»Ich bin nicht hier, um zu helfen. Oder jedenfalls dir nicht.«
Ich ballte die Hände zu Fäusten. »Ich bin nicht dein Feind.«
»Doch, bist du, kleines Mädchen. Übrigens, du hast dich noch nicht für neulich Nacht bedankt.«
»Neulich Nacht?«
»Der Skinwalker. Du hattest nicht genug Sturmmagie, um es mit ihm aufzunehmen. Aber es hat Spaß gemacht, dir zuzuschauen, wie du es versucht hast.«
Ich erinnerte mich an den blauen Strahlenkranz um den Skinwalker und daran, wie die Kreatur schreiend das Weite gesucht hatte. »Das warst du?«
»Der einzig Wahre.«
»Hättest du ihn nicht für mich töten können? Er kam später zurück, als ich allein in einer Gefängniszelle saß.«
»Ich war zu weit entfernt.« Coyote wirkte bekümmert. »Ich tat, was ich konnte. Und außerdem hast du ihn schließlich doch gekriegt. Deine Technik ist echt beeindruckend.«
»Das fand Mick auch. Ich wünschte, nächstes Mal hilft mir einer von euch, statt nur untätig zuzuschauen und beeindruckt zu sein.«
»Du hast das sehr gut allein geschafft.« Er klang wie ein Lehrer, der einen Schüler lobt. »Du solltest zu deinem Feuermann zurück, bevor er aufwacht. Ich muss schon sagen, ihr beiden habt eine Menge Ausdauer. Ich dachte schon, ihr hört nie auf.«
Ich sprang auf. »Das reicht. Morgen besorge ich mir Verdunklungsvorhänge.«
»Hey, lass mir doch meinen Spaß! Vor unserem großen Showdown könnten wir zwei uns noch eine ganze Weile amüsieren.«
Ich ignorierte ihn. Als Teenager hatte ich jede Menge Geschichten gehört über Coyotes sexuellen Gelüste, die ihn oft in Schwierigkeiten brachten. Damals hatte ich darüber gelacht, doch jetzt, da ich selbst Gegenstand einer dieser Geschichten sein konnte, fand ich es viel weniger lustig.
Als ich zum Hotel zurückging, drang Coyotes Stimme mir nach. »Wenn ihr zwei Bock auf einen flotten Dreier habt, ich bin dabei!«
Ich zeigte ihm den Stinkefinger und hörte sein Gelächter, laut und klar. Dann wurde es zum Jaulen eines Kojoten, und ich schlüpfte wieder ins Haus.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, stand die Sonne schon hoch am Himmel, und in meinem Bett war eine Mulde, wo Mick gelegen hatte. Ich brauchte nicht erst draußen nachzusehen, um zu wissen, dass sein Motorrad nicht mehr hinter dem Haus stand. Mick war fort. Das Gebäude schrie nach seiner Abwesenheit, als wäre seine Aura Teil der Wände geworden, und jetzt vermissten sie ihn.
Ich wurde wütend – auf Mick und mich selbst. Er hatte wieder angefangen, in meinem Leben ein und aus zu gehen, wie es ihm passte, und ich erlaubte es ihm. Noch schlimmer, ich hatte Sex mit ihm gehabt. Es war toller Sex gewesen, wahnsinniger Sex. Dabei hatte ich doch schon gedacht, ich hätte das Thema für immer abgehakt. Ich hatte nie mit normalsterblichen Männern geschlafen, weil ich Angst davor hatte, sie mit meiner Sturmmagie zu verletzen, selbst jetzt, da ich sie besser im Griff hatte. Mick war der Einzige, bei dem ich mich jemals völlig fallen lassen konnte, und das wusste er auch, der verdammte Scheißkerl.
Ich hatte mit ihm über meine Begegnung mit Coyote reden und ihn fragen wollen, was Coyote damit gemeint hatte, dass er und Mick aneinandergeraten waren.
Mick war stark, aber Coyote war ein Gott. Andererseits war Mick immer noch am Leben, sodass ich mich fragen musste, wer von ihnen beiden diesen obskuren Zweikampf eigentlich gewonnen hatte.
Ich ging ins Badezimmer und drehte versuchsweise den Wasserhahn auf, und in der Tat schoss heißes Wasser aus den Rohren. Wegen der Polizei hatte Fremont gestern keine Zeit gehabt, mit seiner Arbeit fertig zu werden, also musste Mick das wieder für mich gezaubert haben. Er konnte allmählich eine Karriere als Klempner erwägen.
Nachdem ich geduscht und zum Frühstück ein paar trockene Kekse gegessen hatte, tauchte Nash Jones auf. So viel zum Thema »guter Start in den Tag«.
Als ich die Eingangstür für ihn aufgeschlossen hatte, ging Nash sofort in den Keller, um zu kontrollieren, ob ich das Absperrband manipuliert hatte.
»Enttäuscht?«, fragte ich ihn, als er es unberührt vorgefunden hatte.
»Sie haben ein Problem mit Respekt, Begay.«
»Sie packen mich bloß falsch an, Sheriff.«
»Ihr Freund kam heute Morgen zu mir«, sagte er. Als wir gestern Abend in Winslow beim Essen waren, hatte ich Mick erzählt, dass Sheriff Jones ihn sehen wollte. Mick hatte die Schultern gezuckt, als wäre es ihm egal.
Ich hätte nur zu gern gewusst, worüber sie geredet hatten, aber Nash klärte mich nicht auf. »Die Frau in Ihrem Keller hieß Sherry Beaumont.«
Ich sah ihn überrascht an. »Sie wissen ihren Namen schon? Das ging ja schnell.«
»Sie wurde vor etwa einem Jahr als vermisst gemeldet. Der Gerichtsmediziner hat heute Morgen die zahnärztlichen Unterlagen per Mail bekommen und bestätigt. Sagt Ihnen der Name was?«
»Nein. Sollte er?«
»Sie war eine Touristin aus Ventura. Der Mann, dem die Crossroads Bar gehört – Barry –, der ist doch aus Los Angeles, oder?«
Ich dachte an Barry, den schlaksigen Barmann, mit dem ich mich bei meiner Ankunft in Magellan der guten Nachbarschaft wegen angefreundet hatte. Er hatte mich in dem winzigen Bad hinter der Bar duschen lassen, weil ich kein Wasser hatte – das war noch gewesen, bevor Mick mir mit magischem Wasser ausgeholfen hatte. Barry redete nicht viel, und ich war nicht neugierig.
»Los Angeles ist riesig«, sagte ich. »Und Kalifornien auch.«
»Sie war verheiratet, lebte aber getrennt. Ihr Mann sagte, sie ist hier herausgekommen, um die Wirbel zu sehen.«
Die Wirbel. Mir gefror das Blut in den Adern. »Wie ist sie gestorben?«
»An ihrem Körper gibt es keine Anzeichen von Gewalteinwirkung, auch keine Kampfspuren. Sie hatte keine sichtbaren Verletzungen. Sie könnte an einem Hitzschlag oder an schwerer Austrocknung gestorben sein. Kommt vor bei Touristen.«
Das stimmte. Die Leute, die aus einem freundlicheren Klima hier herauskamen, wussten nicht, dass die Wüste potenziell tödlich sein konnte. Einer von Jamison Kees Brüdern leitete Wandertouren durch den Canyon de Chelly, ein spektakulärer Ort, aber tödlich, wenn man unvorsichtig war und sich nicht auskannte. Er hatte mir Geschichten von verirrten Wanderern erzählt, die in Spalten gefallen und nie gefunden worden waren, von Leuten, die bei über siebenunddreißig Grad allein und ohne Wasser loszogen. »Diese Gegend mag wunderschön sein«, sagte er immer. »Aber sie bringt einen auch im Handumdrehen um.«
»Der Gerichtsmediziner denkt, dass Sherry Beaumont von der Hitze oder einem Sonnenstich ohnmächtig wurde und gestorben ist«, sagte Nash.
»Und wie ist sie dann in meinen Keller gekommen?«
Nash warf mir einen schrägen Blick zu. »Gute Frage. Die einzigen Fingerabdrücke auf der Wandverkleidung waren die von Maya.«
»Sie hat die Leiche gefunden, als sie da unten gearbeitet hat«, bemerkte ich.
»Sherry Beaumont war außerdem schwanger.«
Ich riss die Augen auf. »Wirklich?« Das machte es noch trauriger.
»Ihr Mann sagt, das Kind sei nicht von ihm.«
»Na, das ist nun wirklich was, was Sie mir nicht anhängen können, Sheriff.«
»Aber Sie haben einen interessanten Freund, der aus dem Nichts aufgetaucht ist, und behaupten, nichts über seine Vergangenheit zu wissen.«
Verdammt. Ich wollte zu Micks Verteidigung eilen, hatte jedoch wirklich keine Ahnung, was er die letzten fünf Jahre getrieben hatte.
»Ich habe ein paar Nachforschungen angestellt«, sagte Nash. »Ein Mick Burns, auf den seine Beschreibung passt, ist nirgends registriert. Ich meine: nirgends. Er hat keine Kreditkarten, Bankkonten, keinen Immobilienbesitz, gar nichts. Heute Morgen habe ich mich fünfundvierzig Minuten lang mit ihm unterhalten und rein gar nichts von ihm erfahren.«
Ich hätte fast laut herausgelacht. »Ich habe sechs Monate mit ihm zusammengelebt und auch nicht mehr herausgefunden. Dachten Sie wirklich, Sie kriegen ihn in fünfundvierzig Minuten weichgekocht?«
»Normalerweise reden die Leute mit mir.«
»Jede Wette tun sie das.« Ich hatte die Geschichte gehört, wie Nash nach seiner Rückkehr aus dem Irak, damals noch als Deputy, eigenhändig fünf Mitglieder einer Großstadt-Gang eingebuchtet hatte, die eine Weile in Magellan hatten untertauchen wollen. Laut Fremont hatten die abgebrühten Jugendlichen sich am Schluss aus Angst vor ihm in die Hosen gemacht und nicht schnell genug von ihm wegkommen können. Aber sie waren eben nicht Mick. Ich hatte immer gestaunt, wie sanft Mick mit mir umgehen konnte, obwohl er sonst so hart und kompromisslos wirkte.
Ich wünschte mir, Nash würde aufhören, mich so anzusehen. Er brachte mich dazu, mich alle möglichen verrückten Sachen zu fragen, wie zum Beispiel, warum Mick ausgerechnet am Tag vor dem Leichenfund in meinem Keller zu mir zurückgekommen war. Und wenn er mir gegenüber so fürsorglich war, warum hatte er dann zugelassen, dass der Skinwalker mich fast getötet hatte?
»Ich glaube nicht, dass Mick das war«, sagte ich.
»Vielleicht nicht. Aber ich will mehr über ihn wissen.«
Ich hätte fast gesagt: Da geht’s mir wie Ihnen. »Können meine Leute hier weitermachen?«, fragte ich. »Ich kann es mir nicht leisten, das Hotel aufzugeben.«
Nash schaute sich zu den halb verputzten Wänden um, zwischen Lobby und Saloon sah man nur nackte Pfosten, und nickte mir zögernd zu. »Die Kriminaltechniker sagen, sie sind im Rest des Hotels fertig. Aber Sie bleiben aus dem Keller raus.«
»Wo mein Boiler ist«, brummte ich. »Na, schönen Dank auch.«
Fremont kam angefahren und beendete damit unser Gespräch. Zumindest er ging also davon aus, dass die Arbeit weitergehen würde.
Heute wirkte Fremont weniger lebhaft, und sein Gesicht war fahl, als wäre er über Nacht zehn Jahre gealtert.
»Sind Sie in Ordnung?«, fragte ich ihn.
Er nickte mir mit dem Ausdruck eines Mannes zu, der entschlossen ist, sich ganz in seiner Arbeit zu vergraben. »Danke, alles okay. Ich bin gestern nicht mehr dazu gekommen, Ihr Badezimmer anzuschließen. Ich will das fertig machen.«
»Sheriff Jones lässt uns nicht in den Keller.«
Fremont warf Nash einen finsteren Blick zu. »Ich muss da nicht runter.«
Ich hatte Fremont noch nie so unglücklich gesehen und spürte plötzlich nagende Schuldgefühle. Schließlich hatte der Skinwalker mich kriegen wollen; Charlie war einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. »Fremont, ich habe beschlossen, Ihnen einen neuen Laster zu kaufen. Sie müssen nicht auf die Versicherung warten, ich besorge Ihnen einfach einen. Wollen Sie sich heute einen aussuchen gehen?«
»Der verdammte Laster ist meine kleinste Sorge«, knurrte Fremont. »Es war nicht Ihre Schuld, Janet. Das war ein Skinwalker, sagt Coyote.«
Nashs Stimme wurde hart. »Coyote ist ein Spinner, der aufpassen sollte, was er so daherquatscht.«
»Skinwalker gibt es wirklich«, erklärte Fremont. »Janet weiß das. Alle hier in der Gegend wissen das. Ich will diesen Mistkerl kriegen.«
»Lassen Sie das bloß bleiben!« Ich stellte mir Fremont vor, wie er nachts, mit einer Taschenlampe und einer Rohrzange bewaffnet, durch die Wüste stapfte. Er mochte vielleicht ein paar magische Kräfte haben, aber nicht annähernd genug, um es mit einem so tödlichen Monster aufzunehmen. »Der Skinwalker, der Charlie umgebracht hat, ist sowieso tot.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Blitzschlag. Er hat das Gefängnis angegriffen, als ich drin war. Der Blitz hat ihn verbrannt.«
Fremont warf mir einen skeptischen Blick zu. »Woher wissen Sie, dass es derselbe war?«
»Ich weiß es eben.«
»Ihr schon wieder.« Während wir redeten, war Maya in ihrem weißen Overall hereingekommen. Sie stellte ihren Werkzeugkasten ab und zog sich die Mütze über ihr dunkles Haar, die braunen Augen voller Verachtung. Mir fiel auf, dass sie Nash nicht ansah. »Skinwalker, so ein Quatsch! Sie lügt dich an, Fremont. Sie hat deinen Laster gerammt und umgeworfen.«
»Halt die Klappe, Maya!«, blaffte Fremont. »Rede nicht über Skinwalker, als gäbe es keine! Sie können dich hören, und dann kommen sie und holen dich.«
Maya schüttelte angewidert den Kopf. »Dios mío, hol mich aus diesem Scheißnest raus!«
»Meinetwegen kannst du hingehen, wo der Pfeffer wächst«, sagte Fremont.
»Maya.« Nashs Stimme war scharf und überlaut. Dem Blick nach, den Maya ihm zuwarf, hatte sie ein noch größeres Problem mit Autoritätspersonen als ich. »Ich will mit dir reden.«
Mit einem Ruck hob Maya den Werkzeugkasten hoch. »Ich habe zu tun. Heute wird die Küchenausstattung geliefert.«
Jones’ Augen blitzten vor Zorn, als Maya in die Küche hinüberstapfte. Er wollte ihr nicht nachlaufen, das sah ich ihm an, doch dass sie ihn so stehen ließ, konnte er ihr auch nicht durchgehen lassen. Mit gerecktem Kinn ging er ihr nach in die Küche, Wut in jeder Faser seines Körpers.
Weitere Männer kamen zur Arbeit, und die Routine begann. Mein Hotel füllte sich mit den tröstlichen Baustellengeräuschen. Die Handwerker unterhielten sich miteinander, spekulierten über Sherry Beaumont und ihren Tod, aber meistens arbeiteten sie einfach nur. Nash musste mit Mayas Befragung fertig geworden sein, weil ich ihn an den Fenstern der Lobby vorbeigehen und kurz darauf in seinem Geländewagen davonfahren sah.
Nashs Fragen über Mick nervten mich. Ich wusste, dass Mick kein Mensch war, doch es gab jede Menge nicht menschlicher Kreaturen, die diese Welt inkognito bevölkerten. Mein Freund Jamison war ein Gestaltwandler, der sich in einen Berglöwen verwandeln konnte, aber das wusste niemand außer mir, seiner Familie, seiner Frau Naomi und seiner kleinen Stieftochter Julie. Hexen und Magier gibt es wirklich – vielleicht nicht die Busladungen von New-Age-Anhängern, die nach Magellan kommen, aber echte Wiccas, die der Religion der Erdgöttin folgen und größere magische Kräfte besitzen, als man ihnen im Allgemeinen zutraut. Nightwalker, Blutsauger, die die Fiktion »Vampire« nennt, existieren ebenfalls. Sie sind von Menschen nicht zu unterscheiden, doch zum Glück sind sie selten. Dann gibt es Götter wie Coyote, die jede Form annehmen können, die sie wollen.
Ich hielt Mick nicht für einen Gott, er war kein Wicca-Hexer, und da er tagsüber unterwegs war und keine Blutgelüste hatte, schied auch ein Nightwalker aus. Micks Aura ähnelte der eines Gestaltwandlers, aber wenn er einer wäre, müsste ich ihn inzwischen schon in seiner Tierform gesehen haben.
Ja, seine Drachen-Tattoos schienen sich manchmal zu bewegen und mich zu beobachten, doch Drachen existierten nur in der Legende. Die Tattoos standen wohl symbolisch für die Feuerströme, die aus Micks Händen kamen, oder konnten auch bedeuten, dass er einem Gott huldigte, der mit dem Drachensymbol dargestellt wurde. Nicht, dass ich Mick je bei irgendwelchen kultischen Handlungen beobachtet hätte.
Am meisten irritierte mich, dass er es mir nicht einfach erzählte. Wenn er nichts zu verbergen hatte, was war dann sein Problem?
Das Einzige, was ich wusste, war, dass Mick, dessen Nachname nicht Burns lautete, sehr gefährlich war, gefährlicher als die meisten anderen Wesen da draußen. Das hatte ich von der Nacht an gewusst, als ich ihn kennengelernt hatte.