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Der Deputy sprang hastig aus dem Weg, als Mick mit mir aus dem Raum lief. Wie ein Mehlsack hing ich über seiner Schulter. Ich hob den Kopf, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie Nash zielte und die Waffe dann mit wutverzerrtem Gesicht wieder sinken ließ. Er konnte nicht ausschließen, mich zu treffen, und ich hatte allmählich den Eindruck, dass Nash einer war, der sich immer und überall streng an die Vorschriften hielt. Er würde nie zulassen, dass ein Gefangener in seiner Obhut verletzt wurde.
So kopfüber über Micks Schulter zu baumeln und gegen seine Hüfte zu schlagen, tat meinem angeschlagenen Magen alles andere als gut. Ich presste mir die Hand auf den Mund und versuchte, nicht zu speien.
Auf dem Parkplatz stellte Mick mich vorsichtig auf die Füße und nahm mein Gesicht in die Hände. Er grinste mich triumphierend an, als wollte er mir sagen, dass es für ihn nichts im Leben gab, mit dem er nicht klarkam, egal, wie gefährlich es war. Die Welt mochte voller harter Typen sein, die es auf ihn abgesehen hatten, aber gegen ihn hatten sie keine Chance.
»Schaffst du es noch ein Stück, Süße?«
Wenn ich irgendjemand anders vor mir gehabt hatte, hätte ich ihn angeschrien, sofort ins nächste Krankenhaus zu fahren, und wegen seiner Schussverletzung Todesängste ausgestanden. Aber ich hatte Mick unter dem tödlichen magischen Angriff eines Zauberers lachen sehen und miterlebt, wie er mit beiden Händen Flammen gepackt und verschluckt hatte. Ein banales Stück Blei in der Schulter war eine Kleinigkeit für ihn.
»Bist du okay?«, fragte er mich wieder.
Ich nickte. Mein Magen war immer noch in Aufruhr, aber jetzt, da er bei mir war, wollte ich mich besser fühlen. »Was zum Teufel machst du hier?«, erwiderte ich zwischen flachen Atemzügen.
»Ich hab’s dir doch gesagt, Janet. Wenn du mich brauchst, musst du mich nur rufen. Jederzeit.«
»Ich hab dich nicht gerufen.«
»Bist du sicher?« Er streichelte meine Wange mit den Fingerrücken. »Wir müssen los. Kannst du fahren?«
Hatte ich eine Wahl? Entweder ließ ich mich von Mick von hier wegbringen oder ich kehrte in meine gemütliche Zelle zurück, in der Nash Jones mich mietfrei wohnen ließ. Wieder nickte ich, und Mick half mir auf den Sozius seiner Maschine, einer riesigen Harley für einen Riesenkerl. Er ließ sie an, und das Dröhnen des Motors brachte meinen schmerzenden Schädel fast zum Platzen.
Fragen und Gefühle wirbelten mir durch den Kopf, aber jetzt konnte ich nur meine Arme um Micks Hüften legen und mich festhalten, als er die Maschine auf die Straße fuhr. Ich sah mich um. Nash und seine Deputies beobachteten uns vom Parkplatz aus, Letztere mit offenem Mund, Nash rot vor Wut. Wir brausten davon, und ich konnte mir nicht verkneifen, ihnen zum Abschied zuzuwinken.
Als wir endlich auf den verlassenen Parkplatz zwischen meinem Hotel und der Crossroads Bar einbogen, fiel ich fast vom Motorrad. Die Sonne stand schon recht hoch am Himmel, der späte Maimorgen war heiß. Alles war still, kein Mensch zu sehen. Ich fragte mich kurz, ob meine Handwerker wegen des Unfalls daheimgeblieben waren. Dann fiel mir wieder ein, dass Sonntag war. Auch wenn ich nicht im Gefängnis gesessen hätte, wäre heute niemand zur Arbeit gekommen.
War mir ganz recht. All die Fragen und der feindselige Blick meiner Latina-Elektrikerin, die mich aus irgendeinem Grund nicht leiden konnte, wären mir nun zu viel gewesen. Und vor allem wollte ich Fremont jetzt nicht gegenübertreten. Bevor ich mit ihm redete, musste ich erst meine Gedanken sortieren und mir außerdem überlegen, wie ich mich Mick gegenüber verhalten wollte.
Er trug mich hinein und legte mich auf mein Bett. Mick hatte sich nicht verändert, seit ich ihn vor über fünf Jahren das letzte Mal gesehen hatte. Soll heißen, er hatte sich überhaupt nicht verändert. Er trug andere Klamotten, aber das war auch schon alles. Sein Gesicht war immer noch so hart wie Granit, sein schwarzes Haar widerspenstig, seine Augen genauso wahnsinnig blau, wie ich sie in Erinnerung hatte. Sie konnten ganz schwarz werden, wenn er wütend oder kampfbereit war, und ich hatte Mick noch nie einen Kampf verlieren sehen. Was genau er war, hatte ich nie herausgefunden – er besaß starke magische Kräfte und war definitiv kein Normalsterblicher –, doch mehr wusste ich nicht über ihn. Er konnte zaubern und Feuer aus seinen Händen schießen lassen, aber soweit mir bekannt war, war er kein richtiger Magier. Mick war auch kein Gestaltwandler oder Nightwalker, und ich war mir ziemlich sicher, dass er kein Dämon war.
Er zog mir mit einer Hand die Stiefel von den Füßen, den anderen Arm drückte er an seine Brust. Blut drang aus seinem T-Shirt und verschmierte seinen Hals.
»Du bist verletzt«, stellte ich fest.
Ich zitterte so heftig, dass ich kaum reden konnte. Was sagt man zu einem Ex, den man fünf Jahre nicht gesehen hat? Was hast du seither so gemacht? Was hast du wieder in meinem Leben zu suchen? Warum bist du ausgerechnet jetzt gekommen?
»Du bist auch ziemlich angeschlagen.«
Mein abgeschnittenes Top entblößte meinen Bauch, und Mick legte seine riesige Hand darauf. Sie war warm, und ich wollte mich ihr entgegenwölben.
»Du hast eine Menge Energie von diesem Sturm eingesaugt«, sagte er. »Ich habe es aus Meilen Entfernung gespürt. Noch nie habe ich dich so viel Energie benutzen sehen.«
Er ließ seine Handfläche wandern, und die Überreste der Sturmmagie in meinem Körper flossen auf seine Hand zu. Funken knisterten über seine Fingerspitzen und wärmten mich von innen.
»Ich habe eine Menge gelernt, seit ich dich zuletzt gesehen habe. Warum bist du hier?«
Mick beugte sich zu mir. Seine wahnsinnig blauen Augen verdunkelten sich und wurden schwarz, die Iris wuchs, bis sie das Weiße ganz ausfüllte. »Ich bin gekommen, um mein Mädel zu retten.«
Er beugte sich noch näher, bis er mich fast mit der Nase berührte. Das hatte er immer gemacht, wie ein Tier, das seine Partnerin am Geruch identifiziert. Mick war der taktilste Mann, den ich je getroffen hatte; er hatte jeden Zentimeter von mir berühren, riechen und schmecken wollen. Ich war dazu erzogen worden, den persönlichen Raum von anderen zu respektieren, und zuerst war er mir damit auf die Nerven gegangen. Aber sobald ich mich daran gewöhnt hatte, hatte es mir gefallen, und ich hatte entschieden, dass Mick in meinen persönlichen Raum eindringen konnte, wann immer er wollte. Sonst niemand, nur Mick.
Es gefiel mir auch jetzt. Obwohl unsere Trennung explosiv gewesen war, wollte ich ihn küssen, umarmen und zu mir hinunterziehen. Ich wollte seinen Körper an meinem spüren und herausfinden, ob er Sex immer noch wild und abgefahren mochte, mit vereinbarten Signalwörtern als Notbremse.
»Ich lass dich nicht allein, Janet«, sagte er leise. »Dieses Mal nicht.«
Ein scharlachroter Blutstropfen fiel auf meine Wange. Ich richtete mich ein wenig auf und schob Mick weg. »Du kannst mir nicht helfen, wenn du blutest wie verrückt.«
Mick setzte sich aufs Bett und zog sein T-Shirt aus. Seine ganze rechte Seite war voller Blut, geronnene Klümpchen bedeckten das Drachen-Tattoo. Obwohl er seinen rechten Arm sehr vorsichtig bewegte, schien er keine Schmerzen zu haben. Er nahm meine Hand in seine und hob meine Finger an seine Lippen. »Hilfst du mir heilen?«
Ich wollte. Meine Gedanken schossen zu den Nächten zurück, in denen wir nach einem Kampf untergetaucht waren und uns einander mit Magie gewaschen und geheilt hatten. Die berauschenden Zauber hatten zu Küssen geführt, dann zu streichelnden Händen, die erregten, und schließlich zu Sex. Die meisten Aktivitäten mit Mick hatten zu Sex geführt.
Die Kugel war tief in Micks Schulter eingedrungen, zu hoch, um die Lunge zu treffen, aber sie hatte ein zerfetztes, blutiges Loch hinterlassen. Jeder andere hätte Höllenqualen gelitten, aber Mick tat die Verletzung ab wie einen Mückenstich. Er küsste meine Finger, stand vom Bett auf und ging auf mein Badezimmer zu.
»Ich hab noch kein Wasser«, rief ich ihm nach. Deshalb war ich in Flagstaff gewesen: Ich hatte Klempnerbedarf bestellt.
Meine Worte wurden von einem Zischen aus den Rohren unterbrochen. Luft explodierte durch die Wasserhähne, und dann hörte ich es plätschern. Überrascht setzte ich mich auf. War Fremont etwa fertig geworden, nachdem ich gegangen war?
»Es ist sauber«, verkündete Mick. Wieder vernahm ich Geplätscher, und dann kam er mit einer Handvoll nasser Handtücher zurück. Er setzte sich auf das Bett und gab mir ein sauberes. »Drück mir das auf die Wunde!«
Ich legte das Handtuch zu einer dicken Kompresse zusammen und drückte es auf das Loch in seiner Schulter. Blut rann heraus und färbte den Stoff schnell rot.
Mick stieß einen Grunzlaut aus. »Solche Kugeln sind immer lästig.«
Er schloss die Augen. Mick brauchte für seine Heilmagie keine Rituale, Gesänge oder Requisiten; er wurde einfach sehr still und befahl seinem Körper, sich zu reparieren.
Ich spürte, wie seine Haut sich unter meinen Fingern erwärmte – mehr noch, sich aufheizte. Schweißperlen bildeten sich und rannen seinen Arm hinunter. Mick legte den Kopf zurück und biss die Zähne zusammen, an seinem Hals traten die Sehnen hervor. Ich drückte das Handtuch so fest auf ihn, dass ich spüren konnte, wie sich seine Muskeln darunter bewegten, die Form veränderten und sich neu arrangierten.
Ich legte meinen anderen Arm um ihn, die Hand direkt über seinem Herzen. Seine Haut fühlte sich heiß, beinahe feurig an.
Er knurrte. Ich presste meinen Körper gegen seinen Rücken und drückte das Handtuch weiter auf seine Wunde. Seine magische Energie kroch mir durch den Körper und traf auf die letzten Reste meiner eigenen. Mick packte meine Hand über seinem Herzen, immer fester, bis mir die Finger wehtaten. Ich atmete heftig ein und spürte, wie unsere Magieströme sich miteinander verschlangen.
Etwas zerrte an Micks Schulter. Ich hielt das Handtuch unter die Wunde, und die Kugel wand sich aus Micks Fleisch und fiel auf den blutigen Stoff. Mick zog meine andere Hand an die Lippen und küsste mich in die Handfläche. Ich sah zu, wie das Loch in seinem Fleisch sich schloss, bis von der Wunde nur noch ein entzündeter Fleck und ein schwarzer Bluterguss übrig geblieben waren.
Mick drehte sich zu mir um, die Augen dunkel. »Wir wirken verdammt scharfe Magie zusammen, Süße, nicht?«
»Früher mal«, sagte ich.
»Sie war immer gut«, flüsterte er und fuhr mir mit der Hand in den Nacken. »Die beste.« Er küsste mich kurz, aber intensiv, dann noch mal und noch mal. Sein Arm wanderte auf meinen Rücken und zog mich an seine schweißnasse Brust.
Sein Mund war verheißungsvoll, seine Hände wussten genau, was mich scharf machte. Ich setzte mich auf seinen Schoß und schlang die Beine um ihn, während er sich mit mir auf die Matratze rollte.
Ich hob die Hände und drückte sie ihm flach gegen die Brust. »Mick.«
Er sah mich unschuldig an, lächelte aber immer noch. Mein Herz zog sich zusammen. Gott, wie sexy dieser Mann lächeln konnte! »Du hast mir so gefehlt, Baby!«
»Du mir auch.« Ich berührte sein Gesicht, streichelte es mit den Fingerspitzen. »Aber du kannst nicht bleiben.« Meine Stimme klang nicht sonderlich überzeugend, doch es war mein Ernst.
»Süße, wenn du hier bist, um es mit deiner Mom und den Wirbeln aus der Unteren Welt aufzunehmen, brauchst du alle Hilfe, die du kriegen kannst, und das weißt du auch.«
»Ja, vielleicht, aber was ich nicht gebrauchen kann, sind Schuldgefühle, weil du meinetwegen verletzt worden bist.« So mächtig Mick auch war, wenn meine Mutter es nur ernsthaft genug darauf anlegte, mich in die Finger zu bekommen, würde sie Mick auspusten wie ein abgebranntes Streichholz.
»Du bist viel stärker geworden.« Mick fuhr mir mit den Fingern über die Wange. »Wie du den Skinwalker erledigt hast, war erstklassig.«
»Es war ein erstklassiger Sturm.«
»Aber du hast ihn mit der Finesse eines Meisters kontrolliert. Als ich dich kennengelernt habe, waren deine Kräfte das reinste Chaos.«
Das stimmte. Als ich Mick getroffen hatte, war ich einundzwanzig gewesen, und damals hatte ich zumindest gelernt, meine Sturmmagie in Schach zu halten und nicht willkürlich andere Leute damit zu verletzen. Doch ich hatte meine Fähigkeiten noch nicht so weit entwickelt, um wirklich gut damit umgehen zu können, sie zu bündeln und auf ein Ziel zu richten. Weil Mick mir in den sechs Monaten, die wir zusammen waren, so viel beigebracht hatte, konnte ich meine Fähigkeiten verdoppeln, und ich hatte seither fleißig daran gearbeitet.
»Erkläre mir, woher du wusstest, dass ich hier in Magellan bin«, sagte ich. »Und im Büro des Sheriffs eingesperrt.«
»Sagen wir mal so: Ich weiß immer, wo du bist. Ich bin gekommen, um den Skinwalker für dich zu erledigen, aber dann bist du allein mit ihm fertiggeworden. Ich dachte, der Sheriff würde dich heute früh gehen lassen, doch du bist nicht rausgekommen. Als ich gespürt habe, wie einer meiner Lichtzauber betätigt wurde, wusste ich, dass ich dich da rausholen muss.«
Ich erinnerte mich daran, wie Nash die Silberkugel in den Fingern gerollt hatte. »Er ist nicht losgegangen. Es gab einen Funken, als Nash ihn berührt hat, aber das war schon alles. Er hat keine magischen Fähigkeiten.«
Mick hob die Brauen. »Bist du sicher? Ich habe die Druckwelle gespürt.«
»Glaub mir, ich hätte es gemerkt, wenn mir gleißendes Licht durchs Hirn gefahren wäre. Der Lichtzauber ist nicht losgegangen. Es muss was anderes gewesen sein.«
»Vielleicht.« Er küsste mich auf die Nasenspitze und stieg endlich von mir herunter, und sofort fühlte ich mich kalt und verlassen. Ich hörte, wie er im Bad das Wasser laufen ließ, und dann kam er mit mehr sauberen, feuchten Handtüchern wieder. Er setzte sich wieder aufs Bett und begann, mir das Gesicht abzuwischen. Das kühle Wasser auf meiner heißen, schmutzigen Haut fühlte sich wunderbar an. »Du hast das Haus gesichert.«
Das war keine Frage. An dem Tag, als ich eingezogen war, war ich zu Paradox, dem hiesigen New-Age-Laden gegangen, hatte mir dort getrocknete Kräuterbündel zum Räuchern, Kerzen, Steine und Öl gekauft und dann den ganzen Abend damit verbracht, unter magischen Gesängen überall Abwehrzauber anzubringen.
»Schutzzeichen, Gaben an die Götter, Abwehrzauber«, sagte ich. »Alles, was mir eingefallen ist.«
Mick ließ die Augen über die Symbole wandern, die ich gezeichnet hatte. Für menschliche Augen waren sie unsichtbar, aber ich wusste, dass er sie sehen konnte. »Die könnten eine Auffrischung vertragen.«
So, wie er mich anschaute, wusste ich genau, wie er das zuwege bringen wollte. Mick hatte mich einst in die hohe Kunst des Tantra-Sex eingeweiht.
»Jetzt nicht«, sagte ich. »Du hattest eben noch eine Kugel in der Schulter. Die Wunde muss erst ganz verheilen.«
»Ist nicht so schlimm. Dein Sheriff ist ein lausiger Schütze.«
»Er wollte dich nicht töten, nur aufhalten.« Das wusste ich mit Gewissheit. Nash war zwar ein Arschloch, aber kein Killer, und von der Sorte hatte ich genug getroffen, um einen zu erkennen, wenn ich einen sah.
Mick wirkte nicht überzeugt. Inzwischen war er mit meinem Gesicht fertig und nahm sich meine Hände vor.
»Es ist ja nicht so, dass ich deine Hilfe nicht zu schätzen wüsste«, sagte ich. »Doch du weißt, dass du mich nur noch tiefer reingeritten hast, wenn Jones beschließt, Anzeige zu erstatten. Dann bringt er das Gericht garantiert dazu, mich ohne Kaution einzusperren, und schafft es irgendwie, dass mein Verhandlungstermin erst in zwei Jahren angesetzt wird.«
»Er wird keine Anzeige erstatten. Das hätte er schon getan, wenn er eindeutige Beweise gehabt hätte, und die wird er nicht kriegen.«
Ich fragte mich, wie er sich da so sicher sein konnte. Nash Jones hielt sich streng an die Dienstvorschriften, aber würden seine Deputies herausfinden können, was da draußen auf dem Highway passiert war? Ich war die einzige Zeugin. Vielleicht. Wer war dieser Landstreicher, der den umgekippten Laster gesehen hatte? Nash zufolge nannte er sich »Coyote«. Was würde der aussagen?
»Mich würde trotzdem interessieren, wie du wissen konntest, dass ich in Schwierigkeiten war«, sagte ich.
»Du weißt, dass ich dir das nicht verrate.« Micks Stimme klang vernünftig, und bei seiner arroganten Weigerung, meine Fragen zu beantworten, stieg die altbekannte Wut in mir auf.
»Mick …«
»Vergiss es. Es gibt Dinge, die du einfach nicht erfahren wirst.«
Meine alte Erbitterung kam zurück. Während unserer kurzen Beziehung hatte Mick darauf bestanden, dass ich nirgends ohne ihn hinging, aber er war jederzeit nach Lust und Laune verschwunden, ohne mir zu verraten, wohin er ging. Er hatte mich damit verrückt gemacht. Ich hatte mich zerrissen gefühlt: Einerseits war es wunderschön, so von ihm geschätzt und geliebt zu werden, andererseits wollte ich meine Freiheit, um mein Leben zu leben.
Mick hatte tagelang mit mir gestritten, als ich ihm gesagt hatte, dass ich ihn verlassen wollte. Er hatte gedroht, mich anzuketten oder mit einem Zauber zu lähmen, bis ich ihn endlich kleingekriegt hatte. Und jetzt, ausgerechnet hier, wo die Gefahr durch meine Mutter am größten war, tauchte er plötzlich wieder auf.
»Weißt du, einer der Gründe, warum ich dich verlassen habe, war, dass ich es satthatte, wie ein Kind behandelt zu werden«, sagte ich.
»Du warst ein Kind, Janet. Einundzwanzig und volljährig … und dachtest, du könntest es mit der ganzen Welt aufnehmen.«
»Ich war seither immer allein unterwegs und kann hervorragend selbst auf mich aufpassen.«
»Weil du in die richtige Richtung weggefahren bist – weg von hier. Dieser Ort wird dich umbringen, und das weißt du.« Wieder beugte er sich zu mir, sein Lächeln war verschwunden, seine Augen ernst. »Nenn mich egoistisch, aber ich will dich nicht sterben sehen. Darum bin ich hier, und darum bleibe ich auch.«
»In Magellan?«, fragte ich und versuchte, beiläufig zu klingen.
»In deinem Hotel. Bei dir.«
»Entschuldige mal.« Ich versuchte, mich aufzusetzen, schaffte aber nur, gegen das Kopfende zu sinken. »Mein Hotel, Mick. Meins. Gäste zahlen für ein Zimmer oder werden von mir eingeladen. Und das auch erst dann, wenn das verdammte Ding fertig renoviert ist.«
Er rührte sich keinen Zentimeter, seine Körperwärme fühlte sich wie eine Decke an. »Ich habe dich damals gehen lassen, weil du dich aus der Gefahrenzone entfernt hast. Wenn ich dieses Mal nicht bei dir bleibe, bist du tot, und das ist mein letztes Wort.«
Mick forderte mich heraus. Als ich jünger gewesen war, hatte ich mich von ihm führen lassen. Jetzt wusste ich selbst, was ich zu tun hatte.
»Ja, es ist gefährlich hier«, sagte ich. »Und zwar für dich. Ich habe so schon genug um die Ohren und will mir nicht auch noch um dich Sorgen machen müssen.«
»Dann mach dir eben keine. Du managst dein Hotel, und ich halte dir den Rücken frei. Du brauchst jemanden, der auf dich achtet – letzte Nacht ist Beweis genug dafür.«
»Na gut, mag ja sein.« Ich gab zu, dass Mick bei all seiner Rätselhaftigkeit jemand war, den ich gern auf meiner Seite hatte. »Warum bist du immer noch so verdammt wild darauf, auf mich aufzupassen?«
»Musst du unbedingt fragen?«
»Muss ich.«
Mick kam noch näher, bis sein Gesicht einen Zentimeter von meinem entfernt war. »Wenn du diese Frage stellen musst, dann würdest du mir die Antwort sowieso nicht glauben.« Er wich zurück und wischte mir weiter die Hände sauber.
»Du bist immer noch ein arroganter Scheißkerl.«
Mick warf mir ein strahlendes Lächeln zu. Götter, er sah einfach umwerfend aus! Sein Lächeln erwärmte den Raum und erinnerte mich daran, wie kostbar und begehrt ich mich immer bei ihm gefühlt hatte. Bleib bei mir, und nichts wird dir jemals wieder etwas anhaben können, hatte er gesagt.
War es klug oder dumm von mir gewesen zu gehen?
Er war mit der Säuberung meiner Hände fertig und küsste meine Fingerspitzen. »Schlaf jetzt! Ich halte Wache.«
»Bist du sicher, dass du in Ordnung bist? Deine Schulter sieht immer noch schrecklich aus.«
»Ich kümmere mich drum.« Der Mann, der meine erste, letzte und einzige Liebe gewesen war, lächelte und berührte meine Stirn. »Schlaf jetzt, Janet!«
Vielleicht hatte er seine Worte mit Magie aufgeladen, denn die Welt um mich wurde schwarz, und ich fiel in einen tiefen Schlaf. Ich schlief den ganzen Nachmittag und weiter bis zum Morgen. Glücklicherweise war es ein tiefer, traumloser Schlummer. Als ich wieder erwachte, fühlte ich mich besser, die Sonne ging auf, und Mick war fort.